Weil ich es mir Wert bin.

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Weil ich es mir Wert bin.
© Reinhard Braun
Reinhard Braun
Weil ich es mir Wert bin.*
Spekulationen über visuelle Diskurse und Konsumkulturen
* "Because I'm worth it", Slogan von L'Oréal
Über das wechselseitige Verhältnis von Blicken, Blickregimes, Körpern, Identitäten, Apparaten und
sozio-ökonomischen Diskursen zu sprechen, erscheint gleichermaßen redundant wie notwendig. "if
the kids are united", eine kleine Fotostory im i-D Magazin vom Juli 2000 über eine der
schlechtesten Schulen Großbritanniens, die jetzt eine multiethnische Vorzeige-Kunst-Schule
geworden ist, braucht einen Stylisten und gibt eigentlich gerade mal den Subtext für das Listing der
Modelabels: "Marcel (13) wears Polo Sport body top and trousers; Carhartt polo; Nike trainers.
(...) Jan (14) wears Armani drawstring bottoms and jacket. (...) Mario (18) wears Aquascutum Tshirt and trousers; Holland & Holland jacket; Caterpillar loafers." Etc. etc. Selbstverständlich
handelt es sich um Werbung; aber wenn die Vereinigung der Kinder dieser Welt nurmehr auf der
Grundlage von Style und Styling inszeniert werden kann, wenn Rasse, Klasse und Geschlecht nichts
mehr sind gegen Nike, Caterpillar, Holland & Holland oder Carhartt, und wenn sich diese
Inszenierung dann noch den Anschein einer Fotodokumentation gibt, muss man doch wieder
beginnen, über Bilder, Repräsentationen und deren kulturelle Funktionsweisen nachzudenken.
Wir stehen also, wohl oder übel, vor der Notwendigkeit einer Reanimation von
Repräsentationskritik. Dabei kann es keinesfalls um die Rückkehr zu einem Repräsentationsbegriff
als Abbild- oder Korrespondenztheorie gehen, sondern, wie es W. J. T. Mitchell ausgedrückt hat,
um die "postlinguistische, postsemiotische Wiederentdeckung des Bildes als komplexes
Wechselspiel von Visualität, Apparat, Institution, Diskurs, Körpern und Figurativität." Und dieser
Repräsentationsbegriff findet sich in einem Spannungsfeld sozio-ökonomischer Entwicklungen
wieder, die nichts mehr mit einer Ästehtisierung des Alltags zu tun haben, vielmehr mit einer
durchgehenden Ökonomisierung privater, sozialer, kultureller und politischer Diskurse. Die letzte
Ausgabe des IQ style-Magazins brachte etwa sinnigerweise Modefotos, die uns zeigen sollen, wie
man sich cool für die Wiener Gemeinderatswahlen am 25. März 2001 anziehen kann: "Wählen
macht Spaß. Ganz besonders in dieser Kleidung: Blaues T-Shirt und brauner Rock von Berhart.
Rock, Tasche und Gürtle von H & M." Soviel zur Politisierung des Alltags.
In diesen Zusammenhängen der Inszenierung des Subjekts als Oberfläche wäre es zu kurz
gegriffen, Werbung, Fernsehen oder so etwas wie "Repräsentation" auf den Begriff des Bildes zu
reduzieren, selbst, wenn es dabei schliesslich immer noch um Fotografie geht. Es scheint vielmehr
angebracht, ein Feld des Sichtbaren, ein Feld der Sichtbarmachung zu skizzieren, Strategien der
Sichtbarmachung und Strategien, sich in diesem Feld von Sichtbarmachungen zu positionieren, in
Erscheinung zu treten – ein komplexes Wechselspiel von Visualität, Apparat, Institution, Diskurs
und Körpern. Um welche Diskurse und Institutionen könnte es sich aber handeln? Kaja Silverman
schrieb mit Bezug auf Roland Barthes davon, dass es eine grundlegende Erfahrung jedes Subjekts
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ist, als Bild zu erscheinen oder zum Vorschein gebracht zu werden. Demgegenüber lässt sich aber
seit langem schon die Notwendigkeit feststellen, als Style, als Waren-/Konsumformation in
Erscheinung zu treten. Das Wechselspiel von Diskursen und Visualität ist also zunehmend in
Konsumzusammenhänge eingespannt.
