Aerodynamik der Sechzehnventiler
Transcription
Aerodynamik der Sechzehnventiler
Sechzehnventiler 4 Aerodynamik der Sechzehnventiler Die Vorstellung des Sechzehnventilers 1983 durch Mercedes-Benz löste bei der Fachpresse großes Erstaunen aus. Und zwar auf eine Art und Weise wie sie in Untertürkheim nicht beabsichtigt war. Es war nicht der neue Vierventilmotor und auch nicht die kürzlich eingefahrenen Rekorde im süditalienischen Nardo. Es war das Äußere des Wagens was vielen Journalisten missfiel und so gar nicht zum dezenten Stil des Hauses Daimler-Benz passen wollte. Dabei wurde oft übersehen, dass die geradezu revolutionär anmutende Erscheinung mit Spoilern und Flügeln nicht darauf aus war optisch Eindruck zu schinden. Vielmehr dienten die sorgsam entwickelten Einzelteile dem Gesamtkonzept des Sechzehnventilers. Rückblickend mag man die Aufregung der Presse Anfang der 80er Jahre nachvollziehen. Aerodynamisches Zubehör fand man damals nur bei den Tunern oder Veredlern. Dass die aerodynamische Effizienz dieser Angebote teilweise mangelhaft und nur auf den optischen Eindruck gerichtet war, trug der Ablehnung von Heckflügeln und dergleichen Rechnung. Andere Wege beschritt man im Hause Daimler-Benz. Der erst kürzlich vorgestellte Typ W201 sollte für Geschwindigkeiten über 200km/h, die mit dem Vierventilmotor zu erwarten waren, fit gemacht werden. Die bloße Reduzierung des Luftwiderstandes spielte nicht die alles entscheidende Rolle. Fahrstabilität bei hohen Geschwindigkeiten garantierte erst eine Reduzierung der Auftriebswerte. Mercedestypisch wurde auch auf die Details geachtet. So musste die Seitenscheibe auch bei Verringerung des Luftwiderstandes schmutzfrei bleiben, was einen Zielkonflikt in der Entwicklung darstellt . Nachfolgend wird die aerodynamische Entwicklung vom 190E 2.3-16 bis zum EVO II nachgezeichnet. Ohne ein klein wenig Theorie geht auch das nicht vonstatten. Mercedes-Benz W201 16V Club e.V. Sechzehnventiler 5 Jeder sich bewegende Körper verdrängt das Medium in dem er sich befindet. Bei einem Schiff z.B. das Wasser oder bei einem Auto die es umgebende Luft. Das Medium setzt dem Körper einen Widerstand entgegen, der überwunden werden muss. Dabei bewegt sich das Medium um den Körper herum und falls möglich auch durch ihn hindurch. Bei einen Auto strömt die Luft nicht nur um das Auto herum, sondern auch darunter hindurch oder z.B. durch den Motorraum. Dabei entstehen Kräfte, die den Körper nicht nur abbremsen, sondern auch in eine Richtung ziehen können. Aus diesem Grund können Flugzeuge fliegen. Wird eine Tragfläche eines Flugzeugs umströmt, entsteht eine Druckdifferenz zwischen Ober- und Unterseite der Tragfläche. Oben entsteht ein Unterdruck und unten ein Überdruck. Dieser Unterschied bewirkt den Auftrieb um das Flugzeug abheben zu lassen. Bei einem Landfahrzeug ist dieser Effekt jedoch unerwünscht. Zu jeder Geschwindigkeit soll ein Fahrzeug sicher zu beherrschen sein. Ohne aerodynamische Hilfsmittel wird ein Auto mit steigender Geschwindigkeit scheinbar immer leichter, da es von der umströmenden Luft angehoben wird. Ziel der Entwickler ist es nun, den Auftrieb des Wagens zu reduzieren oder ihn gar in einen Abtrieb zu wandeln, der den Wagen mit steigender Geschwindigkeit immer stärker auf die Fahrbahn drückt. Einige Rennfahrzeuge produzieren so viel Abtrieb, dass sie bei rund 250km/h an der Decke fahren könnten ohne herunterzufallen. Doch so viel Abtrieb hat auch eine Kehrseite. Den Luftwiderstand. Daher muss für ein Straßenfahrzeug eine gute Balance zwischen geringem Auftrieb für die Fahrsicherheit und Luftwiderstand für den Kraftstoffverbrauch gefunden werden. 