2000 GL 1800

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2000 GL 1800
2000
GL 1800
Noch in der Produktionszeit der GL 1500 fragten sich viele, was danach noch kommen
sollte. Die GoldWing war mit der GL 1500 eigentlich perfektioniert worden, bot (für ein
Zweirad) Platz und Luxus in Hülle und Fülle, war mit Technik ausgestattet, die man so
sonst nur im Automobilbau der gehobenen Klasse findet und überzeugte durch eine
Zuverlässigkeit, die ihresgleichen sucht und selten findet.
Nun war und ist HONDA dafür bekannt, niemals einen Schritt zurück zu gehen und es war
Ende der 80er Jahre klar, dass über kurz oder lang eine neue GoldWing kommen wird.
Nur wie diese neue GoldWing aussehen würde, das wurde bis zur Premiere geheim
gehalten. Gerüchte kursierten viele. Im Prinzip war es wie bei jeder Modelländerung in den
Jahren zuvor.
Machen wir es kurz. Die GoldWing wurde gründlich überarbeitet, Verantwortlich war ein
gewisser Masanori Aoki kommt aus dem HONDA Rennsport. Diesen Background kann die
GL 1800 nicht verleugnen. Diese GoldWIng ist mit Abstand das Bissigste, was HONDA
bislang in Sachen GoldWing ins Rennen geschickt hat und das kann man fast wörtlich
nehmen. Fahrwerk, Bremsanlage, Motorleistung werden echten Sportbikes durchaus
gerecht oder anders formuliert: hat man nicht mindestens 300 Meter freie Strecke zum
Überholen, kommt man an diesem Motorrad kaum vorbei. 87 kw (119 PS) / 5.500 U/min,
ein Drehmoment von 167 N/m bei 4.000 U/min, ein kompromisslos zupackendes aber
effektiv arbeitendes ABS (das auch noch funktioniert) verleihen der GL 1800
Fahreigenschaften, von denen die vorherigen GoldWing-Generationen nur träumen
konnten. Dazu der sind –wir –auf-der-Flucht?-Faktor: 4,2 Sekunden von 0 auf 100, um die
220 km/h Spitze. Nur fliegen ist schöner (wenn man gerne fliegt).
Wer eine GL 1500 gewohnt ist, wähnt sich auf einer GL 1800 auf einem kleineren
Motorrad. Der zur Sitzbank hin schmal zulaufende Tankattrappe unterstützt dieses
Empfinden.
Die GL 1500 wirkt insgesamt bulliger, lädt zum Cruisen ein. Bei einer GL 1500 sitzt man im
Motorrad, bei der GL 1800 sitzt man drauf. Und mit einer GL 1800 macht das Cruisen
offen gestanden auch nicht wirklich Spaß. Zu groß ist der Drang, am Gas zu drehen und
die Leistung dieses Motorrades zu erleben bzw. wortwörtlich gemeint zu erfahren. Dieses
Motorrad fordert den Fahrer permanent auf, ihr die Sporen zu geben und es gibt welche,
die das bis ans Limit ausreizen (siehe http://www.youtube.com/watch?v=0nrMQ3QwyPo.
Absolut sehenswert.
Wer mit diesem Motorrad richtig umgehen kann, wird mit der GL 1800 eine Menge Spaß in
allen Geschwindigkeitsbereichen bekommen - vornehmlich jedoch bei der, sagen wir mal
zügigeren Fahrweise. Die GL 1800 verfügt über die Leistungs- und
Geschwindigkeitsreserven, die man bei den vorherigen Modellen bisweilen vermisst hat.
Aus eigener Erfahrung kann der Verfasser dieser Zeilen bestätigen, dass 220 km/h Spitze
nicht übertrieben sind und selbst langgezogene Autobahnkurven mit 200 km/h ohne
Probleme gemeistert werden. Auch im unteren Geschwindigkeitsbereich zeigt sich die GL
1800 äußerst agil. Autobahnauf- bzw. –abfahrten mit 80 km/h – nicht üblich, aber machbar.
