Kostümfest
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Nr. 29 54 DIE ZEIT Leben DIE ZEIT S. 54 SCHWARZ magenta SASSER-WURMERFINDER VERURTEILT Und mein Sohn? Drei-Tage-Buch DIE ZEIT: Herr Beck, zurzeit geht in Deutschland alles ziemlich geschwind: Am 22. Mai kündigte Schröder Neuwahlen an, vier Wochen später erschien Ihr neues Buch Was zur Wahl steht. Wann haben Sie den letzten Satz geschrieben? Ulrich Beck: Am 30. Mai. ZEIT: 127 Seiten in acht Tagen? Beck: Nicht mal acht. Am Mittwoch nach der NRW-Wahl rief Herr Weiss von Suhrkamp an. Ich müsse ein Buch schreiben, alle meine Thesen bündeln – am Wochenende brauchten sie den Text. Ich war empört. Nach dem Gespräch habe ich nicht mehr an die Sache gedacht. In der Nacht auf Freitag lag ich wach. Ich merkte: Ich schreibe gerade das Buch. Ich habe mich nackt an den Schreibtisch gesetzt und Notizen gemacht. Freitag, Samstag und Sonntag habe ich durchgearbeitet. Montagmittag stand der letzte Satz. ZEIT: So viel Text in so kurzer Zeit – das ist schon aus mechanischer Sicht erstaunlich. Beck: Ich diktiere in ein Diktiergerät. ZEIT: Sie schreiben gar nicht, sondern reden. Beck: Ich gehe dabei im Zimmer herum. Allerdings setze ich mich immer wieder und mache Notizen, zum Teil sehr ausführliche. Es gab auch noch viel an der ersten Fassung zu tun. Das Band wurde unter der Woche abgetippt, und am zweiten Wochenende habe ich dann mit dem Lektor die Detailarbeit erledigt. ZEIT: In Ihrem Buch schreiben – oder sagen – Sie: Was eigentlich zur Wahl stünde, können wir gar nicht wählen. Beck: Die These lautet, dass wir nationale Probleme nicht mehr national lösen können. Es geht nicht um einen neuen Helden oder eine neue Heldin, Merkel statt Schröder, auch nicht um nationale Ideen wie eine Mehrwertsteuer-Erhöhung oder eine Reichensteuer. Nicht die 68er-Generation ist gescheitert, sondern – wieder einmal – die alte nationale Politik. ZEIT: Sie haben Schröder auch persönlich beraten. Hat er nicht zugehört? Beck: Doch, er hat eifrig Notizen gemacht. Aber dann ist nie etwas passiert. Schröder hat eine ungeheure Praxis, durch Erzählen von Anekdoten eine Schein-Intimität zu erzeugen. Alle geraten in sein Magnetfeld. Erschreckend war für mich, dass er die Worte, die die Regierung erfunden hatte, mit der Wirklichkeit gleichsetzte. Auch wenn ein »Juniorprofessor« nur ein Kollege ist, der weniger verdient. ZEIT: Sie greifen diese Worte an: so sprechen Sie von der »Lüge der Vollbeschäftigung«. Wäre Ihr Buch ein Wahlprogramm, Sie würden an der 5-Prozent-Hürde scheitern. Beck: 4,9 Prozent Leser wären schon nicht schlecht. Statt schneller Neuwahlen hätte Deutschland eine Denkpause nötig. Ulrich Beck ist Professor für Soziologie. Er forscht und lehrt in München und London Ins Schwarze Fortsetzung von Seite 53 Weinköniginnen servierten Frankenwein, und Hans Michelbach, der Landesvorsitzende der bayerischen Mittelstandsunion, hielt eine Rede, die eng an der Schiffsmetaphorik entlangschipperte. »Mit klarem Kurs und dynamischer Begleitmusik wollen wir ein neues Land erobern. Dazu haben wir eine neue Mannschaft mit Frau Kapitänin angeheuert.