Prof. Dr. Frank Maschmann
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Prof. Dr. Frank Maschmann „Corporate Compliance und deutsches Arbeitsrecht“ I. Begriff Compliance – ein neuer Anglizismus, der seit fünf Jahren die deutsche Rechtssprache bereichert – bedeutet in direkter Übersetzung soviel wie „Einhaltung, Befolgung, Übereinstimmung“. Gemeint ist damit die Einhaltung von Regeln, und wenn es sich bei diesen Regeln um Gesetze handelt, könnte man ganz einfach von „Gesetzestreue“ sprechen. Gesetzestreue ist ein Wert an sich. „Ehrlich währt am längsten“ weiß der Volksmund und empfiehlt: „Üb‘ immer Treu und Redlichkeit“. Freilich steht es mit der Gesetzestreue in vielen Unternehmen nicht zum Besten. Abgesehen davon, dass niemand mehr alle Vorschriften kennt, geschweige denn versteht, wird auch ganz bewusst gegen das Gesetz verstoßen: „Der Ehrliche ist der Dumme“, „Die Konkurrenz schläft nicht“, „Das Geschäft geht vor“, heißt es dann. Das geht solange gut, bis etwas passiert. Dann droht die Haftung. Die Beteiligten werden straf- und zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen, die Firmen müssen Schadensersatz und Bußgelder zahlen und stehen als Gesetzesbrecher medienwirksam am Pranger. All dies zu verhindern, ist Aufgabe von Compliance. „Haftungsvermeidung durch Rechtstreue“ so könnte man es auf den Punkt bringen oder – wie es ein amerikanischer Anwalt jüngst im Branchenblatt JUVE formulierte: „die Kunst der Unternehmensjuristen, dem Vorstand den Knast zu ersparen“1. Compliance umfasst die Gesamtheit vorbeugender Maßnahmen im Unternehmen, um rechtmäßiges Verhalten der Organmitglieder und der Mitarbeiter zu gewährleisten2. Was das verlangt und wer verpflichtet ist, möchte ich Ihnen nun im Folgenden darlegen. 1 2 Zit. Nach Hauschka, ZRP 2006, 258. U. Schneider, ZIP 2003, 645, 646. -2II. Rechtspflicht zur Compliance? Dass Maßnahmen zur Compliance im wohlverstandenen Eigeninteresse des Unternehmens liegen können, versteht sich von selbst. Aber gibt es auch eine Rechtspflicht, solche Maßnahmen zu ergreifen und wenn ja, für wen? Verbreitet ist die Ansicht, dass nur große Unternehmen gezwungen sind, Compliance zu betreiben, und dass der kleine Mittelständler die Hände ruhig in den Schoß legen kann. Das stimmt nur bedingt, wie wir gleich sehen werden. Eine eindeutige Aussage fällt schwer, weil die Compliance-Debatte erst am Anfang steht und bisweilen nicht absehbar ist, wohin die Reise geht. Rechtsvorschriften in diesem Gebiet sind rar und eher kryptisch formuliert, verlässliche Judikate fehlen. Die Unsicherheit ist groß, der Beratungsbedarf immens. Und deshalb verwundert es kaum, dass große Anwaltskanzleien – die internationalen Law-Firms – hier ein lukratives Beschäftigungsfeld für sich entdeckt haben. 1. Aktiengesellschaften Beschränken wir uns auf das deutsche Recht und lassen den Sarbanes-Oxley-Act einmal außer Betracht, der nur für Unternehmen gilt, die in den USA an einer Börse notiert sind. Nach § 91 Abs. 2 AktienG hat der Vorstand einer Aktiengesellschaft geeignete Maßnahmen zu treffen, um Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen, die den Fortbestand der Gesellschaft gefährden können. Hierzu hat er insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten. Wenn man in Rechnung stellt, dass Haftungsrisiken sehr schnell die Existenz eines Unternehmens bedrohen können – denken Sie etwa an die exorbitant hohen Bußgelder bei Kartellverstößen oder an massive Schadensersatzforderungen in Produkt- und Umwelthaftungsfällen, künftig vielleicht auch in Diskriminierungsfällen – lässt sich in der Tat eine Verpflichtung zur Compliance bejahen. Wie diese zu erfüllen ist, lässt