Diese latente Gefahr, die GL 1800 wirklich zu erleben ist auch ein Grund mit, warum ich
nach wie vor GL 1500 fahre. Ich stand schon mehr als einmal vor der Versuchung, mir
eine GL 1800 zu kaufen. Letztlich steh ich aber mehr auf Touring als auf Racing und die
GL 1500 ist für mich ohne wenn und aber und trotz unbestrittener Qualitäten der GL 1800
der ultimativste Tourer aller Zeiten. Die Sportlichkeit der GL 1800 forderte somit bei mir
ihren Preis, nämlich den, der GL 1500 treu zu bleiben.
Diese Sportlichkeit fordert nicht nur bei mir sondern bei einem Tourer insgesamt
zwangsläufig Tribut. Der Gepäckraum ist um 10 Liter kleiner, die gesamten Abmessungen
sind gedrungener, das Motorrad ist insgesamt leichter. Ein neuartiger 4-Kant-Alurahmen
hilft einiges an Gewicht zu sparen – 11 Kilo beim Rahmen, insgesamt jedoch „nur“ 9 Kilo
gegenüber dem Vormodell.
Kurioserweise war es gerade mal wieder der Rahmen, der Probleme bereitete und zwar
schlimmer als bei jedem anderen GoldWing-Model davor. Im Prinzip ist der Rahmen stabil,
d.h., das Fahrwerk ist selbst im Hochgeschwindigkeitsbereich nicht aus der Ruhe zu
bringen. Jedoch traten bei einer bestimmten Produktionsreihe Rahmenbrüche auf, die rechtzeitig erkannt - geschweißt werden konnten. Dennoch bleibt ein mulmiges Gefühl in
solch einem Fall. Nun ist es aber so, dass kaum ein GoldWinger seine GoldWing
fahrtechnisch bis an die Grenzen beansprucht (wohl aber belädt und nicht selten bis über
die Grenzen hinaus). Das Problem mit dem Rahmen hat man irgendwann irgendwie in den
Griff bekommen, genauso wie das Problem mit der Überhitzung.
Durch die neuartige Anordnung der beiden Lüfter hinter den seitlichen Luftein-/-auslässen
kam es zu thermischen Problemen, obwohl die Lüftersteuerung so ausgelegt ist, dass bei
Geschwindigkeiten unter 25 km/h die Ventilatoren kühle Luft durch die seitlich
angebrachten Kühler saugen. Dies sollte allerdings primär dazu dienen, die warme Luft
des Motors vom Fahrer fern zu halten.
Zunächst verwies HONDA auf eine fehlerhaft arbeitende Temperaturanzeige. Nachdem
aber einige Maschinen tatsächlich eben wegen dieses Defektes überkochten und
zumindest kurzzeitig während der Abkühlphase ausfielen musste HONDA handeln.
Zunächst glaubte man, dass Problem mit neuen Anzeigeinstrumenten mit geänderte
Skalierung in den Griff zu bekommen. Doch das erwies sich als Augenwischerei, denn ein
Überhitzungsproblem löst man nicht damit, dass man dem Fahrer durch eine geänderte
Anzeige suggeriert, alles sei in Ordnung. Als nächster Schritt kamen andere Widerstände
und irgendwann hatte man das Problem tatsächlich gelöst.
Diese Änderungen erfolgten selbstverständlich auf Garantie und stellen im Prinzip auch
die einzigen erwähnenswerten Probleme dar. Im Prinzip waren es Kinderkrankheiten.
Aktuelle GL 1800 stellen - wie auch die anderen GoldWing-Modelle ihrer Zeit - den
Tourerstandard dar, an dem sich der Rest messen lassen muss. Grundsätzlich steht die
GoldWing für ein Höchstmaß an Zuverlässigkeit und Langlebigkeit.
Die Zeitschrift MOTORRAD versuchte sich zur Ehrenrettung von BMW in einem
Vergleichstest der damals neuen BMW K1200 LT mit einer GL 1500, deren zum damaligen
Zeitpunkt ca. 10 Jahre altes Motorenkonzept zwar durchaus geeignet war, der BMW Paroli
zu bieten, aber irgendwie hat es MOTORRAD geschafft, die BMW zum Sieger zu lügen.