« Auf dem Achterdeck, bei der kubanischen Band, saß eine Frau, die Michelbach vermutlich als blinden Passagier bezeichnet hätte. Stoppeliges Hennahaar, Silberschmuck, Anfang 50. Sie erzählte, dass sie, als altlinke Schönebergerin, Südamerikareisende und so weiter lange gezögert habe, die angebotene Stelle als Sekretärin bei einem CDU-nahen Wirtschaftsverband anzunehmen. Fünf Jahre später lächelt sie über ihre eigenen Vorbehalte, die sie seit ihrer Studentenzeit (Philosophie, FU) mit sich herumgetragen hat: »Was früher als links galt: Das ist da voll reingeschwappt. Man isst vegetarisch. Man geht zum Psychologen. Das ganze Betroffenheitsgerede. Ich sage denen oft: Wisst ihr eigentlich, woher das kommt?« Reisepostkarte aus der schwarzen Republik: Ist Schwarz das neue Rot-Grün? Nicht einmal die intellektuelle Avantgarde scheint noch links zu stehen, wenn jetzt die ZEIT fragt, »Wer denkt für die CDU?«, antwortet der Christdemokrat Norbert Lammert in der nächsten Ausgabe keck: »Wir denken selbst.« Die Buchhandlungen sind plötzlich voller Bücher, die sich mit vermeintlichem Konservatismus befassen, Prinzen fordern Manieren, Erziehungsratgeber empfehlen, Kindern wieder Grenzen zu setzen. Ist das altbacken, oder geht es um die Zukunft? Kann es sein, »dass konservativ yellow Wochenschau Nr.29 14. Juli 2005 ULRICH BECK ÜBER DIE BUNDESTAGSWAHLEN Fotos: [M] Miguel Villagran/ap; Jim Rakete; Stefan Rousseau/dpa cyan Kostümfest Ulrich Wickert besucht Studenten der Uni Bonn, die wieder Talar tragen rüher hat der Student Ulrich Wickert hier oft gelegen. Vor der Bonner Uni hat er sich im Sommer mittags gesonnt und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Jetzt ist wieder ein sonniger Mittag, und Wickert ist zurückgekehrt. Diesmal hockt er auf einer Mauer an der Hofgartenwiese. Sein Blick schweift übers Grün, auf dem sich ein paar tausend Menschen versammelt haben, sie tragen Talare und Barette. Es ist die erste große Traditionsuni, an der der Abschluss wieder in Tracht gefeiert wird. Wickerts dunkelblauer Anzug sitzt auch in der Hocke picobello. Passanten schauen auf den Tagesthemen-Moderator und wundern sich, dass da plötzlich der sitzt, der ihnen gestern noch spät eine geruhsame Nacht gewünscht hat. »Hier«, sagt Wickert, »hier haben wir ein Feuer gemacht.« Irgendwann in den Sechzigern nach einer Fete. Die Flammen missfielen dem Uni-Hausmeister, der die Feuerwehr alarmierte. Als die sich anschickte, das Feuer zu löschen, waren Wickert und Kumpane wenig amüsiert. Sie fummelten so lange an den Schläuchen, bis die Feuerwehr die Polizei rief. Die wiederum legte sich derart heftig mit Wickerts Bande an, dass diese in der Woche drauf einen Verein gegen Übergriffe der Ordnungsmacht gründete. Heute sind wieder Studenten auf der Hofgartenwiese. Über 700 haben sich an diesem Samstag versammelt, aber niemand sieht aus, als wolle er demnächst einen Verein gegen irgendetwas gründen. Es sind eher die Braven, die da mit ihren Eltern gekommen sind, um sich in feierlicher Zeremonie eine Urkunde und einen Händedruck abzuholen. Das wirkt wie umgekehrte Einschulung. Heute ist es das wallende Gewand, das aufs Erinnerungsfoto muss. Links steht Mami, rechts der Papi, in der Mitte das verkleidete Kind. F sein kein Hängen an dem ist, was gestern war, sondern ein Leben aus dem, was immer gilt«, wie Alexander Gauland in seinem Buch Anleitung zum Konservativsein schreibt? Schon der Titel verrät, dass da etwas im Kommen ist. Aber wie wird es aussehen? Es gibt einen, von dem es heißt, er sei ein Mann von morgen. Philipp Mißfelder, 25, seit drei Jahren Vorsitzender der Jungen Union, bekannt geworden mit seinen Überlegungen zu der Frage, ab wann man Leuten eigentlich keine künstlichen Hüftgelenke mehr finanzieren sollte. Es heißt, dass die JU unter ihm wieder »konservativer« geworden sei – »aber was bedeutet das heute schon noch?