Logik, Moral, Magie. - German Design Council

Transcription

Logik, Moral, Magie. - German Design Council
PERSÖNLICHKEIT . PERSONALITY – PHOENIX DESIGN
Logik, Moral, Magie.
Andreas Haug und Tom Schönherr über Phoenix Design. Ein Gespräch.
Logic, morality, magic.
Andreas Haug and Tom Schönherr in conversation on Phoenix Design.
18
PERSÖNLICHKEIT . PERSONALITY – PHOENIX DESIGN
Stuttgart-Bad Cannstatt, Kölner Strasse . Lokales Handwerk, Baumaschinenverleih, Schmuckgroßhandel, eine Würth-Niederlassung, die private Akademie für Kommunikation und – Phoenix Design. In dem kleinen Gewerbegebiet ist das Designbüro seit über zwanzig Jahren
ansässig. Der eher unspektakuläre Bau aus den 1980er Jahren offenbart dem Besucher erst später,
im Inneren, seine Vorzüge – die Dachterrasse mit charmantem Blick aufs Neckartal, die großzügige, mit
modernen CNC-Maschinen ausgestattete Modellbauwerkstatt oder die hellen Räume, die den insgesamt 30 Mitarbeitern eine angenehme Arbeitsatmosphäre bieten. Phoenix Design gilt vielen Kennern
als Deutschlands erfolgreichstes Designbüro, obwohl oder gerade weil sich dessen Gründer Andreas
Haug und Tom Schönherr nicht in den Vordergrund drängen, sondern schon immer die leisen Töne bevorzugen, gegen den zunehmenden Trend des Lauten.
Wir treffen uns am 16. September 2011, ein Freitag.
Wir sprechen darüber, was Design erfolgreich macht und damit gleichzeitig auch über den Erfolg von
Phoenix Design. Ein Gespräch über Logik, Moral und Magie.
AUTOR . AUTHOR
[ STEPHAN OTT ]
Kölner Strasse, Bad Cannstatt, nr. Stuttgart. We find ourselves sur-
rounded by local trades, a construction machine rental, a jewellery wholesaler, a Würth outlet, the private
Academy for Communication, and – Phoenix Design. The studio has been based in this small commercial estate for more than 20 years. Unspectacular from the outside, the 1980s building does not reveal
its real qualities until we step inside: The roof patio affords a charming view over the Neckar Valley,
the generously dimensioned model workshop features state-of-the-art CNC machines, and the bright
rooms provide a pleasant working environment for the overall 30 employees. Many experts regard
Phoenix Design as Germany’s most successful design studio, even though or perhaps precisely because
its founding members Andreas Haug and Tom Schönherr have always preferred subtlety over flashiness
in an attempt to counteract the growing trend of bold brashness.
Our interview was scheduled for
September 16, 2011, a Friday, and we talked about what makes design successful and in this sense also
about the success of Phoenix Design. A discussion about logic, morality and magic.
19
PERSÖNLICHKEIT . PERSONALITY – PHOENIX DESIGN
Phoenix ist Design Das Gestaltungscredo von Phoenix Design ist nicht zu übersehen.
Der Dreiklang Logik, Moral und Magie empfängt den Eintretenden in großen roten Lettern und begegnet
einem immer wieder. Wie lässt sich mit dieser Maxime der spezifische Gestaltungsansatz von Phoenix
Design erklären, und wie lässt sich auf diese Weise auch etwas über die Gründer erfahren? Gibt es, um
mit dem ersten Begriff anzufangen, eine Verbindung zwischen der Logik und dem Vogel Phoenix, der sich,
so der Mythos, immer wieder selbst hervorbringt und erneuert?
