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Universitätsklinikum Ulm
Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie,
Prof. Dr. med. Harald Gündel
Misshandlung in der Kindheit:
Auswirkung bei Müttern auf postpartales Stresserleben und
Bindungsrepräsentation im Erwachsenenalter
Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin
der medizinischen Fakultät der Universität Ulm
Katharina Susanne Lehrl
Geburtsort: Donauwörth
2014
II
Amtierender Dekan:
Prof. Dr. Thomas Wirth
1. Berichterstatter:
PD Dr. C. Waller
2. Berichterstratter
Prof. Dr. A. Buchheim
Tag der Promotion:
15. Januar 2016
III
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ............................................................................................................................. 1
1.2 Misshandlung .................................................................................................................... 2
1.2.1 Definition von Misshandlung ................................................................................................ 2
1.2.2 Erfassung von Misshandlung ................................................................................................ 5
1.2.3 Prävalenz von Misshandlung ................................................................................................ 7
1.2.4 Folgen von Misshandlung ..................................................................................................... 8
1.2.5 Missbrauchserfahrungen in der Kindheit und der Übergang in die Elternschaft ............... 10
1.3 Stress .............................................................................................................................. 11
1.3.1 Stresstheoretische Modelle ................................................................................................ 11
1.3.2 Physiologie von Stress ......................................................................................................... 13
1.3.3 Subjektives Stressempfinden .............................................................................................. 13
1.3.4 Folgen von Stress ................................................................................................................ 14
1.3.5 Stress in der Schwangerschaft und der Übergang in die Elternschaft ................................ 15
1.3.6 Stress und Misshandlung in der aktuellen Forschung ........................................................ 16
1.4 Bindung ........................................................................................................................... 18
1.4.1 Definition von Bindung ....................................................................................................... 18
1.4.2 Entstehung der Bindungstheorie ........................................................................................ 19
1.4.3 Entwicklung der Bindungstheorie durch John Bowlby ....................................................... 19
1.4.4 Erweiterung der Bindungstheorie durch Mary Ainsworth.................................................. 20
1.4.5 Weiterführung der Bindungstheorie bis zum aktuellen Stand ........................................... 22
1.4.6 Bindung und Misshandlung................................................................................................. 27
1.4.7 Bindung und Stress ............................................................................................................. 28
1.4.8 Misshandlungserfahrungen in der Kindheit: Bindung und subjektives Stresserleben nach
der Geburt eines Kindes ............................................................................................................... 29
1.5 Hypothesen ............................................................................................................................ 31
2 Material und Methode ........................................................................................................ 35
2.1 Studienaufbau „Meine Kindheit – Deine Kindheit“ ............................................................... 35
2.2 Instrumente............................................................................................................................ 37
2.3 Statistisches Vorgehen ........................................................................................................... 43
3 Ergebnisse .......................................................................................................................... 45
3.1 Stichprobenbeschreibung t₀ .................................................................................................. 45
3.2 Stichprobenbeschreibung t₁ ................................................................................................... 49
3.3 Prüfung der Hypothesen ........................................................................................................ 50
4 Diskussion .......................................................................................................................... 60
IV
4.1 Diskussion der Ergebnisse ...................................................................................................... 61
4.2 Limitationen der Studie.......................................................................................................... 71
4.3 Implikationen und Ausblick .................................................................................................... 74
4.4 Implikationen und Ausblick auf interventioneller Ebene ...................................................... 78
4.5 Fazit ........................................................................................................................................ 81
5 Zusammenfassung .............................................................................................................. 83
6 Literaturverzeichnis ............................................................................................................ 85
V
Abkürzungsverzeichnis
AAI
Adult Attachment Interview (Fragebogen zur Erfassung von Bindung
im Erwachsenenalter)
AAP
Adult Attachment Projective Picture System (Projektives Bildsystem
zur Erfassung von Bindung im Erwachsenenalter)
CDC
Centers of Disease Control and Prevention (Zentrum für
Krankheitskontrolle und Prävention)
CECA.Q
Childhood Experience of Care and Abuse Questionnaire
(Fragebogen zur Erhebung von Fürsorge- und Missbrauchserfahrungen in der Kindheit)
CECA.Q_ALL
Childhood Experience of Care and Abuse Questionnaire
(Fragebogen zur Erhebung von Fürsorge- und
Missbrauchserfahrungen in der Kindheit) bezogen auf Mutter und
Vater mit den Subskalen Antipathie und Vernachlässigung
CECA.Q_Mu
Childhood Experience of Care and Abuse Questionnaire
(Fragebogen zur Erhebung von Fürsorge- und
Missbrauchserfahrungen in der Kindheit) bezogen auf die Mutter,
Subskalen Antipathie und Vernachlässigung
CECA.Q_Mu_A
Childhood Experience of Care and Abuse Questionnaire
(Fragebogen zur Erhebung von Fürsorge- und
Missbrauchserfahrungen in der Kindheit) bezogen auf die Mutter,
Subskala Antipathie
CECA.Q_Mu_V
Childhood Experience of Care and Abuse Questionnaire
(Fragebogen zur Erhebung von Fürsorge- und
Missbrauchserfahrungen in der Kindheit) bezogen auf die Mutter,
Subskala Vernachlässigung
CECA.Q_Va
Childhood Experience of Care and Abuse Questionnaire
(Fragebogen zur Erhebung von Fürsorge- und
VI
Missbrauchserfahrungen in der Kindheit) bezogen auf den Vater,
Subskalen Antipathie und Vernachlässigung
CECA.Q_Va_A
Childhood Experience of Care and Abuse Questionnaire
(Fragebogen zur Erhebung von Fürsorge- und
Missbrauchserfahrungen in der Kindheit) bezogen auf den Vater,
Subskala Antipathie
CECA.Q_Va_V
Childhood Experience of Care and Abuse Questionnaire
(Fragebogen zur Erhebung von Fürsorge- und
Missbrauchserfahrungen in der Kindheit) bezogen auf den Vater,
Subskala Vernachlässigung
CTQ
Childhood Trauma Questionnaire (Fragebogen zur Erhebung
traumatischer Erfahrungen in der Kindheit)
CTQ_EM
Childhood Trauma Questionnaire (Fragebogen zur Erhebung
traumatischer Erfahrungen in der Kindheit), Subskala emotionaler
Missbrauch
CTQ_EV
Childhood Trauma Questionnaire (Fragebogen zur Erhebung
traumatischer Erfahrungen in der Kindheit), Subskala emotionale
Vernachlässigung
CTQ_insg
Childhood Trauma Questionnaire (Fragebogen zur Erhebung
traumatischer Erfahrungen in der Kindheit), alle Subskalen
CTQ_KM
Childhood Trauma Questionnaire (Fragebogen zur Erhebung
traumatischer Erfahrungen in der Kindheit), Subskala körperlicher
Missbrauch
CTQ_KV
Childhood Trauma Questionnaire (Fragebogen zur Erhebung
traumatischer Erfahrungen in der Kindheit), Subskala körperliche
Vernachlässigung
CTQ_SM
Childhood Trauma Questionnaire (Fragebogen zur Erhebung
traumatischer Erfahrungen in der Kindheit), Subskala sexueller
Missbrauch
VII
EM
Emotionaler Missbrauch
EV
Emotionale Vernachlässigung
KINDEX
Konstanzer Index zur Erhebung von psychosozialen Belastungen
während der Schwangerschaft
KM
Körperlicher Missbrauch
KV
Körperliche Vernachlässigung
PSS 4
Perceived Stress Scale (Skala zur Erhebung von
Stresswahrnehmung), 4 Items
PSS 10
Perceived Stress Scale (Skala zur Erhebung von
Stresswahrnehmung), 10 Items
PSS 14
Perceived Stress Scale (Skala zur Erhebung von
Stresswahrnehmung), 14 Items
SM
Sexueller Missbrauch
t₀
Messzeitpunkt Screening, ein bis drei Tage nach der Geburt in der
Frauenklinik Ulm
t₁
Messzeitpunkt etwa drei Monate nach der Geburt an der
Universität Ulm
t₂
Messzeitpunkt etwa ein Jahr nach der Geburt in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie Ulm
Seite 1
1 Einleitung
Diese Arbeit untersucht, inwiefern Misshandlungserfahrungen in der eigenen Kindheit zu
Problemen im Bindungsverhalten, sowie zu vermehrtem Stressempfinden bei der Geburt
eines Kindes und beim Übergang in die Elternschaft führen können.
15% der Deutschen wurden in ihrer Kindheit und Jugend emotional, 12% körperlich und
12,6% sexuell missbraucht (Bernstein et al. 2003). Knapp die Hälfte der Befragten erfuhren
in der Kindheit und Jugend emotionale oder körperliche Vernachlässigung (Bernstein et al.
2003). Immer mehr Studien zeigen, dass Misshandlungserfahrungen in der Kindheit
langwierige Folgen nach sich ziehen können (Lowell et al. 2014; Schury & Kolassa 2012;
Briere & Jordan 2009; Gilbert et al. 2009). Beispielsweise konnten Hyman et al. (2007) und
Medrano
et
al.
(2002)
einen
positiven
Zusammenhang
zwischen
Misshandlungserfahrungen und subjektivem Stresserleben im Erwachsenenalter zeigen.
Auch konnte über ein über lange Jahre verändertes Bindungsverhalten bei Opfern von
Misshandlung in vielen Studien nachgewiesen werden (Davis et al. 2001; DiLillo et al. 2007;
Riggs 2010; Riggs et al. 2011, Hauser 2012).
Doch welche Auswirkungen haben Misshandlungserfahrungen in der Kindheit auf
subjektives Stresserleben und Bindungsverhalten bei der Gründung einer eigenen Familie?
In der Studie „Meine Kindheit – Deine Kindheit“ wurden Mütter befragt, die vor kurzem ein
Kind entbunden haben. Diese wurden nach eigenen Misshandlungserfahrungen in ihrer
Kindheit und Jugend und ihrem subjektivem Stresserleben nach der Geburt und beim
Übergang in die Elternschaft befragt. Nach drei Monaten wurde die Bindung der Mutter
erhoben.
So sollen Zusammenhänge zwischen Misshandlungserfahrungen in der Kindheit und
Jugend, subjektivem Stresserleben nach der Geburt und beim Übergang in die eigene
Elternschaft und Bindung der Mutter aufgezeigt werden. Auf dieser Basis wiederum
können Interventionsmöglichkeiten, sowie Forschungs- und Aufklärungsbedarf eruiert
werden. Möglicherweise resultiert aus besserer Aufklärung und Hilfestellung eine größere
Sicherheit für junge Eltern und weniger Angst vor der eigenen Elternschaft. Es soll ein
Beitrag geleistet werden, der die Aufklärung dieser komplexen Zusammenhänge fördert
Seite 2
und somit zur Verminderung von Misshandlungserfahrungen, Stresserleben bei der Geburt
und im Übergang in die eigene Elternschaft und Schwierigkeiten im Bindungsverhalten im
Erwachsenenalter führt.
Das folgende Kapitel beschäftigt sich zunächst näher auf das Thema „Misshandlung“.
1.2 Misshandlung
1.2.1 Definition von Misshandlung
Was unter Misshandlung verstanden wird, ist in Deutschland abhängig von der
definierenden Instanz. Beispielsweise betonen das Rechtswesen oder die psychologische
Forschung unterschiedliche Schwerpunkte bei der Definition von Misshandlung. Es existiert
kein klarer Standard bei der Bestimmung der Grenzen zwischen Misshandlung und
normalen Erziehungspraktiken. Trotz der offensichtlichen Relevanz der Thematik konnte
bis heute interinstitutionell keine einheitliche Definition festgelegt werden (Cicchetti &
Toth 2005). 2008 konzeptualisierte das Centers of Disease Control and Prevention (CDC) in
Zusammenarbeit
mit
Leeb,
Paulozzi,
Melanson,
Simon
und
Arias
(2008)
Kindesmisshandlung in einer grundlegenden Definition (Leeb et al. 2008). Leeb et al. (2008,
Seite 11) definieren Misshandlung als „(a)ny act or series of acts of commission or omission
by a parent or other caregiver that results in harm, potential for harm, or threat of harm to
a child.“ 1
Die Begriffe Misshandlung und Missbrauch werden in dieser Arbeit synonym verwendet,
werden jedoch nach der Definition von Leeb et al. (2008) spezifiziert. Der Begriff
Vernachlässigung fasst emotionale und körperliche Vernachlässigung nach Leeb et al.
(2008) zusammen (vgl. Tabelle 1).
1
Jeglicher Akt oder jegliche Serie von Verübung oder Unterlassung einer Tätigkeit durch ein Elternteil oder
eine Betreuungsperson, deren Resultat Schaden, potenzieller Schaden oder Androhung von Schaden für ein
Kind ist.
Seite 3
Tabelle 1: Dimensionen von Misshandlung und deren Definition nach CDC (vgl. Leeb et al. 2008)
Misshandlung
Definition
Körperliche
Körperliche Misshandlung ist definiert durch den beabsichtigten Einsatz von
Misshandlung
physischer Gewalt gegen Kinder, die potenziell oder tatsächlich zu
körperlichen Verletzungen führt (bspw. Schlagen, Treten, Stoßen und
Schütteln).
Sexuelle
Sexuelle Misshandlung beinhaltet jede vollendete oder beabsichtigte
Misshandlung
sexuelle Handlung oder sexuellen Kontakt an einem Kind oder Ausnutzung
eines Kindes durch eine Betreuungsperson. Man unterscheidet
-
Sexueller Akt (jegliche Penetration zwischen Mund, Penis, Vulva oder
Anus eines Kindes und dem Misshandelnden und jegliche Penetration
mit Hand, Finger oder anderem Objekt der analen oder genitalen
Region)
-
Missbräuchlicher sexueller Kontakt (beabsichtigte direkte Berührung
oder Berührung durch Kleidung von Genitalien, Anus, Leiste, Brust,
inneren Schenkels und Gesäß)
-
Sexueller Missbrauch ohne Kontakt (Exponierung eines Kindes an eine
sexuelle Umgebung, Filmen eines Kindes in sexueller Art und Weise,
sexuelle Belästigung und Prostitution eines Kindes).
Emotionaler/
Psychologischer Missbrauch bedeutet, die Betreuungsperson gibt dem Kind
Psychologischer
das Gefühl wertlos, mangelhaft, ungeliebt, ungewollt, bedroht zu sein oder
Missbrauch
ausgenutzt zu werden. Dies kann kontinuierlich und episodisch auftreten
(bspw.
Isolation,
Herabstufung,
Terrorisierung,
Ausnutzung
oder
Ablehnung).
Körperliche
Körperliche Vernachlässigung beinhaltet einen Mangel an adäquater
Vernachlässigung
Ernährung, Hygiene oder Schutz oder einen Mangel an adäquater sauberer,
passender oder an wetterangepasster Kleidung.
Emotionale
Emotionale Vernachlässigung bedeutet, die Bezugsperson ignoriert das
Vernachlässigung
Kind, verweigert emotionale Reaktionen oder adäquaten Zugang zu
psychologischer und psychiatrischer Betreuung.
Seite 4
Missbrauch und Misshandlung als aktive Handlung
Unter Missbrauch als aktiver Handlung werden Handlungen oder Worte verstanden, die
die Androhung von Schaden, potenziellen Schaden oder tatsächlichen Schaden für das Kind
beinhalten (Leeb et al. 2008). Diese Handlungen oder Worte – nicht deren Konsequenzen
– finden bewusst und beabsichtigt statt. Misshandlung oder Missbrauch als aktive
Handlung kann gleichgesetzt werden mit den Dimensionen physischer, sexueller oder
psychologischer Missbrauch (vgl. Tabelle 1) (Leeb et al. 2008). Ein Beispiel für körperlichen
Missbrauch ist das absichtliche Ausüben von Schlägen (beispielsweise als Bestrafung).
Dabei können jedoch Hämatome oder andere Verletzungen Konsequenzen sein, die nicht
beabsichtigt wurden (Leeb et al. 2008).
Missbrauch und Misshandlung durch Unterlassung (Vernachlässigung)
Auch das Unterlassen der Versorgung von grundlegenden körperlichen, emotionalen und
erzieherischen Bedürfnissen eines Kindes oder das Unterlassen, ein Kind vor Schaden oder
potenziellem Schaden zu schützen, stellt eine Form der Misshandlung dar. Diese Form der
Misshandlung wird mit Vernachlässigung gleichgesetzt. Wie beim Missbrauch durch aktives
Handeln spielt auch bei der Vernachlässigung keine Rolle, ob die Konsequenzen
beabsichtigt wurden oder nicht (Leeb et al. 2008). Vernachlässigung kann eingeteilt werden
in ein Versagen der Versorgung und ein Versagen der Aufsicht. Unter einem Versagen der
Versorgung versteht man physische, emotionale, (zahn-)medizinische und schulische
Vernachlässigung. Das Versagen der Aufsicht beinhaltet die inadäquate Aufsicht des Kindes
sowie das Aussetzen in eine gewalttätige Umgebung (Leeb et al. 2008).
Im Rahmen der gängigen Literatur über Kindesmisshandlung und innerhalb dieser Arbeit
wird Misshandlung nach Kriterien des CDC eingeteilt (vgl. Tabelle 1).
Eine Betreuungsperson befindet sich permanent oder vorübergehend in einer
vormundschaftlichen Position. Aus dieser Position heraus ist sie verantwortlich für die
Sorge und Kontrolle, das Wohlergehen und die Gesundheit des Kindes (Leeb et al. 2008).
Schaden wird definiert als eine akute Störung durch Misshandlung oder Vernachlässigung,
die die körperliche oder psychische/emotionale Gesundheit eines Kindes gefährden. Diese
Störung kann die körperliche, emotionale oder kognitive Entwicklung eines Kindes
beeinträchtigen. Schaden kann sofort (z. B. gebrochener Knochen) und verspätet (z. B.
Depression) auftreten (Leeb et al. 2008). Die Androhung eines Schadens kann durch Worte,
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Gesten oder Waffen kommuniziert werden. Dies kann explizit (z. B. durch die Erhebung der
Hand, als ob für einen Schlag ausgeholt würde) oder implizit stattfinden (z. B. durch einen
Tritt gegen die Wand) (Leeb et al. 2008). Eine Störung der körperlichen Gesundheit kann
unter anderem körperliche Verletzungen, vermeidbare Krankheiten und Fehlernährung
miteinschließen.
Störungen
der
emotionalen/psychischen
Gesundheit
können
Angststörungen, Störungen des Sozialverhaltens, gestörte Beziehungen, Depression und
depressive Symptomatik, Essstörungen, Posttraumatischer Stress (inkl. Posttraumatischer
Belastungsstörung), externalisierendes Verhalten (z. B. Aggression), Mangel an Bildung,
Schulversagen, Kriminalität und Substanzabusus beinhalten (Leeb et al. 2008). Diese
einzelnen Formen von Missbrauch (vgl. Tabelle 1) treten in der Praxis häufig nicht einzeln
auf und stehen in wechselseitigen Beziehungen zueinander (Dong et al. 2004).
1.2.2 Erfassung von Misshandlung
Die operationalisierte Erfassung von Misshandlung stellt die Forschung bis heute vor
bestimmte Herausforderungen und Schwierigkeiten.
Retrospektive Querschnittsstudien und prospektive Längsschnittstudien
Retrospektive Studien sind das am häufigsten verwendete Studiendesign, um die Prävalenz
von Misshandlung zu erheben (Biere 1992; DiLillo, DeGue, Kras, Di Loreto-Colgan, Nash
2006; Roy & Perry 2004). Dabei kann es bei retrospektiver Erhebung von Misshandlung in
verschiedener Hinsicht zu einem Bias kommen. Zum Beispiel ist es möglich, dass aktuelles
Geschehen,
wie
akute
Psychosen
oder
Stresserleben,
die
Wiedergabe
von
Misshandlungserfahrungen beeinträchtigen (Briere 1992). Schwere Formen der
Misshandlung können eine Amnesie nach sich ziehen (Briere 1992; Williams 1995). Des
Weiteren können lange zeitliche Distanzen die Aussage über den Missbrauch verfälschen.
Verdrängung, Scham, soziale Erwünschtheit, die Tendenz zur Bagatellisierung oder
Schutzmechanismen spielen eine wichtige Rolle bei der verfälschten Wiedergabe von
Misshandlung (Briere 1992; DellaFemina, Yeager, Lewis 1990; Bader, Hänny, Schäfer,
Neuckel, Kuhl 2009). Es scheint zumindest bei der Erfassung von sexuellem Missbrauch
auch intergenerationelle Unterschiede zu geben. So würden ältere Frauen über weniger
sexuelle Belästigung und Missbrauch berichten als junge Frauen (Briere 1992). Auch ein
vermehrter Bericht von Misshandlung müsse in Betracht gezogen werden. Durch die
Seite 6
Tendenz zur Dramatisierung und sekundären Gewinn könne es zur falsch positiven
Erhebung von Misshandlung kommen (Briere 1992). Briere (1992) hat sich zwar vor allem
mit der Erfassung von sexuellem Missbrauch beschäftigt, seine Überlegungen und
Ergebnisse lassen sich jedoch auch auf alle weiteren Missbrauchsformen übertragen. Er
betont ebenfalls die eingeschränkte retrospektive Erhebung von Koeffekten und
möglicherweise
moderierenden
Beispielsweise
sei
eine
und
genaue
mediierenden
zeitliche
Effekten
Differenzierung
des
Missbrauchs.
bezüglich
der
Misshandlungserfahrungen meist nicht mehr möglich (Hat eine depressive Symptomatik
bereits vor der Missbrauchserfahrung vorgelegen?). Die Interaktionen verschiedener
Formen von Missbrauch und die dadurch entstehenden Effekte, sowie der zeitliche Bezug
von familiärer Dysfunktion zum Missbrauchserlebnis könnten nicht mehr erfasst werden
(Briere 1992). Doch auch longitudinale Studien bergen Schwierigkeiten bei der Erfassung
von Misshandlung. Vor allem hinsichtlich ethischer Gesichtspunkte sind diese nur schwer
vertretbar. In methodischer Hinsicht stellen die Selektion der Probanden, die Veränderung
der Erhebung in Abhängigkeit zum Alter, die möglichen Effekte wiederholter Messungen,
Attribuierungseffekte und die Veränderung des Verlaufs durch Therapie die Forschung vor
Schwierigkeiten. Ein generelles Problem bei der Erfassung von Misshandlungserfahrungen
sind fehlende einheitliche Definitionen (Briere 1992; Stoltenborgh, van IJzendoorn, Euser,
Bakermans-Kranenburg 2011). Je nach Definition, Altersspanne von Opfern und Täter und
erhebender Instanz wurden unterschiedliche Prävalenzwerte erfasst. Dies führe zu einer
immer noch hohen Dunkelziffer für die Prävalenz von Missbrauch, Misshandlung und
Vernachlässigung (Briere 1992; Stoltenborgh et al. 2011; Pillhofer, Ziegenhain, Nandi,
Fegert, Goldbeck 2011).
Fragebögen und Interviews
DiLillo et al. (2006) untersuchten die Erhebung von sexueller oder körperlicher
Misshandlung hinsichtlich der Unterschiede zwischen Fragebögen, Interviews und
Computer-gesteuerten Befragungen. Die angewandten Messmethoden zeigten keine
Unterschiede bei der Wahrscheinlichkeit der Mitteilung von sexuellem oder körperlichem
Missbrauch. Opfer von Misshandlung klagten bei der Computerbefragung über erhöhte
Stresswerte und Stimmungsänderungen. Trotzdem war die Computerbefragung in einer
Umfrage unter den Teilnehmenden die präferierte Messmethode (DiLillo et al. 2006).
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Ein wichtiger Vorteil von Selbstbericht-Fragebögen stellt ihre hohe Ökonomie dar. Die
Erfassung ist zeit- und kostensparend (Roy & Perry 2004). Der entscheidende Vorteil eines
Interviews ist die direkte Kontaktaufnahme und Information. Oftmals können
Zusammenhänge besser verstanden und die Kooperation des Probanden oder Patienten
besser eingeschätzt werden. Im klinischen Rahmen kann sogleich eine Beziehung zwischen
Therapeut und Misshandlungsopfer aufgebaut werden, die in Zukunft wichtig für den
Therapieerfolg sein kann (Bremner, Vermetten, Mazure 2000).
1.2.3 Prävalenz von Misshandlung
All diese Möglichkeiten der Erfassung von Misshandlung wurden bereits vielfach in Studien
angewandt, um Zahlen für die Prävalenz von Misshandlung zu erlangen. Häuser,
Schmutzer, Brähler und Glaesmer (2011) erfassten in einer repräsentativen Stichprobe aus
4455 Personen die Prävalenz von Misshandlung in Deutschland. Die Befragung im
Selbstbericht mittels des Childhood Trauma Questionnaire (CTQ; Bernstein et al. 2003)
ergab, dass schätzungsweise 15% der Deutschen in ihrer Kindheit und Jugend emotional,
12% körperlich und 12,6% sexuell missbraucht wurden. Davon wurden 1,6% schwer
emotional misshandelt, 2,8% schwer körperlich missbraucht und 1,9% erlebten schweren
sexuellen Missbrauch. Auf die Definition der Schweregrade im CTQ wird im Verlauf der
Arbeit noch eingegangen. Von emotionaler Vernachlässigung waren 49,5% betroffen, von
körperlicher Vernachlässigung 48,4% der Befragten. Von den Opfern von Vernachlässigung
wurden 6,5% schwer emotional vernachlässigt und 10,8% schwer körperlich vernachlässigt
(vgl. Abb. 8). Es gab einen signifikanten korrelativen Zusammenhang zwischen allen
Missbrauchsformen. Pillhofer et al. (2011) beschäftigten sich ebenfalls mit der Prävalenz
von Misshandlung in Deutschland. Sie verglichen öffentliche Datenregister und Statistiken
mit empirischen Studien, um die Dunkelziffer zu erfassen. Die polizeiliche Kriminalstatistik
ergab dabei eine stetige Zunahme der angezeigten Misshandlungen, nicht jedoch des
sexuellen Missbrauchs. Im Rahmen der polizeilichen Kriminalstatistik wurde die
sogenannte Opfergefährdung errechnet. Diese beinhaltet alle gemeldeten versuchten und
vollendeten
Straftaten
pro
100.000
Einwohner
der
jeweiligen
Alters-
und
Geschlechtsgruppe (Pillhofer et al. 2011). Die Opfergefährdung für sexuellen Missbrauch
lag von 1994 bis 2009 bei 9,8 Fällen pro 100.000 Kindern unter 14 Jahren und 18,6 Fällen
Seite 8
pro 100.000 bei 14- bis 18-Jährigen. Bei Berücksichtigung von Kindern und Jugendlichen,
die nicht in einem Schutzbefohlenenverhältnis zum Erwachsenen standen, lagen die
Gefährdungszahlen bei 163,3 Kindern und 30 Jugendlichen pro 100.000 Gleichaltriger.
Auch stiegen die Anzeigen und Durchführung des Entzugs der elterlichen Fürsorge zwischen
1991 und 2009 kontinuierlich (Pillhofer et al. 2011). In der Forschung seien laut Pillhofer
(2011) die Prävalenzen von sexuellem Missbrauch zwischen 4,2% bis 16,8% und von
körperlicher Misshandlung zwischen 10,6% und 81,1% angegeben. Die großen
Schwankungen ergäben sich aus einem Fehlen einheitlicher Definitionen. Daten zur
Dunkelziffer der Prävalenz von Vernachlässigung liegen in Deutschland nicht vor (Pillhofer
et al. 2011). Heintze, Wirth, Welke und Braun (2006) kamen durch Befragung von
Allgemeinärzten oder Pädiatern auf Prävalenzzahlen von 46,6% oder 59,4% für
emotionalen Missbrauch. Münder, Mutke und Schone (2000) haben Fachkräfte des
Jugendamtes befragt, welche Gefährdungen von Minderjährigen zu gerichtlichen
Verfahren führten. Mit 65,1% standen beide Formen von Vernachlässigung an erster Stelle
der Gefährdungsgrundlagen Minderjähriger in Deutschland. Die Messung der Prävalenz
von Vernachlässigung ist schwierig und hat bisher nur wenig Aufmerksamkeit erhalten.
Studien zeigten, dass die kumulative Prävalenz von Vernachlässigung zwischen 6% und
11,8% liegt (Gilbert et al. 2009).
