DIE GEBURT DER »WELLNESS« AUS DEM GEISTE DER STATISTIK

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DIE GEBURT DER »WELLNESS« AUS DEM GEISTE DER STATISTIK
NEU GELESEN
Philipp Hauß
D I E G E B U R T D E R »W E L L N E S S«
AU S D E M G E I S T E D E R S TAT I S T I K
Halbert L. Dunns Suche
nach dem Gleichgewichtskontinuum
Halbert L. Dunn, High-Level Wellness. A Collection of TwentyNine Short Talks on Different Aspects of the Theme »High-Level
Wellness for Man and Society«, Arlington: Beatty 1961.
Die Zitate im Text folgen dieser Ausgabe.
»Anyone writing about the history of wellness would have an easy time at the beginning of the endeavor. Regarding the origin there is no doubt.«1 Am Anfang des Diskurses über Wellness, so war sich der »Wellness-Evangelist« Donald Ardell 1985 sicher,
steht eine Person: Halbert L. Dunn, der im Jahr 1959 insgesamt 29 Vorträge zum
Thema »High-Level Wellness« in der Unitarian Church in Arlington, Virginia hielt.
1961 erschienen diese Vorträge in Buchform. »Wellness«, bis dahin ein wenig gebräuchliches Wort für das Gegenteil von »Sickness«, wurde infolge dieser Publikation
1
Donald B. Ardell, The History and Future of Wellness, Dubuque 1985, S. 22.
Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 11 (2014), S. 478-484
© Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2014 | ISSN 1612-6033 (Print), 1612-6041 (Online)
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zu einer Antwort auf »Stress«. Dass Dunn die Vorträge in einer Kirche hielt, passte zu
seiner epochalen Mission. Der Mensch stehe an einem Scheitelpunkt: Er könne sich
für sein kreatives Potential entscheiden oder in den Abgrund des Krieges zurückrutschen.
Dunn war ein Pionier der »Vital Statistics« in den USA (was damit gemeint war,
wird im Folgenden noch deutlich werden). 1896 in New Paris, Ohio geboren, erwarb
er seinen M.D. 1922 und seinen Ph.D. 1923 an der University of Minnesota. Er arbeitete von 1923 bis 1924 als Assistant in Medicine am Presbyterian Hospital of New York
City. Von dort wechselte er an die Mayo Clinic in Rochester, in ein Forschungsprogramm in Zusammenarbeit mit der University of Minnesota. Nach einer Lehrtätigkeit in Biometrie und »Vital Statistics« an der Johns Hopkins University (1924–1929)
kehrte Dunn wieder an die Mayo Clinic zurück. 1935 wurde er Chief of the National
Office of Vital Statistics. Die Einrichtung war zunächst eine Abteilung des Bureau of
the Census, bis sie 1946 dem Department of Health, Education and Welfare angegliedert wurde. 1960, als sich Dunns Berufslauf bahn dem Ende zuneigte, ging aus dem
National Office of Vital Statistics das National Center of Health hervor. 1975 starb
Dunn in Maryland.
Nach zwei Vorträgen für ein Fachpublikum – »Points of Attack for Raising the
Levels of Wellness« (1957) und »High-Level Wellness For Man and Society« (1958)2 –
waren die »Talks on High-Level Wellness« als Radiosendungen an eine breite Öffentlichkeit gerichtet. Im Gegensatz zu seinen vorherigen Ausführungen dachte Dunn in
den Vorträgen des Jahres 1959 Wellness nicht länger als Zustand, sondern als Methode, als Praktik. Er definierte »High-Level Wellness« als »an integrated method of
functioning which is oriented toward maximizing the potential of which the individual is capable. It requires that the individual maintains a continuum of balance and
purposeful direction within the environment where he is functioning.« (S. 5f.) Das
Attribut »High-Level« sollte zeigen, dass »Wellness« nicht als Gegensatz zu »Sickness«
gemeint war, sondern über den Zustand nomineller Gesundheit hinausreichte.
»Maximierend«, ein dynamisches Wort des Werdens (S. 5), ersetzte ein mögliches
»Vollständig«, das nur auf den Erhalt eines statischen Zustandes verweisen würde.