„Ein wesentlicher Aspekt ist, dass wir
immer versuchen, die Dinge in einen Kontext zu stellen. Wir entwerfen Produkte, die natürlich auch für
sich gesehen funktional und ästhetisch sind. Doch darüber hinaus bringen wir jeden Entwurf in einen
entsprechenden Zusammenhang. Mit Zusammenhang meinen wir beispielsweise, dass das Produkt zur
Marke passt und sich in ein Sortiment einfügt. Und auch, dass es, wie zum Beispiel ein Lichtschalter
oder eine Armatur, in Räumen installiert wird, in denen es sich jahrzehntelang bewähren muss und nicht
schnell wieder ausgetauscht wird – solche Dinge spielen für uns eine gewichtige Rolle“, erklärt Andreas
Haug. „Ein Produkt muss immer begründbar sein, man muss auf Anhieb erkennen, wozu es dient und wie
es funktioniert. Das ist ganz entscheidend. Heute sind Produkte häufig auch mit Funktionen überladen. Wir vertreten die Ansicht, dass es besser ist, die Dinge so zu gestalten, dass man sie auf Anhieb versteht und einfach handhaben kann. Eine Kamera sollte im Design etwas Allgemeingültiges und Archetypisches haben, sie sollte gut bedienbar sein und dann sollte man ihr auf den ersten Blick ansehen, aus
welchem Hause sie stammt beziehungsweise für welche Marke sie steht. Unser Design ist vom Ansatz
her komplex und integrativ, das heißt, es schließt auch das Interface Design und das Corporate Design
mit ein.“ Einem Ding sei wesentlich, Bestandteil eines Sachverhalts sein zu können,
befand einst Ludwig Wittgenstein in seiner „Logisch-philosophischen Abhandlung“. Phoenix Design
Phoenix is design Phoenix Design’s company motto can hardly be overlooked. The
triad of logic, morality and magic greets us in giant red letters as we enter the building, and many more
times thereafter. In what way does their philosophy illustrate Phoenix Design’s specific approach to
design, and what does it reveal about those who founded it? Beginning with the first concept, is there a
connection between logic and Phoenix, the bird that, according to legend, rises from its own ashes,
thus renewing itself perpetually? “A central aspect of our work is that we always seek to place things within a context. Obviously we design products that are functional and aesthetic in their own right. But we
equally strive to place each of our designs in its appropriate context. What we mean by this is that the product matches a particular brand and fits within a certain product range, for example. Also, once they
have been installed, items such as a light switch or a faucet will have to prove their worth in their given
surroundings and not be replaced again quickly – it’s things like these that matter for us,” explains
Andreas Haug. “A product always needs to have a reason behind it, it’s important that we immediately
grasp what it is for and how it works. This is absolutely essential. Products tend to have far too many
functions today. Which is why we favour the view that it is better to design items such that they can be
grasped immediately and are simple to use. Good camera design is about conveying universal and
archetypal qualities, a camera should be easy to operate and communicate at first sight where it was
produced or what brand it represents. Our approach to design is complex and integrative, in other
words, it equally includes interface design and corporate design.” If things can occur
in states of affairs, this possibility must be in them from the beginning, Ludwig Wittgenstein argued in
20
PERSÖNLICHKEIT . PERSONALITY – PHOENIX DESIGN
21
PERSÖNLICHKEIT . PERSONALITY – PHOENIX DESIGN
liefert – ohne theoretische Überfrachtung und ohne sich explizit auf einen Philosophen zu beziehen –
die praktische Übersetzung, indem das Büro vor allen Dingen die Sachverhalte genauer betrachtet.
Andreas Haug: „Wir beobachten mehr und mehr, dass auch größere Unternehmen mit dem Anliegen auf
uns zukommen, dass wir mit unserer Erfahrung und dem Blick von außen das Design und die Sortimente analysieren. Welche Stärken sehen wir, aber auch: welche Schwächen sind erkennbar? An dieser
Stelle setzen wir an: Stärken zu unterstützen und dort zu verbessern, wo wir Schwächen wahrnehmen.
Bevor ein konkretes Produkt entwickelt wird, passiert daher alles Entscheidende in der Konzept- und
Planungsphase. Dieser Prozess liegt jedem Produkt zugrunde, das wir entwerfen. Was hinterher so
aussieht, als sei es mit leichter Hand skizziert, ist in Wirklichkeit ein langwieriger, kreativer und intensiver Prozess, der sich sehr eng mit unseren Kunden vollzieht. Wir betrachten unsere Kunden als Partner und umgekehrt, auch das ist unerlässlich für ein erfolgreiches Design.“ Wie gewinnt
man aber mit diesem analytischen, strukturierten und beurteilenden Ansatz Unternehmen, die auch
mit anderen Designern arbeiten und von diesen mitunter ganz bewusst ein Autorendesign suchen, dem
Trend folgende Entwürfe erwarten? „Das ist überhaupt nicht schwierig“, ist Tom Schönherr überzeugt.