Es wird im folgenden darum gehen, einen Repräsentationsbegriff mit einem Begriff der Ware
und des Konsums in Zusammenhang zu bringen und, eher anekdotenhaft, zu zeigen, in welch
verschlungener Weise Konsum, Waren, Bilder und Repräsentationen aneinander gekoppelt sind.
Der Übergang zu einem veränderten Repräsentationsbegriff lässt sich am ehesten dadurch
anschaulich machen, indem man zugrundelegt, dass sich die wichtigen Fragen visueller Kultur nicht
mehr darum drehen, wie Bilder gemacht sind (was sie verbergen, in welcher Form sie auf
Wirklichkeit zugreifen und diese entstellen), sondern darum, wie Bilder funktionieren, durch welche
Funktionsmechanismen sie verbergen und entstellen. Im Wesentlichen drehen sich diese
Funktionsverschiebungen um neuartige performative Qualitäten, die Bilder als wesentliche Gelenke
in kulturellen Austauschverhältnissen befestigen, die nur als konsumistisch bezeichnet werden
können. Doch bei diesen Funktionsverschiebungen bleiben, wie immer, die Bilder selbst nicht
unbeeinflusst.
Es geht bei einem "Reanimieren" von Repräsentationskritik also am wenigsten um Fragen
nach Ästhetik oder gar einem kritischen Auflösen von Misrepräsentationen von Wirklichkeit, denn
"wirklich ist immer, was sich durch ein Repräsentationssystem generieren lässt." (Herta Wolf,
Michael Wetzel) Allerdings geht es bei dieser notwendigen Repräsentationskritik um die
Beziehungen zwischen Visualität und Repräsentation, Medialität und Identität, um Kämpfe um
Identität, Autonomie, Macht, es geht um die Öffnung kultureller, sozialer und politischer Räume,
um Handlungsfähigkeiten von Subjekten, Gruppen, Minderheiten und einem Massenpublikum,
Handlungsfähigkeiten, die sich entlang jener "vermischten Transformationen" herausbilden, "die von
der Koexistenz einer Vielzahl gleichzeitiger symbolischer Systeme gekennzeichnet sind" (Georg
Lipsitz), symbolische Systeme, die gleichermaßen auf Waren- wie auf Bildformen und -formationen
beruhen. "Und Vorstellungen schliesslich, die nur autonome, 'authentische' und nichtkommerzielle
Kultur als Wege zur Befreiung gelten lassen, verstehen nicht angemessen die Vielschichtigkeit von
Kultur und Kommerz in der zeitgenössischen Welt." (Georges Lipsitz)
"Waren transportieren mehr als ihren Gebrauchswert, auf der Reise durch unterschiedliche
kulturelle Kontexte verändern sie ihre Bedeutung, werden angeeignet und umgedeutet." (Gerorg
Lipsitz) In Anlehnung an den Begriff situiertes Wissen (Meaghan Morris) könnte man durchaus von
situierten Warenformen sprechen. "Es gibt einzig und allein konkrete Kontexte, in die globale
Produkte auf ganz bestimmte Weise Eingang finden" (Meaghan Morris) Der gar nicht virtuelle
Kampf um Repräsentationen ereignet sich also an der Bruchstelle zwischen lokalen Kontexten und
globalisierenden Produkt- und Konsumstrategien, im Spannungsfeld von Identitätsentwürfen und
einer Konsumökonomie als generalisierendem Trägersystem für kulturelle Werte. "Jedenfalls wird
die Frage der Identität verstärkt mit Konsumtion verknüpft. Waren sind darin nicht nur
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Gebrauchsgüter. Sie sind genauso symbolische Markierungen, die in verschiedenen Kombinationen
und Vorgehensweisen verwendet werden, um Identitäten zu definieren. Grenzen der Identität
werden zunehmend über symbolische Konsumtion markiert, verhandelt und verteidigt (...). (Gülsün
Karamustafa, Ayse Öncü)
Wir müssen also Warenkonsum, der mit der Produktion von Selbstentwürfen (Lifestyle,
Mode, Musik) gekoppelt ist, als eine zentrale Form kultureller Repräsentation ernst nehmen.