190E 2.3-16 Bei den Sechzehnventilern kamen dazu eine Kombination aus Front- und Heckschürzen, sowie Seitenverkleidungen und einem Heckflügel zum Einsatz. Diese Komponenten funktionieren nur in Kombination miteinander. 190E im Windkanal Kommen diese einzeln zur Verwendung kann sich dies sogar negativ auf die Fahrstabilität auswirken. Die Verwendung von Breitreifen der Dimension 205/55 VR 15 führte zu einer Verschlechterung des Luftwiderstandes gegenüber dem Basismodell 190E, die durch die Tieferlegung der Karosserie nur teilweise ausgeglichen werden konnte. In Summe konnte trotz der Verschlechterung durch die Breitreifen der Luftwiderstand mit den Anbauteilen um 4% gesenkt werden. Dies war eine 190E 2.3-16 und die Ausgangsmodelle 190E Mercedes-Benz W201 16V Club e.V. Sechzehnventiler 6 8 6 4 2 0 -2 -4 -6 Legende n Frontschürze n Seitenschweller und Türverkleidungen n Heckschürze n Heckflügel n Reifen n Summe R e l a t i v e Ve r ä n d e r u n g d e s L u ft w i d e r s ta n d e s (2.3-16) 30 20 10 0 -10 -20 -30 -40 -50 -60 -70 R e l a t i v e Ve r ä n d e r u n g d e s A b t r i e b s a n d e r Vo r d e r a c h s e ( 2 . 3 - 1 6 ) positive Begleiterscheinung des reduzierten Auftriebs an der Vorder- und Hinterachse um 47% bzw. 40%. Im Fahrbetrieb schlagen sich diese Werte in einer erhöhten Lenkpräzision und einer geringeren Seitenwindempfindlichkeit nieder. Durch die Bugschürze wird weniger Luft unter das Auto geleitet. Neben einer Verbesserung des Luftwiderstandsbeiwertes cw um 4% geht dies mit einer Reduzierung des Auftriebs um 57% an der Vorderachse einher. Gleichzeitig erhöht sich der Auftrieb an der Hinterachse um über 20%. Bereits an diesem einen Bauteil wird sichtbar, dass alle aerodynamischen Maßnahmen aufeinander abgestimmt sein müssen. Ein Fahrzeug welches nur mit der Bugschürze ausgerüstet wäre, ließe sich bei hohen Geschwindigkeiten nur noch unsicher bewegen, da die Hinterachse als spurführende Achse entlastet würde. Bereits durch die Verwendung der Seitenschweller und Türverkleidungen verringert sich der Auftrieb an der Hinterachse wieder um 10 Prozentpunkte ohne die Vorderachse nennenswert zu b e e i n f l u s s e n . E i n e Ve r b e s s e r u n g d e s Luftwiderstandes um 2 Prozentpunkte geht damit einher. Auch ohne einen glattflächigen Unterboden kann die Heckschürze in gewissem Umfang als Diffusor wirken und reduziert den Luftwiderstand 30 20 10 0 -10 -20 -30 -40 -50 -60 -70 R e l a t i v e Ve r ä n d e r u n g d e s A b t r i e b s a n d e r Hinterachse (2.3-16) Druckverlauf in der Fahrzeugmitte (2.3-16) Mercedes-Benz W201 16V Club e.V. Sechzehnventiler 7 H e c k f l ü g e l d e r Ty p e n 2 . 3 - 1 6 u n d 2 . 5 - 1 6 um weitere zwei Prozentpunkte. Vollständig wird der aerodynamische Feinschliff erst durch den Heckflügel, der den durch die Frontschürze vergrößerten Auftrieb an der Hinterachse eliminiert und sogar um 40% gegenüber dem Basis 190E verringert. Der Heckflügel selbst reduziert den Luftwiderstand um weitere 2 Prozentpunkte, in dem er einen Vorstau hinter der Heckscheibe produziert und den Unterdruck verringert. Tuner Neben der Daimler-Benz AG machten sich Mitte der 80er Jahre auch zahlreiche namhafte Zubehörhersteller daran aerodynamische Anbauteile für die Baureihe 201 zu entwickeln. Den Käufern dürfte es vorrangig um eine Veränderung des Erscheinungsbildes gegangen sein. Mitunter s ta n d e n d i e s e E n t w i c k l u n g e n i n i h r e r aerodynamischen Wirksamkeit dem Schürzenund Flügelpaket ab Werk in nichts nach. Beispielhaft werden drei Karosseriebausätze von Zender, AMG und Brabus mit dem 2.3-16 verglichen. Mitunter musste sich der Sechzehnventiler