QU`EST-CE QUE MONSIEUR TESTE? (WAS IST M. TESTE?)
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QU`EST-CE QUE MONSIEUR TESTE? (WAS IST M. TESTE?)
FRANK GESSNER QU'EST-CE QUE MONSIEUR TESTE? (WAS IST M. TESTE?) VON PAUL JEDERBECK – WORK IN PROGRESS Der postmoderne „Digitale (Compositing-) Film“ Qu'est-ce que Monsieur Teste? ist eine spielerische „Fake-Docu-Fiction“, über einen mysteriösen Shootingstar des Kunstbetriebs um die Jahrtausendwende mit dem Pseudonym „Monsieur Teste“ und zugleich ein ironisches „Filmessay“ über den wahren und den Waren-Wert der Kunst. Er unterscheidet sich damit radikal von mehr oder weniger didaktischen Filmen über Kunst und von allen problematischen filmischen Künstlerportraits. Mit den Themen Bild-, Text- und Identitätsmanipulation in digitalen „Compositing-Zeiten“ werden reale und virtuelle Elemente zu einem filmischen Ort zwischen Sein und Nicht-Sein zusammengefügt und sagen damit einiges sowohl über die Kunst des Filmemachens als auch über die Malkunst aus. Qu'est-ce que Monsieur Teste? will, ähnlich wie sein großes Vorbild Le mystère Picasso von Henri-Georges Clouzot, nichts erklären. Aber der Autor und Hauptdarsteller Paul Jederbeck scheint nicht zu glauben, dass dem Betrachter die Bilder (des bezaubernden Mittelteils) heute noch genügen, wenn er sie nur entstehen sieht. Deswegen stellt er dieses prozessuale Mehrfeldbild in die Mitte eines nichtlinearen hybriden Konstrukts aus 5 Akten, das Anfang und Ende – sozusagen durch einen offenen „Umkehrschluss“ – miteinander verklammert. Wenn Le mystère Picasso wie André Bazin sagt, die zweite Revolution des Films über Kunst darstellt, dann könnte, wenn nicht alle Zeichen trügen, Qu'est-ce que Monsieur Teste? einen möglichen dritten Ansatz zur Weiterentwicklung dieses Genres aufzeigen: „Die erste Revolution bestand in der Abschaffung des Rahmens, dessen Verschwinden das Universum des Bildes mit dem Universum überhaupt eins werden lies. War die Kamera erst ‚in‘ die Gemälde eingedrungen, konnte sie uns dort für eine bestimmte deskriptive und dramatische Dauer herumführen; doch die tatsächliche Neuerung war nicht zeitlicher, sondern ausschließlich räumlicher Art. (…) Was Le mystère Picasso uns zeigt, ist nicht das, was man schon kannte – die Dauer der Schöpfung – , sondern dass diese Dauer ein integraler Bestandteil des Werks selbst sein kann, eine zusätzliche Dimension, die im Endzustand dummerweise ignoriert wird. Genauer: Bis heute kannten wir nur ‚Bilder‘, Vertikalschnitte aus schöpferischem Fluß, mehr oder weniger willkürlich tranchiert durch den Schöpfer selbst, durch Zufall, Krankheit oder Tod. Was Clouzot uns endlich vor Augen führt, ist ‚das Malen‘, das heißt ein Bild, das in der Zeit existiert, das seine Dauer, sein Leben und manchmal – wie am Ende des Films – seinen Tod hat.“ (Ein bergsonianischer Film: Le mystère Picasso, André Bazin). Was geschieht aber, wenn – wie es sich in einer dritten „Revolution“ (des Films über Kunst) beispielhaft in Qu'est-ce que Monsieur Teste? anbahnt – diese Malerei und womöglich ihr Erzeuger gar nicht real existieren, weil mischtechnisch als Auto(r)konstrukt einer hybriden polyfokalen Projektion hergestellt, gar keinen Tod sterben können? Dann wird durch diese Lüge Malerei zum wahrhaftigen Film: Der Verlust der Aura wird zeitbasiert, durch die simultane Zusammenschau in der Pathosformel des Triptychons als „Film im Film“, wettgemacht und eröffnet durch die Bildmanipulationen der offenen und verdeckten Montage, einen freien spielerischen Produktions- und Rezeptionsraum, motivisch veranschaulicht als Balance zwischen intellektueller Fähigkeit, animalischen Trieben und der bildnerischen Werkgenesis selbst - als ein Ringkampf zwischen Verstand und Gefühl - der das Bild innerbildlich in unterschiedliche Zeitzonen aufsplittet. Durch das digitale Compositing wird es erstmals möglich zu zeigen, wie diese simultanen malerischen Prozesse im spezifischen Zeitraum der Kinematographie in Kasus, Numerus und Genus verändert und dekliniert werden können. Am Anfang des 21. Jahrhunderts entsteht also ein neuer Typus von Regisseur: der des „Hybridautorenfilmemachers“. Endlich ist es soweit: Jetzt können Laufbilder frei und unabhängig gezeichnet, gemalt, modelliert und collagiert werden. In einer Zeit, die vom grenzenlosen Fortschrittsoptimismus Abschied genommen hat und wieder bereit ist sich dem Mythos zuzuwenden, scheint der visionär-künstlerische Hybridautorenfilm, dem sich Paul Jederbeck und seine Kollegen Benjamin Dickmann und Alexej Tschernyi experimentell in Qu'est-ce que Monsieur Teste? verschrieben haben, im Widerspruch zu sich selbst zu stehen – liegt sein Möglichkeitspotential doch gerade in den sich vermeintlich unendlich weiter entwickelbaren neuen digitalen Technologien begründet. Dank der intuitiven Handhabbarkeit neuer Hard- und Software und der relativ kostengünstigen Anschaffungspreise, ist es möglich geworden, eine andere Art von Film zu einem künstlerischen Laboratorium zu machen in dem Realität und Imagination, Welt und Idee zusammentreffen, damit Kunst und Leben, wieder beginnen eine Hauptrolle zu spielen. Einer Erneuerung des Autorenfilms steht damit – auf unbestelltem HybridTerrain – nichts mehr im Weg; der postmoderne Film muss als Medium nicht anonymer sein als traditionelle Darstellungsformen wie Musik, Literatur, Theater oder Bildende Kunst. Das Autorenkino ist, wie Jean-Luc Godard einmal gesagt haben soll, wie das Leben: Regeln gibt es nicht. Doch sollte man einen kühlen Kopf bewahren. „Schieben wir die Schwächen und Sünden des Menschen also nicht aufs Kino. Wenn der Nimbus der Überraschung und Entdeckung einmal vorbei ist, werden die Malerei-Filme so gut sein wie die, die sie machen.“ (Malerei und Film, André Bazin). „Der montierte Text“ von Frank Geßner, Künstler und Cineast, mit einer Hommage an die französische Filmkritik und an Orson Welles F for Fake, 2006, erstmals veröffentlicht, in: Juliane Dummler, Das montierte Bild: Digitales Compositing für Film und Fernsehen, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft, 2010, S. 20 – 21.