Werkschau 2016 - Karin Odendahl
Transcription
Werkschau 2016 - Karin Odendahl
Karin Odendahl Biographie Viktoriaallee 30, 52066 Aachen; 0049 - 177 – 2851732 www.karin-odendahl.de atelier@karin-odendahl.de 1966 geboren in Bensberg 1987 - 1993 Graphik-Design Studium an der Fachhochschule Aachen bei Prof. Christiane Maether und Prof. Dr. Ulf Hegewald 1993Diplom seit 1991 Freischaffend; überregionale Ausstellungen; lebt und arbeitet in Aachen Ausstellungen & Projekte im Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen 2000 Künstler in Aachen Heute 1998 Visuelle Poesie 1996 Wasser - Reinigung - Taufe Ausstellungen (Auswahl) 2016 GA mit Sandra Bergemann, Photographie, in der ProjektArt Galerie Maria Bernard, Bielefeld REFLEX, Plan2: GA Ausstellung mit Arndt Lorenz; Kuratiert von Prof. Dr. Wolfgang Becker, Kunstwechsel, Aachen 24./25.09.2016: Kunstroute Aachen, EA im LOGOI, Aachen 19./20.11.2016: Space,Ludwig Forum 2015 Plan2 formiert sich als kulturell spartenübergreifend aktives Künstlerduo mit Arndt Lorenz Plan2; GA mit Brele Scholz und Barbara Brouwers im Uhrenturm des ehemaligen Schlachthofes Mnemosyne; Plan2: Audiovisuelle Performance mit Núria Vinjals, Sopran; Lastkraftwagenhalle, Aachen anlässlich des Tages des offenen Denkmals 2014 Rewind and Play!; Kunstroute Weser-Göhl, EA im Maison Art Pütz, Montzen, Belgien Haeute; Aachener Kunstroute Plan4; GA im Uhrenturm des ehemaligen Schlachthofes, Aachen Art Bouquet; GA ProjektArt Galerie Maria Bernard, Bielefeld 2013/14 Photographie und Malerei im Kraftversorgungsturm des ehemaligen Schlachthofes; P3, Aachen Frauen; Singh & Ludwig, Aachen 2012 3 Jahre ProjektArt Galerie Maria Bernard, Bielefeld Neue Arbeiten; Nobis & Grunwald, Aachen 2011 Kind Regards; ProjektArt Galerie Maria Bernard, Bielefeld 2010/11 Sinneswelten – Dialog aus der Tiefe; Chr. Maether und Schülerinnen; Kunstverein Villa Streccius, Landau 2009 Idee, Planung, Umsetzung/ Jutta Teipel, Kornelimünster Werkschau; Sequoia, Aachen 2008 Räume; P3, Aachen 2007 Frauen und Kinder; Nobis & Grunwald, Aachen 2006 Art Open, Eschweiler Kunstpalast, Aachen Städtische Galerie Speyer Curriculum Arte; Suermondt-Ludwig Museum Aachen 2005 P.P.O.W. Gallery, New York (Arbeitsproben) Kunst auf dem Campus; Kunstforum 99, Bonn En Reprise; Galerie Local de Arte 23m2, Aachen 2004 Drei + ertfünf + sechzig; Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen Zwischenraum; Galerie Local de Arte 23m2, Aachen Kunstfrühling; Aachen 2002 Zwischen Menschen; P3, Aachen Lehre Seit 2011 Lehrauftrag an der FH Aachen; Experimentelles Drucken für den Designalltag 2009 Wettbewerb „Energie & Jugend“/ Enwor; Kooperation mit der Gesamtschule Waldschule, Eschweiler Seit 2006 Lehrauftrag an der FH Aachen für Aktzeichnen 2006-2008 Kunstunterricht am Gymnasium (Viktoriaschule Aachen) 2001-2003 Lehrauftrag an der FH Aachen für Freie und angewandte Farbgestaltung 1996 Wasser - Reinigung – Taufe (Leitung eines Austauschprojektes im Ludwig Forum für Internationale Kunst mit Christian Lapie, École des Beaux Arts, Reims) 1995 Kunstdiskurs und seine Relevanz für die Designlehre 1994 -1995 Ausstattung einer WDR-Produktion seit 1993 Erwachsenenbildung in Malerei, experimenteller Gestaltung und Akt 1993-1998 Lehrauftrag an der FH Aachen (Bildbearbeitung/Photoshop/Malerei) Werkschau Unsere Wünsche sind Vorgefühle der Fähigkeiten, die in uns liegen, Vorboten desjenigen, was wir zu leisten imstande sein werden. Was wir können und möchten stellt sich in unserer Einbildungskraft außer uns und in der