«, fragt er. Es ist eine rhetorische Frage. »Man kann das ja nicht so messen. Natürlich, ein Ja zur Homoehe wird es bei mir nicht geben. Gleichzeitig sind mir Nachhaltigkeit wichtig und Menschenrechte.« Wir steigen in einen Leihwagen, auf dem Parkplatz des Düsseldorfer Flughafens schaltet er jetzt das Navigationssystem an, er bedient es blind, er ist ja ständig mit Mietautos unterwegs. Ziel: Die CDU-Zentrale in Recklinghausen, sein neuer Wahlkreis. Am Ende der Fahrt hat man jedenfalls eine Vorstellung davon, was das sein könnte, konservativ. Es ist weniger eine politische Position. Es ist eher ein Gefühl. Ein Geruch. Bei Mißfelder riecht es nach Weihrauch und doch wieder nach schweren deutschen Bratengerichten. »Ich habe es neulich schon auf Helmut Kohls 75. Geburtstag gesagt. Ich bin seinetwegen in der CDU.« Es geschah am Tag der Maueröffnung, er erinnert sich daran wie an eine romantische Begegnung. Er war elf und sollte eigentlich schlafen, aber dann rief die Mutter die beiden Söhne, die Mauer ist gefallen, ihr dürft noch Fernsehen schauen. Von da an war es um ihn geschehen. Wäre Helmut Kohl schon tot, könnte man Philipp Mißfelder als seine Reinkarnation bezeichnen. Er ist ähnlich groß, er ist mit 25 bereits etwas übergewichtig, und er redet sogar ein bisschen wie Helmut Kohl. Diese verschliffenen Silben. Als habe er Nr. 29 DIE ZEIT Vor dem Fest sind die Absolventen durch Bonn gelaufen und sahen dabei aus, als hätten sie den Zugang zum Bahnsteig Neundreiviertel nicht gefunden, zu jener geheimen Plattform, von wo aus der Zug in Harry Potters magisches Internat Hogwarts abfährt. Aber natürlich sind sie keine Zauberlehrlinge, sie haben – im Gegensatz zu rund 1400 anderen Bonner Absolventen – nur das Angebot angenommen, ihr Studium mit einem altmodisch anmutenden Festakt ausklingen zu lassen. Dem Studenten Wickert hätte man so etwas nicht anbieten dürfen. »Nie im Leben. Das hätte ich absolut schrecklich gefunden«, sagt er. Trotzdem soll er als Redner berichten vom Muff der 1000 Jahre, der früher unter den Talaren vermutet wurde, dort, wo heute die Absolventen ihre Fotohandys verstecken. Wickerts eigene Uni-Karriere endete lapidar. »Mit diesem Examen werde ich meine juristische Laufbahn beenden«, stand am Ende seines zur Prüfung eingereichten Lebenslaufes. Die Urkunde hat dann der Postbote zugestellt. Auch deshalb empfindet Wickert es als Ironie, dass nun ausgerechnet einer wie er solch eine Feier schmücken soll. Aber weil ihm Ironie als solche nicht fremd ist, erzählt er, wie mal bei einer Kriegsversehrten-Demo auf der Hofgartenwiese ein Plakat liegen blieb. Drauf stand der Imperativ »Schluss mit dem Unrecht«. Das hat sich der junge Wickert gegriffen und künftig auf allen Demonstrationen hochgehalten. Heute ist