"Wenn zeitgenössische Kultur im Akt des Konsumierens gelebt wird, dann müssen sich
zeitgenössische kulturelle Werte auch im Konsumtionsprozeß verorten lassen." (Simon Frith) Wir
sprechen also über ein Netz, das kulturelle Praktiken, ihre Auswirkungen und soziale Gruppen
miteinander verbindet. Dieses Netz regelt schliesslich auch die Verteilung von Bedeutung und Sinn
innerhalb des sozialen Raumes. "Durch den Erwerb von Waren wird das Subjekt des Kaufs nicht
nur spezifiziert, sondern auch aktualisiert. (...) Kontingenz ist die Form der Identität, und Identität
ist inhaltlich durch den Vollzug einer Serie von Kaufakten bestimmt. (...), ein Desaster, das unseren
Namen trägt" (Brian Massumi) Im Rahmen dieser Repräsentationsmechanismen als ständiger
Vollzug und ständige Aktualisierung von Identität als Konsumereignis spielen selbstverständlich
Bilder eine zentrale Rolle. Die Produkte selbst sind vor allem Marketinginstrumente für die
Produktion von Lifestyle-Optionen und Sinnangeboten. Vermittelt werden diese psycho-sozialen
Effekte von Branding über detailliert geplante visuelle Strategien, über in Bilder, in Bildstrecken,
Clips und Mini-Erzählungen, Effekt/Image-Montagen usw. eingedampfte und verdichtete
symbolische Lebensentwürfe, die noch dazu mit diversen Kontext-/Subkultur-Transfers (Musik,
Sport, Film, Kunst) gekoppelt werden. Diese konsumistisch überformten Bildkulturen entziehen sich
dem Verdikt der Simulation oder Dissimulation, weil sie weniger abbilden als dass sie vielmehr so
etwas wie Repräsentation performen, zur Aufführung bringen, aktualisieren. Sie besitzen einen
eminenten Anrufungscharakter (Christian Höller) und stellen eine Kommunikationsform dar,
garantieren Anschlusskommunikationen und Aneignungsmöglichkeiten. "Über ältere Vorstellungen,
wie ein 'Image' konstruiert wird, geht das weit hinaus. Branding ist selbst eine 'Technologie', auch
eine 'Technologie des Selbst' (...)" (Tom Holert) Diese Technologien des Selbst haben aber längst
nicht mehr nur mit Darstellung zu tun, sie sind an Verhältnisse der Kommunikation von Sichtbarkeit
gekoppelt, an Beobachtungsverhältnisse.
Christian Metz sagt, dass wir überhaupt nur Subjekte sind, insofern wir an den
"Instanzen des Sichtbaren" teilhaben, Lacan spricht davon, dass jede Repräsentation durch
Blickregimes definiert ist und dass die Subjekte Projektionen, Konstrukte imaginärer
Einheiten sind. Alle Bilder, die wir uns von uns selbst und unseren Welten machen, sind also
immer schon von äußeren, externen Blickpunkten mitbestimmt, weshalb Flusser davon
sprechen konnte, dass wir in Funktion der Bilder leben, und Roland Barthes davon, dass wir
"nur als Bild erscheinen oder zum Vorschein gebracht werden".
Indem visuelle Medien die Organisation von Sichtbarkeiten bestimmen, in die wir als
Subjekte eingeschrieben sind (der Lacansche "Monitor"), sind wir immer schon Teil der Bilder und
deren Realität. Bisher wurde der dabei entscheidende externe Blickpunkt immer im
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Zusammenhang mit Diskursen der Repräsentation als Reproduktion von Macht (Kontrolle von
Ideologien) gesehen, von Jean Baudrillard interessanterweise mit dem Begriff der Verführung in
Richtung einer Komplizenschaft entworfen. Was nun, wenn sozusagen Warenformationen, wenn
diese spezifische Ordnung der Dinge als symbolisches Koordinatennetz, in das die Subjekte
verstrickt sind, diesen externen Blickpunkt eingenommen haben, und uns aus jenem "essentiellen
Versteck" (Michel Foucault) anblicken, das möglicherweise irgendwo in Shopping Malls und
Entertainment Parks situiert werden muss? (Nicht, dass dadurch die Frage der Macht irrelevant
würde, wie uns die Unterhaltungsindustrie glauben machen möchte – es geht aber um die
Verschiebungen innerhalb jenen Instanzen, die Norm und Abweichung definieren bzw. um die Frage
nach den Medien, denen diese primär Normativität eingeschrieben ist.)
"Ein wichtiges Moment der Relation zwischen Medien und Kultur scheint darin zu liegen,
dass in Medienverbundsystemen modernen Zuschnitts die Beobachtbarkeit von Kultur als
Programm in einer Weise gesteigert wird, wie dies im Verlauf der bisherigen Geschichte noch nie
der Fall war. (..) die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in Teilsysteme, die auf die Erfüllung
bestimmter Funktionen hin orientiert sind, führt zur Entwicklung eigener Teilkulturen in den sich
autonomisierenden sozialen Systemen. Während also die Kultur einer sich funktional
ausdifferenzierenden Gesellschaft als Ganze zunehmend unbeobachtbar wird, ist jedes einzelne
Detail innerhalb der Spezialkulturen in einem bisher unbekannten Maße beobachtbar geworden.
