Saul Leiter - Kunst Haus Wien

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Saul Leiter - Kunst Haus Wien

Saul Leiter
31. Jänner bis 26. Mai 2013
Das KUNST HAUS WIEN würdigt den 89-jährigen Fotografen und Maler Saul Leiter in einer
großen Retrospektive, die in Zusammenarbeit mit dem Haus der Photographie / Deichtorhallen
Hamburg entstand. Die Ausstellung vereint in einem großen Spannungsbogen frühe SchwarzWeiß- und Farbaufnahmen, Modefotografien, übermalte Aktfotos, seine Malerei sowie eine
Auswahl seiner Skizzenbücher. Ein Kapitel der Ausstellung widmet sich den neuen Fotoarbeiten
von Saul Leiter, die er immer noch auf den Straßen des New Yorker East Village aufnimmt.
Saul Leiter erfährt erst seit wenigen Jahren die verdiente Würdigung als einer der führenden
Pioniere der Farbfotografie. Schon ab 1946, weit vor den Vertretern der „New Color Photography“
der 1970er-Jahre wie William Eggleston und Stephen Shore, benutzte er als einer der Ersten die
damals von Künstlern verachtete Farbfotografie für seine freien künstlerischen Aufnahmen. „Die
älteren fotoästhetischen Ansichten zur Hegemonie von Schwarz-Weiß und die fotohistorischen
Datierungen des künstlerischen Einsatzes von Farbfotografie erst ab den 1970er-Jahren sind wohl
einer kritischen Revision zu unterziehen. Mit Saul Leiters Werk ist die Fotogeschichte bereits
faktisch umgeschrieben“, so Kurator Ingo Taubhorn.
Saul Leiter hat sich immer als Maler und Fotograf verstanden. Sowohl in seiner Malerei als auch in
seinen Fotografien tendiert er deutlich zu Abstraktion und Flächigkeit. Oft findet man große,
tiefschwarze, von Schatten hervorgerufene Flächen, die bis zu drei Viertel seiner Fotografien
einnehmen. Passanten werden nicht als Individuen in das Bild gerückt, sondern als
verschwommene Farbimpulse, überlagert von Scheiben oder eingekeilt zwischen Hauswänden und
Verkehrszeichen. Die Übergänge zwischen Abstraktion und Figurativem in seinen Malereien und
Fotografien sind nahezu nahtlos. Saul Leiters Straßenfotografie – damit ist er beispiellos in diesem
Genre – ist eigentlich Fotografie gewordene Malerei.
In Leiters Aufnahmen fließen die Genres der Street-, Porträt-, Still-Life-, Mode- und
Architekturfotografie zusammen. Er findet seine Motive wie Schaufenster, Passanten, Autos,
Schilder und immer wieder Regenschirme in der unmittelbaren Umgebung seiner New Yorker
Wohnung, die er seit fast 60 Jahren bewohnt. Die Unschärfe im Detail, die Verwischung von
Bewegung und die Minderung der Tiefenschärfe, der Ausgleich oder gewollte Entzug von
notwendigem Licht und die Verfremdung durch Fensterdurchsichten und Spiegelungen − dies alles
verschmilzt zur Farbsprache eines halb realen, halb abstrahierten urbanen Raums. Es sind Arbeiten
eines fast noch unentdeckten modernen Meisters der Farbfotografie.
Saul Leiter entdeckte schon früh seine Leidenschaft für die Kunst und begann bereits als Teenager
Ende der 1940er-Jahre zu malen. Seine Familie unterstützte sein künstlerisches Interesse nicht, da
der Vater, ein anerkannter talmudischer Rabbiner und Gelehrter, stets seine Hoffnungen darauf
gesetzt hatte, dass sein Sohn Saul ihm eines Tages nachfolgen würde. Er war zwar Autodidakt, aber
keinesfalls ungebildet. Er las und lernte viel über Kunst und sorgte damit für die notwendigen
historischen Zusammenhänge für sein eigenes Denken und künstlerisches Schaffen.