Dunn entwarf ein Bedrohungsszenario: Das Wachstum der Bevölkerung, die Beschleunigung und Verstädterung des modernen Lebens sowie die damit steigenden
Spannungen und sozialen Probleme, schließlich die Atomenergie mit ihrem weltzerstörerischen Potential, erforderten grundsätzliche Lösungen und seien nicht länger
mit kleinen Reparaturen in den Griff zu bekommen (S. 6). Oder kurz: »Well, it is a
sick world.« (S. 193) Dass dieses Szenario empirisch erfasst werden konnte, dafür hatte
Dunn als Chief Statistician des National Office of Vital Statistics bzw. des National
Center of Health selber gesorgt. Die Kategorien der Datenerhebung wurden sukzessive
erweitert (Wohnraumverteilung, Eheschließungs- und Scheidungsrate, Todesursachen)
2 Schriftliche Fassungen dieser Vorträge in: Journal of the Medical Association 49 (1959), S. 225-235;
American Journal of Public Health 49 (1959), S. 786-792.
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und auf alle US-Bundesstaaten ausgedehnt. Wie schon an der Mayo Clinic setzte
Dunn in der Datenverarbeitung auf vereinheitlichte Lochkarten-Formulare und deren
elektronische Auswertung. Die riesigen Datenmengen ließen sich so in beängstigende Kurven umsetzen: eine explodierende Bevölkerung, eine sinkende Sterberate bei
steigender Geburtenrate, eine Umkehrung des Verhältnisses von Land- und Stadtbevölkerung, eine nie gekannte Anzahl von arbeitenden Frauen sowie nicht zuletzt
eine neuartige landesweite Durchmischung und Verteilung der Ethnien.3
In Anbetracht dieser behaupteten massiven Herausforderungen durch das moderne
Leben plädierte Dunn dafür, den Ansatzpunkt der Medizin zu verändern. Der rapide
Wandel der soziokulturellen Umstände bedeute Stress. Dunns Stressbegriff war geprägt von Hans Selyes Konzeption, in der der chronische kumulative Stress, generiert
durch die dynamische Interaktion zwischen Mensch und Umgebung, gegenüber dem
akuten Schockzustand in den Vordergrund gerückt war. 4 Das längere Leben und die
wachsende Zahl älterer Menschen forcierten zusätzlich die Frage nach der Lebensqualität. Vorbei seien die Zeiten, in denen Lebensrettung und Bekämpfung infektiöser Krankheiten die vornehmliche Aufgabe der Ärzte und des Gesundheitswesens
waren. Nun gehe es darum, eine neue Perspektive einzunehmen und die Achse
»Sickness« versus »Unsickness« durch die Achse von »High-Level Wellness« und
»Low-Level Wellness« zu ersetzen.
Im Zuge dieser Redefinition entwickelte Dunn seine Wellness-Vorstellung nach
biologisch-physiologischen Modellen. So charakterisierte er die Natur des Menschen
entlang von fünf Eigenschaften: erstens durch Totalität, zweitens durch Einzigartigkeit,
drittens durch eine enorme Menge an Energie – denn der Körper sei eine Erscheinungsform organisierter Energie. Viertens sei die menschliche Natur bestimmt durch die
Gleichzeitigkeit von innerer und äußerer Welt. In diesen beiden Welten lebe der
Mensch, und mit ihnen sei er verbunden durch Schnittstellen (ports), die Input aufnehmen – d.h. Nahrung, Sauerstoff und andere Energiequellen, aber auch Informationen –, sowie durch Schnittstellen, die Abfallprodukte ausscheiden. Komplettiert werde
dies schließlich fünftens durch die Wechselbeziehung von Selbstintegration und
Energieverbrauch (S. 10ff.). Der Mensch bewege sich in einer Umwelt, an die er sich
anpasse. Jedoch dürfe er dieses Ziel niemals erreichen bzw. müsse die perfekte Anpassung immer verfehlen, weil er angewiesen sei auf Widerstände, auf Herausforderungen, die sein Wesen (spirit) und seinen Geist in Bewegung hielten (S. 11).