auch ein Student mit einem Plakat da. Er hat sich am Ende der Feier auf der Hofgartenwiese postiert, auf der einst Hunderttausende gegen die Nachrüstung laut wurden. Verloren steht er mitten im Gewühl der fortstrebenden Talarträger und verteilt Zettel, die niemand will. Gegen Studiengebühren protestiert er. Er wirkt allein. Sehr allein. HANS HOFF all diese Wörter schon hunderttausendmal gesagt: Bunzvortzender, Traunzbweis … »Es heißt auch immer, Kohl könne nicht zuhören. Wenn ich ein Anliegen habe, dann nimmt er sich das sehr zu Herzen.« Kohl war auf Mißfelders 25. Geburtstag, und Mißfelder war auf Kohls 75. Geburtstag (oder war es umgekehrt?). Einmal rief Kohl an, er sei in Berlin, ob sie sich sehen könnten. Aber da war Mißfelder schon mit seinen Eltern und seinem Bruder verabredet. Als Kohl mitbekam, dass er sie für ihn verschieben wollte, habe er gesagt: Nein. Die Familie geht vor. Und ihm einen neuen Termin gegeben. Man könnte denken, Missfelder ist ein einsamer Kohl-Freak, so wie es zu anderen Zeiten Jesus-Freaks gab. Aber die JU ist, obwohl die Zahl ihrer Mitglieder auf 130 000 gesunken ist, die größte politische Nachwuchsorganisation in Europa. Im Herbst wurde Mißfelder mit 85 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Beim letzten »Deutschlandtag« der JU sangen die Delegierten: »Wir haben ein Idol: Helmut Kohl.« Das Navigationssystem empfiehlt einer Kehrwendung in 200 Metern. Missfelder sagt: »So, das mach ich jetzt einfach aus.« Da sind wir schon in Recklinghausen, die CDUZentrale ist im Erdgeschoss eines Fünfziger-JahreMehrfamilienhauses aus Backstein. Die Glastür hat einen Steinwurf abgekriegt, aber das ist bestimmt schon lange her. Am Abend geht Mißfelder dann mit ein paar Leuten von der JU noch auf ein Weinfest auf dem Marktplatz von Recklinghausen. Etwas stehen lehnen zwei Mitglieder Anfang zwanzig, ein Blonder und ein Dunkelhaariger, und betrinken sich. »Was mir dieses Land gegeben hat: Freiheit. Wohlstand«, sagte der Dunkelhaarige in abgeschnittener Militärhose, in weinseliger Nostalgie, die man sonst nur von Exilanten kennt. »Ich will nicht, dass dieses Land untergeht.« Sein Freund, der sich später als Neffe des Bürgermeisters von Recklinghausen vorstellen wird, fügt S. 54 SCHWARZ Wahrscheinlich wird es irgendwann klingeln, und das FBI, der Mossad, der Bundesnachrichtendienst und 124 Anwälte der US-Regierung stehen vor der Tür. Sie werden was von Viren murmeln, und dann wird der Vater ahnungslos stammeln, dass er kerngesund sei, zurzeit absolut virenfrei, nicht zum Mars wolle, Würmer auch nicht möge, und – »ich schwöre« – noch nie in seinem Leben etwas mit der Nasa zu tun gehabt habe. Dann tritt Paul aus seinem Zimmer. Schlaftrunken erst, dann verlegen grinsend, dann wird er »Oh, shit« sagen. Und das ist dann der Moment, in dem der Vater bereut, Pauls Aktivitäten am Computer nicht genauer beobachtet zu haben. »Das wird teuer«, knurrt der Mann vom Bundesnachrichtendienst. Paul ist 17. So alt wie der Erfinder des Sasser-Wurms, der vergangene Woche verurteilt wurde. Paul hat einen Computer. Wie der Sasser-Bube. Anfangs, da war Paul noch 14, hatte der Vater halb scherzhaft, halb mahnend gesagt, dass die Jungs beim Surfen im Internet trotz aller Erregung kühlen Kopf