1946, kurz nachdem er nach New York gezogen war, lernte Leiter Richard Poussette-Dart kennen,
der ihn mit der Fotografie bekanntmachte, einem Medium, das ihm sehr lag und das er schnell
lernte. Leiter entschied bald, Fotografie nicht nur als Mittel der Kunst zu nutzen, sondern sich damit
seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er begann, Mode zu fotografieren und wurde dank seines
guten Auges, seines spielerischen Sinns für Humor und seines ausgeprägten Sinns für Eleganz zu
einem außergewöhnlichen Modefotografen.
In den 1950er-Jahren wurden erste Schwarz-Weiß-Serien Saul Leiters im „Life“-Magazin veröffentlicht. Er
nahm u.a. an der von Edward Steichen kuratierten Ausstellung „Always the Young Strangers“ (1953) im
Museum of Modern Art teil. Von 1958 bis 1967 arbeitete Leiter für „Harper’s Bazaar“. Insgesamt
sollte er rund 20 Jahre für verschiedene klassische und neuere Magazine fotografieren, nach
„Esquire“ und „Harper’s“ waren dies „Show“, „Elle“, „British Vogue“, „Queen“ und „Nova“.
Saul Leiter wurde 1923 in Pittsburgh geboren und lebt seit 1946 in New York. Die Ausstellung des
Haus der Photographie / Deichtorhallen Hamburg im Jahr 2012 war die weltweit erste umfassende
Retrospektive von Leiters Werk und entstand in enger Kooperation mit dem Künstler. Das KUNST
HAUS WIEN ist nach Hamburg nun der zweite Schauplatz für diese von Publikum und Presse
begeistert aufgenommene Ausstellung.
KuratorInnen: Ingo Taubhorn und Brigitte Woischnik
Ausstellungskatalog:
„Saul Leiter“, Ingo Taubhorn & Brigitte Woischnik (Hg.), Kehrer Verlag, 2012
ISBN 978-3-86828-228-0, 296 Seiten, € 58
Veranstaltungen (Eintritt frei):
31. Jänner 2013, 19 Uhr: Kuratorenführung mit Ingo Taubhorn und Brigitte Woischnik
13. März 2013, 19 Uhr: Gesprächsführung zu Saul Leiters Modefotografie mit Kuratorin Brigitte
Woischnik, Fotograf Andreas H. Bitesnich und „Der Standard“-Moderedakteur Stefan Hilpold
24. April 2013, 18.30 Uhr im Jüdischen Museum Wien: Aufführung der Filmdokumentation „In No
Great Hurry – 13 Lessons in Life with Saul Leiter“ von Tomas Leach
Eine Ausstellung des Haus der Photographie / Deichtorhallen Hamburg
in Zusammenarbeit mit dem KUNST HAUS WIEN.
Saul Leiter
31. Jänner bis 26. Mai 2013
KUNST HAUS WIEN
1030 Wien, Untere Weißgerberstraße 13
Täglich von 10 bis 19 Uhr
Karten: EUR 10,- (KUNST HAUS WIEN-Jahreskarte: EUR 22,-)
www.kunsthauswien.com
Fotograf und Maler
Als Howard Greenberg 1993 in seiner New Yorker Galerie die erste Ausstellung mit Schwarz-WeißFotografien von Saul Leiter ausrichtete, war es noch ein weiter Weg bis zur gebührenden
Anerkennung des jüdisch-amerikanischen Fotografen als eine der herausragenden Figuren der
internationalen Nachkriegsfotografie. Das änderte sich vor allem 1997 mit der phänomenalen
Ausstellung seiner frühen Farbfotografien in der Howard Greenberg Gallery. Ihr folgte einige Jahre
später, 2006, die Monografie Early Color, die die große künstlerische Ausstrahlungskraft dieses
Pioniers der Farbfotografie auch der internationalen Kunstwelt bewusst machte. Saul Leiter war und
ist einer der wenigen aufgeschlossenen und experimentierfreudigen Fotografen, die bereits sehr
früh das Arbeiten mit Farbfotografie unbefangen annahmen und als Kunstform adaptierten. Im
Vergleich zu den Möglichkeiten im heutigen digitalen Zeitalter stand die Technik damals noch in
den Anfängen, was Anwendung und Entwicklung von Filmmaterial, Diapositiv und fragilem Print
betrifft. Seine kreative Neugier mag insbesondere darin liegen, dass Leiter sich selbst zeitlebens in
erster Linie als Maler und damit als eigenständiger Bildschöpfer und Bildgestalter verstand.