„Auch wir entwerfen ja Dinge, die signifikant sind und die sich, wenn sie auf den Markt kommen, deutlich unterscheiden. Nur entspringt das nicht der Idee als solcher, ein „lautes“ Design zu machen, sondern unsere Formensprache resultiert aus unserer Haltung und weil wir gefordert sind, neue Antworten
auf die Fragen in einer bestimmten Zeitströmung zu finden. Lassen Sie uns doch einmal Duravit anschauen, ein Unternehmen, das seit vielen Jahren zu unseren Stammkunden zählt. Vor etwa 20 Jahren
haben wir erlebt, dass sich das Bad wandelte – von einem reinen Funktionsraum zu einem Ort, der
mehr mit Wellness, individuellem Stil und Genuss zu tun hat. Die Bedürfnisse der Menschen fingen an,
his “Tractatus Logico-Philosophicus”. Phoenix Design puts this maxim into practice simply by studying
the given environment in detail – without theoretical overload or focusing explicitly on a particular
philosopher. Andreas Haug: “We are noticing more and more that even large companies approach us
with the request to analyse their design and product ranges using our experience and outside perspective. What strengths do we notice, but also: What are the weaknesses? This is where we come in. We promote their strengths and tackle the areas where there are weaknesses. All the essential decisions are
therefore made during the concept and planning phase, long before the actual product is designed. This
process forms the basis for each product we design. What eventually gives the impression of having
been sketched casually is in fact the result of a long, creative and intensive process that closely involves
our clients. We perceive our clients as partners as they do us, and that too is fundamental to making
successful design.” But with this analytical, structured and evaluating approach,
how do you win companies as clients that also work with other designers, at times quite deliberately
seeking a one-off design and expecting designs that follow a particular trend? “That’s no problem at all,”
Tom Schönherr says with conviction. “After all, we too design items that are significant and very distinguishable when they come to market. The only difference is that we do not set out with the intention of
creating “bold” designs; rather our formal vocabulary is informed by our attitude and the fact that we
have to find new answers to questions within a particular fashion. Let’s take a look at Duravit, a company
that has been a regular client of ours for many years. About 20 years ago the bathroom underwent a
change – morphing from somewhere solely expected to fulfil a certain function to a room that has more
22
PERSÖNLICHKEIT . PERSONALITY – PHOENIX DESIGN
sich zu ändern, sie wollten sich im Bad mit Dingen umgeben, die nicht mehr so rigide und funktional
wirken. Dies haben wir sehr früh wahrgenommen und mit unserem Design einen neuen, zukunftsweisenden Impuls gegeben. In den 1980er Jahren gab es entweder modern-dekorative oder rein architektonische Entwürfe; mit unserer Serie Caro für Duravit haben wir das architekturhafte, das ja auch schlicht
und dauerhaft ist, beibehalten. Wir haben die Frontseite des Waschbeckens aber sehr viel sinnlicher und
eleganter interpretiert. „Das war 1988, und Caro wird heute noch produziert“, fügt Andreas Haug an.
„Der Entwurf hat in die Zeit gepasst – aber auch in die Zeit danach.“ Allmählich, so scheint es, nähern
wir uns der Moral. Zuvor gilt es jedoch noch eine Frage zu klären, die sich bei jeder
Recherche zu Phoenix Design unweigerlich stellt. 2012 feiert Phoenix Design sein 25-jähriges Jubiläum.
Zwar gibt es eine gut gestaltete Firmenbroschüre, jedoch bis dato kein monografisches Werk, keine Publikation, das die Arbeit des erfolgreichen Büros dokumentierte oder dessen Geschichte erzählte. Verwunderlich in einer Zeit, in der – überspitzt gesagt – Designer bereits Bücher publizieren, bevor sie
überhaupt ein einziges Serienprodukt entworfen haben. Zwar habe man eine Buchidee schon öfter an
sie herangetragen, so Tom Schönherr, aber: „Ein Buch ist ja auch immer ein Abschluss. Da schreibt
man dann etwas fest.“ „Wir dachten, es sei zu früh“, ergänzt Andreas Haug. Das entbehrt, wen wundert es, nicht der Logik. Ein Abschluss lässt sich weder so recht mit dem Bild
des sich immer wieder erneuernden Phoenix vereinbaren noch mit einem Designansatz, der sich zum
Ziel gesetzt hat, Produkte zu entwerfen, die, siehe oben, „in die Zeit passen und in die Zeit danach“.