Dabei waren Kriterien wie Höchstgeschwindigkeit und Spritverbrauch mit
ausschlaggebend. Bei einem Tourer von (damals) über 30.000,- DM paradox. Kein Rolls
Royce-Fahrer fragt nach dem Verbrauch und der Höchstgeschwindigkeit. Ungeachtet
dessen - gegen eine GL 1800 wäre die BMW sang- und klanglos untergegangen.
Meines Wissens gab es kaum einen anderen MOTORRAD-Beitrag, der so viele Proteste
auslöste, wie dieser getürkte Vergleichstest.
Der Erfolg der GoldWing basiert auf dem Motor. Dieser Motor (egal ob GL 1000, GL 1100,
GL 1200, GL 1500 oder GL 1800) war jeweils zu seiner Zeit das Non Plus Ultra im TourerMotorenbau. Selbstverständlich wurden über die gesamte GoldWing-Entwicklung auch
Änderungen am Motor vorgenommen, aber in Maßen. Der Wechsel von 4 auf 6 Zylinder
stellt dabei sicherlich den gravierensten Eingriff dar.
Das grundsätzliche Motorenkonzept des Vorläufermodells GL 1500 (6 Zylinder Boxer)
blieb weitestgehend gleich. Jedoch wurden die seit Anbeginn der GoldWing-Entwicklung
verwendeten Zahnriemen durch Steuerketten mit automatischen Kettenspannern ersetzt.
Künftig war auch die Ventilspielkontrolle und-Einstellung wieder ein Thema, dies allerdings
erst nach 48.000 km.
Ein GoldWing Modellwechsel (der letzte vor der Einführung der GL 1800 geht auf das Jahr
1988 zurück) verlangte den eingefleischten GoldWingern immer eine Menge ab. Bei der
GL 1800 dürften jedoch die wenigsten wirkliche Akzeptanzprobleme gehabt haben. Zudem
schwappte die Gerüchteküche vor dem erscheinen der GL 1800 gewaltig über.
Was HONDA dann tatsächlich präsentierte kann man durchaus als kontinuierliche
Weiterentwicklung des bisherigen, aber auch als großen Schritt nach vorne sehen.
Wie auch immer – man hatte sich einiges einfallen lassen.
Ein kurzer Überblick zu den Änderungen:
Insgesamt wirkt die GL 1800 gedrungener und ist in ihren Konturen runder. Als erstes
fallen der geteilte Doppelscheinwerfer und die in die Spiegel integrierten Blinker auf.
Ein Blick in die Gepäckbehälter lässt erkennen, dass da weniger Platz angeboten wird, als
bei der GL 1500. In Zahlen: satte 10 Liter weniger Stauraum.
Wo wir schon mal bei Zahlen sind: Die Verkleidung sorgt für einen um 10 % reduzierten
Luftwiderstand. Dass bringt bei der problemlos zu realisierenden Höchstgeschwindigkeit
durchaus was.
Für den Sozius wurden 50 mm mehr Platz erreicht. Der Fahrersitz ist mit 740 mm auch für
kleinere Fahrer tief genug, um das Motorrad auch im Stand zu händeln.
Das Herz, der Motor: 1.832 ccm, 87 kw (119 PS) 167 Nm (17 kg-m) verleihen der GL 1800
fast Flügel. Dabei wird die strenge EURO-2-Abgasnorm eingehalten. Das sorgt für
Fahrspaß ohne schlechtes Umweltgewissen. Damit hatte die GoldWing aber noch nie
Probleme.
Bei der geänderten Zylinderkopfkonstruktion liegen alle Ventile in einer Reihe direkt unter
der Nockenwelle. Dank dieser kompakten Bauweise konnten die fuß- und Sitzposition des
Fahrers weiter nach vorne verlegt werden, was letztlich auch zum Platzgewinn für den
Sozius führte.
Ein 6,9 Liter Luftfilter versorgt den Motor mit ausreichend frischer Luft. Die
Gemischaufbereitung mittels der neuen PGM-FI-Kraftstoffeinspritzung erfolgt über zwei
40-mm-Drosselklappen, die in einem gemeinsamen Gehäuse zusammengefasst sind und
sechs eigens entwickelte KEIHIN-Hochdruckeinspritzventile. Vier kalibrierte Bohrungen
pro Einspritzventil liefern einen fein zerstäubten Kraftstoffstrahl für optimale
Gemischaufbereitung. Von einem Vergaserloch wie bei einigen früh-GL 1500er Modellen
ist nichts zu spüren.