1.2.4 Folgen von Misshandlung
Misshandlung in der Kindheit hat weitreichende Folgen für die Betroffenen. Dabei reichen
die Auswirkungen von psychischen bis zu körperlichen Erkrankungen (Schury & Kolassa
2012; Briere & Jordan 2009; Gilbert et al. 2009).
Psychische Folgen
Mehr als ein Viertel aller psychischen Erkrankungen können mit Misshandlung in der
Kindheit in Verbindung gebracht werden (McLaughlin, Green, Gruber, Sampson, Zaslavsky,
Kessler 2010). In der Literatur der letzten Jahre wurden als psychische Folgen bei
Misshandlungsopfern beispielsweise Depression (Batten, Aslan, Maciejewski, Mazure
2003; Heim, Newport, Bonsall, Miller & Nemeroff 2003; McLaughlin et al. 2010; Springer,
Sheridan, Kuo, Carnes 2007), Dysthymie und posttraumatisches Belastungssyndrom
(McLaughlin et al. 2010), Angsterkrankungen (Heim et al. 2003; Springer et al. 2007) wie
Seite 9
Soziophobien und spezifische Phobien (McLaughlin et al. 2010) genannt. Des Weiteren
konnte ein erhöhtes Risiko für Impulskontrollstörungen (McLaughlin et al. 2010, Springer
et al. 2007), ADHS und pathologischen Substanzabusus nachgewiesen werden (McLaughlin
et al. 2010). Briere und Jordan (2009) zählten Substanzabusus zu vermeidendem Verhalten.
Weiterhin listeten sie darunter die Punkte Dissoziation und TRBs (tension reduced
behaviors). TRBs sind beispielsweise risikoreiches sexuelles Verhalten, Binge-Eating oder
Suizidalität (Briere & Jordan 2009). Auch Dissoziation und TRBs könnten mit Misshandlung
in der Kindheit einhergehen (Briere & Rickards 2007; Chu, Frey, Ganzel, Matthews 1999).
Edwards, Holden, Felitti und Anda (2003) konnten zeigen, dass Misshandlung einen
kumulativen Effekt auf den negativen Zusammenhang zum Mental Health Score hat. Dieser
Score misst die psychische Gesundheit mit fünf Items und fokussiert vor allem auf
Angsterkrankungen und Depressionen. Höhere Werte sprechen für eine bessere
psychische Gesundheit (Ware & Sherbourne 1992). Einen besonderen Stellenwert nahm
dabei emotionale Misshandlung ein. Bei vorhandener emotionaler Misshandlung wurde
dieser Effekt nochmals verstärkt.
Körperliche Folgen
Misshandlung in der Kindheit kann auch körperliche Folgen nach sich ziehen. Irish,
Kobayashi und Delahanty (2010) zeigen in ihrer Metaanalyse, dass es nach Misshandlung
in der Kindheit zu signifikant mehr Beschwerden hinsichtlich körperlicher Gesundheit
kommt. Beispielsweise steigt nach Misshandlung in der Kindheit die Wahrscheinlichkeit an,
im späteren Leben unter Fibromyalgia rheumatica, Rheumatoider Arthritis (Smith, Papp,
Tooley, Montague, Robinson & Cosper 2010; Tietjen et al. 2010), Allergien, Asthma,
Bronchitis/Emphysem, arteriellem Hypertonus, Herzproblemen, Leberproblemen oder
Magenulcera zu leiden (Smith et al. 2010). Außerdem erhöhte Misshandlung in der Kindheit
bei Frauen das Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung (Batten et al. 2003). Eine
Metaanalyse konnte einen positiven Zusammenhang zwischen sexueller Misshandlung und
vermehrt risikohaftem Verhalten für HIV-Infektion nachweisen (Arriola, Louden, Doldren &
Fortenberry 2005). Widom, Czaya, Bentley und Johnson (2012) zeigten in einer Follow-upStudie nach 30 Jahren ein erhöhtes Risiko für Misshandlungsopfer an Diabetes mellitus,
pulmonalen Erkrankungen, Malnutrition oder Visusproblemen zu leiden. Felitti et al. (1998)
wiesen nach, dass die Wahrscheinlichkeit für risikoreiches gesundheitliches Verhalten und
Krankheiten steigt, je höher die Anzahl der verschiedenen Missbrauchsarten ist.
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1.2.5 Missbrauchserfahrungen in der Kindheit und der Übergang in die
Elternschaft
Der Übergang in die eigene Elternschaft ist eine Zeit, die individuelle Anpassung erfordert
und oftmals auch partnerschaftliche Beziehungen vor Herausforderungen stellt (Cowan &
Cowan 1995). Viele Eltern empfänden den Übergang in die eigene Elternschaft als sehr
stressig und hätten Schwierigkeiten, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen (Cowan
& Cowan 1995). Darunter gäbe es jedoch Eltern, die ein erhöhtes Risiko hätten für die
Entwicklung einer Maladaption in der Zeit des Überganges in die eigene Elternschaft
(Belsky & Rovine 1990; Cowan & Cowan 1995). Folgen einer Maladaption können vor allem
die individuelle Anpassung (z. B. Entwicklung einer Depression) und die Anpassung der Ehe
(z. B. deutliche Abnahme der Zufriedenheit in der Beziehung) betreffen. Diese Folgen
können wiederum negativen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes haben (Cowan &
Cowan 1995). Eltern mit vermehrtem Risiko für eine Maladaption seien Paare mit
verminderter sozialer Unterstützung, niedriger Zufriedenheit in der Ehe und vermehrtem
Stress vor der Geburt des Kindes (Cowan & Cowan 1995). Misshandlungserfahrungen in der
Kindheit gehen im Erwachsenenalter nachweislich mit vermehrtem Stresserleben (Hyman,
Paliwal & Sinha 2007; Medrano, Hatch, Zule & Desmond 2002) und verminderter sozialer
Unterstützung einher (Folger & Wright 2013; Sperry & Widom 2013). Leon, Jacobvitz &
Hazen (2004) verfolgten die Annahme, dass eigene Kindheitserfahrungen den Übergang in
die Elternschaft beeinflussen. In ihrer Studie untersuchten sie drei Gruppen von Müttern:
Gruppe 1 erlebte einen Missbrauch oder Verlust, der nicht aufgearbeitet wurde. Gruppe 2
erlebte einen Missbrauch oder Verlust, von dem man davon ausging, dass er verarbeitet
wurde. Gruppe 3 erlebte keinen Missbrauch und keinen Verlust. Es zeigte sich, dass die
Mütter mit aufgearbeitetem Missbrauch oder Verlust den Übergang in die Elternschaft
negativer empfanden und über mehr Stress berichteten, allerdings kein Risiko für
unsensible Erziehung aufwiesen. Die Mütter, deren Missbrauch und Verlust nicht
aufgearbeitet war, wurden mit weniger sensibler Erziehung in Verbindung gebracht (Leon
et al. 2004). In der Literatur wird des weiteren vielfach vom transgenerationalen „Cycle of
maltreatment“ gesprochen (Browne & Herbert 1997; Dixon, Browne & HamiltonGiachritsis 2009; Schury & Kolassa 2012). Demzufolge bringe Misshandlung in der eigenen
Kindheit ein erhöhtes Risiko mit sich, die eigenen Kinder zu misshandeln. Im Tierversuch
konnten physiologische Korrelate nachgewiesen werden, die diese Theorie unterstützen.
Seite 11
Caspi et al. (2002) konnten Veränderungen von Neurotransmittern nach frühen
Misshandlungserfahrungen nachweisen, die bis in das Erwachsenenalter bestehen können
und aggressives Verhalten beeinflussen. Dixon et al. (2009) beschäftigten sich eingehend
mit Risiko- und Schutzfaktoren für transgenerationale Transmission von Misshandlung. Zu
den schwerwiegendsten Risikofaktoren für die Weitergabe von Misshandlungserfahrungen
würden demnach Alleinerziehung, ein gewalttätiger Erwachsener im Haushalt und Gefühle
der Gleichgültigkeit eines Elternteils gegenüber dem Kind gehören. Protektiv sei ein
positiver Erziehungsstil. Hierzu gehöre beispielsweise Sensibilität, positive Wahrnehmung
des Kindes durch die Mutter, realistische Erwartungen an das Kind und daraus resultierend
positives Antwortverhalten des Kindes auf Reaktionen der Eltern (Dixon et al. 2009). Oliver
(1993) zeigte, dass ein Drittel der Eltern genügend protektive Faktoren aufweist, um den
Kreislauf zu durchbrechen. Es kann also angenommen werden, dass es zu einem
transgenerationalen „Cycle of Maltreatment“ kommen kann, der durch gewisse protektive
Faktoren oder Risikofaktoren verstärkt oder abgeschwächt wird.
1.3 Stress
1.3.1 Stresstheoretische Modelle
Das Phänomen Stress wurde im letzten Jahrhundert in vielen Modellen beschrieben, mit
dem Ziel es greifbarer zu machen. Walter Cannon erforschte bereits 1932 den Effekt von
Kälte, Sauerstoffmangel und anderen Umweltstressoren auf den Mensch. Er folgerte, dass
kurze oder leichte Stressoren vom Körper gut bewältigt würden. Handele es sich jedoch um
lang anhaltende oder schwere Stressoren, komme es zum Zusammenbruch des
Organismus (Hobfoll 1989). Selye untersuchte Stress hinsichtlich der biologischen
Reaktionen. Er beschrieb dabei ein Adaptationssyndrom, welches drei Stufen umfasst.
Hierbei komme es zuerst zu einer Alarmreaktion mit einem kurzen Zeitraum körperlicher
Erregung, die das Individuum in Einsatzbereitschaft versetzt. Dann folge eine
Widerstandsreaktion, in der die Erregung abnehme und schließlich komme es zu einer
Erschöpfungsreaktion, welche gekennzeichnet sei durch eine verminderte Ausschüttung
von adaptiven Stresshormonen und die verminderte Fähigkeit, Stressoren zu bewältigen.
Die Erschöpfungsreaktion könne Folgen wie Krankheit oder sogar Tod nach sich ziehen
Seite 12
(Selye 1976, 1976). Er stellte auch die Hypothese auf, dass Stress nicht immer schlecht sein
muss. Es gäbe sowohl Distress, also negativen Stress, als auch Eustress, positiven Stress.
(Selye 1976, 1976). Holmes und Rahe (1967) rückten die Reaktionen auf verschiedene
Stressoren in den Fokus. So könnten nicht nur akut negative Ereignisse in unserem Leben
uns unter Stress setzen. Auch einschneidende Lebensereignisse, die primär positiv
bewertet werden, wie zum Beispiel Heirat oder Geburt eines Kindes, seien stressig. Es
folgten weitere Einteilungen von Stressoren, wie zum Beispiel in akute, zeitlich begrenzte
Stressoren (z. B. ein Arztbesuch); chronisch intermittierende Stressoren (z. B. Prüfungen an
der Universtität); chronische Stressoren (z. B. chronische Krankheit oder Krieg) und
einschneidende Lebensereignisse (z. B. Tod eines nahen Angehörigen) (Hobfoll 1989).
Kanner, Coyne, Schaefer und Lazarus (1980) beschäftigten sich mit den Auswirkungen der
Alltagsbelastungen, den sogenannten „daily hassles“, auf unser Stresserleben und seinen
Folgen. Dazu zählten beispielsweise finanzielle Probleme, Sorge um Gesundheit oder
Zeitdruck. Sie konnten nachweisen, dass „daily hassles“ höhere prädiktive Aussagekraft für
psychische Stresssymptomatik besitzen als einschneidende Lebensereignisse. Trumbull
und Appley (1986) nahmen schließlich eine Einteilung in physiologische, psychologische
und soziale Stressoren vor (Trumbull & Appley 1986; zitiert nach Hobfoll 1989). Lazarus und
Folkman (1984) veränderten den Blickwinkel auf Stress nochmals. In ihrem
homöostatischen oder transaktionalen Modell betonen sie die Bewertung von Stress durch
das Individuums und die Möglichkeiten der Bewältigung (Hobfoll 1989). Die Bewertung
lasse sich in eine primäre Bewertung einteilen, wobei die Transaktion des Individuums mit
der Umwelt bezüglich des eigenen Wohls eingeschätzt wird. Die Entstehung von Stress sei
wiederum von der sekundären Bewertung abhängig, die sich mit den eigenen
Bewältigungsmöglichkeiten auseinandersetze (Kohlmann 2002). Aus dieser Perspektive
heraus entstand das ressourcenfokussierte Modell von Hobfoll (1989). Er sah Stress als (a)
the threat of a net loss of resources, (b) the net loss of resources, or (c) a lack of resource
gain following the investment of resources.”2 (Hobfoll 1989, S. 516). Heute versteht man
unter Stress eine Interaktion biologischer, psychologischer und sozialer Einflussfaktoren.
Laut Dickerson und Kemeny (2004) empfindet der Mensch Stress, wenn er eine
Anforderung als unkontrollierbar einschätzt oder von anderen Personen während einer
2
(a) den drohenden Nettoverlustes von Ressourcen, (b) ein Nettoverlust an Ressourcen oder (c) ein Mangel
in der Ressourcengewinnung gefolgt von Investitionen in Ressourcen
Seite 13
Aufgabe negativ bewertet werden kann (Anforderungs-Kontroll-Modell). Treffen beide
Aspekte auf eine Anforderung zu, könne im Vergleich zu Anforderungen, die nur eine oder
keinen dieser beiden Aspekte beinhalten, die stärkste und längste Stressreaktion des
Körpers nachgewiesen werden.
1.3.2 Physiologie von Stress
Es gibt mehrere hormonelle Pfade, die die Adaption des Menschen an erhöhte
physiologische und psychologische Anforderungen ermöglichen (Axelrod & Reisine 1984).
Als Reaktion auf Stress kommt es zur Ausschüttung von Corticotropin-Releasing-Hormon
(CRH)
aus
dem
Hypothalamus,
welches
wiederum
die
Ausschüttung
von
Adrenocorticotropem Hormon (ACTH) aus dem Hypophysenvorderlappen in die Blutbahn
stimuliert. Dies führt schließlich zu einer Sekretion von Cortisol aus der Nebennierenrinde,
welches durch eine Negativ-Feedback-Regulation wiederum die Sekretion von ACTH und
CRH supprimiert (Axelrod & Reisine 1984). Physiologische Wirkungen des Cortisols sind
beispielsweise die Mobilisierung von Energien durch Erhöhung des Blutglucoselevels oder
Modulation des Immunsystems (Dickerson & Kemeny 2004). Dieser Regelkreislauf wird
auch als HPA-Achse bezeichnet. Des Weiteren kommt es bei Stress zur Ausschüttung von
Adrenalin und Noradrenalin aus dem sympathischen Nervensystem und dem
Nebennierenmark (Axelrod & Reisine 1984). Es folgt eine sympathische Aktivierung des
Körpers im Sinne einer „Fight-and-Flight“-Reaktion. Dazu gehören unter anderem
Tachykardie, Vasokonstriktion, Mydriasis, Bronchodilatation, verminderte Peristaltik und
Sekretion des Darms, eine Kontraktion der Sphincteren und vermehrte Schweißsekretion
(Handwerker & Kress 2008).
1.3.3 Subjektives Stressempfinden
Dass es sich bei Stressempfinden um ein komplexes Konstrukt handelt, wurde bereits in
der vorangegangenen Theorie deutlich. Verschiedene Stressoren zeigten demnach auf
verschiedene Personen unterschiedliche Auswirkungen hinsichtlich der individuellen
Wahrnehmung und des Empfindens des Stressors (Lazarus & Folkman 1984; Hobfoll 1989).
Bei gleichen Stressoren würden sich Personen hinsichtlich ihrer Wahrnehmung und ihres
Seite 14
subjektiven Erlebens unterscheiden (Kudielka, Schommer, Hellhammer & Kirschbaum
2004). Dies zeigte sich auch physiologisch. Kirschbaum, Pirke und Hellhammer (1993)
führten mit Studienteilnehmenden den „Trier Social Stress Test“ (TSST) durch und erhoben
die Veränderung von ACTH, Serum- und Speichelcortisol, Growth Hormon, Prolactin und
Herzfrequenz. Der TSST beinhaltet eine Vorbereitungszeit von 10 Minuten und
anschließend den Vortrag einer freien Rede und die Lösung von Rechenaufgaben vor drei
fremden Personen und einer Videokamera. Obwohl somit jeder Proband dem gleichen
Stressor ausgesetzt war, variierten die physiologischen Stressreaktionen je nach
Geschlecht, genetischen Faktoren oder Nikotinkonsum (Kirschbaum et al. 1993).
1.3.4 Folgen von Stress
Stress und seine Folgen waren und sind Gegenstand der Forschung. Eine weithin bekannte
Folge von Stress sind beispielsweise peptische Magenulcera (Overmier & Murison 1997).
Segerstrom und Miller (2004) konnten in einer Metaanalyse zeigen, dass akuter Stress mit
einer adaptiven Hochregulation der angeborenen Immunität und einer Reduzierung einiger
Funktionen der erworbenen Immunität assoziiert ist. Chronischer Stress ging mit einer
Suppression des erworbenen Immunsystems einher. Das subjektive Erleben von Stress
hatte wiederum keinen Einfluss auf das Immunsystem (Segerstrom & Miller 2004). Lupien,
McEwen, Gunnar und Heim (2009) konnten die weitreichenden Folgen von Stress auf das
Gehirn und die HPA-Achse in Abhängigkeit des Alters in einem Review verdeutlichen. Die
Daten von Lupien et al. (2009) aus Studien mit Menschen und Experimenten an Tieren
zeigen, dass Glucocorticoide Einfluss auf die sich altersentsprechend verändernden
Hirnareale haben. Postnatal hatte die Eltern-Kind-Interaktion den größten Einfluss auf die
Entwicklung der HPA-Achse. Kinder, deren Mütter postnatal an einer Depression litten,
zeigten eine erhöhte Aktivität der HPA-Achse im Vergleich zu Kindern, deren Mütter keine
Depression hatten. Missbrauchte Kinder hingegen wiesen eher eine verminderte Aktivität
der HPA-Achse auf (Lupien et al. 2009). Auf den Zusammenhang von Missbrauch und
Stress, beziehungsweise Cortisolausschüttung, wird später näher eingegangen. An dieser
Stelle soll nur erwähnt werden, dass die Auswirkungen von postnatalem Stress im Gehirn
vor allem den Hippocampus und die Amygdala betreffen. Vythilingham et al. (2002) konnte
ein vermindertes Volumen des Hippocampus bei depressiven Frauen mit Missbrauch in der
Seite 15
Kindheit nachweisen im Vergleich zu depressiven Frauen ohne Missbrauch in der Kindheit.
In der Jugend scheint vor allem der präfrontale Cortex vulnerabel für erhöhte
Glucocorticoidsekretion zu sein. Dies legt nahe, dass kognitive und emotionale Prozesse
beeinflusst werden. Passend hierzu ist, dass die Prävalenz für Psychopathologien wie
Depression und Angsterkrankungen in diesem Lebensabschnitt zunimmt (Lupien et al.
2009).
Im
Erwachsenenalter
konnte
eine
inverse
U-förmige
Beziehung
für
Gedächtnisleistung und die Höhe der Glucocorticoidwerte nachgewiesen werden. Das
würde bedeuten, dass optimale Gedächtnisleistung auf einem mittleren Stresslevel
gegeben wäre. Zu viel oder zu wenig Stress würde die Gedächtnisleistung vermindern.
Davon wäre vor allem der Abruf von neutralen Informationen betroffen (Lupien & McEwen
1997). Einige Studien konnten einen Zusammenhang zwischen erhöhten basalen
Cortisolwerten und der Entstehung von Depressionen und verminderten Cortisolwerten
und der Entstehung von Posttraumatischer Belastungsstörung nachweisen (Yehuda, Golier
& Kaufman 2005). Im höheren Alter konnte ein Zusammenhang zwischen erhöhten
Glucocorticoidspiegeln und Alzheimer festgestellt werden, sowie ein negativer Effekt auf
das Überleben und die Funktion der Neurone des Präfrontalen Cortex (Kulstad et al. 2005;
Lupien et al. 2009).
1.3.5 Stress in der Schwangerschaft und der Übergang in die Elternschaft
Stress in der Schwangerschaft
Für den Verlauf einer Schwangerschaft konnten Mulder et al. (2002) keine günstige
Wirkung von Stress nachweisen. Es wurde ein signifikanter Zusammenhang zwischen Stress
in der Schwangerschaft und Schwangerschaftskomplikationen nachgewiesen. Dabei
handelte es sich um spontane Aborte, Frühgeburten, Präeklampsie oder strukturelle
Malformationen wie kraniofaziale Dysmorphien oder Herzfehler (Mulder et al. 2002).
Weiterhin konnte in Studien ein Zusammenhang mit einem geringeren Geburtsgewicht,
einer geringeren Größe und vermindertem Kopfumfang des Säuglings nachgewiesen
werden. Säuglinge, die im Mutterleib erhöhtem Stress ausgesetzt waren, zeigten bei
neonatalen Untersuchungen neurologische Defizite (Mulder, Robles, Huizink, Van den
Bergh, Buitelaar & Visser 2002). Weiterhin wurde in retrospektiven Studien Stress während
Seite 16
der Schwangerschaft als wichtiger Faktor für die Entstehung von Psychopathologien wie
ADHS, Schizophrenie und Depression gesehen (Mulder et al. 2002). Unsoziales und
rücksichtsloses Verhalten und Schlafstörungen konnten ebenfalls mit pränatalem Stress in
Verbindung gebracht werden (Lupien et al. 2009). Außerdem konnte ein Zusammenhang
zwischen Stress in der Schwangerschaft, Lernbehinderungen im Erwachsenenalter und
erhöhter Anfälligkeit für Drogenmissbrauch aufgezeigt werden (Lupien et al. 2009).
Stress nach der Geburt des Kindes
Stress hat jedoch nicht nur Auswirkungen auf die Schwangerschaft, sondern kann auch
nach der Entbindung eine wichtige Rolle spielen. Die Anpassung beim Übergang in die
Elternschaft
stelle
jedes
Elternteil
-aber
auch
die
Partnerschaft-
vor
neue
Herausforderungen, die wiederum Stress und Konflikte zur Folge haben können (Keizer,
Dykstra & Poortman 2009). Auf die Folgen einer Maladaption wurde bereits näher
eingegangen (vgl. Seite 10). Stress und der Umgang damit nach der Geburt eines Kindes
spielen also in vielerlei Hinsicht eine entscheidende Rolle. Trotzdem sind die
Zusammenhänge zwischen dem Übergang in die Elternschaft und dem Stresserleben und
dessen Folgen noch nicht geklärt. Beispielsweise konnten Mckenzie und Carter (2013) eine
Verminderung von psychologischem Stress beim Übergang in die Elternschaft aufzeigen.
Nomaguchi und Milkie (2003) beschäftigten sich mit dem psychischen Wohlergehen frisch
gewordener Eltern und in diesem Rahmen mit dem Stresserleben. Sie stellten keinen
Zusammenhang zwischen dem Übergang in die Elternschaft und vermehrtem Stresserleben
fest nach Einbeziehung der Arbeitsstunden und des partnerschaftlichen Status. Der
Übergang in die eigene Elternschaft könne also möglicherweise in Zusammenhang mit
vermehrtem Stress stehen und negative Folgen für Elternteil, Partnerschaft und Kind
haben. Trotzdem kann nach aktuellem Stand der Wissenschaft noch keine klare Aussage
hinsichtlich der Zusammenhänge von Stresserleben in der Zeit nach der Geburt eines
Kindes und den Folgen getroffen werden.
1.3.6 Stress und Misshandlung in der aktuellen Forschung
In den letzten Jahren wurde vielfach zu den neurobiologischen Zusammenhängen von
Missbrauch und Stress geforscht. Oft wurden hierbei nicht explizit Missbrauch, sondern
„frühe ungünstige Kindheitserfahrungen“ erforscht (Gunnar, Frenn, Wewerka & Van Ryzin
Seite 17
2009; Heim & Nemeroff 1999; Hunter, Minnis & Wilson 2011). Dies schließt Vorkommnisse
in der Kindheit mit ein, die am ehesten mit „Stressoren“ gleichzusetzen sind. Somit wurden
traumatische Lebensereignisse in der Kindheit teilweise mit schwerem Stress in der
Kindheit gleichgesetzt (Hunter et al. 2011). Nach allem, was wir über Stress wissen, könnte
man nun folgern, dass es zu einer vermehrten Aktivierung der HPA-Achse kommt (Gunnar
& Vazquez 2001). Doch dies konnte durch die Forschung der letzten Jahre widerlegt werden
(Gunnar & Vazquez 2001, Lupien et al 2009). Einige Studien belegen, dass bei
missbrauchten Kindern die physiologisch zirkadiane Cortisolausschüttung gestört ist
(Carlson & Earls 1997; Gunnar & Vazques 2001). Im Falle eines Missbrauchs komme es zu
erniedrigten Cortisolspiegeln am frühen Morgen und einer Nivellierung der zirkadianen
Rhythmik über den Tag hinweg. Bei Erwachsenen ohne eine psychopathologische
Diagnose, die jedoch Missbrauch in ihrer Kindheit erlebt hatten, wurde vielfach ein
vermindertes basales Cortisol nachgewiesen (Carpenter et al. 2007; Heim et al. 2003;
Tarullo & Gunnar 2006). Hinsichtlich der Reaktivität auf einen Stressor zeigten sich bei
Erwachsenen mit Missbrauchserfahrungen in der Kindheit unterschiedliche Ergebnisse:
Eine verminderte Cortisolausschüttung wiesen Carpenter et al. (2007) und Heim et al.
(2003) nach, während Tarullo & Gunnar (2006) eine normale Cortisolreaktivität zeigen
konnten. Eine verminderte ACTH-Reaktivität wurde von Carpenter et al. (2007) und Tarullo
& Gunnar (2006) aufgezeigt. Obwohl die Befunde der einzelnen Studien widersprüchlich
erscheinen, weisen Mensch- und Tierversuch darauf hin, dass Vernachlässigung und
Misshandlung eine Verminderung des basalen Cortisolspiegels mit sich bringen (Lupien et
al. 2009). Es gibt zwei Theorien zur Entstehung dieses Phänomens: Zum einen könnte es
sich um eine Downregulation der HPA-Achse durch die Hypophyse handeln, verursacht
durch die chronische CRH-Hypersekretion des Hypothalamus. Eine genaue Erläuterung, wie
dies zur verminderten ACTH-Ausschüttung führt, erfolgte bislang jedoch nicht. Die zweite
Möglichkeit wäre, dass das Zielgewebe hypersensitiv auf Cortisol reagiert und es durch den
Negativ-Feedback-Mechanismus von Cortisol auf ACTH zu einer verminderten ACTHAusschüttung kommt. Neuere Studien zeigen, dass die Hyposekretion des Cortisols eine
erhöhte Vulnerabilität für die Entwicklung einer PTBS im Erwachsenenalter mit sich bringt
(Lupien et al. 2009). Wichtig ist jedoch, dass Hypocortisolismus nicht dauerhaft bestehen
muss: in Pflegefamilien konnte gezeigt werden, dass eine sensible und unterstützende
Betreuung den basalen Cortisolspiegel innerhalb von 10 Wochen normalisiert (Lupien et al.
Seite 18
2009). Hunter et al. (2011) wiesen in ihrem Review über Speichelcortisol bei Kindern bis
fünf Jahren mit frühen ungünstigen Kindheitserfahrungen darauf hin, dass es an
verlässlichen Stressor-Paradigmen mangele und daraus widersprüchliche Ergebnisse
resultieren könnten. Auch ein Publikationsbias könnte mitverantwortlich sein, das heißt
Studien ohne signifikanten Effekt hinsichtlich Cortisol werden möglicherweise gar nicht
publiziert (Hunter et al. 2011). Der Zusammenhang von Missbrauch und subjektivem
Stressempfinden ist bisher nur spärlich erforscht. Die vorliegende Arbeit versucht, diese
Lücke zu schließen. Es gibt einen positiven Zusammenhang von Misshandlung und
subjektivem Stresserleben im Kontext von Substanzabhängigkeit. Hyman et al. (2007)
haben einen signifikant positiven Zusammenhang von Misshandlungserfahrungen in der
Kindheit und subjektivem Stresserleben im Erwachsenenalter nachgewiesen bei Personen,
die seit kurzem kein Kokain mehr konsumieren. Medrano et al. (2002) konnten diesen
Zusammenhang ebenfalls in einer größeren Stichprobe von substanzabhängigen Patienten
nachweisen. Dort zeigten sich in allen fünf Subskalen des CTQ signifikant positive
Zusammenhänge mit dem Brief Symptom Inventory (Erfassung psychischer Belastung im
Selbstbericht; Derogatis & Melisaratos 1983), der für die Subskala des emotionalen
Missbrauchs am größten ist. Da es sich bei diesen beiden Studien um sehr spezielle
Stichproben handelte, wird diese Arbeit dieses Thema nochmals aufgreifen. Außerdem
wird untersucht, welchen Einfluss Bindung im Erwachsenenalter auf den Zusammenhang
von Missbrauch in der Kindheit und subjektivem Stresserleben hat. Im Folgenden werden
die theoretischen Grundlagen von Bindung dargelegt.
