Möbel Mutschler
Transcription
Möbel Mutschler
Möbel Mutschler Ein Unternehmen in der Krise Hausarbeit zum Seminar: „Wie leistungsfähig sind die Konzeptionen von Unternehmensethik und Unternehmenskultur?“ bei Prof. Dr. Dr. Otto-Peter Obermeier von Wolfgang Schwarz Seite 1 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 1.1 Motivation 1.2 Material 2. Das Unternehmen 2.1 Ein Unternehmensportrait 2.2 Der Geschäftsbericht 2002 3. Die Chronik der Krise 3.1 Juni 2002: Vorgeschichte 3.2 April 2003: Positive Signale 3.3 Juli 2003: Die Krise 3.3.1 Dienstag, 1. Juli 2003: Schlechte Zeichen 3.3.2 Dienstag, 15. Juli 2003: Die Schließung wird beschlossen 3.3.3 Mittwoch, 16. Juli 2003: Schließung 3.3.4 Donnerstag, 17. Juli 2003: Zweifel 3.3.5 Freitag, 18. Juli 2003: 3.3.6 Montag, 21. Juli 2003 3.3.7 Mittwoch, 23. Juli 2003 3.3.8 Freitag, 25. Juli 2003 3.3.9 Montag, 28. Juli 2003 3.3.10 Mittwoch, 30. Juli 2003 3.4 August 2003: Die Verhandlungen 3.4.1 Freitag, 1. August 2003 3.4.2 Mittwoch, 6. August 2003 3.4.3 Freitag, 8. August 2003 3.4.4 Montag, 11. August 2003 3.4.5 Donnerstag, 14. August 2003 3.4.6 Montag, 18. August 2003 3.4.7 Freitag, 22. August 2003 3.5 September 2003: 3.5.1 Mittwoch, 17. September 2003 3.5.2 Dienstag, 30. September 2003 4. Abschlussbetrachtung Seite 2 1. Einführung 1.1 Motivation In dem Seminar „Wie leistungsfähig sind die Konzeptionen von Unternehmensethik und Unternehmenskultur?“ wurde das fragwürdige Verhalten des Energiekonzerns „Enron“ diskutiert, an dessen weltpolitischen Folgen die Wirtschaft bis heute schwer zu tragen hat. Fehlentscheidungen des Managements, Bilanzstrukturierungsmaßnahmen und illegale Manipulationen waren nur einige der Ursachen, die dazu beitrugen, dass tausende ahnungslose Menschen und Institutionen finanziell schwer geschädigt wurden. Doch nicht nur bei internationalen Konzernen, auch in der lokalen Wirtschaft finden sich Beispiele für solch fragwürdige Firmenpolitik. Ich habe mir als Beispiel die Firma „Möbel Mutschler“ ausgesucht, die Mitte Juli durch die plötzliche unerwartete Schließung des Standortes Neu-Ulm in die lokalen Schlagzeilen geriet. 1.2 Material Die für diese Arbeit verwendeten Materialien stammen ausschliesslich aus der Presse und dem Internet. Daher kann ich weder für die Vollständigkeit noch für die Richtigkeit der für diese Ausarbeitung verwendeten Materialien garantieren. Allerdings spiegeln die hier verwendeten Materialien das wieder, was gegenüber der Öffentlichkeit verlautbart wurde. 2. Das Unternehmen 2.1 Ein Unternehmensportrait Das traditionsreiche Unternehmen „Möbel Mutschler“ in Neu-Ulm wurde 1923 von dem Schreibermeister Albert Mutschler gegründet. Der „Möbel Mutschler“ in Neu-Ulm war lange überregional bekannt, und war beliebtes Ausflugziel für Familien, da er familienfreundlich eingerichtet war, es gab einen Kinderhort und Spielplätze, kostenlose Parkplätze, ein Familienrestaurant und einen Riesenspringbrunnen. Seit Anfang 1997 gehört das Einrichtungszentrum „Möbel Mutschler GmbH & Co.