Der Mensch war für Dunn somit eine Manifestation von Energie, wobei er diese
Energie des Körpers wiederum in fünf Kategorien einteilte: materiegebundene Energie (z.B. Wasser, Salze, chemische Substanzen), formgebundene Energie (zelluläre
3 Halbert L. Dunn, Points of Attack for Raising the Levels of Wellness, in: Journal of the Medical
Association 49 (1959), S. 225-235, hier S. 226-229.
4 Mark Jackson, The Age of Stress. Science and the Search for Stability, Oxford 2013, S. 145.
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Strukturen), Adaptationsenergie im Sinne Hans Selyes,5 die die Reserve des Körpers
bilde und sich im Laufe eines Lebens verbrauche, gespeicherte Energie (die Rücklagen
des Körpers wie Fett, Hormone etc.) sowie verbrauchbare Energie, eine Art Lebensoder Aktivitätsenergie (S. 18ff.). Diese erschöpfe sich ebenfalls, lasse sich aber etwa
durch Schlaf wieder aufladen. Das Leitbild der verbrauchbaren Energie ist die wiederaufladbare Batterie, und damit ist auch der Ladeprozess in dieses Modell integriert
(S. 20, S. 139). Während also die Adaptationsenergie unweigerlich abnehme und der
Mensch nur beeinflussen könne, wie schnell und für was die Energie verbraucht
werde – die »Tristesse der ›Wärmetod‹-Depression« (Blumenberg)6 –, gebe es auch eine
Energie, die nach dem Prinzip des Akkus funktioniere. Verbrauchbare Energie benötige der Mensch im Übermaß und könne sie im Gegensatz zur Adaptationsenergie
verschwenderisch einsetzen (S. 20).
Um die Adaptationsenergie möglichst langsam und gewählt zu dosieren und über
die verbrauchbare Energie reichlich zu verfügen, bedürfe es eines Energiemanagements. Das sorge für permanente Anpassung an die äußere Welt, um Balance herzustellen und Dysbalancen zu justieren. Die Balance sei niemals statisch, sondern
gewinne Stabilität durch Flexibilität und Wandlungsfähigkeit. Zentrales Ziel von
Wellness sei es daher, den Körper in ein dynamisches Gleichgewicht zu bringen. Dies
werde möglich, wenn sich das Individuum von exzessiven Spannungen befreie und
offen auf die Welt zugehe, d.h. die Schnittstellen für Input und Output freihalte. Das
dynamische Gleichgewicht sei die Voraussetzung für Wachstum, und die Richtung
des Wachstums sei – wenig verwunderlich – vorwärts und aufwärts (S. 168). Oder, in
den Worten Dunns: »A balanced life is a good life. And, furthermore, it is an effective
life.« (S. 141) Wenn man Anson Rabinbach darin folgt, dass der transzendentale
Materialismus des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts den Körper als thermodynamische Maschine rekonzeptualisiert habe,7 so könnte man den Körper nach
Dunn als ein Input prozessierendes Steuerungssystem beschreiben. Die Erschöpfung
spielt in diesem neuen Körper keine Rolle mehr.
Entlang dieses Gedankengangs entwickelte Dunn Überlegungen zur »Individual
Wellness«, »Family Wellness«, »Community Wellness«, »Environmental Wellness« und
»Social Wellness«. Wellness sei zwar noch nicht messbar oder quantifizierbar, aber
die Hoffnungen des Autors ruhten auf der weiteren Forschung. Naheliegenderweise
versprach sich Dunn entscheidende Einsichten durch verbesserte Biostatistiken, die Individuen und Familien über lange Zeit begleiten müssten: »We can develop longitudinal
statistics along a time axis, which will permit us to direct the flow of humanity.« (S. 205)
