Die_Neue_Wir-Kultur - Sport-Job-Blog

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Die_Neue_Wir-Kultur - Sport-Job-Blog
TRENDSTUDIE
DIE NEUE
WIR-KULTUR
Wie Gemeinschaft zum treibenden
Faktor einer künftigen Wirtschaft wird
DIE NEUE
WIR-KULTUR
Wie Gemeinschaft zum treibenden
Faktor einer künftigen Wirtschaft wird
IMPRESSUM
Herausgeber
Zukunftsinstitut GmbH
Kaiserstr. 53, 60329 Frankfurt
Tel. + 49 69 2648489-0, Fax: -20
info@zukunftsinstitut.de
Chefredaktion
Thomas Huber
Autorin
Kirsten Brühl
Redaktionelle Mitarbeit
Verena Muntschick, Silvan Pollozek
Graik-Design
Ksenia Pogorelova
Lektorat
Franz Mayer
ISBN 978-3-938284-94-0
© Zukunftsinstitut GmbH, Januar 2015.
Alle Rechte vorbehalten.
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
INHALT
4
Intro
Mehr Wir: Aufbruch ins Zeitalter der Kollaboration?
8
Die Landkarte des Wir
Ein Realitätscheck für Pragmatiker
50
Aus „Wir“ wird Peer-to-Peer
Gemeinschaft als Treiber für Führungskräfte
68
Die Evolution des Wir
Soziale Innovationen prägen das Bild der Zukunft
80
Der Homo Socialis
Wissenschaftliche Perspektiven für Theorieafine
96
Der „Wir“-Imperativ
To-dos für die Zukunft. Für Macher und Umsetzer
112
Literaturliste
3
INTRO
Mehr Wir: Aufbruch ins Zeitalter
der Kollaboration?
4
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
2012 lädt die deutsche Bundeskanzlerin
das ganze Land zu einem Dialog über die
Zukunft ein (dialog-ueber-deutschland.de).
Gleichzeitig bestimmen erste Unternehmen
ihre Chefs nicht mehr „von oben“, sondern
lassen sie von ihren Mitarbeitern demokratisch wählen (umantis.com). Andere
schafen Hierarchien gleich ganz ab: Eine
Berliner Innovationsagentur installiert ein
Führungskollektiv und gewinnt damit einen
New Work Award (thedarkhorse.de). Weitere Firmen probieren alternative Formen
von Mitbestimmung aus. Mitarbeiter
entscheiden selbst über ihr Gehalt, stellen
eigenständig Kollegen ein und verantworten
selbstverantwortlich auch große Budgets,
ohne sich nach oben absichern zu müssen.
Wer in Frankfurt wohnt, kann unterdessen
auch Einluss auf die Politik nehmen. Auf
der Website „FFM Frankfurt fragt mich“
(fm.de) können Bürger direkt ihre Ideen
einreichen. Bei mehr als 200 Unterstützern
werden sie umgehend geprüft und von der
Stadt mit einem Vorschlag zur Umsetzung
versehen.
Auch im Privaten entstehen neue KollektivKonstrukte und alternative Organisationsformen: Mittdreißiger bewirtschaften vor
den Toren deutscher Städte gemeinsam
mit Rentnern und Familien Felder und
legen Gemüsegärten an (meine-ernte.de).
Nachbarn teilen sich ihre Werkzeuge, statt
neue eigene zu kaufen, bestücken aus dem
eigenen Literaturbestand öfentliche Bücherschränke und füllen für die Allgemeinheit zugängliche Kühlschränke mit Lebensmitteln auf. Privatleute leisten im Kollektiv
Taxidienste und werden zu Getränke- und
Lebensmittellieferanten. Bürger engagieren
sich in „Social Impact Labs“, um aktiv neue
Ansätze für selbstverantwortetes Wirtschaften zu entwickeln. Geschäftsinhaber
wie die der BioSphäre in Berlin entwickeln
5
INTRO
alternative Geschäftsmodelle, um Bio für
alle anzubieten. Wer wenig verdient, zahlt
wenig. Besserverdienende und ehrenamtliche Verkäufer subventionieren sie
(enorm-magazin.de). „Mischt Euch ein“ und
„macht mit“ heißt es unterdessen auf den
Titeln alternativer Wirtschaftsmagazine wie
„brand eins“ oder „enorm“. Die GLS Bank
wirbt mit dem Slogan „Share Dich drum“
um neue Kunden, und die Cebit stellt 2013
die gesamte Messe unter den Leitgedanken
der „Share Economy“.
Überall klingt es nach „Wir“. Nach Zusammenhalt, nach dem Wunsch, mehr oder
neue Gemeinschaft zu spüren, zu erzeugen,
zu formen. Am besten alle sollen künftig
mitmachen, „mitgenommen werden“, dabei
sein und gefragt werden. Hängen all diese
Phänomene zusammen? Wir glauben ja.
Sollte sich dies bewahrheiten, stünde ein
gewaltiger Wandel bevor. Denn der große
Treiber der vergangenen Jahrzehnte war auf
diesem Feld das vermeintliche Gegenteil:
der Individualismus. Vermeintlich deswegen, weil es natürlich schon immer um
die Balance ging zwischen Durchreglementierung und überbordenden Freiräumen,
von „Normcore“ und Atomisierung.
Dennoch: Die neuen Wirs verweisen auf
einen Phasensprung, denn sie verkörpern
im Sinne der Trendlogik die Umorientierung und Ausrichtung auf etwas, was als
Leerstelle, Mangel oder Sehnsuchtsfeld
empfunden wird. Selbstverständlich werden
wir nicht aufhören, individuell zu leben und
zu fühlen – und das auch einzufordern. Aber
nicht umsonst hat ein durch und durch
digitales Zeitalter den Begrif der „Community“ mit gänzlich neuem deinitorischem
Leben gefüllt.
6
Und so zeigt sich auch am Wir-Phänomen
die trendgetriebene Logik moderner
Gesellschaften: Während das System im
mathematisch-wissenschaftlichen Sinne
immer „diskreter“ wird – die Digitalisierung
macht immer mehr Bereiche abgrenzbar als
Zustände von Null und Eins, an und aus, ja
oder nein –, während wir also immer „digitaler“ werden, schaft sich die Gesellschaft
innerhalb dieser digitalen Umfelder Überlagerungen des „Kontinuierlichen“, wo es um
Übergänge, Interpretationen und Kontexte
geht. Wachsende Komplexität ist die
spürbarste Folge solcher Trend-RekursionTrendanpassungs-Logiken. Die neuen Wirs
sind insofern nicht eine Abkehr vom Individualismus, sondern eine Organisationsform
temporärer Zugehörigkeit als komplexe
Reaktion auf erweiterte Bindungspotenziale.
Mehr Kollaboration scheint an vielen Stellen
in Wirtschaft und Gesellschaft der Versuch
zu sein, sich in einer komplexen Welt neu
und anders zu organisieren. Mit mehr
Innovation, mehr Eizienz, mehr Sinn – und
manchmal auch mit mehr „Kuschel-Faktor“.
Doch die neuen Kollektive, die neuen
„Wirs“, nehmen ein weites Feld ein. Sie reichen von echten Kollektiven, die alternative
Lebensformen aufbauen wollen, bis hin zu
temporären Gemeinschaften, die eigentlich
nur ihr eigenes Leben etwas angenehmer
und unkomplizierter gestalten wollen.
Beides hat seine Berechtigung.
Doch kommt es dadurch leicht zum Clash
von Wertewelten, denn gesellschaftlich
noch lange nicht geklärt ist die Frage, was
das Wir in seinem Inneren ausmacht,
welche Formen echtes, berechtigtes Wir
sind und wo Wir-Hochstapelei beginnt. Die
Hofnung auf mehr „Wir“, auf Teilen, auf
mehr Solidarität und eine andere, bessere
Spontanes Wir:
Helfer beim
Oder-Hochwasser
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Foto: Istockfoto
Welt prallt an etlichen Stellen auf eine andere, schmucklosere Realität. In ihr geht es
zwar auch um Kollektive, aber vor allem um
durch Digitalisierung getriebene Angebote
und technologische Vernetzung. Zeit innezuhalten also und zu überprüfen, welche
der neuen Wirs Ausdruck welcher genauen
Sehnsucht sind, welche Formen von Wir
tatsächlich existieren und dank Internet und
Apps vielleicht schon fest in unser Leben
integriert sind.
Die vorliegende Studie versucht eine
Inventur des Wir an der Nahtstelle von Spätindividualismus und neuem Kollektivismus:
In Kapitel 1 wenden wir uns an die Pragmatiker und vermessen das Terrain für
unsere Gesellschaft. Welche Wir-Modelle
gibt es und wo zeigen sich neue Formen von
Kollaboration und Kooperation schon heute
im Alltag? Wir wagen den weiten Blick und
clustern die Phänomene des Wir.
Kapitel 2 ist für Führungskräfte gedacht
und für die, die an der Welt der Wirtschaft
interessiert sind. Welche Rolle spielt das
Wir im Business – und was verändert sich
gerade? Denn ob Crowdfunding oder Collaborative Leadership, immer mehr Firmen
öfnen ihre Prozesse in nie gekannter Weise
und experimentieren mit neuen Strukturen
des Wir.
In Kapitel 3 ordnen wir die Evolution des
„Wir“ ein und sprechen damit vor allem
Überblicks- und Langfristdenker an: Welche
Treiber gibt es für diese Entwicklung?
Warum ist das Wir gerade jetzt ein hema –
und wie wird es diskutiert?
In Kapitel 4 schauen wir hinter die Phänomene und bohren in die Tiefe. Denn
das wird alle interessieren, die heorie für
sinnvoll halten: Was hat die Wissenschaft
zum Wir zu sagen? Welche Disziplinen
beschäftigen sich mit Kooperation und
Kollaboration und welche spannenden
Forschungsergebnisse gibt es?
In Kapitel 5 werden wir pragmatisch und
fragen uns, ob wir wirklich bereit sind für
das „Wir“, vor allem in Umgebungen, die
stark von Konkurrenz geprägt sind, wie klassische Unternehmen und Märkte westlichkapitalistischer Prägung. Das ist der Teil für
die Macher unter uns. Wir schauen, was auf
der Agenda für die Zukunft steht – und was
wir lernen müssen, um bereit zu sein für die
Ära der neuen Wirs.
7
DIE
LANDKARTE
DES WIR
Ein Realitätscheck für
Pragmatiker
8
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Das „Wir“ steht hoch im Kurs. Teilen und „sharen“, tauschen
und gemeinsam nutzen, Kollaboration und Gemeinschaft,
all das hat Konjunktur. Doch an welchen Stellen unserer
Gesellschaft kristallisiert sich welche Form des Wir? Wer
proitiert davon und was sind die Motive? Eine einführende
Übersicht.
Leben wir in einem neuen Zeitalter der
Kollaboration und Gemeinschaft? Diese
Frage wird derzeit unter dem Stichwort
„Sharing Economy“ heftig und kontrovers
diskutiert. Die einen sagen klar ja und interpretieren die schöne neue Tauschwelt als
eine Gesellschaft voller Gemeinschaft und
Nachbarschaftshilfe, in der ein wohltätiger
Kapitalismus entsteht. Die anderen wollen
genau das Gegenteil erkennen, indem
die Sharing Economy nur zu noch mehr
(Selbst-)Ausbeutung führt und selbst Nachbarschaft und Gemeinschaft ökonomisiert.
Ob euphorischer Lobgesang oder pessimistische Kulturkritik – an einem besteht kein
Zweifel mehr: Die Welt hat sich mittlerweile
so vernetzt wie nie zuvor und Personen sind
in vielfache Kommunikationszusammenhänge verwickelt. Daraus entstehen zwar
nicht zwangsläuig neue Gemeinschaften,
aber doch viele neue Formen sozialer Netzwerke, die zumindest das Potential besitzen,
Wir-Gefühle und Gruppenidentiizierungen
hervorzurufen.
Wenn heute von Gemeinschaft gesprochen
wird, geht es nicht mehr nur um Horte
hochpersönlicher Beziehungen wie Familie
oder Freundeskreis. Denn mit dem Megatrend der Konnektivität haben sich nicht nur
9
zahlreiche Communitys gebildet, die den
lokalen Rahmen von physischer Interaktion
sprengen – es wurde vielmehr das vermeintlich klare Verhältnis von „realen“ PräsenzBeziehungen und „virtuellen“ Kontakten
untergraben.
Bahn bricht – und nicht nur im Teilbereich
der Ökonomie, wie es der mediale Diskurs
über die Sharing Economy suggeriert.
Vielmehr indet sich die Lust am Wir in
Strömungen an unterschiedlichsten Stellen
und Orten der Gesellschaft.
Unsere Gegenwart erzeugt immer mehr hybride Gemeinschaften, die sich oline und
online vernetzen und sich auf unterschiedlichsten Kanälen miteinander austauschen.
Unsere Untersuchungen dulden keinen
Zweifel: ‚Wirs‘ sind ein hochrelevanter, breitenwirksamer gesellschaftlicher Trend, der
sich auf alle Teilbereiche der Gesellschaft
auszuwirken beginnt. Wo genau das passiert
und wo nicht, wollen wir zu Beginn unserer
Studie etwas systematischer betrachten.
In den letzten Jahren sind wir im Zuge
unserer Recherchen an allen Ecken und
Enden der Gesellschaft auf verschiedenste
neue Wir-Phänomene gestoßen. Da wird
der klassische Manager alter Schule zum
‚Alpha-Softie‘ und Teamplayer, überall in
den Organisationen entstehen vernetzte
Teams, Menschen tauschen Kleider, Nahrung, Fahrräder oder Autos mitten in der
Konsumkultur, Weltverbesserer errichten
ganze Öko-Dörfer und vieles andere mehr.
Es scheint, dass sich tatsächlich eine
verstärkte Wir-Orientierung der Menschen
10
Ob wir ein Zeitalter der Kollaboration heraufziehen sehen oder denken, dass Share
Economy & Co. nur temporäre Erscheinungen sind, hängt davon ab, aus welcher
Perspektive wir die Welt betrachten. Der
Traditionalist mit Festanstellung und ohne
Facebook-Konto nimmt mit Sicherheit eine
andere Welt wahr als der Selbstständige, der
die neuen Netzwerke stündlich in seinem
Alltag nutzt. Deswegen starten wir den Blick
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Ein Schulfest im
Gemeinschaftsdorf Tempelhof
auf das Wir mit einem Realitätscheck. Wir
wollen wissen, welche neuen, kollektiven
Organisationsformen Menschen in Gesellschaft und Unternehmen im Jahr 2015
gefunden haben, wie sie aussehen, wie sie
sich anfühlen – und wie sich die Wir-Konstruktionen unserer Zeit von traditionellen
Gemeinschaften unterscheiden.
Die dabei entstehende „Landkarte des
Wir“ soll einen Überblick schafen, das „Big
Picture“ zeichnen. Wir ziehen den Fokus
sehr weit auf: Wir beschreiben ein rundes
Dutzend „Wir-Cluster“, hinterlegt mit
Beispielen. Jedes einzelne Cluster ist „ein
bisschen Wir“ – bei genauer Analyse zeigen
sich dabei jedoch unterschiedlichste Ziele,
Wünsche und Vorstellungen. Die „DNA“ der
neuen Kollektiv-Konstrukte ist also äußerst
divers, und die beschriebenen Wirs haben
viele Funktionen und viele Gesichter – von
neu entstehenden Wertegemeinschaften bis
hin zu temporären Zusammenschlüssen für
mehr Eizienz. Und sie scharen Menschen
mit unterschiedlichsten Motivationen um
Foto: © Tempelhof
sich. Einige Aspekte scheinen zunächst
überraschend: Nicht alle Wirs zum Beispiel
sind zum Beispiel wirklich Gemeinschaften.
Manche entstehen schlicht und einfach aus
ökonomischen Notwendigkeiten, während
andere getrieben sind von der Suche nach
neuen Lebens- und Konsumformen und
damit von einem maximalen Wunsch
nach Zusammenhalt. Trotzdem gehören
sie alle auf eine Karte. Denn erst wenn wir
Querverbindungen herstellen zwischen
all den Punkten in unserer Gesellschaft,
an denen intensive oder auch eher lockere
Kooperation und Kollaboration stattindet,
bekommen wir ein Gespür davon, wie
die Zukunft aussehen könnte und ob wir
tatsächlich auf so etwas zusteuern wie ein
„kollaboratives Zeitalter“.
Um die vielfältigen Wir-Phänomene unserer
Zeit – vom Tauschladen über die OpenSource-Bewegung bis zu den neuen Nachbarschaftswebsites – zu sortieren, haben wir
zwei Unterscheidungsmerkmale gewählt.
11
DIE LANDKARTE DES WIR
1. Zum einen markieren wir den Grad
der Vergemeinschaftung. Dafür nutzen
wir eine Erkenntnis der Soziologie: WirGemeinschaften entstehen erst dann, wenn
die Beteiligten Interessen und Werte teilen,
ein tatsächliches ‚Wir-Gefühl‘ ausbilden
und sich von anderen ‚Nicht-Wirs‘ abgrenzen können; außerdem müssen sie
immer wieder miteinander Zeit verbringen
(Hitzler/Honer/Pfadenhauer 2008). Für die
eine Koordinatenachse unserer Landkarte
wählen wir deshalb den „Gemeinschaftsgrad“ als Diferenzierungsfaktor.
2. Als Zweites nehmen wir das Engagement hinzu, das das jeweilige Wir vom
Einzelnen verlangt: Wie viel Zeit, Geld und/
oder inneres Engagement muss ich investieren, um Teil eines speziischen Wir zu
werden? Oder mit anderen Worten: Wie viel
kostet mich das Wir? Diesen Wert tragen wir
auf der X-Koordinaten-Achse ein.
Die Topograie des Wir
Am Ende entsteht eine überaus spannende
Topograie des Wir: Es gibt ziemlich „dicht
besiedelte“ Landstriche im linken unteren
Bereich der Karte. Diese spiegeln allerdings
einen eher zweckrationalen Austausch mit
wenig Wir-Gefühl und geringem persönlichem Investment.
Was wir schon 2012 unter dem Begrif der
Shareness deiniert haben, fällt zum allergrößten Teil in diese Kategorie. Seither
sind unzählige neue Varianten und Spielarten dazugekommen: Wir nennen sie die
„fruchtbaren Gärten“ der Share Economy.
Wer will, loggt sich ein, macht mit – und ist
schwuppdiwupp wieder draußen, ohne zu
einer Gemeinschaft im klassischen Sinn
gehört zu haben.
12
Dagegen stehen eher karg besiedelte
Flächen, auf denen wenig los ist, auch wenn
die Ideen, die in diesen Feldern verfolgt
werden, umso intensiver wirken. Die „Treibhäuser der sozialen Neuordnung“ gehören
für uns dazu. Diese Initiativen und Projekte
sind in höchstem Maße wertegetrieben,
wollen Verbindungen schafen in unserer
Gesellschaft und verlangen somit ein gehöriges Maß an Engagement und im Gegenzug
viel echte Gemeinschaft.
Manche der Phänomene entziehen sich
allerdings der klaren Einteilung, die der
zweidimensionale Raum der Landkarte
fordert. Einige der Beispiele fühlen sich
an, als wären sie gleichzeitig hier und dort.
Das gilt besonders für einige Beispiele der
Share Economy: Nicht wenige Projekte
sind ursprünglich aus einem Impuls des
Teilens und Schenkens geboren worden und
könnten ihren Platz auf den „Lichtungen der
Großzügigkeit“ haben. Inzwischen haben
sie sich aber über den „Pfad der Ökonomisierung“ in Richtung der härter kalkulierenden Share Economy bewegt. Hier haben
wir im Sinne einer besseren Trennschärfe
eindeutige Zuordnungen vorgenommen.
Doch bei unserer Landkarte geht es weniger
um den Einzelfall als um das Big Picture.
Wir bringen hier zusammen, was auf den
ersten Blick nicht zwingenderweise zusammengehört. Denn genau das ist der
Mehrwert eines weiten Fokus: Wir können
Mustererkennung betreiben und prüfen,
inwieweit Kollaboration, Kooperation und
mehr Wir ein übergreifendes Phänomen
ist, das an vielen Stellen von Wirtschaft und
Gesellschaft sichtbar wird, oder ob wir nur
von temporären Ausnahmeerscheinungen
sprechen.
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Die Quadranten der Gemeinschaft
Um die Landkarte besser lesbar zu machen, haben wir in einem weiteren Verdichtungsschritt daher
eine klassische Vier-Felder-Matrix gebildet. Als Lesehilfe für die Karte dient folgende Einteilung:
Grad der Vergemeinschaftung
Grad der Vergemeinschaftung
Engagement
Engagement
Die Zone von Weltverbesserungs-Wirs.
Die Zone von Optimierungs-Wirs.
Hier geht es um Wertegemeinschaften.
Erscheinungsform sind hierbei temporäre
Höchster Wert: Solidarität
Entwicklungsgruppen.
Wir-Absicht: alternative Formen des Zusam-
Höchster Wert: Zusammenhalt
menlebens und -arbeitens inden und mit
zur gegenseitigen Förderung
ihnen experimentieren
Wir-Absicht: persönliches Wachstum durch
Vergleich und Sparring
Grad der Vergemeinschaftung
Grad der Vergemeinschaftung
Engagement
Engagement
Die Zone der Efizienz-Wirs.
Die Zone der Sympathie-Wirs. Gebildet durch
Thema sind alternative Tausch- und
lockere Lerngemeinschaften.
Organisationsgemeinschaften.
Höchster Wert: Offenheit
Höchster Wert: Efizienz
Wir-Absicht: allen die Ressourcen zur
Wir-Absicht: schneller, lexibler und mit mehr
Verfügung stellen und mehr Selbstbestim-
Abstimmung in einer komplexen Welt handeln
mung generieren
können
13
14
Die Landkarte des Wir
xxx
Wir ist nicht gleich Wir:
Die Verbindlichkeit
hängt von den Faktoren
Vergemeinschaftung
und individuelles
Engagement ab.
Zusammengehörigkeit/
geteilte Werte
Grad der Vergemeinschaftung
hoch
niedrig
hoch
Privatopias/Gated Communities
individuelles Engagement
• Ecovillage Findhorn, Schottland
• Disney-Planstadt Celebration, USA
• Freetown Christiania, Kopenhagen,
Dänemark
zunehmend
gemeinsame
Interaktionszeiträume
Warmer App-Regen
Gruppenbezug
Wir/Nicht-Wir
Spielwiesen
gemeinschaftlicher Körperund Gesundheitsoptimierung
Bootcamps, App-Wettbewerbe,
Online-Screenings
gemeinsam
Spaß haben!
Lagerfeuer
spontaner
Wir-Ereignisse
Flashmobs,
Riot Clean-Ups
geteilte
Interessen
Die fruchtbaren Gärten
des Teilens, Tauschens
und Verleihens
Collaborate Consumption,
Share Economy
zweckrationaler
Austausch
kein/wenig
Aufwand
(Anmeldung,
sonst nichts)
Die Einlasspforte:
eigener Besitz
Die Sümpfe
der Vermarktung
zeitl. oder finanziell
geringe Investition
Inseln des
alternativen Lebens1 5
Zukunftsinstitut
I WIR
Strom
der
Gesellschaftskritik
Öko-Dörfer,
nachhaltige
Lebensgemeinschaften
Hochplateau
der Weltverbesserung
Siedlung der Kollektivisten
Mehr-Generationen-Häuser
Lichtungen
der Großzügigkeit
Umsonstläden,
Bücherboxen,
öffentliche
Kühlschränke,
Kleidertausch
Lager der
Gestaltungs-Guerillas
Urban Gardening,
Gestaltung öffentlicher Räume,
Hacking, Labs
Kuschel-Schollen
Lokale Nachbarschaftsnetzwerke, kochen und essen
in Gemeinschaft
Treibhäuser der sozialen
Neuordnung
Irrgarten der
Transparenz
!
!
?
?
!!
Baumhäuser
politischer
Partizipation
Künstlerinitiativen, neue soziale
Choreographien, „soziale Plastiken“
Online-Campaigning,
Internet-Petitionen,
Watch-Blogs
??
?
Co-Working-Quartiere
Fluss der gemeinsamen Kreativität
Open Shore
Open Education,
Open-SourceProdukte, Fab Labs…
Wall des Misstrauens
Gestrüpp
der Konkurrenz
substanzielle zeitl./ persönl.
Ressourcen investieren
Gräber
der
verlorenen
Zeit
persönliche Veränderung/
Transformation notwendig
CLUSTER 1
Die folgenden zwölf Cluster sind die Wir-Formen,
Sonntagsfeiern
mit denen wir es in den kommenden Jahren
als Gesellschaft zu tun bekommen werden.
Das Leben feiern, in der Wärme der Gruppe,
Im Detail werden wir der Frage nachgehen,
ohne Doktrin und ohne Gott. Das kann man
welche dieser „Formate“ an welchen Stellen in
seit Anfang 2013 unter anderem in London,
unserer Gesellschaft zu treibenden Faktoren
Berlin und anderen Städten. Das Motto der
werden und wie sich das auf die Praxis der
Quasi-Gemeinden lautet „live better, help often,
Ökonomie und ihrer Organisationen auswirken
wonder more“. Energetisiert, vitalisiert, wieder-
wird. Wir-Formate sind als Antwort auf die
aufgeladen und erfrischt soll man sich fühlen,
Unzulänglichkeiten des Individualismus in sehr
wenn man an den Wir-Events teilnimmt und die
unterschiedlicher Weise anzusehen. Sie werden
Energie der Gruppe spürt (sundayassembly.com).
uns in vielen Formen innerhalb kultureller wie
wirtschaftlicher Kontexte begegnen.
Temporäre Kommune
Kuschel-Schollen
Auf den Dächern der Stadt campen. Ganz wie
früher, ohne Strom und Internet, mit einem ge-
In vielen westlichen Großstädten beginnen
sich jenseits traditioneller Strukturen wie
Kirche, Familie und Gemeinde alternative
Wir-Strukturen herauszubilden, in denen
sich ein Halt gebendes Gefühl von Gemeinsamkeit spüren und menschliche Nähe
kultivieren lässt – in aller Freiheit und meist
ohne große Verplichtung. Das Hauptmotiv
dieser „Kuschel-Schollen“ ist die Sehnsucht
nach Wärme, gemeinsamem Erleben und
Verbundenheit. Doch nicht nur im Westen,
auch in den Wirtschaftsmetropolen Asiens
ist man inzwischen auf der Suche nach Kontakt und Shareness-Feeling, wie das Beispiel
Seoul zeigt. Wie sich die Kuschel-Schollen
in der Realität anfühlen, zeigen folgende
Beispiele.
meinsam zubereiteten Mahl am Gaskocher, das
am großen Holztisch zusammen eingenommen
wird. Sieben Zelte unter freiem Himmel stehen
den modernen Großstadt-Clans zur Verfügung.
Zutritt bekommt, wer sich in eine Mailingliste
einträgt – und etwas zum gemeinsamen Essen
beisteuert. Das urbane Camping in New York wird
somit zu einer sehr ursprünglichen Ofline-Oase
mit Gemeinschaftsanschluss (bivouacnyc.com).
Gemeinschaftsgenuss
Hobbyköche sind in Küchen auf der ganzen Welt
zuhause, wenn sie sich über die Plattform „ComeCookandEat“ kennenlernen und miteinander
verabreden. Wer sich online registriert, kann sich
bei mehr als tausend potentiellen Gastgebern
zum gemeinsamen Kochen einladen und selbst
Gäste empfangen. Die Idee, Kochen als Verständigung zwischen Kulturen einzusetzen, hatte ein
deutsch-italienisches Paar, das in Norditalien
lebt und seitdem die Idee des Non-Proit-Projekts weiterträgt (comecookandeat.org).
16
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Polly & Bob verbindet die Nachbarschaft
Foto: Volker Siems
Nachbarschaftsnetze
Sharing-Vorbild Seoul
Bei Nextdoor oder Niriu liegt das Wir vor der
Sharing in jeder Hinsicht gibt es in Seoul. San
eigenen Haustür. Die neuen Nachbarschafts-
Francisco war die Inspiration – jetzt will man
netze sind ein Beispiel für die Kombination von
Vorreiter in Asien werden. „Seoul Sharing City“
digitaler Plattform und dem „New-Local-Trend“.
heißt das Projekt, aus der Taufe gehoben 2012
Bei Niriu in Hamburg zum Beispiel bieten
vom städtischen Innovationsbüro. Die Stadt un-
Nachbarn sich seit 2011 bewusst gegenseitig
terstützt großlächig Leihplattformen, Mitwohn-
Unterstützung an. Neben tatkräftiger Hilfe im
projekte, gemeinsames Gärtnern, den Tausch
Alltag geht es aber auch ums Kennenlernen. Die
von Kinderkleidung, Mitkoch-Clubs und vieles
Aktivitäten reichen vom gemeinsamen Grillen
mehr. Das alles soll Geld sparen, Ressourcen
über den Nachbarschaftsstammtisch bis zu
besser verteilen – aber auch mehr Kontakt,
Koch- und Weinabenden (niriu.tumblr.com).
menschliche Wärme und soziale Bindung
Doch auch solche Netze können ökonomisiert
schaffen, sagt der Bürgermeister Seouls. Ein
werden. Der Nachbarschaftsdienst Nextdoor
Beispiel: Alte Häuser werden bei „WooZoo“ zu
in den USA zum Beispiel wächst rasant, und es
sozialen Wohnprojekten für Studenten umge-
gibt feste Mitarbeiter, Venture Capital und ein
staltet. Die mehr als 30 WGs sind nach Themen
Businessmodell, das auf den Verkauf lokaler
wie „Kochen“, „Filme schauen“ oder „Start-ups
Werbung setzt. 2012 ist man mit 3.500 Stadt-
gründen“ sortiert – und mittlerweile heiß be-
vierteln online gegangen; mittlerweile sollen es
gehrt, denn die Bewohner wissen die Nähe der
40.000 sein (nextdoor.com).