nachsagen lassen, er sehe aus wie von einem Tuner. Wie eingangs erwähnt, stellte er die Denkweise der konservativen Mercedesklientel auf den Kopf. Nicht alles was windschlüpfrig aussieht ist es auch. Bei Nachmessungen stellte sich schnell heraus, dass der 190E von Brabus im wahrsten Sinne des Wortes eine Luftnummer war. Bereits bei niedrigen Geschwindigkeiten fingen die Anbauteile an zu flattern und konnten so ihrer Funktion als Windleitelemente nicht nachkommen. Besonders das Fehlen eines Heckflügels machte sich negativ bemerkbar. So lag der Auftriebsbeiwert der Hinterachse bei 0,16 und damit fast drei Mal so hoch wie beim Serien-Sechzehnventiler. Gerade in schnell gefahrenen Autobahnkurven dürfte sich dieser Umstand negativ bemerkbar gemacht haben. Ganz anders zeigte sich der Bausatz von Zender. Zahlreiche Stunden im Windkanal machten sich hier bezahlt. Der Luftwiderstand konnte sogar unter das Niveau des 2.3-16 gebracht werden, bei gleichzeitig deutlich reduziertem Auftrieb an der Vorderachse. Erkauft wurde dies durch eine etwas geringere Bodenfreiheit durch die voluminöse Frontschürze. Bereits breitere Räder und eine entsprechend angepasste Karosserie ließen bei der AMGAusführung den Luftwiderstand deutlich ansteigen; er lag fast 10% über dem Bestwert des Zender Umbaus. 190E 2.5-16 EVO I Ende der 80er Jahre war die Karosserie des 2.3-16 für den Einsatz im Rennsport ausgereizt. Mit der Entwicklung der beiden Evolutionsmodelle wurde die Aerodynamik der Sechzehnventiler weiter für die Bedürfnisse im Motorsport angepasst. Auffälligste Änderung waren die neu entwickelten Anbauteile. Bereits beim EVO I mussten die Kotflügel verbreitert werden um die 20mm breiteren Reifen im Radhaus unterzubringen. Dadurch verschlechterte sich im ersten Schritt der Luftwiderstandsbeiwert. Die Methoden, die bereits bei der Entwicklung des 2.3-16 zu einer Verbesserung des Luftwiderstandsbeiwertes und einem geringeren Auftrieb führten, wurden nun auch auf die Evolutionsmodelle angewandt. Eine tiefer heruntergezogene Frontschürze reduzierte den Luftwiderstand und den Auftrieb an der Luftwiderstandsbeiwert cw 190E 2.3-16 (Serie) 0,32 190E AMG 0,35 190E Brabus 0,33 190E Zender 0,31 Auftriebsbeiwert vorne cav 0,10 0,09 0,11 0,03 Auftriebsbeiwert hinten cah 0,06 0,06 0,16 0,07 A e r o d y n a m i k k e n n w e r t e d e r K a r o s s e r i e b a u s ä t z e i m Ve r g l e i c h m i t d e r Serienausführung (2.3-16) Mercedes-Benz W201 16V Club e.V. 8 Sechzehnventiler wurden die Evolutionsmodelle mit dem 3-Stufen Fahrwerk ab Werk serienmäßig ausgerüstet. Damit konnten in der obersten Niveaustellung auch steile Rampen ohne ein Aufsetzen des Unterbodens befahren werden. Der Entlastung der Hinterachse wurde durch einen in Breite und Höhe vergrößerten Heckflügel entgegengewirkt. Erstmals war dieser beim EVO I verstellbar. Ein Dreieckprofil konnte in vier verschiedenen Positionen auf oder unter dem Druckverlauf in der Fahrzeugmitte (2.5-16 EVO I) Vorderachse in Verbindung mit einem zweifach verstellbaren Splitter unterhalb der Schürze. Um trotz der verringerten Bodenfreiheit die Alltagstauglichkeit weiterhin zu gewährleisten, Rückansicht des Heckflügels (2.5-16 EVO I) Heckflügel befestigt werden, sodass entweder ein höherer Anpressdruck wirksam wurde oder alternativ der Luftwiderstand gesenkt und damit eine höhere Endgeschwindigkeit erreicht werden konnte. . Draufsicht des Heckflügels (2.5-16 EVO I) 190E 2.5-16 EVO II Weiteren Feinschliff erfuhr der EVOII, der durch nochmals breitere Reifen noch größere Kotflügelverbreiterungen erhielt. Unterhalb der 2.5-16 EVO I in DTM Ausführung Mercedes-Benz W201 16V Club e.V. Sechzehnventiler