Damit büßt aber das Kulturprogramm seine gesamtgesellschaftliche Reproduktions- und
Kontrollfähigkeit partiell ein." (Siegfried Schmidt) – Die Beobachtbarkeit von Kultur ist grundsätzlich
entlang von Oberflächen organisiert: von der Malerei zum bewegten Bild, von Architektur zum
Fernsehen, vom Schaufenster zur Webcam, von der Passage zu Reality-TV geht es um Darstellung
und Darbrbingung (von Macht und Unterwerfung), um Affizierung und Verführung, um die Weckung
von Begehren und die Befriedigung von Lüsten. Der Siemens-Konzern bringt diese
Repräsentationszusammenhänge mit der Kampagne unter dem Titel "Befriedige deine Lust/Satisfy
Lust" sozusagen auf den Punkt postindustrieller und geradezu postsozialer Befindlichkeit.
Doch nicht nur die Ökonomisierung von Öffentlichkeiten, deren Transformation in halbprivate, pseudo-öffentliche Konsumumgebungen, d. h. eine Verkehrung von öffentlich und privat,
deutet darauf hin, dass diese "Öffentlichkeit" immer weniger wie eine Organisation von Räumen
funktionieren, denn als Organisation von Oberflächen und Bewegungen, als quasi filmische mise-enscéne der Konsumenten als Laiendarsteller, als grandioses konsumistisches Gesamtkunstwerk: der
Alltag als Event.
Der Slogan "Dress for the Moment" (New Yorker) deutet darauf hin, dass es quasi keine
Privatheit mehr gibt, dass jeder Augenblick auf ein Bild hin, auf einen Blick, eine Beobachtung hin
entworfen werden muss: ob in der Shopping Mall, beim Staubsaugen oder beim Aufwaschen, das
Subjekt bleibt eingespannt in Beobachtungsverhältnisse und liefert eine unausgesetzte soziale
Performance im Hinblick auf ein imaginiertes Bild. Die Bildwelten, die dabei konstruiert und zum
Vorschein gebracht werden, sind aber kaum mehr durch sozio-politische Normen, Einschränkungen
oder Überschreitungen definiert: die Instanzen des Sichtbaren formieren sich nicht um ethisch-
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kulturelle Ordnungen wie Gleichheit, Gleichberechtigung, Respekt, Toleranz, oder was es an
uncoolen Begriffen noch geben mag (und auch nicht an deren Gegenteil); sie formieren sich um
narzistisch-konsumistische Imperative: "Befriedige deine Lust!" Jetzt. Das Leben, wie es darin
entworfen wird, wird nicht durch politische Strategien und Handlungszusammenhänge, nicht durch
widerspenstige oder affirmative sozio-kulturelle Praktiken, Mikropolitiken oder dergleichen realisiert
oder gar radikalisiert, sondern durch "VIVA Zwei": Radikalisierung nicht durch Handlung, sondern
durch Erleben, durch ein Angeschlossen-Sein an und ein Genießen von Medienformaten. Das
kulturelle Subjekt ist zu einem Stillstand gekommen, es performen die Bilder, oder überhaupt die
Waren selbst, die sich an das Subjekt anlagern, abgestossen werden und neuen symbolischen
Markierungen Platz machen. Konsumobjekte als neue bewegte Bilder?
Diese Bildformationen als Schaltmomente innerhalb von Beobachtungs- und
Inszenierungsverhältnissen werden von den BetrachterInnen/KonsumentInnen dann folgerichtig
nicht primär im Hinblick auf Identifikationsmöglichkeiten gescannt, sondern in einer geradezu
komplizenhaften Weise als Rohstoff zur Konstruktion von Lebensentwürfen verwendet, angeeignet.