Eine Festschrift würde da schnell zu einer Festschreibung, und eine solche entspricht nicht der Logik
von Phoenix Design.
to do with wellness, individual style and pleasure. As people’s needs began to change, they wanted
things in the bathroom that seemed less rigid and functional. We identified this trend very early on and
helped through our design to advance it further. In the 1980s you did not find either modern, decorative or purely architectural designs; with our Caro series for Duravit we retained the architectural feel,
which is, after all, simple and enduring. But we gave the front of the washbasin a much more sensual
and elegant interpretation. “That was 1988, and Caro is still produced today,” adds Andreas Haug. “The
design was suitable for that time – but also for the time afterwards.” It would seem we are gradually
getting close to the moral. But before we do we have another question to ask,
which automatically arises in conjunction with research on Phoenix Design. In 2012 Phoenix Design celebrates its 25th anniversary. Admittedly, a well-designed company brochure does exist but so far there
has been no monograph, no publication documenting the work of the successful office or telling its
story. Surprising in a time when – putting it bluntly – designers publish books even before they have
designed a single series-produced item. There have often been suggestions for books, it is true explains Tom Schönherr, but: “There is always something final about a book. What you write has a definitive character.” “We thought it was too early,“ adds Andreas Haug. That is
not without a certain logic, which does not come as a huge surprise. This final quality is not easily reconcilable with the image of the Phoenix perpetually renewing itself or with a design approach where the
aim is to design products, which as mentioned earlier are “suitable for that time – but also for the time
afterwards.” A festschrift would quickly become too definitive, and that would not sit well with the logic
behind Phoenix Design. 23
PERSÖNLICHKEIT . PERSONALITY – PHOENIX DESIGN
24
PERSÖNLICHKEIT . PERSONALITY – PHOENIX DESIGN
Die Moral des Gegenstands. Die Moral gegen den Stand . Mitte der 1980er Jahre
stellt sich das deutsche Design äußerst disparat dar. Die antifunktionalistische Bewegung des Neuen
Deutschen Designs befindet sich auf dem Höhepunkt ihres Erfolges, auch wenn dieser eher kommunikativer denn wirtschaftlicher Natur ist. Die funktionalistische Moderne – über Jahrzehnte durch Unternehmen wie Braun oder Siemens verkörpert – hat zu dieser Zeit zumindest in Deutschland respektive
Europa einen schweren Stand. Zwei Ausstellungen der Zeit stehen symbolisch für diese beiden gegensätzlichen Designauffassungen. In Düsseldorf wird bereits 1986 mit der Ausstellung „Gefühlscollagen –
Wohnen von Sinnen“ dem zeitgenössischen Neuen Deutschen Design ein Denkmal gesetzt. Andererseits erinnert 1987 unter dem Titel „Die Moral der Gegenstände“ eine Ausstellung im Bauhaus Archiv
Berlin an die 1968 geschlossene Hochschule für Gestaltung Ulm, die neben dem Bauhaus bis heute
als ein Fixstern des Funktionalismus gilt. Andreas Haug und Tom Schönherr arbeiten – vor
der Gründung von Phoenix Design – gemeinsam in Altensteig (Schwarzwald) bei frogdesign; Andreas
Haug ist auch in der Geschäftsleitung. frogdesign ist zum damaligen Zeitpunkt eines der ganz wenigen
unabhängigen deutschen Designbüros mit internationalen, vor allem außereuropäischen Kunden wie
Sony und Apple. Es ist, so wie es sich für Haug und Schönherr darstellt, in dieser Zeit „einfach das beste
Designbüro gewesen“. 1987 folgt dann – nach einem gemeinsamen Segeltörn in der Karibik auf der
Yacht von Klaus Grohe, damals Kunde von frogdesign, die Gründung von Phoenix Design in Stuttgart.