Frontschürze befand sich nun ein dreifach verstellbares Schwert, welches es möglich machte nun auch an der Vorderachse die aerodynamische Balance feiner einzustellen. Da der Kühlluftbedarf bei Fahrzeugen ohne Klimaanlage durch die groß dimensionierten Öffnungen in der Frontschürze gedeckt werden konnte, wurden die Lamellen hinter dem Kühlergrill teilweise verschlossen und der Luftwiderstand somit erneut ein wenig verbessert. Augenscheinlichstes Merkmal des EVO II war sicherlich der größte Heckflügel an einem Serienfahrzeug seit dem Dodge Charger Daytona von 1969. Dieser wurde von einem ebenfalls nur dem EVO II vorbehaltenen Heckscheibenspoiler angeströmt. Die Höhe des Flügels war allerdings 9 Strömungsverlauf am Heckflügel (2.3-16) Druckverlauf in der Fahrzeugmitte (2.5-16 EVO II) nicht optimal, da er einer Forderung des Kraftfahrtbundesamtes genügen musste. Danach musste gewährleistet sein, dass ein erwachsener Fußgänger zwischen Heckdeckel und Flügel „hindurchfliegen“ kann. Eine weitere Schutzmaßnahme war die zusätzliche Befestigung des Flügels mittels Stahlseilen, um ein Verlieren bei einem Unfall zu verhindern. Sowohl die Abrisskante am Heckdeckel, wie auch die am Heckflügel waren mehrfach verstellbar. Die Höchstgeschwindigkeit von 250km/h wurde nur in der Stellung des minimalsten Widerstands erreicht. In der anderen Extremstellung des maximalsten Abtriebs erhöhte sich der Luftwiderstandsbeiwert bei 200km/h auf 0,37 und war damit schlechter als der 190E mit Serienkarosserie. Dafür wurden über 500N Abtrieb an der Hinterachse generiert, was zu einer verbesserten Fahrstabilität bei steigenden Geschwindigkeiten führte. Im öffentlichen Straßenverkehr darf gemäß Betriebsanleitung ausschließlich mit der Einstellung des geringsten Mercedes-Benz W201 16V Club e.V. Strömungsverlauf am Heckflügel (2.5-16 EVO I) Strömungsverlauf am Heckflügel (2.5-16 EVO II) Sechzehnventiler 10 2.5-16 EVO II mit Flügeln in der Stellung geringsten Abtriebs Abtriebs gefahren werden. Eine Besonderheit betraf die Fahrzeuge, die in die Schweiz ausgeliefert wurden. Aus zulassungsrechtlichen Gründen durfte dort der Serienheckflügel des EVO II in manchen Kantonen nicht verwendet werden, und diese Sechzehnventiler wurden mit dem Flügel des EVO I ausgeliefert. Erstmals wurde beim EVO II ein teilweise verkleideter Unterboden verwendet. Wie bei einem modernen Formel1Rennwagen wird Luft gezielt unter dem Wagen hindurch geleitet. Im Bereich der Heckschürze wirkt der ansteigende Unterboden wie ein Diffusor und saugt das Fahrzeug regelrecht auf den Boden. Rückansicht des Heckflügels (2.5-16 EVO II) Unterbodenverkleidung im Heckbereich (2.5-16 EVO II) Mercedes-Benz W201 16V Club e.V. Sechzehnventiler 11 Te i l w e i s e v e r k l e i d e t e r U n t e r b o d e n (2.5-16 EVO II) Fazit Z a h l l o s e St u n d e n i m Windkanal machten aus dem biederen 190E nicht nur ein optisch ansprechendes Fahrzeug, sondern führten zu einer Balance zwischen Luftwiderstand und Abtrieb, die sich auch heute noch nicht hinter modernen Fahrzeugen verstecken muss. F r o n ts p l i t t e r i n d e r S t e l l u n g m a x i m a l e n Abtriebs (2.5-16 EVO II) 0,33 Auftrieb an der Vorderachse bei 200km/h [N] 293 Auftrieb an der Hinterachse bei 200km/h [N] 249 0,343 0,37 164 291 211 -63 0,341 0,37 117 212 -337 -571 Luftwiderstandsbeiwert cw 2.3-16 2.5-16 EVO I min. Abtrieb max. Abtrieb 2.5-16 EVO II min. Abtrieb max. Abtrieb Aerodynamische Kennwerte der Evolutionsmodelle Text: Max Lotz Bilder: Daimler AG, Christoph Rieger, Oliver Scherrers, Max Lotz Evolution der Aerodynamik vom 2.3-16 bis zum 2.5-16 EVO II Mercedes-Benz W201 16V Club e.V.