1.4 Bindung
Die Definition von „Bindung“, unser heutiges Wissen und unsere heutigen Messmethoden
basieren auf der Grundlage der „Bindungstheorie“ von John Bowlby.
1.4.1 Definition von Bindung
„Unter ‘Bindungsverhalten‘ versteht man jegliches Verhalten, das darauf ausgerichtet ist,
die Nähe eines vermeintlich kompetenteren Menschen zu suchen oder zu bewahren, ein
Seite 19
Verhalten, das bei Angst, Müdigkeit, Erkrankung und entsprechendem Zuwendungs- oder
Versorgungsbedürfnis am deutlichsten wird.“ (Bowlby, Hillig & Stahl 2010, Seite 21)
1.4.2 Entstehung der Bindungstheorie
John Bowlby und Mary Ainsworth beschrieben erstmalig die Bindungstheorie. Im letzten
Jahrhundert hat sich in unseren Vorstellungen von Bindung ein deutlicher Wandel
vollzogen (Bretherton 1992).
1.4.3 Entwicklung der Bindungstheorie durch John Bowlby
1948 begann Bowlby Kinder zu beobachten, die von ihren Eltern getrennt waren. Er
entwickelte die Theorie, dass Bindung ein vom Nahrungs- und Sexualtrieb unabhängiger
Instinkt sei. Dieser Instinkt zeigte sich in beanspruchenden Situationen wie z. B. bei Hunger,
Müdigkeit oder Stress (Bowlby et al. 2010; Bretherton 1992). Er glaubte, dass das
„Bindungsverhaltenssystem“ aus einer Reihe instinktiver Antworten bestehe, die Mutter
und Kind aneinander binde und ein Überleben und die Erforschung der Umwelt
(Exploration) durch das Kind garantieren (Main 2012). Im ersten Band seiner Trilogie
„Bindung und Verlust“ stellte Bowlby 1969 die Hypothese auf, dass der Mensch
Arbeitsmodelle von sich und seiner Umgebung verinnerliche. Die bewusste und
unbewusste Speicherung und Verarbeitung von Erfahrungen in Form von Arbeitsmodellen
ermögliche eine Vorhersage zukünftiger Erlebnisse. Wenn Arbeitsmodelle und Realität
nicht oder nicht mehr übereinstimmten, könne dies in pathologischen Veränderungen
resultieren. Interindividuell könne es durch kommunikative Prozesse zum Austausch des
Inhalts der Arbeitsmodelle kommen (Bretherton 1992). Kommt es, vor allem durch
zwischenmenschliche Sensibilität der Bindungsfigur, zu einer guten Interaktion, könne das
Kind eine internalisierte „sichere Basis“ aufbauen. Ausgehend von dieser „sicheren Basis“
könne das Kind in dem Wissen die Umwelt explorieren, dass es jederzeit dorthin
zurückkehren kann. Im Verlauf der Vorschuljahre käme es zu erneuten Korrekturen des
Bindungsverhaltenssystems.
Bowlby
nannte
dies
„Ziel-korrigierte
Partnerschaft“
(Bretherton 1992). Im Rahmen des zweiten Teils der Trilogie, „Trennung“ (1973), betonte
Bowlby die wichtige Rolle von Sicherheit und Schutz und der gleichzeitigen Akzeptanz des
Seite 20
Explorationsdrangs in der Eltern-Kind-Beziehung. Dies sei entscheidend für die zukünftige
Entwicklung des Selbstwertes des Kindes. „Verlust“ (1980), der dritte Teil Bowlby’s Trilogie,
beschäftigte sich damit, wie „defensive exclusion“ bei der Informationsaufnahme die
Aktualisierung innerer Arbeitsmodelle stören könne. „Defensive exclusion“ bedeutet, dass
Informationen, die zu einer tiefen Überforderung des Kindes führen, nicht in dessen
Bewusstsein gelangen. Dadurch könne es zur Abspaltung innerer Arbeitsmodelle kommen,
was schließlich zur Folge hat, dass gewisse Verhaltensmuster nicht mehr abgerufen würden
oder zu Bewusstsein gelangten (Bretherton 1992).
1.4.4 Erweiterung der Bindungstheorie durch Mary Ainsworth
1963 begleitete Mary Ainsworth 26 Familien in 18 Hausbesuchen über das erste Lebensjahr
ihres Kindes und beobachtete beispielsweise die Situation des Fütterns, Weinens,
Begrüßens und Folgens. Dies ermöglichte Rückschlüsse auf das Bindungs-ExplorationsGleichgewicht. Sensible Mütter in den ersten drei Lebensmonaten konnten mit einer
harmonischeren Mutter-Kind-Beziehung nach einem Jahr in Verbindung gebracht werden.
Nach einem Jahr wurde die „Fremde Situation“ von Mary Ainsworth durchgeführt.
Die Fremde Situation
Mutter und Kind werden in einen speziellen Raum geführt, in dem sich Spielzeug befindet
und Äußerungen und Abläufe für Beobachtende hör- und sichtbar sind. Der Ablauf ist
festgelegt:
1.
Mutter und Kind werden in den Raum geführt.
2.
Mutter und Kind werden für drei Minuten allein gelassen.
3.
Eine Fremde betritt den Raum, spricht nach ein paar Minuten mit der Mutter und
versucht mit dem Baby zu spielen.
4.
Die Mutter verlässt den Raum.
5.
Die Mutter kehrt zurück, grüßt das Baby von der Tür aus und die Fremde verlässt
unauffällig den Raum.
6.
Nach drei Minuten verlässt die Mutter wieder den Raum. Das Kind ist völlig alleine.
7.
Die Fremde kehrt zurück.
8.
Die Mutter kehrt zurück, grüßt das Kind von der Tür aus und nimmt es hoch.
Seite 21
Erscheint die Belastung des Kindes zu hoch, werden die Trennungsepisoden beendet.
Außerdem werden die Mütter gebeten, nur bei Notwendigkeit auf das Kind einzugehen
und es ansonsten nicht zu beeinflussen (Main 2012). Nach festgelegten Kriterien für das
Verhalten des Kindes nach der Wiedervereinigung mit der Mutter (z. B. Bindungsverhalten
und Explorationsverhalten) wird jedem Kind eine Bindungsklasse und deren Subkategorie
zugeschrieben (Main 2012). Im Folgenden werden die Bindungsklassen vorgestellt.
Gruppe B – sicher gebunden
Das Kind zeigt aktives Explorationsverhalten und nimmt rückversichernden Kontakt auf zur
Mutter. Wenn die Mutter geht, reagiert das Kind indem es zur Tür läuft oder sein Spiel
verändert. Kommt die Mutter zurück, ist eine aktive Begrüßung ersichtlich durch Lachen,
Vokalisation oder Annäherung an die Mutter. Das Kind zeigt sich sofort beruhigt und
zufrieden. Bei der zweiten Trennung kommt es zu deutlicheren Reaktionen des Kindes
durch Weinen und Rufen. Die Fremde kann mit ihrer Rückkehr diesen Zustand nicht
verbessern. Bei der Wiedervereinigung von Mutter und Kind kommt es zur aktiven,
körperlichen Kontaktaufnahme durch das Kind. Die Belastung
ist mit dem
Wiedererscheinen der Mutter schnell beendet. Sehr bald wäre das Kind bereit, sich von der
Mutter wieder zu lösen und in ihrer Anwesenheit weiter zu explorieren (Main 2012).
Gruppe A – unsicher-vermeidend gebunden
Das Kind beginnt sogleich die Exploration, jedoch eher gefühllos. Bei beiden Trennungen
von Mutter und Kind kommt es zu keiner Reaktion des Kindes und die Exploration wird
fortgeführt. Bei beiden Wiedervereinigungen sieht das Kind in eine andere Richtung und
wendet sich von der Mutter ab. Wird das Kind von der Mutter auf den Arm genommen,
versteift es sich, der Gesichtsausdruck bleibt neutral. Es distanziert sich körperlich von der
Mutter, zeigt auf Spielzeuge und entfernt sich von ihr. Wieder auf eigenen Beinen, richtet
das Kind seine Aufmerksamkeit erneut auf sein Umfeld. Die Mutter wird aktiv und passiv
vermieden. Es kommt scheinbar zu keiner Belastung des Kindes während des gesamten
Experimentes. Das Kleinkind zeigt sich weitestgehend emotionslos und erscheint gefasst.
Physiologische Parameter wie Herzfrequenz oder Cortisolspiegel, gemessen von Sroufe und
Waters (1977) und Spangler und Grossmann (1993) legen jedoch offen, dass unsichervermeidend gebundene Kinder genauso viel oder sogar mehr Stress empfinden als sicher
gebundene Kinder (Main 2012). Dieses Verhalten wiesen Kinder auf, deren Mütter eine
Seite 22
Abneigung gegen Annäherung und körperlichen Kontakt zu ihren Kindern berichteten und
mit Abweisung reagierten (Ainsworth, Bell & Stayton 1971; Ainsworth, Blehar, Waters &
Wall 1978). Nach Ainsworth et al. (1978) ging Vermeidung mit vermehrtem Zorn der Kinder
in der häuslichen Situation einher. Main et al. (1981) interpretierten es als Aufmerksamkeitsverschiebung zur Unterdrückung von Ärger und Bindungsverhalten (Main 2012).
Gruppe C – unsicher-ambivalent gebunden/präokkupiert
Unsicher-ambivalent gebundene Kinder sind schon von Beginn an ärgerlich. Es kommt
entweder zu keiner Exploration oder sie wird unterbrochen von verärgerten Kontaktaufnahmen zur Mutter. Der Fremden gegenüber reagiert das Kind vor allem ängstlich und
abweisend. Beim Verlassen des Raumes der Mutter gerät das Kind in eine starke
Stresssituation. Bei der Wiedervereinigung kommt es entweder zur direkten Kontaktaufnahme, was jedoch in einen Wechsel aus Annäherung und Zurückweisung mündet, der
in Wutausbrüchen enden kann. Die zweite Möglichkeit ist, dass das Kind aufgrund seines
hohen Stresslevels unfähig ist sich anzunähern. Bei Kontaktaufnahme gibt es wenig
Widerstand, jedoch kann das Kind sich nicht beruhigen. Laut Ainsworth reagierten Mütter,
deren Kinder unsicher-ambivalent gebunden waren, vor allem unsensibel und
autonomieentmutigend auf ihre Kinder. Oftmals waren ihre Reaktionen nicht vorhersehbar
(Ainsworth et al. 1971,1978). Die völlige Fixierung auf die Mutter sei somit eine Strategie
des Kindes, mit der Unsicherheit im Verhalten der Mutter umzugehen (Main 2012).
1.4.5 Weiterführung der Bindungstheorie bis zum aktuellen Stand
Der letzte und aktuelle Abschnitt in der Erforschung von Bindung beinhaltet die
Beschreibung einer vierten Bindungsklassifikation und den „Schritt auf die Ebene der
Repräsentation“ (Bretherton & Waters 1985; Main et al. 1985; zitiert nach Main 2012). Es
konnte gezeigt werden, dass Bindungsorganisation und kindliche Erzählungen, sei es verbal
oder in gemalter Form, in einem engen Zusammenhang stehen. In diesem Rahmen kam es
zur Entwicklung des Adult Attachment Interviews durch George und Kollegen (1985). Es
zeigte sich, dass nicht nur Erzählung und Bindungsorganisation des Kindes in
Zusammenhang stehen, sondern auch die Kohärenz, also die Nachvollziehbarkeit der
Geschichte, Rückschlüsse auf den Bindungstyp zulässt. Aus der Verbindung zwischen
Seite 23
elterlicher Erzählung und elterlichem Bindungsverhalten können letztendlich Vorhersagen
für das Bindungsverhalten des Kindes gemacht werden (Main 2012).
Gruppe D – desorganisiertes/desorientiertes Verhalten
Im Laufe der Bindungsforschung mit der „Fremden Situation“ tauchten Kinder auf, deren
Bindungsstil sich nicht eindeutig zuordnen ließ. Mary Main erfasste den einzig erkennbaren
Zusammenhang im Bindungsverhalten all dieser Kinder: Strategielosigkeit. Jegliche bis
dahin gefundene Bindungsform ermöglichte dem Kind Stabilität in der Interaktion mit dem
Bindungspartner und die Sicherheit des eigenen Selbst. Das Verhalten dieser Kinder
offenbarte jedoch keinerlei Erklärung oder Absicht, die damit einhergehen könnten und
wäre somit desorganisiert. Hinweise für desorganisiertes Verhalten in der „Fremden
Situation“ wären widersprüchliche Verhaltensmuster, falsch- oder ungerichtete
Bewegungen und Ausdrücke, stereotype Bewegungen oder Laute und Einfrieren oder
Erstarren. Man geht davon aus, dass desorganisiertes Verhalten ein vorübergehender
Zustand nach einer für das Kind traumatischen Situation ist, so dass jedem Kind mit der
Zuordnung „D“ noch eine weitere Gruppe zugeordnet wird. Mary Main glaubte, dass
desorganisierte Bindung entsteht, wenn Kinder „durch die Eltern selbst in einen
Alarmzustand versetzt (wurden)…“. (Main 2012, Seite 38). Da durch Angst das
Bindungsverhalten des Kindes aktiviert werde, suchten Kinder im Regelfall in
Angstzuständen ihre Eltern auf. Wenn das Elternteil selbst den Angstzustand auslöst,
komme es zum unlösbaren Dilemma. Nicht nur aktive Handlungen könnten Angstzustände
auslösen. Auch dissoziatives und ängstliches Verhalten von Eltern, die in ihrer Kindheit
möglicherweise selbst missbraucht wurden, könne Angstzustände auslösen (Main 2012).
Bindung auf der Repräsentationsebene
Studien der 80er und 90er Jahre beschäftigten sich mit den Vorgängen, die sich bei Kindern
und Erwachsenen verschiedener Bindungsklassen auf der Repräsentationsebene
abspielen. Es konnte ein Zusammenhang zwischen kindlichen Erzählmustern und der
Bindung zur Mutter beobachtet werden. Dies gründete auf Bowlbys Arbeitsmodellen.
Durch die Narrative konnten diese Arbeitsmodelle auf der Repräsentationsebene sichtbar
gemacht werden und Rückschlüsse auf das Bindungsmuster erfolgen. Beispielsweise
wurden in einer Follow-up Studie 6-Jährige, deren Bindungsstatus man nach dem ersten
Lebensjahr aus der „Fremden Situation“ kannte, von Main und ihren Kollegen hinsichtlich
Seite 24
ihres Bindungsstatus auf der Repräsentationsebene analysiert (Main 2012). Die Analysen
bezogen sich auf ein selbstgemaltes Bild von der Familie, erfundene Geschichten zu sechs
Bildern, die eine Eltern-Kind-Trennung darstellen, freies Spielen im Sandkasten, die
Reaktion auf ein Familienfoto und die Wiedervereinigung mit den Eltern nach einer Stunde.
Die Wahrscheinlichkeit einer korrekten Prädiktion des Bindungsstils im 6. Lebensjahr durch
das Verhalten in der „Fremden Situation“ nach 12 Lebensmonaten zwischen 68% und 88%.
Die höchste prädiktive Aussagekraft zeigte sich für strukturierte Erzählungen des Kindes,
die sich auf eine Trennung bezogen. Es gab weitere Studien, die dies replizieren konnten
(Grossman & Grossmann 1991; Wartner, Grossmann, Fremmer-Bombik & Suess 1994). In
der gleichen Follow-Up Studie wurden die Eltern der beschriebenen Kinder mittels des
Adult Attachment Interviews (AAI) bezüglich der Repräsentation ihres Bindungsmodells
analysiert.
Das
AAI
ist
ein
semistrukturiertes,
klinisches
Interview
über
Bindungserfahrungen in der Kindheit und die Einschätzung dieser aus Sicht der Gegenwart
(Gloger-Tippelt 2012). Das Augenmerk wird auf die Idealisierung der eigenen Eltern, die
Qualität der Erzählung (gibt es Widersprüche? Kann alles belegt werden?), die Relevanz der
Geschichten und die Art und Weise des Erzählens (geordneter Ablauf?) gelegt. Die Eltern
wurden in sichere, distanzierte, präokkupierte, unverarbeitete und nicht klassifizierbare
Bindungstypen eingeteilt. Es zeigte sich eine 75%ige Übereinstimmung der Bindungsklasse
zwischen Mutter und Kind und eine 69%ige Übereinstimmung zwischen Vater und Kind
(Main & Goldwyn 1985 – 1998; zitiert nach Main 2012).
Transgenerationale Weitergabe von Bindung
Auch das Phänomen der transgenerationalen Weitergabe von Bindung kann über Bowlby’s
Arbeitsmodelle erklärt werden. Durch die bewusste oder unbewusste Weitergabe innerer
Arbeitsmodelle zwischen Eltern und Kind könnten die hohen Übereinstimmungen zwischen
den Bindungstypen der unterschiedlichen Generationen in vielen Studien erklärt werden
(Fonagy, Steele, Steele, Moran & Higitt 1991; Jones, Cassidy, Shaver 2014; Raval, Goldberg,
Atkinson, Benoit, Myhal & Poulton 2001; van Ijzendoorn 1995; Waters et al. 2003). Mary
Mains Theorie besagt, dass dissoziatives und ängstliches Verhalten von Eltern, die selbst
Missbrauchsopfer wurden, bei Kindern Angstzustände auslösen würde. Diese
Angstzustände führten zu einer desorganisierten Bindung und letzten Endes zu einer
transgenerationalen Weitergabe dieser (Main 2012).
Seite 25
Bindung im Erwachsenenalter
Letzten Endes betrifft Bindung nicht nur die Eltern-Kind-Beziehung. In den vergangenen
Jahrzehnten wurde erforscht, wie sich Bindungsqualitäten in anderen Lebensabschnitten
darstellen. Dies wurde erst möglich, als die Erfassung von Bindung sich von der
Verhaltensebene auf die Repräsentationsebene erweitert hatte. Testverfahren, wie das AAI
und das später beschriebene Adult Attachment Projective Picture System (AAP), basieren
auf der Analyse des „mentalen Verarbeitungszustandes von Bindungserfahrungen“
(Gloger-Tippelt 2012, Seite 95). Durch sie konnten vier Kategorien von Bindungstypen im
Erwachsenenalter herausgearbeitet werden. Korrespondierend zu den Bindungstypen in
der Kindheit gibt es die in Tabelle 2 dargestellten Bindungstypen im Erwachsenenalter.
Tabelle 2: Bindungsverhalten Kleinkind und korrespondierende Bindungsrespräsentation im
Erwachsenenalter (vgl. Gloger-Tippelt 2012)
Bindungsverhalten Kleinkind
Bindungsrespräsentation Erwachsenenalter
Sicher (B)
autonom, sicher (F)
unsicher-vermeidend (A)
unsicher-distanzierend (Ds)
unsicher-ambivalent (C)
unsicher-präokkupiert (E)
desorientiert/desorganisiert (D)
unverarbeiteter Bindungsstatus (U)
Eine sicher gebundene, erwachsene Person stellt sich im Adult Attachment Interview (AAI)
vor allem kohärent dar. Dabei ist es unwichtig, ob der Inhalt überwiegend positive oder
negative Kindheitserfahrungen enthält. Des Weiteren berichtet sie oder er über
Kindheitserfahrungen
Beziehungserfahrungen.
emotional
Sie
und
berichtet
kognitiv
ausgeglichen
nachvollziehbar
positive
und
würdigt
und
negative
Kindheitserlebnisse und schweift dabei nicht zu weit ab. Vergleichbar mit der Exploration
im Kindesalter ist auch beim Erwachsenen das Verhältnis von Autonomie und Bindung
ausgeglichen (Ziegenhain 2012). Eine unsicher-distanzierend gebundene Person wertet
Beziehungen ab und betont die eigene Autonomie und Stärke. Der Fokus der Person liegt
in der Sachumwelt, unangenehme Gefühle und Erinnerungen werden verdrängt oder
umgedeutet. In der Vergangenheit können zahlreiche Hinweise auf Zurückweisung und
Ablehnung gefunden werden (Gloger-Tippelt 2012). Unsicher-präokkupiert gebundene
Personen stellen sich im Gespräch sehr emotional dar. Sie berichten detailliert und den
Beziehungserfahrungen der Kindheit messen sie größtes Gewicht bei. Trotz der
detaillierten Erzählungen arbeitet die Person am Interview (AAI) nicht wirklich mit, da sie
Seite 26
sich eher in den eigenen Gefühlen verliert. Oft sucht sie nach Bestätigung und Anerkennung
(Gomille 2012). Personen mit unverarbeitetem Bindungsstatus (U) im Erwachsenenalter
weisen unverarbeitete Verlusterfahrungen in ihrer Kindheit oder Jugend auf (vgl. Tabelle
2). Dies schlägt sich auf der Repräsentationsebene in desorientiertem Denken oder
desorganisiertem Sprechen oder Verhalten nieder. Dazu zählen beispielsweise kognitive
Desorientierung (widersprüchliche räumliche oder zeitliche Angaben), Fehler im Diskurs
(ungewöhnliche Detailgenauigkeit, Lobreden und poetisches Umschreiben, mehr als 30
Sekunden Schweigen) und eine Desorganisation auf der Verhaltensebene (anhaltende
psychische Dekompensation mit Depression, Entwicklung einer Suchtproblematik,
Suizidversuche). Oftmals gehören dieser Bindungsqualität Menschen an, die in ihrer
Kindheit oder Jugend misshandelt wurden. Darauf möchte ich im Verlauf meiner Arbeit
noch näher eingehen (Hauser 2012). Hinsichtlich der Bindungserfassung in Partnerschaften
im Erwachsenenalter gab es in den letzten Jahren einige Veränderungen. Bartholomew
(1991) erweiterte die Bindungsklassifikationen für Erwachsene. Sie bezogen die
Bindungsklasse auf das Selbstbild und das Bild von anderen und die Ängstlichkeit und
Vermeidung, welche damit einhergingen (vgl. Tabelle 3).
Tabelle 3: Bartholomew’s Bindungsklassen in Anlehnung an Ainsworth
Selbstbild positiv,
Selbstbild negativ,
Wenig ängstlich
Stark ängstlich
Sicher
Präokkupiert (anxious)
Abweisend
Ängstlich (fearful)
Bild der Außenwelt positiv,
wenig vermeidend
Bild
der
Außenwelt
negativ, stark vermeidend
Anmerkung. Vgl. Bartholomew (1991)
Dies bringt die Problematik mit sich, dass die Klassifikation von Bartholomew nicht mit der
Klassifikation der entwicklungspsychologischen Ermittlung des Bindungsstatus mittels AAP
oder AAI vergleichbar ist. Ein Mehrwert dieser Arbeit wird die Beleuchtung des
Zusammenhangs von subjektivem Stresserleben und Bindung aus dem Blickwinkel der
entwicklungspsychologischen Bindungsklassifikation, ermittelt durch das AAP, sein.
Seite 27
1.4.6 Bindung und Misshandlung
Mary Ainsworth (1978) hatte schon sehr früh in der „Fremden Situation“ entdeckt, dass
misshandelte Kinder ängstlich und somit unsicher gebunden waren (Ainsworth 1978).
Weitere Studien konnte bei Kindern mit Misshandlungserfahrungen ein Zusammenhang zu
einem unsicher-ambivalenten Bindungstyp feststellen (Lyons-Ruth, Connell, Zoll & Stahl
1987; Lamb, Gaensbauer, Malkin & Schultz 1985). Doch nicht nur unsicher-ambivalente
Bindung konnte vermehrt bei misshandelten Kindern beobachtet werden. Carlson, Barnett,
Cicchetti & Braunwald (1989) erhoben in einer Gruppe misshandelter Kinder bei 89% eine
desorganisierte Bindung im Vergleich zu 19% desorganisiert gebundenen Kindern in der
Kontrollgruppe. Liotti (1993, 1995) konnte den Zusammenhang zwischen Dissoziation und
desorganisierter Bindung über die inneren Arbeitsmodelle erklären. Im Moment der
Misshandlung sähe sich das Kind als Auslöser, als Opfer und im Anschluss möglicherweise
als Retter oder Tröster des eigenen Missbrauchs. Durch die nicht vereinbaren Rollen käme
es zu multiplen inneren Arbeitsmodellen, die zu desorganisierter Bindung und
Dissoziationen führen würden (Hauser 2012). Stronach, Toth, Rogosch, Oshri, Manly und
Cicchetti (2011) zeigten, dass misshandelte Kinder im Vorschulalter eine erhöhte
Wahrscheinlichkeit für einen unsicheren Bindungsstil haben, insbesondere für eine
desorganisierte Bindung. Cyr, Euser, Bakermans-Kranenburg und Van Ijzendoorn (2010)
zeigten in einer Metaanalyse über 55 Studien mit fast 5000 Kindern, dass misshandelte
Kinder eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit hatten, unsicher gebunden zu sein und
einen unverarbeiteten Bindungsstatus aufzuweisen. Weiterhin wurde gezeigt, dass
Misshandlung in der Kindheit auch das Bindungsverhalten im Erwachsenenalter
beeinflusst. Unverarbeitete Misshandlungserfahrungen können sich im Erwachsenenalter
in einem unverarbeiteten Bindungsstatus niederschlagen. Kennzeichnend hierfür wären
falsche Ansichten über die eigene Funktion im vorgefallenen Missbrauch, ein
unangemessener Sprachstil oder verworrene Äußerungen mit dem Ziel, das Geschehene
zu verdrängen (Hauser 2012). Davis, Petretic-Jackson und Ting (2001) untersuchten 315
Frauen und konnten zeigen, dass Misshandlungserfahrungen in der Kindheit mit
schlechterer Qualität in den aktuellen partnerschaftlichen Beziehungen einhergehen.
DiLillo, Lewis und Loreto-Colgan (2007) und Riggs, Cusimano und Benson (2011) konnten
bei Frauen mit emotionalen Misshandlungserfahrungen in der Kindheit Probleme in
partnerschaftlichen Beziehungen und vermehrten psychologischen Stress nachweisen.
Seite 28
Dieser Effekt konnte nicht bei Männern nachgewiesen werden (DiLillo et al. 2007; Riggs
2010; Riggs et al. 2011). Vergleichbar mit Bowlby‘s „defensive exclusion“ sahen Fonagy et
al. (1991) den entscheidenden Punkt in der gestörten Mentalisierung der traumatischen
Beziehungserfahrung und einer verminderten Fähigkeit, Gefühle anderer Bindungspartner
zu reflektieren. Dies sei wichtig für die Stabilität einer unsicheren Bindung bis in das
Erwachsenenalter und die transgenerationale Weitergabe traumatischer Erlebnisse
(Hauser 2012). Es ist naheliegend, dass sich auch in unserer Stichprobe Mütter mit sicherem
Bindungsstil von Müttern mit unsicherem Bindungsstil hinsichtlich des Vorkommens von
Misshandlungserfahrungen in der Kindheit unterscheiden.
