Gustav Klimt – ein Maler und Visionär der Gynäkologie und
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Gustav Klimt – ein Maler und Visionär der Gynäkologie und
229 Gustav Klimt, der geniale Maler des Jugendstils, polarisiert auch heute noch – 150 Jahre nach seiner Geburt – mit seinen Zeichnungen und Gemälden. Welche intimen Einblicke gewährt er uns in seine Bilder – auch unter dem Aspekt Gynäkologie und Osteologie? Weltberühmt und den meisten bekannt wurde Gustav Klimt mit seinen Gemälden aus der „goldenen Periode“, vor allem mit dem Gemälde „Der Kuss“ von 1907/08. Er war Mitbegründer des Wiener Jugendstils und traf den Geschmack der RingstraßenZeit Wiens um 1900. Wer seinen Namen hört, denkt unwillkürlich an Bilder von nackten, jungen Mädchen und Frauen, an erotische Gemälde und Skizzen, aber auch an Gemälde von Frauen der gehobenen Schicht. Mit dem Werk „die drei Lebensalter“ (씰Abb. 1) werfen wir einen Blick auf seine Zeit und die Umbrüche und Provokationen in der Malerei. Er war ein genauer Beobachter der weiblichen Anatomie von der Jugend bis ins hohe Alter! Welche Bedeutung hat es noch heute durch unsere Kenntnisse zu Vitamin D und dem altersabhängigen Hormonstatus der Frau? Klimt erzählt uns mit seiner Malerei viel mehr als der erste schnelle Blick auf seine Bilder verrät. Um dies zu verstehen, blicken wir auf die Zeit um die Jahrhundertwende in Österreich und Europa zurück: Wien um 1900 war untrennbar mit Klimt verbunden. Es war die Zeit der Donaumonarchie Österreich-Ungarn und die Zeit des großen Umbruchs in der Wissenschaft, Gesellschaft, Politik und der Kunst. Wien war ein „Schmelztiegel“, reif für den Aufbruch in eine Neue Zeit, ein Aufbruch in die Moderne, die mit schöpferischer Kraft außergewöhnliche Kreativität freisetzte. Das neu aufstrebende, reiche Bürgertum wollte das Leben genießen und sich vergnügen. Als neue Mäzene förderten sie die Künste und Künstler und dokumentierten damit ihren neuen Status neben den Aristokraten. Sichtbarster Ausdruck dieses reichen Bürgertums sind ihre Prachtbauten an der Ringstraße. © Schattauer 2012 Ausgehend von bahnbrechenden Erfindungen, technologischen Veränderungen mit ihren Auswirkungen auf die Gesellschaft im zu Ende gehenden 19. Jahrhundert kam es in Europa zu weitreichenden Veränderungen im Arbeitsleben, in der Industrialisierung und parallel in der Kunst, Architektur, Literatur sowie im Theater. Ein brennendes Thema der bürgerlichen Gesellschaft in Wien um 1900 war auch die Gleichberechtigung der Frau. Die Schulbildung für Mädchen kannte keinen Maturaabschluss. So war auch den Töchtern des Bürgertums der Zugang zum Studium und vielen Berufen der Männer generell verwehrt. Die Rolle der Frau in Ehe und Familie war streng definiert. Der Umbruch erfasste ganz Europa. Künstler der Avantgarde setzten ihre neue Kreativität in einer radikalen Abwendung zur bisherigen Kunstauffassung ein, um vorherrschende ästhetische Normen abzulegen. In Europa entwickelten sich parallel unterschiedliche Kunstrichtungen – in Frankreich der Fauvismus und Kubismus, in Deutschland der Expressionismus und in Wien der Jugendstil. Heute bekannte Künstler dieser Zeit sind u. a. Picasso, Braque und Leger in Frankreich, die „Brücke“-Maler und „Der Blauer Reiter“ in Deutschland und in Wien war es die Gruppe um Gustav Klimt. Der Österreichische Prunk vergangener Zeiten mit schwülstigen Historienbildern wurde von den jungen Künstlern abgelehnt und mündete 1897 in die Gründung der Wiener Secession, deren erster Präsident Gustav Klimt wurde. Auch die prüden Moralvorstellungen dieser Zeit wurden von Künstlern und Dichtern in Frage gestellt und haben so zur befreienden Entwicklung und der Gleichberechtigung von Frau und Mann beigetragen. Klimt erhielt 1894 den Auftrag für vier Deckenbilder des Festsaals der Wiener Universität, die als „Fakultätsbilder“, u. a. zur Medizin bekannt wurden. Seine Darstellungsweise der vier „klassischen Fakultäten“ entsprach bei der Präsentation im Jahr 1900 aber keineswegs den Vorstellungen der Auftraggeber und nicht seinen früheren Entwürfen. Das Werk „Medizin“ zeigte junge und alte, meist nackte Menschen, viele Frauenkörper, aber auch den Tod. Es kam zum Bruch, Klimt nahm seine Bilder zurück und orientierte sich neu: Seine bis heute weltbekannten Werke entstanden. Das ewig Weibliche Klimt schuf mit seinen neuen Werken sinnliche Bildwelten mit einer Schönheit kleiner Ornamente, einem Reichtum des Dekors, der Opulenz an Formen und Farben. Der Betrachter wird von der besonderen Rätselhaftigkeit seiner Bildschöpfungen in den Bann gezogen. Welche Aussagen er damit bewirken will, ist Vielen nicht bekannt. In seinen Werken lehnte sich Klimt auch gegen die Moral seiner Zeit auf. Er stellt das „Weibliche“ in allen Facetten dar. Ekstase, Verführung, Eros und Sexualität, Anmut und Grazie sowie Obszönität prägen seine Frauenbilder. Er zeichnete Frauen aus allen sozialen Schichten und jeden Alters, Mädchen des Volkes, Dirnen, Damen der vornehmen Gesellschaft, Jüdinnen und Aristokratinnen. Klimt zeigte beide Seiten in seiner Kunst. In vielen Bildern sieht der Betrachter eine zur Schau gestellte, leuchtende Nacktheit der schlanken Mädchenkörper, die Schambehaarung, die ein Affront gegen Sitte und Moral dieser Zeit war. Andererseits sind besondere Stoffe, Muster und Kleider wesentliche Elemente seiner Frauenporträts, die die Präsentation ihrer Trägerinnen in der Wirkung erhöhen und äußerst reizvoll bedecken oder enthüllen. Klimt verstärkte ihre erotische Ausstrahlung noch durch Verknüpfung mit dem edelsten Material „Gold“ in schimmernden, zum Teil großformatigen Goldflächen, das eine Überhöhung der Figur ins Kostbarste schuf. Es wurde sein Markenzeichen! Das macht den Reiz und die Brisanz seiner Bilder bis heute aus. Er war der Malerstar seiner Zeit, Wien ist mit ihm in der Zeitenwende angekommen. Eros, Schönheit und Alter Bei der Betrachtung seiner vielen Werke fallen ältere Frauenfiguren weit weniger auf und doch ist er der Maler seiner Zeit, der Osteologie 3/2012 OSTAK Gustav Klimt – ein Maler und Visionär der Gynäkologie und Osteologie? 230 Abb. 1 OSTAK „Die drei Lebensalter“ – Ausschnitt –, Öl auf Leinwand, 180 x 180 cm, Gustav Klimt (1905), © Galleria nazionale d’arte moderna e contemporanea, Rom. Su concessione del Ministero per i Beni e le Attività Culturali. sich der Thematik „Geburt, Leben und Tod“ in vielen Skizzen und Bildern sehr detailliert angenommen hat, denn für ihn waren dies stets wichtige Aspekte in seinen Gemälden, wie besonders in seinem 1905 entstandenen Werk „Die drei Lebensalter“ zu sehen ist (씰Abb. 1). Ist dieses Bild nicht auch symbolisch für die Ärztegruppen, die sich dieser drei Phasen im Leben der Frauen annehmen, die heute in der DVO zusammen arbeiten? Drei stille nackte Frauenkörper stehen im Zentrum des Bildes auf einem hellen, silbrigen Untergrund und vor einer dunkelbraunen Struktur in der unteren Bildfläche, einer Baumrinde gleichend, die mit einem zarten Blumenmeer aus Blütenstaub bedeckt ist. Unser Blick fällt bei „Die drei Lebensalter“ auf zwei voneinander getrennte, nur gering überlappende „Bildpartien“ einer nackten Greisin mit dem typischen Hinweis einer Osteoporose in Form des „Witwenbuckels“ und rechts daneben einem nackten, schlafenden Kind mit gelocktem Haar, das in den Armen seiner sehr jugendlichen, ebenfalls nackten Mutter, ruht. Sie hat ihren Kopf dem Betrachter halb zugewandt und neigt ihr Gesicht behütend über das Kind, das sie innig mit den Armen umfasst. Die Greisin im Profil fällt durch ihren stark gerundeten Rücken, Hängebrüste, Osteologie 3/2012 weit vorgewölbten Bauch und den durch die Haut bläulich schimmernden Venen an Nacken, Armen und Beinen sehr deutlich auf. Ihre Hand stützt das Gesicht mit einer scheinbar verzweifelten Geste und verbirgt gleichzeitig ihre Augenpartie. Ihre langen gelockten, braunen, wie von Silberfäden durchzogenen Haare, fallen bis auf die Brüste. So gleicht sie einer Person auf dem schon erwähnten Fakultätsbild Medizin, in dem Aktdarstellungen greiser Menschen zu Gustav Klimt ● ● ● ● ● ● Am 14. Juli 1862 in einem Wiener Vorort geboren, der Vater ist Goldschmied. Mit 14 Jahren Besuch einer Wiener Kunstgewerbeschule, 1883 eigenes Atelier mit seinem Bruder Ernst. 