1923 in Pittsburgh (Pennsylvania) geboren und ab 1946 in New York ansässig, stellte Leiter seine
Gemälde gelegentlich im Kontext des New Yorker East Village aus, jenem Viertel, in dem er
gemeinsam mit Vertretern des abstrakten Expressionismus, der führenden amerikanischen
Kunstströmung in der Dekade nach dem Zweiten Weltkrieg, lebte und arbeitete. Auch in seinen
fotografischen Aufnahmen und besonders in seiner Farbfotografie bediente er sich malerischer
Mittel und Kunstgriffen aus verschiedenen Epochen der Tradition und der Moderne. Die
Beeinflussung durch die visuellen Sprachen verschiedener New Yorker Künstler zeigt sich
beispielsweise in Anleihen bei Mark Rothkos Farbfeldmalerei oder bei Franz Klines kalligrafischen
Kompositonen. Seine fotografischen Motive fand Leiter, wie Robert Frank oder Helen Levitt, auf den
Straßen New Yorks. Aber Leiters Blick war von Anfang an nicht primär auf spektakuläre Momente
der gegenständlichen Realität oder sozialer Situationen gerichtet, sondern auf scheinbar belanglose
oder flüchtige Eindrücke des Alltags, die er in faszinierenden Aufnahmen atmosphärisch
verdichtete. Mit seiner Bildauffassung negierte Leiter die üblichen Regeln einer dokumentarischen
oder bildjournalistisch geprägten Fotografie und schaffte mit außergewöhnlichem Gespür für
Spannung und Balance zwischen Kompositon und Farbe zeitlose Werke der urbanen Fotoästhetik.
Die Ausstellung vereint Leiters frühe Schwarz-Weiß- und Farbaufnahmen in einem künstlerischen
Werk, dem erstmals auch seine Modefotografien, übermalten Aktfotografien, sowie seine Malerei
und seine einmaligen Skizzenbücher zur Seite gestellt werden. Damit würdigt das KUNST HAUS
WIEN in dieser Überblicksschau einen großen amerikanischen Fotografen und Maler, dessen Werk
durch seine Schönheit und Klarheit in außergewöhnlicher Weise begeistert.
Ingo Taubhorn und Brigitte Woischnik
KuratorInnen der Ausstellung
Die Ausstellungskapitel
Abstrakte Malerei
Obwohl die Fotografie sein Bild als Künstler geprägt hat, empfindet sich Saul Leiter vor allem als
Maler. Seinen künstlerischen Weg hatte er als Maler begonnen und neben seiner Arbeit als Fotograf
hörte er niemals auf, zu malen und zu zeichnen. Leiters Leidenschaft für die Kunst begann bereits in
seiner Kindheit, obwohl er von seiner Familie dabei keinerlei Unterstützung erhielt. Als Teenager
verbrachte er viele Stunden in Bibliotheken und studierte Kunstbücher. Inspiration fand er bei
Malern wie Vermeer, Bonnard, Vuillard und Picasso oder auch bei japanischer Druckgrafik.
Als Autodidakt malte Leiter 1940 seine ersten Bilder. Die meisten waren lyrisch abstrakte
Kompositionen, die seine Bewunderung für die neue amerikanische Avantgarde der abstrakten
Künstler ausdrückten. Sein leidenschaftlicher Sinn für Farbe ist bereits in diesen frühen Malereien zu
erkennen, ebenso seine lebenslange Vorliebe für Gouache und Aquarell auf kleinformatigen
Papieren.
Nach seinem Umzug nach New York 1946 präsentierte er seine Arbeiten auch gemeinsam mit
Malern des abstrakten Expressionismus wie Willem de Kooning und Philip Guston. Sein Studio lag in
der 10. Straße im East Village, damals ein Zentrum der Avantgarde-Künstler. Leiter teilte mit diesen
Künstlern zwar das Interesse an Abstraktion, dem Gebrauch von Farbe, Gestik und dem Element
des Zufalls, aber die Formate seiner Arbeiten wählte er radikal anders. Während viele seiner
Zeitgenossen, wie Jasper Johns oder Franz Kline, wandgroße Bilder malten, die physisch das
gesamte Sichtfeld des Betrachters füllten, arbeitete Leiter im intimen Kleinformat. Er stellte auch in
der Tanager Gallery aus, der wichtigsten künstlergeleiteten Kooperative des East Village dieser
Zeit. Nachdem er seinen Schwerpunkt in den späten 1940er-Jahren auf die Fotografie verlegt hatte,
hörte Leiter jedoch auf, seine Malerei öffentlich auszustellen.