Gemeinsamkeit zu schätzen (ourworld.unu.edu/
en/is-seoul-the-next-great-sharing-city).
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CLUSTER 2
Siedlung
der Kollektivisten
Ökodorf
Gemeinsam nachhaltig leben wollen die Be-
Zusammenleben, um etwas zu bewegen.
Das möchten viele der neuen Wohn- und
Lebensgemeinschaften, die seit ein paar
Jahren aus dem Boden schießen. In der
konkreten Zielsetzung unterscheiden sie
sich allerdings sehr. Während manche
ökologisch nachhaltig leben, basisdemokratisch entscheiden und sich solidarisch
unterstützen, suchen andere gemeinsam
nach der zündenden Idee für das nächste
Start-up oder eine neue App. Doch sie alle
teilen eine Überzeugung: Innovation entsteht durch Interaktion. Ein Trefpunkt der
Kollektivisten ist zum Beispiel die KarmaKonsum-Konferenz. Initiator Christoph
Harrach hat dort einen Platz geschafen für
eine „Wertegemeinschaft von Menschen,
die sich für die sozio-ökologische Transformation der Gesellschaft und insbesondere
der Wirtschaft engagieren“ (karmakonsum.
de/konferenz). Wie kollektive Lebensformen
heute aussehen und welche Träume dort
geträumt werden, zeigen folgende Beispiele:
wohner des Ökodorfs Sieben Linden. Das Motto
der Werte- und Lebensgemeinschaft: „Let’s do it
ourselves!“ Die rund 120 BewohnerInnen bauen
Häuser vorwiegend aus Holz, Lehm und Stroh.
Obst, Gemüse und Getreide werden auf den
dorfeigenen Feldern gezogen. Ob Strom, Wasser
oder Beheizung, das Dorf kommt beinahe ohne
Hilfe von außen aus. So viel wie möglich wird
geteilt oder wiederverwertet. Kleidung wird
weitergegeben, Werkzeug und Autos gemeinschaftlich genutzt. Jeder Dorfbewohner ist in
zahlreichen Arbeitsgemeinschaften, Foren und
Nachbarschaften aktiv. Viele verdienen sich
ihr Geld in den von der Gemeinschaft gegründeten Vereinen. Alle werden mit grundlegenden
Nahrungs- und Haushaltsmitteln versorgt und
können in der Gemeinschaftsküche essen.
Entscheidungen werden entweder in der Vollversammlung oder durch gewählte Räte getroffen.
So intensiv und lebendig die Gemeinschaft
gelebt und geplegt wird, so schwer ist es, als
Mitglied aufgenommen zu werden. Interessierte
müssen einen Gemeinschaftskurs absolvieren,
ein Probejahr vor Ort leben, die Bewohner für
sich gewinnen und schließlich 13.800 Euro für
ihre Genossenschaftsanteile zahlen (siebenlinden.de).
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Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Wohngemeinschaft
auf Zeit
Co-Living als
Netzwerkschmiede
Einfach und schnell vergleichsweise günstigen
Rainbow Mansion, The Glint oder The Embassy
Wohnraum inden – etwa wenn man projektbe-
heißen Wohnprojekte rund um das Silicon Valley,
zogen in einer Stadt arbeitet oder dort studiert.
in denen junge Leute zusammenleben, um
Das bietet das Co-Living-Konzept der Students
innovative und rentable Business-Ideen auszu-
Lodge. Und: Man lernt dabei neue Leute kennen.
brüten. Wohlhabende junge Akademiker wohnen
In der Students Lodge Hamburg (Eigenwerbung:
dort, um zu kochen, zu feiern, sich gegenseitig
„Die größte WG Hamburgs“) kann man zwischen
Projekte vorzustellen und sich mit anderen „awe-
einem und sechs Monaten ein Zimmer zwischen
some people“ zu vernetzen (embassynetwork.
300 und 500 Euro anmieten. Seit 2013 hat man
com). In den USA gibt es mittlerweile Dutzende
das Konzept aber noch mal angepasst: Die Hälfte
solcher ‚intentional communities‘. Für die
der 60 Zimmer soll an Menschen gehen, die
zumeist luxuriös ausgestatteten Häuser zahlen
länger als ein halbes Jahr lang bleiben möchten,
IT’ler, Kreative und Ökonomen hohe Mieten. In
das gilt auch für Nicht-Studenten (students-
den neuartigen Kommunen ist jeder schwer mit
lodge.de).
seinen Projekten beschäftigt. Hier verschwimmt
die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit wie auch
der Status der anderen: Sind sie Kollegen, Wett-
Ähnlichkeit hilft
bewerber oder Freunde – oder alles in einem?
Die Idee macht sich auch in Europa breit: In Italien (Casa Neutral), Kroatien (Zagreb Cohousing),
Gemeinsame Dachgärten, Küchen, Partyräume.
Schweden (Hus24) und Spanien (Surf Ofice) sind
Auch in Eigentumswohnungen in der Stadt
bereits Co-Living-Communitys entstanden, in
kann man inzwischen zusammenwohnen, ein
Berlin ist man auf dem Weg (colivingberlin.com).
bisschen zumindest – zum Beispiel in den
Münchner Wohntürmen mit dem vielsagenden
Namen „Friends“. Doch die Architekten wissen
inzwischen, dass nicht alles funktioniert:
Gemeinschaftsküchen werden wenig genutzt,
ebenso wenig innenliegende und einsehbare
Gemeinschaftsgärten wie in der Wiener Wohnanlage „Gestapelte Kleingärten“. Je ähnlicher
Einstellungen und Werte der Bewohner sind,
desto besser funktioniert dagegen das Gemeinschaftswohnen, sagt die Wiener Architekturwissenschaftlerin Silvia Forlati. Gemeinschaft
entsteht eben nicht allein nur dadurch, dass man
Räume dafür baut (Oberhuber 2014).
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DIE LANDKARTE DES WIR
Bewusstheit entwickeln
Einen Traum erfüllten sich auch 20
Städter im Jahr 2010. Sie kauften für 1,5
Millionen Euro das Dorf Tempelhof in der
Nähe von Schwäbisch Hall, um miteinander nachhaltig und naturverbunden
zu leben. Mit von der Partie sind Unternehmer, Freiberuler und Berufstätige,
die in die angrenzenden (Groß-)Städte
pendeln. Die Gemeinschaft unterhält
diverse Produktionsbetriebe wie Käserei,
Bäckerei und Imkerei, eigene Felder und
Nutztiere sowie eine freie Schule. Die
dort Beschäftigten erhalten ein „Bedarfseinkommen“. Neben Nachhaltigkeit und
basisdemokratischer Partizipation legt
die Gemeinschaft Wert auf eine spirituelle Entfaltung, die nicht konfessionsgebunden ist. Jeder soll seine „geistig-spirituellen Wege“ gehen und ein „bewusstes
Ich“ ausbilden können. Der „Wir-Prozess“
der Gruppe wird von Begleitern unterstützt (schloss-tempelhof.de).
20
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
21
Fotos: © Tempelhof
CLUSTER 3
Co-WorkingQuartiere
Flexibel arbeiten
Es gibt einen aufgeräumten Schreibtisch und
Platz, um gleich mit der Arbeit loszulegen.
Die Co-Worker sind meist ein bisschen mehr
auf Eizienz getrimmt als die Kollektivisten,
die gleich ihr ganzes Leben teilen. Spontan,
einfach und vergleichsweise günstig einen
Arbeitsplatz mieten ist daher die zentrale
Idee bei vielen Co-Working Spaces. Ein
Raum mit Internetanschluss, den man für ein
paar Stunden, einen Tag oder monatsweise
buchen kann – das reicht vielen Freiberulern
und Selbstständigen. Andere dagegen sind
auf Verbindungen, Inspiration und Netzwerken aus. Denn eine wachsende Zahl freier
Projektarbeiter (vorzugsweise mit vielfältigen Slash/Slash-Biograien, also mehreren
parallelen Karrieren zur gleichen Zeit) merkt,
dass immer allein zu projektieren keine
Lösung für ein ganzes Berufsleben ist. Für sie
gibt es mittlerweile eine steigende Zahl von
Angeboten in Social Labs, kreativen Hubs
und durchdesignten Gemeinschaftsbüros.
Besonders spannend: Auch Unternehmen
mieten sich mit ihren Innovationsteams in
Co-Working Spaces ein, um ein wenig vom
Geruch der Freiheit und Kreativität solcher
neu entstehender Wir-Gemeinschaften
mitzubekommen.
Anbieter wie meetnwork.de oder worklabs.de
vermieten in deutschen Großstädten Bürolächen, mit mehr oder weniger Design. Weltweit
dagegen operiert die Plattform sharedesk.net.
Wer heute in San Francisco, morgen in Abu
Dhabi und übermorgen in London unterwegs ist,
indet überall schnell einen Platz zum Arbeiten.
Kreative Kollaboration
Das Berliner Betahaus ist unter Kreativen bekannt für das „Socializing“ vor Ort. Ein Café, ein
„Innospace“ für Veranstaltungen, eine Werkstatt
und beinahe tägliche Veranstaltungen gehören
dazu (betahaus.com). Auch Unternehmen sind
gerne hier. Sie mieten Teams, die auf neue Ideen
kommen wollen, gerne mal ins Umfeld der
sowieso gelebten Kollaboration ein.
Social Impact Labs
Gleichgesinnte treffen sich auch in den Social
Impact Labs, die es mittlerweile in Berlin,
Hamburg, Leipzig oder Frankfurt gibt. Sie bieten
neben einem Raum zum Arbeiten auch Vernetzung und Austausch. Das Gespräch in der
Kaffeeküche, Veranstaltungen mit Gästen, aber
auch professionelles Consulting gehören dazu.
In den Labs sind außerdem geförderte Programme für Social Entrepreneurship wie Social
Impact Start, AndersGründer und ChancenNutzer zuhause (socialimpact.eu/lab).
22
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Social Impact Labs bieten einen
Raum zum Arbeiten und
Vernetzung für Gleichgesinnte
23
Fotos: Christian Klant, Kontakt: Bernd Janning, socialimpact.eu
DIE LANDKARTE DES WIR
Lifestyle-Gemeinschaften
Fast wie Clubs muten die Räume an, die auf der
Website von wework.com präsentiert werden.
Hier geht es nicht nur um Platz, sondern auch
um Stil und ein gemeinsames Lebensgefühl mit
viel Austausch. „Listen, think, converse, discuss, create, invent or just relax and meet some
cool new people. WeWork events come in all
shapes and sizes.“ Die WeWorker verbringen Zeit
miteinander, laden zum Beispiel inspirierende
(Business-)Vorbilder ein und organisieren sogar
ein gemeinsames Sommercamp. Gemeinsamkeit
wird auch an anderen Orten angeboten. „Grind
ist mehr als nur ein Co-Working Space. Grind
ist eine Community talentierter Menschen,
die beschlossen haben, auf eine andere Art zu
arbeiten“, heißt es bei dem Co-Working Space in
New York. Das Ganze kommt daher wie ein Club
(„Members-only“), der damit wirbt, alle Frustrationen alter Arbeitsweisen umzudrehen. „A
space that caters to free radicals like you“, heißt
das zugehörige Motto (grindspaces.com).
Heimatzonen
Der Heimathafen in Wiesbaden adressiert schon
allein mit seinem Namen die Sehnsucht nach
einem (temporären) Zuhause. Das angeschlossene Café bietet Gemütlichkeit mit Kuscheleffekt. Ähnlich, aber doch anders kuschelig geht
es in Dresden zu: Der „Rockzipfel“ ist eines der
neuen Eltern-Kind-Büros, in denen sich Mütter
und Väter die Betreuung ihres Nachwuchses
teilen (rockzipfel-leipzig.de).
24
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Nicht nur Platz zum Arbeiten,
sondern auch Gemeinsamkeit
mit Stil wird den Club-Mitgliedern
bei WeWork angeboten
25
Fotos: © WeWork
CLUSTER 4
Fluss der gemeinsamen Kreativität
Agiles Projektmanagement
„Scrum“ und „Agile“ heißen neue Methoden für
das Managen von Projekten. Sie erlauben eine
Im Fluss der gemeinsamen Kreativität entwickeln sich neue und innovative Strukturen
für kollaboratives Arbeiten. Solche gemeinschaftlichen Kreativprozesse sind ofen
für die Energien aller Beteiligten, wollen
das jeweils bestmögliche, aber oft nicht
planbare Ergebnis erzielen und beinhalten
Raum für Kehrtwenden, Verbesserungen
und Überraschungen. Das macht es nötig,
bisweilen auch den Anschluss an ein tröstendes Gemeinschaftsumfeld zu schafen,
wenn sich ein Ideenansatz mal wieder in Luft
aulöst. Für die gemeinsame Arbeit braucht
man daher zugleich genügend Struktur und
gleichzeitig ausreichend Freiraum für innovative Ideen. Methoden für kollaboratives
Arbeiten inden derzeit auf Grund von immer
noch recht aufwendigen Softwarelösungen
ihren Platz meist in Unternehmen – ein
kleiner Fluss ließt aber auch auf unserer
Gesellschafts-Landkarte. Denn das Arbeiten
im „Wir-Raum“ indet oft auch im Umfeld
von Selbstständigen, bei NGOs oder anderen
privaten Organisationen statt.
schnelle Taktung, iteratives Arbeiten und orientieren sich immer wieder neu an den tatsächlichen Ergebnissen statt an geplanten Milestones
(iapm.net). Das Projektmanagement passt sich
somit dem tatsächlichen Fluss der Projekte an
und sorgt für luide Abläufe. Agiles Arbeiten und
schnelles Prototyping sind das Ergebnis. Doch
Schnelligkeit und hohe Selbststeuerung beruhen
immer auch auf Autonomie und Vertrauen, im
Team gekoppelt. Scrum und ähnliche Lösungen
einsetzen zu können bedeutet deswegen auch
immer, gemeinsam die Phasen von Unsicherheit
umarmen zu lernen und Nicht-Vorhersagbarkeiten zu akzeptieren.
Book Sprint
Bei einem Book Sprint geht es darum, mit einer
Handvoll Menschen gemeinsam Wissen zu erarbeiten und zu strukturieren. Eine Gruppe von CoAutoren und ein Facilitator (Vermittler) kommen
zusammen und schreiben in drei bis fünf Tagen
gemeinsam ein Buch. Der Facilitator ist für die
Entwicklung des Inhalts zuständig, kümmert
sich um die Gruppendynamik, tritt bei Uneinigkeit als Mediator auf und behält die Deadline im
Blick. Er ist zwar Mitglied der Gruppe, schreibt
aber nie selbst. Stattdessen ist seine Rolle die
eines „Enablers“, der ein Umfeld schafft, in dem
Kollaboration und Kreativität gedeihen können.
Er stellt sicher, dass alle ihre Ideen in die Gruppe
geben und engagiert bleiben (booksprints.net).
26
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Ein Buch schreiben kann
man bei einem Book Sprint
in drei bis fünf Tagen
27
Fotos: © Book Sprints Ltd (www.booksprints.net)
CLUSTER 5
Baumhäuser
politischer
Partizipation
Kollaborations-Kompetenz
Strukturen, Prozesse und Kompetenzen für
Kollaboration zu entwickeln hat sich das Institut
für partizipatives Gestalten auf die Fahnen
geschrieben. Die Projekte sind breit gefächert.
„Gesellschaft verändern“ lautet das Motiv, um
das zahlreiche der neuen Kollektive kreisen.
Politische Partizipation will das durch direkte
Teilhabe erreichen – beschränkt sich dabei
aber nicht auf den Politikbetrieb im engeren
Sinne. Zahlreiche Initiativen ‚von unten‘
setzen sich für ganz unterschiedliche hemen
ein: Wissen für alle, Recht auf Wahrheit oder
das Monitoring unserer Demokratie wie
etwa bei abgeordnetenwatch.de. Politische
Partizipation hat sich zudem durch die neuen
Medien verändert. Mit einem Mausklick wird
eine Online-Petition unterschrieben oder
ein Tweet retweetet. Auch werden spontane
Versammlungen möglich, wie sich etwa bei
den Protesten von Occupy oder während des
Arabischen Frühlings zeigte. „Der Bürger
von morgen nimmt teil. Seine Kraft ist die
vierte Macht im Staat – die Partizipative“,
bringt es Stephan Breidenbach, Koordinator
beim Zukunftsdialog der Kanzlerin für den
hemenstrang „Wie werden wir lernen?“,
bei der Ankündigung eines Vortrags für die
Konferenz „Tomorrows Citizen“ auf den Punkt
(dai-heidelberg.de). Keine Frage, dass solche
partizipativen Ansätze grundlegend auf dem
Wir-Efekt aufsetzen.
Für die Stadt Frankfurt betreut das Institut
einen breit angelegten öffentlichen Beteiligungsprozess, um den Schulentwicklungsplan
für die Jahre 2015 bis 2019 zu erstellen, an der
Uni Kiel geht es um innovative Lernräume und
ein neues Raumprogramm für einzelne Institute
(partizipativ-gestalten.de).
Campaigning
Politische Durchschlagskraft durch die Masse,
durch eine Wir-getriebene Menge von Menschen
mit kurzzeitig geteilten Zielen, liegt hoch im
Kurs. Campaigning kann heutzutage viel einfacher und kostengünstiger als früher eingesetzt
werden, um Druck auf politische Institutionen
auszuüben. Verschiedene Plattformen setzen
regelmäßig Petitionen auf und lassen sie im
Netz zirkulieren. Dass eine Million Unterschriften gesammelt werden, ist längst keine
Seltenheit mehr. Neben Plattformen, auf denen
jeder Petitionen starten kann (openpetition.de,
change.org/de), gibt es solche, bei denen wenige
einzelne Vorschläge umgesetzt werden. Bei
campact.de etwa werden politische Kampagnen
gestartet, begleitet und unterstützt, die sich
zum Beispiel für ökologische Nachhaltigkeit,
demokratische Teilhabe oder mehr Gleichberechtigung einsetzen. Die Plattform startet
dabei nicht nur eine Petition, sondern hält die
Interessierten mit Informationen zu Veranstaltungen und Artikeln sowie zu bisher Erreichtem
auf dem Laufenden.
28
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Collaboration for Impact
Recht auf Wahrheit
Nach innovativen Co-Creation-Projekten sucht
Wissen, was wirklich passiert. Zugang zu Daten,
ein neuer Wettbewerb der Zermatt Summit
Dokumenten und Quellen haben. All das braucht
Stiftung, der Guilé Stiftung von DPD, Ashoka und
man, um als mündiger Bürger in der modernen
Boehringer Ingelheim. Bei den Projekten sollen
Gesellschaft navigieren zu können. Gemein-
soziale Organisationen mit privatwirtschaft-
nützige Investigativ-Büros wie das Essener
lichen Akteuren zusammenarbeiten, um eine
„CORRECT!V“ bieten genau das an: hinter-
nachhaltigere Wirtschaft zu schaffen, Organi-
gründige Recherche. Finanziert wird sie über
sationsstrukturen zu ändern, zu einem aktiven
Spenden und Stiftungsgelder. Ab zehn Euro im
Engagement für Veränderungen zu motivieren
Monat kann jeder in ein Stück mehr Transparenz
und Probleme in Chancen umzuwandeln (chan-
investieren (correctiv.org).
gemakers.com/co-creation).
Mitmachen
von Kindesbeinen an
Ob Partizipationsprojekte für die Kita („Wir
planen unsere Rutsche selbst“) oder Bilderbücher für kleine Demokraten („Jelena im Kinderparlament“) – das Institut für Partizipation und
Bildung entwickelt, erforscht und verbreitet
geeignete Wege für die demokratische Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Denn auch
das Lernen von Demokratie ist in erster Linie ein
Bildungsprozess, so das Institut. Demokratische
Kompetenzen können kaum von außen „theoretisch“ vermittelt, sondern müssen von Kindern
und Jugendlichen immer wieder handelnd
erfahren werden (partizipation-und-bildung.de).
29
DIE LANDKARTE DES WIR
Zukunfts-Labs
Die bestehende Realität „hacken“ wollen
Labs zu gesellschaftlichen Fragen wie
Social-Innovation-Labs, Bürger-Labs oder
Innovation-Labs. Existierende Institutionen
sind oft schlecht ausgestattet für die massiven
Herausforderungen, aber auch Chancen des 21.
Jahrhunderts, heißt es in dem 2014 erschienenen Buch „Labcraft“ (Tiesinga/Berkhout
2014), das die Arbeit der neuen „Bottom up“Organisationen beschreibt. Weil für viele der
anstehenden komplexen Aufgaben Standardlösungen nicht mehr greifen, will man gemeinsame Räume schaffen, in denen Innovationen
entstehen können, die auch partikuläre und
lokal bezogene Umsetzungen oder Problemlösungen möglich machen. Die Arbeit in „Labs“
ist dabei immer ein Prozess mit offenem
Ausgang: Niemand kann zu Anfang das Ergebnis vorhersagen (vgl. ebd., S. 26ff). Auch die
Grenzen des Labs, die Deinition, wer dazugehört und wer nicht, sind durchlässig und verändern sich im Lauf des Projekts. Menschen und
Organisationen nehmen zum Teil nur temporär
teil. Der Kreis der Beteiligten koniguriert sich
je nach Fragestellung neu (vgl. ebd., S. 48). Mit
Spannungsfeldern und Ambiguität umzugehen
gehört deshalb in einem solchen Kontext zur
Arbeit dazu. Vorgestellt werden im Buch Labs
zu verschiedenen Themen und aus verschiedensten Regionen der Welt, wie zum Beispiel
die Kennisland’s Education Pioneers, La 27e
Région, inCompass, das Human-Centered
Innovation Lab, InSTEDD’s iLab Southeast Asia
& Latin America, Rocky Mountain Institute’s
Electricity Innovation Lab (eLab), The Finance
Innovation Lab und das UNICEF Innovations
Lab Kosovo.
30
Kennisland’s Education
Pioneers diskutieren über
die Möglichkeiten, Lehrer
bei der Umsetzung innovativer Ideen zu unterstützen
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
31
Fotos: Flickr, Kennisland Inderwijs, CC-BY-SA-2.0
CLUSTER 6
Lager der
GestaltungsGuerillas
Guerilla Gardening
Urban Gardening oder auch Guerilla Gardening
ist in Großstädten fast schon so etwas wie ein
Dauerbrenner geworden. Ob auf Brachlächen,
Dächern, in Grünstreifen oder verwahrlosten
Ein Hauptmotiv der „Gestaltungs-Guerillas“
lautet Selbstermächtigung. Sie gehen selbst
in die Verantwortung und kümmern sich
um ihr unmittelbares Lebensumfeld. Oft
ist das die Umwelt, manchmal geht es aber
auch um größere gesellschaftliche Fragen.
Die Gestaltungs-Guerillas lassen sich nicht
von Konventionen aufhalten, haben meist
keine explizite politische Agenda und
erschafen – oft gewürzt mit einer Prise
Rebellentum – ihre eigenen neue Realitäten
und Welten. Dabei haben sie es so leicht wie
nie, Gleichgesinnte zu inden. Per Internet
können sich die neuen „Sozialaktivisten“
ohne Mühe vernetzen und andere einladen,
mitzumachen. Sie gewinnen dadurch enorm
an Durchschlagskraft. Kleine Initiativen
können sich in rasender Geschwindigkeit
zu Flächenbränden auswachsen, die sich
in ungeahnter Schnelligkeit durch die Welt
bewegen und das Engagement anderer
befeuern. In die Hände spielt ihnen auch
die Produktionstechnologie. In Fablabs oder
Hacking-Laboren sind sie längst nicht mehr
nur Ideengeber, sondern werden selbst zu
Produzenten.
Beeten – für ein bisschen Grün in der Stadt
ist überall Platz. „Samenbomben“ verwandeln
Erdstreifen in Blumenwiesen und Verkehrsinseln
in Miniaturoasen und demonstrieren gleichzeitig
so etwas wie zivilen Ungehorsam. Dass das
städtische Gärtnern, erlaubt oder nicht, sich
bereits etabliert hat, zeigen Bücher wie „Mit
Samenbomben die Welt verändern: Für GuerillaGärtner und alle, die es werden wollen“ (Jeffery
2012), „Urban Gardening: Über die Rückkehr der
Gärten in die Stadt“ (Müller 2011) oder Severin
Halder et al.: „Wissen wuchern lassen. Ein Handbuch zum Lernen in urbanen Gärten“ (2014).
Solidarisches Ernten
Sich die Ernte teilen und unabhängig wirtschaften. Das ist die einfache Idee des Netzwerks Solidarische Landwirtschaft. Egal ob
jemand eine Hofgemeinschaft gründen will,
einen Hof sucht oder die eigene Gärtnerei umstellen will – das Netzwerk unterstützt ihn. Das
Ziel: Gesunde, frische Nahrungsmittel in einem
eigenen, durchschaubaren Wirtschaftskreislauf
herzustellen. Jede Wirtschaftsgemeinschaft
verplichtet sich, einen meist monatlich ixen
Betrag an einen Solidarhof zu zahlen – die
Landwirte können eigenständig und abseits
des Marktdrucks wirtschaften (solidarischelandwirtschaft.org).
32
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Urban Gardening:
Großstadt-Ernte im
Prinzessinengarten
in Berlin
33
Fotos: Flickr, SnippyHolloW, CC BY-SA
Gemeinsames
Tüfteln im FabLab
Magdeburg
34
Fotos: Flickr, Mitch Altman, CC BY-SA
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Essbare Stadt
Riot Cleanups
Der öffentliche Raum verwandelt sich an vielen
Soziales Engagement bekommt im Zeitalter von
Stellen zurück in Platz, der ganz offensichtlich
Social Media ein neues Gesicht. in Großbritan-
der Gemeinschaft gehört. Ein Beispiel indet
nien fanden sich 2011 durch Aufrufe von Twitter-
sich in Andernach: die essbare Stadt. „Plücken
pages oder Blogs lashmobartig tausende von
erlaubt“ statt „Betreten verboten“ heißt es dort.
Menschen in den Straßen britischer Großstädte
Auf Gemeinschaftslächen erblühen Obstbäume,
zusammen, um als Aufräumtrupps die Schäden,
Kräutergärtchen und Gemüsebeete. Alles gehört
die bei dortigen Jugendaufständen entstanden
allen, Regeln für die Verwertung gibt es nicht.
waren, zu beseitigen. Schadensbeseitigung
Dafür aber Impulse für das eigene Selbstver-
anderer Art indet derweil im großen Stil statt:
ständnis als Bürger. „Eine urbane Erfahrung, bei
Beim „Ocean Cleanup“ kann man sich am
der das vertraute Terrain der Stadt mit einem
Aufräumen des Ozeans beteiligen. Mehr als zwei
Mal auf verführerische Weise fremd erschien“,
Millionen Euro Spendengelder kamen bislang
schreibt Die Zeit. „Es gab und gibt keine Regeln,
zusammen, über 38.000 Menschen haben sich
jeder muss sich selbst ins Verhältnis setzen: zu
engagiert. Der Initiator ist ein – mittlerweile –
anderen und zu dem, was dort vor den Augen
19-Jähriger, der beim Tauchen in Griechenland
aller heranwächst. Wie viel darf ich nehmen? Was
mehr Plastik als Fische entdeckte und eigen-
soll ich teilen?“ (Rauterberg 2013)
händig aning, diesen Missstand zu bekämpfen.
Ganz offensichtlich traf er einen Nerv der Zeit:
Mittlerweile sind rund 100 Menschen ix im
3D-Druck und Fab Labs
Selbstorganisiert und gemeinsam produzieren
– das ist in FabLabs (Fabrication Laborato-
Projekt beschäftigt (theoceancleanup.com).