behalten sollen. Das war, als Pubertist Paul und irgendein Mitpubertist blitzschnell Klick machten, wenn der Vater nach kurzem Anklopfen unverhofft ins Zimmer trat. Klick machte es, und die Pornoseite war weg. Dann hatte sich Paul kurzes Anklopfen und unverhofftes Eintreten verbeten. Auch schlief der Vater meist, wenn Paul surfte. Surfte er? Oder leitete er gerade per Mausklick die Marssonde zur Venus? Tauschte den weltweit verfügbaren Dollarbestand in indische Rupien um? Schickte er, der gute Junge, Regen in darbende Dürrezonen? Hockte nächtens in Pauls Zimmer Gott vor dem Monitor und dirigierte vom ersten Stock eines Berliner Mietshauses die Welt nach seinem Gusto um? Man weiß es nicht als früh geborener Computerlaie, aber was der Sasser-Bub vermag, kann doch auch Paul vermögen. Wenn Sasser die Weltbank liquidiert, kann das doch auch Paul. Paul Almighty. Einen Computer, eine Maus, viel mehr braucht es wohl nicht, nur noch die diebische Freude an Streichen. Was tut man als Vater, wenn man nicht weiß, wo sich der Sohn gerade einloggt? Schwitzen. Was anderes bleibt nicht. Oder man nutzt die Energie positiv. Wenn das eigene Fleisch und Blut schon die Fähigkeit dazu hat, warum korrigiert es dann nicht den eigenen Kontostand? Für jugendliche Hacker ist es doch gewiss kein Problem, Zugang zur Bank zu bekommen. Oder ins Lottosystem, auf dass es nachträglich abgegebene Tipps anerkennt. Die Frage nach der Moral hat der Computer mit seinem unmoralischen Angebot schon selbst beantwortet. Also, Paul, ans Werke. An der Tür klingelt es. Draußen stehen 97 Anwälte der Lottogesellschaft. »Das wird teuer«, knurrt der Staatsanwalt. »Oh, shit«, sagt der Vater. HELMUT SCHÜMANN hinzu: »Was in Deutschland fehlt, ist einfach die Einstellung der Leute, etwas zu tun. Ob das jetzt Pfadfinder sind oder die Freiwillige Feuerwehr oder die Kirche.« Vielleicht ist es so: Früher machten sich idealistische junge Leute Sorgen um die Erde. Oder um die Dritte Welt. Heute machen sie sich Sorgen um ihr Land, um sich selbst. Das klingt manchmal ein bisschen komisch. »Das Ehrenamt ist in Deutschland sehr wenig angesehen«, sagte der Dunkelhaarige. Und später, aber da hat er schon Mühe, die Silben in die richtige Reihenfolge zu bringen: »Es ist eine nichtrassistische Vaterlandsliebe.« Es ist zwei Uhr nachts, Früher sorgten sich Idealisten um die Erde. Heute sorgen sie sich um ihr Land Philipp Mißfelder ist schon weg, er übernachtet bei seinen Eltern in Bochum. Familie ist wichtig, das sagt Helmut Kohl auch immer. Außerdem muss er am nächsten Tag früh aufstehen, Sonntagsgottesdienst. Wenn man junge Konservative fragt, was sie eigentlich gemeinsam haben, dann sagen sie wie aus der Pistole: Das christliche Menschenbild. Aber was soll das heißen? Eigenverantwortung. Weniger Staat. Aber auch »den Schwachen« nicht vergessen, ihn »stützen«, ihm »aufhelfen«. Das läuft auf eine bestimmte Wirtschaftspolitik hinaus, der auch viele Halblinke zurzeit nicht widersprechen würden. Aber sonst? cyan magenta yellow Geschichten, die das Leben schrieb In der ZEIT Nr. 24/05 berichtete Susanne Wiborg über ihren Kampf gegen den Giersch. Jeden Sommer stellt sie sich dem »klassischen Aggressor« in ihrem Blumenbeet. Ein Gartenfreund unter unseren Lesern