Figurative Malerei
Saul Leiters abstrakte Malerei vereint oft Qualitäten von Nähe, die etwas Persönliches oder
Vertrautes suggerieren, gepaart mit einem Sinn für Raum, der an eine offene Landschaft erinnert.
Gelegentlich macht er aber auch figurative Skizzen. Oft sind es nur Andeutungen eines Gesichtes
oder eines Körpers, eine spitze Nase, Augen und Mund. Von den männlichen Figuren tragen einige
Hüte, ähnlich den religiösen Bekleidungsstücken aus der Welt von Leiters Jugend. Die meisten
dieser Arbeiten konzentrieren sich auf eine einzelne Figur, nur gelegentlich scharen sich ein Paar
oder eine Gruppe von Figuren zusammen. Die Qualität der Linie und die raffinierte Andeutung von
Figuren oder Köpfen in diesen Bildern erinnern an Gemälde von Édouard Vuillard und Pierre
Bonnard, in denen Gesichtszüge durch Linien und feine Farbtöne eher angedeutet als durch
sorgsames Modellieren definiert werden.
Street Photography
Als er 1947 eine Ausstellung mit Arbeiten des französischen Fotografen Henri Cartier-Bresson sah,
wurde Saul Leiter von dem kreativen Potenzial dieses Mediums überzeugt. Er kaufte sich günstig
eine 35-mm-Leica-Kamera und begann, ohne jegliche Vorbildung, auf New Yorks Straßen zu
fotografieren. Zunächst verwendete er nur Schwarz-Weiß-Film, ab 1948 kam auch der Farbfilm
hinzu.
Seine Schwarz-Weiß-Fotografien weisen Elemente der Dokumentarfotografie auf, sind aber von
einem fotojournalistischen Stil weit entfernt. Vielmehr sind sie subjektive Beobachtungen, oft
konzentriert auf ein einzelnes Individuum in der großen Stadt. Leiters komplexe, vielschichtige
Arbeiten rufen Gefühle von Entfremdung, Melancholie und Anspannung hervor. Um diesen Eindruck
noch zu betonen, experimentierte Leiter mit starken Kontrasten, Licht und Schatten sowie mit
asymmetrischen Kompositionen mit großen Unschärfe-Bereichen.
Thematisch und stilistisch finden sich große Ähnlichkeiten zwischen Leiters Werk und dem Werk
anderer Vertreter der New Yorker Street Photography dieser Zeit, zum Beispiel Ted Croner, Leon
Levinstein, Louis Faurer und später Robert Frank und William Klein, heute allgemein als „The New
York School“ bezeichnet. Ihre radikal neue, subjektive Fotografie hatte eine psychologische
Komponente, die eine ungewöhnliche Sensibilität gegenüber den sozialen Turbulenzen und der
Verunsicherung vieler Amerikaner in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg verdeutlichte.
Farbfotografie
Bis in die 1970er-Jahre wurde Farbfotografie fast ausschließlich für Werbung und in
Modezeitschriften benutzt. Die extrem gesättigten Farben betrachteten daher viele Fotografen als
ungeeignet für einen künstlerischen Ausdruck. Überdies konnten sie ihre Farbfilme nicht selbst
entwickeln, weshalb es ein sehr teures Verfahren war. Erst im Jahr 1976 widmete das Museum of
Modern Art in New York der Farbfotografie mit der Präsentation „Photographs by William Eggleston“
eine Ausstellung.