1897 gründet er mit 19 Künstlern die Künstlervereinigung Österreichs „Secession“ – Klimt wird ihr erster Präsident. Die Wiener „Secession“ wird Hochburg des Jugendstils. 1900 werden vier Fakultätsbilder für die Universität Wien abgelehnt – danach beginnt seine „goldene Periode“. Am 6. Februar 1918 stirbt Gustav Klimt an den Folgen eines Schlaganfalls. sehen sind, deren körperlicher Verfall in krassem Gegensatz zu den makellos geformten, schlanken, weiblichen Akten steht. Klimt zeigt in der Nacktheit dieser alten Frau mit ihrer tragischen Anatomie all das Schicksal, das sie erfahren hat. Jugend und Alter, Aufblühen und Welken, das ganze Leben im Zusammenspiel von Lust und Leid, das Menschenleben genannt wird. Für Klimt spielte die biologische Funktion der Fortpflanzung eine zentrale Rolle im Leben. Er sah den Grund für die Verzweiflung der alten Frau nicht so sehr ihrem Alter zugeordnet, sondern vielmehr im Verlust ihrer sexuellen Attraktivität und Fortpflanzungsfähigkeit. Ist für die Frau im Gemälde dieser Verlust der Anfang des Sterbens? So dachten Klimt und viele seiner männlichen Zeitgenossen um die Jahrhundertwende. Die Dekorhülle der Greisin befindet sich räumlich getrennt von dem der jungen Frau und überschneidet diese in der linken unteren Hälfte. Zeigt dies den scheinbaren Bruch im Leben der Frau durch das Klimakterium? Klimts Bild führt uns durch die drei Phasen des Lebens zu unbewussten Traumstadien – Mutter und Kind haben die Augen wie im Schlaf geschlossen, die Augen der Greisin sind hinter dem dichten Vorhang ihrer Haare und von ihrer Hand versteckt. Er sieht dies als Botschaft des ewigen Eros, für den er – wie in vielen seiner Gemälde – seine eigene symbolhafte Formensprache verwendet. Es ist die Vielzahl bereits oben erwähnter dekorativ ornamentaler Elemente von runden und rechteckigen Formen. Muschelartige, ovale und phallische Formen und Eizellen laden die Darstellungen sexuell auf. Die die Figuren umfassenden, zwei organische Flächen hinter der Greisin sowie hinter der jungen Frau mit Kind implizieren die phallische Präsenz, die sich in acht kleineren ovalen Formen, die horizontal in das dekorative Muster aus runden Eizellen eindringen, wiederholt. Klimt konnte bei dem befreundeten Anatomen Emil Zuckerkandl Eizellen durch ein Mikroskop betrachten und setzte diese Formen bewusst in zahlreichen Werken als Kunstobjekt ein. Mutter und Kind sind über den Köpfen ebenfalls von einer organisch wirkenden hüllenartigen Dekorfläche umgeben, deren Hauptmotive konzentrische Flächenschei© Schattauer 2012 231 Gustav Klimt heute Wie hätte Klimt sein Bild „Die drei Lebensalter“ damals gemalt, wenn er die detaillierte Erkenntnis unserer Tage in Bezug zum Hormonstatus in Abhängigkeit des Alters bei Frauen damals schon gekannt hätte? Er war wohl – wie die Umsetzung der mikroskopischen gewonnenen Erkenntnis zum Aussehen von Eizellen zeigt – wissenschaftlichen Erkenntnissen gegenüber und deren Umsetzung in seiner Bildsprache sehr aufgeschlossen. Der weibliche Organismus durchläuft etwa drei Jahrzehnte das bekannte hormonelle Auf und Ab, das die Jugend im Bild charakterisiert und das Klimt vielleicht im optischen Verlauf des Hintergrunds eingehender eingebunden hätte. Hervorgehoben hätte er vielleicht auch die Hormonsteuerung