“ zusammen mit der „Möbel Mutschler GmbH & Co“ in Leonberg zur Walther Unternehmensgruppe, einem der größten Möbel-Einzelhandels-Unternehmen in Europa und der einzigen Möbel-Aktiengesellschaft in Deutschland. Des Weiteren gehören zahlreiche „Möbel Walther“, 11 SCONTO Märkte, LogistikUnternehmen und weitere Märkte im Ausland, vor allem in Osteuropa, zur Walther AG. Die beiden „Möbel Mutschler“ sind dabei die einzigen Einrichtungzentren der Walther Gruppe in Deutschland, die, die ein negatives Eigenkapital von –3.172.191,70 € (Neu-Ulm) bzw. -264.660,93 € (Leonberg). Dies geht aus dem Geschäftsbericht der Walther Gruppe 2002 hervor. Die starke regionale Konkurrenz durch „Möbel Inhofer“ in Senden (ca. 10 km entfernt, zahlreiche Fachmärkte, Kinderbetreuung, 5 Restaurants, eigene Tankstelle) und den zu Beginn 2003 eröffneten Ikea in Ulm (ca. 4 km entfernt, 28.000 m² Verkaufsfläche) dürfte wesentlich zu den oben erwähnten finanziellen Problemen beigetragen haben. Seite 3 Die Firma „Möbel Mutschler“ ist als Hauptmieter im Mutschler-Center untergebracht, auf ca. 48600 m² Verkaufsfläche. Der Vermieter ist der Berliner Investmentfonds „Perseus“, vertreten durch eine Immobilienverwaltungs-GmbH & Co. KG, Tochtergesellschaft der Bankgesellschaft Berlin, an dem das Land Berlin die Hauptanteile besitzt. Die Miete hierfür beträgt 3 Millionen Euro, weitere 700,000 Euro für das angeschlossene „News“ (9650 m²) und über 600,000 Euro für den Möbel-Discount (8600 m²). Verwaltet wird die Immobilie von der Berliner ARWO-Bau im Auftrag der Berliner Bankgesellschaft. 2.2 Der Geschäftsbericht 2002 Nach dem Geschäftsbericht 2002 ging der Gesamtumsatz des Unternehmens Möbel Walther AG seit 1998 von 689,7 Mio. € auf 586,5 Mio. € zurück, bei den Einrichtungszentren ging der Umsatz von 561,2 Mio. € im Jahr 1998 auf 434,2 Mio. € im Jahr 2002 zurück, das sind 127 Mio. € Umsatzrückgang. In der zusammengefassten Gesamtentwicklung 2002 ist bereits folgendes zu lesen: „Die „Mutschler-Standorte“ in Neu-Ulm bzw. Leonberg, einschließlich der Logistik Ulm, können mittelfristig unter Beibehaltung der heute bestehenden Struktur nicht profitabel ausgerichtet werden. Tiefgreifende Restrukturierungsmaßnahmen müssen hier in 2003 getätigt werden. Infolge der weiteren exorbitanten Verluste in 2002 muss die Wertlosigkeit des Engagements, inkl. Vorsorge für die erforderliche Konsolidierung bilanziell in voller Höhe dargestellt werden. Die verbleibenden Märkte in Ungarn und Polen sollen mittelfristig vermietet oder verkauft werden. Weitere Anteile und Ausleihungen an Gruppengesellschaften in Osteuropa (Ungarn, Polen, Slowakei) müssen ebenso als strategisch wertlos angesehen und abgewertet werden. Dies führte zu entsprechender Abschreibung von Beteiligungswerten und Ausleihungen bei der Möbel Walther AG, ferner sind bei den Gesellschaften Rückstellungen für Restrukturierung gebildet worden.“ Von den „Außerordentlichen Aufwendungen 2002“ in Höhe von 96 Mio. € entfallen 52 Mio. € auf den Punkt „Abschreibung/Rückstellung »Mutschler-Engagement«“ Weiters ist in dem Geschäftsbericht zu lesen: „Vor allem aber die Entwicklung der Mutschler-Häuser in Neu-Ulm und Leonberg blieb stark unbefriedigend.“1 und „Seit 1997 mussten für die Mutschler-Standorte rd. 80 Mio. € an Verlusten finanziert werden, einschließlich 18,3 Mio. € Anschaffungskosten der Beteiligung. Die Investition in diese Standorte erwies sich im Nachhinein als wirtschaftliches Fiasko. Die in der jetzigen Kostenstruktur mittelfristig erzielbaren Roherträge reichen nicht, die hohen fixen Belastungen, insbesondere Mieten und Personalaufwendungen zu decken.