1.4.7 Bindung und Stress
Bowlby‘s Bindungstheorie beruht auf der Annahme, dass unser Bindungssystem in
Stresssituationen aktiviert werde. Je mehr Stress wir also erlebten, umso stärker würde
unser Bindungssystem aktiviert (Kobak, Cassidy, Lyons-Ruth & Ziv 2006). Kobak et al. (2006)
gehen davon aus, dass das Bindungssystem eine Prädisposition oder Strategie für den
Umgang und das Coping mit Stress darstellt. Die internalisierte „sichere Basis“ wäre ein
wichtiger protektiver Faktor in Stresssituationen. Physiologisches Korrelat hierfür konnten
Hertsgaard, Gunnar, Erickson und Nachmias (1995) nachweisen. Sie zeigten, dass
organisiert gebundene Kinder sich nach Durchführung der „Fremden Situation“ nicht im
Cortisolanstieg unterschieden. Desorganisiert gebundene Kinder hatten dagegen die
höchste Cortisolkonzentration im Speichel. Kobak et al. (2006) betonten weiterhin, das
nicht nur die Bindung des Individuums das Stresserleben beeinflusse, sondern auch das
Stresserleben Einfluss auf den Bindungstyp habe. In der Kindheit und Jugend sei der
Selbstwert auch über den Umgang mit stressigen Situationen geregelt. Ist der Selbstwert
gering, kann es dazu kommen, dass keine Unterstützung gesucht werde. Dies entspräche
einem inneren Arbeitsmodell, welches mit einer unsicheren Bindung einherginge. In den
Studien
der
letzten
Jahre
wurde
ein
deutlicher
Zusammenhang
zwischen
Bindungsverhalten und Stress nachgewiesen (Kidd, Hamer & Steptoe 2011, 2013; Powers,
Pietromonaco & Gunlicks 2006; Quirin, Pruessner, & Kuhl 2008; Simpson, Rholes & Phillips
1996). Im Erwachsenenalter zeigten Simpson et al. (1996), dass ambivalent gebundene
Männer und Frauen in Beziehungskonflikten signifikant mehr subjektives Stresserleben
berichteten. Doch sei nicht nur das subjektive Stressempfinden betroffen. Es werde auch
Seite 29
die HPA-Achse durch den individuellen Bindungsstil beeinflusst. Powers et al. (2006)
beschäftigten sich mit physiologischen Stressreaktionen von Männern und Frauen
verschiedener
Bindungsklassen
im
Anschluss
an
einen
partnerschaftlichen
Beziehungskonflikt. Unsicher gebundene Männer und Frauen zeigten eine verstärkte
Cortisolausschüttung. Die männlichen Partner unsicher gebundener Männer und Frauen
zeigten diese Reaktion ebenso, nicht jedoch die weiblichen Partner. Doch nicht nur die
reaktive Cortisolausschüttung, sondern auch der basale Cortisolwert wurde durch die
jeweilige Bindungsklasse beeinflusst. Kidd et al. (2013) und Quirin et al. (2008) konnten
sowohl bei zwischenmenschlichem als auch bei nicht zwischenmenschlichem Stress für
ängstlich gebundene Menschen (nach Bartholomew 1991) ein reduziertes basales
Cortisollevel nachweisen. Sie zeigten, dass ambivalente Bindungspartner die höchsten
Cortisolspiegel aufweisen, welche jedoch im Tagesprofil abflachen. Dies könnte bedeuten,
dass unsichere Bindung mit einer Dysregulation der HPA-Achse einhergeht (Kidd et al.
2013). Dewitte, De Houwer, Goubert und Buysse (2010) konnten die erhöhte
physiologische und subjektive Stressreaktion für ängstlich gebundene Menschen nach
Bartholomew (1991) replizieren und einen modulierenden Effekt der Bindung des Partners
für das Stresserleben in Beziehungskonflikten zeigen.
1.4.8 Misshandlungserfahrungen in der Kindheit: Bindung und subjektives
Stresserleben nach der Geburt eines Kindes
Kobak et al. (2006) setzten Misshandlungserfahrungen in der Kindheit in einen größeren
Kontext. Sie nannten dies „caregiving quality“. Dazu zählten Misshandlungserfahrungen,
ängstigendes Verhalten und unsensible Fürsorge der Eltern. Die „caregiving quality“ sei an
der Entwicklung des Bindungssystems beteiligt. Durch diese Erfahrungen und Erwartungen
komme es zur Ausformung innerer Arbeitsmodelle beim Kind, die zu einem bestimmten
Bindungsverhalten führten und sich verfestigten (Bretherton 1992; Kobak et al. 2006). Das
Bindungssystem ist wiederum beteiligt an der Regulation des Stressempfindens (Kidd et al.
2011, 2013; Kobak et al. 2006; Powers et al. 2006; Quirin et al. 2008; Simpson et al. 1996).
Kommt es also zu schlechter „caregiving quality“, führe dies zur Ausprägung einer
unsicheren oder desorganisierten Bindung, die bis ins Erwachsenenalter bestehe. Durch die
beeinträchtigte Bindung könne es im Erwachsenenalter in Stresssituationen zu
Seite 30
mangelndem Coping kommen. Bei der Erziehung des eigenen Kindes käme es zu einer
verminderten „caregiving quality“. Im schlimmsten Fall könne dies dem Diathese-Stress
Modell nach beim Zusammenbruch des Copings zu einer Psychopathologie führen. Das Ziel
dieser Arbeit ist, bei frisch entbundenen Müttern die Zusammenhänge zwischen
Misshandlungserfahrungen in der Kindheit, Bindungsverhalten im Erwachsenenalter und
Stresserleben nach der Geburt des Kindes darzustellen und ihre Tragweite zu diskutieren.
Es soll herausgearbeitet werden, ob unsichere oder desorganisierte Bindung den
Zusammenhang von Misshandlungserfahrungen in der Kindheit und vermehrtem
Stresserleben in der Schwangerschaft und nach der Geburt erklärt. Weiterhin sollen
Anregungen für Studien und Interventionen im klinischen Alltag gegeben werden.
Seite 31
1.5 Hypothesen
Auf der Basis der bisherigen Überlegungen zu Misshandlung, Stress und Bindung stelle ich
folgende Hypothesen auf:
Hypothese 1: Körperlicher Missbrauch, sexueller Missbrauch, emotionaler Missbrauch
und Vernachlässigung stehen in einem positiven Zusammenhang zueinander.
In der Vergangenheit wurde mehrfach gezeigt, dass die verschiedenen Subkategorien von
Missbrauch in wechselseitiger Beziehung zueinander stehen (Dong et al. 2004; Häuser et
al. 2011). Am Beispiel der sexuellen Misshandlung lässt sich dies sehr anschaulich
darstellen. Der schwerwiegende Eingriff der sexuellen Misshandlung könnte nicht ohne
eine Form der emotionalen Misshandlung stattfinden. Diese Überlegung lässt sich auch auf
andere Formen des Missbrauchs übertragen. Es liegt also nahe, dass die verschiedenen
Formen von Missbrauch und Vernachlässigung untereinander positiv korrelieren.
Hypothese
2.1:
Mütter
mit
unsicherer
Bindung
berichten
von
mehr
Missbrauchserfahrungen als Mütter mit sicherer Bindung.
Eine Mutter mit unsicherer Bindung habe demzufolge in ihrer Vergangenheit mit höherer
Wahrscheinlichkeit mehr Misshandlung erlebt als eine Mutter mit sicherer Bindung.
Ainsworth (1978) hat für Kinder den Zusammenhang von Misshandlungserfahrungen und
unsicherer Bindung sehr früh erkannt. Stronach (2011) hat dies erneut für Vorschulkinder
nachweisen können. Cyr et al. (2010) konnten diesen Zusammenhang ebenfalls in einer
Metaanalyse über 55 Studien für Kinder aufzeigen. Auch bei Erwachsenen konnte gezeigt
werden, dass diejenigen, die in ihrer Kindheit und Jugend Opfer von Misshandlung wurden,
in Bindungsprozessen beeinträchtigt sind und somit vermehrt partnerschaftliche Konflikte
durchleben (Davis et al. 2001; DiLillo et al. 2007; Riggs et al. 2011). Durch die hohe
Kontinuität innerer Arbeitsmodelle und somit des Bindungsstils, wie von Grossman und
Grossmann (1991) oder Wartner et al. (1994) beschrieben (zitiert nach Main 2012), kann
vermutet werden, dass Opfer von Misshandlung vermehrt unsicher gebunden sind.
Hypothese 2.2: Mütter mit unverarbeitetem Bindungstyp berichten von mehr
Missbrauchserfahrungen in der Kindheit als Mütter mit sicherer Bindung.
Seite 32
Eine Mutter mit unverarbeitetem Bindungsstatus hätte demnach in ihrer Vergangenheit
mit höherer Wahrscheinlichkeit mehr Misshandlung erlebt als eine Mutter mit sicherer
Bindung. Stronach et al. (2011) und Cyr et al. (2010) haben den Zusammenhang jedoch
nicht nur für Vorschulkinder und unsichere Bindung aufgezeigt, sondern auch für
Misshandlungserfahrungen und desorganisierte Bindung. Hauser (2012) spricht explizit von
Erwachsenen mit unverarbeiteten Misshandlungserfahrungen, die sich im AAI mit einem
desorganisierten Bindungsstatus darstellen. Van Ijzendoorn, Schuengel und BakermansKranenburg (1999) konnten in einer Metaanalyse nachweisen, dass desorganisierte
Bindung über Jahre hinweg sehr stabil ist. Durch die hohe Kontinuität innerer
Arbeitsmodelle und des desorganisierten Bindungsstils kann also davon ausgegangen
werden, dass Mütter mit Misshandlungserfahrung in der Kindheit mit höherer
Wahrscheinlichkeit im Erwachsenenalter einen unverarbeiteten Bindungsstatus aufweisen.
Hypothese 3: Es gibt einen positiven Zusammenhang zwischen Missbrauch in der
Kindheit und Stresserleben in der Schwangerschaft, nach der Geburt und beim Übergang
in die Elternschaft.
Das würde bedeuten, dass eine höhere Missbrauchsbelastung in der Kindheit und Jugend
mit vermehrtem Stressempfinden in der Schwangerschaft, nach der Geburt und beim
Übergang in die Elternschaft einherginge. Hyman et al. (2007) und Medrano et al. (2002)
haben den Zusammenhang von Missbrauchserfahrungen in der Kindheit und vermehrtem
Stresserleben im Erwachsenenalter bereits bei drogenabhängigen Personen oder
Personen, die seit kurzem drogenabstinent sind, nachgewiesen. Daher ist es
wahrscheinlich, dass dieser Zusammenhang auch in der Schwangerschaft und beim
Übergang in die Elternschaft nach der Geburt eines Kindes ein signifikanter Zusammenhang
besteht.
Hypothese 4: Erhöhtes Stresserleben nach der Geburt zeigt sich bei Müttern mit
unsicherer Bindung im Erwachsenenalter.
Kobak et al. (2006) gingen davon aus, dass die internalisierte „sichere Basis“ unter anderem
eine Copingstrategie ist und einen wichtigen protektiven Faktor in Stresssituationen
darstellt. Weiterhin konnten Studien zeigen, dass ambivalent gebundene Männer und
Frauen in Beziehungskonflikten signifikant über mehr Stresserleben berichten (Dewitte et
al. 2010, Simpson et al. 1996). Auch Veränderungen in der HPA-Achse konnten bei unsicher
Seite 33
gebundenen Menschen festgestellt werden (Kidd et al. 2013; Powers et al. 2006; Quirin et
al. 2008). Daher ist auch in der besonderen Phase der Schwangerschaft und des
Überganges in die Elternschaft nach der Geburt eines Kindes ein positiver Zusammenhang
zwischen Stresserleben und Bindungsklasse wahrscheinlich.
Hypothese 5: Bindung im Erwachsenenalter fungiert als Mediator für den positiven
Zusammenhang von Missbrauch in der Kindheit und Stresserleben in der
Schwangerschaft und im Übergang zur Elternschaft.
Die Haupthypothese dieser Arbeit ist, dass Bindung der Mediator des positiven
Zusammenhangs von Missbrauchserfahrung in der Kindheit und vermehrtem Stresserleben
in der Schwangerschaft und nach der Geburt ist.
Abbildung 1: Bildliche Darstellung der Mediation des Zusammenhangs von Misshandlung in der Kindheit
und Stresserleben in der Schwangerschaft und nach der Geburt durch Bindung im Erwachsenenalter,
Mediation geprüft mit Daten erhoben in der Frauenklinik Ulm von 2012 bis 2013 in der Studie „Meine
Kindheit – Deine Kindheit“
Durch Misshandlungserfahrungen in der Kindheit kommt es zur Ausformung innerer
Arbeitsmodelle, die zu einem unsicheren oder desorgansierten Bindungsverhalten führen
und sich im Erwachsenenalter verfestigen (Bretherton 1992; Kobak et al. 2006). Das
Bindungssystem ist an der Regulation des Stressempfindens beteiligt und stellt eine
Prädisposition für den Umgang mit Stress, also bestenfalls eine Copingstrategie, dar (Kobak
et al. 2006). Misshandlungserfahrungen in der Kindheit führen also zu unsicherer oder
desorganisierter Bindung, die bis in das Erwachsenenalter stabil wäre. In der
stressbelasteten Zeit der Schwangerschaft und des Überganges zur Elternschaft käme es
aufgrund
der
Misshandlungserfahrungen
und
den
Auswirkungen
auf
das
Bindungsverhalten zu vermindertem Coping und vermehrtem Stressempfinden. Um diese
Seite 34
Hypothesen zu prüfen, werde ich im Folgenden die Vorgehensweise unserer
Datenerhebung und die verwendeten Erhebungsinstrumente erläutern.
Seite 35
2 Material und Methode
Alle Hypothesen wurden mit Daten aus der Studie „Meine Kindheit – Deine Kindheit“
analysiert, die ich im Folgenden beschreiben werde.
2.1 Studienaufbau „Meine Kindheit – Deine Kindheit“
Ziel der Studie war es, die biologischen und psychologischen Folgen von Misshandlung zu
eruieren. Hierfür wurde unter der Leitung der Klinischen und Biologischen Psychologie der
Universität Ulm in Kooperation mit der Klinik für Psychosomatische Medizin und
Psychotherapie, der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Klinik für
Frauenheilkunde des Universitätsklinikums Ulm die Studie „Meine Kindheit – Deine
Kindheit“ durchgeführt. Der Ethikantrag für „Meine Kindheit – Deine Kindheit“ wurde nach
den Richtlinien der Deklaration von Helsinki (1994) gestellt. Die Studie lag der
Ethikkommission der Universität Ulm vor.
„Meine Kindheit – Deine Kindheit“ beinhaltet ein Screening ein bis drei Tage postpartal (t₀),
und jeweils ein Follow-up nach drei (t₁) und zwölf Monaten (t₂). Für diese Arbeit wurden
ausschließlich Daten verwendet, die beim Screening (t₀) und am ersten Messzeitpunkt (t₁)
erhoben wurden. Daher werde ich auf die Vorgehensweise während dieser beiden
Messzeitpunkte genauer eingehen.
Das Screening (t₀)
Von März 2012 bis Mai 2013 wurden hierfür in der Klinik für Frauenheilkunde auf der
Wöchnerinnenstation über zweitausend Frauen ein bis drei Tage postpartal die Studie
vorgestellt und gefragt, ob sie Interesse hätten, an einer Befragung über ihr Leben und ihre
Kindheit teilzunehmen. Äußerte eine Mutter Interesse, wurde Sie über die Ziele, Inhalte,
Risiken und die freiwillige Teilnahme an der Studie aufgeklärt. Falls sie damit einverstanden
war, erklärte die Mutter dies im Anschluss mit ihrer Unterschrift auf der
Einverständniserklärung.
Das Screening setzte sich zusammen aus einer abgeänderten Form des KINDEX – Mum
Screen (Konstanzer Index zur Erhebung von psychosozialen Belastungen während der
Schwangerschaft), welcher den Perceived Stress Scale 4 (PSS4) enthält. Außerdem
beinhaltete es noch einen Teil des CECA.Q (Childhood Experience of Care and Abuse
Seite 36
Questionnaire) und den CTQ (Childhood Trauma Questionnaire). Die personenbezogenen
Daten für eine spätere Kontaktaufnahme wurden von den Fragebögen getrennt erhoben
und aufbewahrt. So konnte ein pseudonymisiertes Vorgehen garantiert werden. Auf die
Erhebungsinstrumente werde ich im Folgenden näher eingehen.
Einschlusskriterien für die Teilnahme an der Studie waren Volljährigkeit und ausreichende
Deutschkenntnisse.
Ausschlusskriterien
waren
schwere
Geburtskomplikationen,
schlechter Gesundheitszustand von Mutter oder Kind, aktueller oder in der Vergangenheit
stattgefundener Drogenkonsum und aktuelle oder vergangene psychotische Störung. Bei
Interesse der Mutter, Erfüllung der Einschlusskriterien bzw. Nicht-Erfüllen der
Ausschlusskriterien und Einverständnis der Mutter (informed consent) wurden die Frauen
anhand des CTQ-Summenwertes einer von drei Gruppe zugeordnet. Diese Einteilung wurde
vorgenommen, um eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Misshandlungsbelastung
unter den Probandinnen zu garantieren.
Direkt im Anschluss an das Screening wurde den Frauen mitgeteilt, ob sie in die Studie
eingeschlossen werden konnten und bei Einschluss und Einverständnis wurden Mutter und
Kind drei Haarsträhnen am Hinterkopf abgeschnitten. Zur weiteren Organisation der
Studienteilnahme wurden getrennt vom Screeningfragebogen die Kontaktdaten der
Mütter aufgenommen. Insgesamt wurden 240 Frauen gescreent und davon 104 Frauen in
die Studie eingeschlossen.
Erster Messzeitpunkt (t₁)
Auf postalischem und telefonischem Wege wurde drei Monate (+/- zwei Wochen) nach der
Geburt der erste Follow-up Termin (t₁) festgelegt. 61 der 104 eingeschlossenen Mütter
erschienen zu diesem Termin.
Im Rahmen des ersten Messzeitpunktes wurden von den Probandinnen zunächst
Fragebögen zu soziodemographischen Daten ausgefüllt. Es wurde das Adult Attachment
Projective Picture System (AAP) durchgeführt, auf das ich im Verlauf der Arbeit noch näher
eingehen werde. Davor und danach wurde den Probandinnen Blut abgenommen und, falls
möglich, Muttermilch entnommen.
Seite 37
Auch beim ersten Follow-up-Termin wurde der PSS4 zur Erfassung von subjektivem
Stresserleben durchgeführt. Schließlich wurden noch einige andere Fragebögen erhoben,
die hier jedoch nicht aufgeführt werden, da sie für diese Arbeit keine Relevanz haben.
Abbildung 2: Übersicht über den Studienablauf von „Meine Kindheit - Deine Kindheit“ mit den für diese
Arbeit relevanten Erhebungsinstrumenten von März 2012 bis Mai 2013 in Ulm.
Abkürzungen: KINDEX = Konstanzer Index zur Erhebung von psychosozialen Belastungen während der
Schwangerschaft; CECA.Q = Childhood Experience of Care and Abuse Questionnaire; CTQ = Childhood
Trauma Questionnaire; AAP = Adult Attachment Projective Picture System; PSS4 = Perceived Stress Scale 4
2.2 Instrumente
Alle Instrumente des Screenings wurden mündlich mit einer psychologisch geschulten
Interviewerin oder Interviewer erhoben und direkt von diesem auf einem Fragebogen
festgehalten. Die Daten des ersten Follow-up-Termins wurden teilweise mündlich,
teilweise als Fragebogen erhoben.
Der Konstanzer Index zur Erhebung von psychosozialen Belastungen während der
Schwangerschaft (KINDEX)
Der KINDEX ist ein Instrument, das frühkindliche Risikofaktoren während der
Schwangerschaft erhebt. Dazu zählen unter anderem die Risikobereiche Alter, Migration,
Alleinerziehung, finanzielle Probleme, medizinische Risikofaktoren, pränatales Bonding,
Stress, traumatische Erfahrungen während der eigenen Kindheit, partnerschaftliche
Gewalt, Substanz- und Drogenkonsum und psychische Erkrankungen. Im Rahmen von
Seite 38
„Meine Kindheit – Deine Kindheit“ wurde der KINDEX an den Zeitraum der ersten Tage nach
der Entbindung angepasst. Der Risikobereich Stress wird im KINDEX anhand des PSS4
abgefragt, den ich im Anschluss erläutern werde. Anhand der einzelnen Risikofaktoren
kann ein Summenscore erstellt werden, der das individuelle Risiko für frühkindliche
Fehlentwicklung wiedergibt.
Die Perceived Stress Scale 4 (PSS4)
Der PSS4 wurde sowohl bei t₀ als auch bei t₁ erhoben. In vier Items wird das subjektive
Stressempfinden erfragt. Ursprünglich geht der PSS4 aus der PSS14 hervor, welcher mit 14
Items das subjektive Stressempfinden misst. Dabei wird die Probandin gefragt, wie häufig
sie im letzten Monat eine Situation als unvorhersehbar, unkontrollierbar und überfordernd
empfunden hat. Ein Beispielitem lautet: „Wie häufig haben Sie sich im letzten Monat nicht
in der Lage gefühlt, wichtige Dinge in Ihrem Leben zu kontrollieren?“. Die fünfstufige LikertSkala reichte von „nie“ (0) bis „sehr häufig“ (4). Der PSS4 ist laut Cohen und Williamson
(1988) sehr valide und mit einem Cronbach‘s α von .60 reliabel. Für die Forschung ist der
PSS4 daher ein sehr ökonomisches und trotzdem valides und reliables Instrument. Die
Mittelwerte, Standardabweichungen und interne Konsistenz des PSS4 und der anderen
verwendeten Skalen sind Tabelle 4 zu entnehmen.
Das Childhood Experience of Care and Abuse Questionnaire (CECA.Q)
Das CECA.Q geht ursprünglich aus dem CECA-Interview hervor (Bifulco, Bernazzani, Moran
& Jacobs 2005). Es handelt sich beim CECA-Interview um ein semi-strukturiertes Interview,
welches retrospektiv und objektiv (bezogen auf Verhalten) Präzedenzbeispiele aus der
Kindheit erfragt. Dabei werden die Themen Vernachlässigung, elterliche Kontrolle,
Antipathie, Familienkonflikte, körperliche Misshandlung und sexuelle Misshandlung vor
dem 17. Lebensjahr erfragt (Bifulco, Brown & Harris 1994).
Mit dem CECA-Questionnaire wurde eine Möglichkeit geschaffen, Vernachlässigung,
Antipathie, physischen und sexuellen Missbrauch von Mutter und Vater vor dem 17.
Lebensjahr in einem Selbstbericht-Fragebogen zu erfassen (Bifulco et al. 2005). Dies
ermöglicht die Verwendung des CECA-Questionnaires zur Erhebung großer Datenmengen
oder als Screening-Instrument, wie es in unserer Studie der Fall war. Im Rahmen von
„Meine Kindheit – Deine Kindheit“ haben wir uns bei der Erhebung des CECA.Q auf die
Seite 39
Bereiche Vernachlässigung und Antipathie durch Mutter und Vater beschränkt, da die
anderen Kategorien vom CTQ abgedeckt werden.
Es zeigte sich in der englischsprachigen Version eine gute Reliabilität für Antipathie (α=.81)
und Vernachlässigung (α=.80) von Vater und Mutter, sowie eine gute Retest-Reliabilität.
Zudem wurden von Bifulco et al. (1994) signifikante positive Zusammenhänge zwischen
Fragebogen und Interview gefunden, sowie zwischen CECA.Q und Parental Bonding
Interview auf den Skalen Vernachlässigung und Antipathie.
2011 ergab die Validierung der deutschsprachigen Version eine sehr gute interne
Konsistenz und Retest-Reliabilität. Auch hier wurde eine signifikante Korrelation der
Ergebnisse von Fragebogen und Interview dokumentiert (Kaess, Parzer, Mattern, Resch,
Bifulco & Brunner 2011).
Die Mittelwerte, Standardabweichungen und interne Konsistenz sind Tabelle 4 zu
entnehmen.
Das Childhood Trauma Questionnaire (CTQ)
Das Childhood Trauma Questionnaire setzt sich aus 28 der 70 Items der ursprünglichen
Langform des CTQs zusammen (Bernstein et al. 2003). Wie die Langform des CTQ, so ist
auch das CTQ in seiner Kurzform ein retrospektiver Selbstbericht über traumatische
Erlebnisse in Kindheit und Jugend.
Die Stärke des CTQs gegenüber anderen Fragebögen ist vor allem ein größeres Spektrum
verschiedener Aspekte der Kindesmisshandlung. So erfasst das CTQ körperlichen, sexuellen
und emotionalen Missbrauch, aber auch körperliche und emotionale Vernachlässigung.
Dies ermöglicht eine genauere Differenzierung verschiedener Ebenen der Misshandlung
(Bernstein et al 2003). Es zeigte sich in der englischsprachigen Kurzversion des CTQ eine
interne Konsistenz (Cronbach’s α) zwischen .60 (in der Skala körperliche Vernachlässigung)
und .95 (in der Skala sexueller Missbrauch). Weiterhin konnte in verschiedenen
Stichproben eine gute Validität des CTQs nachgewiesen werden (Bernstein et al. 2003).
Auch im deutschsprachigen Raum findet das CTQ zwischenzeitlich Anwendung mit einer
internen Konsistenz (Cronbach’s α) von .49 für „Körperliche Vernachlässigung“, .82 für
„Emotionaler Missbrauch“, .83 für „Körperlicher Missbrauch“ und .90 für die Skalen
„Emotionale Vernachlässigung“ und „Sexueller Missbrauch“. Die geringe interne
Seite 40
Konsistenz für die Skala „Körperliche Vernachlässigung“ zeigte sich nicht nur in der
deutschsprachigen Version. Die Skala wurde jedoch zur besseren internationalen
Vergleichbarkeit des Fragebogens belassen (Bader et al. 2009).
Die Mittelwerte, Standardabweichungen und interne Konsistenz unserer Studie sind in
Tabelle 4 aufgeführt.
Tabelle 4: Mittelwerte, Standardabweichungen und Cronbach’s α der in dieser Arbeit verwendeten
Messinstrumente von „Meine Kindheit – Deine Kindheit“ erhoben in der Frauenklinik Ulm 2012 - 2013
Instrument
Mittelwert
Standard-
Range
abweichung
Anzahl
Cronbach’s α
Items
PSS4 t₀
4,03
2,91
0 – 16
4
.77
PSS4 t₁
4,05
2,96
0 – 16
4
.64
CECA.Q_Mu_A
13,00
5,66
7 – 35
7
.85
CECA.Q_Mu_V
11,94
4,98
8 – 40
8
.85
CECA.Q_Va_A
13,16
5,95
7 – 35
7
.85
CECA.Q_Va_V
16,28
6,63
8 – 40
8
.86
CECA.Q_Mu
24,94
9,98
15 – 75
15
.91
CECA.Q_Va
29,44
11,67
15 – 75
15
.91
CECA.Q_all
54.18
18,61
30 – 150
30
.92
CTQ_EV
8,63
4,08
5 – 25
5
.89
CTQ_KV
5,68
1,81
5 – 25
5
.68
CTQ_EM
6,76
3,22
5 – 25
5
.84
CTQ_KM
5,71
2,39
5 – 25
5
.85
CTQ_SM
5,74
2,99
5 – 25
5
.93
CTQ_insg
32,53
11,21
25 – 125
25
.93
Abkürzungen. PSS 4 = Perceived Stress Scale 4; t₀ = Messzeitpunkt Screening, ein bis drei Tage nach der Geburt
in der Frauenklinik Ulm; t₁ = erster Messzeitpunkt nach drei Monaten an der Universität Ulm; CECA.Q_Mu_A
= Childhood Experience of Care and Abuse Questionnaire bezogen auf die Mutter, Subskala Antipathie;
CECA.Q_Mu_V = Childhood Experience of Care and Abuse Questionnaire bezogen auf die Mutter, Subskala
Vernachlässigung; CECA.Q_Va_A = Childhood Experience of Care and Abuse Questionnaire bezogen auf den
Vater, Subskala Antipathie; CECA.Q_Va_V = Childhood Experience of Care and Abuse Questionnaire bezogen
auf den Vater, Subskala Vernachlässigung; CECA.Q_Mu = Childhood Experience of Care and Abuse
Questionnaire bezogen auf die Mutter, Subskalen Antipathie und Vernachlässigung; CECA.Q_Va = Childhood
Experience of Care and Abuse Questionnaire bezogen auf den Vater, Subskalen Antipathie und
Vernachlässigung; CECA.Q_ALL = Childhood Experience of Care and Abuse Questionnaire bezogen auf Mutter
und Vater mit den Subskalen Antipathie und Vernachlässigung; CTQ_EV = Childhood Trauma Questionnaire,
Subskala emotionale Vernachlässigung; CTQ_KV = Childhood Trauma Questionnaire, Subskala körperliche
Vernachlässigung; CTQ_EM = Childhood Trauma Questionnaire, Subskala emotionaler Missbrauch; CTQ_KM
= Childhood Trauma Questionnaire, Subskala körperlicher Missbrauch; CTQ_SM = Childhood Trauma
Questionnaire, Subskala sexueller Missbrauch; CTQ_insg = Childhood Trauma Questionnaire, alle Subskalen
Seite 41
Von der offiziellen Version des deutschsprachigen CTQs wurden in unserer Studie drei
Items der sogenannten Offenheitsskala ausgeschlossen (Beispiel: „Ich hatte die perfekte
Kindheit“). Mit ihnen soll überprüft werden, ob der Befragte beim Selbstbericht eine
Tendenz zum Verleugnen oder Bagatellisieren hat (Bader, Hänny, Schäfer, Neuckel & Kuhl
2009). Da das CTQ in unserer Studie von ausgebildeten Interviewern mit den Patientinnen
durchgeführt wurde, konnte von diesen Skalen abgesehen werden. Es lag im Ermessen des
Interviewers, die Probandin hinsichtlich Bagatellisierung oder Verleugnung einzuschätzen.