Zukunft dar; wir fühlen eine Sehnsucht nach dem, was wir schon im stillen besitzen. So verwandelt ein leidenschaftliches Vorausgreifen das wahrhaft Mögliche in ein erträumtes Wirkliches. Johann Wolfgang von Goethe I stopped to Mischtechnik auf Papier, 2016 147 x 132 cm Karin Odendahl versetzt multiple Ebenen in Schwingungen zueinander. Die miteinander korrespondierenden Welten können eigene mentale Architekturen, absurde Raumkonstruktionen oder naturale Fragmentationen sein. Für ihre Kompositionen benutzt sie Fundstücke wie alte Papiere oder im Laufe der Zeit entstandene Zeichnungen, verwendet ihr fotografisches Arbeiten als eigenes malerisches Mittel. Kontinuierlich sucht sie die Verbindung von Abstraktion und körperlichen Graphologien. Räume, Treppen, Gebäude werden zusammen mit organischen Elementen wie Kadavern, Häuten, Blüten zu neuen bildnerischen Metamorphosen animiert. In ihrer Arbeit verbindet sie traditionelle Zeichen- und Maltechniken und digitale Fotografie mit Hilfe von Transfertechniken zu persönlichen, assoziativen, fragmentarischen Rezeptionen ihrer Umwelt - Menschen, Stadtlandschaften, Flora und Fauna. Scheinbar fremde Bildwelten verbinden sich in collageartiger Montagetechnik zu neuen Deutungen. Unterschiedliche Darstellungsschichten, sich ändernde Raumdichte, Farb- und Formkontraste führen zu differenzierten Wahrnehmungsebenen. Arndt Lorenz, April 2016 Analogia Mischtechnik auf Papier, 2016 132 x 121 cm Diese und kommende Seiten: Mischtechnik auf Photo, 2015 30 x 40 cm Inge-Sophia Mischtechnik auf Holz 2015 ca 30 x 40 cm Diese und vorhergehende Seite: Mischtechnik auf Photo, 2015 30 x 50 cm REFLEX Ausstellung Plan2 mit Arndt Lorenz,Video, im Kunstwechsel, Aachen Der Riß, der durch die Welt geht, ist der Riß zwischen Gegenwart und Zukunft. Dazwischen liegen alle schönen und schlimmen Varianten. Beatriz durchschwimmt diesen Riß. Setzt die Zukunft dennoch als gegeben. Indem sie Harlekin dort ansiedelt. Durchschwimmt ständig diesen Riß (der alle Varianten in sich hat: Alle Widersprüche ganz groß: Das Grauen und die Schönheit). Mit diesem Widerspruch muss sie leben. Irmtraud Morgner Serie: Flügel an den schweren Schuhen Mischtechnik auf Plexiglas, 2016 96 x 48 x 200 cm Serie: Flügel an den schweren Schuhen Mischtechnik auf Plexiglas, 2016 44 x 104 x 175 cm Seek & Hide 1 Mischtechnik auf Papier, 2016 ca 30 x 42 cm Das Reisen und das damit verbundene sich Einlassen auf Neues, das Eintauchen in fremde Kulturen auf Spaziergängen, Kontakte zu den Menschen, Konzert-,Tanz-,Theaterbesuchen eröffnen neue Blickwinkel, ermöglichen neue Erfahrungen. Das Metaphorische in den gefundenen Orten ist in meinen Augen bildbestimmend, nicht die konkrete Abbildung einer Situation. Die umkreisende, sich in vielen Schritten annähernde Herangehensweise mündet letztlich in „analogen“ Verbindungen von digitalem Bild und traditioneller Zeichnung. Dies geschieht stets mit dem liebevollen Blick, die Komposition und Ästhetik sind für mich von elementarer Bedeutung. Dabei entstehen Zeichnungen von Menschen, Flora und Fauna, gefertigt in verschiedenen Techniken. Hier verbinden sie sich mit Malerei und photographischen Details. Arbeiten auf Papier, Plexiglas, Tuch und am Ort gesammelten Fundstücken entstehen. Die Fragmente werden wie gemalte Farbe eingesetzt, spielerisch, nicht realitätsgetreu. Die Photographie ist nicht Abbild der Wirklichkeit, sondern Spiegel der persönlichen Wahrnehmung. Sie wird integriert, assimiliert, nicht collagiert. Die ohnehin gezielten Aufnahmen