Bio Hacking
ries) oder Hackerspaces möglich. Hier haben
Privatpersonen Zugang zu 3D-Druckern und oft
Die Do-it-yourself-Bewegung hat auch die
auch Laser-Cuttern oder CNC-Fräsen. Die Idee
Biologie erreicht. Die neuen Biobastler und Bio-
kam Anfang des Jahrtausends am MIT (Massa-
tüftler, wie sie sich nennen, forschen in privaten
chusetts Institute of Technology) auf. Inzwischen
Laboren. Rüdiger Trojok ist einer von ihnen,
gibt es in vielen Städten Labs, oft organisiert als
er experimentiert als Biohacker mit lebenden
Verein oder an der Uni, die sich über Mitglieds-
Organismen und Erbinformationen. Wie die
beiträge, Sponsoren oder öffentliche Zuschüsse
Computerhacker sind auch die Biohacker unter-
inanzieren (3druck.com/fablabs-liste). Das
einander gut vernetzt – und schaffen sich ohne
breite Publikum kann sich aber auch auf
allzu große Ehrfurcht vor der wissenschaftlichen
„Maker-Messen“ schlau machen, die es in den
Nomenklatura ihre eigene Realität (openbiopro-
USA schon zuhauf gibt. In Deutschland bedient
jects.net).
die Make Munich, zu der im vergangenen Jahr
rund 2.500 Menschen kamen, die Selbstmachgelüste der Besucher (make-munich.de).
35
CLUSTER 7
Open Shore
Demokratisierung durch partizipative
Verfahren ist ein wesentliches Motiv der
Open-Source-Bewegung. Mittlerweile gibt
es viele temporäre und oftmals lose Interessensgemeinschaften, die kollaborativ Wissen
und Software generieren und weitergeben.
Wikipedia ist sicherlich die bekannteste.
Andere Kollektive arbeiten gemeinsam an
ofenen, oftmals kostenfreien SoftwareProgrammen. Freier Zugang zu Wissen wird
auch von klassischen Bildungsinstitutionen
vorangetrieben. Universitäten ilmen Vorlesungen, machen Bibliotheken zugänglich
und digitalisieren Texte. Experten- und
Geheimwissen transformiert sich auf diese
Weise in kollektives Wissen. Die Digitalisierung ist auch hier natürlich ein wesentlicher
Treiber. Im Herbst 2014 startete die Minerva
Universität in San Francisco als erste EliteUni, die nur digital lehrt, ein Pilotprogramm
(minervaproject.com).
Free Education
Immer mehr Universitäten bieten frei zugängliche und kostenlose Online-Kurse an. Das MIT
ist hier mit seinem Projekt MIT OpenCourseWare
klarer Vorreiter: Mehr als 2.200 Kurse aus 33
Fachbereichen wurden bis jetzt online gestellt
und sind für jeden mitverfolgbar (ocw.mit.
edu). In Großbritannien ist 2013 das Projekt
futurelearn.com angelaufen, das in Zusammenarbeit mit der Open University entwickelt und
von etwa vierzig Universitäten – überwiegend
britischen – unterstützt wird. Da das Angebot
an sogenannten MOOCS (Massive Open Online
Courses) fast unüberschaubar wird, versuchen
Meta-Listen wie die MOOC-List Überblick zu
verschaffen (mooc-list.com). Auch das Team von
Openculture.com sammelt Links zu „high-quality cultural & educational media“ (openculture.
com) und bietet Zugang zu tausenden Hörbüchern aus Wissenschaft und Literatur, Filmen,
mitgeschnittenen Vorlesungen und Universitätskursen. Open Education wird aber nicht nur ‚von
oben‘, sondern auch ‚von unten‘ organisiert. Auf
skillshare.com etwa werden persönliche Erfahrungen und Wissen geteilt. Ob Einführung in die
Kalligraphie oder in Fashion Design, jeder kann
Fotos: Minerva Founding Class
Der Gründer Ben Nelson stellt
Studenten
der Minerva Uni36
versität in San Francisco das
digitale Pilotprogramm vor
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
seine eigenen ‚Video-Classes‘ hochladen. Be-
(publicdomainreview.org) – sein Experiment mit
kannt geworden ist auch die „Khan-Akademie“,
frei nutzbaren Rechten und der Produktion in
eine private Initiative von Salman Khan, die
gemeinschaftlichen Labs war erfolgreich. Sein
inzwischen rund 4.000 Lehrilme aus Fachbe-
„Year of Open Source“ hat er in einem Videoblog
reichen wie Mathematik, Naturwissenschaften,
dokumentiert (yearofopensource.net, siehe auch:
aber auch aus Geschichte und Wirtschaft, dazu
Gurk 2014).
Übungsaufgaben und Peer-to-Peer-Tutorials
anbietet und über Spenden inanziert wird
(khanacademy.org). Auch die Schulen werden
zum „Open Shore“. Mit seinem Projekt „School
in the Cloud“ will der indische Professor Sugata
Mitra die Neugier und die Selbstorganisation
Freiheit mit Creative
Commons
von Kindern nutzen und sie zum Selbstlernen
Digitales Urheberrecht vereinfachen wollte
anregen (theschoolinthecloud.org). Das erste Lab
der Stanford-Jurist Lawrence Lessig und
öffnete Ende 2013 seine Türen in England, sechs
entwickelt seit 2001 zusammen mit vielen
weitere sollen in England und vor allem Indien
Freiwilligen in aller Welt die Creative Com-
entstehen.
mons. Jeder Produzent kann so seine eigenen
Inhalte maßgeschneidert schützen oder für
eine Weiterverwertung freigeben. Mit dem
The Year of Open Source
Baukasten-Lizenzsystem lässt sich für digitale
Bilder, Texte, Musikstücke und Videos einfach
und unkompliziert festlegen, unter welchen
Ein Jahr lang leben, ohne Produkte zu nutzen,
Bedingungen sie im Netz weitergegeben und
die unter Copyrights oder Lizenzen hergestellt
weiterbearbeitet werden dürfen. Mittlerweile
werden. Das war der Plan von Sam Muirhead.
gibt es Anpassungen an die jeweils nationalen
Von der Open-Source-Unterhose bis hin zu
Urheberrechte in über 50 Staaten der Welt (de.
Experimenten mit 3D-Druckern und Strick-
creativecommons.org).
vorlagen aus öffentlich zugänglichen Quellen
Fotos: Khan Academy
In der Khan-Akademie wird
durch Lernilme und Peer-toPeer-Tutorials gelernt
37
CLUSTER 8
Treibhäuser der
sozialen Neuordnung
Räume zum Miteinander-Sein, gesellschaftliche Experimente und soziale Skulpturen
sind Formen des Wir, in denen es vornehmlich um Begegnung und Durchmischung
gesellschaftlicher Schichten geht. Initiatoren
sind vor allem Künstler, die derzeit mit ihren
Arbeiten die soziale Dimension neuer Gemeinschaften erkunden. Aber nicht nur. Auch
ein Kafeehausbesitzer wollte mehr schafen
als einen Konsumort und lädt mitten in der
Schweiz zum Verweilen ein. Die Faszination
der neuen Gemeinschaften hat durch den
Boom der Communitys deinitiv einen neuen
Schub erhalten, der nun auch auf „reale“
Umfelder übertragen wird.
Institut für soziale
Choreographie
Neues kulturelles Terrain will das Institut für
soziale Choreographie erschließen. Mit seiner
Arbeit stellt es sich den sozio-kulturellen Herausforderungen unserer Zeit und experimentiert
mit neuartigen Kooperationen und Prototypen
für ein anderes, sinnstiftendes Miteinander. So
beteiligte man sich zum Beispiel am Festival
Resonanz*Körper für den geplanten Frankfurter
Kulturcampus. Die Crossover-Veranstaltung
mit Kunst und Musik, Sprache, Tanz, aber auch
wissenschaftlichen Themen und künstlerischen Formaten lud die Bürger zu direktem
Erleben ein und dazu, in Schwingung und in
Resonanz zu gehen. Ein anderes Projekt soll
2016 in NYC stattinden. Einen Sommer lang
soll in einer Post die kreative Avantgarde der
Stadt zusammen mit Sustainability-Experten
ein öffentliches Wohnzimmer bewohnen und
bespielen. Initiatoren des Instituts sind Steve
Valk, ehemals Dramaturg der Forsythe Company,
und Heiner Blum, der als Professor an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach das Studienfeld „Experimentelle Raumkonzepte“ betreut
(heinerblum.de/arbeiten/situative-projekte/
institut-fuer-soziale-choreographie).
Grandhotel für Flüchtlinge
Das Grandhotel Cosmopolis in Augsburg ist ein
ehemaliges Plegeheim und ein schmuckloses
Gebäude. Aber es hat einen Concierge, einen
roten Teppich – und einen Anspruch. Asylbewerber sind hier willkommene Gäste und
wohnen zusammen mit zahlenden Hotelgästen
unter einem Dach. 27 Flüchtlingszimmer gibt es,
und 18 für Hotelgäste. Fixpreise dafür gibt es
38
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Installation Duif (Dove) vom
Künstlernetzwerk Nieuwe
Helden (Company New
Heroes) in Amsterdam
nicht, „pay as much as you can“ heißt die Devise.
Foto: Tom Janssen Künstler Encounter
Veranstaltungen und ungewohnte Gemeinsamkeit inklusive. Als „soziale Plastik“ bezeichnen
Mit Kunstprojekten und „urbanen Aktionen“ will
die Veranstalter selbst ihr Experiment, das bei
das Künstlernetzwerk Stiching Nieuwe Helden
der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“
(Amsterdam) den öffentlichen Raum wieder zu
bereits geehrt wurde (Die Zeit 2014b, grand-
einem Ort der Begegnung machen. Der Bedarf an
hotel-cosmopolis.org).
Begegnung steige besonders deswegen, weil wir
in einer Welt lebten, in der es nicht länger eine
gemeinsame Wahrheit gäbe oder eine vorherr-
Einfach gemeinsam sein
schende Ideologie, sagt Gründer Lucas De Man.
Deswegen wollen die „Neuen Helden“ Momente
schaffen, in denen man sich selbst begegnen
Ein Kultur- und Kaffeehaus ohne Konsumzwang
kann, dem anderen oder auch der Welt. Mit allen
gründete Daniel Häni zusammen mit zwei Part-
Projekten wollen die Helden den öffentlichen
nern im Jahr 1999 in Basel. Das „unternehmen
Raum von einem konsumgetriebenen Markt-
mitte“ ist ein beliebter Treffpunkt mitten in
platz in einen Raum verwandeln, der verbindet,
der Stadt. Die Halle, eine ehemalige Filiale der
erstaunt, überrascht und verwirrt – und durch
Volksbank, haben Häni und seine Mitstreiter
all das echte Begegnung schafft (company-
den Bürgern mithilfe einer Stiftung öffentlich
newheroes.com). Ein Beispiel der Arbeit: Bei der
zugänglich gemacht. Rund 1.000 Gäste kommen
Installation „DUIF 2013“ schuf man mit Beteili-
pro Tag. „Nicht müssen, sondern können, das
gung der Bewohner eine riesige Friedenstaube
ist der Grundsatz, mit dem wir das Kaffeehaus
aus den Kopfkissen dreier holländischer Dörfer.
gestalten. Als Raum der Möglichkeiten, mit uns
Nach zwei Wochen bekam jeder, der ein Kissen
als Gastgebern, die wir den Raum frei halten und
abgegeben hatte, das Kissen eines anderen
moderieren“, heißt es auf der Website (mitte.ch).
zurück (siehe auch Brunner 2014).
39
CLUSTER 9
Spielwiesen
gemeinschaftlicher
Ich-Optimierung
App-Verabredung mit
Runtastic
Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert auch
Runtastic (runtastic.com). Ob Joggen, Radfahren,
Wintersport oder Fitness – man kann alleine
Sport ist in unserer spätindividualistischen
Gesellschaft längst zur Arbeit am Körper
und am Selbst geworden, um it, vital und
gesund zu werden und zu bleiben, wie wir
bereits im Frühjahr 2014 in unserer Studie
„Sportivity“ beschrieben haben. Zudem
entwickelt er sich auch zu einer Präventionsstrategie gegen Leiden und Krankheit, für
die der Einzelne selbst verantwortlich wird.
Außerdem verspricht sportliche Aktivität,
sich selbst zu spüren, zu erfahren und
seine Grenzen zu überwinden. Sport wird
somit zu einem wichtigen Sinnlieferanten.
Und nicht zuletzt ist Sport mitsamt der
milliardenschweren Freizeitindustrie zu
einer Arena für Selbstinszenierung und
Imageplege geworden (vgl. Zukunftsinstitut
2014). Ich bin, was ich kaufe und laufe!
Sport war und ist aber immer auch eine
gemeinschaftliche und gemeinschaftsfördernde Praxis: Jeder dritte Deutsche gibt
an, dass das Zusammensein mit Freunden
ein Grund für körperliche Betätigung ist
(Spezial-Eurobarometer 2010). 18 Prozent
der erwachsenen Deutschen sagen sogar,
dass sie keinen Sport treiben, weil ihnen der
Trainingspartner fehlt (Schulte-Hülsmann
2013). Doch die Optimierung hört nicht
beim Sport auf: Auf Online-Plattformen wie
Diet-Bet, Fatbet oder HealthyWage kann
man jetzt auch gemeinsam abnehmen – und
Wetten abschließen, wie viel Gewicht man
in welcher Zeit verliert. Dabei geht es um
echtes Geld; die Wetteinsätze werden unter
denen verteilt, die ihr Ziel erreicht haben.
40
trainieren oder sich via App mit Gleichgesinnten
schnell und einfach verabreden. Die RuntasticApp kann mit einem Tracker synchronisiert
werden, so dass man Schritte und Distanz,
verbrannte Kalorien, Schlafdauer, Schlafzyklen
und anderes messen und mit anderen vergleichen kann. Auch hier trifft Gemeinsamkeit auf
Individualität: sich treffen und gemeinsam trainieren, um gleichzeitig seinen eigenen Körper
individuell zu optimieren.
Gemeinsam im Bootcamp
„Worauf wartest Du noch? Sei kein Weichei“
lautet der Slogan von Fitness Bootcamp
(fitnessbootcamp.de). Ursprünglich als Begriff
für ein Trainingslager für Soldaten bzw. in den
USA als Umerziehungsmaßnahme für jugendliche Straftäter eingeführt, soll man jetzt auch
im Fitness-Bootcamp über seine körperlichen
Grenzen hinaus getrieben werden. Die Teilnehmer wollen ihren inneren Schweinehund
überwinden – und zwar im Team. Gemeinsame
Fitnessübungen, regelmäßiges Abklatschen
und ‚Gruppencheering‘ ist angesagt. Manche
Anbieter setzen auf Military Style, bei dem eine
Gruppe von einem Trainer in Militärklamotten
durch einen Parcours gescheucht wird. Andere
verzichten auf diese Art der Inszenierung und
setzen auf gemeinschaftliche Fitnessübungen
im Park (original-bootcamp.com).
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
„The World is
your Gym“ heißt
der Slogan von
Freeletics. Man
braucht kein
Fitnessstudio,
sondern nutzt
öffentliche Parks
und Wiesen.
Foto: Freeletics
Gruppenfeeling
bei Freeletics
bekommt einen Trainingsplan mit verschiedenen
Übungen körperlicher Ertüchtigung – und los
Gemeinsamkeit zählt. „Wir machen Freele-
geht’s. Der Vorteil: Man braucht keine Geräte und
tics zusammen. Wir treten gegeneinander
kein Fitnessstudio, sondern nutzt öffentliche
an. Wir feuern uns gegenseitig an. Deswegen
Parks und Wiesen. Das Besondere an Freele-
ist Freeletics der motivierendste Weg, einen
tics ist, dass man sich per App mit anderen
gesunden Lebensstil zu führen“, heißt es auf
Sporttreibenden ‚connecten‘ und deren tägliche
freeletics.com. Das 2013 von einer kleinen
Übungsergebnisse und -zeiten abrufen kann.
Münchner Gruppe entwickelte Programm hat
So hat man einen permanenten Vergleich und
sich in nur einem Jahr wie ein Lauffeuer in ganz
kann sich weiter pushen. Gleichzeitig kann man
Deutschland verbreitet. Mittlerweile machen
sich mit anderen Freeleticern per App in seinem
über 300.000 Menschen zusammen Freeletics.
Viertel verabreden oder sich einer der zahlrei-
Seit einiger Zeit gibt es auch in der Türkei, in
chen Gruppen anschließen. Dort feuert man
Österreich und in den USA Trainingsgruppen.
sich gegenseitig an und gibt sich gegenseitig
Weitere folgen. Man meldet sich online an,
Hilfestellung.
41
CLUSTER 10
Lagerfeuer
spontaner WirEreignisse
Flashmobs
Ein Event scheinbar aus dem Nichts heraus.
Bei den mittlerweile schon zum Allgemeingut
gewordenen Flashmobs versammeln sich
Menschen auf öffentlichen Plätzen zum ge-
Wohlige Wärme und emotionale Verbundenheit herrschten traditionell an Lagerfeuern, so zumindest stellt sich das der
zeitgenössische Mensch vor. Wer sich in
der Moderne spontan zusammeninden
möchte, sucht vermutlich Ähnliches mit
anderen Mitteln. Apps und das Web schalten
Menschen zusammen, die kurzfristig etwas
miteinander erleben möchten, ohne dabei
gleich zu tief einsteigen oder sich gar binden
zu müssen.
meinsamen Tanzen, zum Beispiel anlässlich des
Tods von Michael Jackson, zum Singen, Musizieren oder im Sinne einer Performance (2009
erstarrten rund 200 Menschen in der New Yorker
Grand Central Station, 2013 wurde das berühmte
Rembrandt-Gemälde „Nachtwache“ anlässlich
der Wiedereröffnung des Amsterdamer Rijksmuseums zum Leben erweckt). Das Prinzip
der Flashmobs wird auch für gesellschaftliche
Zwecke genutzt, dann heißen sie Smart Mobs
oder Carrot Mobs (ein Beispiel: Menschen gehen
alle in einen bestimmten Bio-Laden, damit der
den Mehr-Umsatz für energiesparende neue
Kühltruhen investieren kann). Die FlashmobManie, die um 2009 einen Höhepunkt fand, hat
Spontan zusammen
auch die Werbung ergriffen. Marken wie TMobile (Tanzen im Bahnhof Liverpool, 2009) oder
Ferrero (Freundschafts-Überraschungs-Mission,
Die Internetplattform Spontacts bringt unkom-
2014) inszenieren breitenwirksam Wir-Events
pliziert Leute zusammen, die gemeinsam etwas
mit und hoffen vermutlich auf ein bisschen
unternehmen wollen. Per App oder online im Web
emotionales Gänsehautfeeling.
kann man sich unterschiedlichsten Interessensgemeinschaften anschließen oder selbst
welche gründen. Oder ganz spontan nachfragen:
„Wer kommt heute Abend mit ins Kino?“ 2013
hatte Spontacts – das sich aus den Begriffen
„spontan“ und „Aktivitäten“ zusammensetzt
– schon 200.000 Nutzer, die sich vor allem in
Großstädten wie München, Berlin oder Düsseldorf verabredeten. Weitere Städte sollen in den
nächsten Jahren hinzukommen (spontacts.com).
42
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Flashmobs erzeugen ein
starkes „Wir“: Viele Menschen werden in einem
kurzen Moment zu einer
großen Einheit
Foto: Flickr, Alberto Varela, CC-BY
43
CLUSTER 11
Die (fruchtbaren)
Gärten des
Teilens, Tauschen
und Verteilens
Die Share Economy ist eine blühende
Landschaft. Und sie hat ihren eigenen Propheten, Jeremy Rifkin. Teilen statt besitzen,
lautet das oft von ihm zitierte Motto. Und er
hat eine große Hypothese im Gepäck: Der
Kapitalismus geht seinem Ende entgegen.
Nach einer Übergangszeit bis 2050, in der
Share Economy und Creative Commons in
einer Hybridwirtschaft koexistieren, wird
er sterben. In seinem im Herbst 2014 auf
Deutsch erschienenen Buch „Die NullGrenzkosten-Gesellschaft“ analysiert er,
warum: Die Preise für das Produzieren von
Waren fallen – bis es keine Gewinne mehr
gibt. Die sogenannten Grenzkosten, also
die Kosten für eine zusätzlich produzierte
Einheit, liegen dann fast bei Null.
Seine Gegner sehen den Kapitalismus
nicht schwinden, im Gegenteil. Wer sich
an der Share Economy beteiligen möchte,
muss etwas besitzen, wer teilen will, erst
einmal etwas haben, lautet ihr Argument.
Digital-Experte Sascha Lobo (2014) formuliert sogar: „Was man Sharing-Ökonomie
nennt, ist nur ein Aspekt einer viel größeren
Entwicklung, einer neuen Form des digitalen Kapitalismus: Plattform-Kapitalismus.“
Plattformen kontrollierten Zugang und
Prozesse und bestimmten die Regeln des
Spiels. Sie seien ökonomische Ökosysteme,
die Geld verdienen, indem sie Dritten
ermöglichen, Geld zu verdienen. Doch
Rifkin argumentiert, dass das alles nur eine
Übergangsphase sei; in einer neuen Wirtschaftsordnung werde man sie nicht mehr
44
brauchen. Noch allerdings sind die Gärten
der Share Economy in ihrer jetzigen Form
fruchtbar: Unzählige Plattformen versuchen
ihren Anteil am großen Tauschen, Leihen
und Verteilen zu sichern. Die Branche
hat es sogar schon zu eigenen Magazinen
gebracht: Unter shareable.net gibt es zum
Beispiel internationale Informationen zu
Peer-to-Peer-Energie, der Share Week in
Holland oder Technologietrends, die die
Dezentralisierung unterstützen. In Deutschland muss man noch nicht mal mehr online
gehen, um mehr über das Teilen zu lernen –
„Let‘s Share“ erscheint auch in gedruckter
Form und porträtiert die Helden der neuen
Start-ups, beschreibt Crowdfunding-Projekte und gibt – ganz klassisch – Modetipps.
Wie viel Wunsch und wie viel Wirklichkeit
stecken aber nun in der Share Economy?
Das amerikanische Magazin Wired konstatierte im Oktober 2014, dass der Hang zum
Teilen erstmals das Geschäft von Amazon
und Apple beeinträchtigt. Die jährliche
Wachstumsrate bei Amazon sei mit fünf
Prozent so niedrig ausgefallen wie noch
nie. Ein Grund dafür: Lehrbücher werden
zunehmend getauscht statt gekauft, wie
zum Beispiel beim Verleihservice campusritter.de. Das ist ein Fakt, den das Unternehmen selbst durch seine transparente
Plattform für Gebrauchtes begünstigt hat.
Auch mit seinen Streaming-Lösungen habe
Amazon das Prinzip des Nicht-Besitzens
gefördert. Streaming wird auch für Apple
zur Herausforderung. Der Verkauf von
Musik über iTunes sackte seit Jahresanfang
um rund 13 Prozent ab. Auch Apple sei
dafür selbst mitverantwortlich: Musik zu
streamen sei erst durch die neuen tragbaren
Player möglich geworden, die mit großen
Bandbreiten Zugrif auf Streaming-Websites
haben (Wohlsen 2014). In Deutschland
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
dagegen scheint die Share Economy noch
in den Kinderschuhen zu stecken. Im
Auftrag des Spiegel hat die GfK bei 2.000
Personen nachgefragt. Das Ergebnis: 84
Prozent konnten noch nicht einmal etwas
mit den Begrifen Share Economy oder
Co-Konsum anfangen, das galt selbst für
die Jüngeren. Bei näherem Nachfragen
kannten zwar etwas mehr als die Hälfte der
Befragten Carsharing-Angebote, doch nur
rund 30 Prozent hatten schon von Vermittlungsplattformen für Übernachtungen wie
AirBNB, Netzwerken wie Couchsuring
oder Fahrdiensten wie Uber gehört.
Teilen auf neuem Level
Gartengeräte, ein Zelt, eine Bohrmaschine,
Filme, Sportgeräte und Spiele. Die Liste der
Dinge, die man nicht mehr länger kaufen muss,
sondern leihen kann, ist lang. Über Internet
und Apps öffnen sich Speicher und Keller von
Privatpersonen für alle, die daran Interesse
haben. Die dazugehörigen Plattformen heißen
leihdirwas.de, frents.com, whyownit.com oder
usetwice.at. Daneben entstehen unendlich
viele spezialisierte Verteiler-Websites wie
der Kleiderkreisel (kleiderkreisel.de), die
Kleiderei (kleiderei-hamburg.de), aber auch
Zwar inden mehr als 77 Prozent aller
Befragten, dass „leihen statt kaufen“ ein
nachhaltiger Ansatz ist. Bei den Jüngeren
ist die Zustimmung sogar noch höher.
Doch weniger als ein Viertel der Befragten
hat bisher selbst eine digitale Tauschbörse
oder eine Mitfahrgelegenheit genutzt.
Auch die Bereitschaft mitzumachen ist
gering: Nur 42,9 Prozent möchten selbst
etwas anbieten – und nur 46 Prozent
würden gerne leihen oder mieten. „Bei
Share Economy handelt es sich derzeit
noch um ein intellektuelles Großstadtphänomen, das in weiten Teilen Deutschlands noch in den Kinderschuhen steckt“,
kommentiert daher auch GfK-VereinGeschäftsführer Raimund Wildner (Marquart/Braun 2014). Welche Angebote es
heute schon gibt, haben wir in folgenden
Beispielen zusammengestellt.
Vermietstationen für Lego-Sets (pley.com) und
andere Spielsachen. Selbst Hunde kann man
inzwischen „sharen“, wobei es zugegebenermaßen hier eher um das Wohl der Tiere geht,
denen man ein sicheres Zuhause schaffen
will (citydogshare.org). Wie kommerziell die
verschiedenen Plattformen ausgerichtet sind,
unterscheidet sich stark. Während manche
Plattformen nahe der Lichtungen der Großzügigkeit verortet sind oder sein wollen – also
das Schenken und Geben im Vordergrund steht
oder stand –, werben andere Plattformen
offensiv damit, zusätzliche Einnahmequellen
zu erschließen, indem man das eigene Hab und
Gut nicht brachliegen lässt.
Foto: Kleiderkreisel
45
DIE LANDKARTE DES WIR
Citybike-Station
in New York
wirbt zum Beispiel die bekannteste amerikanische Crowdlending-Plattform Lending Club.
Diejenigen, die Geld verleihen, erhalten relativ
hohe Zinsen bei geteiltem Risiko. Die Kreditnehmer bekommen auch bei schwacher Bonität
Geld. Der Lending Club inanziert sich über eine
Gebühr für Kreditnehmer und Anlagegebühren
für die Anleger (lendingclub.com). Das englische
Pendant Zopa funktioniert genauso (zopa.com).
In Deutschland erhält man über auxmoney.com
private Kredite. Auch wer seine Projekte über
Crowdfunding inanzieren möchte, hat reiche
Auswahl (siehe Teilkapitel Unternehmen –
Crowdfunding).
Foto: Jim Henderson
Handverlesene Dienstleister
Lokale Helfer und Dienstleister vom Handwerker
bis zum Hausmädchen, alle persönlich getestet
Leihbar
– so lautet das Angebot von zaarly.com. Das
Start-up möchte Vermittlung mit persönlichem
Touch anbieten und ist bislang in San Francisco
Vollautomatisierte Verleihschränke wollen die
und Kansas City aktiv.
Gründer der Leihbar entwickeln. Die Boxen
sollen in etwa so groß sein wie zwei Kleiderschränke. Über eine Computeroberläche und
gegen eine stundenbasierte Leihgebühr soll
Komplementärservice
man sich holen können, was man braucht. Ein
erster Leihschrank soll im Studentendorf Eba51
Um die Vertrauenswürdigkeit von Nutzern unab-
in Berlin stehen. Die Gründer wollen auch mit
hängig von den jeweiligen Seiten darzustellen,
Unternehmen kooperieren. Der Musikgeräteher-
hat das 2009 gegründete New Yorker Start-up
steller Pokketmixer, der Kamerastativproduzent
Trust Cloud ein Reputationssystem aufgebaut,
Luuv, Acer und Siemens sind bereits dabei
das über Facebook, Twitter oder LinkedIn misst,
(Hasenheit 2014).
wie vertrauenswürdig eine Person ist. Die eigene
Recherche, wer denn genau das Apartment für
einen Kurzurlaub mieten oder sich das Auto für
Neue Geldquellen
einen Trip quer durch Deutschland leihen will,
soll entfallen. Trust Cloud bietet über das Netz
verteilte, gesammelte Informationen zu Per-
46
Selbst Geld gibt es inzwischen im Peer-to-Peer-
sonen, mit denen man gerne etwas teilen würde
Modus. Mit dem Slogan „Better rates. Together“
(trustcloud.com).
Car2go ist mittlerweile in mehreren
Ländern präsent
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Megamobil
Mobil sein und trotzdem frei. Von der OnlineMitfahrzentrale (blablacar.de, mitfahrgelegenheit.de) über kommerzielles Car-Sharing wie
Car2go (car2go.com, von Daimler und Europcar)
bis zum Autoverleih in der Nachbarschaft (getaround.com) gibt es jede Menge Möglichkeiten,
kollektiv mobil zu sein. Das spart immer auch
Geld. So lautet der Slogan von Getaround: „Earn
up to $10,000 per year renting your car when you
aren‘t using it“. Natürlich gibt es auch Fahrräder
zu leihen, kommerziell von der Deutschen Bahn
(callabike.de, seit 1998!) oder als städtisches
Konzept wie in Aachen, wo es rund 1.000 Räder
an 100 Stationen geben soll (velocity-aachen.
de), oder beim Vorreiter Velib in Paris (velib.paris.
fr). „Shared Mobility“ nennen das die Unternehmensberater von Roland Berger. Sie schätzen,
dass der Markt für Carsharing bis 2020 voraussichtlich um 30 Prozent jährlich auf 5,6 Milliarden Euro Umsatz weltweit wachsen wird. Doch
auch der weltweite Markt für Fahrradverleih soll
bis 2020 um rund 20 Prozent jährlich weiterwachsen (Roland Berger 2014).