Das Zutreffen der 25 Aussagen wurde von den Probandinnen auf einer Likert-Skala von
„überhaupt nicht“, „etwas“, „überwiegend“, „stark“ und „vollkommen“ eingestuft. Die
Interviewenden wurden angewiesen, die Antwort erst dann zu akzeptieren, wenn die
Probandin sich selbstständig für eine Aussage entschieden hat.
Sollte es Fragen der Mütter zu einzelnen Aussagen geben, wurden die Interviewenden
instruiert, die Frage zurückzugeben, statt direkte Antworten zu geben. Ein weiterer
wichtiger Punkt in der Ausbildung der Interviewer war das gleichförmige Vorlesen der
Aussagen und ein dabei gleichbleibendes Blickmuster. Um die Qualität der Befragung
dauerhaft garantieren zu können, kam es zu regelmäßigen Interviewtrainings und
Supervision beim Screening in der Frauenklinik.
Im klinischen Kontext kann somit anhand dieser Werte eine Einteilung in einen
Schweregrad für jede Missbrauchsform vorgenommen werden. Die Cut-off-Werte sind hier
für jede Subskala unterschiedlich.
Adult Attachment Projective Picture System (AAP)
Das AAP wurde von George und Kollegen (1999) aus dem Adult Attachment Interview (AAI)
entwickelt. Die Idee des AAPs ist, dass es durch einen festgelegten Reiz in Form einer
Zeichnung zur Aktivierung des Bindungssystems kommt. Die Person soll sich eine
Geschichte zu einem vorgegebenen Bild überlegen, was über die Auswertung festgelegter
Kriterien für die Analyse der Geschichte eine Klassifikation des Bindungsstils ermöglicht. Im
Rahmen von „Meine Kindheit – Deine Kindheit“ wurde das AAP zum Messzeitpunkt t₁
durchgeführt (Buchheim, George, Juen & West 2012).
Das projektive Verfahren besteht aus acht Bildern in festgelegter Reihenfolge, die nur so
viele Details wie nötig enthalten. Dabei wird zuerst ein neutrales Übungsbild gezeigt. Im
Seite 42
Anschluss werden sieben Bindungsszenen gezeigt, die zum Teil dyadisch, zum Teil
monadisch sind.
Durch die Abbildung mehrerer Personen kann sichtbar gemacht werden, wie die aus dem
AAP internalisierte Vorstellung des Erzählers zu möglichen Bindungspartnern ist. Die
Abbildung verschiedener Altersklassen ermöglicht die Analyse der Bindungsqualität in
verschiedenen Lebensabschnitten.
Die Bilder werden den Personen gezeigt und es wird darum gebeten, dass sie sich eine
Geschichte ausdenken. Diese soll beinhalten wie es zu der Situation kam, was die
abgebildeten Personen denken oder fühlen könnten und wie es weitergeht. Die Interviewer
wurden instruiert, nur bestimmte, festgelegte Sätze während des Gesprächs zu äußern, um
den Erzählenden nicht zu beeinflussen. All dies wurde auf einem Tonband aufgenommen
und Wort für Wort transkribiert.
Die Transkripte des AAP wurden durch geschultes Fachpersonal ausgewertet. Anhand der
Punkte Diskurs, Inhalt und Abwehr wurden die Personen den Gruppen sicher gebunden (F),
distanzierend gebunden (Ds), kognitiv entkoppelt (E) oder unverarbeitetes Trauma (U)
zugeteilt. Die Bindungstypen „distanzierend gebunden“, „kognitiv entkoppelt“ und
„unverarbeitetes Trauma“ werden in dieser Arbeit unter dem Überbegriff „unsichere
Bindung“ zusammengefasst.
Diskurs berücksichtigt eigene biografische Erfahrung. Inhaltlich werden die Punkte
Selbstwirksamkeit, Verbindung zu anderen Personen und Synchronizität einer Beziehung
gewertet. Hinsichtlich der Abwehr werden die Punkte Deaktivierung, kognitive
Entkoppelung und abgetrennte Systeme analysiert. Deaktivierung bedeutet, dass der
Erzählende Bindung in der Geschichte abwertet oder gar ausblendet. Konnte ein
schwieriges Erlebnis nicht integriert werden, spricht man von kognitiver Entkoppelung.
Abgetrennte Systeme werden deutlich über Bedrohung, Verlust und Isolation in der
Geschichte. Dies bringt einen unverarbeiteten Bindungsstatus mit sich (Buchheim, George,
Juen & West 2012). Für eine detaillierte Darstellung siehe Buchheim et al. (2012).
George und West (2001) zeigten, dass das AAP sowohl reliabel, als auch valide ist. Sowohl
in der englischen, als auch in der deutschen Version zeigten sich eine gute konvergente
Validität mit dem AAI und eine gute Inter-Rater-Reliabilität. In der englischen Version
Seite 43
wurde auch eine gute Test-Retest-Reliabilität dokumentiert (George & West 2001; zitiert
nach Buchheim et al. 2012).
2.3 Statistisches Vorgehen
Die Analyse der Daten erfolgte mit SPSS 20. Hypothese 1 wurde auf Basis von PearsonKorrelationen überprüft. Zum Testen der Hypothesen 2.1, 2.2 und 4 wurden t-Tests für
unabhängige Stichproben verwendet. Bei signifikanter Varianzungleichheit (Levene-Test)
wurde für diese korrigiert. Hypothese 3 wurde mit Hilfe von Pearson-Korrelationen (zeroorder Korrelationen) überprüft. Hier wurde auch eine multivariate Regression
durchgeführt, um die jeweiligen Zusammenhänge zwischen den verschiedenen
Dimensionen von Missbrauch zu kontrollieren.
Zum Testen von Hypothese 5 wurde eine Mediatoranalyse in Einklang mit der Prozedur
nach Baron und Kenny (1981) mithilfe von mehreren Regressionen durchgeführt. Dafür
wurde in einem ersten Schritt der direkte Pfad zwischen Missbrauchserfahrung
(unabhängige Variable) und Stresserleben (abhängige Variable) auf Signifikanz getestet. In
einem zweiten Schritt wurde der Pfad zwischen Missbrauchserfahrung (unabhängige
Variable) und Bindung (Mediator) auf Signifikanz getestet, in einem dritten Schritt der Pfad
zwischen Bindung (Mediator) und Stresserleben (abhängige Variable). Um eine Mediation
zeigen zu können, müsste jeder Pfad signifikant werden. Als letzter Schritt muss gezeigt
werden, dass der Koeffizient des direkten Pfads (bzw. die Stärke des Zusammenhangs)
zwischen Missbrauchserfahrung (unabhängige Variable) und Stresserleben (abhängige
Variable) kleiner wird, wenn für den Mediator (d.h. Bindung) kontrolliert wird. Am Ende
wurde zudem noch der Sobel Test berichtet. Dieser Test stellt ein Maß für das gesamte
getestete Mediationsmodell dar und sollte, gegeben einer Mediation, signifikant werden.
Der Sobel Test wurde mithilfe der Website „www.quantpsy.org“ von Kristopher J. Preacher
und Geoffrey J. Leonardelli am 9. November 2013 durchgeführt.
Zur Sicherstellung der Transparenz soll an dieser Stelle angemerkt werden, dass vereinzelt
Werte der Teilnehmerinnen nicht im Datensatz vorlagen. Beispielsweise konnten beim AAP
aus technischen Gründen (Probleme beim Aufnahmegerät) nicht alle Interviews
dokumentiert werden. Bei den durchgeführten Analysen zum Testen der Hypothesen
Seite 44
wurden immer alle Probandinnen eingeschlossen, für die Werte vorlagen. Aufgrund der
angesprochenen vereinzelten fehlenden Werte kommt es deshalb zu kleinen
Veränderungen der eingeschlossenen Probandinnen in der jeweiligen Analyse.
Seite 45
3 Ergebnisse
3.1 Stichprobenbeschreibung t₀
Soziodemographische Daten
Die Stichprobe bei t₀ bestand aus 240 Frauen. Die Altersspanne unserer Stichprobe bei t₀
erstreckte sich von 21 Jahren bis zu 46 Jahren. Das mittlere Alter betrug 33,15 Jahre (SD =
5,18 Jahre). 19,6% unserer Probandinnen waren ledig, 77,5% verheiratet und 2,9%
geschieden.
Von den 240 Frauen hatten 0,8% keinen Schulabschluss, 10% den Hauptschulabschluss,
25% mittlere Reife, 15% Fachhochschulreife und 56,7% Abitur. 1,3% machten sonstige
Angaben. Keine Angaben zu ihrer beruflichen Ausbildung machten 0,4% der Frauen, 4,2 %
hatten keine Ausbildung. 36,7% hatten eine Lehre oder Ausbildung absolviert, 1,7%
absolvierten einen Meister. 54,6% hatten einen universitären Abschluss und 2,5% machten
sonstige Angaben. In Abbildung 3 werden die schulischen Abschlüsse der Stichprobe von t₀
mit den allgemeinen Schulabschlüssen von Frauen zwischen 20 und 45 Jahren auf
Bundesebene und in Baden-Württemberg verglichen (Statistisches Bundesamt 2013a;
Statistisches Landesamt 2012). Dabei kann eine deutliche Überrepräsentation von
Akademikerinnen in unserer Stichprobe festgestellt werden.
Schulabschluss
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
in Ausbildung kein Abschluss Hauptschule
Bundesebene
Realschule
Fach-/Abitur
Baden-Württemberg
Sonstiges
keine Angabe
Stichprobe
Abbildung 3: Vergleich der prozentualen Verteilung von Schulabschlüssen der Stichprobe von „Meine
Kindheit – Deine Kindheit“ (N = 240, Messzeitpunkt t₀) mit den allgemeinen Schulabschlüssen in BadenWürttemberg 2012 und auf Bundesebene 2013 für Frauen zwischen 20 und 45 Jahren
Seite 46
Das Herkunftsland von 84,2% der Mütter war Deutschland. 85,3% der Frauen sprachen
Deutsch als Muttersprache. Die mittlere Anzahl der Geburten der Frauen bei t₀ war 1,75,
die Standardabweichung betrug 0,92. Das maximale Range der Geburtenzahl geht von ein
bis sechs Geburten.
22,5% der Mütter gaben auf Nachfrage an, in ihrer Vorgeschichte eine psychische
Erkrankung diagnostiziert bekommen. Von diesen 22,5% gaben 12,9% an, an einer
Depression gelitten zu haben. 5,4% gaben eine diagnostizierte Angsterkrankung und 8,3%
eine andere psychische Diagnose an. Etwa 3% unserer Stichprobe gab also eine in der
Vergangenheit diagnostizierte Depression an und etwa 1,5% der Gesamtstichprobe eine
diagnostizierte Angsterkrankung.
Der KINDEX-Risikoscore
Wie bereits erläutert, ist der KINDEX-Risikoscore ein Messinstrument für das individuelle
Risiko frühkindlicher Komplikationen und errechnet sich aus der Summe der erzielten
Werte für einzelne Risikofaktoren. Ist ein Risikofaktor vorhanden, wird der Wert eins
zugeteilt. Trifft der Risikofaktor nicht zu, wirde der Wert null zugeteilt. Ein oder mehrere
Risikofaktoren bilden wiederum einen Risikobereich. Risikobereiche des KINDEX sind Alter,
Migrationshintergrund, Alleinerziehung, finanzielle Probleme, körperliche Beschwerden,
pränatales Bonding, Stress, traumatische Erfahrungen in der Kindheit, partnerschaftliche
Gewalt, Substanzkonsum und psychische Erkrankungen. Der Risikobereich Alter definiert
sich über ein erhöhtes Risiko der Mütter, wenn sie jünger als 21 Jahre sind.
Migrationshintergrund wird als Risiko gewertet, wenn das Herkunftsland der Mutter oder
des Vaters nicht Deutschland ist. Für den Risikobereich Alleinerziehung wird die Mutter
befragt, ob sie das Kind allein versorgt. Finanzielle Probleme werden mittels direkter Frage
nach der Sorge über finanzielle Probleme erfasst und den Wohnindex ≤ 0,5. Der Wohnindex
ist der Quotient aus Zimmeranzahl und Personenanzahl. Körperliche Beschwerden setzen
sich
zusammen
aus
Komplikationen
in
vorhergehenden
oder
der
aktuellen
Schwangerschaft und dem Vorliegen eines medizinischen Risikofaktors (z. B. Asthma
bronchiale). Die Planung der Schwangerschaft, sowie eine erhöhte Sorge oder verminderte
Freude von Vater und Mutter über das Kind beinhaltet der Risikobereich pränatales
Bonding. Der Risikobereich Stress entspricht einem PSS4-Wert ≥ 12. Traumatische
Erfahrungen in der Kindheit beinhalten einen Wert über 2 auf den Subskalen Körperlicher
Seite 47
Missbrauch oder Sexueller Missbrauch im CTQ. Für den Risikobereich partnerschaftliche
Gewalt wurde die Zunahme von Streitigkeiten während der Schwangerschaft, lautstarke
Auseinandersetzungen und Handgreiflichkeiten in der Partnerschaft und Gewalt in
jeglichen Partnerschaften der Vergangenheit erfragt. Der Risikobereich Substanzkonsum
beinhaltet aktuellen Nikotinkonsum, Alkoholkonsum und Drogenkonsum der Mutter und
aktuellen Nikotin- und Drogenkonsum des Vaters, sowie Sorge der Mutter über den
Alkoholkonsum des Vaters. Psychische Erkrankung setzt sich zusammen aus einer
diagnostizierten psychischen Krankheit, einer ambulanten oder stationären Therapie und
der Einnahme von Psychopharmaka in der Vergangenheit.
Der höchste, erzielbare Wert des KINDEX-Risikoscores beträgt 30 Punkte. Je höher der
KINDEX-Risikoscore ausfällt, umso größer ist das Risiko für frühkindliche Komplikationen.
Verteilung der Stichprobe
in %
Abbildung 4 zeigt die Verteilung unserer Stichprobe bei t₀.
25
20
15
10
5
0
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
Abbildung 4: Verteilung der Stichprobe von „Meine Kindheit – Deine Kindheit“ auf dem KINDEX-Risikoscore
zur Ermittlung des Risikos frühkindlicher Komplikationen zum Messzeitpunkt ein bis drei Tage nach der
Geburt erhoben in der Frauenklinik Ulm von 2012 bis 2013 (N = 240, Messzeitpunkt t₀).
Abbildung 5 zeigt den Vergleich der KINDEX-Risikobereiche von Müttern mit keinen
Misshandlungserfahrungen in der Kindheit (mittlerer CTQ-Summenscore = 1) mit Müttern,
die Misshandlungserfahrungen in ihrer Kindheit sammeln mussten (mittlerer CTQSummenscore > 1). Für jeden Risikobereich wurde der prozentuelle Anteil der Mütter
angegeben, die einen Wert größer oder gleich eins hatten. Beispielsweise haben 10% der
Frauen mit Misshandlungserfahrung in der Kindheit ein erhöhtes Risiko im Bereich
Finanzen und lediglich 2% der Frauen ohne Misshandlungserfahrung in der Kindheit. Auf
die Risikobereiche Stress und Traumatische Erfahrungen in der Kindheit im Zusammenhang
Seite 48
mit Misshandlungserfahrung in der Kindheit wird im Verlauf der Arbeit noch näher
eingegangen und daher werden diese an dieser Stelle nicht näher ausgeführt.
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
64%
39%
32%
30% 26%
13%
8%
81%
72%
68%
4% 5% 2%
10%
Keine Misshandlungserfahrung
50%
40%
15%
15%
Misshandlungserfahrung
Abbildung 5: Gegenüberstellung von Müttern mit und ohne Misshandlungserfahrung im CTQ mit positiven
Werten in den KINDEX-Risikobereichen in der Studie „Meine Kindheit – Deine Kindheit“ erhoben in der
Frauenklinik Ulm von 2012 bis 2013
Abkürzungen. CTQ = Childhood Trauma Questionnaire; t₀= Messzeitpunkt Screening, ein bis drei Tage nach
der Geburt in der Frauenklinik Ulm.
CTQ-Klassifikation
Wie bereits beschrieben, bietet das CTQ nicht nur die Möglichkeit, Misshandlung in
verschiedenen Subskalen zu messen, sondern auch eine klinische Einteilung anhand der
Werte vorzunehmen.
Häuser et al. (2011) erhoben in Deutschland den CTQ,
um
eine
repräsentative
Stichprobe für die Verteilung von Missbrauch zu erstellen. Verglichen mit Häusers
Stichprobe findet sich in unserer Stichprobe in den Subskalen „Emotionaler Missbrauch“,
„Körperlicher Missbrauch“, „Sexueller Missbrauch“ und „Emotionale Vernachlässigung“
eine Tendenz zur Unterrepräsentation von erhöhter Missbrauchsbelastung. In der Subskala
„Körperliche Vernachlässigung“ zeigt sich in Häusers Stichprobe deutlich mehr Belastung
(vgl. Abbildung 6).
Seite 49
Keine bis minimale Belastung
Niedrige bis moderate Belastung
Moderate bis schwere Belastung
Schwere bis extreme Belastung
KV
KV*
EV
EV*
SM
SM*
KM
KM*
EM
EM*
0%
20%
40%
60%
80%
100%
Abbildung 6: Vergleich der CTQ-Werte der einzelnen Subkategorien der Stichprobe von „Meine Kindheit –
Deine Kindheit“ zu t₀ (2012 bis 2013 in der Frauenklinik Ulm) mit der Stichprobe von Häuser et al. (2011)
Anmerkung. Die Daten der CTQ-Subkategorien von Häuser et al. (2011) sind mit * versehen.
Abkürzungen: CTQ = Childhood Trauma Questionnaire; KV = Körperliche Vernachlässigung; EV = Emotionale
Vernachlässigung; SM = Sexueller Missbrauch; KM = Körperlicher Missbrauch; EM = Emotionaler Missbrauch
3.2 Stichprobenbeschreibung t₁
Von den 104 in die Studie eingeschlossenen Müttern erschienen zu t₁ 61 Mütter. Die
Altersspanne dieser Stichprobe ging vom 23. bis zum 45. Lebensjahr (M = 33,21 Jahre; SD =
5,18).
Diese Stichprobe wurde in meiner Arbeit vor allem für Analysen bezogen auf Bindung
verwendet, da die Bindungsklasse zu diesem Messzeitpunkt und an dieser Stichprobe
erhoben wurde (Daten t₁/Stichprobe t₁). Da der PSS4 zum Messzeitpunkt t₀ und t₁ erhoben
wurde, konnten bestimmte zeitliche Effekte genauer untersucht werden. Hierfür wurden
die Daten des Messzeitpunkts t0 für die reduzierte Stichprobe des Messzeitpunkts t1
analysiert (Daten t₀/Stichprobe t₁).
Seite 50
3.3 Prüfung der Hypothesen
Hypothese 1: Körperlicher Missbrauch, sexueller Missbrauch, emotionaler Missbrauch
und Vernachlässigung stehen in einem positiven Zusammenhang zueinander.
Tabelle 5 legt die Korrelationen der einzelnen Subskalen des CTQs und des CECA.Qs dar.
Die weiß hinterlegte Fläche entspricht den Daten, die zum Messzeitpunkt t₀ erhoben
wurden (N=240). Die grau hinterlegte Fläche enthält die Analyse der Daten, die zum
Messzeitpunkt t₁ erhoben wurden (N=61).
Da die Korrelation nach Pearson der Subskalen Antipathie und Vernachlässigung des
CECA.Qs für die Befragung zur Mutter .76 (p< .001) und die Befragung zum Vater .68 (p<
.001) ergab, muss von einer nicht ausreichenden Trennschärfe dieser Subskalen in
unserer Studie ausgegangen werden. Daher wurden in dieser Arbeit diese beiden Skalen
zusammengefasst und lediglich für die Werte der Befragung zur Mutter oder zum Vater
getrennt analysiert (die Analyse der getrennten Subskalen ergaben identische
Ergebnisse).
Tabelle 5: Korrelation der Missbrauch-erhebenden Subskalen der Studie „Meine Kindheit – Deine Kindheit“
zum Messzeitpunkt t₀ erhoben in der Frauenklinik Ulm 2012 - 2013
CTQ_KV
CTQ_EM
CTQ_EV
CTQ_KM
CTQ_SM
CECA.Q_MU
CECA.Q_VA
CTQ_KV
1
.70**
.63**
.58**
.36**
.59**
.51**
CTQ_EM
.73**
1
.63**
.70**
.44**
.63**
.55**
CTQ_EV
.72**
.68**
1
.35**
.24**
.74**
.61**
CTQ_KM
.56**
.76**
.40**
1
.42**
.36**
.40**
CTQ_SM
.21
.34**
.27*
.40**
1
.14**
.28**
CECA.Q_MU
.77**
.76**
.79**
.48**
.18
1
.50**
CECA.Q_VA
.61**
.71**
.77**
.48**
.40**
.58**
1
Anmerkungen. * p < 0,05 (zweiseitig); ** p < 0,01 (zweiseitig). Die grau hinterlegte Fläche enthält die
Korrelationen zum Messzeitpunkt t₁.
Abkürzungen. CTQ_KV = Childhood Trauma Questionnaire, Subskala körperliche Vernachlässigung; CTQ_EM
= Childhood Trauma Questionnaire, Subskala emotionaler Missbrauch; CTQ_EV = Childhood Trauma
Questionnaire, Subskala emotionale Vernachlässigung; CTQ_KM = Childhood Trauma Questionnaire,
Subskala körperlicher Missbrauch; CTQ_SM = Childhood Trauma Questionnaire, Subskala sexueller
Missbrauch; CECA.Q_Mu = Childhood Experience of Care and Abuse Questionnaire bezogen auf die Mutter,
Subskalen Antipathie und Vernachlässigung; CECA.Q_Va = Childhood Experience of Care and Abuse
Questionnaire bezogen auf den Vater, Subskalen Antipathie und Vernachlässigung; t₀ =
Messzeitpunkt
Screening, ein bis drei Tage nach der Geburt in der Frauenklinik Ulm.
Hierbei ist festzustellen, dass alle Subskalen des CTQs und des CECA.Qs bei t₀ auf einem
Signifikanzlevel von p<.01 positiv korrelieren. Die Stärke der Zusammenhänge liegen
zwischen r=.14, p<.01 (Korrelation der Subskala „Sexueller Missbrauch“ des CTQs und des
CECA.Qs der Mutter) und r=.74, p<.01 (Korrelation der Subskala „Emotionale
Seite 51
Vernachlässigung“ des CTQs und des CECA.Qs der Mutter). Zu beachten ist diesbezüglich,
dass die verwendete, gekürzte Version des CECA.Q Vernachlässigung erhebt. Daher
korreliert der CECA.Q erwartungsgemäß hoch mit der Subskala „Emotionale
Vernachlässigung“ des CTQ.
Die positiven Korrelationen der Subskalen des CTQs in der reduzierten Stichprobe bei t₁
(N=61) sind nicht immer signifikant. Die Richtung der Korrelationen stimmt mit der
Vorhersage (d. h. ein positiver Zusammenhang zwischen den Subskalen) überein. Die
Korrelationen auf dem Signifikanzlevel p<.01 befinden sich zwischen r=.34 (Korrelation von
CTQ „Emotionaler Missbrauch“ und CTQ „Sexueller Missbrauch“) und r=.79 (Korrelation
von CTQ „Emotionaler Vernachlässigung“ und CECA.Q der Mutter). Die Zusammenhänge
der Subskalen zeigen sich auch in der reduzierten Stichprobe.
Die Hypothese des positiven Zusammenhanges der einzelnen Subskalen zur Erhebung von
Missbrauchsbelastung kann hiermit gestützt werden.
Hypothese
2.1:
Mütter
mit
unsicherer
Bindung
berichten
von
mehr
Missbrauchserfahrungen als Mütter mit sicherer Bindung.
Aufgrund der bisher dargestellten Literatur wurde vermutet, dass sich Missbrauch in der
Kindheit oder Jugend in einem unsicheren Bindungsstil niederschlägt.
Die Mittelwerte und Standardfehler des CTQ-Summenscores in Abhängigkeit von sicherer
und
unsicherer
Bindung
zeigen
eine
deutliche
Tendenz
zur
vermehrten
Missbrauchsbelastung bei unsicherer Bindung (siehe Abbildung 7).
Diese Resultate sprechen dafür, dass Frauen mit unsicherer Bindung mehr
Misshandlungserfahrungen in ihrer Kindheit berichten im Vergleich zu Frauen mit sicherer
Bindung. Im Speziellen berichten unsicher gebundene Frauen mehr Missbrauch auf den
Subskalen „Emotionale Misshandlung“, „Körperliche Misshandlung“ und „Körperliche
Vernachlässigung“ des CTQs, nicht jedoch für den CTQ-Gesamtwert.
Seite 52
p=.31
t=1.04
df=38
mittlerer CTQ-Summenscore
3,0
p=.02
t=2.33
df=47
2,5
2,0
p=.02
t=2.48
df=58
p=.03
t=2.22
df=58
p=.43
t=-0.81
df=14
p=.27
t=1.10
df=30
1,5
1,0
T
0,5
0,0
Ds, E,
U
F
CTQ_EM
Ds, E,
U
F
CTQ_KM
Ds, E,
U
F
CTQ_EV
Ds, E,
U
F
CTQ_KV
Ds, E,
U
F
CTQ_SM
Ds, E,
U
F
CTQ_insg
Abbildung 7: Mittelwerte und Standardfehler der Subkategorien des CTQ erhoben in der Studie „Meine
Kindheit – Deine Kindheit“ zu t₀ in Abhängigkeit von sicherer und unsicherer Bindung erhoben zu t₁
Anmerkungen. Berichtete p-Werte und Freiheitsgrade sind für Varianzungleichheit korrigiert (Levene-Test),
jedoch ohne Bonferonni-Korrektur. Mit Bonferonni-Korrektur alle p > .12.
Abkürzungen: CTQ_KV = Childhood Trauma Questionnaire, Subskala körperliche Vernachlässigung; CTQ_EM
= Childhood Trauma Questionnaire, Subskala emotionaler Missbrauch; CTQ_EV = Childhood Trauma
Questionnaire, Subskala emotionale Vernachlässigung; CTQ_KM = Childhood Trauma Questionnaire,
Subskala körperlicher Missbrauch; CTQ_SM = Childhood Trauma Questionnaire, Subskala sexueller
Missbrauch; CTQ_insg = Childhood Trauma Questionnaire, alle Subskalen; F = sicher gebunden; Ds =
distanzierend gebunden; E = kognitiv entkoppelt, U = unverarbeitetes Trauma; df = Freiheitsgrade; t₀ =
Messzeitpunkt Screening, ein bis drei Tage nach der Geburt in der Frauenklinik Ulm; t₁ = Messzeitpunkt etwa
drei Monate nach der Geburt an der Universität Ulm.
Hypothese 2.2: Mütter mit unverarbeitetem Bindungstyp berichten von mehr
Missbrauchserfahrungen in der Kindheit als Mütter mit sicherer Bindung.
Diese Hypothese wurde in der Stichprobe vom Messzeitpunkt t₁ (N=60) getestet (vgl.
Abbildung 8).