“ Alles in allem zeigt der Geschäftsbericht, dass die Lage der Möbel Mutschler GmbHs nicht besonders gut ist und speziell diese beiden Unternehmen die Möbel Walther AG eine Menge Geld kosten. Seite 4 3. Die Chronik der Krise 3.1 Juni 2002: Vorgeschichte Im Juni 2002 wird Bernd Mehler, der Geschäftsführer von Möbel Mutschler in Neu-Ulm, durch die Konzernleitung der Möbel Walther AG mit sofortiger Wirkung seines Amtes enthoben und durch Alois Ruess ersetzt. Dies geschieht auf Anweisung des Mehrheitsaktionärs Kurt Krieger, der eine Änderung der Führungsstruktur fordert. In den letzten sechs Monaten sind bereits 75 Mitarbeiter entlassen worden. Von den noch beschäftigten ca. 340 Mitarbeitern werden in nächster Zeit weitere 20 bis 25 entlassen werden. Grund für die Krise ist ein starker Umsatzrückgang, der dem Unternehmen schwer zu schaffen macht. Ursache dafür ist ein „beständiger Imageverlust“, da man durch vermehrte Billigprodukte und -Aktionen immer mehr qualitätsbewusste Stammkunden vertrieben hat. 3.2 April 2003: Positive Signale Am 15. April teilt Klaus Kühnemann, seit 14 Tagen Vorstandsmitglied der Möbel Walther AG, bei einer Betriebsversammlung in Neu-Ulm mit, dass der Standort trotz eines Umsatzrückganges von 20% erhalten bleiben soll. Auch von Personalabbau ist keine Rede. Man sei in der Konzernzentrale der Auffassung, dass bei Mutschler die Zahl der Mitarbeiter in vielen Bereichen schon auf einem niedrigen Stand sei und man kaum noch darunter gehen könne, so Kühnemann. Außerdem will Möbel Mutschler keinen Preiskrieg mit Ikea, sondern bei seiner neuen Unternehmenspolitik wieder verstärkt auf Qualität und Service setzen. Man respektiere die langjährige Tradition des Hauses und sei sich der Verantwortung dafür auch bewusst, so Kühnemann weiter über das Unternehmen, das 2003 sein 80 jähriges Bestehen feiert. Die Gewerkschaft und die Mitarbeiter sind sich einig, dass der Walther Manager positive Signale in einer schweren Zeit gegeben hat. 3.3 Juli 2003: Die Krise 3.3.1 Dienstag, 1. Juli 2003: Schlechte Zeichen Klaus Kühnemann ist mittlerweile nicht mehr im Vorstand, ebenso wie jetzt neue Chefs an der Spitze des Konzerns stehen: Bernhard Hönig und Klaus Lassek. Das Unternehmen Möbel Walther AG kündigt einen noch schärferen Sparplan an. Das Vorstandsmitglied Klaus Lasseck erklärt, dass dies Auswirkungen auf alle Standorte haben werde, aber in Neu-Ulm keine „aktuellen Anpassungen“ vorgenommen werden sollen. Er räumt allerdings ein, dass die Entwicklung in Neu-Ulm „nicht erfreulich“ sei. Außerdem führt das Unternehmen Gespräche mit dem Vermieter, da die Leerstände im Mutschler-Center der Attraktivität nicht gerade förderlich sind. Seite 5 3.3.2 Dienstag, 15. Juli 2003: Die Schließung wird beschlossen Das Möbelhaus Mutschler soll am 16. Juli geschlossen werden. „Aufgrund einer sicherheitstechnischen Störung“, wie der Mutschler-Geschäftsführer und Walter AG Vorstandsvorsitzender Bernhard Hönig offiziell bestätigt. „Wir wollten das Haus umbauen und mussten dabei feststellen, dass die Brandmeldeanlage nicht in Ordnung ist. Anschließend wurde von uns ein Gutachter beauftragt, der uns im Falle eines Brandes starke haftungsrechtliche Probleme bescheinigte. Deswegen werden wir das Haus morgen nicht mehr öffnen.“ Es soll auch bis auf weiteres nicht mehr geöffnet werden, alle Mitarbeiter sollen auf einer Betriebsversammlung in Urlaub geschickt werden. Im Folgenden sollen Gespräche mit der Bauaufsicht, der Feuerwehr und dem Vermieter geführt werden. Gerüchte, dass der Mehrheitsaktionär Kurt Krieger sich mit dieser Aktion des verlustreichen Unternehmen Mutschler entledigen wolle, werden von Bernd Hönig dementiert. 