Saul Leiter war einer der wenigen Fotografen, die die Farbfotografie nicht ablehnten. Als Maler
interessierte er sich besonders in der Street Photography für den experimentellen Umgang mit
Farbe. Bereits 1948, zu Beginn seiner Karriere, kaufte er seine ersten Rollen von 35-mmKodachrome-Farbdiafilm, der seit 1936 auf dem Markt war. Um Geld zu sparen, benutzte er gerne
Filmmaterial, dessen Haltbarkeitsdatum abgelaufen war. Besonders gefielen Leiter die daraus
resultierenden Bilder mit zarten und gedämpften Farbtönen.
Die unzähligen frühen Farbfotografien, die Leiter zwischen 1948 und 1960 machte, sind von
einzigartiger malerischer und erzählerischer Qualität. Sie stehen im Gegensatz zu den Arbeiten
anderer Fotografen, in denen Farbe häufig das definierende Element der Komposition ist. Diese
Tatsache, gepaart mit seiner Tendenz zur Abstraktion, verbindet Leiters Fotografie mit seiner
Malerei. Aber im Unterschied zu seiner Malerei (und zu seinen Schwarz-Weiß-Fotografien) zeigen
seine Farbfotografien eine strenge Strukturierung. Es ist die unvergleichliche Schönheit dieser
Arbeiten, die Leiter zu einem Meister der Fotografie des 20. Jahrhunderts werden ließ.
Übermalte Aktfotografien
Bei dieser Serie hat Saul Leiter Malerei und Fotografie miteinander kombiniert. Seine übermalten
Akte folgen der Tradition der handkolorierten Fotografie, die auf die Anfänge der Fotografie
zurückgeht. Über die Jahre hat er zahlreiche Akte fotografiert, meist Frauen aus dem Umfeld seines
Freundeskreises. Viele dieser Schwarz-Weiß-Fotografien entstanden in einer intimen häuslichen
Umgebung. Sie strahlen eine weiche, manchmal zärtliche Sinnlichkeit aus. Nur gelegentlich war
Leiter bemüht, eine direkte erotische Atmosphäre zu schaffen. Er trug eine satte Palette von Farben
auf die Fotografien auf, wobei er die fotografischen Abbilder mit der Malerei zu völlig neuartigen
Kreationen vereinte. In den übermalten Fotografien stellt Leiter sein Thema – den weiblichen Akt –
in die Gegenwart, umhüllt nur von der Sprache und der Poesie der Farbe, so Carrie Springer,
Kuratorin im Whitney Museum in New York.
Modefotografie
In den späten 1950er-Jahren reüssierte Saul Leiter auch in der Welt der Modefotografie und der
Werbung. Leiters Stil war von Beginn an unverkennbar. Seine Bilder waren vielschichtig und
komplex, gekennzeichnet durch weiche impressionistische Züge und kubistische Veränderungen
der Perspektive. Seinen ersten kommerziellen Auftrag erhielt er 1958 von Henry Wolf, dem damals
neuen Art Director von Harper’s Bazaar, mit dem er sich auch freundschaftlich verstehen sollte.
Harper’s Bazaar war eine der führenden amerikanischen Modezeitschriften mit bahnbrechenden
Modestrecken von Fotografen wie beispielsweise Richard Avedon oder Lillian Bassman.
Nachfolgend bekam Leiter mehr und mehr repräsentative Aufträge und über die Jahre wurde er fast
völlig von der kommerziellen Arbeit in Anspruch genommen. Seine Mode- und Werbefotos
erschienen neben Harper’s Bazaar in Elle und Show, in British Vogue und Queen sowie in Nova.
Erstaunlich dabei ist, wie es Leiter in dieser Zeit gelang, seine eigene erzählerische, stilisierte
Ästhetik beizubehalten, während andere Modefotografen eher einen spröden grafischen Stil
bevorzugten.
Auch aufgrund seines abnehmenden Interesses an kommerzieller Fotografie bekam Leiter in den
1970er-Jahren immer weniger Aufträge. 1981 gab er sein Studio in der Fifth Avenue auf und führte in
den folgenden Jahren ein ruhiges Leben fernab der Öffentlichkeit.
Neue Arbeiten
Saul Leiter hat sein Stadtviertel für seine freien Farbaufnahmen kaum verlassen, seit 1953 wohnt er
in derselben Wohnung. Diese selbst gewählte Beschränkung auf das New Yorker East Village ist
eine Mischung aus Genügsamkeit und Überzeugung: „Ich nehme Fotografien in meiner
Nachbarschaft auf. Ich glaube, dass wunderbare Dinge an bekannten Orten passieren. Wir müssen
nicht immer ans andere Ende der Welt rennen“, sagt Saul Leiter.