Betrachtet man die Mittelwerte und Standardabweichungen der jeweiligen CTQ-Subskalen
(vgl. Abbildung 8), wird in einigen Subskalen eine Tendenz ersichtlich. In allen Subskalen
des CTQs, außer der Subskala „Sexueller Missbrauch“, ist die Missbrauchsbelastung in der
Gruppe mit unverarbeitetem Bindungsstatus höher. Im t-Test wurde jedoch keiner der
Gruppenunterschiede signifikant. Die Hypothese konnte demnach nicht bestätigt werden.
Seite 53
mittlerer CTQ-Summenscore
3,0
p=.12
t=-1.64
df=19
2,5
2,0
1,5
p=.41
t=-0.85
df=27
p=.17
t=-1.45
df=15
p=.08
t=-1.90
df=16
df=15
p=.30
t=-1.07
df=21
p=.44
t=0.79
df=18
df=
1,0
0,5
0,0
F
U
CTQ_EM
F
U
CTQ_KM
F
U
CTQ_EV
F
U
CTQ_KV
F
U
CTQ_SM
F
U
CTQ_insg
Abbildung 8: Mittelwerte und Standardfehler im CTQ erhoben in der Studie „Meine Kindheit – Deine
Kindheit“ in Ulm zu t₀ in Abhängigkeit von sicherem und unverarbeitetem Bindungsstatus erhoben
Anmerkungen. Berichtete p-Werte und Freiheitsgrade sind für Varianzungleichheit korrigiert (Levene-Test),
jedoch ohne Bonferonni-Korrektur. Mit Bonferonni-Korrektur alle p > .48.
Abkürzungen. CTQ_KV = Childhood Trauma Questionnaire, Subskala körperliche Vernachlässigung; CTQ_EM
= Childhood Trauma Questionnaire, Subskala emotionaler Missbrauch; CTQ_EV = Childhood Trauma
Questionnaire, Subskala emotionale Vernachlässigung; CTQ_KM = Childhood Trauma Questionnaire,
Subskala körperlicher Missbrauch; CTQ_SM = Childhood Trauma Questionnaire, Subskala sexueller
Missbrauch; CTQ_insg = Childhood Trauma Questionnaire, alle Subskalen; F = sicher gebunden; U =
unverarbeitetes Trauma; df = Freiheitsgrade; t₀ = Messzeitpunkt Screening, ein bis drei Tage nach der Geburt
in der Frauenklinik Ulm; t₁ = Messzeitpunkt etwa drei Monate nach der Geburt an der Universität Ulm.
Hypothese 3: Es gibt einen positiven Zusammenhang zwischen Missbrauch in der
Kindheit und Stresserleben in der Schwangerschaft, nach der Geburt und beim Übergang
in die Elternschaft.
Tabelle 6 zeigt, dass die Korrelationen von jeder Misshandlungssubskala und subjektivem
Stressempfinden positiv sind. Dieser Zusammenhang wird beim Messzeitpunkt t₀ (N=240)
für jede Subskala signifikant (p<.01) und variiert zwischen r=.18 und r=.41 (Daten
t₀/Stichprobe t₀). Der stärkste Zusammenhang konnte für die Subskala „Emotionaler
Missbrauch“ nachgewiesen werden [r=.44 (Daten t₀/Stichprobe t₀), r=.57 (Daten
t₀/Stichprobe t₁)]. Beim Messzeitpunkt t₁ (N=61) kann nicht für jede Subskala auf einem
Signifikanzniveau von p<.05 ein positiver Zusammenhang gefunden werden (Daten
t₁/Stichprobe t₁). Die Richtung des Zusammenhanges ist jedoch immer positiv. Die
signifikanten Korrelationen variieren zwischen r=.26 und r=.29.
Des Weiteren wurde noch eine Korrelationanalyse der bei t₀ erhobenen CTQ-Subskalen
und PSS4-Daten mit der Stichprobe von t₁ (N=61) (Daten t₀/Stichprobe t₁) durchgeführt.
Seite 54
Auch hier zeigen sich auf einem Signifikanzlevel von p<.001 signifikante, positive
Zusammenhänge zwischen r=.35 (Körperliche Vernachlässigung) und r=.57 (Emotionaler
Missbrauch) mit subjektivem Stressempfinden.
Tabelle 6: Korrelation von Misshandlungsbelastung und Stress zu den Messzeitpunkten t₀ und t₁ in der
Studie „Meine Kindheit – Deine Kindheit“ erhoben in der Frauenklinik Ulm 2012 - 2013
CTQ_KV
CTQ_EM
CTQ_EV
CTQ_KM
CTQ_SM
CTQ_insg
CECA.Q_MU
CECA.Q_VA
CECA.Q_ALL
PSS4 t₀
PSS4 t₁
PSS4 t₀ (N=61)
(Daten t₀/Stichprobe t₀)
(Daten t₁/Stichprobe t₁)
(Daten t₀/Stichprobe t₁)
,31**
,44**
,35**
,28**
,18**
,41**
,35**
,32**
,39**
,27*
,29*
,21
,25
,14
,29*
,10
,26*
,22
,35**
,57**
,37**
,43**
,23
,51**
,33*
,40**
,41**
Anmerkungen. * p < 0,05 (zweiseitig); ** p < 0,01 (zweiseitig)
Abkürzungen. PSS 4 = Perceived Stress Scale 4; t₀ = Messzeitpunkt 1-3 Tage nach der Geburt in der
Frauenklinik Ulm; t₁ = erster Messzeitpunkt nach drei Monaten an der Universität Ulm; CTQ_KV = Childhood
Trauma Questionnaire, Subskala körperliche Vernachlässigung; CTQ_EM = Childhood Trauma
Questionnaire, Subskala emotionaler Missbrauch; CTQ_EV = Childhood Trauma Questionnaire, Subskala
emotionale Vernachlässigung; CTQ_KM = Childhood Trauma Questionnaire, Subskala körperlicher
Missbrauch; CTQ_SM = Childhood Trauma Questionnaire, Subskala sexueller Missbrauch; CTQ_insg =
Childhood Trauma Questionnaire, alle Subskalen; CECA.Q_Mu = Childhood Experience of Care and Abuse
Questionnaire bezogen auf die Mutter, Subskalen Antipathie und Vernachlässigung; CECA.Q_Va = Childhood
Experience of Care and Abuse Questionnaire bezogen auf den Vater, Subskalen Antipathie und
Vernachlässigung; CECA.Q_ALL = Childhood Experience of Care and Abuse Questionnaire bezogen auf
Mutter und Vater mit den Subskalen Antipathie und Vernachlässigung.
Bei genauerem Betrachten dieser Zusammenhänge zeigt die multiple Regression über alle
fünf Subskalen des CTQs bezogen auf Stress zum Erhebungszeitpunkt t₀ einen signifikanten
Effekt für die Subskala „Emotionaler Missbrauch (siehe Tabelle 7). Bei Kontrolle der
anderen Subskalen zeigt sich nur ein signifikanter Effekt für „Emotionaler Missbrauch“, so
dass davon ausgegangen werden kann, dass der positive Zusammenhang zwischen den
Missbrauchssubskalen und subjektivem Stressempfinden insbesondere auf emotionalen
Missbrauch zurückgeführt werden kann (Daten t₀/Stichprobe t₀).
Die multiple Regression mit den PSS4-Daten zum Messzeitpunkt t₁ (Daten t₁/Stichprobe t₁)
ergab keine signifikanten Ergebnisse für die fünf Subskalen des CTQ (alle p-Werte > .13;
F(5,55)=1,16; R²=0,10). Die Hypothese, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen
Missbrauch in der Kindheit und Stresserleben in der Schwangerschaft und nach der Geburt
gibt, konnte bestätigt werden. Im Speziellen konnte gezeigt werden, dass insbesondere die
Seite 55
Subskala „Emotionaler Missbrauch“ mit subjektivem Stressempfinden nach der Geburt in
einem positiven Zusammenhang steht.
Tabelle 7. Regression CTQ mit PSS4 zum Messzeitpunkt t₀ (N=240) der Studie „Meine Kindheit – Deine
Kindheit“, erhoben in der Frauenklinik Ulm 2012 bis 2013
Modell
Nicht standardisierte Koeffizienten
Standardfehler
(Konstante)
CTQ_KV
CTQ_EM
CTQ_EV
CTQ_KM
CTQ_SM
,32
-,08
,44
,12
-,01
-,01
,15
,18
,12
,07
,13
,08
Standardisierte
Koeffizienten
Beta
t-Wert
p -Wert
-,04
,39
,14
-,01
-,01
2,14
-0,44
3,66
1,65
-0,93
-0,13
,03
,66
,00
,10
,93
,90
Anmerkung. R-Quadrat=0,20; F(5,234)=11,75, p<.01 für das Gesamtmodel
Abkürzungen. CTQ_KV = Childhood Trauma Questionnaire, Subskala körperliche Vernachlässigung; CTQ_EM
= Childhood Trauma Questionnaire, Subskala emotionaler Missbrauch; CTQ_EV = Childhood Trauma
Questionnaire, Subskala emotionale Vernachlässigung; CTQ_KM = Childhood Trauma Questionnaire,
Subskala körperlicher Missbrauch; CTQ_SM = Childhood Trauma Questionnaire, Subskala sexueller
Missbrauch; t₀ = Messzeitpunkt Screening, ein bis drei Tage nach der Geburt in der Frauenklinik Ulm.
Hypothese 4: Mütter mit unsicherer Bindung im Erwachsenenalter berichten über ein
erhöhtes Stresserleben nach der Geburt im Vergleich zu Müttern mit sicherer Bindung.
Die vierte Hypothese beruht auf der Annahme, dass unsicher gebundene Menschen ein
erhöhtes subjektives Stressempfinden haben. Abbildung 9 zeigt die jeweiligen Mittelwerte
und Standardfehler des subjektiven Stresserlebens zu den Messzeitpunkten t0 und t1 nach
Bindungsklassen aufgeschlüsselt. Dieser Zusammenhang wird in der ANOVA in unserer
Stichprobe zu keinem Messzeitpunkt signifikant, für t₀ F(3,56)=0,41, p=.75; für t₁
F(3,53)=0,11, p=.96. Mütter mit unsicherer Bindung berichten also zu keinem unserer
Messzeitpunkte von signifikant mehr Stresserleben als Mütter mit sicherer Bindung.
Seite 56
1,6
PSS4 Mittelwert
1,4
1,2
1,0
0,8
0,6
0,4
0,2
0,0
PSS4 t₀
sichere Bindung
unsicher distanzierend
PSS4 t₁
kognitiv entkoppelt
unverarbeiteter Bindungsstatus
Abbildung 9: Mittleres Stresserleben mit Standardfehler nach Bindungstyp erhoben zu t₁ gemessen mittels
PSS4 bei t₀ (N=60) und t₁ (N=60) in der Studie „Meine Kindheit – Deine Kindheit“ erhoben in Ulm 2012 bis
2013
Abkürzungen. PSS 4 = Perceived Stress Scale 4; t₀ = Messzeitpunkt 1-3 Tage nach der Geburt in der
Frauenklinik Ulm; t₁ = erster Messzeitpunkt nach drei Monaten an der Universität Ulm
Hypothese 5: Bindung im Erwachsenenalter fungiert als Mediator für den positiven
Zusammenhang von Missbrauch in der Kindheit und Stresserleben in der
Schwangerschaft und im Übergang zur Elternschaft.
Um Hypothese 5 zu testen wurden mehrere Mediationsmodelle gerechnet. Im Folgenden
werden das Vorgehen und die Ergebnisse exemplarisch für die Subskala „Emotionaler
Missbrauch“ berichtet. Die Ergebnisse der anderen vier Subskalen sind äquivalent – es
zeigten sich keine signifikanten Mediationen.
Um statistisch eine Mediation nachweisen zu können, ist ein signifikanter Pfad c
erforderlich. Wie in Abbildung 10 ersichtlich, besteht ein positiver Zusammenhang
zwischen emotionaler Misshandlung und subjektivem Stresserleben in einer univariaten
Regression. Der Pfad a gibt den Zusammenhang zwischen emotionalem Missbrauch und
unsicherer Bindung wieder. Dieser Zusammenhang wird, wie Abbildung 10 darlegt, in einer
univariaten Regression nicht signifikant. Der Pfad b, welcher den Zusammenhang zwischen
unsicherer Bindung und subjektivem Stresserleben beinhaltet, wird ebenfalls nicht
signifikant.
Seite 57
Abbildung 10: Mediation des positiven Zusammenhangs von emotionaler Misshandlung in der
Kindheit und Stresserleben in der Schwangerschaft und direkt nach der Geburt (erhoben zu t₀)
durch Bindung im Erwachsenenalter (erhoben zu t₁) in der Studie „Meine Kindheit – Deine
Kindheit“ in Ulm von 2012 bis 2013
Abkürzungen: a = Korrelation von emotionaler Misshandlung in Kindheit und Jugend und Bindung
im Erwachsenenalter; b = Korrelation von Bindung im Erwachsenenaler und Stresserleben in der
Schwangerschaft und direkt nach der Geburt; c = Korrelation von emotionaler Misshandlung in
Kindheit und Jugend und Stresserleben in der Schwangerschaft und direkt nach der Geburt; β
=unstandartisierter Regressionskoeffizient; p = Signifikanzwert; R² = Anteil erklärter Varianz; F = FTest mit Freiheitswerten und F-Wert ; t₀= Messzeitpunkt Screening, ein bis drei Tage nach der
Geburt in der Frauenklinik Ulm.
Sollte Bindung den Zusammenhang zwischen emotionalem Missbrauch in der Kindheit und
Jugend und Stresserleben direkt nach der Geburt mediieren, muss als letzter Schritt im
Gesamtmodell der β-Koeffizient des Pfades c unter Kontrolle von Misshandlung kleiner
werden. Der β-Koeffizient des Zusammenhangs von emotionalem Missbrauch und
Stresserleben direkt nach der Geburt verändert sich unter Kontrolle des Bindungsstils
allerdings nicht (vgl. Tabelle 8).
Tabelle 8: Übersicht über die statistischen Parameter des Gesamtmodells der Mediation des
Zusammenhanges zwischen emotionalem Missbrauch und Stresserleben durch Bindung in der
Studie „Meine Kindheit – Deine Kindheit“, Daten erhoben in der Frauenklinik Ulm 2012 bis 2013
β
p
Bindung (Pfad b)
-0,02
.88
Emotionale Misshandlung (Pfad c)
0,55
.00
Seite 58
Anmerkung. Gesamtmodell R²=0,31; F(2,57)=12,61
Der Sobel-Test, welcher das gesamte Mediationsmodell testet, wurde dementsprechend
ebenfalls nicht signifikant (z=-0.16, p=.87). Die Ergebnisse der anderen Subskalen des CTQs
waren äquivalent – es zeigte sich keine signifikante Mediation. Diese Mediationsmodelle
werden aus Redundanzgründen hier nicht berichtet.
Im Folgenden werden die statistischen Parameter für das Mediationsmodell berichtet,
wenn der CTQ-Gesamtscore und der CECA.Q-Gesamtscore als unabhängige Variable
getestet werden (statt der emotionalen Misshandlung).
Wie im Mediationsmodell, welches die emotionale Misshandlung beinhaltete, wird jeweils
der Pfad a für CTQ-Summenscore und CECA.Q-Summenscore nicht signifikant (vgl. Tabelle
9).
Tabelle 9: Statistische Parameter für das Mediationsmodell mit dem CTQ-Gesamtscore und dem
CECA.Q-Gesamtscore als unabhängige Variable erhoben zu t₀ durch die Studie „Meine Kindheit –
Deine Kindheit“ in der Frauenklinik Ulm von 2012 bis 2013
Gesamtmodell
Pfad a
Pfad b
Pfad c
Pfad b
Pfad c
β
-0,14
-0,13
0,52
-0,06
0,51
CTQ
p
.27
.31
.00
.60
.00
gesamt
F
(1,58)=1,22 (1,58)=1,04 (1,58)=20,95
(2,57)=10,48
R²
0,02
0,02
0,27
β
-0,15
-0,13
0,39
-0,08
0,38
CECA.Q
p
.26
.31
.00
.54
.00
gesamt
F
R²
(1,58)=1,30 (1,58)=1,04 (1,58)=10,68
0,02
0,02
0,16
0,27
(2,57)=5,47
0,16
Abkürzungen. CECA.Q gesamt = Childhood Experience of Care and Abuse Questionnaire
Gesamtscore; CTQ = Childhood Trauma Questionnaire Gesamtscore; R² =Anteil erklärter Varianz;
F = F-Test mit Freiheitsgraden und F-Wert; t₀ = Messzeitpunkt Screening, ein bis drei Tage nach
der Geburt in der Frauenklinik Ulm.
Es konnten keine signifikanten Zusammenhänge bei Pfad b gezeigt werden. Pfad c hingegen
wird in beiden Modellen signifikant. Allerdings liegen auch für die beiden
Mediationsmodelle mit CTQ-Gesamtscore und CECA.Q-Gesamtscore keine Mediationen
vor – der β-Koeffizient von Pfad c des Gesamtmodels reduziert sich äußerst geringfügig (in
beiden Fällen um 0.01). Dementsprechend wird der Sobel-Test, welcher das gesamte
Seite 59
Mediationsmodell testet, für beide Modelle ebenfalls nicht signifikant (Sobel-Test mit dem
CTQ-Gesamtscore z=0.47, p=.64. Sobel-Test mit dem CECA.Q z=0,55, p=.59).
Auf Basis der Mediationsmodelle kann für den Zusammenhang von Missbrauch und
Stresserleben unter Kontrolle für unsichere oder sichere Bindung nicht von einer Mediation
durch Bindung ausgegangen werden.
Seite 60
4 Diskussion
Das Ziel dieser Arbeit ist es, bei gerade frisch gewordenen Müttern die Zusammenhänge
zwischen Misshandlung in der eigenen Kindheit, Bindungsverhalten im Erwachsenenalter
und Stresserleben nach der Geburt und beim Übergang in die eigene Elternschaft
darzustellen und ihre Tragweite zu diskutieren. Es soll herausgearbeitet werden, ob
unsichere
oder
desorganisierte
Bindung
den
Zusammenhang
von
Misshandlungserfahrungen in der Kindheit und vermehrtem Stresserleben in der
Schwangerschaft und nach der Geburt erklärt. Hierfür wurden Daten an einer Stichprobe
von Müttern ein bis drei Tage und drei Monate nach der Geburt erhoben.
Zunächst konnte gezeigt werden, dass alle Subskalen des CTQs und des CECA.Qs positiv
korrelieren. Man kann daraus schließen, dass verschiedene Formen des Missbrauchs
gemeinsam auftreten (Hypothese 1).
Anschließend wurde geprüft, ob unsicher gebundene Mütter oder Mütter mit
unverarbeitetem Bindungsstatus Unterschiede in Misshandlungserfahrungen in der
Kindheit und Jugend berichten im Vergleich zu Müttern mit sicherer Bindung. Hier konnte
gezeigt werden, dass unsicher gebundene Mütter signifikant mehr Misshandlung auf den
Subskalen „Emotionale Misshandlung“, „Körperliche Misshandlung“ und „Körperliche
Vernachlässigung“ berichten als sicher gebundene Mütter (Hypothese 2.1). Dies konnte
jedoch nicht für Missbrauch in der Kindheit und Jugend und einen unverarbeiteten
Bindungstyp im Erwachsenenalter dokumentiert werden (Hypothese 2.2). Betrachtet man
die Mittelwerte und Standardabweichungen der verschiedenen Subskalen des CTQ, wird
eine Tendenz zum vermehrten Bericht von Misshandlung bei Müttern mit unverarbeitetem
Bindungsstatus im Vergleich zu Müttern mit sicherem Bindungsstatus deutlich. Auf der
Subskala „Körperliche Vernachlässigung“ wird dies tendenziell signifikant.
Des Weiteren stellte sich ein positiver Zusammenhang zwischen Missbrauchserfahrungen
und subjektivem Stresserleben heraus. Für die Daten des Screenings konnte dieser
Zusammenhang für alle Skalen der Missbrauch-erhebenden Instrumente nachgewiesen
werden. Eine lineare Regression konnte zeigen, dass bei Berücksichtigung der
Interkorrelation der verschiedenen Missbrauchsarten „Emotionaler Missbrauch“ für diesen
Zusammenhang verantwortlich ist. Die Subskala „Emotionale Vernachlässigung“ wird in
Seite 61
dieser Regression tendenziell signifikant. Wer also in seiner Kindheit emotional
missbraucht wurde, berichtet im Erwachsenenalter vermehrt Stress (Hypothese 3).
Die Annahme, dass unsichere Bindung im Erwachsenenalter und subjektives Stresserleben
ebenfalls positiv korrelieren, konnte nicht gestützt werden. Es zeigte sich kein vermehrtes
subjektives Stresserleben nach der Geburt und beim Übergang in die Elternschaft bei
unsicher gebundenen Müttern (Hypothese 4).
Schließlich wurde die Mediation des positiven Zusammenhanges von Misshandlung im
Kindes- und Jugendalter und des subjektiven Stresserlebens im Erwachsenenalter durch die
Bindung im Erwachsenenalter in Betracht gezogen. Diese konnte jedoch nicht bestätigt
werden (Hypothese 5).
Zusammenfassend konnten also deutliche Zusammenhänge zwischen verschiedenen
Formen von Missbrauch festgestellt werden und zwischen Misshandlungserfahrungen in
der
Kindheit
und
vermehrtem
Stresserleben
direkt
nach
der
Geburt.
Eine
Regressionsanalyse zeigte dabei den besonderen Stellenwert von emotionaler
Misshandlung auf. Auch eine Mehrbelastung durch Misshandlungserfahrungen in der
Kindheit bei unsicher gebundenen Müttern konnte gezeigt werden, nicht jedoch bei
Müttern mit unverarbeitetem Bindungsstatus. In der vorliegenden Stichprobe von Müttern
in der besonderen Zeit der Schwangerschaft und nach der Geburt gibt es jedoch keine
Anhaltspunkte für einen Zusammenhang von unsicherer Bindung und vermehrtem
Stresserleben oder dafür, dass Bindung den positiven Zusammenhang von Misshandlung
und Stresserleben mediiert.
4.1 Diskussion der Ergebnisse
Diskussion der Interkorrelation verschiedener Missbrauchsformen (Hypothese 1).
Die Studie „Meine Kindheit – Deine Kindheit“ konnte replizieren, dass es positive
Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Missbrauchsformen gibt (vgl. Dong et al.
2004; Häuser et al. 2011). Frauen, die in ihrer Kindheit eine Form von Missbrauch erleben
mussten, haben wahrscheinlich noch andere Formen von Missbrauch erlebt. In unserer
Studie konnten wir zum ersten Messzeitpunkt (t₀) einen sehr starken Zusammenhang der
Seite 62
Subskala „Emotionale Vernachlässigung“ des CTQs und des CECA.Q-Werts für die Mutter
nachweisen. Dies war zu erwarten, da beide Skalen Vernachlässigung erheben. Der
CECA.Q-Wert für den Vater korreliert mit der Subskala „Emotionale Vernachlässigung“ des
CTQs stattdessen stark. Auch hier hätte man eher einen sehr starken Zusammenhang
erwartet, da auch diese Skala Vernachlässigung durch den Vater erhebt. Möglicherweise
wurde der Gesamtwert „Emotionale Vernachlässigung“ des CTQs von den Probandinnen
stärker von der Mutter abhängig gemacht, da diese oftmals mehr in die Erziehung involviert
ist. Oder es kommt tatsächlich zu vermehrter emotionaler Vernachlässigung durch Mütter.
Zum Messzeitpunkt t₁ korrelieren jedoch sowohl CECA.Q-Wert der Mutter, als auch des
Vaters sehr stark mit der Subskala „Emotionale Vernachlässigung“ des CTQs. Die
Interkorrelation verschiedener Missbrauchsarten konnten bereits Dong et al. (2004) und
Häuser et al. (2011) nachweisen. Wie bei Häuser et al. (2011) sind auch bei uns die
Korrelationen zu beiden Messzeitpunkten zwischen den Subskalen des CTQs für
emotionalen und körperlichen Missbrauch und für emotionale und körperliche
Vernachlässigung sehr hoch. Zum Messzeitpunkt t₀ zeigen sich in unseren Ergebnissen
ebenfalls sehr hohe Korrelationen zwischen emotionaler Vernachlässigung und
körperlichem Missbrauch und zwischen emotionalem Missbrauch und körperlicher
Vernachlässigung. Zum Messzeitpunkt t₁ zeigt sich weiterhin die sehr starke Korrelation von
körperlicher Vernachlässigung und emotionaler Misshandlung, nicht jedoch von
emotionaler Vernachlässigung und körperlichem Missbrauch. Dong et al. (2004) konnten
zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, weitere Formen des Missbrauchs erlitten
zu haben, wenn eine Art davon „Emotionale Misshandlung“ war. Auch unsere Ergebnisse
zeigen, dass „Emotionaler Missbrauch“ zu beiden Messzeitpunkten sehr stark oder stark
mit allen Subskalen des CTQs korreliert, außer der Subskala „Sexueller Misshandlung“.
Dong et al. (2004) haben weiterhin gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, nur eine einzelne
Form des Missbrauchs erlitten zu haben, sehr viel höher ist, wenn diese eine Form
„Sexueller Missbrauch“ ist. Wir konnten ebenfalls replizieren, dass sowohl zum
Messzeitpunkt t₀, als auch zum Messzeitpunkt t₁ „Sexueller Missbrauch“ nur mittelmäßig
bis schwach mit anderen Subskalen korreliert oder eben überhaupt kein Zusammenhang
zu anderen Missbrauchsformen nachweisbar war. Zu beiden Messzeitpunkten fällt auf,
dass sich kein Zusammenhang zwischen „Sexuellem Missbrauch“ und dem CECA.Q-Wert
der Mutter aufzeigen lässt, wohl aber zum CECA.Q-Wert des Vaters. Man könnte durch
Seite 63
diese Ergebnisse darauf schließen, dass sexueller Missbrauch eher von Vätern ausgehen
würde.
Unsere Ergebnisse lassen sich folglich einordnen in die bereits gefundenen Studien und
unterstützen die These der Interkorrelation verschiedener Misshandlungsformen. Felitti et
al. (1998) konnten, ausgehend von der Interkorrelation, einen kumulativen Effekt der
verschiedenen Arten stattgefundener Misshandlung mit negativen Folgen für das Opfer
noch Jahre später nachweisen. Kolassa und Schury (2012) schlagen für diesen kumulativen
Effekt den Begriff „Maltreatment Load“ vor. Die Interkorrelation von Missbrauchsarten und
der sich daraus ergebende Maltreatment Load müssen in Zukunft in der Forschung und im
klinischen Alltag berücksichtigt werden. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird dies genauer
erörtert.
Diskussion des vermehrten Auftretens von Misshandlungserfahrungen in der Kindheit bei
unsicher gebundenen Müttern oder Müttern mit unverarbeitetem Bindungsstatus im
Vergleich zu Müttern mit sicherer Bindung (Hypothese 2.1 und 2.2).
Bereits Stronach et al. (2011) und Cyr et al. (2010) konnten einen positiven Zusammenhang
zwischen Misshandlung und unsicherer Bindung und desorganisierter Bindung bei Kindern
nachweisen. In der Studie „Meine Kindheit – Deine Kindheit“ konnte für
Misshandlungserfahrungen in der Kindheit ein signifikanter Unterschied unsicher
gebundene Mütter und sicher gebundene Mütter gezeigt werden. Unsicher gebundene
Mütter waren in unserer Studie in ihrer Kindheit signifikant mehr emotional oder körperlich
misshandelt oder körperlich vernachlässigt worden. Die Vermutung, dass Mütter mit
unverarbeitetem Bindungsstil mehr Misshandlung in ihrer Kindheit und Jugend erfahren
mussten, konnte jedoch nicht gestützt werden. Dies steht nicht im Einklang mit den
Forschungsergebnissen der letzten Jahre zu diesem Zusammenhang (Stronach et al. 2011;
Cyr et al. 2010). Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Abweichung unserer Ergebnisse zu
erklären.
Nicht jedes misshandelte Kind weise zwangsweise eine desorganisierte Bindung auf.