5 Hans Selye, The Stress of Life, New York 1956, S. 66.
6 Hans Blumenberg, Zeitbedarfsrahmen, in: ders., Die Vollzähligkeit der Sterne, Frankfurt a.M. 1997,
S. 98-104, hier S. 101.
7 Anson Rabinbach, The Human Motor. Energy, Fatigue and the Origins of Modernity, Berkeley 1990,
S. 45f.
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In den beiden Vorträgen, die Dunn 1957 und 1958 vor medizinischem Fachpublikum
gehalten hatte, schlug er vor, eine Gruppe von Menschen, deren »High-Level Wellness«
augenscheinlich sei, physiologischen, psychologischen und chemischen Tests zu unterziehen; so ließen sich verlässliche Parameter für Wellness definieren. 8 Die Idee einer
Wellness-Elite, die Hoffnung auf eine Genetikforschung,9 die dem befürchteten Niedergang der menschlichen Rasse entgegentreten könnte, und der Vorschlag, Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft auf ihre Wellness-Fähigkeit zu überprüfen – Dunn war
sich der Ironie wohl nicht bewusst, diese Maßnahmen als Versicherung »against a
Hitler taking over«10 anzupreisen.
Dunns Buch ist keines der präzisen Begriffe und der klaren Abgrenzungen. Es ist
erstaunlich, dass ein an Allgemeinplätzen reiches, zu gedanklichen Kurzschlüssen
neigendes Werk es immerhin geschafft hat, den in den 1950er-Jahren üblichen Begriff
von »Positive Health« zu ersetzen und die »Mind-Body Medicine« 11 um eine neue
Vokabel zu bereichern. Die Mischung aus Medizin, Physiologie, Lebenskunst, Politik,
Psychologie, Soziologie, Parawissenschaften, Mystik und Esoterik offenbart zugleich
aber eine zentrale, bis heute zu beobachtende Eigenschaft des Phänomens »Wellness«:
konstante Permeabilität und die Fähigkeit, selbst disparate Theorien oder Modelle in
das Sammelbecken aufzunehmen.
In Dunns »High-Level Wellness« kommen drei Denkfiguren vor, die die Geschichte von Wellness bis in die 1980er-Jahre geprägt haben. Erstens ist dies die Art und
Weise, wie Naturwissenschaften integriert werden – im Sinne einer ›metaphorischen
Wissenschaft‹. Aus Modellen bzw. Beschreibungen von Versuchsergebnissen werden
Metaphern gebildet, und diese werden als Idealzustand einer gut eingerichteten Welt
imaginiert. Daraus werden wiederum Handlungsanweisungen und Wellness-Praktiken
generiert, die als wissenschaftlich belegt vorgestellt werden. Bei Dunn trifft dies zum
Beispiel auf das Bild des Körpers als offenes System zu. Aus der Tatsache, dass der
Organismus auf den Austausch von Materie und Information mit der Umgebung angewiesen ist, folgert der Autor, dass Offenheit ein zuverlässiger Parameter sei. Die
Betonung von Offenheit geht weit über die Aspekte der Sauerstoff- und Nahrungsaufnahme hinaus und wird zum Leitbild, wie ein erfülltes Leben aussehen soll.
»Remember, a well mind is an open mind!« (S. 108)
Eine zweite Denkfigur ist die von Dunn vehement betonte Spiritualität, und das in
doppelter Hinsicht. Auf der einen Seite wird der Mensch als spirituelles Wesen entworfen, dessen Sehnsucht nach einem sinnstiftenden Erlebnis gestillt werden müsse:
Es liege in der Natur des Menschen, eine persönliche Philosophie zu haben (S. 216).
Spiritualität kommt dabei als pankulturelle, panreligiöse Mystik ins Spiel, die weder
8 Dunn, Points of Attack (Anm. 3), S. 232; ders., High-Level Wellness For Man and Society, in: American
Journal of Public Health 49 (1959), S. 786-792, hier S. 789f.
9 Dunn, Points of Attack (Anm. 3), S. 233.
10 Ebd., S. 234.
11 Anne Harrington, The Cure Within. A History of Mind-Body Medicine, London 2008.
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engen Dogmen noch Geboten folgt. Auf der anderen Seite dient eine metaphysisch
entkernte Spiritualität als Praxis (zum Beispiel Meditation) der Effizienzsteigerung.
Als Motor, als Training, als Ritual treibe sie zur »excellence of performance« und stimuliere »creative imagination« (S. 151).