3.3.3 Mittwoch, 16. Juli 2003: Schließung Das Möbelhaus Mutschler bleibt geschlossen. Selbst die Mitarbeiter erfahren das erst, als sie vor verschlossenen Türen stehen. Eine offizielle Stellungnahme erhalten sie in der kurz darauf anberaumten Betriebsversammlung. In einer Pressemitteilung der Walter AG heißt es als Begründung für die vorübergehende Schließung, dass Gutachter und die Bauaufsicht der Stadt Neu-Ulm gravierende Sicherheitsmängel an dem Gebäude entdeckt hätten und eine Gefährdung der Kunden und Mitarbeiter nicht ausgeschloßen sei, und man sich deshalb zu diesem gravierenden Schritt entschlossen hätte. Die Bauaufsicht der Stadt und der Feuerwehrchef Stephan Rudolph dagegen sehen keinen akuten Handlungsbedarf. Es habe keinen Druck von Seiten der Stadt gegeben, betonen die Verantwortlichen im Rathaus. Auch der Vermieter beauftragt sofort einen Gutachter, der einen Testlauf des beanstandeten Rauchabzuges durchführt und ihm eine einwandfreie Funktion bescheinigt. Dies lässt die Entscheidung der Konzernleitung in einem anderen Licht erscheinen. Gerüchte keimen auf. Möglicherweise will sich der Konzern um die Mietzahlungen drücken, die immerhin über 400,000 € Monatlich betragen (für das Möbelhaus, das Hochregallager, das Zentrallager, das Einrichtungshaus „News“ und den „Sparkauf“). Und der Mietvertrag läuft noch bis 2011. Auch die anderen Geschäfte, die noch in dem Gebäude untergebracht sind, zeigen sich beunruhigt, da sie möglicherweise von der ausbleibenden Kundschaft in Mitleidenschaft gezogen werden. Seite 6 3.3.4 Donnerstag, 17. Juli 2003: Zweifel Der Manager des Mutschler-Centers, Matthias Doth, weißt jegliche Mängel aus „fachlicher und technischer Sicht vollinhaltlich“ zurück und kündigt die Hinzuziehung eines TÜVGutachters an. Er verweist auf die Aussagen von Bauaufsicht und Feuerwehr, die ihrerseits auch keine so gravierenden Mängel festegestellt hätten, dass es die Schließung des Unternehmens rechtfertigen würde. Ein Vertreter des vom Vermieter beauftragten Bauunternehmens sei auf dem Weg nach Neu-Ulm. Die Oberbürgermeisterin, die Mitarbeiter der Bauaufsicht und der Feuerwehrchef betonen weiterhin, es habe niemals Auflagen oder Beanstandungen von Seiten der Stadt gegeben. Nach einem Umbau im Jahre 1999 sei das Gebäude ordnungsgemäß abgenommen worden und es seien lediglich Kleinigkeiten beanstandet worden, die in keinem Fall eine Schließung rechtfertigen würden. Ebenso sieht dies der Vermieter, die „Perseus“ ist nicht bereit, die Walther AG vorzeitig aus dem Mietvertrag zu entlassen, mit dem eine Betreiberpflicht bis 2011 verbunden ist. Außerdem ist sie nicht willens Mietminderungen zu gewähren, da die dadurch entstehenden Defizite von der Berliner Bankgesellschaft und damit letztendlich vom Steuerzahler getragen werden müssten. Die Belegschaft ist sich mittlerweile sicher, dass die Walter AG nur das „Millionengrab“ Möbel Mutschler billig loswerden will. Berichten von Mitarbeitern zufolge war die Aktion bereits seit Wochen geplant: Es sei bereits vor zwei Wochen ein Bestellstop für Waren verhängt worden, zudem seinen Waren aus Neu-Ulm in andere Standorte des Walther AG Konzerns verschoben worden. Zudem seien keine Verkaufsaktionen mehr geplant und vorbereitet worden. Zudem sei auch das Gartencenter geschlossen worden, obwohl es nicht in der angeblichen Gefahrenzone liegt. Der Betriebsrat will einen Runden Tisch mit allen Beteiligten, der Stadt, Gewerkschaften und den Walther Managern einrichten, um eine möglichst baldige Wiedereröffnung zu erreichen. Der IG-Metall-Bevollmächtigte Michael Knuth wörtlich: „Jeder Tag, an dem das Haus geschlossen ist, ist ein Tag gegen die Arbeitsplätze.