Für Leiter ist nicht der wiedererkennbare oder besondere Ort im urbanen Gefüge wichtig. Ampeln,
Verkehrszeichen, Passanten mit Hüten oder Regenschirmen, spiegelnde Schaufenster, Busse,
Lastwagen, Autos: Diese Vielfalt von alltäglichen Details der Straße ist der Stoff für seine
Bilderfindungen. Ausgerüstet mit einer Digitalkamera fotografiert Saul Leiter noch heute in seinem
Viertel.
Saul Leiter – Zitate
“I like it when one is not certain of what one sees. We don’t know why the photographer has taken
such a picture. If we look and look, we begin to see and are still left with the pleasure of
uncertainty.”
(„Ich mag die Ungewissheit, die man verspürt über das, was man sieht. Wir wissen nicht, warum der
Fotograf dieses Bild aufgenommen hat. Wir schauen und schauen und beginnen zu sehen, und
dennoch bleibt uns der Genuss der Ungewissheit.“)
“The meaning of a photograph is not always apparent, but if you look and look, it will reveal itself. I
have sometimes taken such photographs where doubt plays a part.”
(„Die Bedeutung einer Fotografie ist nicht immer offensichtlich, aber wenn du schaust und schaust,
wird sie sich selbst offenbaren. Manchmal gelang es mir, solche Fotografien zu machen, in denen
der Zweifel sichtbar wird.“)
“Hidden in the ordinary are great beauties.”
(„Im Gewöhnlichen verbirgt sich große Schönheit.“)
“After the age of 75 you should not be photographed. You should be painted by Rembrandt or Hals,
but not by Caravaggio.”
(„Jenseits von 75 sollte man sich nicht fotografieren lassen. Man sollte sich von Rembrandt oder
Hals malen lassen, nicht aber von Caravaggio.“)
“A photographer’s gift to the viewer is sometimes beauty in the overlooked ordinary.”
(„Das Geschenk eines Fotografen an den Betrachter ist manchmal die Schönheit des übersehenen
Gewöhnlichen.“)
“It is not where it is or what it is that matters, but how you see it.”
(„Das Wo oder Was ist nicht das Wichtige, sondern wie du es siehst.“)
“Life is full of unused opportunities or, as my friend Henry used to say, ‘Saul, you have a talent for
avoiding opportunities’.”
(„Das Leben ist voller ungenutzter Gelegenheiten, oder, wie mein Freund Henry zu sagen pflegte,
‚Saul, du hast ein Talent dafür, Gelegenheiten an dir vorbeiziehen zu lassen‘.“)
“Photographs are often treated as important moments, but really they are little fragments and
souvenirs of an unfinished world.”
(„Fotografien werden häufig als wichtige Momente betrachtet, aber tatsächlich sind sie kleine
Fragmente und Erinnerungen an eine unvollendete Welt.“)
“The garbled incoherence inflicted on my remarks by the unfortunate interviewers is not my fault.”
(„Die entstellende Zusammenhanglosigkeit, die manchen meiner Anmerkungen von den
bedauernswerten Interviewern zugefügt wird, ist nicht meine Schuld.“)
Saul Leiter – Biografie
1923
geboren in Pittsburgh, Pennsylvania, als Sohn des Rabbiners Wolf Leiter und von
Regine Leiter, geb. Goldberg, die zuvor aus Osteuropa in die Vereinigten Staaten
emigriert waren.
1930er
besucht die Talmudical Academy in New York City.
ca. 1935
bekommt von seiner Mutter eine Detrola-Kamera geschenkt und beginnt,
gelegentlich zu fotografieren.
Frühe 1940er besucht das Telshe Yeshiva Rabbinical College in Cleveland.
1944–1945
Malereiausstellungen in Cleveland, Pittsburgh und San Francisco.
1946
verlässt das theologische Kolleg in Cleveland und zieht nach New York; lernt den
Maler des abstrakten Expressionismus Richard Pousette-Dart kennen, der sein
Interesse an der Fotografie beeinflusst.