werden über Anschnitte, Durchbrüche und Ausschnitte auf die wesentlichen Aspekte reduziert, der Blick fokussiert. Gestalterisch begebe ich mich auf eine Suche nach Analogien, Harmonien und Dissonanzen, die sich in kleinen, mittleren und großen Formaten manifestieren. Karin Odendahl, Mai 2016 Seek & Hide 2 Mischtechnik auf Papier, 2016 ca 30 x 42 cm Vienna Mischtechnik auf Fundstück, 2016 ca 24,5 x 37 cm Paulas Wunsch Mischtechnik auf Holz, 2016 ca 45 x 29,5 cm Helleborus Vienna Mischtechnik auf Holz, 2016 ca 54 x 45 cm Tiflis Cigalle Mischtechnik auf Fundstück, 2016 ca 24,5 x 37 cm Seek & Hide 3 Mischtechnik auf Papier, 2016 ca 42 x 37 cm Yulia Debet Mischtechnik auf Fundstück, 2016 ca 24,5 x 37 cm La Danse Kooperationen mit Yulia Tokareva,Tänzerin des DoTheaters Eine erstaunliche Beobachtung: Gerade für Gefühle braucht es Zeit, nicht für die Gedanken. Der Gedanke ist ein Blitz, das Gefühl - der Lichtstrahl eines weit entfernten Sterns. Das Gefühl braucht Muße, es lebt nicht in Angst. Maria Zwetajewa an Anna Antonowna Tesková, Meudon, 12.12.1927 Diese und kommende Seiten Serie: La Danse Mischtechnik auf Photo, 2015 30 x 40 cm Videostill Upstairs Eine Ausstellung im unsanierten Uhrenturm des ehemaligen Schlachthofes in Aachen. GA mit Arndt Lorenz,Video, Brele Scholz, Skulptur, Barabara Brouwers, Porzellan Der metaphorische Blick zeigt sich in der Übersetzung der auf verschiedenen Reisen entdeckten Treppenhäuser. Sie sind sehr individuell, wenn man sich - mühevoll – auf den Stufen bewegt, erzeugen sie dieses unerklärliche Bauchgefühl, ein Schwanken zwischen Schwindel und Zielstrebigkeit, Angst und Faszination. Unsere Wahrnehmung verändert sich auf den Treppen, besonders, wenn diese auf irgendeine Art „anders“ sind, deren Windung sich ändert, die Stufenhöhe variiert, oder man nach unten hindurch blicken kann. Man kann sich kaum entziehen, muss sich vorsichtig bewegen. Stufen und Geländer bilden eine Verbindung zwischen Zu- und Abwendung,Vergangenheit und Zukunft. Wir begeben uns auf eine Reise ins Ungewisse und immer ist der Übergang das Ziel. Gebrochen wird die scheinbare „Leichtigkeit“ und die „Schönheit“ des ersten Blickes durch die zum Teil eher brüchigen, zerschnittenen und unsanft bearbeiteten Materialien, sowie die manchmal schweren und dunklen Bildinhalte. Sie liefern vielschichtige Assoziationen: In allen Werkgruppen geht es um Werte und Veränderung, Unsicherheit und das Memento Mori. Danseuse Mischtechnik auf Holz, 2015 7 x 17 cm Installation vor „Intervention“ im Uhrenturm Serie Betonstücke: Movement Mischtechnik auf Beton, 2015 21,5 x 30,5 cm Serie Betonstücke: Die Flüchtigen Mischtechnik auf Beton, 2015 je 18 x 18 cm Serie Betonstücke: 3 Haustiere Mischtechnik auf Beton, 2015 8 x 19 cm/ 20 x 16 cm/ 20 x 12cm Plan2 Eine Ausstellung im unsanierten Uhrenturm des ehemaligen Schlachthofes in Aachen, 2015 GA mit Arndt Lorenz,Video, Brele Scholz, Skulptur, Barabara Brouwers, Porzellan Tagesgrauen - Amanecer Ich fache mein Herz an. Als glühende Kaskade soll es ins Weltall stürzen. Da ist der neue Tag, und seine Ankunft läßt mich ohne Atem. Ich singe wie die Grotte, die mählich sich füllt, singe meinen neuen Tag. Gnade, verloren und wiedergefunden, macht mich demütig. Ich gebe nicht, empfange nur, bis das Gorgonenhaupt der Nacht, geschlagen, flüchtet. Gabriela Mistral Diese und kommende Seiten: Serie Stairway to heaven Mischtechnik auf Plexiglas, 2015 20 x 20 cm Fast Forward! Mischtechnik auf Plexiglas, 2-teilig, 2015 20 x 20 cm Diese und vorhergehende