Wie kann man nun über den reinen Funktionalismus hinausgehen, ohne diesen wie die Vertreter des
Neuen Deutschen Designs mitsamt der dazugehörigen Moral komplett über Bord zu werfen? Wie lässt
sich trotzdem – über die Gegenstände hinaus – die Moral Ulm’scher Prägung weiterentwickeln, ohne
von der Vergangenheit überholt zu werden? Wie beschreitet man also einen Mittelweg, der nicht das
The moral of objects. Morals against the grain of the object. German design in
the mid-1980s was extremely disparate. The anti-functionalist movement of New German Design was
at the height of its success even though it was more of a communicative than an economic nature. And
back then functionalist Modernism as embodied for decades by companies such as Braun or Siemens
had a hard time of it at least in Germany and Europe. You can identify two exhibitions from this period
that symbolise these two opposing design approaches. While in Düsseldorf as early as 1986 the exhibition “Gefühlscollagen – Wohnen von Sinnen” (Emotional Collages – Furniture Out of Its Senses) served
as a monument to New German Design, in 1987 a show in the Bauhaus Archives Berlin entitled “Die
Moral der Gegenstände” (The Moral of Objects) recalled the Ulm Design Academy closed in 1968, which
alongside the Bauhaus continues to be a fixed star of functionalism today. Prior to
establishing Phoenix Design Andreas Haug and Tom Schönherr both worked in Altensteig (Schwarzwald)
at frogdesign; Andreas Haug was also involved in the management. At the time frogdesign was one of
the few independent German design offices boasting international, and above all non-European customers such as Sony and Apple. From the perspective of Haug and Schönherr it was “simply the best
design office” at the time. Then in 1987 following a joint cruise in the Caribbean on a yacht belonging to
Klaus Grohe, then a frogdesign customer, Phoenix Design was set up in Stuttgart. How can you advance
beyond pure functionalism without throwing it and its morals overboard as did the advocates of New
German Design? How is it possible – beyond the objects themselves – to advance the morals of the
Ulm style without being overtaken by the past? In other words, how do you steer a middle course that
does not mean the end but combines the best of both worlds? The question about
25
PERSÖNLICHKEIT . PERSONALITY – PHOENIX DESIGN
Ende bedeutet, sondern das Beste beider Welten verbindet? Die Frage nach der Moral ist
schnell beantwortet. Tom Schönherr: „ Ich hatte ja vorhin schon in Zusammenhang mit Duravit gesagt,
dass wir nach einem Design streben, das dauerhaft ist. Langlebigkeit ist also ein Aspekt der Moral. Es ist
außerdem unser Anliegen, die Dinge immer noch besser zu machen, und, dass sie den Menschen im
Alltag ein gutes Gefühl geben. Unsere Produkte werden millionenfach produziert, beispielsweise unsere
Brausen für Hansgrohe. Daher fragen wir uns: Wie lässt sich Wasser sparen? Wie kann man den Verbrauch an Warmwasser effizienter gestalten? Doch das Spannende und Zukunftsweisende daran ist: es
soll den Nutzer nicht beeinträchtigen. Unsere Konzepte, die wir mit Hansgrohe entwickeln, sind so intelligent, dass man genussvoll verbrauchen kann und trotzdem nicht verschwendet. Design
ist, so der naheliegende Schluss, in der Lage, gegenwärtige Technologie in die Zukunft zu ziehen – ihr
im wahrsten Sinne langfristig Attraktivität zu verleihen. Die so verstandene Moral denkt nicht nur weit
über den eigentlichen Gegenstand hinaus, sondern übt auch Kritik am eigenen Stand, wenn Designer
das Potenzial ihrer Disziplin nicht nutzen oder mit kurzzeitigen Trends gar absichtlich ignorieren.