Sie funktionieren im Rahmen eines ziemlich umfangreichen Experiments mit kulturellen und sozialen
Rollen. "Ständig redefinieren die Gebrauchsweisen und Instrumentalisierungen von Bildern die
Verhältnisse der Sichtbarkeit." (Tom Holert) Der Brennpunkt dieser bildförmigen
Kommunikationsvehikel, als die man sie bezeichnen könnte, liegt nicht darauf, was sie darstellen
und zeigen (eine "adidas"-Kampagne hat folgerichtig völlig auf Sujets verzichtet), sondern im Hinblick
worauf sie verwertbar und konsumierbar sind, welche Repräsentations- und
Kommunikationsangebote sie machen, welche Repräsentationsmöglichkeiten ihnen eingeschrieben
oder einschreibbar sind, was sich an Technologien des Selbst anlagern lässt, kurz: welchen
Performancegehalt sie aufweisen. "Auf diesem Feld des Neuen fungieren Bilder diskurs- und
medienübergreifend als Kommunikationsbeschleuniger, als Evidenz-Maschinen." (Tom Holert)
Und selbstverständlich dreht es sich dabei auch um Kontroll- und Disziplinierungsstrategien.
"Nicht das im technischen Bild gezeigte, sondern das technische Bild selbst ist die Botschaft. Und
es ist eine sinngebende und imperative Botschaft." (Vilém Flusser) Branding ist ein Aufruf zur
Uniformität und Konformität, keine Frage. Aber als Technologie des Selbst, als Kontigenzmaschine,
die das Selbst temporalisiert, in Fluss hält und es gleichzeitig in der permanenten Konsumtion von
Identität und Subjektivität fixiert, etabliert sich "Branding" als Repräsentationsmedium für die
Konstruktion und Darstellung dieser Identität(en). Und gerade im Sinne der Teilhabe an Instanzen
des Sichtbaren, an den Imperativen des Medienuniversums, im Sinne eines Zum-Vorscheinkommen als Bildformation (Image), haben Waren Bilder zum Großteil abgelöst. Der neue Sneaker
wird sofort stolz präsentiert, währenddessen die Urlaubsbilder nurmehr für das Privatarchiv
aufgenommen werden – es sind längst nicht mehr Bilder allein, denen wir das Projekt unserer
Identitätsproduktion einschreiben; wichtige Vehikel für dieses Projekt sind Modeartikel und
Technogadgets geworden.
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Die Dinge als Waren sprechen für uns und strahlen ständig Botschaften in den soziokulturellen Raum ab. Das bedeutet eine ungeheure Temporalisierung von Alltagskultur: alles findet
hier und jetzt statt ("Dress for the Moment") – und wird nicht mehr durch Reflexion oder Distanz
organisiert und mit Bedeutung angereichert. In gewissem Sinn sind Bilder trotz Digitalisierung zu
langsam geworden.
Warum aber dieser Übergang vom Bild zum Konsumprodukt, von der Reflexion zur Gegenwart, von
der Reproduktion zum Experiment? Diesbezüglich gibt es sicher mehr Fragen als Antworten.
"Der Zusammenbruch aller möglichen Formen politischen Handelns befördert die Waren ins
Zentrum des gesellschaftlichen Lebens. (...) In dem Maß, in dem der rasche Kapitalfluß die einst
stabilen Strukturen und Identitäten unterspült und neue Netze und Kanäle hervorbringt, bekommen
kulturelle Fragen eine entscheidende politische Bedeutung." (George Lipsitz) Einen ähnlichen Befund
hatte Siegfried Schmidt im Sinne, als er vom Verlust der koordinierenden Funktion eines
verbindlichen gemeinsamen kulturellen Horizonts sprach.