“ Er fordert die sofortige Wiedereröffnung des Möbelhauses. 3.3.5 Freitag, 18. Juli 2003: Obwohl der Test der Anlage einwandfrei verlief und ein TÜV Expertengutachten die Behauptung der Mängel widerlegt, verlautbart die Walter AG, die vorgelegten Gutachten hätte die Bedenken nicht ausgeräumt und das Unternehmen sei nicht bereit, die wirtschaftlichen Folgen der durch den Vermieter zu verantwortenden Versäumnisse zu tragen. Aus diesem Grund seien auch die Mietverträge aufgekündigt worden und der Geschäftsbetrieb mit sofortiger Wirkung eingestellt worden. Zitat: „Wir bedauern, diese Entscheidung treffen zu müssen, da uns bewusst ist, was dies für unsere Mitarbeiter bedeutet.“ In der Tat stehen mit sofortiger Wirkung über 300 Beschäftigte auf der Strasse. Über deren Schicksal will Bernhard Hönig keine Angaben machen. Zitat: „Das werden wir bei einer Mitarbeiterversammlung am Montag abklären.“ Damit wird aus der vorübergehenden Schließung eine endgültige. Auch werden damit die beiden Mutschler-Ladengeschäfte „News“ und „Discount“ mitgeschlossen. Seite 7 Auch der Stadt Neu-Ulm wirft Bernhard Hönig Versäumnisse vor: Es habe für ein 1996 beschlossenes Brandschutzkonzept keine Endabnahme durch die Bauaufsicht gegeben. 3.3.6 Montag, 21. Juli 2003 Die Stadt widerspricht den Vorwürfen der Walther AG, das Brandschutzkonzept sei nicht abgenommen worden, die Abnahme sei am 11. und 30. März 1999 erfolgt. Die Bürgermeisterin von Neu-Ulm, Dr. Beate Merk wörtlich: „Die Dramatik der Schließung wird nur noch übertroffen von der Art, in der die Schließung erfolgt. Weiß die Firma Walther eigentlich, was sie hier tut? Hat sie tatsächlich nicht verstanden, dass keine drängenden Sicherheitsprobleme offensichtlich geworden sind? Ich bin entsetzt und schockiert über dieses Gebaren.“ Auf der Mitarbeiterversammlung weichen Bernhard Hönig und Klaus Lassek nicht von ihrer Version der vom Vermieter verschuldeten Mängel ab und sprechen die Situation der Belegschaft nicht an. Sie werden ausgebuht und verlassen die Versammlung schon Minuten später wieder. Die Belegschaft veranstaltet einen spektakulären Trauerzug und trägt ihre Arbeitsplätze symbolisch zu Grabe. Die Gewerkschaft und der Betriebsrat stellen einen Antrag auf eine einstweilige Verfügung bezüglich einer Wiedereröffnung. 3.3.7 Mittwoch, 23. Juli 2003 Ein weiteres Gutachten von einem Brandschutzexperten widerlegt erneut die Version der Walther AG. Vor dem Arbeitsgericht Neu-Ulm scheitert der Antrag auf sofortige Wiedereröffnung, da das Gericht nicht in unternehmerische Entscheidungen eingreifen will. Allerdings wird der Walther AG auferlegt, der Arbeitnehmervertretung Einsicht in alle Unterlagen zu gewähren und Verhandlungen über einen Interessensausgleich und einen Sozialplan zu führen. Die Walther AG Chefs wollen auf jeden Fall an der Schließung festhalten, sichern aber vor Gericht zu, die Löhne zumindest bis zum Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist weiterzuzahlen. Zitat: „Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt und würden das wieder tun“ Die Anwälte der Walther AG erheben schwere Vorwürfe gegen die Stadt Neu-Ulm, es sei „das eine oder andere behördliche Versäumnis zu beobachten“. Rechtsanwalt Heinz Seibert spricht von „Skandal“ und „Schlamperei“ im Rathaus Neu-Ulm. Klaus Lassek überlegt gegenüber der Stadt Neu-Ulm eine Dienstaufsichtsbeschwerde einzureichen. Es