Für das optimale Motormanagement (Kraftstoffgemisch/Luft-Gemisch, Zündzeitpunkt)
sorgt eine elektronische Steuereinheit mit zwei digitalen 3D-Einspritzkennfeldern und
einem digitalen 3D-Zündkennfeld pro Zylinder. Das Ergebnis ist eine ausgezeichnete
Leistungsabgabe und ein hervorragendes Fahrverhalten.
Zur präzisen Regelung des Kraftstoff/Luft-Gemisches verfügt das computergesteuerte
HECS3-Abgasreinigungssystem über zwei Lambda-Sonden (eine pro Auspuffrohr),
während zwei Katalysatoren den Schadstoffgehalt in den Abgasen noch weiter reduzieren.
Damit zählt die GL 1800 zu den saubersten hubraumstarken Motorrädern. Die Abgaswerte
liegen weit unter den Grenzwerten der zum Zeitpunkt ihres Erscheinens geplanten
europäischen Abgasnorm.
Ein weiteres Highlight ist das erstmals an einer GoldWing verbaute ABS-Bremssystem. Mit
ABS haben zwar auch schon andere Hersteller experimentiert, aber das ABS-System der
GL 1800 ist das erste seiner Art, das auch wirklich funktioniert.
Die Audioanlage war wie von der GL 1500 gewohnt auf der Tankattrappe platziert. Diese
fällt allerdings im Übergangsbereich zum Fahrersitz erheblich schmaler aus, als bei der GL
1500. Ein Umstand, mit dem nicht wenige GL 1500-Halter ein Problem hatten.
Einen Cassettenfachdeckel sucht man an der Audioanlage der GL 1800 vergebens – es
gibt keinen Cassettenrecorder. Dafür verfügt die Anlage über die Anschlussmöglichkeit
eines CD-Wechslers
Erstmals in der GoldWing-Historie bietet HONDA von Anfang an zum GoldWing-Modell ein
nahezu allumfassendes Zubehörpaket an. Primär werden vorhandene Teile durch
verchromte ausgetauscht, aber auch zusätzliche Änderungen (Gepäckträger,
Bremsscheibenabdeckung, Auspuffverlängerung etc.) sind möglich. Offensichtlich wollte
HONDA vom riesigen zubehörmarkt-Kuchen ein gehöriges Stück abhaben. Ebenso
offensichtlich sind HONDA in den vorangegangen Jahren einige Milliönchen durch die
Lappen gegangen. Trotz der neuen Strategie blieb für die etablierten Zubehör-Anbieter
noch genug übrig.
Wie gewohnt konnte und kann man durch Montage des angebotenen Zubehörs locker
nochmals den Betrag einer GL 1800 loswerden, so dass man sich ohne Probleme ein
Motorrad für 40.000,- Euro hinstellen kann – wenn man es denn kann.
Natürlich nahm man auch an der GL 1800 im Laufe der Jahre Veränderungen und
Verbesserungen vor.
Zu den bemerkenswertesten Änderungen zählen einerseits ein Airbag (der erste an einem
Serien-Motorrad verbaute und der hat auch schon Leben gerettet) sowie ein
Navigationssystem.
Durch die Montage des Airbag musste die Audioanlage von ihrem gewohnten Platz auf der
Tankattrappe verschwinden. Als adäquater Ersatz bot sich die Innenverkleidung im
Bereich des linken Knies an. Dort sitz bei der GL 1500 üblicherweise das Funkgerät. Das
Funkgerät für die GL 1800 wird unter dem Top Case eingebaut. Die komplette Steuerung
(Lautstärke, Squelch (Rauschunterdrückung), Kanalwahl, Umschaltung von Lautsprecher
auf Headset) erfolgt über die Schaltereinheit am Lenker.
Zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Zeilen war die GL 1800 bereits 9 Jahre am Markt
und ein Ende ist nicht in Sicht.