Magie ist keine Zauberei „Interessant war“, kommt Andreas Haug noch einmal
auf die damalige Krise des Funktionalismus zu sprechen, „dass Braun zu dieser Zeit begann, seine
Designphilosophie über Bord zu werfen. Somit ist ein Vakuum entstanden, das dazu führte, dass die
Asiaten das gemacht haben, was Braun bisher gemacht hatte. Und erst über diesen Umweg hat das
deutsche Design internationale Bedeutung gewonnen. Das war ja das Dilemma. Bei Braun hatten sie
gedacht, sie bewegen sich in eine Sackgasse, und in dem Moment hat sich eine neue Perspektive gezeigt. Das hat uns natürlich beeinflusst und angetrieben. Wir haben die zweifellos wertvollen Tugenden
des deutschen Designs – Zuverlässigkeit, Funktionalität und Qualität – immer in unser Design integ-
the morals is quickly answered. Tom Schönherr: “As I commented earlier in connection with Duravit, we
are striving to find an enduring design. In other words, longevity is one aspect of our morals. Moreover,
we are keen to continually improve things and want them to give the people that use them a good feeling. Our products are manufactured in their millions, take our showers for Hansgrohe. So we ask ourselves: How can you save water? How can you use warm water more efficiently? But the exciting and pioneering aspect is that the user should not feel deprived. The concepts we develop with are so intelligent that they allow pleasurable consumption without being wasteful. The obvious
conclusion to make is that design is capable of taking current technology into the future – lending it in
the truest sense of the word an enduring attraction. This kind of moral not only thinks way beyond the
actual product but also criticises its own profession if designers do not exploit the potential their discipline offers or deliberately ignore it by indulging in short-lived trends. Magic is not a sleight of hand “What was interesting,” comments Andreas Haug
returning to the crisis in functionalism is “that at this time Braun began to throw its design philosophy
overboard. This produced a vacuum, and resulted in the Asians then doing what Braun had done until
then. And it was only via this detour that German design gained international acclaim. That was the dilemma. People at Braun thought they had manoeuvred themselves into dead end and it was then that
a new prospect became apparent. Naturally, that influenced and motivated us. We have always integrated the doubtless valuable virtues of German design – reliability, functionality and quality – into our
design. But – and this brings us now to the magical aspect, we tried to allow a certain poetry and light-
26
PERSÖNLICHKEIT . PERSONALITY – PHOENIX DESIGN
riert. Aber – und damit kommen wir jetzt auch zum Magischen – wir haben versucht, in der Gestaltung
eine gewisse Poesie und Leichtigkeit mitschwingen zu lassen, man könnte das auch Emotion oder
Magie nennen.“ Tom Schönherr veranschaulicht dies am Beispiel der Fernseher: „Die
Asiaten gestalten diese Produkte zur Zeit extrem technisch. Sie versuchen, die Geräte ganz flach und
schmal zu machen und ihnen durch Materialitäten eine technische Wertigkeit zu geben. Sie berücksichtigen dabei nicht, dass ein Fernsehgerät ein Produkt für das Wohnumfeld ist und in der Regel an einem
zentralen Platz aufgestellt wird. Unser Ansatz ist dem entgegengesetzt: Wir sehen, dass das Produkt
wohnliche Qualitäten haben, eventuell auch repräsentativ wirken soll. Eine technische Anmutung ist
uns daher weniger wichtig als ein elegantes Erscheinungsbild. Außerdem stellen wir fest, dass die Menschen mit der Multifunktionalität von Geräten in der Regel überfordert sind, daher versuchen wir, diese
Komplexität zu reduzieren. Für die Loewe-Fernseher haben wir die wichtigsten Bedienfunktionen in ein
kreisrundes Element integriert, was auf Anhieb verständlich ist. Doch nun kommt eine weitere Herausforderung, die wieder auf einer anderen Ebene liegt: Wie gelingt es uns, nicht nur den Nutzer emotional
zu berühren, sondern auch ein Markenzeichen zu entwickeln, das die Werte eines Unternehmens widerspiegelt und ein Produkt als ein typisches Produkt für dieses Unternehmen erkennbar macht? Mit dem
Bedienelement für Loewe haben wir ein solches Markenzeichen geschaffen, es wird häufig das „magische Auge“ genannt, wir selber sprechen eher von einem Icon.“ Aber wo genau
liegt nun der Unterschied etwa zur Arbeitsweise eines Dieter Rams für Braun? „Rams war in einer anderen Situation“, ist sich Haug sicher. „Er hat hauptsächlich für einen einzigen Hersteller gearbeitet. Wir
dagegen arbeiten schon immer für viele unterschiedliche Firmen, und das ist eine ganz andere Arbeitsweise. Dieter Rams musste sich mit seinem Design für Braun nur auf eine spezielle Zielgruppe einstellen,
ness to resonate in the design, you could call it emotion or magic.” Tom Schönherr
illustrates the point using the television: “The Asians are currently giving these products an extremely
technical look. They are trying to make them really flat and narrow and give them a high technical quality by way of the materials used. But that does not take into account that a television is a product for
a home setting and is generally installed in a central position. We take the opposite approach: We recognise that the product has homely qualities, and should possibly also look presentable. This means an
elegant appearance is more important to us than a technical look. Moreover, we have realised that people often feel confused by multifunctional devices, so we are trying to make them less complicated.