Teilweise entwickle sich auch eine unsichere Bindung (Cyr. et al. 2010). Valenzuela (1990)
konnte beispielsweise zeigen, dass Kinder, die Vernachlässigung erfahren mussten, ein
höheres Risiko haben, unsicher gebunden zu sein. Kinder, die körperlich misshandelt
wurden, hätten dagegen ein höheres Risiko für eine desorganisierte Bindung. Cyr et al.
Seite 64
(2010) wollten in einer Metaanalyse die Bindungsqualitäten von Kindern mit
Vernachlässigungserfahrung und Kindern mit körperlicher Misshandlung gegenüberstellen.
Leider war dies aufgrund der mangelnden Datenlage nicht möglich. Sicherlich erschwert
die Interkorrelation der verschiedenen Missbrauchsformen eine genauere Differenzierung
der Auswirkungen einzelner Misshandlungsformen.
Weiterhin konnte in den letzten Jahren gezeigt werden, dass es neben Misshandlung und
Trauma weitere Risikofaktoren für die Entwicklung eines desorganisierten Bindungsstatus
gibt (Cyr et al 2010). Cyr et al. (2010) gehen von einer multifaktoriellen Entstehung
desorganisierter Bindung aus. Dafür spielten kulturelle Werte (Makrosystem), Armut
(Exosystem),
Ehekonflikte
(Mikrosystem),
genetische
Vulnerabilität
des
Kindes
(ontogenetisches System) und die Ergebnisse der Kindesentwicklung eine Rolle. Hier wird
unter anderem der Erkenntnis Rechnung getragen, dass eine desorganisierte Bindung nicht
nur entsteht, wenn Kinder durch die Eltern selbst in Angstzustände versetzt werden (vgl.
Seite 23). Auch die Abwesenheit der Regulation von ängstlicher Erregung beim Kind durch
sehr unsensible Eltern könne zu desorganisierter Bindung führen (Lyons-Ruth et al. 1999).
Cyr et al. (2010) zeigten, dass das Vorliegen fünf sozioökonomischer Risikofaktoren (z. B.
niedriges Einkommen, Alleinerziehung, niedriger Bildungsstand, Substanzabusus, Alter der
Mutter unter 20 Jahren) für die Entstehung desorganisierter Bindung genauso schwer
wiege wie Missbrauch in der Kindheit. Dieser Effekt konnte jedoch nicht für die Entstehung
von unsicherer Bindung gefunden werden (Cyr et al. 2010).
Möglicherweise hat es durch die Art des Missbrauchs oder durch protektive Faktoren bei
den Müttern unserer Studie also nie ein Auftreten von desorganisierter Bindung gegeben
oder unsere Ergebnisse werden durch das Vorliegen multipler Risikofaktoren, die ebenfalls
zur Entwicklung einer desorganisierten Bindung führen können, verfälscht.
Weiterhin ist zu beachten, dass bei den Teilnehmerinnen unserer Studie ein großer
zeitlicher Abstand zwischen Misshandlungserfahrungen und Erhebung des Bindungsstatus
liegt. In der Bindungsforschung wird desorganisiertes Verhalten als akuter Zustand
angesehen (vgl. Seite 23). Im Rahmen der „Fremden Situation“ wird jedem Kind ein
weiterer Bindungstyp zugeteilt, da man davon ausgeht, dass der desorganisierte
Bindungsstatus lediglich vorübergehend nach einem Trauma auftritt (Main 2012). Bindung
ist ein veränderliches Konstrukt, das mit der Außenwelt in Verbindung steht. Bereits
Seite 65
Bowlby sprach 1969 von „Ziel-korrigierter Partnerschaft“ und meinte damit die
veränderlichen inneren Arbeitsmodelle des Bindungssystems. Im Verlauf der Vorschuljahre
verstünden Kinder mehr und mehr die Wünsche und Vorstellungen der Bindungsperson.
Dadurch käme es zu erneuten Korrekturen des Bindungsverhaltenssystems (Bretherton
1992). Weinfeld et al. (2004) konnten an einer Stichprobe mit niedrigem Einkommen
zeigen, dass im Alter von 19 Jahren eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für ehemals
desorganisiert gebundene Kinder besteht, unsicher gebunden zu sein (Lyons-Ruth &
Jacobvitz 2008). Dies entspricht dem Ergebnis unserer Studie. Sroufe und Collins (2005)
begleiteten in der „high risk Minnesota Study“
3
Kinder mit hohem Risiko für die
Entwicklung einer desorganisierten Bindung bis in das 27. Lebensjahr. Hierbei stellte sich
heraus, dass Kinder mit desorganisierter Bindung mit höherer Wahrscheinlichkeit einen
unverarbeiteten Bindungsstatus im AAI im Alter von 26 Jahren aufwiesen. Auch Van
Ijzendoorn et al. (1999) konnten in einer Metaanalyse nachweisen, dass desorganisierte
Bindung sehr stabil ist. In Studien mit bis zu fünf Jahren Follow-up zeigte sich ein dauerhaft
desorganisierter Bindungsstil. Im Gegensatz hierzu konnten jedoch Lewis, Feiring und
Rosenthal (2000) keine Kontinuität der Bindungsklasse vom ersten Lebensjahr bis zur
Jugend nachweisen und verwiesen auf wichtige Lebensereignisse, die das Bindungssystem
verändern. Dazu gehöre beispielsweise die Scheidung der Eltern.
Es gibt also widersprüchliche Ergebnisse hinsichtlich der Kontinuität von Bindung, im
Speziellen von desorganisierter Bindung. Somit ist nicht klar, wie hoch die
Wahrscheinlichkeit für ein Kind mit desorganisierter Bindung ist, zu einem Erwachsenen
mit unverarbeitetem Bindungsstatus heranzuwachsen. Dies könnte ein weiterer Grund
sein, warum sich der Zusammenhang von Misshandlung in der Kindheit und Jugend und
unverarbeiteter Bindung im Erwachsenenalter in unserer Studie nicht zeigt.
Lyons-Ruth und Jacobvitz (2008) machten noch auf eine weitere Schwierigkeit bei der
Erhebung von desorganisierter Bindung und unverarbeitetem Bindungsstatus aufmerksam:
einem Jugendlichen oder Erwachsenen könne im AAI nur dann ein unverarbeiteter
Bindungsstatus zugeteilt werden, wenn er Missbrauch oder Verlust erfahren hat. Wie
bereits erwähnt, gehen aktuelle Theorien jedoch davon aus, dass desorganisierte Bindung
multifaktoriell entsteht (Cyr et al. 2010). Äußert sich desorganisierte Bindung also nicht
3
Hoch-Risiko Minnesota Studie
Seite 66
über Verlust, Trauma oder Isolation im AAP oder AAI, wird diesen Erwachsenen auch kein
unverarbeiteter Bindungsstatus zugewiesen (Lyons-Ruth & Jacobvitz 2008).
Die Tatsache, dass der positive Zusammenhang zwischen Misshandlung in der Kindheit und
unsicherer Bindung im Erwachsenenalter erhalten bleibt, jedoch nicht der positive
Zusammenhang zwischen Misshandlung in der Kindheit und unverarbeitetem
Bindungsstatus im Erwachsenenalter zeigt, dass die Erhebung unverarbeiteter Bindung und
der Übergang desorganisierter Bindung in unverarbeitete Bindung zukünftig noch
vermehrter Forschung bedarf.
Diskussion des Zusammenhanges von Misshandlung in Kindheit und Jugend und
subjektivem Stresserleben in der Schwangerschaft, nach der Geburt und beim Übergang in
die Elternschaft (Hypothese 3).
Opfer von Misshandlung in Kindheit und Jugend berichteten im Erwachsenenalter
signifikant mehr Stress (vgl. Hyman et al. 2007; Medrano et al. 2002). Diese Vermutung hat
sich auch in unserer Studie bestätigt. Zum Messzeitpunkt t₀ (N=240) zeigte sich, dass frisch
entbundene Mütter mehr subjektives Stressempfinden berichteten, je höher die Werte in
den Summenwerten des CTQs und CECA.Qs und in allen Subskalen des CTQs und CECA.Qs
waren. Damit konnten wir anhand einer Stichprobe frisch entbundener Mütter replizieren,
was Hyman et al. (2007) und Medrano et al. (2002) an drogenabhängigen Personen oder
Personen, die seit kurzem drogenabstinent waren, herausgefunden hatten. Bei gleichen
Analysen mit den Daten des Erhebungszeitpunktes t₀, jedoch mit der reduzierten
Stichprobe vom Messzeitpunkt t₁ (61 Teilnehmerinnen), zeigte sich der Zusammenhang von
subjektivem Stressempfinden direkt nach der Geburt mit allen Subskalen des CTQs mit
Ausnahme der Subskala „Sexueller Missbrauch“. Anhand der Daten zum Stresserleben zum
Messzeitpunkt t₁ der 61 Teilnehmerinnen zeigt sich dieser Zusammenhang für die
Subskalen „Körperliche Vernachlässigung“, „Emotionaler Missbrauch“, den Summenscore
des CTQs und den CECA.Q-Wert des Vaters. Mit einer größeren statistischen Power hätte
eventuell auch beim Messzeitpunkt t₁ der Zusammenhang von Misshandlung in der
Kindheit und vermehrtem Stresserleben nach der Geburt eines Kindes signifikant werden
können.
Möglicherweise unterscheiden sich die Ergebnisse im subjektiven Stressempfinden der
Mütter am Messzeitpunkt t₁ jedoch auch wegen unterschiedlichen Stressoren und dem
Seite 67
individuellen Umgang mit diesen. Dem Messzeitpunkt t₀ geht bei allen Teilnehmerinnen
ein einschneidendes Lebensereignis voraus: die Geburt ihres Kindes. Dies ist mit Stress und
Angst verbunden. Physiologisch gesehen ist dieses Ereignis für jede Mutter auch mit
hormonellen Veränderungen einhergehend. Beispielsweise kommt es während der Geburt
und postnatal (bspw. beim Stillen) zu einem hohen Oxytocinspiegel. Oxytocin ist ein
Neurohormon, welches unter anderem anxiolytische Wirkung besitzt und durch Reduktion
des Cortisolspiegels zur Reduktion von Stress führt (Uvnas-Moberg & Petersson 2005).
Weiterhin spielt der Oxytocinspiegel eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Bindung
(Strathearn, Fonagy, Amico & Montague 2009). Sicher gebundene Mütter hatten in der
Studie von Strathearn, Fonagy, Amico und Montague (2009) eine signifikant höhere
Oxytocinausschüttung in der peripheren Blutbahn und eine vermehrte Aktivierung
oxytocinerger Hirnareale im MRT beim Zeigen von Bildern der eigenen Kinder.
Möglicherweise könnte es also über eine Fehlfunktion im Oxytocinsystem zu vermehrtem
Stressempfinden um den Zeitpunkt der Geburt kommen. Die Fehlfunktion des
Oxytocinsystems könnte aus der Störung des Bindungssystems resultieren, die auf den
Misshandlungserfahrungen der Kindheit basiert.
Die Zeit bis zum Messzeitpunkt t₁ ist ebenfalls eine stressige Zeit. Jedoch unterscheidet sich
die eher dauerhafte Stressbelastung der Mutter in den ersten drei Monaten vom akut
einschneidenden Lebensereignis der Geburt. Weiterhin wird dieser Stress von den Müttern
eventuell unterschiedlich kognitiv bewertet (Hobfoll 1989; Lazarus & Folkmann 1984).
Möglicherweise spielt die Bewertung des Stressors eine entscheidende Rolle oder akute
Stressoren werden von misshandelten Menschen anders empfunden als chronische. Auf
den Mangel an Differenzierung von Stressoren werde ich im Punkt „Limitationen“ noch
genauer eingehen. Auch muss eine Verfälschung der erhobenen Werte zum Messzeitpunkt
t₁ durch soziale Erwünschtheit in Betracht gezogen werden (Crowne & Marlowe 1960).
Eventuell beschönigen manche Frauen ihr Stressempfinden vor allem aus der Angst heraus,
bei vermehrtem Stressempfinden als „schlechte Mutter“ gesehen zu werden.
Ein weiteres Resultat der Studie ist, dass der Zusammenhang von Misshandlung und Stress
sich vor allem auf emotionalen Missbrauch zurückführen lässt. Eine tendenzielle Signifikanz
konnte weiterhin für emotionale Vernachlässigung aufgezeigt werden. Die Ergebnisse
unserer Studie stehen dabei in Einklang mit Befunden von Wright, Crawford und Del Castillo
Seite 68
(2009). Diese Autoren konnten bei Studenten einen starken Zusammenhang von
emotionalem Missbrauch und emotionaler Vernachlässigung in der Vergangenheit mit
Angsterkrankungen und Depressionen aufzeigen. Dabei wurden das Geschlecht,
Einkommen, Alkoholmissbrauch der Eltern und andere Missbrauchsformen kontrolliert.
Für emotionale Vernachlässigung konnte Wright et al. (2009) ebenfalls einen
Zusammenhang zu Dissoziation zeigen. Weiterhin konnte eine Mediation dieses
Zusammenhanges durch Vulnerabilität für Scham, Selbstopferung und Unglück festgestellt
werden. Dies zeigt einmal mehr, dass es deutlich mehr Erforschung von emotionalem
Missbrauch und emotionaler Vernachlässigung bedarf.
Da emotionaler Missbrauch weniger sichtbare Narben oder Spuren hinterlässt, ist es
schwieriger, ihn im klinischen Alltag nachzuweisen. Wenn jedoch vermehrtes Stresserleben
vor allem aus emotionalem Missbrauch resultiert und dies in Psychopathologien münden
kann, muss diese Form des Missbrauchs auch im klinischen Alltag verstärkt in Augenschein
genommen werden. Weiterhin müssen emotionalem Missbrauch und Vernachlässigung
neue Stellenwerte zugeschrieben werden. Es sollte verstärkt Aufklärung über die Prävalenz
und Folgen dieser Misshandlungsformen stattfinden. Möglicherweise ermöglicht eine
Sensibilisierung der Gesellschaft ein Eindämmen dieser Misshandlungformen und somit
eine Verhinderung der möglichen Folgen. Weiterhin müssen im klinischen Kontext
Diagnostik und Therapie diesen Zusammenhängen angepasst werden. Das bedeutet, auch
wenn Misshandlung im Sinne von Spuren und Narben offensichtlich wird, wenn also
körperliche oder sexuelle Misshandlung stattgefunden hat, dürfen Diagnostik und Therapie
von emotionalem Missbrauch und Vernachlässigung nicht ausgelassen werden. Auch nichtpsychologisches Personal, wie zum Beispiel Kinderärzte, müssen für emotionalen
Missbrauch und dessen mögliche Folgen sensibilisiert werden. Des Weiteren müssen
Möglichkeiten
entstehen,
bei
Verdacht
auf
emotionale
Misshandlung
oder
Vernachlässigung eines Kindes Hilfestellung zu erhalten. Weiterhin ergibt sich daraus ein
großer Handlungsbedarf für die Vereinheitlichung der Definition und Erfassung von
Misshandlung. Fendrich und Pothmann (2010) weisen darauf hin, dass das Risiko für
Vernachlässigung und Misshandlung an Kindern steigt, die Datenlage in Deutschland
jedoch nicht gut sei. Sie schlagen daher eine regelmäßige Erfassung durch das Jugendamt
vor (Fendrich & Pothmann 2010).
Seite 69
Diskussion des erhöhten Stresserlebens nach der Geburt bei Müttern mit unsicherer
Bindung im Vergleich zu Müttern mit sicherer Bindung (Hypothese 4).
Die Annahme, dass unsichere Bindung mit vermehrtem Stresserleben im Erwachsenenalter
einhergeht, hat sich in unserer Studie nicht bestätigt. Dies stimmt nicht den
Forschungsergebnissen der letzten Jahre überein. Simpson et al. (1996) konnten für
ambivalent gebundene Personen, sowie Dewitte et al. (2010) für ängstlich gebundene
Personen (nach Bartholomew 1991) ein erhöhtes subjektives Stressempfinden
dokumentieren. Der Vollständigkeit halber soll hier erwähnt werden, dass auch wir
getestet haben, ob ambivalent gebundene Mütter ein vermehrtes Stresserleben
aufweisen. Auch hier konnte kein signifikanter Unterschied zwischen Müttern mit
ambivalenter Bindung und Müttern mit sicherer Bindung gefunden werden.
Möglicherweise ist unsere Stichprobe zu klein, um den Effekt signifikant nachweisen zu
können. In den Mittelwerten und Standardfehlern von t₀ wird eine deutliche Tendenz zu
vermehrtem Stresserleben bei unsicherer Bindung ersichtlich. Interessant wäre zu
untersuchen, ob sich der Effekt zeigt, wenn man statt der klassischen Klassifikation von
Bindung nach Ainsworth (1971, 1978) die Bindungsklassifikation nach Bartholomew (1991)
verwendet. Bartholomew (1991) erweiterte die Bindungsklassifikation für Erwachsene. Sie
bezog die Bindungsklasse auf das Selbstbild und das Bild von anderen und die Vermeidung,
die damit einhergehe. Dewitte et al. (2010), Kidd et al. (2013) und Quirin et al. (2008)
arbeiteten mit der Klassifikation nach Bartholomew (1991) und erzielten damit verlässliche
Ergebnisse, die für einen positiven Zusammenhang von ängstlicher Bindung und
vermehrtem Stressempfinden sprechen.
Eine weitere Fehlerquelle könnten weitere Kovariaten beim Erleben von Stress sein. Das
subjektive Stressempfinden wird maßgeblich von Copingstrategien und individuellen
Ressourcen beeinflusst. Kobak et al. (2006) betonten die Rolle einer sicheren Bindung als
Copingstrategie. Wie bereits erwähnt, wiesen Lazarus und Folkmann auf die primäre und
sekundäre Bewertung von Stress hin. Hobfoll (1989) hatte sich mit den jeweiligen
Ressourcen des Individuums beschäftigt, um Stress zu bewältigen (ressourcenorientiertes
Modell) (Hobfoll 1989). Aus diesen Theorien erwuchs die Idee des „Copings“. „Coping
refers to cognitive and behavioral efforts to master, reduce, or tolerate the internal and/or
Seite 70
external demands that are created by the stressful transaction.” 4 (Folkman & Lazarus 1984,
S. 843). Dies findet auf verschiedenen Ebenen statt. Folkmann und Lazarus (1984)
beschrieben beispielsweise antizipatorisches Coping. Dies gehe einem wahrscheinlich
stressreichen Ereignis voraus. Weiterhin unterscheidet man emotionsfokussiertes von
problemfokussiertem Coping (Billings & Moos 1982; Lazarus & Folkman 1984).
Emotionsfokussiertes Coping ziele auf die Veränderung der eigenen Gefühle gegenüber
dem Stressor ab. Dazu zähle unter anderem auch Verdrängung. Problemfokussiertes
Coping ziele auf die Veränderung des Stressors ab, wie zum Beispiel die Bewältigung des
Problems und somit die Beseitigung des Stressors (Lazarus & Folkman 1984). Je mehr
Copingstrategien vorhanden sind, desto besser könne Stress bewältigt werden (Taylor &
Clark; 1986). In unserer Studie haben wir die Copingstrategien der Mütter nicht erhoben
und können daher auch nicht den Effekt dieser auf das subjektive Stresserleben unserer
Probandinnen analysieren. Es ist uns also auf Grundlage der Daten nicht möglich zu
differenzieren, ob ein signifikanter Unterschied aufgrund methodischer Schwierigkeiten
nicht ermittelbar ist oder ob Mütter mit unsicherer oder unverarbeiteter Bindung über
genügend andere Coping-strategien verfügen und der Zusammenhang nicht existiert.
Diskussion der Mediation des Zusammenhanges von Misshandlungserfahrungen in der
Kindheit und subjektivem Stressempfinden im Erwachsenenalter durch Bindung im
Erwachsenenalter (Hypothese 5).
Der positive Zusammenhang von Misshandlung in der Kindheit und vermehrtem
Stresserleben nach der Geburt eines Kindes in unserer Studie kann nicht durch unsichere
Bindung erklärt werden. Weder für den Zusammenhang der Subskala „Emotionaler
Missbrauch“, noch für den CTQ-Gesamtscore oder den CECA.Q-Gesamtscore und dem
subjektiven Stressempfinden konnte eine Mediation von Bindung nachgewiesen werden.
Der Zusammenhang von Misshandlung in der Kindheit und subjektivem Stresserleben
während der Schwangerschaft und nach der Geburt (Pfad c) wurde in unserer Studie
signifikant. Auch konnte ein signifikanter Unterschied von unsicher und sicher gebundenen
Müttern bezüglich ihrer Misshandlungserfahrungen in der Kindheit gezeigt werden (Pfad
4
Coping bezieht sich auf kognitive Bemühungen und Bemühungen im Verhalten um internale und/oder
externale Anforderungen, die durch stressreiche Übertragung entstehen, zu meistern, zu reduzieren oder
zu tolerieren.
Seite 71
a). Der Zusammenhang zwischen Bindung im Erwachsenenalter und Stresserleben (Pfad b)
wurde in unserer Studie jedoch nicht signifikant. Aus diesem Grund kann auch eine
Mediation durch unsichere Bindung im Erwachsenenalter nicht nachgewiesen werden.
Wie bereits diskutiert, entspricht dies jedoch nicht dem Stand der Forschung. Es gibt eine
Reihe möglicher empirischer Schwierigkeiten unserer Studie, die für dieses Ergebnis
verantwortlich sein könnten. Beispielsweise könnte Pfad b und schließlich die Mediation
bei Verbesserung der Größe der Stichprobe, Einbeziehung von Cofaktoren wie Coping und
sozialer Erwünschtheit oder der Erhebung von ängstlichen Bindungstypen nach
Bartholomew (1991) signifikant werden. Lyons-Ruth und Jacobvitz (2008) machten auf
weitere Schwierigkeiten bei der Erhebung von Bindung im Erwachsenenalter auf der
Repräsentationsebene aufmerksam (vgl. Seite 65). Auch hier könnte dies eine mögliche
Fehlerquelle sein, die den Nachweis eines signifikanten Zusammenhanges von Pfad b
behindert. Im Verlauf der Arbeit möchte ich noch genauer auf Alternativen bei der
Erhebung von Bindung im Erwachsenenalter eingehen.
4.2 Limitationen der Studie
Die Stichprobe
Eine Limitation von „Meine Kindheit – Deine Kindheit“ betrifft die Stichprobe der Studie.
Die Größe der Stichprobe zum Messzeitpunkt t₁ weist mit N=61 zu wenig statistische Power
auf, um kleinere Effekte nachzuweisen. Außerdem sind Akademikerinnen im nationalen
Vergleich in unserer Stichprobe überrepräsentiert. Auch die deutliche Unterrepräsentation
von Misshandlungsopfern in der Subskala „Körperliche Vernachlässigung“ und die
schwache Unterrepräsentation in allen anderen Subskalen könnten einen Einfluss auf die
Ergebnisse der Studie haben. Damit einher geht auch, dass die Varianz der Subskalen
„Körperliche Vernachlässigung“ und „Körperliche Misshandlung“ des CTQs unserer
Stichprobe, verglichen mit der repräsentativen Stichprobe, geringer ausfällt. Eine
ausreichende Varianz der Variablen stellt jedoch eine Voraussetzung für die Korrelation mit
anderen Variablen dar. Es ist davon auszugehen, dass es durch die Unterrepräsentation
wahrscheinlich zu einer Abschwächung der Effekte gekommen ist. Mit einer
Seite 72
repräsentativen
Verteilung
des
Missbrauchs
wären
manche
Zusammenhänge
möglicherweise noch stärker ausgefallen oder signifikant geworden.
Die Erhebung von subjektivem Stressempfinden
Die Perceived Stress Scale 4 (PSS4) ist ein sehr reliables und valides Instrument, um
subjektives Stressempfinden zu erheben, jedoch wäre eine weitere Differenzierung
wünschenswert. Es wäre sinnvoll, die Art und zeitliche Einteilung des Stressors zu erfragen,
um die resultierenden Folgen erheben zu können. Handelt es sich beispielsweise um
soziale, psychische oder physische Stressoren und wie sind die jeweiligen Auswirkungen
auf unsere Zusammenhänge? Gibt es Unterschiede der Auswirkungen auf das subjektive
Stresserleben bei akutem, chronisch intermittierendem oder chronischem Stress? Oder
sind es möglicherweise Alltagsbelastungen („daily hassles“), die zu vermehrtem
Stresserleben bei Personen mit Misshandlungserfahrung in der Kindheit führen? Ein
weiteres Augenmerk sollte auf Coping-Methoden und individuelle Ressourcen gelegt
werden. Sind genügend Copingstrategien bei den Müttern vorhanden, so dass ein
unsicherer oder unverarbeiteter Bindungsstatus nicht als fehlende Copingstrategie
gewichtig wird?
Die retrospektive Erhebung von Misshandlung
Della Femina et al. (1990) befragten in einer Follow-up Studie nach neun Jahren 69
Teilnehmer zu ihren Missbrauchserfahrungen. Von diesen 69 Teilnehmern machten 26
Personen Angaben, die nicht damit zusammenpassten, was sie neun Jahren zuvor angaben.
Dabei kam es sowohl zu Überschätzungen als auch zu Unterschätzungen der
Missbrauchserfahrung in der retrospektiven Erhebung. Bei einer Befragung der
Studienteilnehmer mit diskrepanter Erzählung erklärten 26 Teilnehmer dies mit
Verdrängung, Scham oder als Schutzmechanismus in der Vergangenheit. Der Rest wollte
keine Stellung zur Diskrepanz nehmen. Williams (1995) befragte 75 sexuell misshandelte
Frauen in einer Follow-up Studie nach 17 Jahren über ihre Erinnerungen an die
Misshandlung. 16% davon gaben an, dass es eine Zeit in ihrem Leben gab, in der sie sich an
die Misshandlung nicht mehr erinnern konnten. Diese Daten offenbaren eine mögliche
weitere Limitation unserer Studie: die retrospektive Missbrauchserhebung. Bei der
Interpretation und Diskussion unserer Ergebnisse ist es wichtig, sich diese Schwierigkeit
bewusst zu machen. Eine prospektive Erhebung von Missbrauch wäre die einzige
Seite 73
Möglichkeit, dies
zu
umgehen. Nun
wünschenswertes,
jedoch
sehr
wäre
dies
natürlich
ressourcenintensives und
ein
experimentell
insbesondere
ethisch
fragwürdiges Studiendesign (vgl. Seite 6).
Die Erhebung des Bindungsstatus im Erwachsenenalter
Wie bereits erwähnt (vgl. Seite 65), gibt es Theorien, dass die Erhebung des
unverarbeiteten Bindungsstatus im Erwachsenenalter nicht kongruent zur Erhebung der
desorganisierten Bindung im Kindesalter ist (Lyons-Ruth & Jacobvitz 2008). Die Ermittlung
von Bindung im Erwachsenenalter erfolgt vor allem über die Repräsentationsebene mittels
der Narrative, während bei der Ermittlung desorganisierter Bindung in der „Fremden
Situation“ das Verhalten des Kindes durch genaue Beobachtung des Verhaltens beurteilt
wird (Gloger-Tippelt 2012; Main 2012). Dadurch könnte es möglicherweise zu fehlerhaften
Einstufungen im Bindungsstatus kommen. Lyons-Ruth und Jacobvitz (2008) schlugen daher
auch in der Jugend und im Erwachsenenalter eine Erhebung des Bindungsstatus anhand
direkter Observation des Verhaltens in bestimmten, festgelegten Situationen vor. Jones et
al. (2014) verwiesen darauf, dass die Erhebung der Bindungsklasse im Selbstreport und im
AAI wenig Übereinstimmung aufweisen. Allerdings zeigten beide Messmethoden
erstaunliche Übereinstimmungen der Bindungsklassen mit bindungsrelevanten Aspekten,
wie zum Beispiel Emotionsregulation oder die Funktionalität romantischer Beziehungen,
ging (Jones et al. 2014). Auf mögliche Alternativen zur Erhebung von Bindung im
Erwachsenenalter wird im Abschnitt „Implikationen und Ausblick“ näher eingegangen.
Interkorrelation verschiedener Missbrauchsformen
Wie in Hypothese 1 gezeigt, kommt es in unserer Studie zu teils starken Interkorrelationen
verschiedener Missbrauchsformen (r > .60), was statistische Einschränkungen mit sich
bringt. Durch die starken Interkorrelationen kann nicht ausreichend geklärt werden,
welche Effekte und Folgen die jeweilige Form von Misshandlung hat, da die Verflechtung
der verschiedenen Missbrauchsformen zu stark ist. Trotz des Aufzeigens der
Interkorrelationen und dem daraus resultierenden Mehrwert dieser Arbeit müssen die
signifikanten Interkorrelationen der Misshandlungsformen in unserer Studie auch als eine
Limitation dieser Arbeit angesehen werden.