Seiten: Serie Stairway to heaven Mischtechnik auf Plexiglas, 2015 20 x 20 cm Plan4 Ausstellung im unsanierten Uhrenturm des ehemaligen Schlachthofes, Aachen, 2014 Plan4 Eine Ausstellung im unsanierten Uhrenturm des ehemaligen Schlachthofes in Aachen. GA mit Arndt Lorenz,Video, Ludwig Kuckartz, Audiovisuelle Perdformance, Fjarri (Daniela Vrbanovic), Illustration Treppen sind mein zentrales bildnerisches Thema: Dieses unerklärliche Bauchgefühl, das sich einstellt, wenn man sich darauf bewegt, zwischen Schwindel und Zielstrebigkeit, Angst und Faszination. Auf den Stufen verändert sich die Wahrnehmung, besonders, wenn sie auf irgendeine Art „anders“ sind, die Windung sich ändert, die Stufenhöhe variiert, oder man nach unten hindurch blicken kann. Man kann sich nicht entziehen, es passiert einfach. In jedem Falle ist Veränderung die treibende Kraft, die Bewegung von einer (Daseins-) Stufe zur nächsten, von einer Ebene zur anderen. Stufen und Geländer bilden eine Verbindung zwischen Zu- und Abwendung, Vergangenheit und Zukunft. Das Gehen als Zustand bildet die Gegenwart ab, ein Verweilen auf der Treppe beruhigt die Gedanken wieder. Manche Geländer wirken „umarmend“, manche entzweien unseren Blick in ihrer Bewegung. Fast immer sind sie vom Menschen konstruierte, technische Architekturen, und immer ist der Übergang das Ziel. Im Uhrenturm des ehemaligen Schlachthofes bespiele ich den farbigen Raum, in dessen Mitte eine Treppe zum Dach führt. Er bietet mir ideale Möglichkeiten: Eine slow-motion-Videoprojektion über der Treppenöffnung, nimmt direkten Bezug auf den Ort und meine Treppenthematik. Desweiteren werden Boden und Wände großformatig in Graphit-silbriger Farbe bemalt und bezeichnet. Die Gedanken über die Veränderung, die Metamorphose, der „Häutung“, die mich seit dem Thema „Haeute“ beschäftigen und begleiten, werde ich bildnerisch aufgreifen. Dies geschieht sowohl in den oben beschriebenen Stufen, in Flora und Fauna, menschliche Anatomie, sowie Gedanken an das Memento Mori. Zu finden sind auch kleine, im Turm verstecke „Interventionen“, die eine „menschliche“ Komponente des Schlachthofes aufgreifen. Konkret sind dies Gedanken an das Sezieren am Menschen, Amputationen - das alles bekommt eine doppelte Bedeutung in diesem Umfeld. Neue Exponate auf Plexiglas werden frei schwebend montiert und erzeugen so eine Leichtigkeit, in der sich die Gedanken und Assoziationen frei einstellen können. Durch transparente Flächen kann der Blick hindurch in den Raum gehen und so ein temporäres neues Bild erzeugen, das so nur an diesem Ort für ein paar Tage möglich sein wird. Karin Odendahl, November 2014 Corpo (Serie) Mischtechnik auf Plexi, 2014 20 x 30 x 1 cm Torso Mischtechnik auf Plexi, 2014 150 x 61 x 25 cm Corpo (Serie) Mischtechnik auf Plexi, 2014 20 x 30 x 1 cm Praha & En voyage Mischtechnik auf Plexi, 2014 104 x 44 x 175 cm Slow-Motion-Projektion Mes Beaux Cauchemars „Comme je descendais des fleuves impassables, je ne me sentis plus guidé par les haleurs...