Mit-Wohnen
AirBnB und Couchsuring gehören wohl zu
den meistzitierten Share-Beispielen der
vergangenen Monate und Jahre. Während das
Übernachten-Lassen von Gästen auf der eigenen
Couch meist ohne Bezahlung vor sich geht, ließt
bei AirBnB richtig Geld. So viel sogar, dass das
Vermieten von Wohnraum für einige schon zum
Hauptberuf geworden ist – was umgehend die
Gerichte sowie in immer mehr Städten auch
Hotellobbyisten und Politiker auf den Plan rief
(couchsurfing.org, airbnb.de).
Fotos: car2go
47
CLUSTER 12
Lichtungen
der Großzügigkeit
Im Gegensatz zu den fruchtbaren Gärten des
Teilens, in denen sich die Logik des Marktes
durchsetzt und das Teilen zum Geschäft
wird, geht es auf den Lichtungen der Großzügigkeit um Solidarität, Solidarität und Solidarität. Umsonst und geschenkt heißt hier
die Devise, im Wissen, dass Ressourcen endlich sind und aus einem Werteverständnis
heraus, dass Verschwendung und Überproduktion kein angemessener Lebensstil
für unsere Zeit sind. Ähnliche Werte indet
man zwar auch bei den Nutzern „kommerzieller“ Plattformen, und nicht immer ist
die Unterteilung trennscharf, doch auf den
Lichtungen der Großzügigkeit ist das Motiv
des Gebens und des Austauschs stärker
ausgeprägt. Hier geht es darum, etwas zu
verändern, der Logik des klassischen Kapitalismus etwas Neues, eine andere Haltung
entgegenzusetzen. Nicht umsonst sprechen
die Bewohner der Lichtungen deswegen oft
nicht von „Shareness“ sondern von „Solidarökonomie“ oder „Gemeinwohlökonomie“.
Foto: Foodsharing Berlin
Foodsharing in
Berlin-Kreuzberg
Umsonstläden
Was der eine nicht mehr gebrauchen kann,
ist für den anderen wertvoll. Umsonstläden
sind Orte des Tausches, die ohne Geld funktionieren. Hinter solchen Konzepten stehen
oft ganze Weltanschauungen. So heißt es zum
Beispiel beim „Kost nix Laden“: „Wir wollen mit
diesem Projekt (und anderen) versuchen, der
Vergesellschaftung durch Geld-, Waren- und
Tauschbeziehungen etwas entgegenzustellen.
Weder die Vorstellung noch die Umsetzung von
Alternativen zum Kapitalismus kann sich aus
rein geistiger Abstraktion entfalten. Es bedarf
eines Lernprozesses von Versuch und Irrtum.
Daher sind Kost-Nix-Projekte nicht nur als wissenschaftliche Mikro-Experimente zu verstehen.
Sie sollen bereits ein direkter Beitrag zu einem
selbstbestimmteren Leben sein, mittelfristig
helfen, die ökonomischen Zwänge zu reduzieren
und die menschlichen Vereinzelungen zu überbrücken.“ (umsonstladen.de, kostnixladen.at)
48
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Reparaturcafé
in Deutschland
Foto: Martin Waalboer
Reparaturcafés
Öffentliche Schränke
Ein kaputtes Fahrrad, ein defekter Toaster, ein
Ähnlich wie Umsonstläden funktionieren auch
Pulli mit einem Loch. In Reparaturcafés sind all
öffentliche Bücherschränke und Kühlschränke.
das Dinge, die zu schade sind zum Wegwerfen.
Wer etwas übrig hat, bestückt sie. Wer etwas
Gemeinsam wird repariert, geklebt und getüf-
braucht, nimmt etwas heraus. Während die
telt. Seit einiger Zeit entstehen in Deutschland
Bücherschränke in vielen Großstädten schon
und ganz Europa Orte, an denen man sich treffen
zum vertrauten Straßenbild gehören, sind die
kann, um Altes wiederherzustellen (repaircafe.
Kühlschränke relativ neu. Das für jeden zugäng-
org/de).
liche Foodsharing gibt es in Berlin-Kreuzberg
in einem ehemaligen Kiosk, aber auch an den
Hochschulen in Fulda, Mainz sowie in Zusam-
Suspended Coffee
menarbeit mit dem Asta an der Technischen
Universität Darmstadt. Wer mitmachen möchte
oder andere Möglichkeiten zum Teilen sucht,
Mit einer kleinen Geste einen anderen Men-
kann sich unter foodsharing.de informieren.
schen glücklich machen. Das ist die Idee hinter
„Suspended Coffee“. Wer möchte, kann im Café
Geld für jemanden hinterlegen, der gerade nicht
lüssig ist, und ihn einladen. Wer ein Café besitzt
und mitmachen möchte, kann sich bei der Initiative suspendedcoffee.de schlau machen, wie das
Ganze funktioniert.
49
AUS „WIR“
WIRD PEERTO-PEER
Gemeinschaft als Treiber
für Führungskräfte
50
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Die Neubewertung von Gemeinschaft geht auch an den
Unternehmen nicht spurlos vorüber. Auf allen Ebenen
wackeln die bewährten Kommandostrukturen im Angesicht einer Workforce, die Community-orientiert heranwächst, einer Crowd, die diverse Innovationen bietet,
und eines Führungsnachwuchses, der mit ganz anderen
Prinzipien die Karriereleiter in Angrif nimmt.
Bekannt geworden ist Peer-to-Peer mit
einem Modell jenseits der Legalität: In
den frühen 2000er-Jahren wurde Peer-toPeer (oder P2P) vor allem verbunden mit
Napster, der Tauschbörse für Musik, wo es
alles gab, was man hören und herunterladen wollte, ohne sich um vermeintliche
Formalitäten wie das Urheberrecht zu
kümmern. Das ging bekanntermaßen nicht
allzu lange gut.
Die Grundidee jedoch, dass sich Nutzer
direkt mit Nutzern verbinden konnten, um
Dinge über das Netzwerk zu tauschen oder
gemeinsam zu nutzen, war nicht mehr aus
der Welt zu schafen. Peer-to-Peer gehört
heute zu den selbstverständlichen Grundformen des Netzes.
Das Peer-to-Peer-Prinzip hat aber längst
nicht nur Plattformen für privaten Tauschhandel, Verleihstationen, Co-WorkingCommunitys und Nachbarschaftsnetze
hervorgebracht. In immer stärkerem Maße
erfasst es auch das Business. Ein wichtiger
Treiber ist auch hier die Digitalisierung.
51
Mitbestimmung und Transparenz:
Die Mitarbeiter des IT-Unternehmens Haufe-umantis wählen ihren
CEO und gestalten Strategie und
Geschäftsplan aktiv mit.
Im Zukunftsprojekt Industrie 4.0, das zur
Hightech-Strategie der deutschen Bundesregierung gehört, wird das deutlich: Informations- und Kommunikations-, Automatisierungs-und Produktionstechnologien
werden enger vernetzt, die Einbindung von
Kunden und Geschäftspartnern erleichtert.
Seit 2013 haben die großen Wirtschaftsverbände BITKOM, ZVEI und VDMA eine
gemeinsame Plattform geschafen, die
Grundlage der „vierten industriellen Revolution“ sein soll.
Aber auch abseits der großen strategischen
Projekte öfnen Unternehmen immer öfter
ihre Tür für Externe, seien es Kunden, Lieferanten, Wettbewerber oder die mehr oder
weniger anonyme „Crowd“: Mittelständler
und Start-ups inanzieren sich zum Beispiel
über Crowdfunding, das ein oder andere
neue Produkt wird per Crowd-Innovation
entwickelt, und auch in HR und Marketing
weichen die Unternehmensgrenzen auf.
Das hat massive Rückkopplungsefekte
auf die Unternehmenskultur. Wer sich als
52
Unternehmen für mehr Kooperation und
Kollaboration mit Kunden, Lieferanten,
Partnern, aber auch Wettbewerbern entscheidet, muss auch kulturell dazulernen.
Denn es geht um nichts weniger als um
einen radikalen Paradigmenwechsel. Die
neuartigen Formen von Zusammenarbeit
über Grenzen hinweg verlangen meist ein
neues Level an Ofenheit und Transparenz.
Vormals fest deinierte Grenzen und Zuständigkeiten werden durchlässig, erste „luide“
Organisationen entstehen. Das verlangt ein
völlig neues Denken in den Unternehmen.
Wo man bisher gewohnt war, durch Regelsetzungen top-down zu strukturieren, beginnen nun mit einem Mal Wir-orientierte
Ansätze nach teamorientierten und gemeinschaftssanktionierten Vorgehensweisen zu
verlangen.
Wie viel „Wir“ in den neuartigen Kooperationen enthalten ist, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Während beim Crowdfunding
einfach ein neuer Marktplatz entsteht, ist
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Foto: © Haufe-umantis
der Grad der Kooperation und das Community-Feeling bei vielen Formen der CrowdInnovation um ein Vielfaches höher.
Kollaboration und neue „Wir-Konstrukte“
entwickeln sich nicht nur im Austausch
der Unternehmen mit dem Außen. Gerade
im „Innen“ von Unternehmen formen
sich zunehmend vielfältige neue, zum Teil
temporäre bis kurzlebige Kollektive. In den
ersten Firmen gibt es statt Chefs Führungskollektive, andere öfnen ihre Strategieplanungsprozesse für einen großen Kreis
von Mitarbeitern und suchen so nach neuer
Gemeinsamkeit, wieder andere beseitigen
die Grenzen unternehmensinterner Silos,
um gemeinsam zu lernen, bilden Lernpartnerschaften und Mentoring-Tandems.
Welchen Stellenwert das hema inzwischen hat, zeigt unter anderem, dass die
altehrwürdige Deutsche Gesellschaft für
Personalführung (DGFP) im September
2014 erstmalig ein „Lab“ unter dem
Motto „Participate! Mitreden, Mitdenken,
Mitgestalten im Unternehmen von morgen“
anbot. Eine der dort erarbeiteten hesen:
„Verantwortung teilen, Vertrauen haben:
Das Erfolgskonzept des Mitarbeiters von
morgen ist das Denken im ,Wir‘. Er fordert
aktiv andere Meinungen ein, nutzt sie und
tritt anderen wertschätzend gegenüber. Er
erwartet, dass andere das gleiche Grundverständnis haben“ (www.lab.dgfp.de).
Ähnlich wie bei unserer Landkarte für
gesellschaftliche Wir-Phänomene wollen
wir im Folgenden auch für Unternehmen
die Bandbreite deutlich machen, in denen
„die Crowd“ und Mitarbeiter neu und
vermehrt Einluss auf diverse Prozesse in
Unternehmen nehmen und so unsere Logik
des Wirtschaftens tiefgreifend verändern.
Das zeigt, an welchen unterschiedlichen
Stellen inhaltlich wie strukturell Wir-Konstrukte künftig zu treibenden Kräften in den
Organisationen werden und welche Kraft sie
entfalten können.
53
54
Die Landkarte des Wir
xxx
Best Practices für
Unternehmer: Firmen,
Angebote und Netzwerke, die gesellschaftliche Wir-Phänomene
als Prinzip schon heute
nutzen.
Zusammengehörigkeit/
geteilte Werte
Grad der Vergemeinschaftung
hoch
•
Best Practices
niedrig
hoch
Privatopias/Gated Communities
individuelles Engagement
• Findhorn, Schottland
• Celebration, USA
• Christiania, Kopenhagen, Dänemark
zunehmend
gemeinsame
Interaktionszeiträume
Warmer App-Regen
• original-bootcamp.com
• freeletics.com
• fitnessbootcamp.de
Gruppenbezug
Wir/Nicht-Wir
• runtastic.com
Spielwiesen
gemeinschaftlicher Körperund Gesundheitsoptimierung
Bootcamps, App-Wettbewerbe,
Online-Screenings
• Flashmobs
• spontacts.com
gemeinsam
Spaß haben!
• Verleihschränke
• couchsurfing.org
• airbnb.de
• getaround.com
• blablacar.de
Lagerfeuer
spontaner
Wir-Ereignisse
• velib.paris.fr
• velocity-aachen.de
• callabike.de
geteilte
Interessen
Flashmobs,
Riot Clean-Ups
• pley.com
• car2go.com
• mitfahrgelegenheit.de
• kleiderkreisel.de
• kleiderei-hamburg.de
• whyown.it
• leihdirwas.de
• usetwice.at
• zopa.com
zweckrationaler
Austausch
• citydogshare.org
• zaarly.com
Die fruchtbaren Gärten
des Teilens, Tauschens
und Verleihens
Collaborate Consumption,
Share Economy
• www.greenboxtop.com
• frents.com
• auxmoney.com
• trustcloud.com
• lendingclub.com
kein/wenig
Aufwand
(Anmeldung,
sonst nichts)
Die Einlasspforte:
eigener Besitz
Die Sümpfe
der Vermarktung
zeitl. oder finanziell
geringe Investition
• students-lodge.de
Zukunftsinstitut
I WIR
Strom
der
Gesellschafts•
kritik
• www.rainbowmansion.com 5
• theglint.com
solidarische-landwirtschaft.org
• embassynetwork.com
• make-munich.de
• siebenlinden.de
• theoceancleanup.com
• Maker-Messen
• suspendedcoffee.de
• Guerilla Gardening
• foodsharing.de
• Andernach
• repaircafe.org/de
• Riot Cleanups
• umsonstladen.de
• 3D-Druck und Fab Labs
• kostnixladen.at
• Sunday Assembly
• colivingberlin.com
• schloss-tempelhof.de
Siedlung der Kollektivisten
Mehr-Generationen-Häuser
• comecookandeat.org
• bivouacnyc.com
Lichtungen
der Großzügigkeit
• niriu.tumblr.com
• nextdoor.com
Umsonstläden,
Bücherboxen,
öffentliche
Kühlschränke,
Kleidertausch
Lager der
Gestaltungs-Guerillas
Urban Gardening,
Gestaltung öffentlicher Räume,
Hacking, Labs
• Institut für soziale Choreographie
• grandhotel-cosmopolis.org
• Zukunfts-Labs
Kuschel-Schollen
• companynewheroes.com
• Labcraft
Lokale Nachbarschaftsnetzwerke, kochen und essen
in Gemeinschaft
• mitte.ch
• partizipativ-gestalten.de
• openpetition.de
• changemakers.com/co-creation
• change.org/de
• socialimpact.eu/lab
• partizipation-und-bildung.de
• wework.com
• campact.de
• rockzipfel-leipzig.de
Treibhäuser der sozialen
Neuordnung
• correctiv.org
• meetnwork.de
• sharedesk.net
!
• betahaus.com
• grindspaces.com
!
?
?
!!
Baumhäuser
politischer
Partizipation
Künstlerinitiativen, neue soziale
Choreographien, „soziale Plastiken“
Online-Campaigning,
Internet-Petitionen,
Watch-Blogs
??
?
Co-Working-Quartiere
• iapm.net
• booksprints.net
Fluss der gemeinsamen Kreativität
• Wikipedia
• Open Government
• Whistleblower
• yearofopensource.net
• futurelearn.com
• theschoolinthecloud.org
Open Shore
Open Education,
Open-SourceProdukte, Fab Labs…
Wall des Misstrauens
• skillshare.com
• minervaproject.com
• openculture.com
• opengovpartnership.de
Gestrüpp
der Konkurrenz
Gräber
der
verlorenen
Zeit
• ocw.mit.edu
• commonlibraries.cc
• GovData.de
• publicdomainreview.org
• de.creativecommons.org
substanzielle zeitl./ persönl.
Ressourcen investieren
persönliche Veränderung/
Transformation notwendig
5
Fotos: Flickr, © 52masterworks
WIR-TREIBER
1
Finanzierung:
Crowdfunding als
Vorbild für Projektinanzierung
Professionalisierung
Technologie-Start-ups können sich künftig ihre
Investoren über die Crowd suchen. Anbieter ist
Investable VC in Hongkong. Das Minimuminvestment potenzieller Kapitalgeber liegt bei 10.000
US-Dollar. Um sein Projekt vorstellen zu können,
muss man eingeladen werden. Die Bewerbungen
Crowdfunding ist eine der großen Erfolgsgeschichten, die mit dem Megatrend Konnektivität einhergehen. Über die technische Vernetzung wird es möglich, neue Marktplätze
zu installieren und Finanzierungen für einen
großen Kreis von Investoren zu öfnen. Den
Anfang machten Plattformen wie Kickstarter.
2009 mit einem Startgeld von zehn Millionen
US-Dollar gegründet, hatte das Unternehmen
bis März 2014 mehr als eine Milliarde Dollar
von privaten Investoren eingesammelt. Rund
5,7 Millionen Menschen waren daran beteiligt; einzelne Projekte bekamen Zusagen von
mehreren Millionen Dollar. Inzwischen wird
die Crowdfunding-Szene erwachsen und
diferenziert sich weiter aus. Selbstständige,
Freiberuler oder auch Privatleute kommen
weiterhin über zahlreiche verschiedene
Plattformen an Geld für ihre Projekte; parallel
entwickeln sich jedoch auch Finanzierungsmärkte für Unternehmen.
56
werden ausgewählt, die Website kuratiert;
weniger als zehn Prozent der Bewerber, so die
Aussage von Investable, werden akzeptiert
(Investors vs. Backers: Crowdfunding for Equity,
June 14, bigthink.com). Auch in Deutschland
wird das Crowdfunding erwachsen. Es entstehen
Plattformen, über die sich neben der Gründerszene auch der Mittelstand Geld von Investorengemeinschaften holen kann (z.B. companisto.
com/de/). Wie genau das funktioniert und was
Unternehmen beachten müssen, ist Thema
eigener Konferenzen, wie zum Beispiel des zum
zweiten Mal stattindenden „Crowd Dialog“
(crowddialog.de).
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
In zeitgenössische Kunst ohne Vorstandsgehalt investieren: die Crowdfunding-Plattform 52masterworks macht es möglich.
Public Funding
öffentlichen Ausstellungen. Ab einer Beteiligung
von 20 Prozent pro Werk können sich die Investoren
bestimmte Bilder auch für ein halbes Jahr aus-
Auch bei der Vergabe von Fördergeldern hat die
leihen. Nach fünf Jahren werden die Werke wieder
Crowd inzwischen ihren Auftritt. „Kulturmut“
verkauft, die Investoren werden an der Wertent-
heißt zum Beispiel eine Initiative der Aventis
wicklung beteiligt. Wer Literatur fördern will, kann
Foundation und der deutschen Crowdfunding-
auch das tun: bei unbound.co.uk. Hier stellen
Experten von Startnext. Gefördert werden
Autoren ihre Ideen für mögliche Bücher vor. Was
Kulturprojekte aus den Bereichen Musik,
inanziert wird, erscheint.
darstellende und bildende Kunst, Literatur oder
audiovisuelle Medien aus dem Rhein-MainGebiet. „Gemeinsam entscheiden. Gemeinsam
fördern. Kultur stärken“, heißt das Motto. Wer
Sinn-Funding
von den insgesamt 200.000 Euro Fördergeldern
proitiert, entscheiden die User (startnext.de/
Eine „neuartige Form der nachhaltigen Geld-
pages/kulturmut).
anlage“ bietet Bettervest an. Die Betreiber suchen
Partner aus, die in eine energieefiziente Zukunft
investieren möchten. Die Geldgeber werden an den
Special-Interest-Funding
Einsparungen beteiligt, bekommen gute Renditen
und tun etwas Sinnvolles für die (Um-)Welt. Im
Projektportfolio sind bislang Druckereien, Bau-
Auch das Spektrum für potenzielle Kapitalgeber
märkte, Handels- und Fitnessketten sowie Hotels
erweitert sich. Spezialisierte Crowdfunding-
(bettervest.com).
Plattformen bieten zum Beispiel ausschließlich
Immobilien-Investments an (kapitalfreunde.de) –
oder ermöglichen es, auch ohne Vorstandsgehalt zum Sammler zeitgenössischer Kunst
zu werden (52masterworks.com). Ab 250 Euro
kann man mitmachen; gezeigt werden die Werke
im Münchner Kunsthaus Maximilian und in
57
AUS „WIR“ WIRD PEER-TO-PEER
WIR-TREIBER
2
Forschung &
Entwicklung:
Crowd-Innovation
als Quelle gemeinschaftlicher Ideen
Crowd gegen Interne
Was kann die Crowd eigentlich beim Thema
Innovation beitragen? Kann es gelingen, über
das berüchtigte NIH-Syndrom (Not Invented
Here) zu triumphieren? Das untersuchten die
zwei Harvard-Professoren Kevin J. Boudreau
und Karim R. Lakhani (2013). Sie starteten einen
Wettbewerb für eine schwierige Programmierfrage in Biologie für das Harvard Clinical and
Die Crowd inanziert, sie produziert –
und sie sorgt für Innovationen. Erfolgsgeschichten von Crowd-Innovation tauchen
immer häuiger auf: Apple, Lego und viele
andere laden mittlerweile Externe zur
gemeinsamen Entwicklungsarbeit ein. Zwar
gab es Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg schon immer, die
Technologie eröfnet aber auch hier neue
Dimensionen. Auch unabhängige Plattformen wie Innocentive (innocentive.com),
Idea Connection (ideaconnection.com) oder
Entwicklergemeinschaften wie Aipitree oder
Greenovation expandieren und bieten jede
Menge öfentliche „Challenges“ an. Idea
Connection wirbt mit einem durchschnittlichen Umsatz von 4.000 Dollar pro gelöstem
Problem. Trotzdem ist Crowd-Innovation
auch heute noch für viele Unternehmen
Neuland. Denn ob und wie weit man die
Türen des eigenen Unternehmens öfnet,
hängt auch davon ab, wie viel Transparenz
man wirklich möchte, wie gut sich die Ideen
von außen nach innen in die Organisation
integrieren lassen.
Translational Science Center, die unmittelbare
Folgen für die weitere Entwicklung und für das
Business hatte. Als Mittler schaltete man die
Firma TopCoder ein, die Programmierwettbewerbe organisiert. Innerhalb von zwei Wochen
lieferte die Crowd 122 brauchbare und sehr
unterschiedliche Lösungen. Aber nicht nur im
Hinblick auf Ausmaß und die Diversität hatten
die Lösungen mehr zu bieten als die der internen
Experten und Wissenschaftler. Die Externen
bringen noch mehr mit. Sie beziehen ihre
Energie oft aus intrinsischer Motivation, wie zum
Beispiel dem Wunsch dazuzulernen und sich
weiterzuentwickeln. Für interne Crowd-Formate
wie „Jams,“ „Marktplätze für Ideen“ und „interne
Unternehmerprojekte“ bedeutet das, dass sie
zwar die Flexibilität und die Bandbreite neuer
Lösungen erhöhen können, mit externen Crowds
aber nicht mithalten können.
Klassische
Kunden-Kooperation
Die Intelligenz der Vielen kann auch ofline
angezapft werden. Der Werkzeughersteller
Wera zum Beispiel hat über einen Zeitraum
von mehreren Jahren ein Anwenderforum mit
Proihandwerkern und Industrieschraubern
aufgebaut. Gewonnen hat man die Kontakte auf
58
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
sollen – sich die Nutzer auch untereinander
vernetzen und die Ideen anderer kommentieren
und bewerten. Bei Lego zum Beispiel darf man
ab 10.000 Unterstützern die eigene Produktidee vor einem Lego-Board von Designern und
Marketing-Experten vorstellen. Aber auch im
B-to-B-Bereich wächst die Zahl der internen
Co-Creation-Communitys in allen Branchen.
Beiersdorf ist seit mehr als vier Jahren mit
Pearlinder aktiv (pearlfinder.beiersdorf.de),
Bei dem Werkzeughersteller Wera
können die Kunden direkt mit
den Produktentwicklern Kontakt
aufnehmen
SAP lädt seine Partner in das Netzwerk Global
SAP Co-Innovation Lab (COIL) ein (scn.sap.com/
Foto: Wera
community/coil), Procter&Gamble nennt seine
Open-Innovation-Plattform „Connect and Develop“ (pgconnectdevelop.com), und bei Shell be-
Messen – und bei Beschwerden. Die Anwender
treut ein 12-köpiges Team das „Game Changer
kommunizieren nicht etwa mit einem Kunden-
Programm“, das innovative Ideen zur Zukunft der
dienst, sondern direkt mit den Produktentwick-
Energie sucht und fördert.
lern. Inzwischen testen mehr als 60 Handwerker
die Prototypen des Unternehmens. Das bringt
ihnen Vergünstigungen beim Einkauf bzw. eine
direkte Vergütung, wenn ihr Input Entwicklungsgrundlage für ein neues Produkt ist. Die Kunden
werden so zu Mitarbeitern des Unternehmens.
IdeenEntwicklungsverbund
Michael Bartl, Vorstand des Innovationsdienst-
Mitte 2014 wurden in Aachen die ersten
leisters Hyve, sagt sogar: „Open Innovation ist
„Streetscooters“ produziert. Das Elektroauto
auch eine Rekrutierungsmethode. Das geht so
ist jetzt serienreif; 3.000 pro Jahr sollen aus-
weit, dass in einigen Unternehmen die besten
geliefert werden. Begonnen hatte das Projekt
Ideengeber in der Entwicklungsabteilung ange-
2009 mit einem großen Entwicklungsverbund. 80
stellt werden“ (Senfter 2012).
mittelständische Firmen hatten zusammen mit
der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH) geforscht und entwickelt
Co-Creation-Dialoge
– eine für die Branche einzigartig umfassende
Kooperation. „Wenn ich Wissen teile, wird es ja
nicht weniger. Ganz im Gegenteil“, bekräftigt
Ein Zwischending zwischen Kundendialog,
Professor Achim Kampker, Geschäftsführer von
Beschwerdeplattform und Innovations-Hub
Streetscooter, den Sinn der Mega-Kooperation
bieten mittlerweile einige Unternehmen an,
(Firmenauto 2014).
die mit ihren Produkten direkt die Endkunden
bedienen. Beispiele sind Dell (ideastorm.com),
Starbucks (mystarbucksidea.force.com) oder
auch Lego (ideas.lego.com). Hier können – und
59
AUS „WIR“ WIRD PEER-TO-PEER
Globales
Community-Projekt
FabLabs und 3 D-Drucker machen
Garagen zu Fabriken und lassen
die Grenzen zwischen professioneller Produktion und privatem
Experiment verschwimmen. Das zur
Zeit prominenteste Proi-Beispiel:
Local Motors ließ ein Auto von einer
globalen Community entwickeln und
designen – und druckte das Chassis
im Juli 2014 innerhalb von nur wenigen Tagen im 3D-Drucker aus. Der
„Strati“ ist ein Zweisitzer, besteht
aus weniger als 50 Bauteilen und
hat eine Reichweite von nahezu 300
Kilometern. Ab 2015 soll er in einer
kleinen Serie hergestellt werden.
Kosten soll er zwischen 15.000 und
25.000 Euro (localmotors.com).
Local Motors stellt sein
3D-gedrucktes Auto
„Strati“ vor – entworfen von einer globalen
Community
60
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
61
Foto: ©Local Motors
AUS „WIR“ WIRD PEER-TO-PEER
WIR-TREIBER
3
Führung:
Collaborative
Leadership
Holacracy –
das Kreismodell
Wie muss sich ein Netzwerkunternehmen
aufstellen, um gute Entscheidungen treffen
zu können? Das fragte sich Brian Robertson,
ein Unternehmer aus der Software-Industrie.
Die Türen des eigenen Unternehmens für
neue Ideen und alternative Finanzierungen
zu öfnen macht Sinn. Doch kollektive Entscheidungsprozesse greifen noch viel weiter
in die Unternehmens-DNA ein. Wir stehen
am Beginn einer Revolution im Business,
die genauso tiefgreifend sein könnte wie die
demokratische Revolution in der Politik.
Das sagt homas Malone, Professor an der
Sloan School of Management des MIT, in
seinem Buch „he Future of Work“ (2004).
Malone hat am MIT das Center for Collective Intelligence gegründet und die MITInitiative „Inventing the Organizations of the
21st Century“ mitgestartet. Seine Prognose
lautet: Wir werden es in Zukunft mit Unternehmen zu tun haben, in denen Macht
und Kontrolle breiter gestreut sind, als es
altgediente Manager des Industriezeitalters
je ahnen konnten. Erste Anzeichen neuer
Unternehmens-Demokratien sind vor allem
in kleinen Unternehmen der IT-Branche
und bei den Vorreitern der Internet-Companies sichtbar. Dort sind vom Kollektiv
gewählte Chefs und Mitarbeiter, die ihr Gehalt und ihren Urlaub selbst bestimmen und
auch bei der Strategie ein Wort mitzureden
haben, schon heute Realität.