Seite 74
4.3 Implikationen und Ausblick
Die Ergebnisse dieser Arbeit verdeutlichen einige Zusammenhänge und neue Perspektiven
für die Forschung. Weiterhin sollen hierdurch Ideen für Interventionen geliefert werden.
Implikationen und Ausblick in der Forschung
In der Studie „Meine Kindheit – Deine Kindheit“ nahmen am Screening (t₀) von etwa 2000
angesprochenen Müttern 240 Frauen teil. 140 Frauen wurden in die Studie eingeschlossen,
61 davon kamen zum Messzeitpunkt t₁. Die Stichprobe zum Messzeitpunkt t₀ wies eine
deutliche Überrepräsentation von Akademikerinnen und eine Unterrepräsentation von
Misshandlungsopfern auf. Die geringere Stichprobengröße, vor allem zum Messzeitpunkt
t₁, ist wahrscheinlich unter anderem dafür mitverantwortlich, dass kleine Effekte nicht
signifikant wurden. In zukünftigen Studien sollte also versucht werden, die Drop-out-Rate
geringer zu halten, um eine größere Stichprobe zu erhalten. Des Weiteren sollte versucht
werden, den Bildungsstandard der Stichprobe repräsentativer zu gestalten. Mit einer
Fortführung des Einschlusses nach festgelegten Kriterien des CTQs in einer größeren
Stichprobe könnte das Problem der Unterrepräsentation von Missbrauchsopfern behoben
werden.
Implikationen für die Erforschung von Stresserleben nach der Geburt und beim Übergang
in die Elternschaft
Hinsichtlich der Erhebung von Stress könnte eine deutlich differenziertere Analyse des
Stresserlebens stattfinden. Stressoren müssten nach bestimmten Charakteristika wie
Dauer und Art erfragt werden. Handelte es sich um einen chronischen oder akuten
Stressor, um Eustress oder Distress (Selye 1976; Hobfoll 1989; Holmes & Rahe 1967)?
Resultierte ein gesteigertes Stresslevel aus partnerschaftlichen Konflikten, Überforderung
bei der Betreuung des Kindes oder erfolgte ein einschneidendes Lebensereignis, wie zum
Beispiel der Tod eines Familienangehörigen, in den letzten Wochen? Auch kognitive und
emotionale Bewertung von Stressoren sind wichtig für das Verständnis des
Zusammenhanges von Misshandlung und Stress (Hobfoll 1989; Kohlmann 2002). Es ist
weithin bekannt, dass Studien sowohl für Coping in der Schwangerschaft als auch für
Coping von Missbrauchsopfern erhöhten Forschungsbedarf festgestellt haben (Guardino &
Schetter 2013; Walsh, Fortier & DiLillo 2010). Auch der Umgang mit Stress beim Übergang
in die Elternschaft ist bisher spärlich erforscht. Cowan und Cowan (1995) plädierten für
Seite 75
vermehrten Stress beim Übergang in die Elternschaft, der in einer Maladaption resultieren
könnte (vgl. Seite 10). Doss et al. (2009) konnten dies in ihrer Studie nachweisen. In
weiteren Studien konnte dieses vermehrte Stresserleben jedoch nicht repliziert werden
(Mckenzie et al. 2013; Nomaguchi & Milkie; 2003). Es erfordert weitere wissenschaftliche
Arbeiten, um das Stresserleben und die resultierenden Konsequenzen in so wichtigen
Lebensabschnitten wie der Schwangerschaft oder dem Übergang in die Elternschaft zu
verstehen. Zukünftig sollte versucht werden, den Mechanismus des Stresserlebens in der
Schwangerschaft und dem Übergang in die Elternschaft zu verstehen. Kommt es
beispielsweise bei Misshandlungsopfern in diesen Lebensphasen generell zu einer
erhöhten Empfänglichkeit für Stressempfinden oder sind Copingstrategien und individuelle
Ressourcen vermindert? Trifft all dies möglicherweise zusammen?
Auch die Erhebung von Oxytocin, Cortisol und ACTH (vgl. Seite 67) könnte Aufschluss geben
über erhöhtes Stresserleben nach der Geburt im Rahmen von Misshandlungserfahrungen
in der Kindheit oder unsicherer und unverarbeiteter Bindung im Erwachsenenalter.
Möglicherweise könnte auf diesem Wege sogar der biologische Mechanismus der
Zusammenhänge, die in dieser Arbeit dargestellt werden, geklärt und somit ein
Ansatzpunkt für pharmakologische Interventionen geschaffen werden.
Weiterhin wäre es interessant zu untersuchen, ob das vermehrte Stresserleben sich in
bestimmte Persönlichkeitsdispositionen, wie zum Beispiel Neurotizismus (Gunthert, Cohen
& Armeli 1999; McCrae 1990) oder Psychopathologien (z. B. Depression, Posttraumatisches
Stresssyndrom) einbetten lässt (Hovanitz & Kozora 1989; Koh 1998).
Diese Arbeit kann ganz klar aufzeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen
Misshandlungserfahrungen in der Kindheit und Stresserleben nach der Geburt gibt. Die
Konsequenz daraus sollte sein, dass die Wissenschaft in weiteren Arbeiten eine genauere
Differenzierung von Stress und Copingstrategien in der Schwangerschaft und beim
Übergang in die Elternschaft vornimmt. So kann letztendlich hoffentlich Klarheit geschaffen
werden, welche Folgen dieses vermehrte Stressempfinden nach sich ziehen kann, um
schließlich gezielte Interventionsmöglichkeiten zu schaffen.
Seite 76
Implikationen für Erforschung von Misshandlung in der Kindheit und des
transgenerationalen „Cycle of Maltreatment“
Wie bereits erwähnt, wäre eine prospektive Erhebung von Kindesmisshandlung Mittel der
Wahl, um Missbrauch zu erheben (vgl. Seite 5). Des Weiteren könnte man in diesem
Rahmen ein besonderes Augenmerk auf emotionale Misshandlung richten. In Deutschland
gibt es wenige Studien zur Prävalenz von emotionaler Misshandlung und den Folgen. Diese
Arbeit zeigt, dass großer Forschungsbedarf beim Thema emotionale Misshandlung besteht.
Bei genauerem Wissen um das Auftreten und die Häufigkeiten von emotionaler
Misshandlung könnte eine Eruierung seiner Folgen und Auswirkungen auf unsere
Gesellschaft erfolgen.
Nair, Schuler, Black, Kettinger und Harrington (2003) konnten zeigen, dass
drogenabhängige Mütter ab einer gewissen Anzahl von Risikofaktoren ihre Kinder als
stressiger empfanden als drogenabhängige Mütter mit weniger Risikofaktoren. Vor allem
konnten sie zeigen, dass aus diesem vermehrten Stressempfinden ein erhöhtes Risiko für
Missbrauch und Vernachlässigung der eigenen Kinder resultiert. Whipple und WebsterStratton (1991) konnten dies ebenfalls nachweisen. Familien, die mehr sozioökonomische
Risikofaktoren aufwiesen, berichteten über vermehrtes Stresserleben und wiesen
signifikant mehr Misshandlung in der eigenen Familie auf.
Übertragen wir diese Ergebnisse auf die Ergebnisse unserer Studie, offenbart sich eine
mögliche Erklärung für das Phänomen des transgenerationalen „Cycle of Maltreatment“
(Browne & Herbert 1997). Misshandlung in der eigenen Kindheit würde zu vermehrtem
Stresserleben im Erwachsenenalter führen, welches wiederum zu einer erhöhten
Wahrscheinlichkeit führte, die eigenen Kinder zu misshandeln (Dixon et al. 2009). Eine
Aufgabe der zukünftigen Forschung müsste daher sein, die genaue Rolle von Stress in
diesem transgenerationalen Zyklus zu identifizieren und somit die Möglichkeiten der
Einflussnahme darauf.
Implikationen für die Erforschung von Bindung im Erwachsenenalter
Ein weiterer interessanter Aspekt, dem man sich in Zukunft widmen könnte, wäre der
Verlauf des Bindungsverhaltens von der Kindheit bis in das Erwachsenenalter in
Abhängigkeit von Missbrauch in der Kindheit. Es wurde viel geforscht zum
Bindungsverhalten missbrauchter Kinder geforscht. Doch wie entwickelt sich dieses im
Seite 77
Laufe des Lebens? Unsere Studie zeigt bei Misshandlung eine erhöhte Wahrscheinlichkeit
für unsichere Bindung, nicht jedoch für einen unverarbeiteten Bindungsstatus.
Ein ebenfalls spannendes Forschungsthema wäre der Zusammenhang von subjektivem
Stresserleben und der Bindungsklasse nach Bartholomew (1991) bei misshandelten
Müttern. Bartholomew (1991) bezog die Bindungsklasse auf das Selbstbild und das Bild von
anderen und die Ängstlichkeit und Vermeidung, welche damit einhergingen (vgl. Tabelle 3).
Gibt es also beispielsweise, wie bei Dewitte et al. (2010), einen Zusammenhang zwischen
ängstlicher Bindungsrepräsentation erhoben nach Bartholomew (1991) und vermehrtem
Stresserleben? Und gilt dieser Zusammenhang bei Frauen beim Übergang in die
Elternschaft? Gerade hinsichtlich therapeutischer Interventionen wäre es spannend,
diesen Zusammenhang näher zu beleuchten. Falls sich hier ein signifikanter
Zusammenhang zeigt, könnte man schließlich erneut eine Mediatoranalyse mit der
Bindungsklassifikation nach Bartholomew (1991) für den Zusammenhang von
Misshandlung in der Kindheit und Stresserleben im Erwachsenenalter durchführen.
Lyons-Ruth und Jacobvitz (2008) zeigten neue Wege in der Erhebung von Bindung bei
Erwachsenen und Jugendlichen auf. Sie schlugen zur Erhebung von Bindung in der Jugend
und im Erwachsenenalter eine direkte Observation des Verhaltens vor. Beispielsweise
erstellten sie für die Erhebung von Bindung bei Jugendlichen das „Goal-Corrected
Partnership in Adolescence Coding System“5 [GPACS]. 14-Jährige wurden gebeten, zehn
Minuten mit ihren Eltern über ein Streitthema zu diskutieren. Die Diskussion wurde auf
Tonband festgehalten. Anhand festgelegter Kriterien wie zum Beispiel Rollenverdrehung,
Desorientiertheit, unpassendem Verhalten und Feindseligkeit wurden die Gespräche
analysiert. Die Einteilung erfolgte in die Kategorien erleichternder, ablenkender,
verschlungener und kontrollierend-desorganisierter Gesprächsstil (Hennighausen, Bureau,
David & Lyons-Ruth 2011). Im Alter von 25 Jahren wurde bei den ehemals Jugendlichen ein
AAI erhoben. Dies ergab eine Übereinstimmung von 73% des AAIs mit der GPACSKlassifikation (Kappa = .57). Obsuth, Henighausen, Brumariu und Lyons-Ruth (2013)
wendeten diese Erhebungsmethode bei 18 – 23 Jährigen mit niedrigem Einkommen und
ihren Eltern an. Es zeigte sich, dass desorganisiertes Verhalten, das in der Kindheit
5
Kodierungssystem für Ziel-korrigierte Partnerschaft bei Jugendlichen
Seite 78
beschrieben wurde, im Erwachsenenalter wiedergefunden werden konnte. Außerdem
konnten Zusammenhänge verschiedener Formen desorganisierter Bindung im GPACS mit
Maladaption in verschiedenen Lebensbereichen aufgezeigt werden (Obsuth et al. 2013).
Das Adult Attachment Projective Picture System (AAP) ist mit Sicherheit eine der
reliabelsten und validesten Möglichkeiten, Bindung im Erwachsenenalter zu erheben
(Ravitz, Maunder, Hunter, Sthankiya & Lancee 2010). Trotzdem sollten bei zukünftigen
Studien für bestimmte Fragestellungen eine alternative Erhebung von Bindung, wie
beispielsweise die Erhebung nach Bartholomew (1991) in Verbindung mit Stress, in
Betracht gezogen werden. Jones et al. (2014) sprachen sich für eine Erhebung der
Bindungsklasse sowohl mittels AAI oder AAP, als auch mittels Eigenreport aus. So könne
man beide Messmethoden besser untersuchen und vergleichen. Weiterhin wäre ein
größeres Wissen wünschenswert, welche Zusammenhänge zwischen Bindungstyp und
bindungsbezogenen Aspekten durch welche der beiden Messmethoden genauer erfasst
werden können.
4.4 Implikationen und Ausblick auf interventioneller Ebene
Interventionelle Implikationen im Hinblick auf Misshandlung in der Kindheit
In Deutschland muss noch ein weiter Weg gegangen werden, um eine adäquate Prävention
von Missbrauch und Misshandlung gewährleisten zu können. Während das Wissen um
sexuelle und körperliche Misshandlung und die dramatischen Folgen in den letzten Jahren
in der Gesellschaft zugenommen hat, werde emotionale Misshandlung und
Vernachlässigung oftmals noch nicht ernst genug genommen (Münder et al. 2000). In den
kommenden Jahren bedarf es einer Aufklärung der Menschen über Vernachlässigung und
emotionale Misshandlung von Kindern, um ein Grundverständnis für die Folgen zu
schaffen. Auch über die Tatsache, dass Missbrauchsformen nur selten einzeln auftreten,
muss die Gesellschaft informiert werden. Nur so kann sinnvoll präventiv gegen Missbrauch
in all seinen Formen vorgegangen werden. In Krankenhäusern, Jugendämtern und anderen
Bereichen der Kinderhilfe müssen Mitarbeiter über diese Tatsachen informiert werden, um
frühes Eingreifen zu ermöglichen und somit größeren Schaden zu verhindern.
Die Tatsache, dass es Evidenzen für Maltreatment Load gibt (vgl. Seite 63) und die
verschiedenen Missbrauchsformen oft Hand in Hand einhergehen, betont ebenfalls, wie
Seite 79
wichtig es beim Scheitern präventiver Maßnahmen wäre, Misshandlung zumindest früh zu
erkennen und einzugreifen. Auch im klinischen Alltag müssen Diagnostiker und
Therapeuten die Korrelation der verschiedenen Misshandlungsarten im Hinterkopf haben,
um Opfern von Misshandlung die bestmögliche Hilfe zu gewährleisten. Wenn also
körperlicher Missbrauch im Rahmen einer ambulanten oder klinischen Therapie
festgestellt wird, sollten weitere Misshandlungsformen in Betracht gezogen und erfragt
werden.
Interventionelle Implikationen im Hinblick auf Stresserleben im Erwachsenenalter
Diese Arbeit und die Studie „Meine Kindheit – Deine Kindheit“ konnten einen deutlichen
Zusammenhang zwischen Misshandlung in der Kindheit und Jugend und vermehrtem
Stresserleben im Erwachsenenalter zeigen. Auf interventioneller Ebene bedeutet dies, dass
in Zukunft Opfern von Misshandlung in Kindheit und Jugend verhaltenstherapeutische
Hilfestellung zum Umgang und Verarbeitung von Stress im Erwachsenenalter und vor allem
während einer Schwangerschaft und beim Übergang in die Elternschaft angeboten werden
soll. Dabei könnten beispielsweise Copingstrategien erlernt und Ressourcen gestärkt
werden. Walsh, Fortier und DiLillo (2010) beschäftigten sich in ihrem Review mit Coping
von Erwachsenen, die in ihrer Kindheit Opfer von sexuellem Missbrauch wurden. Dabei
konnten sie eine große Breite an kognitiven Strategien und Verhaltensstrategien für Coping
aufzeigen (Walsh et al. 2010). Es zeigte sich, dass vermeidende und emotionsfokussierte
Copingstrategien direkt nach dem Missbrauch und als Langzeitstrategie mit erhöhtem
psychologischem Stress im Erwachsenenalter einhergehen. Einige Copingstrategien, wie
zum Beispiel soziale Unterstützung, standen in einem positiven Zusammenhang mit der
Anpassung im Erwachsenenalter. Walsh et al. (2010) nennen die Unterstützung des
sozialen Netzwerkes ein Schlüsselelement in der Stressbewältigung. Dies lässt darauf
schließen, dass Interventionen auf der Basis von sozialer Unterstützung große Effekte auf
die Verringerung von subjektivem Stresserleben ermöglichen könnten. Andere
Copingstrategien, die sich auf den Missbrauch beziehen, wie Verständnis- und vielleicht
sogar Sinnfindung, werden in der Forschung aufgrund unterschiedlicher Langzeitergebnisse
kontrovers diskutiert.
Guardino und Schetter (2013) beschäftigten sich mit Copingstrategien bei Schwangeren.
Auch hier zeigte sich, dass vermeidende Copingstrategien und schlechte Copingfähigkeit
Seite 80
mit Wochenbettdepressionen, Frühgeburt und schlechterer Entwicklung des Kindes
einhergehen. Sie betonten jedoch, dass die Evidenzen für effektive Interventionen
hinsichtlich des Copingverhaltens bei Schwangeren nicht ausreichend sind und weitere
Forschung nötig ist. Dabei würde es jedoch Sinn machen, individuelle Risikogruppen
separat zu beforschen (z. B. Frauen mit Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, Frauen
mit Erlebnissen häuslicher Gewalt) (Guardino & Schetter 2013).
Letztlich vermögen diese Studien nur Richtungen aufzuweisen, wie man auf
interventioneller Ebene Frauen postpartum mit Misshandlungserfahrungen in der Kindheit
helfen kann. Soziale Unterstützung ist ein wesentlicher Faktor in der Bewältigung von
sexuellen Misshandlungserfahrungen. Warum sollte dies nicht auch für alle anderen
Missbrauchsarten zutreffen? Weiterhin könnte interventionell versucht werden, das
subjektive
Stressempfinden
durch
verhaltensfokussierte
Coping-Maßnahmen
zu
reduzieren. Vor allem im Hinblick auf eine Unterbrechung des transgenerationalen Zyklus
erscheint dies sinnvoll.
Interventionelle Implikationen im Hinblick auf Bindung im Erwachsenenalter
In der Vergangenheit wurde bereits vielfach an Interventionen auf der Bindungsebene
geforscht (Bakermans-Kranenburg, Van Ijzendoorn & Juffer 2003; Cicchetti, Rogosch &
Toth 2006). Eine geringe Menge, also weniger als fünf Interventionen, ab dem 6.
Lebensmonat waren, laut einer Metaanalyse von Bakermans-Kranenburg et al. (2003), am
effektivsten, um die mütterliche Sensibilität und somit die Wahrscheinlichkeit für eine
sichere Bindung zu steigern. Dies wurde sowohl an einer risikoreichen Stichprobe erprobt
(niedriger sozioökonomischer Status, Adoleszenz, soziale Isolation, Alleinerziehung), als
auch an einer Kontrollgruppe ohne diese Risikofaktoren. Die Effektivität dieser
Interventionen zeigte sich sowohl in der risikoreichen als auch in der risikoarmen Gruppe.
Keinen Effekt konnten Bakermans-Kranenburg et al. (2003) für Video-Feedback feststellen.
Beim Videofeedback versucht man, Eltern durch Filmaufnahmen für ängstigendes
Verhalten ihrerseits zu sensibilisieren, um somit bessere Bedingungen für eine sichere
Bindung zu schaffen. Cicchetti et al. (2006) konnten eine signifikante Verbesserung durch
psychotherapeutische und psychoedukative Interventionen in Familien mit Misshandlung
aufzeigen. Die Kinder zeigten mehr als zwei Jahre postinterventionell eine signifikant
höhere Wahrscheinlichkeit für sichere Bindung. Cyr et al. (2010) wiesen darauf hin, das
Seite 81
mütterliche Sensibilität nicht der einzige Faktor für die Entstehung einer sicheren Bindung
sei. Sie schlugen vor, interventionelle Programme auf der Reduktion von ängstigendem
Verhalten durch die Eltern aufzubauen und plädierten hierfür für Video-Feedback.
Gleichzeitig warnten Cyr et al. (2010) vor sogenannten „holding therapies“, die in der
Vergangenheit angewandt wurden. Im Rahmen dieser Intervention wurden Kinder, die
durch ihre Eltern Opfer von Misshandlung wurden, trotz Widerstand mit diesen
konfrontiert. Hier trat eine klare Divergenz hinsichtlich der Meinungen über die Effektivität
von Video-Feedback zu Tage. Auch dies könnte im Rahmen einer Interventionsstudie
erneut geprüft werden, um Therapiemöglichkeiten einzuführen.
Es gibt also viele Evidenzen dafür, dass eine Verbesserung der Bindung gleichbedeutend ist
mit der Verhinderung von Misshandlung. Interventionen auf Bindungsebene zwischen
Müttern, die selbst Opfer von Misshandlung wurden und ihrem Kind können
möglicherweise eine erneute Misshandlung verhindern oder abschwächen. Gerade in der
besonderen Zeit nach der Geburt und beim Übergang in die Elternschaft könnten diese
Interventionen von entscheidender Bedeutung für die Zukunft von Mutter und Kind sein.
4.5 Fazit
Bowlby hat bereits 1951 formuliert, was als Fazit aus dieser Arbeit gezogen werden sollte:
„If a community values its children it must cherish their parents.“ 6
(John Bowlby 1951, Seite 84)
Wenn wir das Beste für unsere Kinder wollen, müssen wir auch ihre Eltern unterstützen.
Viele Elternteile wollen ihren Kindern eine bessere oder ebenso gute Kindheit ermöglichen
wie die eigene. Sie wünschen sich Unterstützung und Hilfe bei der Erziehung ihrer Kinder
und wollen Kreisläufe durchbrechen. Oftmals gelingt dies, manchmal sind jedoch die
eigenen Schwierigkeiten und die Tücken unserer Zeit und der Gesellschaft zu groß und alte
Verhaltensmuster setzen sich durch. Wenn die Psychologie, Politik, Justiz und Medizin
zusammenarbeiten und gezielte Hilfe anbieten, können wir diese Kreisläufe durchbrechen.
Schließlich würden nicht nur unsere Kinder, sondern auch deren Kinder von diesen
Maßnahmen profitieren. Es darf nicht nur ein Traum sein, dass die Erwachsenen unserer
6
Wenn eine Gemeinschaft ihre Kinder wertschätzt, muss sie deren Eltern in Ehren halten.
Seite 82
Zukunft keine Form des Missbrauchs erleben müssen und sichere zwischenmenschliche
Bindungen aufbauen können.
Seite 83
5 Zusammenfassung
Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Misshandlung in der Kindheit
und Jugend, subjektivem Stresserleben nach der Geburt und beim Übergang in die
Elternschaft und der Rolle der Bindung im Erwachsenenalter. Dies wurde an einer
Stichprobe von 140 Müttern ein bis drei Tage nach der Geburt und 61 Frauen drei Monate
nach der Geburt ihres Kindes erhoben.
Misshandlung in der Kindheit wurde einige Tage nach der Geburt retrospektiv mittels des
Childhood Trauma Questionnaire und einem Teil des Childhood Experience of Care and
Abuse Questionnaire’s ermittelt. Letzteres erhob in unserer Studie die Subskalen
„Vernachlässigung“ und „Antipathie“. Subjektives Stresserleben wurde mit der Perceived
Stress Scale 4 sowohl einige Tage nach der Geburt, als auch drei Monate danach erhoben.
Bindung im Erwachsenenalter wurde drei Monate nach der Geburt mittels des Adult
Attachment Projective Picture System ermittelt.
Es konnte gezeigt werden, dass verschiedene Missbrauchsformen interkorrelieren. Die
verschiedenen Missbrauchsformen gehen also Hand in Hand und treten selten einzeln auf.
Es konnte ein signifikanter Unterschied beim Bericht von Missbrauch in der Kindheit
zwischen unsicher und sicher gebundenen Müttern aufgezeigt werden, jedoch kein
Unterschied zwischen sicher gebundenen Müttern und Müttern mit unverarbeitetem
Bindungsstatus. Möglicherweise könnte der Zusammenhang mit einer größeren Stichprobe
signifikant werden. Es könnte jedoch auch daran liegen, dass in der Studie „Meine Kindheit
– Deine Kindheit“ viele Jahre zwischen Missbrauch und Erhebung des Bindungstyps lagen
und
die
multifaktorielle
Entstehung
desorganisierter
Bindung
die
Ergebnisse
beeinträchtigt. Auch könnten methodische Schwierigkeiten der Erhebung von Bindung im
Erwachsenenalter für dieses Ergebnis verantwortlich sein.
Des Weiteren gab es einen positiven Zusammenhang zwischen Missbrauchserfahrungen in
der Kindheit und Stresserleben vor allem nach der Geburt, aber auch beim Übergang in die
Elternschaft. Dieser Zusammenhang wurde in einer Regression für emotionalen
Missbrauch signifikant. Dass sich die Ergebnisse beim Messzeitpunkt nach drei Monaten
nur für wenige Missbrauchsformen auf einem geringeren Signifikanzlevel zeigten, könnte
an einer Veränderung des Stressors liegen oder an einer Verfälschung der Angaben der
Mütter durch soziale Erwünschtheit.
Seite 84
Ein Unterschied zwischen subjektivem Stresserleben nach der Geburt und drei Monate
später zwischen sicher und unsicher gebundenen Müttern konnte nicht gezeigt werden. Es
wurden jedoch keine Kovariaten, wie beispielsweise der vermehrte Einsatz von
Copingstrategien, erhoben. Somit konnte nicht geklärt werden, ob es tatsächlich keine
Unterschiede gibt oder ob gewisse Stressoren möglicherweise trotzdem vermehrten
Einfluss auf unsicher oder sicher gebundene Mütter hatten, welcher jedoch noch
kompensiert wurde.
Es konnte nicht gezeigt werden, dass Bindung im Erwachsenenalter den Zusammenhang
von Misshandlung in der Kindheit und Stresserleben nach der Geburt mediiert.
Für weitere Studien auf diesem Feld wäre es sinnvoll, eine größere und repräsentativere
Stichprobe zu analysieren. Des Weiteren wäre eine differenzierte Erfassung von Stress und
Copingstrategien wünschenswert. Falls möglich, könnte eine prospektive Erfassung von
Missbrauch neue Erkenntnisse bringen. Auch die Stabilität desorganisierter Bindung
beziehungsweise der Übergang in den unverarbeiteten Bindungsstatus könnte noch weiter
untersucht werden. Hinsichtlich der Erhebung von Bindung könnte die Erhebung nach
Bartholomew (1991) in Betracht gezogen werden und es sollte die noch relativ junge
Methode der Bindungsanalyse durch Gesprächsbeobachtung im Hinterkopf behalten
werden.
In Deutschland muss vermehrte Aufklärung über Misshandlung von Kindern mit allen
Facetten und Folgen stattfinden. Im klinischen Alltag könnte über gezielte Hilfe für
misshandelte
Mütter
zur
Reduktion
des
Stresserlebens, zum
Beispiel
durch
Copingstrategien, nachgedacht werden. Auch psychologische Interventionen auf der Ebene
der Bindung haben sich in der Vergangenheit als sinnvoll erwiesen, nicht zuletzt zur
Durchbrechung eines transgenerationalen „Cycle of Maltreatment“.
Seite 85
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Danksagung
…zuallererst meiner Familie. Solange ich denken kann, unterstützen sie mich
bedingungslos in allem, was ich tue. Danke für meinen sicheren Hafen.
Danke auch meiner Betreuerin, Dipl.-Psych. Katharina Schury und meiner Doktormutter,
PD Dr. med. Christiane Waller. Ihr habt mich zielsicher durch die Tiefen und Höhen dieser
Arbeit geführt und nicht aufgehört daran zu glauben. Danke!
Vielen Dank an Iris Pfattheicher und Sonja Bussmann, die mir mit Rat und Tat zur Seite
standen. Danke an Lucia Mayer, Martina Schober, Claudia Mauz-Leukel und Zaphod
Leitner! Ihr wart mir die besten Freunde und größten Motivatoren und seid es nicht leid
geworden, mir zuzuhören. Und größter Dank gilt Stefan Pfattheicher! Mit seiner Geduld
und Hilfe habe ich vieles geschafft und nun auch dies.
Für meine Mama.