“ Arthur Rimbaud Die 20er Jahre Mischtechnik auf Holz, 2016 15 x 29 cm/ 10 x 29 cm Objets Trouvés 2 Mischtechnik auf Holz, 2014 je 15 x 20 cm O.T Mischtechnik auf Holz, 2014 15 x 20 cm Maison Magnolia Mischtechnik auf Holz, 2014 15 x 20 cm Der Lauf der Dinge Mischtechnik auf Tuch, 2014 40 x 40 cm Un Jour de Bonté 1 & 2 Mischtechnik auf Holz, 2014 ca 30 x 45 cm Un Jour de Bonté 3 Mischtechnik auf Holz, 2014 ca 30 x 45 cm Un Jour de Bonté 4 Mischtechnik auf Holz, 2014 ca 30 x 45 cm Objets Trouvés 3 Mischtechnik auf Holz, 2014 je 15 x 20 cm Un Jour de Bonté 5 Mischtechnik auf Holz, 2014 ca 30 x 45 cm Haeute Galerie S. Aachener Kunstroute 2014 Haeute Ausstellung in der Galerie S. Alle sieben Jahre, sagt man, erneuere sich der Mensch. Er haeutet sich. Abgetragen, nutzlos ist die eine oder auch die nächste Schicht. Abgezogen wird Schicht um Schicht, bis Erneuerung stattfindet, dünne, empfindliche, frische Haut für alle sichtbar wird. Wo ist die Grenze zwischen nutzlos und wertvoll? Welche Membran ist schützenswert? Was muss weg, bevor es krank macht? Welche Orientierung haben wir? Schichten, Membrane, wie dünne Haeute sind die Transfermaterialien, die über einander liegen. Zusammen ein Ganzes, einzeln vielleicht scheinbar wertlos. Werte haeute sind in einer Gesellschaft oft geographisch begrenzt, geben einerseits Sicherheit, aber gelten nur für eine gewisse unbestimmte Zeit, eine Dekade, eine Generation, vielleicht ein Jahrhundert. Nur wenige tradierte Werte werden über die Jahrtausende anerkannt. Welche Werte tragen wir in uns, mit uns durchs Leben und was geben wir weiter? Was sind unsere wahren Bedürfnisse? Was ist uns wirklich dauerhaft wichtig? Was bleibt bestehen, was muss weichen? Worauf ist Verlass? Materielles? Naturgewalten? „Wertgeschätzt wird: Du stehst über den Dingen und bist unverwundbar. Und wenn Du verletzt bist, dann lass es Dir wenigstens nicht anmerken. Dafür zahlen wir jedoch einen hohen Preis. Denn wenn alles an uns abprallt, dann kann man auch nicht mehr zärtlich gestreichelt werden. Wer in einer Rüstung lebt, ist nicht mehr berührbar, kann kein Mitgefühl empfinden. Er oder sie kann nicht mehr erfahren, geliebt zu sein, oder andere zu lieben. Wer sich unverwundbar gibt, riskiert eine brutale Einsamkeit. Für eine Ellenbogengesellschaft ist Verletzbarkeit kein Wert. Aber nur, wenn ich um meine Verletzbarkeit weiß und verwundbar bleibe, bin ich überhaupt erst beziehungsfähig. Wenn jemand immer nur cool ist, dann brennt er für nichts und niemanden. Ein armes Leben.“ (...) Aus: Leben, statt gelebt zu werden/Interview mit Melanie Wolfers Wir versuchen mit allen Mitteln und mit allen Medien in einer nie gekannten Bilderflut möglichst öffentlich den flüchtigen Moment zu fassen zu bekommen, seiner habhaft zu werden, ihn für immer festzuhalten. Der flüchtige Moment wird zum konservierten Wert, der in der Zukunft vielleicht einen „Vintage“-Wert bekommt, womit sich der Kreis im Wertesystem schließt. Ein Gedanke aus der Archäologie drängt sich auf: Betrachtet man aus der Antike erhaltene Wandmalereien, dann stellt sich auch hier die Frage nach dem Zufall: Wie wichtig, relevant - oder eben zufällig – war das, was wir heute vorfinden für die damalige Zeit? Welche ungeahnte Wichtigkeit bekommen Fundstücke, die wir heute mit Akribie und Sorgfalt erhalten und pflegen? Ich ziehe hier eine Parallele zu jenen abgerissenen Plakaten, die, zuerst bildhaft mühsam ausgetüftelt, zweck- und konsumorientiert angebracht, für kurze Zeit brandaktuell, jedoch schnell überholt sind, - nun photographiert im zufälligen Zustand der abgerissenen „Tagesform“. Woran messen wir den Wert einer Sache? Von welcher Dauer ist er? Was nehmen wir mit durch die ständige Erneuerung? Welche Projektionsfläche bietet sich im Leben für Immaterielles, Geist? Wissen? Glaube? Liebe? Über den steten Gedanken an soziale Netzwerke, an die eigene Außenwirkung, und den damit einhergehenden ständigen Blick durch den Kamera-Sucher verlieren wir den Sinn dafür, wie sich ein wirklich wertvoller Moment anfühlt. In meinen Bildern stehen die Vibration des wechselnden, irrisierenden Lichts, dessen flüchtige, unfassbare Vergänglichkeit und Leichtigkeit im Kontrast zu fester Form und klaren Kanten. „Nichts ist, sagt der Weise. Du lässt es entstehen. Es wird mit dem Wind deines Atems verwehen. Unmerklich und leise. Nichts ist.