Entstanden ist ein Modell für „dynamische
Steuerung“, bei dem die Verantwortung über
das ganze Unternehmen verteilt und durch
miteinander verbundene Kreise organisiert
wird. Die Verbindungen entstehen dadurch,
dass jeder Kreis Vertreter in höher liegende
Kreise mit mehr Entscheidungsbefugnis und
in tiefer angesiedelte Kreise entsendet. Neben
der operativen Arbeit gibt es in jedem Kreis
sogenannte „Steuerungstreffen“. Dort wird die
Zusammenarbeit relektiert und dafür gesorgt,
dass Zuständigkeiten und Rollen klar deiniert
sind. Der Online-Händler Zappos ist das bekannteste Unternehmen, das Holacracy lebt. Anfang
2014 entschied man sich, das Modell in der
eigenen Organisation umzusetzen (holacracy.org,
zapposinsights.com/about/holacracy).
Führungs-Kollektiv
Viel zitiert und mit einem New Work Award
ausgezeichnet wurde das Berliner Start-up
Dark Horse. 33 Menschen arbeiten dort gleichberechtigt als Partner. Statt Chef-Betreuung
haben die Kunden „nur“ Ansprechpartner, und
neben einem Jour ixe für das Plenum wurde ein
„Harmonieteam“ eingeführt, das sich um die
gute Stimmung kümmert. Das ist Gemeinschaft
pur und für Unternehmensverhältnisse ziemlich
radikal (thedarkhorse.de).
62
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Unternehmens-Demokratie
Kultur auf Augenhöhe
Das Team des IT-Unternehmens Haufe-umantis
Unternehmenskultur auf Augenhöhe – wie geht
wählte 2013 zum ersten Mal seinen CEO. Das
das? Der Film AUGENHÖHE wird das dokumen-
Vorgehen des Anbieters von Talentmanage-
tieren und zum Dialog darüber anregen. Die
ment-Software war so erfolgreich, dass inzwi-
Idee entstand auf dem 12. intrinsify!me-Event
schen auch andere Führungskräfte demokra-
in Berlin. Das Ziel: Die Werte der Arbeitswelt
tisch legitimiert sind. Doch die Mitbestimmung
des 21. Jahrhunderts an lebendigen Beispielen
geht noch weiter: Seit sechs Jahren sind die
zeigen. Geld für das Projekt wurde – natürlich –
Mitarbeiter bei der Deinition von Strategie
über Crowdfunding gesammelt. Jetzt sind die
und Geschäftsplan mit einbezogen. Auch die
potenziellen Zuschauer aufgefordert, Orte für
inanziellen Ziele sind transparent. Jede Menge
die Vorführung und Dialogveranstaltungen zu
Selbstverantwortung gibt es auch beim Rec-
inden und sich mit anderen Interessierten zu
ruiting: Die Mitarbeiter deinieren selbst ihren
vernetzen (mitmachen.augenhoehe-film.de).
Personalbedarf, suchen nach potenziellen
Direkt nach der Premiere am 30.1.15 wird der
Kollegen und treffen Entscheidungen über die
Film unter Creative-Commons-Lizenz für nicht-
Einstellung (umantis.com).
kommerzielle Zwecke online frei verfügbar sein.
P2P-Leadership:
Netzwerkorganisationen
Unternehmen, die nach dem Prinzip des „Peerto-Peer-Leadership“ geleitet werden, verzichten
auf starre „Command and Control“-Hierarchien.
Im Netzwerk herrschen lexible Verbindungen,
und Führungskräfte werden zu Netzwerkknoten.
Jeder davon hat gleich viel Autorität, Macht
und Verantwortung, um sich mit anderen zu
verbinden und sowohl als „Lieferant“ als auch
als „Kunde“ zu agieren (Baker 2014). Unternehmen, die sich auf diesen „P2P Path“ begeben
haben, so die Autorin, verstehen, dass die Welt
sich durch Technologie tiefgreifend verändert
hat – und bauen ihre Organisationen proaktiv
um. Beispiele dafür sind Unilever, Airbnb, Giant
Hydra, BMW Group Designworks USA (siehe
auch: Ancowitz 2014).
63
AUS „WIR“ WIRD PEER-TO-PEER
We rules:
Selbstorganisation
Unternehmensentwicklung
demokratisch
Einheiten mit nicht mehr als 50 Menschen
Barcamps oder auch „Un-Konferenzen“, bei
empiehlt der Management-Psychologe Charles
denen das Programm vorab nicht feststeht,
Handy für eine schlagkräftige Firmenstruktur.
sondern gemeinsam von allen Teilnehmenden
Damit ließen sich Organisationen entwickeln, in
entwickelt wird, haben Konjunktur. Und das
denen nicht mehr formale Strukturen, son-
nicht nur in der IT- und Digital-Szene. Der
dern funktionsfähige, produktive Beziehungen
Südwestrundfunk SWR nutzt solche Formate
dominieren. „In einer derartigen Umgebung kann
seit 2011 für die Unternehmensentwicklung.
alles lean gehalten werden. Jeder kennt jeden,
Ein- bis zweimal im Jahr sitzen die Mitarbeiter
Werte werden auch ohne formalen Kodex gelebt“
gleichberechtigt mit der Geschäftsführung im
(Managerseminare 2013). Allerdings gibt es für
Kreis; bis zu 200 Teilnehmer machen mit. Auch
Handy auch Stolpersteine: Die Chefetage muss
unternehmensübergreifend gibt es jede Menge
ertragen lernen, dass Mitarbeiter Informationen
interessanter Barcamps. So auch eine Reihe von
selbst deuten. Das sei Voraussetzung für eine
Camps zum Thema Projektmanagement. Mitte
wirksame Selbstorganisation. Für Führungs-
2014 ging es dort in Berlin zum Beispiel um die
kräfte bedeutet das aber auch, zu akzeptieren,
Zusammenarbeit im 21. Jahrhundert. Format
dass es nicht nur einen Weg zum Ziel gibt, den
und Thema passten bestens zusammen, denn
von ihnen gewünschten, sondern viele.
bei der PM Camp-Bewegung geht es um Themen
wie Hierarchie vs. Heterarchie, Fremdorganisation vs. Selbstorganisation, Führung, Manage-
Finanztransparenz
als Wir-Faktor
Bei HCLT bekommen die Mitarbeiter regelmäßig
detaillierte Finanzdaten zur Performance auf
ment, Agilität, Motivation, Arbeitskultur und
Zusammenarbeit (berlin.pm-camp.org).
Kollaborativ besser lernen
den Tisch. Daraus entwickelten sich neue
Handlungsimpulse: Mitarbeiter stellten mehr
Auch Lernen war lange Zeit ausschließlich
Fragen, entwickelten mehr Ideen und forderten
hierarchisch organisiert: vorne der Seminar-
Führungskräfte in ihrem Handeln öfter heraus.
leiter, im Raum die Mitarbeiter. In den letzten
So fällte man bessere Entscheidungen (Kleiner/
Jahren bilden sich jedoch vermehrt kollabora-
Sehgal 2010).
tive Formen des Lernens heraus: Gemeinsame
Lernreisen und selbstorganisierte Formate
kollegialer Beratung haben Konjunktur. Der Vorteil: Schüler, Studenten, Mitarbeiter und Chefs
können sich miteinander entwickeln – vorausgesetzt, sie gehen offen in den Kontakt, entwickeln
Vertrauen in ihre Lernpartner und können auch
einmal eigene Schwächen zugeben.
64
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Ein Barcamp hat keine Besucher – nur Teilnehmer. Im
Wissenschaftszentrum Kiel treffen sich seit fünf Jahren
Entscheider und Kreative aus allen Bereichen der IT- und
Kreativ-Wirtschaft. Die Veranstaltung ist kostenlos, die
Plätze sind limitiert.
Foto: Sebastian Schack
65
Bookbridge:
Wir für Manager
Service Learning
Etwas für andere tun und dadurch selbst etwas
Fotos: Capability Bookbridge
Führungskräfte trainieren
durch Gemeinnützigkeit
lernen. Das ist das Prinzip von Service Learning.
Nicht wirklich neu, aber immer wieder mit Erfolg
In Deutschland gibt es das sowohl an Schulen
aufgelegt werden Programme zur Führungs-
wie auch an Universitäten. Am „Netzwerk Lernen
kräfteentwicklung, bei denen man an einer ge-
durch Engagement“ sind mehr als 100 Schulen
meinsamen Herausforderung lernt. Zum Beispiel
beteiligt; auch die Hochschulen haben sich in
beim Capability-Programm von Bookbridge.
einem „Netzwerk Bildung durch Verantwortung“
Eine „Bücherbrücke“, bei der englische Bücher
zusammengeschlossen. Auf der Plattform des
aus Deutschland zur Verfügung gestellt werden,
Projekts „Campus vor Ort“ kann man sehen,
sollte für mehr Bildung in der Mongolei sorgen.
was das konkret heißt (campus-vor-ort.de).
Um vor Ort Lernzentren errichten zu können,
Studenten organisieren zum Beispiel ein
etablierte man ein Führungskräftetraining in den
Biochemie-Schülerlabor, andere konstruieren
Bereichen strategische Planung, Projektmanage-
Maschinen für eine Behinderteneinrichtung. Die
ment und Leadership. Sechs Monate lang planten
Schüler bieten Vorlesetage für Kindergarten-
Mitarbeitern globaler Konzerne im Rahmen des
kinder an, kochen für Obdachlose und über-
Capability-Programms die Zentren und richteten
nehmen Patenschaften für Denkmäler. Auch in
sie innerhalb von zehn Tagen vor Ort ein. Mittler-
der Ausbildung zukünftiger Führungskräfte hat
weile wurden zehn Lernzentren in der Mongolei
Service Learning seinen Platz. Zum Beispiel am
und in Kambodscha aufgebaut, die sich über
Institut für Unternehmensethik der European
Kunden wie Klett, Hilti, Kühne+Nagel und andere
Business School mit seinen Service-Learning-
inanzieren (leadership.bookbridge.org).
Programmen „Do it!“ und den „Educare“-Projekten. Während es beim ersten vor allem um den
direkten Kontakt zu Menschen, Mitarbeitern und
ihren Bedürfnissen in gemeinnützigen Projekten
Tandem-Lernen
und Initiativen geht, werden beim Educare-
66
Programm bereits erworbene Kompetenzen ein-
Etwas weitergeben können Schüler, Studenten,
gebracht, zum Beispiel beim Erstellen sozialer
Mitarbeiter und Führungskräfte in vielfältigen
Geschäftspläne, dem Einrichten von Websites für
Lern-Tandems. Bei der Initiative „Rock your
Vereine oder beim Fundraising für Stiftungen.
Life“ coachen Studenten zum Beispiel seit
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
2009 Schüler, die aus sozial, wirtschaftlich oder
Trend-Learning
familiär benachteiligten Verhältnissen kommen.
Sie wollen ihnen helfen, das eigene Potenzial zu
erkennen. 40 Standorte gibt es mittlerweile in
Deutschland und der Schweiz, 5.000 Menschen
haben mitgemacht (rockyourlife.de). Im Business
haben sich Lernpartnerschaften in vielfältigen
Mentoring-Programmen etabliert. Besonders
interessant: unternehmensübergreifendes Mentoring, wie zum Beispiel bei den Programmen von
CrossConsult. Hier teilen Mentoren aus einem
Unternehmen ihre Erfahrung und Einsichten mit
dem Führungsnachwuchs aus anderen Firmen
(crossconsult.de/leistungen/cross-mentoring).
Einen Rollentausch gibt es beim „Reverse Mentoring“. Hier sind es die Jungen im Unternehmen,
die den Älteren etwas beibringen – meist Fähigkeiten im Umgang mit IT oder Social Media.
Gruppenlernen durch
Austausch
Geteilte Werte und ähnliche Herausforderungen
im Geschäftsalltag bilden die Grundlage der
verschiedensten „Lernzirkel“. CEOs, Geschäftsführer und Unternehmer bleiben beim globalen
Netzwerk „Vistage“ unter sich. Mehr als 14.000
sind es weltweit, seit 2003 gibt es einen Ableger
auch in Deutschland (germany.vistage.com).
Monatliche Roundtables mit einem Moderator
und Einzelcoachings dienen dem „Sparring“
untereinander. Besprochen werden Fragen zu
Unternehmensführung, Strategie, Entscheidungsprozessen, aber auch zu persönlichen Führungsherausforderungen. Als „Business-Netzwerk mit Herz und Haltung“ positionieren sich
dagegen die Heartleaders. Ihr Motto: Wertschöpfung entsteht aus Wertschätzung. Hier sind alle
zum Austausch eingeladen, vom Selbstständigen
bis zum Konzernmitarbeiter, Hauptsache, die
Crowdfunding und Crowd-Innovation, kollaboratives Lernen und eine
demokratisierte Führung machen
deutlich, wie das Peer-to-PeerPrinzip im Unternehmensalltag
Fuß fasst. Weitere Anwendungsmöglichkeiten gibt es aber auch in
anderen Unternehmensbereichen.
Wie sich zum Beispiel das Recruiting die Vernetzung und das
„Prinzip der Kreise“ zunutze
machen kann, zeigte der OnlineHändler Zappos im Mai 2014.
Weder auf der Unternehmenswebsite noch bei Jobbörsen sind
seitdem Jobangebote zu inden.
Stattdessen können sich Interessenten direkt beim Unternehmen
vorstellen und Teil des Sozialen
Netzwerks „Zappos Insider“
werden. Die Interessenten werden
zu „Halbexternen“, können sich auf
Karriereseiten über alle Bereiche
informieren und über „Google
Hangouts“ das HR-Team kontakten.
Der Recruitingprozess ähnelt damit
mehr einer langen Verlobungszeit
als einem klassischen Anstellungsprozedere, wie es das Unternehmen selbst formuliert. Der
Vorteil: Die Talent-Pipeline bleibt
gefüllt – und der „cultural it“ gewährleistet (Auriemma 2014).
Haltung stimmt (heartleaders.de).
67
DIE
EVOLUTION
DES WIR
Soziale Innovationen prägen
das Bild der Zukunft
68
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Die Sache mit dem Wir ist natürlich nicht neu. Historisch
gab es schon immer Gemeinschaftskonstrukte und Kooperationsformen in Wirtschaft und Gesellschaft. Was neu ist,
ist der Schub, den Wir-Optionen durch die rein technologische Vernetzung bekommen – und die Intensität, mit der
wir uns damit beschäftigen.
Begrife wie Kollaboration und Kooperation,
Share Economy und Gemeinwohlökonomie
sind derzeit in aller Munde. Sie ziehen ihre
Kreise in immer mehr Büchern, Artikeln
und Zeitschriften und werden auf Konferenzen heftig diskutiert. Wird 2015 das Jahr
des Wir? Formt sich eine Gegenbewegung
zur treibenden Kraft der vergangenen
Jahrzehnte, die auf immer mehr Bedeutung
für den Einzelnen zielte? Wie viel neue
Gemeinschaft kann in einer individualistischen Welt entstehen? Auf welche Ziele
steuert eine Suche nach „neuem Konsens“
zu? Nach vielen ersten Phänomenen in den
vergangenen Jahren wird 2015 zumindest
sicher eines: ein Jahr, um das Modethema
„Community“ neu zu sortieren. Sortieren
zwischen rein technischen Vernetzungsphänomenen und echten Wir-Gemeinschaften,
wie wir es in unserer Landkarte tun. Und
eine Unterscheidung zu inden zwischen
realen Phänomenen, dem was wirklich
ist und funktioniert und dem, was wir als
„Sehnsuchtsraum des Wir“ bezeichnen.
Ein Raum, nach dem wir suchen, der für
eine Hofnung steht auf eine neue und
andere Welt, aufgeladen mit dem Wunsch,
Lösungen zu inden für die zunehmende
Komplexität, die uns umgibt.
69
DIE EVOLUTION DES WIR
Soziale Innovationen sind die Zukunft
Soziale Innovationen werden die Zukunft
prägen, nicht technische. So lautete bereits
vor einigen Jahren die hese des Zukunftsinstituts. Neue kollektive Organisationsformen gehören dazu. Dahinter steht auch
ein emotionales Bedürfnis: „Es gibt eine
tiefe Sehnsucht nach kollektiven Identitäten
und nach einer Kultur, die Beziehungen
schaft. Dieses neu erwachende Vergemeinschaftungsbedürfnis kann von Handel und
Industrie gar nicht ernst genug genommen
werden. Marken werden zukünftig nicht
mehr nur ihre Einzigartigkeit nach vorne
stellen, die Konsumenten erwarten eine
kollektive Vision“, schrieben wir 2009 im
Zukunftsletter. Sich im Kollektiv wiederzuinden, so formulierten wir, und nach
Identitäten zu suchen, die über das eigene
Ich hinausgehen, werde zu einem zentralen
Trend in der Gesellschaft, aber auch auf
unseren Märkten.
Als ein Indikator diente uns der Wertemonitor des Zukunftsinstituts, „Wie geht’s
der Welt?“ (2008), der in Zusammenarbeit
mit GfK Roper entstand. Menschen in 25
Nationen wurden dort nach den für sie
wichtigen Werten befragt. Zu den Top-10Werten gehörten überall Familie, stabile
soziale Beziehungen und Freundschaft,
wohingegen Werte wie Macht (Platz 53),
Status (Platz 49) und Egoismus (Platz 52) auf
den hinteren Plätzen landeten. Währenddessen rief man in den USA gleich eine ganz
neue Ära des Wir aus. Eric Greenberg gab
2008 ein Buch mit dem Titel „Generation
We: How Millennial Youth Are Taking Over
America and Changing Our World Forever“
(Greenberg/Weber 2008) heraus. Den
70
Millennials sprach er darin nicht nur eine
progressive Haltung sowie wirtschaftliche
und soziale Macht zu, sondern auch das
Potenzial, sich dieser gemeinsamen Macht
bewusst zu sein und sie zu nutzen. „Wir
müssen den Prozess der Restauration und
der Transformation starten. Es gibt eine
klare Agenda, unser Erbe und den Planeten
wieder in Ordnung zu bringen“, hieß es
vollmundig und hofnungsvoll in dem mit
„We-Declaration“ überschriebenen Schlusskapitel (gen-we.org).
Der aufkommende Fokus auf das „Wir“
zeigte sich auch in einem neuen Megatrend,
den wir am Zukunftsinstitut 2007 unter dem
Namen „Konnektivität“ etabliert hatten.
Gemeint waren damit nicht nur die sich
ausbreitende technologische Vernetzung,
sondern auch soziale Zusammenschlüsse,
d.h. die grundsätzlich zunehmend netzwerkartige Organisation in Wirtschaft und
Gesellschaft.
Bis heute ist Konnektivität für uns ein
echter „Blockbuster“ unter den insgesamt
elf Megatrends, die alle großen Veränderungswellen in Wirtschaft und Gesellschaft
beschreiben. Denn Konnektivität steht in
unmittelbarer Wechselwirkung mit den anderen Megatrends wie Urbanisierung, Globalisierung, Female Shift, New Work, neues
Lernen etc. – und er bringt ein gutes Stück
Destabilisierung in unsere Welt. Durch die
zunehmende Vernetzung wird der sogenannte „Schmetterlingsefekt“ auf einmal
im Alltag spürbar. Wenn an einer Ecke der
Welt etwas passiert, kann sich das innerhalb
kürzester Zeit auf andere Bereiche und Orte
übertragen und massive Aufschaukelungsbewegungen auslösen. Wie das geht, haben
uns Finanzkrise und unzählige Shitstorms
im Internet gezeigt.
Gemeinsam sind wir stark:
Diesen Leitspruch hat die
Generation der Millennials
verinnerlicht und verlangt
nach ihrer Gültigkeit in allen
Lebensbereichen. Auch als
Freiwillige beim SandsackSchleppen.
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
71
Foto: Istockphoto
DIE EVOLUTION DES WIR
VUCA-Welt:
Fünf Treiber der
Veränderung
Natürlich darf man technische Vernetzung
nicht mit dem Formen sozialer Verbindungen gleichsetzen. Während Technologien nur die Möglichkeit zur Verbindung
schafen, verlangt soziale Vergemeinschaftung jede Menge Investitionen, damit eine
tragfähige gemeinsame Kultur entsteht. Erst
dann entstehen echte Wirs. Trotzdem ist der
Schub, den das Internet gibt, nicht zu unterschätzen: So manches Unternehmen hat
durch die Beschäftigung mit Open Innovation und Enterprise 2.0, dem vernetzten Unternehmen, wertvolle Impulse bekommen,
sich auch in Bezug auf die eigene Kultur in
Frage zu stellen und weiterzuentwickeln.
Welche Treiber die Bewegung hin zu mehr
Kollaboration in Zukunft unterstützen und
fördern, zeigt folgende Übersicht:
TREIBER 1
Technologische Vernetzung
als Impuls
Im Jahr 2015 sind wir dauernd miteinander
verbunden, wenn wir das wollen. Highspeed-Internet-Access, hohe Bandbreiten,
mobile Endgeräte, eine Vielzahl von Apps
und das Internet der Dinge, also Vernetzung
über diverse Produkte, gehören für immer
mehr Menschen zur Grundausstattung.
Wir können uns damit schnell, eizient
und meist ohne Zusatzkosten zusammenschließen und zumindest oberlächlich
Bande knüpfen. In kürzester Zeit können
somit lose gekoppelte und ortsunabhängige
72
(Interessens-)Gemeinschaften entstehen.
Das gilt natürlich auch umgekehrt: Die
Entkopplung wird leichter, mit manchmal
nur einem Mausklick ist man „draußen“.
Manche (Zweck-)Gemeinschaften, zum
Beispiel zum gemeinsamen Kauf (Collective
Buying), entstehen sogar „on the spot“ und
vergehen ebenso schnell wieder.
TREIBER 2
Die Dauerfrage – wie mit
Komplexität umgehen?
Wir entwickeln gerade ein neues Verständnis von der Umwelt, in der wir leben,
und von der Tiefe, in der wir miteinander
verbunden sind. VUCA heißt ein derzeit viel
zitiertes Akronym. Erfunden wurde es zwar
bereits in den 90er-Jahren beim US-Militär,
jetzt aber ist es großlächig auch in Managementkreisen angekommen. Die Abkürzung
steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität (Complexity) und Ambiguität.
Das beschreibt ein Umfeld, in dem alles in
ständiger Bewegung ist, hoch vernetzt und
äußerst volatil. Die weltweite Finanzkrise
ab 2007, ausgelöst durch Immobilienspekulationen in den USA, war das beste
Beispiel dafür. Wir werden uns also bewusst,
dass wir mit einer Welt konfrontiert sind,
in der niemand das Morgen voraussagen,
geschweige denn planen kann. Eine Welt,
in der der Einzelne sich weniger denn je an
sicheren und Halt gebenden Konstrukten
wie Familie, Kirche und Staat orientieren
kann. Eine Welt, die leicht als Bedrohung
und Überforderung erlebt werden kann und
in der sich eine wesentliche Frage stellt:
Was können wir tun, um gut in ihr zu leben?
Näher zusammenzurücken scheint eine
Lösung zu sein.
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
TREIBER 3
Hoffnung auf Kollaboration
als Innovationsmotor
Wir brauchen einen Paradigmenwechsel,
heißt es in den letzten Jahren an vielen
Stellen in Unternehmen, in der Gesellschaft
und in der Politik. Denn um entspannt in
der VUCA-Welt zu leben, fehlen uns praktikable Ansätze. Selbstorganisation und
Kollaboration wecken neue Hofnungen.
So entstanden in den letzten fünf bis sieben
Jahren in Unternehmen, im Privaten und in
der Politik zahlreiche Initiativen, die auf die
Kraft des Kollektivs setzen. Eine davon ist
die Idee einer Bundeswerkstatt, die Jascha
Rohr, Gründer des Instituts für Partizipatives Gestalten, in seinem Buch „In unserer
Macht“ vorstellt (think-oya.de/buch/
in_unserer_macht.html). Sie könnte nach
Meinung Rohrs eine dritte Kammer neben
dem Bundestag und dem Bundesrat darstellen, in der Vertreter der Zivilgesellschaft
gemeinsam Zukunftskonzepte entwickeln.
Mit dem Internet als neues Kollaborationswerkzeug sollen so neue Lösungen für die
komplexen Herausforderungen der heutigen Zeit gefunden und eine kollaborative
Demokratie etabliert werden. Diese Hofnung auf das Wir als Impuls für echte Innovation ist exemplarisch für viele Bereiche in
Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.
Soziale Bindungen
wichtiger als
Unabhängigkeit
Was die Deutschen 2014 in ihrem Leben
für besonders wichtig und erstrebenswert
halten (TOP-5, Angaben in Prozent)
85%
Gute Freunde haben,
enge Beziehungen zu
anderen Menschen
78%
Für die Familie da
sein, sich für die
Familie einsetzen
75%
Eine glückliche
Partnerschaft
66%
Unabhängigkeit, sein
Leben weitgehend
selbst bestimmen
können
65%
Soziale Gerechtigkeit
deutsche Bevölkerung ab 14
Quelle: IfD Allensbach 2014
73
Auf dem Vision Summit konzentrieren sich die Menschen auf die
Macht der Wir-Qualitäten
Foto: Christian Klant / www.christian-klant.de
74
TREIBER 4
TREIBER 5
Sehnsucht nach neuen
inneren Qualitäten
Erfahrung mit kollektiven
Experimenten
Unsere Suche nach Neuem, nach etwas
anderem bezieht sich meist nicht nur
aufs Außen – und drückt sich oft auch in
neuen Begrifen aus. Einer davon machte
im Herbst 2014 zum ersten Mal seine
Runde. „WeQ meint Wir-Qualitäten – im
Unterschied zu Ich-Qualitäten (IQ)“, formulierten die Macher des Vision Summit,
einer internationalen Konferenz für Social
Innovation, Social Entrepreneurship und
Social Impact Business, die 2007 ins Leben
gerufen wurde und 2014 mit „WeQ“ an
den Start ging (www.visionsummit.org).
Wir-Qualitäten, so hieß es dort, seien die
gemeinsame DNA von Social Innovation, Social Entrepreneurship und Social
Business, aber auch von Design hinking,
Co-Creation, Co-Working Spaces, Wikipedia oder Carsharing. Anfang 2015 soll die
Initiative ihren Ausdruck in einem WeQManifest inden.
Neue Wir-Konstrukte sind im Jahr 2015
für eine wachsende Zahl von Menschen
im Alltag spürbar geworden. Je jünger und
je vernetzter, desto mehr. Viele erfahren
auf einmal ganz konkret, wie sich die Welt
anfühlt, wenn sie auf neue, kollektive
Organisationsformen setzen. Ob klassische
Gemeinschaft oder temporäres Kollektiv:
Der Nutzen der Gemeinsamkeit wird
deutlich. So bekommt der Selbstständige
Geld für das neue Unternehmen von einer
Crowdfunding-Plattform statt von der Bank,
das Auto wird nicht mehr gekauft, sondern
im Nachbarschafts-Carpool ausgeliehen,
man lebt in einem MehrgenerationenWohnprojekt, arbeitet im Co-Working
Space, lernt neue Menschen bei „Eat and
Meet“-Dinnern kennen, geht zusammen zu
Freeletics, bucht sein Zimmer bei AirBNB
und unterschreibt Online-Petitionen bei
einer NGO, die sich für den sozialen Wandel
einsetzt. Kollaboration kann zum ersten Mal
einem Alltagstest unterzogen werden.
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Die DNA der Wir-Qualität
Social Innovation
Design Thinking
Wikipedia
Social Business
Social
Entrepreneurship
Co-Laboration
Co-Creation
Sharing
Quelle: Vision Summit
Endet der
Individualismus?
Wie aber passt der Schub in Richtung Wir
zusammen mit dem Megatrend Individualisierung? Zwar gab es schon immer
Zusammenschlüsse, Kooperationen und
Gemeinschaftsunternehmen, um den
Anforderungen der Welt etwas Kraftvolles
entgegenzusetzen. Von der Allmende, dem
landwirtschaftlichen Gemeinschaftsbesitz,
über Genossenschaftsbanken bis hin zu
kirchlichen und sozialen Hilfsverbänden,
Gewerkschaften, Betriebsräten usw. hat der
Schulterschluss der Gemeinschaft Tradition. Diese Tradition hat in den letzten
Jahrzehnten in westlichen Industrieländern allerdings an vielen Stellen Platz
gemacht für eine Form von Individualismus, in der vor allem persönliche Stärke,
der Einzelne und seine Leistungen zählte.
Heldengeschichten hatten in Politik und
Wirtschaft Konjunktur.
und einer Kombination aus wegleitender
Sehnsucht und starkem Innovationsdruck
im Rücken scheint das Wir wieder salonfähiger zu werden. Das Pendel schlägt
um – statt den Einzelnen mitsamt seinen
Leistungen und seinem Gestaltungsspielraum zu überhöhen, wandert der
Fokus zurück, wie die Landkarte des Wir
eindrucksvoll zeigt. Wir bauen somit
„soziales Kapital“ auf – und zwar in zweifacher Hinsicht, wie Robert Putnam und
Lewis Feldstein in „Better Together“ (2004)
argumentieren. Sie sprechen zum einen
von „verbindendem sozialen Kapital“ in
Netzwerken, die Menschen zusammenbringen, die sich ähnlich sind und miteinander etwas machen. Zum anderen gibt es
soziale Netzwerke, die Brücken nach außen
schlagen und verschiedene Gruppierungen
zusammenbringen und umfassen. Und
sie haben herausgefunden, dass der Grad
der Bildung ein Indikator dafür ist, wie viel
„soziales Kapital“ entsteht.