1947
besucht die Henri Cartier-Bresson-Ausstellung im Museum of Modern Art, New York;
eines seiner Gemälde wird in der Ausstellung Abstract and Surrealist American Art
im Art Institute von Chicago ausgestellt; Malereiausstellung im Butler Institute of
American Art, Youngstown, Ohio; freundet sich mit W. Eugene Smith an.
ca. 1948
beginnt mit Farbdiafilm zu arbeiten; fotografiert vorwiegend mit drei Kameras, Argosy
C3, Auto Graflex Junior und einer frühen Rolleiflex.
1951
LIFE publiziert in der Ausgabe vom 3. September seine Schwarz-Weiß-Serie The
Wedding as a Funeral. Weitere Arbeiten erscheinen in der Ausgabe vom 26.
November (Shoes of the Shoeshine Man).
1952
Umzug in die East 10th Street im Künstlerviertel East Village. Gründung der
Kooperative Tanager Gallery, der wichtigsten künstlergeleiteten Kooperative des
abstrakten Expressionismus.
1953
veröffentlicht Schwarz-Weiß-Fotografien in der Ausstellung Always the Young
Strangers im Museum of Modern Art, New York, und in der Ausstellung
Contemporary Photography im Tokio Museum.
1956
Einzelausstellung in der Tanager Gallery, New York.
Späte 1950er hält einen Diavortrag über seine Farbarbeiten in „The Club“, einem Kunstraum im
East Village; stellt Farbfotografien in der Kootz Gallery, New York, aus.
1957
Edward Steichen stellt 20 Farbfotografien von Leiter in seinem Diavortrag
Experimental Photography in Color im Museum of Modern Art, New York, vor. Henry
Wolf, Art Director des Esquire, veröffentlicht einige von Leiters Modefotografien.
1958
beginnt für Harper’s Bazaar zu fotografieren, nachdem Henry Wolf dort Art Director
geworden war.
1959
reist nach Europa für einen Auftrag von Esquire und fotografiert Gina Lollobrigida
während der Dreharbeiten zu Salomon and Sheba in Madrid.
1960–ca. 1980 setzt die Modefotografie und andere kommerzielle Aufträge fort; seine Modearbeiten
werden in Harper’s Bazaar, Elle, Show, British Vogue, Queen und Nova
veröffentlicht; Fotoarbeiten erscheinen ebenso in den Zeitschriften LIFE, U.S. Camera,
Photography Annual und Infinity.
1981
schließt das gewerbliche Studio in der 156 Fifth Avenue.
1991
Modefotografien werden in der Ausstellung Appearances: Fashion Photography
since 1945 im Victoria and Albert Museum, London, gezeigt, begleitend erscheint ein
Katalog, herausgegeben von Martin Harrison.
1992
Arbeiten werden in dem Buch The New York School: Photographs 1936 –1963 von
Jane Livingston gezeigt.
1993, 1994
Schwarz-Weiß-Fotografien werden in der Howard Greenberg Gallery, New York,
ausgestellt.
ca. 1994
erhält finanzielle Unterstützung von der Ilford Paper Company, um erstmals
Farbabzüge als Cibachrom beim Laumont-Labor in New York vergrößern zu können.
1997, 2005
Ausstellungen mit Farbfotografien in der Howard Greenberg Gallery, New York.
2006
erste Monografie Early Color erscheint im Steidl Verlag, Göttingen; erste museale
Einzelausstellung im Milwaukee Art Museum.
Seit 2006
Einzelausstellungen in Galerien in Antwerpen, Bangor, Paris, London, Atlanta, Milano,
München und Moskau sowie Beteiligung an zahlreichen Gruppenausstellungen.
2008
erste Museumsausstellung in Europa in der Fondation Henri Cartier-Bresson, Paris,
begleitend erscheint ein Katalog.
2009
Erste Malereiausstellung nach über 30 Jahren in der Knoedler Gallery, New York.
2011
Einzelausstellung New York Reflections im Joods Historisch Museum, Amsterdam.
2012
Umfassende Retrospektive im Haus der Photographie in den Deichtorhallen,
Hamburg.
2013
Retrospektive im KUNST HAUS WIEN.
Saul Leiter lebt, fotografiert und malt in New York.