zur monatlichen Vorbereitung für eine mögliche Empfängnis der jungen Mutter, ebenfalls in der Symbolsprache der Hintergrundornamentik. Betrachten wir seine im Bild gemalte Greisin noch einmal eingehend, so spiegelt sie genau das hormonelle Auf und Ab im Leben, das Aufblühen und Verwelken wider, das durch die Hormone und Stoffwechselvorgänge gesteuert wird und die Psyche und den Alterungsprozess beeinflusst. Sie haben als eine „hormonelle Revolution“ auch eine zentra© Schattauer 2012 Abb. 2 Das Sonnenvitamin, Acryl auf Leinwand, 80 x 80 cm, © Peter Diziol (2012) le Bedeutung für das biologische Altern der Frauen mit den Wechseljahren – das Zusammenspiel von Lust und Leid. Indirekt hat Klimt hiermit die biologische Funktion der Fortpflanzung als zentrale Rolle im Leben der Frau im Zusammenspiel der Hormone richtig zugeordnet, im Verlust ihrer sexuellen Attraktivität und Fortpflanzungsfähigkeit. Neben den Hormonen spielt Vitamin D, das auch zu den Hormonen gehört, eine besondere Rolle im Leben des Menschen und besonders im Zusammenspiel mit den hormonellen Veränderungen im Leben der Frau, deutlich ausgeprägt durch die Häufigkeit der Osteoporose bei Frauen im Vergleich zu Männern. Auf die Bedeutung von Vitamin D, nicht nur für die Knochengesundheit wurde im Themenschwerpunkt der Ausgabe 4/2011 der Osteologie detailliert eingegangen. Vitamin-D-Mangel hat auch einen direkten Einfluss auf das kardiovaskuläre System, spielt bei chronischer Niereninsuffizienz eine Rolle, besonders bei niereninsuffizienten Kindern. Die Bedeutung von Vitamin D geht weit über seine Funktion beim Skelett hinaus. Experimentelle Arbeiten belegen die protektive Wirkung auf Krebserkrankungen, immunologische Erkrankungen, Infektionen sowie neurologischen Erkrankungen. Damit hat dieses Hormon eine wichtige Rolle in OSTAK ben darstellen, die auch hier an weibliche Eizellen erinnern und die verschiedenen Lebensstadien darstellen. Von rechts unten fließt ein Strom aufrecht gestellter Dreiecke wie Samenzellen in den zarten Kokon, der die beiden Frauenfiguren umhüllt. Durch diese der Frau und dem Mann zugeordneten Ornamente sind Identität und Lebensbestimmung der Geschlechter auf eindringliche Weise symbolhaft verbunden. Die sexuelle Begegnung der Geschlechter wird von ihm durch augenartige Kreise und spitze Dreiecke gezeigt. Die Sexualität versteckt er hinter einer „nicht sofort erkennbaren“ verführerisch schönen Ornamentik. Dies charakterisiert Klimts „geheime“ Darstellung des Liebeslebens und ist zugleich eine ideenreiche Art der Rache an den blinden Kritikern der Fakultätsbilder von einst und nicht selten auch den Sittenrichtern heutiger Betrachter. vielen Lebensaltern. Ein bedeutender Vitamin-D-Mangel wurde in zahlreichen Studien nachgewiesen, die zeigten, dass im Winter etwa 60 Prozent der Menschen einen Vitamin-D-Spiegel unter 20 μg/l aufwiesen. Diese Erkenntnisse lagen zur Zeit von Gustav Klimt noch nicht vor – wie wäre er wohl damit in seinen Bildern umgegangen? Vitamin D kann in Kristallform durch polarisiertes Licht optisch dargestellt werden. Die Kristallformen erscheinen im Mikroskop wie Gemälde in Linien, Formen und Farben, die beispielhaft einen hohen „Gelb- und Blauanteil“ zeigen. Eine kreative Umsetzung als Gemälde liefert den Eindruck eines Sonnentages in „Gold“ gehüllt, das ebenfalls kleine Ornamente in komplementären Farben zeigt (씰Abb. 2). Diese Farbgebung passt sehr gut zu bekannten Gemälden von Gustav Klimt. Neugierig auf die Wissenschaft – wie die Umsetzung der mikroskopischen Bilder der Eizelle zeigen – hätte er es sicher in seinen sinnlichen Bildwelten mit der Schönheit kleiner Ornamente im Reichtum seines Dekors eingebunden. Als Maler und Visionär wären auch diese Werke zum 150. Geburtstag ausgestellt worden. Dr. Peter Diziol, Baden-Baden Literatur beim Verfasser. Osteologie 3/2012