Doch das Blatt scheint sich zu wenden.
Mit neuen Technologien in der Tasche
75
DIE EVOLUTION DES WIR
Wir und Ich: Lernen von der
Soziologie
Doch auch in Zukunft wird das „Wir“ nicht
das „Ich“ ersetzen – und der Megatrend
Individualisierung nicht zu Grabe getragen.
Ich und Wir sind keine Gegensätze – das
eine braucht das andere, um sich auszubilden, wie die Soziologie schon lange
weiß. Jedes Kind entwickelt sich erst durch
seine Eltern, Geschwister, Freunde, Kindergarten und Schule zu einem sich selbst
erfahrenden Ich. Doch wie steht es um das
moderne Ich, das oft mit einem zur Selbstverwirklichung entschlossenen Macher
assoziiert wird? Braucht es das Wir überhaupt noch?
Der Soziologe Ulrich Beck (1994) hat dazu
mit seiner berühmt gewordenen Individualisierungsthese Folgendes herausgefunden:
Mit dem Übergang zu einer funktional
diferenzierten Gesellschaft verändern
sich die ‚Ich‘- und ‚Wir‘-Verhältnisse.
Während in vormodernen Gesellschaften
der Einzelne durch soziale Gebilde wie
Religion, Familie und Stand auf seinem
Platz gehalten wurde, haben sich diese
starren ‚Schicksalsgemeinschaften‘ in der
Moderne aufgelöst. Wo früher das Leben
vorgezeichnet schien und man in unumstößliche Gruppen eingebettet war, muss
man nun aktiv entscheiden und sein Leben
in die Hand nehmen: welcher Job, welche
Partei, welche Partnerin, welche Stadt?
Das ‚Wir‘ ist dabei nicht weniger wichtig
geworden. Im Gegenteil. Die zahlreichen
Subkulturen und Szenen (Hitzler/Niederbacher 2010), die Interessensgemeinschaften,
von politischem Engagement über Sportund Musikgruppen bis hin zu eingeschworenen Fangemeinschaften, oder auch die
76
teils verzweifelte Suche nach der großen
Liebe (Beck 2001) sind nur einige Beispiele
für das kontinuierlich tiefe Bedürfnis der
Menschen, in Wir-Konstellationen aufzugehen. Allerdings macht sich das individualisierte ‚Ich‘ unserer Zeit selbst auf die
Suche nach neuen Gemeinschaften und
‚Wirs‘. Diese bestehen aber nur noch auf
Zeit – und man muss sie am Laufen halten
(vgl. Hitzler/Honer/Pfadenhauer 2008).
Der Einzelne macht damit die Erfahrung,
dass mit quasi-endloser, unhinterfragter
Gemeinschaftlichkeit nicht mehr wirklich
zu rechnen ist.
Spannungsfeld: Teilen Sie
noch oder
optimieren Sie schon?
Kein Wunder also, dass sich der öfentliche
und mediale Diskurs um das Wir schnell
erhitzt. Der kühle Blick auf Kollaborationen,
Kollektivprozesse und Partizipationsansätze
fällt gerade deshalb nicht leicht, weil es bei
all dem auch um Grundsätzliches geht, um
gesellschaftliche Tiefenbewegungen.
Die momentan sichtbaren Veränderungen
sind aufs Engste verknüpft mit impliziten
Wertvorstellungen und Bewertungen; sich
dem Normativen der Wir-Diskussion zu
entziehen ist so kaum möglich. Während für
die einen der Begrif des „Wir“ aufgeladen
ist mit einer Vision einer besseren Welt von
Post-Wachstum und der gemeinsamen Arbeit an innovativen sozialen Lösungen, sind
andere „nur“ auf der Suche nach neuer Eizienz. Letztere Konstruktionen wären dann
keine Kollektive, sondern „Konnektive“, wie
Gesa Ziemer sie in ihrem 2013 erschienenen
Buch „Komplizenschaften“ bezeichnet.
Beim Konnektiv, so sagt sie, rücken homogene Gruppendeinitionen zugunsten von
Interessengemeinschaften
sind Ausdruck des grundlegenden Bedürfnisses der
Menschen, in Wir-Konstellationen aufzugehen
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
77
Foto: Flickr, Steven Gerner, CC-BY-SA-2.0
„Im kommenden Zeitalter
treten Netzwerke an die Stelle
der Märkte, und aus dem
Streben nach Eigentum wird
Streben nach Zugang“
Jeremy Rifkin, Das Verschwinden des Eigentums, 2007
Foto: Flickr, Oesterreichs Energie/Martin Vandory, CC-BY-SA-2.0
überraschenden Neuverkettungen noch
stärker als beim Konzept des Kollektivs in
den Hintergrund. Die Lockerheit und
weniger die Stärke der Beziehungen wird
als konstruktiv bewertet – und damit treten
Bindungseigenschaften hervor, die nicht auf
Stabilität abzielen und trotz ihrer Fragilität
eine hohe situative Wirkung erzielen. „Komplizenschaft“ bedeutet dann, dass es um
das intelligente Kombinieren verschiedener
Elemente, das aktive Verbinden geht, um die
Welt neu zu gestalten (2013, 70f.).
Wo also haben wir es mit Kollektiven und
wo mit Konnektiven zu tun? Mit dieser
Frage ringt auch die Debatte um die Share
Economy. Den Begrif „Shareness“ prägte
übrigens der Harvard-Ökonom Martin
Weitzman schon Mitte der 80er-Jahre. Im
Zukunftsinstitut kommentierten wir diese
Entwicklung im TREND UPDATE 9/2011
folgendermaßen: „Wer allein bestimmen
möchte, anstatt kooperative Lösungen zu
suchen, wird in Zukunft immer weniger
78
Chancen haben, zu bestehen. Das betrift
den Einzelnen ebenso wie Unternehmen
und Organisationen.“
Doch um was geht es in der Share Economy
heute? Um Tauschen, Spenden, Schenken,
großzügig sein, Ressourcenschonung
inklusive, oder um ein neues ökonomisches
Kalkül? Harsche Kritik war zum Beispiel im
Frühjahr 2013 in der „Zeit“ zu lesen: „Die
Erwartungen an die Ökonomie des Teilens
sind (...) oft so naiv und oft dermaßen
übersteigert, dass sie sich kaum erfüllen
werden. Stärker als den Beginn einer neuen
Wirtschaftsordnung symbolisiert der neue
Sharing-Hype eine Form der Realitätslucht.“ Ähnlich abwehrend äußert sich die
FAZ 2013: „Bläst man die Luft (...) aus der
Share Economy hinaus, kommt etwas ganz
anderes heraus: Nicht Teilen statt Haben
ist der springende Punkt, sondern ganz
im Gegenteil ein Zugewinn des eigenen
Habens, das einen sich vom anderen unterscheiden lässt. Conspicious Consumption
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
(demonstrativ Individualität zeigen) dominiert die vermeintliche Collaborative Consumption (Gemeinschaftskonsum)“ (Hank/
Petersdorf 2013). Reinhard Loske, Professor
für Kulturrelexion an der Uni Witten/Herdecke, formuliert die „Anti-Vision“ so: „Das
marktwirtschaftliche System wird diese soziokulturelle Innovation als Frischzellenkur
nutzen“ (Loske 2014).
Auch der Philosoph und Kulturwissenschaftler Byung-Chul Han (2014) setzte
unlängst zur Entzauberung an: „Die
Sharing-Ökonomie führt letzten Endes zu
einer Totalkommerzialisierung des Lebens.
Der von Jeremy Rifkin gefeierte Wechsel
vom Besitz zum ,Zugang‘ befreit uns nicht
vom Kapitalismus. Wer kein Geld besitzt,
hat eben auch keinen Zugang zum Sharing. Auch im Zeitalter des Zugangs leben
wir weiterhin im ,Bannoptikum‘, in dem
diejenigen, die kein Geld haben, ausgeschlossen bleiben. ,Airbnb‘, der Community-Marktplatz, der jedes Zuhause in ein
Hotel verwandelt, ökonomisiert sogar die
Gastfreundschaft. Die Ideologie der Community oder der kollaborativen Commons
führt zur Totalkapitalisierung der Gemeinschaft. Es ist keine zweckfreie Freundlichkeit mehr möglich. In einer Gesellschaft
wechselseitiger Bewertung wird auch die
Freundlichkeit kommerzialisiert. Man wird
freundlich, um bessere Bewertungen zu
erhalten. Auch mitten in der kollaborativen
Ökonomie herrscht die harte Logik des Kapitalismus. Bei diesem schönen ,Teilen‘ gibt
paradoxerweise niemand etwas freiwillig
ab. Der Kapitalismus vollendet sich in dem
Moment, in dem er den Kommunismus als
Ware verkauft. Der Kommunismus als Ware,
das ist das Ende der Revolution.“
Trend-Learning
Die Bewertung des Wir-Gedankens
der Share Economy oszilliert also
zwischen einer Einschätzung als
Heilsbringer für eine neue Welt und
der Angst vor weiterer Pervertierung des Ökonomischen, das auch
noch den letzten Rest (echter) Gemeinschaftlichkeit zerstört. Damit
wird auch klar: Die neuen „Wirs“
schließen vielleicht viele ein – aber
andere auch aus.
Wenn es so viele Wirs gibt, wie es
Peer-Groups in einer Gesellschaft
der Individualisten gibt, ist die
naheliegende nächste Frage, wie es
weitergehen kann mit dem großen
„Wir“. Dieser Frage wollen wir im
nächsten Kapitel noch etwas tiefer
nachspüren. Aus unterschiedlichsten Disziplinen kommen derzeit wissenschaftliche Ansätze, die
sich genau mit der Frage beschäftigen, was die Menschen antreibt,
Gemeinschaften zu bilden.
79
DER HOMO
SOCIALIS
Wissenschaftliche Perspektiven
für Theorieafine
80
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Zu den Aha-Erlebnissen der letzten Jahre gehört, dass
Kooperation ein zutiefst menschlicher Zug ist – und Ratio
nicht alles. Und das Beste: Unter geeigneten Bedingungen
können Menschen ihr Wir-Potenzial als soziale Wesen entfalten. Selbst im Business. Ein Blick auf die Wissenschaft
zeigt, wie und warum.
In der Wissenschaft der letzten Jahre indet
ein Paradigmenwechsel statt. Das Bild
vom Menschen und seinem „natürlichen“
Verhalten wandelt sich. Wissenschaftler unterschiedlichster Fachrichtungen machen
eine Menge spannender Experimente rund
um das Wir. Neue Forschungsvorhaben
sammeln theoretische Erkenntnisse rund
um Kollaboration, Kooperation und Partizipation. Eine heorie des Wir entsteht.
Denn einfach „mehr Wir“ zu wollen reicht
nicht: Die Bedingungen für Kooperation
müssen bewusst geschafen und entwickelt werden, darüber sind sich die
Experten einig. Daher gilt es, mehr zu
lernen. In der Gesellschaft ebenso wie im
wettbewerbsorientierten Umfeld der Unternehmen. Immer mehr Forscher und Unternehmer versuchen genauer zu verstehen,
was es mit Kollaboration und Kooperation
auf sich hat und welche Voraussetzungen
Menschen brauchen, um zusammenzuhalten. Erst dann können wir funktionsfähige Wirs auch gestalten, so der Tenor.
Der folgende Abstecher in die Wissenschaft
hat also einen sehr pragmatischen Hintergrund: Was weiß zum Beispiel die Verhaltensökonomie über den „Homo Socialis“,
den Gegenentwurf zum rein rationalen
Homo Oeconomicus? Nach welcher Logik
agiert er und wie können wir sie nutzen?
81
Wir
Das neu erwachte Interesse am Wir hat aber
nicht nur in der Verhaltensökonomie seine
Spuren hinterlassen, wo man dies automatisch vermuten würde – auch Soziologie,
Biologie und die Organisationspsychologie
liefern frische Perspektiven auf unsere WirKapazitäten. Daneben sind Disziplinen wie
Kybernetik, Systemtheorie und Netzwerkforschung wichtig. Sie bieten Weltbilder an,
die das große Ganze in den Blick nehmen,
auf Vernetzungen und Wechselwirkungen
fokussieren und den Einzelnen vor allem
in seinen Beziehungen und als Teil des
Gesamtsystems abbilden. Zeit, sich damit
zu befassen.
Neues Denken:
Integrativer Pluralismus
Welches Denken brauchen wir für unsere Zukunft? Und welche Rolle spielt die
Wissenschaft dabei? Sandra Mitchell ist
Professorin für Wissenschaftstheorie und
beschäftigt sich insbesondere mit dem
82
hema Komplexität. Ihr Ansatz ist so einfach
wie einleuchtend: Wir brauchen einen „integrativen Pluralismus“ in unserer Art, die
Welt zu sehen. Das bedeutet: Viele parallele
Erklärungen sind möglich – und haben
nebeneinander Platz. Der alte Newtonsche
Ehrgeiz, alles auf einfache, grundlegende
Eigenschaften und Bewegungen zurückzuführen, werde in Zukunft abgelöst durch
eine Welt der vielschichtigen kausalen
Wechselwirkungen und der Emergenz, sagt
sie in ihrem Buch „Komplexitäten. Warum
wir erst anfangen, die Welt zu verstehen“
(2008). Und: „Das Universelle hat dem
Kontextbezogenen, Lokalen Platz gemacht,
und das Streben nach der einen, einzigen,
absoluten Wahrheit wird verdrängt durch
den demütigenden Respekt vor der Pluralität der Wahrheiten, die unsere Welt partiell
und pragmatisch abbilden“ (ebd., S.152).
Übersetzt bedeutet das: Für eine stark
vernetzte Welt, die so komplex und volatil
ist, dass sie schnell verschiedenste Gestalten
annehmen kann und uns immer wieder mit
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Für eine komplexe, volatile und
stark vernetzte Welt, die uns
immer wieder mit Veränderungen
konfrontiert, brauchen wir
ebenso vielfältige Erklärungen
wie auch komplexe Strategien.
Veränderungen konfrontiert, brauchen wir
Erklärungsmuster, die ebenso vielfältig sind
wie das, was wir betrachten.
Für unser Handeln hat das weitreichende
Konsequenzen. Denn die Hofnung auf
eine einfach und schnell prognostizierbare
Zukunft, die sich in deinierten Schritten
erreichen lässt, zerfällt damit zu Staub.
„Wir müssen das Prinzip ,Vorhersagen und
Handeln‘ für unsere Interaktionen mit der
Welt auf den Prüfstand stellen“, sagt Mitchell klipp und klar. Stattdessen plädiert
sie für eine neue Form von Pragmatismus.
Dazu gehören auch wiederholte Feedbackschleifen zwischen Erkennen, Handeln
und Überprüfen. „Wenn man in einer
komplexen Welt zu einem gewünschten
Ergebnis gelangen will, muss man für
eiziente Interaktionen mit dieser Welt auch
komplexere Strategien entwickeln.“
Mehr oder bessere Informationen zu sammeln macht in diesem Kontext nur begrenzt
Sinn. Denn Wissen vermindert Unsicherheit
nicht unbedingt. Im Gegenteil, häuig ist es
laut Mitchell sogar unvernünftig, auf übereinstimmende Ansichten oder zuverlässige,
quantitative Aussagen über die Wahrscheinlichkeit möglicher Ergebnisse zu warten.
Denn sonst warte man unter Umständen
so lange, dass es zum Handeln oder zur
Vermeidung unerwünschter Folgen zu spät
sei (ebd., S.113). Die Zukunft könnte einen
dann schon überholt haben.
In diesem Sinne kombinieren wir im
Folgenden mehrere Erklärungsansätze zum
hema Wir. Pragmatisch werfen wir einen
Multiperspektiven-Blick auf die Fundamente von Kollaboration, Kooperation und
Partizipation. Das Ziel: besser zu verstehen,
warum und wie sich Wirs konstellieren,
welche Kräfte dahinter wirken – und welche
Bedingungen wir schafen können, um die
Vorteile der Gemeinsamkeit gut für uns zu
nutzen.
83
Die anthropologische Frage: Sind
Affen kooperativ?
84
Foto: Flickr, Tambako The Jaguar, CC-BY-ND-2.0
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
PERSPEKTIVE 1
Kooperieren ist zutiefst
menschlich.
Evolutionäre Anthropologie
und Soziologie
Grundemotionen wie Angst, Freude und
Wut haben wir mit den Afen gemein. Die
Freude, etwas mit anderen zu teilen und
gemeinsam zu tun, ist dagegen ein menschliches Gefühl. Das sagt Michael Tomasello,
Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Für ihn ist der
Mensch „das Tier, das Wir sagt“ (Grefrath
2009). Zwar zeigen Tomasellos neuere Forschungen, dass auch Afen durchaus Mindreading beherrschen, also wissen, welche
Absichten andere haben. Doch sie nutzen
diese Fähigkeit ofensichtlich vor allem für
eines – ihren eigenen Vorteil. Menschen dagegen haben ein anderes Wir-Gefühl. Sie beschafen, anders als die meisten Afen, ihre
Nahrung gemeinsam. Auf diese Weise entwickelten sich beim Menschen Altruismus und
gegenseitiges Helfen – mitsamt bestimmter
Regeln, sagt Tomasello. Zum Beispiel diese:
Wer nicht verlässlich kooperiert, der ist verloren. Der Einzelne, so Tomasello, hängt von
den anderen ab. Gegenseitige Hilfe ist damit
die natürliche Konsequenz gegenseitiger
Abhängigkeit (FAZ 2011).
Tomasellos Bild vom Menschen unterscheidet sich damit von dem vieler anderer
Wissenschaftler. Die Entwickler mathematischer Modelle, die meisten Evolutionstheoretiker und Ökonomen, so sagt er, arbeiteten
meist mit der Annahme, dass Menschen
sich nicht um andere kümmern (Tomasello
2010). Dem widerspricht er vehement: „In
einer Situation gegenseitiger Abhängigkeit
kann ich mich in einer Weise um (andere)
kümmern, die in meinem Selbstinteresse
gründet. Zudem muss ich darauf achten,
ein guter Kooperationspartner zu sein.
Andernfalls würde mich niemand als Partner
wählen. Wir sind also in einem tieferen Sinn
sozial, als diese Modelle und heoretiker
meinen“ (FAZ 2011).
Siegt das
unkooperative Ich?
Was muss man tun, damit sich Kooperation
durchsetzt? Diese Frage stellt der amerikanische Soziologe Richard Sennett. In
seinem Buch „Zusammenarbeit: Was unsere
Gesellschaft zusammenhält“ (2012) zeigt er,
dass sich positive Formen des Miteinanders
nicht von selbst einstellen. Im Gegenteil.
Die Geschichte sei voll von (kriegerischen)
Auseinandersetzungen und dem Herabsetzen anderer. Bis heute sei das Leben stark
von Konkurrenz geprägt. Sennett spricht in
diesem Zusammenhang vom „unkooperativen Ich“ (ebd., S.241), von wettbewerbswütigen Narzissten und von Überforderten
mit Abstiegs- und Versagensängsten. All
das sei in der nachmodernen Gesellschaft
ein weitverbreitetes Phänomen. Um das zu
ändern, muss man aktiv Bedingungen für
ein friedliches und konstruktives Miteinander schafen. Dazu bedarf es einer Kultur
der Anerkennung und des wechselseitigen
Respekts, des Vertrauens sowie des gemeinsamen Bearbeitens von Problemen – sowohl
in Unternehmen als auch im Privaten.
Zentral seien in diesem Zusammenhang Rituale. Sie können laut Sennett gemeinsames
Handeln ‚choreographieren‘, Unsicherheit
reduzieren und ein Gefühl von Gemeinsamkeit und Gemeinschaft hervorrufen, etwa
bei Feiern, Festen oder in Kafeepausen
(vgl. ebd., S.122). Dafür muss es allerdings
genügend Möglichkeiten zum Miteinander
85
DER HOMO SOCIALIS
geben: Teams zum Beispiel sollten nicht zu
oft umgestellt und neu besetzt werden und
Verantwortung nicht nur auf den Schultern
von Einzelnen lasten (ebd., S.213f.).
PERSPEKTIVE 2
Gute Chancen für den
Homo Socialis. Soziologie
und Verhaltensökonomie
Die Idee, dass der Mensch kein unverbesserlicher Egoist ist, sondern in bestimmten
Umfeldern gerne und gut kooperiert, ist
inzwischen bis in die Wirtschaftswissenschaften vorgedrungen. Viele Ökonomen
stellen mittlerweile die Alleingültigkeit
des Leitbilds des „Homo Oeconomicus“ in
Frage. Die Verhaltensökonomie, aber auch
die experimentelle Wirtschaftsforschung
und die Neuroökonomie orientieren sich
zunehmend an der beobachtbaren Realität
statt an den Modellen der „reinen Lehre“.
Das betrift vor allem die dort unterstellte
strenge Rationalität. „Menschen besitzen
keine unbeschränkten kognitiven Ressourcen … ein großer Teil der wirtschaftlichen Akteure (ist) durch beschränkte
Rationalität und eingeschränkte Willenskraft gekennzeichnet“, sagt zum Beispiel
Ernst Fehr (2002), einer der bekanntesten
Verhaltensökonomen der neueren Zeit.
Und: Viele Menschen legten nicht nur Wert
auf materiellen Eigennutz, sondern ließen
ihr Handeln auch von dem Bedürfnis nach
Fairness und Gerechtigkeit leiten. „Im
entschiedenen Gegensatz zur bloßen Maximierung des eigenen Einkommens legen
die meisten Menschen überall auf der Welt
hohen Wert auf Fairness“ (Sigmund/Fehr/
Nowak 2002: 54).
86
Aufsehen erregte in diesem Zusammenhang
vor Jahren ein Aufsatz von Axel Ockenfels
zur experimentellen Wirtschaftsforschung:
„ERC – A heory of Equity, Reciprocity and
Competition“ (Bolton/Ockenfels 2000). Hier
wird Verhalten mathematisch formuliert
und anhand von Spielen wie dem „Ultimatumspiel“ getestet: Spieler A bekommt
100 Euro, die er mit Spieler B teilen muss.
Falls Spieler B ablehnt, bekommt er nichts,
akzeptiert er, behalten beide ihren Teil.
Rein rationale Menschen würden ihren
Gewinn maximieren, 99 Euro behalten und
dem anderen nur einen Euro übrig lassen.
Für Spieler B ist das immer noch besser als
nichts. In der Realität kommt Gerechtigkeit
ins Spiel: Selbst bei 90 zu 10 Euro schlägt
Spieler B das Angebot aus. Da sich Spieler A
dessen bewusst ist, macht er erst gar keine
„unfairen“ Angebote. Die Erkenntnis, die
daraus folgt: Menschen orientieren sich
auch am Gewinn anderer und fühlen sich
schlecht, wenn diese nichts bekommen.
Der Vergleich mit den anderen ist uns also
wichtig, und unsere relative Position spielt
eine große Rolle.
Simuliert man allerdings ein „Auktionsspiel“, sieht die Sache anders aus. Bei einem
anonymem Markt und extremem Wettbewerb bildet sich die Fairness der Einzelnen
nicht ab. Eigennutz scheint weiterhin das
bestimmende Element zu sein – selbst wenn
sich die einzelnen Spieler eine gerechtere
Verteilung wünschen. Damit lässt sich folgern: Anonymität schadet dem Wir, Bezug
zueinander nützt ihm.
Aber kann sich der „Homo Socialis“, der altruistisch geprägte Mensch, langfristig überhaupt in der Welt durchsetzen? Dieser Frage
gingen homas Grund und Dirk Helbing
am Lehrstuhl für Soziologie der ETH Zürich
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
nach. Mit ihrem Modell simulieren sie eine
Welt, in der es zwar ein paar Altruisten gibt,
aber ansonsten Bedingungen vorherrschen,
die Kooperation nicht unterstützen (vgl.
Grund/Waloszek/Helbing 2013). Trotzdem
machen die Altruisten mit der Zeit Boden
gut. Schon nach wenigen Generationen
gewinnen sie die Oberhand – allerdings nur,
wenn sie sich vernetzen.
„Wenn durch Zufall einige von ihnen
zeitlich und räumlich nahe aneinander
geboren werden, genießen sie aufgrund
ihrer Zusammenarbeit beachtliche evolutionäre Vorteile. Es bilden sich ,clusters of
cooperators‘“ (Mounk 2013). Zwar gibt es im
Modell einige Regionen, in denen weiterhin
der Homo Oeconomicus das Sagen hat, in
weiten Teilen der simulierten Welt jedoch
herrscht Großzügigkeit und Kooperation.
Der Grund: Die Altruisten geben ihre
Haltung an ihre Nachkommen weiter. Das
Fazit des Forscher-Duos lautet deshalb, dass
wir den Homo Socialis besser erforschen
müssen und eine ergänzende ökonomische heorie für die „Networked Minds“
brauchen.
Neuere psychologische und neurowissenschaftliche Forschungen schließen mittlerweile an solche Erkenntnisse an. So gibt
es zum Beispiel ein Forschungsprojekt zu
„Caring Economics“, das vom Institute for
New Economic hinking (INET) gefördert
wird. Das Projekt ist eine gemeinsame Initiative des Max-Planck-Instituts for Human
and Cognitive Brain Sciences, Leipzig, und
des ifw Kiel Institute for the World Economy
(caring-economics.org). Gemeinsam will
man erforschen, wie man das relativ neue
Wissen über menschliche Motivation, über
Emotionen und reales soziales Verhalten
in Modelle zur Entscheidungsindung
einließen lassen kann. Das Projekt soll eine
neue Generation ökonomischer Modelle
entwickeln, die kooperative, soziale und
nachhaltige Verhaltensweisen integrieren.
PERSPEKTIVE 3
Großzügigkeit sichert Erfolg.
Organisationspsychologie
Wie es mit dem „Caring“ und dem „Geben
und Nehmen“ schon heute in der (Unternehmens-)Praxis aussieht, untersucht
Adam Grant in seinem gleichnamigen
Buch (2013). Damit scheint er einen Nerv
der Zeit zu trefen, denn das Buch schafte
es bis in den Bestsellerlisten der New York
Times und des Wall Street Journal. Der
Professor für Organisationspsychologie an
der Wharton School der Universität von
Pennsylvania unterscheidet drei grundsätzliche Interaktionsstile: Geben, Nehmen und
Tauschen. Der typische Nehmer versucht,
größtmöglichen Nutzen für sich zu erzielen.
Ein Tauscher dagegen gibt zwar, aber nur
wenn er dafür eine Gegenleistung bekommt. Geber dagegen geben erst einmal
rückhaltlos.
Im Privatleben ist das Geben durchaus
verbreitet. Doch viele Menschen, die im
Privatleben als Geber auftreten, verwandeln
sich im berulichen Kontext zu Tauschern,
sagt Grant. Diese Strategie sollten sie noch
einmal überdenken. Denn Grant verknüpft
unseren bevorzugten Interaktionsstil mit
einer Prognose über den zu erwartenden
Erfolg.
Seine Forschungen zeigen, dass Geber überproportional oft eine sehr gute „Leistungsbilanz“ haben, das heißt, im Arbeitsalltag
87
Bei Southwest Airlines
werden die Mitarbeiter
prämiert, die dabei
geholfen haben, gute
Arbeit zu leisten
Foto: Stephen M. Keller
produktiver sind und sowohl quantitativ als
auch qualitativ gesehen bessere Arbeitsergebnisse liefern (ebd.: S.17f.). Nehmer und
Tauscher dagegen landen oft im Mittelfeld.
Wer nun wissen möchte, zu welchem Stil er
sich selber zählen muss, kann dazu einen
Test zum eigenen Stil durchführen, unter
www.giveandtake.com.
Geben ist aber leider keine sichere Strategie
für alle Bedingungen, denn Geber inden
sich nicht nur an der Spitze, sondern auch
am unteren Ende der Erfolgsskala. „Geben
kann jederzeit inkompatibel mit Erfolg sein“,
sagt Grant (ebd., S.31). Und er speziiziert:
In Nullsummenspielen und Interaktionen,
bei denen es um Sieg oder Niederlage geht,
zahle sich Geben selten aus.
Wie sich eine Kultur des Gebens, die für
viele im Privaten schon geübt ist, in Unternehmen kultivieren lässt, zeigen bereits
erste Beispiele: Bei Southwest Airlines zum
Beispiel gibt es einen Preis für den „Agent
of the month“. Prämiert werden die Mitarbeiter, die anderen dabei geholfen haben,
gute Arbeit zu machen. Auch Google hat ein
Peer-to-Peer-Bonussystem, das Mitarbeitern
erlaubt, Dankbarkeit auszudrücken und
unterstützendes Verhalten von Kollegen zu
„entlohnen“. Die eigene Entlohnung kann
eingesetzt werden, um wiederum andere
anzuerkennen (Inc. 2014).