“ Mascha Kaleko Eine contradictio in reo, einen Gegensatz in sich, erzeuge ich in manchen Arbeiten, indem ich diese flüchtigen Schattenrisse im undurchdringlichen, glänzenden Lack fixiere, und im Kontrast dazu die feine Linie und Farbe der Figuren erhalte. Diese werden so unabhängig von Zeit und Raum. Auf technischer Ebene ist es mein Ziel, eine Synthese von Photographie im Zusammenspiel mit Zeichnung und Malerei zu erzeugen. Die Photos sind untrennbar verbunden über gelöste Farbe auf dem Bildgrund, nicht über Collage. Diese Elemente brechen, werden durch den Transfer fragmentarisch, fügen sich wie mit dem Pinsel gesetzte Farbschichten in die Zeichnung ein. Teils erscheinen sie überlappend als Teil der Figuren, teils dienen sie der räumlichen Abgrenzung. Schichten, Membrane, wie dünne Haeute sind die Transfermaterialien, die über einander liegen. Zusammen ein Ganzes, einzeln scheinbar wertlos. In den neuen Arbeiten verbinde ich diese aktuellen, aber dem ursprünglichen Kontext entzogenen Fragmente mit den Zeichnungen von Frauen im Aufbruch, Figuren mit aufrechtem Gang und offenem Blick. Menschen, die nicht ins gängige Muster der Gesellschaft passen, stehen im Kontrast zu den aggressiven Aufforderungen der Werbe-Industrie: Wort und Bild erhalten eine Doppeldeutigkeit. Die Worte „Dernière Chance“ oder „Occasion“ erhalten einen völlig andere Bedeutung im Bezug auf die wachen, nach vorne strebenden Figuren, die partout nicht einverstanden zu sein scheinen mit dem, was sie umgibt, und denen das blanke Entsetzen zum Teil im Gesicht geschrieben steht. Sie changieren in Haltung und Position – zum Teil sind sie Beobachter, außerhalb des Geschehens, manchmal sind sie aber auch Teil dessen, wehren sich gegen ihre Vereinnahmung und Konsumierung. Treppen sind ein weiteres bildnerisches Thema: In jedem Falle ist Veränderung der Inhalt, die Bewegung von einer (Daseins-) Stufe zur nächsten, von einer Ebene zur anderen. Stufen und Geländer bilden eine Verbindung zwischen Zu- und Abwendung, Vergangenheit und Zukunft. Das Gehen als Zustand bildet die Gegenwart ab, ein Verweilen auf der Treppe macht wenig Sinn. Manche Geländer wirken „umarmend“, manche entzweien unseren Blick in ihrer Bewegung. Fast immer sind sie vom Menschen konstruierte, technische Architekturen, und immer ist der Übergang das Ziel. Die Arbeiten stellen die unkritische Schnell-Lebigkeit unserer Zeit in Frage durch die Haltung der Figuren und die althergebrachte Darstellung in klassischen Medien wie Zeichnung und Malerei. Was ist echt und wahr, was ist Suggestion, was Projektion? Ich frage, gebe keine Antworten. Karin Odendahl 2014 Scala Mischtechnik auf Papier/Keilrahmen, 2014 125 x 240 cm Haeute „Nichts ist, sagt der Weise. Du lässt es entstehen. Es wird mit dem Wind deines Atems verwehen. Unmerklich und leise. Nichts ist.“ Mascha Kaleko Un chagrin de passage Mischtechnik auf Papier/Keilrahmen, 2014 110 x 240 cm Occasion & Pour La Vie Mischtechnik auf Papier/Holz, 2014 je 20 x 30 cm „Ich warte vehement, die Füße in Beton, so lange ich noch warten kann.“ Blixa Bargeld Synthesis Mischtechnik auf Papier/Keilrahmen, 2014 130 x 300 cm Die dunkelste Stunde ist die vor Sonnenaufgang. atelier@karin-odendahl.de 2016