wird bekannt, dass die Walther AG mehrere Gutachten in Auftrag gegeben hat, von denen eines die Sicherheitsmängel bescheinigt, auf welche die Walther AG immer noch beharrt. Allerdings liegen weder der Stadt, noch der Feuerwehr oder dem Betriebsrat diese Dokumente vor. Am Nachmittag wird ein weiterer Test der Belüftungsanlage durchgeführt, der laut Gutachter der Walther AG nicht erfolgreich ist. TÜV – Experten und Feuerwehrchef Stephan Rudolph widersprechen erneut. Seite 8 3.3.8 Freitag, 25. Juli 2003 Die 2. Zivilkammer des Landgerichts Memmingen erlässt auf den Antrag der ARWO-Bau hin eine einstweilige Verfügung, nach der Möbel Mutschler baldmöglichst wieder eröffnen muss. Die Richter schenken den Argumenten der Walther AG keinen Glauben und verweisen auf die im Mietvertrag festgelegte Betreiberpflicht. Die Verfügung wird ohne mündliche Verhandlung erlassen auf Grundlage des so genannten Verfügungsanspruchs. Im Falle der Zuwiderhandlung drohen Geldstrafen von bis zu 25,000 € oder bis zu 6 Monaten Zwangshaft. Gegen diese Verfügung kann die Walther AG Widerspruch einlegen, aber ein Widerspruch hätte keine aufschiebende Wirkung. 3.3.9 Montag, 28. Juli 2003 Trotz der einstweiligen Verfügung öffnet weder Möbel Mutschler, noch „News“, noch „Discount“ seine Türen. Die Walther AG gab dazu keinen offiziellen Kommentar ab. Der Vorstandsvorsitzende Klaus Lassek: „Wir werden uns am Dienstag zu dem Thema äußern“ Der Mutschler-Betriebsrat hat keinerlei Informationen über das Vorgehen des Walther Vorstandes. Der Betriebsrat tritt zusammen um sich auf bevorstehende Verhandlungen vorzubereiten, hat aber keinerlei Kontakt zur Walther AG. 3.3.10 Mittwoch, 30. Juli 2003 Der Vorstand der Walther AG äußert sich zu der einstweiligen Verfügung: „Die einstweilige Verfügung wurde uns zugestellt. Da bis zum heutigen Tage weder unserem beauftragten Rechtsanwalt noch uns die einstweilige Verfügung mit ihren vollständigen Anlagen übermittelt werden konnte, ist von Seiten der Walther AG die rechtliche Klärung noch nicht abschließend möglich. Um keine Fristen zu versäumen, haben wir vorsorglich Widerspruch eingelegt.“ Die mündliche Verhandlung soll am 8. August stattfinden. Dann wird verhandelt, ob die einstweilige Verfügung aufrechterhalten wird, denn die einstweilige Verfügung richtet sich ja nicht grundsätzlich gegen die Schließung, sondern gegen die Begründung. Der Betriebsrat bereitet sich auf die Verhandlungen über den Sozialplan mit der Walther AG vor. Seite 9 3.4 August 2003: Die Verhandlungen 3.4.1 Freitag, 1. August 2003 Ein Gutachten aus einer Walther AG – Internen Quelle taucht auf, datiert auf den 28. Januar 2003 und von der Prüfstelle abgestempelt, bescheinigt den Brandschutzanlagen bei Mutschler. „Keine Mängel mit erhöhter Brand- oder Unfallgefahr“. 3.4.2 Mittwoch, 6. August 2003 Die Verhandlungen über den Interessensausgleich und den Sozialplan stecken in einer Krise. Der Walther AG Vorstand weigert sich, mehr als 3 Millionen Euro für die Gesamtabwicklung zu bezahlen. Aus diesem Geld müssten dann die Gehälter bis zur ordentlichen Kündigung, wie auch die Abfindungen gezahlt werden. Sowohl der Betriebsrat als auch der IG-Metall Bevollmächtigte haben höhere Forderungen angemeldet. Der Walther Vorstand droht bei scheiternden Verhandlungen Insolvenz anzumelden. 