bekundete sein Mitgefühl und riet ihr, Gift auf die Hecke zu sprayen. Ein anderer empfahl, den großblättrigen Storchschnabel zu pflanzen. Der verdränge den Giersch. Ein Dritter schlug vor, die Beete einfach mit alten Zeitungen zu bedecken. Susanne Wiborg meldet derweil einen Etappensieg aus ihrem Garten. Der Giersch sei zurückgedrängt, eine weitere Ausbreitung fürs Erste verhindert. Doch letztlich müsse man lernen, sich mit dem Kraut zu arrangieren. Oder, wie ihr ein Leser schrieb: Den Kampf gegen die Natur werde sie immer verlieren. ARD-KORRUPTIONSAFFÄRE Auf den Versen In der Korruptionsaffäre um den ARDReporter Jürgen Emig wird auch gegen Wilfried Mohren ermittelt. Er ist Sportchef des Mitteldeutschen Rundfunks und, das konnte man lesen, kann sich auf den Verdacht »keinen Reim« (Süddeutsche Zeitung) machen. Wir schon. Herr Emig moderierte einst die Tour de France, so sanft war seine Stimme, wir lauschten ihr in Trance. Und auch Herr Mohren ist uns aus Wimbledon noch gut in unsern Ohren. Nun ein Verdacht! Bestechlichkeit! Vorbei ist jede Heiterkeit. Es scheint, es trifft die halbe ARD, vielleicht tut es dann nicht ganz so weh. Es heißt, sie hätten Geld kassiert, fürs Übertragen von Randsportarten, wie Tanzen oder Friedensfahrten So’n Sport, bei dem nicht viel passiert. Nun sind die beiden stumm. Auch nicht ganz dumm. Vielleicht haben die am Rand einen klareren Blick auf die Partei. Letzter Versuch. Die Leute vom Arbeitskreis Lesben und Schwule in der Union gehören nicht selbstverständlich zur CDU, nur in Berlin sind sie bislang offiziell anerkannt. Vor ein paar Jahren mussten sie sich auf dem Christopher Street Day noch von anderen Schwulen und Lesben beschimpfen lassen (Verrat an der Sache, Teufelspartei, pathologischer Selbsthass). Umgekehrt ist es ihnen auch schon passiert, dass bei schwul-lesbischen Stadtfesten Rentner am Stand mit den vertrauten drei Buchstaben Halt suchten – um festzustellen, dass jetzt sogar ihre CDU homo geworden war. Wieder Vorwürfe (Verrat an der natürlichen Ordnung Gottes, abnormal). Trotzdem stehen sie an diesem Tag auf dem lesbisch-schwulen Stadtfest in Berlin-Schöneberg und verteilen Broschüren für eine Partei, die nicht will, dass sie Kinder adoptieren können, und die gegen eine Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der Ehe ist. Ihr Einsatz für die CDU hat ein bisschen was von einer amour fou – vielleicht können sie deshalb am besten erklären, was die Konservativen trotzdem so anziehend macht. Sie sagen dann so Sachen wie Wirtschaftspolitik … bürgerliche Herkunft … die innere Sicherheit … Angela Merkel. Nur ein Wort hört man nicht, das Wort schwul. »Meine Eltern wählen eher grün«, sagt Jan Kayser, 29, Landesvorsitzender der LSU Berlin, Rechtsreferendar, Jura, klar. »Mein Outing war am Telefon und hat fünf Minuten gedauert. Meine Mutter ist danach zur Kampfhenne für die schwule Sache geworden, und mein Vater hat die monatliche Unterstützung erhöht.« Und dann sagt er diesen einen Satz, der auch von Mißfelder stammen könnte oder von Hildegard Müller, wenn sie über die Angriffe der alten Herren spricht, er sagt: »Ich bin einfach wirklich kein Opfer. Von unten: Das ist einfach nicht die Perspektive, aus der ich die Welt sehe.« Vielleicht ist es das.