Aber das Leben sei in weiten Teilen kein
Nullsummenspiel, argumentiert er. „Unter
dem Strich ernten Menschen, die das Geben
als Hauptform der Reziprozität wählen, am
Ende Belohnungen“ (ebd.). Und: Geber
müssen ihr Verhalten modiizieren können.
Sobald sie ihre Aufgaben nicht mehr bewältigen können, sollten sie umschalten auf
Tauschen oder gar Nehmen.
88
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
PERSPEKTIVE 4
Kooperation als
Komplexitätsbewältigung.
Kybernetik und
Systemtheorie
Um Kooperation zu verstehen, braucht es
auch den Blick auf das „große Ganze“. Den
liefern Kybernetik und Systemtheorie. Sie
betrachten Zusammenhänge und Logiken
und richten den Blick auf den Umgang mit
Komplexität. Eine recht abstrakte Erklärung
für das Herausbilden neuer Vernetzungen
und damit potenzieller neuer Wirs bietet
zum Beispiel Ashbys Law. Es ist so etwas wie
ein ehernes Gesetz im Umgang mit komplexen Systemen und besagt: Ein komplexes
System muss mit ebenso komplexen Mitteln
behandelt werden (vgl. zum Beispiel www.
kybernetik.ch).
Übersetzt bedeutet das: Wenn ein System,
also zum Beispiel eine Organisation oder
ein Unternehmen, mit einer zunehmend
komplexen Umwelt konfrontiert ist, dann
reichen ,Standardantworten‘ nicht mehr aus.
Das System muss stattdessen ein vielfältiges
Repertoire an Strukturen entwickeln/generieren, die es erlauben, sich schneller an sich
verändernde Problemlagen anzupassen.
Konkret kann das bedeuten, in einer Firma
neue und ergänzende Organisationsformen
parallel zur klassischen Hierarchie zu
schafen, um „agil“, „luide“ und anpassungsfähig zu bleiben. Formuliert hat Ross
Ashby sein Gesetz bereits in den 1950er
Jahren. Als Kybernetiker befasste er sich
schon früh mit der Wissenschaft von der
Steuerung und Regelung von Systemen.
Heute erlangen seine Forschungen neue
Relevanz. Denn die an vielen Stellen entstehenden neuartigen „Wir-Konstruktionen“
könnte man als Antwort auf eine komplexe
Welt verstehen. Um Innovation zu fördern,
schneller am Markt reagieren zu können
oder vorhandenes Wissen lexibler einzusetzen, werden beispielsweise in Unternehmen parallel zur Linienorganisation
netzwerkartige Projektstrukturen eingeführt,
selbstorganisierte Subsysteme wie Arbeitskreise und Spezialeinheiten installiert und
bewusst die Vernetzung zwischen Unternehmens-Silos gefördert.
Die Komplexität im Außen wird somit
durch Komplexität im Innen gekontert und
beantwortet. Das erlaubt lexibles Handeln
und Innovation. Auch wenn als Nebenefekt
natürlich zusätzliche Komplexität durch den
exponentiell steigenden Kommunikationsbedarf entsteht.
Revolutionärer
Perspektivwandel
Eng verwandt mit der Kybernetik ist die
Systemtheorie. Auch sie hat in den letzten
Jahrzehnten unser Bild von der Welt stark
beeinlusst. Dahinter steht ein Perspektivwandel, der es verdient, als „revolutionär“
bezeichnet zu werden, sagt Fritz B. Simon,
Professor für Führung und Organisation an
der Universität Witten/Herdecke (Simon
2012). Die Welt wird aus systemtheoretischer Sicht nicht länger als eine Art
Maschine angesehen, die mit einfachen
Ursache-Wirkungs-Beziehungen arbeitet
und auf eindeutigen Kausalitäten aufbaut.
Jetzt rücken die Verknüpfungen in den
Blick: „Statt isolierter Objekte werden die
Relationen zwischen ihnen betrachtet“, so
Simon (ebd., S.12). Die Folgen eines solchen Weltbilds sind weitreichend. Lineares
89
DER HOMO SOCIALIS
Denken wird hinfällig; aus A folgt nicht
mehr unbedingt B. Das sprengt jegliche Art
von Planungs- und Kontrollideen. Einen
Steuermann, ob Politiker oder Manager, der
große Schife wie Gesellschaft oder Organisationen in vorhersehbarer Weise lenkt, gibt
es in dieser Betrachtungsweise nicht mehr.
Er (oder sie) wird stattdessen zu einer Art
„Ermöglicher“, der zwar Impulse setzen
kann, dann aber abwarten muss, wie das
„System“, also sein Unternehmen, Team o.ä.
reagiert. Die systemische Sicht der Welt ist
in Berater- und Managerkreisen zwar schon
an vielen Stellen etabliert. Der MainstreamLogik entspricht sie aber vielerorts noch
nicht.
Evolutionäre
Organisationsstrukturen
gewinnen
Für die Etablierung neuer Wirs in Politik,
Gesellschaft und Unternehmen bedeutet
das, dass sie sich nicht einführen, sondern
höchstens einladen lassen. „Organisationen
verändern sich nach evolutionären Prinzipien. Viele in der gängigen Managementliteratur verbreitete Vorstellungen von
Führung oder Change-Management müssen
daher über Bord geworfen werden“, sagt
Simon (2013: S.107f.). Wer Veränderungen
herbeiführen will, kann nur indirekt arbeiten. Dafür gilt es, althergebrachte Muster
bzw. Routinen zu unterbrechen, neue Variationen einzuführen – oder auch vollkommen
neue organisatorische Einheiten zu gründen
(ebd., S.110). Die zunehmende Vernetzung
kann sich dann in mehr Wir niederschlagen.
Beispiele wären ofene Kommunikation
zwischen verschiedenen Hierarchieebenen
über Intranets und Foren, ofene Formate
für den Austausch wie Barcamps oder
90
auch eine Task Force, die sich aus verschiedensten Ebenen und Bereichen rekrutiert.
Ob Führungskräfte mit zunehmender
Vernetzung aber wirklich eine neue Stufe
von Kollaboration zünden, hängt von den
inneren Dynamiken des Systems ab. Was in
einem Unternehmen funktioniert, kann in
einem anderen wirkungslos bleiben. Allein
aus diesem Grund lassen sich Elemente
aus Start-ups nur bedingt in die Kultur von
Großkonzernen übertragen.
Systemisches Denken hilft uns, ein besseres
Verständnis für die Prinzipien von Selbstorganisation zu entwickeln. Und es hilft uns,
Umfelder zu schafen, in denen kraftvolle
Wirs gedeihen können, die Antworten auf
die Anforderungen einer komplexen Welt
geben. An den Einzelnen stellt das hohe
Anforderungen: Hochvernetzte Strukturen
„verlüssigen“ sich, die Kommunikation
nimmt exponentiell zu, und Führung
kann ihre Orientierung gebende Funktion
verlieren; wie Manager und Mitarbeiter in
solchen Systemen arbeiten können, zeigen
wir im folgenden Kapitel.
Im Bestfall ergibt sich daraus ein Szenario
wie das, das der Unternehmensberater
Dr. Wolfgang Saaman skizziert: „Der Weg
von der Organisationsstruktur hin zum
Organisationssystem eröfnet eine Welt maximaler Anpassungsbeweglichkeit in einer
ließenden Organisation. Keine steifen
Stellenbeschreibungen, sondern kurzfristig
anpassbare Rollenskripte. Keine Aufgabendelegation oder Zielvereinbarungen,
sondern Netzwerke mit Rollenverantwortlichen, die aus der Identiikation mit ihrer
Verantwortung die richtigen Konsequenzen
ziehen“ (Organisation im Fluss – ein radikal
neuer Ansatz für die Zukunft, unter:
www.leistungskultur.eu).
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Führung
heißt,
andere
erfolgreich
machen
Dr. Wolfgang Saaman, Unternehmer und Autor
91
Das Neue entsteht
an den Rändern
BROKER
Innovation entsteht besonders
an den Rändern
eines Netzwerks
In in den Zentren der
Netzwerke wird Unte neenuu geschaffen und weitergegeben
BROKER
Personen, die Netzwerke überbrücken,
neue Kommunikationswege etablieren
und somit verschiedene Wissensressourcen zusammenführen
CENTRAL CONNECTOR
Menschen, die am besten vernetzt sind
und andere oft in Sachen Fachwissen
oder Entscheidungshilfe beraten
Quelle: University of Virginia, McKinsey
PERSPEKTIVE 5
Das Ich als Knotenpunkt von Beziehungen.
Netzwerkforschung
Um mehr von der Welt der Netzwerke zu
verstehen, hat sich in den letzten Jahren
eine ganz neue und eigenständige Wissenschaft ausgebildet: die Netzwerkforschung.
Sie hat sich zu einem interdisziplinären
und internationalen Forschungsprogramm
entwickelt. Soziologie, Ethnologie, Kognitionswissenschaften, Physik, Wirtschaftswissenschaft und andere Disziplinen
erforschen theoretisch und empirisch
Beziehungsgelechte zwischen individuellen
und kollektiven Akteuren aller Größe und
Art (Stegbauer/Häußling 2010, S.571; siehe
auch Watts 2004).
Die grundlegende Einsicht: Akteure
existieren weder eindimensional noch
isoliert. Sie sind vielmehr Knotenpunkte
in Netzwerken (vgl. ebd., S.57). Ihre Handlungsfähigkeit und ihr Einluss ergeben sich
maßgeblich aus ihrem Vernetzungsgrad
92
sowie aus ihrer Position im Netzwerk.
Obwohl man vielmehr von Positionen und
Netzwerken im Plural sprechen muss. Denn
jeder Einzelne gehört parallel zahlreichen
Netzwerken und somit mehreren ‚Wirs‘
gleichzeitig an.
Damit werden den Individuen unterschiedliche Handlungsspielräume und Entfaltungsmöglichkeiten eröfnet. Zugleich führt
das Vernetztsein aber auch zu Widersprüchen, Spannungen und Ambiguitäten. Etwa
in Bezug auf die eigene Identität: „Wer bin
ich und wenn ja wie viele?“ (Precht 2007)
lautet die paradigmatische Frage. Wie viele
Selbstbilder kann ich in Netzwerken am
Laufen halten und inszenieren?
Aktive Identitätsarbeit wird zu einer neuen
Aufgabe in netzwerkainen und netzwerkbedingten Zeiten (Schroer 2010). Außerdem
können Rollen- und Positionskonlikte entstehen, wenn sich verschiedene Netzwerke
und Positionen überschneiden. So muss
etwa ein Arzt lernen, mit unterschiedlichen
Erwartungen umzugehen, die etwa von
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Seiten des Krankenhauses, der Krankenversicherungen, seiner Patienten oder seiner
Freunde an ihn gerichtet werden. Angemessenes „Beziehungsmanagement“ (Holzer
2009, S.269) zu betreiben ist deshalb eine
zweite zentrale Anforderung, bei der sich
das Individuum die verschiedenen Verlechtungen bewusst machen muss. Dies wird im
Zuge technologischer Innovationen weiter
verstärkt, die bis dato eindeutige Grenzziehungen verschwimmen lassen: Kann ich
etwa meine Vorgesetzte auf Facebook ‚als
Freundin‘ anschreiben? Oder wirken sich
meine auf Facebook geposteten Fotos auf
andere von mir betriebene Netzwerke aus?
Das Neue entsteht an den
Rändern
Die Netzwerkforschung hat mittlerweile ein
diferenziertes Analyseinstrumentarium
entwickelt, um Netzwerke nach Dichte, Ausweitung und Qualität zu beschreiben und zu
diferenzieren. So unterscheidet sie zwischen starken und schwachen Beziehungen
(‚strong ties‘, ‚weak ties‘), einseitigen und
wechselseitigen Verbindungen (‚Kanten‘),
,Knoten‘ und ,strukturellen Löchern‘.
Eine wichtige Erkenntnis ist, dass sich
Neues weniger in den Zentren von Netzwerken, sondern vielmehr an seinen
Rändern entwickelt. Etwa, indem zwei
Netzwerke durch einen ,Broker‘ überbrückt
und neue Kommunikationswege etabliert
werden. Auf diese Weise werden verschiedene Wissensressourcen zusammengeführt. Burt (2004) zeigte in einer Studie
über ein größeres Elektrounternehmen,
dass die Überbrückung von ‚strukturellen
Löchern‘ – also Kommunikationsleerstellen
zwischen Abteilungen – innerhalb eines
Unternehmens kreative Prozesse begünstigt.
Die Akteure, die an den neu entstandenen
Schaltstellen saßen, konnten sich zudem
einen strategischen Vorteil im Vergleich
zum Rest der Belegschaft verschafen.
Je wichtiger und präsenter soziale Netzwerke werden, desto stärker treten auch
neue Dimensionen sozialer Ungleichheit
in den Vordergrund. Heruntergebrochen
könnte man sagen: ‚Wer hat, dem wird gegeben.‘ Kontaktchancen zwischen einzelnen
Knotenpunkten sind nicht gleich, sondern
ungleich verteilt (Holzer 2009, S.256).
Wie Barabási (2002) mithilfe mathematischer Modelle herausarbeitete, inden
Monopolisierungsprozesse statt, bei denen
sich diejenigen noch mehr vernetzen, die
ohnehin schon bestens vernetzt sind. Dabei
spielt insbesondere das Netz von ‚weak
ties‘ eine Rolle – also punktuelle Kontakte
zu Akteuren aus verschiedensten ‚Informationszirkeln‘ (vgl. Granovetter 1973). Dies
zeigt sich etwa an „kosmopolitischen Eliten“
(Beck 2004) wie der Digitalen Avantgarde,
wie sie das Sinus Institut (2013) ermittelt
hat. Diese seien „mental und geograisch
mobil“ und „online und oline vernetzt“
(ebd.).
Die Akteur-Netzwerk-heorie als eine
Spielart der Netzwerkforschung untersucht
nicht nur die Verbindungen zwischen
Menschen, sondern auch die zwischen
Mensch und Technik, die längst irreversible
Einheiten bilden (Latour 2010). Telefon,
Computer, Smartphones und Internet etwa
haben sich nicht nur mit unserem Denken,
Handeln, Spielen und Arbeiten verschaltet.
Sie beeinlussen auch, auf welche Weise wir
miteinander in Kontakt treten und welche
Form von Beziehungen wir aufbauen (hielmann/Schüttpelz 2013).
Andersherum bestimmt die Art, wie wir
uns kulturell etwas aneignen, auch darüber,
93
DER HOMO SOCIALIS
wie Technik weiterentwickelt wird. Technik
und Menschen stehen somit in direkter
Wechselwirkung und bilden in ihrem
Zusammenspiel neue Formen von Sozialität
aus. Wenn wir also über neue ‚Wir‘-Formen
nachdenken, dann müssen wir über die Individuen hinaus auch materielle Vermittler
wie Technik einbeziehen.
Wie lässt sich Kooperation
fördern?
Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem Internet und dem menschlichen
Geist beschäftigt auch den in Yale forschenden Medizin- und Soziologieprofessor
Nicholas A. Christakis. Bekannt wurde
er 2011 durch sein zusammen mit James
Fowler publiziertes Buch „Connected: he
Surprising Power of Our Social Networks
and How hey Shape Our Lifes“. Christakis
interessiert sich in seinen Forschungen vor
allem dafür, welche tiefen Beziehungen es
zwischen der Struktur eines sozialen Netzwerks und menschlichem Verhalten gibt.
Gemeinsam mit David Rand und Sam
Arbesman experimentierte Christakis
damit, bis zu welchem Grad man die
menschliche Grundtendenz zur Kooperation bewahren kann. Lässt man in einem
Netzwerk nämlich einfach alles laufen, so
die Erfahrung, kehren selbst kooperationswillige Teilnehmer schnell wieder zu
Eigennutz zurück. Viele stellen ihre eigene
Kooperation in Frage und beenden aus
Angst, dass andere sie übervorteilen, die
Zusammenarbeit. Die Mitspieler reagieren
schnell genauso – so dass in kurzer Zeit gar
niemand mehr kooperiert.
In einem Experiment rekrutierten sie
deshalb gegen Bezahlung Mitspieler über
94
die Online-Plattform Amazon Mechanical Turk. Die Mitspieler wurden dann in
verschiedene virtuelle Welten eingeladen.
In einer wurden sie rein zufallsgesteuert
in ein Netzwerk eingebunden. Obwohl zu
Beginn rund 65 Prozent von ihnen kooperierten, brach die Kultur von Kollaboration
innerhalb kürzester Zeit in sich zusammen.
Denn die Probanden konnten nicht kontrollieren, wer ihre „Nachbarn“ waren. In
der anderen Variante dagegen bekamen die
Mitspieler die Erlaubnis, den Kontakt zu
Mitspielern abzubrechen, die sie über den
Tisch gezogen hatten – und den Kontakt zu
den Mitspielern zu verstärken, die mit ihnen
kooperiert hatten. In dieser Variante des
Experiments gedieh die Kultur der Kooperation auch über die Zeit hinweg. Das Fazit
der Forscher: In einem Umfeld, in dem man
Menschen erlaubt, ihre sozialen Bindungen
zu steuern und aktiv auszubilden, kann
Kooperation sich durchsetzen.
Wie geht es weiter
mit dem Wir?
Was folgt nun aus all den Experimenten
und Erkenntnissen der Wissenschaftler
unterschiedlichster Couleur? Mit Blick auf
die ganz reale Aufgabe als Unternehmen,
Organisation oder auch als Einzelne, unsere
Zukunft zu gestalten und dafür mit mehr
Wir experimentieren zu wollen, können wir
folgende Schlüsse ziehen:
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Trend-Learning
1. Kooperation scheint ein natürliches menschliches Verhalten zu
sein. Oder wie es der Hirnforscher
Manfred Spitzer bei einem Vortrag
über soziale Neurowissenschaften
im September 2014 beim Symposium „turmdersinne“ formulierte:
„Dass die Menschen besser als ihr
Ruf zu sein scheinen ist nur eine
der wichtigen neuen Erkenntnisse,
die es in unser Menschenbild und
unsere Institutionen einzugliedern
gilt.“ Die Weiterentwicklung unserer Weltbildes ist also wichtige
Basisarbeit.
2. Kooperationsbildung hängt von
den Umweltbedingungen ab. Es
macht einen wesentlichen Unterschied, ob die Kooperationspartner
bekannt oder unbekannt sind und
ob man sie sich aussuchen bzw. iltern kann. Eine gemeinsame Kultur
ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor
für Kooperationen. Ressourcen zu
investieren, um sie zu entwickeln,
macht daher viel Sinn.
3. Besonders in wettbewerbsorientierten Umfeldern (wie in Unternehmen) lassen sich Wir-Formate
nicht installieren, sondern höchstens einladen. Dafür muss sich
auch unser Blick verändern: Statt
den Einzelnen zu beobachten,
geht es darum, den Fokus auf die
Beziehungen und Vernetzungen
zu erweitern. Welche informellen
Verbindungen bestehen – und
welche davon wachsen? Welche
Abteilungen und Ebenen in einem
Unternehmen stehen (noch) nicht
miteinander im Austausch? Welche
Überschneidungen und ggf. Rollenkonlikte ergeben sich damit
an stark frequentierten Knotenpunkten, d.h. besonders vernetzten
Positionen?
4. Einladungen zum Wir müssen
auf mehreren Ebenen erfolgen.
Dazu gehören Rituale, die Zusammenarbeit fördern, aber auch Orte
für (informelles) Beisammensein.
Im besten Fall sind diese informellen Ebenen mit den formellen
widerspruchsfrei gekoppelt: Boni
würde dann der erhalten, der zum
Wir beiträgt und nicht nur Einzelerfolge erzielt.
Funktionierende Wirs sind also voraussetzungsreiche und komplexe
Gebilde, die mehr brauchen als
rein technische Vernetzung. Um
sich vom „Enterprise 2.0“-Unternehmen zu einem „kollaborativen
Hub“ zu entwickeln, müssen Bewusstseinsprozesse, Entwicklungsimpulse und Feedbackschleifen
gefahren werden. Wie das gelingen
kann, zeigt das folgende Kapitel.
95
DER „WIR“IMPERATIV
To-dos für die Zukunft.
Für Macher und Umsetzer
96
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Mehr „Wir“ wird zur Grundlage eines neuen Innovationsund Arbeitsansatzes. Was aber ist zu tun, um aus Zufällen
oder Einzelaktionen ein Wir-getriebenes Unternehmen zu
machen? Ansätze für eine Wir-Gesellschaft der Zukunft.
Die Liste von „Wir-Initiativen“ ist lang: Es
werden Dialoge und Barcamps in Organisationen eingeführt, Vernetzung über Silos
hinweg erprobt, gemeinsame Lernreisen
gestartet, mit Open Innovation experimentiert und Kundenforen eingeführt. Viele der
Initiativen führen jedoch nicht zum Ziel,
jedenfalls nicht wie gedacht. Der Dialog
erreicht die Mitarbeiter nicht. Open Innovation scheitert an der alten Gewohnheit,
das eigene Wissen für sich zu behalten,
und Co-Producing löst Kommunikationslawinen aus und fordert einen Grad von
Transparenz, den man nicht zuzulassen
bereit ist. Eine Ökonomie der Kollaboration
ist an vielen Stellen ein frommer Wunsch,
der die gewachsene Struktur traditioneller
Unternehmen oft überfordert und von
Mitarbeitern Kompetenzen erwartet, die sie
nicht haben. Wie also kommen wir zu mehr
Wir-Kompetenz? Wie können sich gute Wirs
entwickeln? Wie lernen wir, gemeinsam
zu lernen – in Organisationen und als
Individuen?
Punkt 1: Mehr Wir verspricht zwar Innovation und Schnelligkeit, braucht aber auch
Investitionen. Da drängt sich schnell die
Frage auf: Lohnt sich das? Sollten wir wirklich kollaborativer werden – oder ist es nicht
kräftesparender, im alten Stil weiterzuarbeiten? Dass wir uns mehr Kollaborationskompetenz aneignen müssen, davon ist
Terry Young, Gründer und CEO der Innovationsagentur Sparks & Honey, überzeugt.
Er sieht die kollaborative Ökonomie als
Blaupause für die Zukunft.
97
TO-DOS FÜR DIE ZUKUNFT
Was wir gerade erleben, meint er, sei erst der
Anfang. Die kollaborative Ökonomie stecke
noch in den Kinderschuhen, sie sei heute
gerade einmal so weit entwickelt wie Social
Media vor zehn Jahren. Am Horizont sieht er
deswegen schon einen neuen Prototyp von
Mitarbeiter entstehen, der sich in der kollaborativen Ökonomie gut bewegen kann. Er
ist beziehungsstark, ankopplungsfähig und
kommt gut in Gemeinschaftskonstrukten
zurecht. Dass das Eigenschaften sind, die
längst nicht alle haben, ist Young klar. Daher
sieht er einen Gap entstehen zwischen
denen, die aktiv an der kollaborativen Ökonomie teilnehmen, und denen, die das nicht
tun (siehe Young 2013).
Dass die Fähigkeit zur Vernetzung und Ankopplung an viele Schnittstellen eine wichtige Zukunftskompetenz ist, glaubt auch
Ursula Schwarzenbart. Sie verantwortet das
Talent Management bei der Daimler AG
und ist Chief Diversity Oicer des Konzerns.
Im Interview mit dem Online-Magazin Saal
Zwei sagt sie: „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die unsere Unternehmen in Zukunft
gestalten sollen, brauchen vor allem eines:
Matrix-Fähigkeit.“ Denn Organisationen
werden ihrer Ansicht nach zunehmend
mehrdimensional. Mitarbeiter haben mehrere Weisungsbeziehungen und zusätzlich
noch einen Chef im eigenen Bereich. Das
notwendige Wissen und die nötige Flexibilität und Gewandtheit könne keiner mehr
alleine aufbringen. Diese Aufgaben sind nur
in Hochleistungs-Teams zu lösen: Teams,
die gemeinsam ein Potenzial bilden, das
größer ist als die Summe aller Individuen
(Schwarzenbart 2014).
Den Umschwung vom „Egosystem-Bewusstsein“, konzentriert auf das Eigenwohl, zum
„Ökosystem-Bewusstsein“, ausgerichtet
98
auf das Wohl aller, das Gemeinwohl, hält
auch MIT-Forscher Otto Scharmer für
absolut notwendig. „Wenn wir aus einem
Egosystem-Bewusstsein heraus handeln,
werden wir von den Interessen und Zielen
unseres kleinen Ego-Selbst gesteuert. Wenn
unser Handeln auf einem ÖkosystemBewusstsein basiert, dann werden unsere
Impulse von unserem werdenden oder
höheren Selbst angetrieben – das heißt,
von einem Interesse, das sich am Wohl des
Ganzen orientiert“, schreibt er in seinem
neuen Buch „Von der Zukunft her führen –
von der Egosystem-Wirtschaft zur Ökosystem-Wirtschaft“ (Scharmer/Käufer 2014).
Der Autor und Gründer des „Presencing
Instituts“ entwickelt damit seine „heory
U“ weiter, mit der er seit Jahren als Berater
arbeitet. Einer ihrer Kernpunkte ist, dass
es eine andere Bewusstheit braucht, um
von der Zukunft her führen zu können und
sich tatsächlich neu aufzustellen: das sogenannte „Presencing“. Das Wort setzt sich
aus den englischen Begrifen „presence“
(Anwesenheit) und „sensing“ (fühlen)
zusammen und beschreibt einen inneren
Zustand von Bewusstheit, in dem sich Potenziale und Zukunftschancen gemeinsam
erkennen und erschließen lassen.
Fähigkeiten für die
Netzwerkökonomie
Punkt 2: Für die Netzwerkökonomie muss
sich neben Organisationen und Teams auch
jeder Einzelne neu aufstellen. Denn die
mentale und emotionale Software aus dem
Industriezeitalter mit seinen Hierarchien
gerät an ihre Grenzen, wenn es um die
Ofenheit, Transparenz und das notwendige Co-Creating in vernetzten Strukturen
geht. Wovon müssen wir also mehr lernen?
Kooperation, Kollaboration und
Sharing sind im privaten Leben
weit verbreitet. Die kollaborative Ökonomie hingegen steckt
noch in den Kinderschuhen.
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
99
Foto: Flickr, Kevin Krejci, CC-BY-2.0
TO-DOS FÜR DIE ZUKUNFT
Daniel H. Pink schrieb schon 2008 in seinem
Buch „Unsere kreative Zukunft: Warum und
wie wir unser Rechtshirnpotenzial entwickeln müssen“: „Die Zukunft gehört einer
anderen Sorte Mensch, mit anderer Denkweise; Gestaltern und Empathikern, Mustererkennern und Sinnstiftern“ (ebd., S.11).
Die sechs Fähigkeiten, von denen berulicher Erfolg und persönliche Zufriedenheit
in immer stärkeren Maß abhängen, sind für
ihn Design, Erzählkunst, Symphonie, Empathie, Spiel und Sinn. Zwar schreibt er das
nicht speziisch für die Netzwerkökonomie,
aber die hier aufgelisteten Fähigkeiten für
Kollaborativ-Arbeiter klingen sehr ähnlich.
WIR-REGELN 1
Differenzierte Selbstwahrnehmung entwickeln
Die Herausforderung: Kommunikation
ist der Rohstof der Netzwerkökonomie.
Sich mit anderen zu verbinden, Koalitionen
einzugehen, gemeinsam schnell auf den
Punkt zu kommen – auch über Status- und
Hierarchiegrenzen hinweg – ist unabdingbar.
Wer in seinem Arbeitsleben in traditionell
hierarchischen Strukturen aufgewachsen
ist, hat das oft anders gelernt und eher
taktisches Vorgehen und politisch versiertes
Karrieredenken geübt. Je mehr Koalitionen,
Kooperationen und Co-Aktivitäten es in
Zukunft gibt, desto klarer muss die eigene
Kommunikation werden. Die Grundvoraussetzung dafür ist eine gute Selbstwahrnehmung sowie ein kongruentes Selbst- und
Fremdbild.
Das Lernfeld: Speziell Führungskräfte
brauchen ein hohes Maß an Selbstkenntnis und Selbstrelektion. Das ist in der
100
Vernetzungsdichte des 21. Jahrhunderts
noch wichtiger geworden. Das sagt Manfred
Kets de Vries, Professor für Leadership Development & Organisational Change an der
Kaderschmiede INSEAD in Fontainebleau.
Manager müssen seiner Ansicht nach ein
hohes Maß an Bewusstheit darüber haben,
warum sie handeln, wie sie handeln, wie
ihr Verhalten andere beeinlusst und wie
es von ihnen wahrgenommen wird (Kets de
Vries 2014). Dass Führungskräfte vermehrt
an ihrer persönlichen Entwicklung arbeiten
müssen, um für die Welt von morgen
gewappnet zu sein, glaubt auch Berater
Barret Brown. Für seine Studie „he Future
of Leadership for Conscious Capitalism“ hat
er vor allem mit denjenigen gesprochen, die
sich mit komplexen Veränderungsprozessen
beschäftigen. Viele von ihnen haben längst
erkannt, dass das Gelingen ihrer Aufgabe vor
allem eine Grundlage hat: Ich muss mich
selbst verändern. Managern, die so arbeiten,
ist es auch ein Anliegen, andere in ihrer
Transformation zu unterstützen (Brown
2014).