3.4.3 Freitag, 8. August 2003 Nach dreieinhalbstündiger Verhandlung vor der 2. Zivilkammer des Landgerichts Memmingen wird die einstweilige Verfügung gegen die Walther AG bestätigt. Demzufolge muss Mutschler baldmöglichst wieder öffnen. Für den Falle der Zuwiderhandlung liegt bereits ein Antrag auf Vollstreckung der Zwangsmassnahmen vor. Angeblich hatte der Walther Vorstand bereits vor der Verhandlung bei schlechtem Ausgang mit dem Gang zum Insolvenzgericht gedroht. Die Walther Vorstände gaben nach dem Urteil keinen Kommentar ab, man wolle auf die schriftliche Urteilsverkündung warten und dann erst über weitere Schritte entscheiden. 3.4.4 Montag, 11. August 2003 Trotz des eindeutigen Urteils und des ersten verhängten Zwangesgeldes in Höhe von 20,000 Euro bleibt Möbel Mutschler weiterhin geschlossen. Laut Walther-Vorstand Klaus Lassek: „zumindest bis zum Erhalt der schriftlichen Urteilsbegründung voraussichtlich Ende dieser Woche“. Eine Wiedereröffnung käme auf Grund des Pfandrechts des Vermieters nicht in Frage. Außerdem sei an langfristige Öffnung nicht zu denken, da die Kündigung der Mietverträge wegen der Sicherheitsmängel bestand haben werde. Zugleich wurde von Seiten der Walther AG Berufung beim Oberlandesgericht angekündigt. Allerdings hat die Walther AG nicht wie angedroht Insolvenz angemeldet. 3.4.5 Donnerstag, 14. August 2003 Die Walther AG gibt in einem Schreiben an das Landgericht Mannheim bekannt, dass der Geschäftsbetrieb in der nächsten Woche wieder aufgenommen werde. Der Walther Vorsitzende Bernhard Hönig will sich dazu jedoch nicht äußern. Seite 10 3.4.6 Montag, 18. August 2003 Möbel Mutschler wird voraussichtlich ab Freitag seine Pforten wieder öffnen. Auch wenn Walther-Anwalt Prof. Dr. Peter Scholz bestätigt, dass die Öffnung nur als „vorläufig“ zu erstehen sei. Walther wolle damit dem Urteil nachkommen, obwohl man dieses für falsch halte. Man wolle immer noch Berufung beim Oberlandesgericht einlegen. Welche Häuser am Freitag wieder geöffnet werden sollen, ist bisher unklar. Es soll allerdings kein Ab- oder Räumungsverkauf werden, sondern normaler Geschäftsbetrieb. 3.4.7 Freitag, 22. August 2003 Möbel Mutschler hat wieder geöffnet. Allerdings nur vorläufig, wie die Walther AG betont. Die Gewerkschaft und der Betriebsrat geben bekannt, dass sie einem Interessensausgleich grundsätzlich zustimmen würden (und damit auch einer Schließung) wenn die Walther AG einem Sozialplan für die Mitarbeiter zustimmen würde. 3.5 September 2003: Der Kompromiss 3.5.1 Mittwoch, 17. September 2003 Der Betriebsrat von Möbel Mutschler und das Management der Walther Gruppe einigen sich auf die Rahmenbedingungen, die für einen umfangreichen Personalabbau notwendig sind. Es werden diesen Monat noch 100 bis 120 Kündigungen erwartet, diese resultieren aus den geringen Umsätzen nach der Wiedereröffnung. Es wird ein Sozialplan entworfen, demzufolge alle gekündigten Mitarbeiter eine Abfindung in Höhe (0,5 bis 0,55) x Bruttogehalt x Jahre der Betriebszugehörigkeit erhalten. Die Höchstgrenze der Abfindungen liegt bei 30,680 Euro. Weiters soll eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft eingerichtet werden. Diese Gesellschaft steht allen gekündigten Mitarbeitern offen, sie können dort für die den doppelten Zeitraum der Kündigungsfrist zu ca. 80% ihres Nettogehalts arbeiten. Sie wird ab dem 1. Oktober in Plochingen eingerichtet. 