Drittens beschreibt Dunn den menschlichen Körper und Geist als informationsverarbeitendes Regelsystem. Durch die Vorstellung des Mind-Body-Komplexes als
steuerbares, teilweise selbstregulierendes System werden die gesundheitlichen und
stressbedingten Probleme neu formuliert – als Aufgabe, das System vom Irrlauf zurück
in den Selbstlauf zu bekommen. Dunn beneidet die Autoindustrie um die Performancetests (S. 203), die in diskreten Ergebnissen die Anpassung an das »wear and tear« sowie den Grad der Widerstandsfähigkeit angeben können. Von zwei jungen Disziplinen
erhofft er sich Erkenntnisfortschritte: von einer neuen Wissenschaft namens Kybernetik (S. 86f.) und von den EEG-Messungen des Gehirns. Die Kombination der beiden Disziplinen führt schließlich zur Entwicklung der Methode des »Biofeedbacks«.
In der Mixed-Media-Installation Mensch und Maschine finde ein nicht verbal moderiertes, nicht bewusstes Training statt. Der Patient wird zum Klienten, der Therapeut
zum Coach.
In diesen drei Beobachtungen präsentierte sich Wellness schon um 1960 als ein
wissenschaftlich und technisch moderiertes Heilsversprechen. Dennoch war Dunns
Buch kein Bestseller. Erst in den 1970er-Jahren wurde die Idee von »High-Level Wellness« wieder aufgenommen. John W. Travis, auch M.D., war zu dieser Zeit als Gastwissenschaftler im Bereich der Präventivmedizin an der Johns Hopkins University
Bloomberg School of Public Health tätig, nachdem er einige Jahre für den U.S. Public
Health Service gearbeitet und dort eines der ersten computerisierten Verfahren zur
Gesundheitsrisikobewertung entwickelt hatte. Angeblich auf einem Wühltisch entdeckte er während seines Gastaufenthalts Dunns »High-Level Wellness« und war zunächst wenig angetan: Er habe gedacht, das Wort »Wellness« sei dumm und werde
sich nie durchsetzen.12 Diese anfängliche Reserviertheit überwand er aber schnell
und arbeitete in den folgenden Jahren weiter am »Wellness«-Gedanken – jetzt ohne
»High-Level«-Attribut. 1975 gründete er gemeinsam mit der Psychologin Bonnie
Burdett das weltweit erste Wellness-Zentrum, das Mill Valley Wellness Resource Center
in der San Francisco Bay Area. Das ambulante Wellness-Programm war angelegt auf
acht Monate; die Klienten nahmen wöchentlich an Einzel- und Gruppenaktivitäten
teil. Der Preis für dieses Programm belief sich auf 1.500 Dollar pro Person, und die
Kapazität des Centers umfasste 80 Klienten jährlich. Über dieses längere Programm
hinaus, welches vor allem auf Leute aus der Umgebung zugeschnitten war, gab es
»10-Day Intensive Wellness Programs« für Personen, die aus ferneren Orten nach
Mill Valley reisten. Neben Kursen und Trainings zu bewusster Ernährung, Selbstverantwortung und körperlicher Fitness ging es im Center vor allem um Stress-Kontrolle.
12 Vgl. Ben Zimmer, Wellness, in: New York Times Magazine, 16.4.2010, URL: <http://www.nytimes.
com/2010/04/18/magazine/18FOB-onlanguage-t.html?pagewanted=all>.
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Biofeedback-Arbeit wurde ergänzt durch Meditation, »guided fantasy«, Massage,
Sauna und »hot tubs«. Zwei Mitarbeiter waren außerdem spezialisiert in »clearing,
visual stress reduction, and the process of visualization«.13
»Wellness« hatte die Institutionen Washingtons hinter sich gelassen und war in
der Counterculture Kaliforniens angekommen. Wie diese Geschichte weiterging –
von den 1980er-Jahren bis zur Gegenwart –, wie Wellness in Europa aufgenommen
wurde (gerade der deutschsprachige Raum war sehr empfänglich) und wie der Begriff
dabei inflationiert wurde, wäre ein eigenes Thema.
Philipp Hauß
E-Mail: haussph@yahoo.de
13 Donald B. Ardell, High Level Wellness. An Alternative To Doctors, Drugs, and Disease, Emmaus 1977,
S. 14; dt.: ders., Gesundheit fängt im Alltag an. Eine Alternative zu Ärzten, Medikamenten und Krankheiten, Schaafheim 1977.