Die eigene Wahrnehmungskapazität in
Bezug auf sich selbst und die Umwelt
auszubauen und bewusst zu entwickeln ist
auch ein hema bei der Welle der „Achtsamkeitstrainings“, die gerade durch die Wirtschaft läuft. Ein Beispiel ist das Netzwerk
Achtsame Wirtschaft, das Schüler des ZenMeisters hich Nhat Hanh gegründet haben
(achtsame-wirtschaft.de). „Gemeinsam eine
achtsamere Wirtschaft zu schafen, jeder an
seinem Platz und mit seinen Talenten, dazu
lädt das Netzwerk Achtsame Wirtschaft ein“,
heißt es auf der Website. Und: Achtsamkeit ist kein Konzept oder „Tool“. Es ist ein
Geisteszustand, der unsere Perspektive auf
die verschiedensten Prozesse des Wirtschaftens umfassend verändern kann.
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Praxis-Check: Eine komplexe Welt
braucht andere Führungskräfte mit neuen
Fähigkeiten. Wer sich nicht entwickelt, fällt
heraus. Doch trotz aller Anstrengungen von
Veränderungsagenten, internen Beratern
und Personalentwicklern bleibt in vielen
Organisationen alles beim Alten – solange
die Zahlen stimmen. Denn Selbstwahrnehmung, Selbstrelektion und die Arbeit
am eigenen Ich ist nicht für jeden attraktiv.
Vor allem dann nicht, wenn einem nicht
gefällt, was man in sich entdeckt. Besonders
narzisstisch inizierte Manager, Organisationen und Unternehmen stehen dem hema
persönliche Weiterentwicklung deswegen
kritisch gegenüber.
WIR-REGELN 2
Empathie – die Kunst
des Einfühlens üben
Die Herausforderung: Mit je mehr
Welten man bei Kooperationsprojekten
und Kollaborationen in Kontakt kommt,
desto besser müssen die eigenen Fähigkeiten zur Ankopplung werden. Für sinnvolle Zusammenarbeit muss es möglichst
schnell gelingen, die Kommunikations- und
Entscheidungskontexte der anderen zu
erfassen und zu verstehen. Auch das ist
kein Skill, der im klassischen Unternehmen
gelernt wird. Im Gegenteil. Rekrutiert wird
dort trotz aller Diversity-Beschwörungen oft
nach dem Prinzip der Selbstähnlichkeit: In
der Organisation ist genau der Typ Mensch
willkommen, den es dort schon immer gab.
Die Unternehmenskultur bleibt damit stabil,
die Fähigkeit zur Anpassung an andere
und fremde Denk- und Handlungsmuster
dagegen unterentwickelt. Einfühlung und
Empathie müssen dann erst gelernt werden.
Das Lernfeld: Empathie lässt sich naturwissenschaftlich beobachten. Da ist dann
von Spiegelneuronen die Rede, die Resonanzen auf das Fühlen und Wollen anderer
Menschen erzeugen. Oder es lässt sich als
trainierbarer Skill verstehen („Empathietrainings“). Zuhören kann dabei durchaus
die erste Stufe von Empathie sein – vorausgesetzt, es geht nicht um ein „Herunterladen“ bestehender Muster und Urteile („ja,
ja, ich weiß schon“) oder um rein faktisches
Zuhören, sondern um „empathisches
Zuhören“. Das ist die Fähigkeit, sich in die
Rolle des Gesprächspartners zu versetzen.
Man hört von einem anderen inneren Ort
aus zu – und der Fokus verschiebt sich von
Dingen und Fakten (der „Es-Welt“) hin zum
lebenden und sich entwickelnden Selbst
(der „Du-Welt“). Man „erspürt“ den Punkt,
aus dem heraus der andere handelt (Bertelsmann-Stiftung o.J.).
Wie das geht, erforscht die Soziale Neurowissenschaft. „Man untersucht nicht mehr,
wie der Einzelne fühlt und denkt – sondern
wie das Gehirn weiß, was andere fühlen und
denken“, sagt Tania Singer, Direktorin des
Max-Planck-Instituts für Kognitions- und
Neurowissenschaften in Leipzig (Heuser
2013).
„Wenn zum Beispiel im Laufe ökonomischer Geldspiele jemand unfair spielt oder
wenn jemand nicht zur eigenen, sondern zu
einer fremden Gruppe gerechnet wird, und
diese Personen nun Schmerzen erleiden,
zeigt sich eine verringerte mitfühlende
Reaktion im Gehirn.“ Empathie, so weiß sie,
lässt sich gut üben: „Bei Erwachsenen (kann
man) Mitgefühl trainieren, was mit einer
Steigerung des Wohlbeindens … einhergeht.“ Das reduziert dann auch Stress. Am
hema geforscht hat Singer unter anderem
101
Führung meint:
Eine Welt so zu
gestalten,
dass andere ihr
gern angehören
möchten.
Daniel F. Pinnow, Führungsexperte und Autor
102
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
mit dem Workshop „How to train Compassion“, der 2011 im Studio des bekannten
Künstlers Olafur Eliasson in Berlin stattfand.
Von Psychotherapeuten über buddhistische
Mönche bis hin zu Künstlern kamen damals
Menschen mit unterschiedlichsten Blickwinkeln zusammen, um Mitgefühlstraining
in all seiner Relevanz für unsere heutige
Zeit und in verschiedensten Bereichen zu
diskutieren (www.compassion-training.org).
Natürlich gibt es auch für das Entwickeln von Empathie schon eine App:
20daystranger.com heißt sie. Entwickelt
haben sie die Forschungsgruppe des MIT
Media Lab „Playful Systems“ und das MIT
Dalai Lama Center for Ethics and Transformative Values. Zwei Fremde teilen miteinander Eindrücke aus ihrem Leben und
bleiben doch anonym. 20 Tage lang sehen
sie, wohin der andere geht, was er macht
und was ihn beschäftigt.
Vor zu viel Hofnung in Bezug auf Empathie
warnt dagegen Jan Slaby (2014), Philosoph
an der Freien Universität Berlin. Außer in
sehr einfachen Fällen sei das empathische
Perspektivenwechseln einfach unmöglich
(Slaby 2014, siehe auch Lenzen 2014). Schon
die eigenen Gedanken durch Introspektion zu erkennen sei sehr beschränkt, die
eines anderen durch einen empathischen
Perspektivenwechsel zu entdecken fast
unmöglich.
Empathie sei insofern kein Erkenntniswerkzeug, sondern eine soziale Praxis. Es
gehe nicht darum, sich über den anderen,
sondern sich mit ihm zusammen Gedanken
zu machen (ebd.). Wenn Empathie aber
eine soziale Praxis ist, muss sie gelernt und
entwickelt werden. Rituale und Orte des
empathischen Miteinanders müssen dann
systematisch ins Unternehmen implementiert werden, damit diese Praxis zur alltäglichen Erfahrung und Realität wird.
Dass man Empathie so früh wie möglich
erlernen sollte, inden Daniel Golemann,
Autor von „Emotionale Intelligenz“ und
„Soziale Intelligenz“, und Peter Senge, Organisationsberater und Autor von „Die fünfte
Disziplin“. In ihrem neuen gemeinsamen
Buch „he Triple Focus: A New Approach
to Education“ (2014) fordern sie, dass man
Kindern möglichst früh Selbstwahrnehmung und Empathie beibringen müsse. Das
resultiere in besseren schulischen Leistungen, schnellerer persönlicher Entwicklung und besseren Beziehungen. Der dritte
Fokus liegt für sie übrigens darin, zu lernen,
ein gutes Verständnis für den größeren
Kontext zu entwickeln, in dem man agiert.
Praxis-Check: Empathie war – und ist in
den Köpfen vieler traditioneller Führungskräfte noch immer – eine Fähigkeit, die
sich nur Schwache aneignen müssen. Alle
anderen haben die Macht, ihre eigenen
Vorstellungen durchzusetzen. Doch die alte
Wirklichkeit bekommt Risse. Führungskräfte sollen beim Coach Einfühlungsvermögen lernen, Recruiter suchen bei der
Einstellung vermehrt nach Menschen mit
einer „Attitude“ statt nur mit guten Fachkenntnissen, und Personalentwickler haben
zunehmend ein Auge auf die Ankopplungsund Kontaktfähigkeit derjenigen, die in
Zukunft mehr Verantwortung tragen sollen.
Während viele Sozialunternehmer, MikroEntrepreneure und Mitarbeiter in der neuen
Netzwerkökonomie davon leben, sich
schnell und gut auf andere Welten einstellen
zu können (und zu wollen), herrscht in
traditionellen Unternehmen oft noch das
Motto „Ober sticht Unter“.
103
Klassisches Modell
der Innovation
UNTERNEHMEN
Quelle: Zukunftsinstitut
MARKT
Umsetzungsentscheidung
Forschung
Entwicklung
Zeit
WIR-REGELN 3
Vertrauen in den ZwischenRaum gewinnen
Die Herausforderung: Wir-Vertrauen
ist nicht einfach. Ob beim selbstgesteuerten Lernen in Communities of Practice,
Mentoring-Beziehungen, frei verfügbarer
Arbeitszeit, um im Team neue Projekte
anzuschieben, oder Open Innovation über
die Unternehmensgrenzen hinweg: Wann
immer Verantwortung an selbstorganisierte
„Wir-Konstrukte“ übergeben wird, wächst
zunächst die Unsicherheit.
Je mehr Kontrolle man abgibt, desto mehr
Fluss und Innovation kann entstehen.
Gleichzeitig hat man es mit ergebnisofenen
Prozessen zu tun, die oft keinen klaren
Verantwortlichen mehr haben. Das steht im
Widerspruch zur klassisch ökonomischen
Logik, die eine eindeutige Zurechenbarkeit
von Gewinn und Verlust fordert und persönliche Zuständigkeiten braucht. Solange
104
aber nur der eigene Umsatz zählt, machen
sinnvolle Initiativen, wie zum Beispiel das
in vielen Unternehmen geforderte „Cross
Selling“, also das Verkaufen von Produkten
und Dienstleistungen anderer Bereiche,
nur bedingt Sinn. Das Denken in größeren
Bezügen lohnt sich schlicht und einfach
nicht – und das Scheitern von Gemeinschaftsinitiativen ist vorprogrammiert. Was
wir deshalb alle gemeinsam entwickeln
müssen, ist Vertrauen in die Intelligenz des
Wir – allerdings kein blindes.
Das Lernfeld: Vertrauen ist ein messbarer
ökonomischer Erfolgsfaktor, sagt Stephen
Covey in seinem Buch „Schnelligkeit durch
Vertrauen – Die unterschätzte ökonomische Macht“ (2010, S.27). Und dabei geht
es nicht nur um Soft Factors: Charakter,
Integrität und die Motive, die man anderen
gegenüber hegt. Vertrauen, so Covey, muss
auch auf Kompetenz beruhen. Niemand
vertraut jemandem, der keine Ergebnisse
bringt (ebd., S.45).
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Open-InnovationPrinzip
Quelle: Zukunftsinstitut
Freie
Version
CommunityInput
Externe
Entwicklung
UNTERNEHMEN
Beta-Version
MARKT
PatentEinkauf
Forschung
In Bezug auf Wir-Konstruktionen gilt das
ganz besonders, denn ein ofener und vertrauensvoller Umgang mit dem Wir muss
gelernt werden. Der Kodex der „OpenSource-Welt“ und reale Projekterfahrungen
können dieses Lernen beschleunigen – und
kulturverändernd wirken.
Denn kollaborative Ansätze brauchen jede
Menge Transparenz und Freigiebigkeit
von Informationen; außerdem fördern sie
Verantwortung, denn meistens entscheiden
die, die am meisten beitragen. Das sind für
viele Organisationen ungewohnte Spielregeln. In Open-Innovation-Projekten lassen
sie sich gut studieren. IBM zum Beispiel
instruierte seine Ingenieure in einem
Open-Source-Projekt erst einmal, ein paar
Wochen zu „lurken“, also passiv zuzuschauen, bevor sie aktiv wurden. Sie sollten
die Kultur der Online-Community, an der
sie sich beteiligen wollten, erst einmal
verstehen und deren implizite und explizite
Regeln erlernen (Gabor 2009).
Umsetzungsentscheidung
Lizenz für
Weiterverwendung
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Entwicklung
Zeit
Vertrauen ins Wir entsteht auch daraus,
dass man mehr darüber lernt, wie man
die Potenziale von Gruppen hebt und ihre
Intelligenz anzapft. Denn es gibt tatsächlich
so etwas wie eine „Gruppenintelligenz“,
die sich messen lässt. Das sagt der MITForscher homas Malone, der dort auch
das Center for Collective Intelligence leitet.
Die Gruppenintelligenz ist jedoch nur
schwach geprägt von der Intelligenz der
dazugehörigen Menschen. Eine Gruppe
schlauer Menschen ist gemeinsam nicht
unbedingt schlau. Drei Dinge, so fand das
Forscherteam um Malone heraus, heben
die Potenziale einer Gruppe, so dass sie
intelligent wird.
Erstens ist das der Grad an sozialer
Wahrnehmungsfähigkeit. Gemessen
wurde das mit einem Test, bei dem man
Augen anderer Menschen sieht und einschätzen muss, was sie fühlen. Je mehr
Leute in der Gruppe diese Fähigkeit hatten,
desto intelligenter war sie.
105
TO-DOS FÜR DIE ZUKUNFT
Zweitens korreliert die Gruppenintelligenz
damit, ob sich die Mitglieder zu etwa
gleichen Teilen an gemeinsamen
Diskussionen beteiligt haben. Wenn nur
ein oder zwei Mitglieder die Gruppe dominierten, war sie weniger schlau.
im postheroischen Zeitalter angekommen.
Die Motivation für Führung besteht nur
allzu oft noch darin, etwas Besonderes zu
sein und sich eine herausgehobene Stellung
zu verschafen. In Deutschland allerdings
scheint sich das Blatt langsam zu wenden.
Eine signiikante Korrelation gab es auch
zwischen der Gruppenintelligenz und dem
Anteil der Frauen. Das hängt allerdings
damit zusammen, dass die Frauen eben
auch diejenigen sind, die im Allgemeinen
eine geschultere soziale Wahrnehmungsfähigkeit haben (Malone 2013).
Das Bundesministerium für Arbeit und
Soziales (BMAS) beauftragte unlängst eine
Studie zu „Guter Führung“. Prof. Peter Kruse
und sein Team von nextpractice befragten
dazu 400 Führungskräfte. Das Ergebnis: „Sie
hadern mit einer Kultur, die aus ihrer Sicht
zu sehr auf hierarchischen Vorgaben und
strikter Kontrolle beruht, in der Macht- und
Gewinnstreben zu stark im Mittelpunkt
steht“, schreibt Die Zeit im Oktober 2014
unter dem Titel „Macht Euch locker!“ Doch
so einig man sich in der Kritik ist, so uneinig
ist man sich in Bezug auf eine gemeinsame
Vision. Die Vorstellungen von guter Führung gehen noch weit auseinander, zitiert
Die Zeit aus der Studie.
Führungskräfte, die die Intelligenz der
Gruppe hervorlocken wollen, müssen
allerdings mehr als nur vertrauen. Sie sind
gefordert, sich selbst in einem neuen Licht
zu sehen und ihre eigene herausgehobene
Rolle in Frage zu stellen. Führungskräfte
sind in neuen Organisationen unwichtiger und wichtiger zugleich, formuliert es
Frederic Laloux, Ex-McKinsey-Berater, der
2015 sein Buch „Reinventing Organizations“
herausbringt. Zum einen, so Laloux, sind sie
leichter wegzudenken, weil das System auf
mehr Personen ruht als nur auf der einen
Spitze und sie Prozesse der kollektiven
Intelligenz mittragen und sich beteiligen
müssen.
Zum anderen spielen sie eine wesentliche
Rolle, da sie ständig den Raum schafen
und wahren müssen, damit diese Praktiken ihren Platz inden. Persönlich ist das
eine herausfordernde Arbeit: „Für Führungskräfte stellt sich die Frage, wie sehr
sie ihr Ego im Grif haben, wie angstfrei
sie generell sind und wie viel Kontrolle sie
bereit sind aufzugeben“ (Laloux 2014). Für
viele ist das eine immense Herausforderung,
denn der Mainstream ist noch längst nicht
106
Praxis-Check: Es gibt ökonomische Argumente gegen mehr Wir in Unternehmen, die
nicht von der Hand zu weisen sind. Das hat
mit der Verantwortlichkeit für Ergebnisse
zu tun. Welche Kostenstellen zahlen Integratoren oder Konnektoren? Wer traut sich,
in die Verantwortung zu gehen für kollaborative, ergebnisofene Prozesse? Und was
passiert, wenn es nicht so läuft wie erwartet?
Die Angst vor Kontroll- und Machtverlust ist
nachvollziehbar und lässt sich nicht einfach
wegwischen. Ein guter Grund, warum es
in traditionellen Unternehmen in Sachen
Kollaboration in der Realität oft nur bei
Lippenbekenntnissen bleibt. Der Umgang
mit Unsicherheit im Management ist nicht
geübt. Wahrscheinlich brauchen wir da für
die Zukunft noch ein bisschen Chaoskompetenz und Lust am Experimentieren.
Was eine Gruppe schlau macht
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
SOZIALE
WAHRNEHMUNGSFÄHIGKEIT
Menschen, die kontaktfreudig sind und offen auf
andere zugehen, sowie Gefühle und Reaktionen
anderer gut einschätzen können, tragen wesentlich zur Gruppenintelligenz bei.
GLEICHSTELLUNG
Die Gruppe ist schlauer, wenn alle Mitglieder an
gemeinsamen Diskussionen gleichberechtigt
teilnehmen können. Wenn hingegen ein oder
zwei Mitglieder die Gruppe dominieren, ist die
Gruppenintelligenz niedriger.
ANTEIL DER FRAUEN
Frauen verfügen im Schnitt über eine
ausgeprägtere soziale Wahrnehmungsfähigkeit und sind somit ein wichtiger
Faktor für Gruppenintelligenz.
NEUE FÜHRUNGSKRÄFTE
Es geht nicht nur um die Abgabe von
Kontrolle: Führungskräfte haben die
Aufgabe, ständig Raum zu schaffen und zu
wahren, damit die Wir-Praktiken in
der Gruppe genügend Platz erhalten.
107
TO-DOS FÜR DIE ZUKUNFT
WIR-REGELN 4
Vernetzungskraft stärken
Die Herausforderung: Wenn der Chef
nicht mehr der Anführer ist, sondern stärker
in seiner Funktion als Gastgeber, Moderator und Vernetzer gefragt ist, bekommt
er neue Verantwortlichkeiten. Er muss
Gelegenheiten und Rahmen für sinnvollen
Austausch und konstruktive Konfrontation
schafen. Das sind nicht nur physische Orte
und Events, sondern auch „Safe Places“
im psychologischen Sinn. Kreise, in denen
man ofen, ohne Sanktionen und ohne
Konkurrenz im Nacken sprechen kann und
in denen auch mal Emotionen und gemeinsames Nicht-Wissen Platz haben.
Das Lernfeld: Eine reine Macher-DNA,
wie im Industriezeitalter üblich, ist für eine
Gastgeberfunktion eher hinderlich. Es geht
nicht nur darum, selbst zu pushen, sondern
die vorhandenen Kräfte zu orchestrieren
und intelligent zu verbinden. „Es gibt bei
uns den starken Wunsch nach Settings,
die Vernetzung ermöglichen, und zwar
nicht nur auf der Sachebene“, berichtet
eine interne Organisationsentwicklerin
aus der Automobilbranche. Dort bemüht
man sich, Organisationsformen so anzulegen, dass man gezwungen ist, mehr
zusammenzuarbeiten.
Das ist kein Einzelfall. So mancher
Change-Prozess nimmt den bisherigen
„Landesfürsten“ in Unternehmen ihre angestammten Herrschaftsbereiche weg und
würfelt sie bewusst durcheinander, mit all
dem Widerstand, der daraus entsteht. Mehr
Vernetzung ruft daher auch nach einem
neuen Prototyp von Führungskraft. Integer,
emotional intelligent und authentisch, diese
108
Art of Hosting in Montreal
Eigenschaften suchen zumindest manche
Personalentwickler inzwischen bei denen,
die als High Potentials eingestuft werden.
Doch nicht nur für den Gastgeber ist mehr
Wir eine Herausforderung, auch die Mitarbeiter zögern, wenn es um mehr Dialog,
mehr Vernetzung und mehr Kollaboration
geht. Die groß angelegte Dialoginitiative
eines Dienstleistungskonzerns zum Beispiel
stieß auf wenig Gegenliebe, denn sie war
„nie die Sehnsucht der Mitarbeiter“, wie
die zuständige Projektleiterin sagt. Vernetzungskraft besteht darin, angemessene
Räume für Austausch zu schafen, aber
auch die richtigen Menschen zu inden, mit
denen das möglich ist.
„It‘s Not the How or the What but the Who:
Succeed by Surrounding Yourself with the
Best“, heißt bezeichnenderweise das 2014
erschienene Buch von Claudio FernandezAaroz. Darin empiehlt er: „Um voranzukommen, muss man die besten Potenzialkräfte inden, sie auf die eigene Seite ziehen,
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
Foto: Flickr, percolabpaul CC-BY-NC-2.0
ins eigene Team bekommen, und ihnen
helfen zu wachsen. Überraschenderweise
kann das kaum jemand von uns.“
Wenn Raum und Gäste da sind, muss man
gute Prozesse inden, mit denen sich ein
partizipativer Führungsstil leben lässt. Wie
man Menschen in einen guten Austausch
bringt und kraftvolle Gespräche führt, kann
man zum Beispiel bei „Art of Hosting“
lernen. Das global aufgestellte Netzwerk
vermittelt Wege, um kollektive Weisheit
anzuzapfen und die Fähigkeit zur Selbstorganisation von Gruppen jeglicher Größe zu
nutzen (artofhosting.org/de).
Wie man Austausch und Dialog gestalten
kann, beschäftigt momentan viele Berater.
Zumal eine solche Art der Verständigung
durchaus im Widerspruch zu der Logik von
Unternehmen steht. Hierarchische Umfelder
sind für die Verwirklichung der Dialogidee
äußerst ungünstig, sagt zum Beispiel der
Berater Michael Rautenberg in seinem Buch
„Der Dialog in Management und Organisation – Illusion oder Perspektive?“ Doch
auch vordergründig wenig hierarchische
Organisationen – da dürfe man sich keiner
Illusion hingeben – könnten starke hierarchische Dynamiken entfalten, die ein „zartes
Dialogplänzchen gegebenenfalls schnell
eintrocknen lassen“ (2010, S.161).
Praxis-Check: Vernetzungskraft hat viele
Komponenten – die eigene Haltung, ein Gespür für Menschen und deren Potenziale und
die Fähigkeit, gute Formate für Austausch
und Zusammenarbeit zu inden. Besonders
anspruchsvoll wird diese Arbeit, wenn man
dafür zuständig ist, Menschen aus der alten
hierarchischen und der neuen Netzwerkkultur zusammenzubringen und Weltbilder
zu synchronisieren. Die ersten Berater machen damit schon Geschäfte. Der US-Dienstleister Crowdcompanies.com bringt zum
Beispiel große Marken mit den innovativen
kleinen Firmen der Crowd-Kultur zusammen
und stellt Verbindungen her.
109
TO-DOS FÜR DIE ZUKUNFT
WIR-REGELN 5
Kooperations-Gewohnheiten implementieren
Die Herausforderung: Die Fähigkeit zu
Kooperation und Kollaboration ist nichts,
was man entweder hat oder nicht. Sie lässt
sich erlernen und bewusst in Organisationen implementieren. Dazu ist allerdings
ein umfassendes Bewusstsein für alle
Faktoren nötig, die das Verhalten der Mitarbeiter beeinlussen – und die Weitsicht, auf
allen Ebenen etwas zu verändern.
Zum einen muss man an der Kultur der
Organisation arbeiten, zum anderen ganz
konkrete Praktiken und Prozesse wie zum
Beispiel Boni für die Förderung anderer
einführen. Erst dann wird Kooperation
wirklich zu einer geltenden sozialen Norm.
Sichtbar wird das unter anderem daran, dass
sich mehr und mehr Wir-Redeweisen in der
Sprache eines Unternehmens und in den
Geschichten über sich selbst inden. Statt
von „besiegen, punkten, bekämpfen und erobern“ ist dann vielleicht öfter die Rede von
„gemeinsam, unterstützen, Cross-Selling
und unsere Kunden“.
Das Lernfeld: „Hot Spots“ nennt Lynda
Gratton, Professorin für Management in
London, Unternehmen, die vor Energie
und Innovation nur so vibrieren. Damit ein
Unternehmen in diesen Zustand kommt,
braucht es mehrere Faktoren. Einer davon
ist ein „Cooperative Mindset“, sagt Gratton.
Darunter versteht sie die Erwartung, sich in
unterstützender und kooperativer Art und
Weise zu verhalten. Natürlich wäre es naiv zu
glauben, dass man eine solche Kultur durch
ein paar einfache Interventionen erzeugen
kann. Im Gegenteil, sagt Gratton, erst indem
110
Annahmen, Praktiken, Normen, Sprache
und Verhalten in einem andauernden Prozess sich untereinander bestärken, entsteht
eine Kultur von Kooperation.
Die Annahmen, die Führungskräfte über
die Welt haben, sind besonders wichtig,
weil sie ihr Verhalten beeinlussen und zu
selbst erfüllenden Prophezeiungen führen:
Wer an Wettbewerb als Steuerungsinstrument glaubt, wird Mitarbeiter zum Beispiel
immer nur dann belohnen, wenn sie eigene
Erfolge erzielen. Umgekehrt bedeutet das,
so Gratton, dass man kooperatives Verhalten
schlicht und einfach belohnen und letztlich
bezahlen muss (Gratton 2007, S.43f.).
Manager, die ihre Mitarbeiter zum Beispiel
immer dann befördern, wenn sie brillante
Einzelerfolge erzielen, brauchen sich nicht
zu wundern, wenn die oizielle neue
Unternehmensleitlinie zu mehr Wir-Kultur
ergebnislos versandet. Auch das Recruiting
wird vor diesem Hintergrund zu einer zentralen Aufgabe. Unternehmen, die zu „Hot
Spots“ geworden sind, so Gratton, haben alle
in lange Auswahlverfahren mit viel Feedback
investiert, bei denen sowohl Senior Manager
als auch Kollegen entscheidend mitreden
durften (ebd., S.54).
Ein anderer Erfolgsfaktor für ein „Cooperative Mindset“ indet sich oben in der Hierarchie: das Top-Management. Oder, wie es ein
Organisationsentwickler aus seiner Erfahrung formuliert: Ohne Rollenvorbilder im
Senior Management wird man keine Kultur
der Kooperation „bauen“ können. Welche
täglichen Aktionen eine kooperative Haltung
unterstützen, beschreibt Gratton übrigens in
ihrem Buch „Glow“ (2012). Dazu zählt zum
Beispiel, realistische und positive Erwartungen an andere zu haben, bereit zu sein,
Zukunftsinstitut I Die neue Wir-Kultur
wertvolle Informationen mit ihnen zu teilen,
diskret zu handeln, eine Sprache der Kooperation zu benutzen, konkrete Commitments
zu geben und einzuhalten (ebd., S.11).
Praxis-Check: Was zu tun ist, ist klar. Eine
neue Kultur implementieren. Die Frage
ist nur, wer den Anfang macht. „Das TopManagement muss Partizipation initiieren,
kommunizieren und vorleben“, heißt zum
Beispiel eine der 49 hesen, die 200 (Nachwuchs-)Personaler im Lab der Deutschen
Gesellschaft für Personalführung im September 2014 erarbeiteten. Unter dem Motto
„Participate! Mitreden, Mitdenken, Mitgestalten im Unternehmen von morgen“ ging
es dort aber auch um neue Spielregeln. Eine
weitere Forderung lautete deshalb: „Partizipative Steuerung braucht Spielregeln, die
für alle gültig sind. Auch diese Spielregeln
müssen partizipativ erarbeitet werden!“
Unser Fazit für Macher: WirKonstrukte in traditionell von
Konkurrenz geprägten Settings
aufzubauen ist nicht einfach und
erfordert einen doppelten Fokus:
zum einen auf die Weiterentwicklung der Organisationen selbst,
zum anderen auf die Menschen, die
in ihnen arbeiten.
Selbstwahrnehmung, Empathie,
Vertrauen und Vernetzungskraft
sind Kompetenzen, die sich zwar
schulen, aber am Ende nur durch
langfristig angelegte Kulturarbeit
verankern und entwickeln lassen.
Nur so lassen sich konkrete Kooperations-Gewohnheiten implementieren. Im besten Fall fordert
uns die Bewegung in Richtung Wir
daher heraus, an mehreren Stellen
gleichzeitig zu wachsen, persönlich
und im Experiment mit frischen
und ungewöhnlichen Organisationsformen. Lernen können wir
dabei allemal.
111
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