Gerade weil wir über die Konstruiertheit von Medienbildern (ob Nachrichten oder Werbung)
bescheid wissen, bilden sie nicht mehr in dem Maße den Repräsentationshorizont für
Subjektentwürfe. Waren, und dabei vor allem Mode als herausragende kulturelle Produktivkraft des
Subjekts, das sich in der Konstruktion eines öffentlichen Körpers sozusagen als virtueller Stil in
Szene setzt, sind grundsätzlich gegenwärtig, von Präsenz erfüllt, aber auch flüchtig, austauschbar,
verbrauchbar, der Verfügung eines Subjekts (scheinbar) unterworfen. Es ist nicht mehr das
Subjekt, dass sich einem Bild, einem Image unterwirft, sich in dieses einschreibt, einer
"fotografischen Prägung" (Kaja Silverman) unterworfen, sondern es handhabt (scheinbar) souverän
den Umgang mit (Bild-) Objekten oder Handlungsformen, es rückt sich selbst sozusagen ins
Zentrum einer kulturellen Konstruktion, auch um den Preis, selbst zu einer Form der Ware zu
werden. "An die Stelle diverser Mythen vom 'Visuellen' tritt die Beobachtung gesellschaftlicher
Interaktionen, an denen Bilder beteiligt sind." (Tom Holert)
Reality-TV (RTV) erscheint unter diesen Voraussetzungen nicht primär als Medienphänomen,
sondern gerade als ein Konsumphänomen. RTV realisiert Optionen von Beobachtbarkeit und
Dramatisierung bzw. Funktionalisierung des Alltags, wie sie sich als soziologische Experimente im
Rahmen der skizzierten Identitätskonstruktionen etabliert haben. In neuartiger Radikalität sind diese
Blick-, Wahrnehmungs-, Beobachtungs- und Bildphänomene zu Waren- bzw. Konsumphänomenen
mutiert. Wir verkaufen uns täglich am Markt der Differenzen von Mode und Style, die nicht nur mit
Oberflächen (Kleidung) zu tun haben, sondern auch mit Verhaltens- und Informationsmustern. RTV
rückt diese Differenzstrategien in ganz offensichtliche ökonomische Verwertungszusammenhänge,
nicht zuletzt, weil es gerade darum geht: Geld zu verdienen auf einem Medienmarkt, der von
Medienkonvergez gekennzeichnet ist. Ein TV-Format repliziert dramaturgisch angereichert die
Ästhetiken der Live-Webcams, um nur ein Beispiel zu nennen. Fernsehen ist scheinbar nur mehr
denkbar als Segment einer umfassend angenommenen Netzkultur, die Bilder nicht auf ihre
Repräsentation hin taxiert, sondern im Hinblick auf ihren Funktionszusammenhang: irgendwie muss
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das IRL (In Real Life) auch im Netz zirkulieren, und irgendwie muss das IRL auch im Fernsehen
zurkulieren. Was aber ist das IRL anderes geworden als ein undurchdrigliches Dickicht aus
temporären Konstruktionen eines Selbstverständnisses, das auf das unausgesetzte Akkumulieren
von konsumistischen Evidenzmaschinen, d. h. auf Konsum als kultureller Performance, gegründet
ist, "ein Desaster, das unseren Namen trägt?
Doch was ist mit dieser Einschätzung einer gegenseitigen Trangression von Bildern und
Warenformationen gewonnen? Damit ist noch nicht einmal andeutungsweise geklärt, wie diese
neuartige Macht des Visuellen als Teil einer Konsumtechnologie des Selbst mit Gegenbildern (und
so etwas wie einer Gegentechnologie) konfrontiert werden könnte.
Literatur:
"Brainware im Strukturwandel", Interview mit Tom Holert von Krystian Woznicki, springerin – Hefte
für Gegenwartskunst, Band IV/Heft 4: "outside europe"
George Lipsitz, Dangerous Crossroads. Popmusik, Postmoderne und die Poesie des Lokalen,
hannibal Verlag 1999 (engl: Dangerous Crossroads, Verso: London 1999).
Siegfried J. Schmidt, Medien = Kultur?, Benteli: Bern 1994.
Herta Wolf, Michael Wetzel (Hg.), Der Entzug der Bilder. Visuelle Realitäten, Fink: München 1994.
"Es gibt keine Globalkultur", Interview mit Meaghan Morris von Chrstian Höller, springerin (Hg.),
Widerstände. Kunst – Cultural Studies – Neue Medien. Interviews und Aufsätze aus der Zeitschrift
springerin 1995 – 1999, Folio: Wien 1999.
Gülsün Karamustafa/Ayse Öncü, "Kofferökonomie", Justin Hoffmann, Marion von Osten (Hg.), Das
Phantom sucht seinen Mörder. Ein Reader zur Kulturalisierung der Ökonomie, b_books: Berlin
1999.
Simon Frith, "Das Gute, das Schlechte und das Mittelmäßige. Zur Verteidigung der Populärkultur
gegen den Populismus", Roger Bromley u. a. (Hg.), Cultural Studies, zu Klampen: Lüneburh 1999.
Brian Massumi, "Everywhere you want to be. Einführung in die Angst", Silvia Eiblmayr (Hg.), Zinen
der Ver-Störung / Zones of Disturbance, steirischer herbst, Graz 1997.
Kaja Silverman, "Dem Blickregime begegnen", Christian Kravagna (Hg.), Privileg Blick. Kritik der
visuellen Kultur, Edition ID-Archiv: Berlin 1997.
Vilém Flusser, Ins Universum der technischen Bilder, European Photography: Göttingen 1985.
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