For the Loewe television we integrated the most important operating functions into a circular element,
and this is immediately understandable. But now we face another challenge, which is on a different
level: How do we succeed not only to reach the consumer emotionally but also to develop a trademark
that reflects the values of a company and make a product instantly recognisable as a typical product
for this company? In this operating element for Loewe we have created such a trademark; it is often
called the “magic eye” but we prefer to talk of an icon.” So where exactly is the
difference between this approach and that of Dieter Rams for Braun? “Rams was in a different situation,”
says Haug with conviction. “He mainly worked for a single manufacturer. But we have always worked for
many different firms, and that is a totally different approach. With his design for Braun Dieter Rams
only had to cater to a special target group that Braun addressed. By contrast, our concern has been to appeal to different target groups. An approach that was very unpopular in design at the time. Back then
27
PERSÖNLICHKEIT . PERSONALITY – PHOENIX DESIGN
die Braun bedient hat. Unser Anliegen war es im Unterschied dazu, unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen. Ein Ansatz, der ja damals im Design völlig unpopulär war. Damals dachte man, man hat eine
gültige Formensprache, und damit wird man jetzt die Welt erobern und revolutionieren. Wenn man sich
aber in anderen Branchen umgeschaut hat, zum Beispiel in der Mode, war das schon lange nicht mehr
der Fall. In der Mode hatte man sich schon viel früher verschiedener Zielgruppen bedient. Diesen Ansatz
haben wir für unseren Bereich weiterentwickelt.“ Apropos Formensprache.
Waren nicht die Neuen Deutschen Designer auch immer auf der Suche nach genau dieser und gilt bis
heute in der Öffentlichkeit nicht derjenige Gestalter als erfolgreicher Autor, dem eine eindeutige Formensprache zuzuordnen ist? Tom Schönherr: „Es ist natürlich die Motivation der Autorendesigner, ihre
eigene Formensprache zu entwickeln. Damit stehen sie in der Öffentlichkeit ganz vorne. Deshalb ist
Luigi Colani heute wahrscheinlich immer noch der bekannteste deutsche Designer. Aber für die Entwicklung eines Corporate Designs oder eines Markendesigns eignet sich die eigene Formensprache nicht
und auch nicht für ein strategisches oder zielgruppenorientiertes Design.“
Stephan Ott arbeitet als freier Autor und Journalist mit dem Schwerpunkt Design für verschiedene Magazine, Verlage und Unternehmen.
Beim Rat für Formgebung verantwortet er den Bereich Editorial Services. Darüber hinaus lehrt er das Fach Textgestaltung an der Academy
of Visual Arts (AVA) in Frankfurt am Main.
people thought we have a valid design language and now we will go out and conquer and revolutionise
the world with it. But if you look around at other industries, say at fashion, then you realise this has not
been the case for a long time. In fashion they began catering to different target groups much earlier. We
advanced this approach for our own work.” Talking of design language. Was this not
precisely what the New German Designers were also always on the lookout for, and is it not so that those
designers who can be assigned a clear design language are considered by the general public to be the
most successful authors? Tom Schönherr: “Naturally, author designers are motivated by developing their
own design language. This gives them pride of place with the public. Which is why Luigi Colani is arguably still the best-known German designer today. But a personal formal language is not suitable for developing a corporate design, or a brand design, or for that matter strategic design or one catering to
target groups.”
Stephan Ott freelances as an author and journalist with a focus on design for various magazines, publishing houses and companies.
He is head of the Editorial Services section at the German Design Council and also teaches Text Design at the Academy of Visual Arts (AVA)
in Frankfurt/Main, Germany.
28
PERSÖNLICHKEIT . PERSONALITY – PHOENIX DESIGN
29