3.5.1 Dienstag, 30. September 2003 Der Stellenabbau bei Möbel Mutschler ist nun fix. Jeder gekündigte Mitarbeiter – auch Aushilfen und Beschäftigte im Mutterschutz oder Erziehungsurlaub - wird eine Abfindung erhalten und ca. 160 Mitarbeiter werden in die Beschäftigungsgesellschaft wechseln können, wo sie ca. 82% -84% ihres Nettoeinkommens erhalten. Der Geschäftsbetrieb wird bis zur Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht in Augsburg weiters aufrechterhalten, allerdings mit einer Belegschaft von ca. 60 Mitarbeitern. Bis das Oberlandesgericht die einstweilige Verfügung widerruft oder bestätigt werden allerdings noch einige Monate vergehen, da allein die Begründungsfrist einen Monat beträgt und die Erwiderungsfrist sechs Wochen. Sollte das Gericht der Memminger Entscheidung widersprechen, kann Möbel Mutschler geschlossen werden. Seite 11 4. Abschlussbetrachtung Obwohl es eigentlich nur ein „kleines“ Beispiel ist, kann man hier sehr gut sehen, dass selbst bei einem Unternehmen dieser Größe die Auswirkung einer Krise weitaus mehr als nur die Region betreffen. Die offensichtliche Entscheidung der Walther Manager, den Standort Neu-Ulm möglichst kosteneffektiv zu schließen, betrifft natürlich in erster Linie die ca. 300 direkt bei Mutschler, „News“ und „Discount“ Beschäftigten. Allerdings hängt auch das Schicksal der etwa 40 kleinen Unternehmen, die Außerdem im Mutschler-Center untergebracht sind (Vom Supermarkt, über einen Blumenladen bis hin zu einer Eisdiele) davon ab, dass Kunden, die den Möbel-Discount ihre sonstigen Einkäufe dort erledigen. Bleiben diese Kunden jedoch aus, so werden viele dieser kleinen Betriebe zugrunde gehen, da sie die Miete nicht mehr bezahlen können. Die Stadt Neu-Ulm, für die das Möbelhaus Mutschler 80 Jahre lang ein Wahrzeichen war erleidet einen Imageschaden, von den fehlenden Steuern gar nicht zu sprechen. Immobilien-Firmen wie die ARWO-Bau, bzw. der Berliner Investmentfonds „Perseus“, dem im Falle einer verfrühten Beendigung des Mietverhältnisses (falls die Mängel vor dem Oberlandesgericht anerkannt werden) Millionen verloren gehen, sind ebenfalls direkt von einer Schließung betroffen. Da der Fond, der den Anlegern eine feste Rendite garantiert, aber zur Bankgesellschaft Berlin gehört, bei der das Land Berlin der Hauptanteilseigener ist, werden im Falle eines größeren Verlustes wie hier, letztendlich die Steuerzahler dafür geradestehen müssen. Der Neu-Ulmer IG-Metall-Bevollmächtigte Michael Knuth hält auch eine Ausweitung zu einem Bankenskandal durchaus für möglich, da die Berliner Bankgesellschaft, der das Mutschler-Center letztendlich gehört, auch der Geldgeber des Hauptanteilseigener der Walther AG. Kurt Krieger, ist. Aber obwohl sich die Walther AG Vorstände immer sehr siegessicher gaben, scheint ihnen bei der ganzen Sache nicht wohl zu sein: Solange die Frage der Konzernhaftung nicht geklärt ist, kann im Insolvenzfall möglicherweise auch die Walther AG für die Pleite von Mutschler zur Kasse gebeten werden. Das scheint auch der Grund zu sein, warum sie nicht einfach Insolvenz angemeldet haben, sondern, wenn auch widerwillig, der einstweiligen Verfügung Folge geleistet haben. Um das Wohl der Beschäftigten dürfte es ihnen dabei wohl kaum gegangen sein. Sollte das Oberlandesgericht der einstweiligen Verfügung widersprechen, so kann die Walther AG das marode Unternehmen mit minimalen Verlusten loswerden, die Kündigung der Mietverträge wäre rechtswirksam und die Verluste würden die Kleinanlieger und Steuerzahler tragen. In diesem Sinne kann man nur hoffen, dass die zuständigen Stellen wissen, dass sie nicht den Aktionären und Vorständen großer Konzerne, sondern dem Recht und den Steuerzahlern verpflichtet sind. Seite 12