die Vorschrift aber offen; sie verlangt nur „geeignete Maßnahmen“3. Für an deutschen Börsen notierte Gesellschaften gilt der Corporate Governance Kodex. Seit 2007 schreibt er vor, dass der Vorstand für die Einhaltung der gesetz3 Diese umzusetzen, fällt in die Organisationsfreiheit des Vorstands, vgl. Schneider, ZIP 2003, 649. -3lichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen hat und dass er auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hinwirkt (Ziff. 4.1.3 des Kodex). Mit Abgabe der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG ist der Vorstand zur Compliance verpflichtet und wird dafür in Haftung genommen. Übrigens auch der Aufsichtsrat, der angehalten ist, einen Prüfungsausschuss einzurichten, der sich insbesondere mit Fragen der Compliance beschäftigen soll (Ziff. 5.3.2 Kodex)4. 2. Sonstige Unternehmen Eine Vorschrift, die für alle Unternehmen gilt, ist der § 130 OWiG. Danach macht sich bußgeldpflichtig, wer als Betriebsinhaber die Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten im Betrieb zu verhindern. Von Compliance ist zwar in § 130 nicht die Rede, wohl aber davon, dass die Verantwortlichen Aufsichtspersonal sorgfältig auswählen, anleiten und überwachen müssen. All das gilt – wie gesagt – nicht nur für das börsennotierte Konzernunternehmen, sondern auch für den kleinen Mittelständler. Von „Hände in den Schoß“ legen, kann also nicht ernsthaft die Rede sein. Das gilt auch für das neue Antidiskriminierungsrecht. Hier verpflichtet § 12 AGG den Arbeitgeber die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierungen zu ergreifen. Der Arbeitgeber hat in geeigneter Art und Weise auf die Unzulässigkeit von Benachteiligungen hinzuweisen und darauf hinzuwirken, dass sie unterbleiben. Ich erspare mir die Aufzählung ähnlich klingender Vorschriften, insbesondere aus dem Arbeitssicherheitsrecht und dem Umweltrecht5 und ziehe ein kurzes Fazit: Compliance geht jedes Unternehmen an, freilich nicht überall im selben Umfang. 3. „Freiwillige Compliance“ 4 5 Welche Maßnahmen im Einzelnen zu ergreifen sind, sagt der Kodex aber nicht, sondern lässt den Unternehmen freie Hand. Nach § 52a Abs. 2 BImSchG hat der Betreiber einer genehmigungsbedürftigen Anlage der zuständigen Behörde mitzuteilen, auf welche Weise sichergestellt ist, dass die dem Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen und vor sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen dienenden Vorschriften und Anordnungen beim Betrieb beachtet werden. -4Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass man sich auch freiwillig zur Compliance verpflichten kann, etwa durch Klauseln in den AGBs von Kunden. Auch manche Bank macht die Kreditgewährung davon abhängig, dass sich der Schuldner zur Compliance bekennt und Maßnahmen zur Gesetzestreue ergreift. Solange hierbei nichts Unangemessenes verlangt wird, ist gegen solche Klauseln nichts zu beanstanden6. III. Inhalt von Compliance-Maßnahmen 1. Rechtsunsicherheit Damit kommen wir zur zentralen Frage: Was verlangt Compliance eigentlich konkret? Diese Frage kann Ihnen niemand beantworten – höchstens die Gerichte, aber deren Antwort kommt für die meisten leider zu spät, nämlich erst dann, wenn etwas passiert ist, was durch gehörige Sorgfalt hätte vermieden werden können. Dass konkrete Compliance-Gesetze fehlen, mag man aus Gründen der Rechtssicherheit bedauern. Ob aber wirklich viel gewonnen ist, wenn die Ministerialbürokratie vom grünen Tisch aus en Detail verordnet, was zu tun und was zu lassen ist, ist nicht gesagt. Derzeit probieren Unternehmen verschiedene Konzepte aus und sammeln Erfahrung. Freilich kostet dieses „trial and error“-Spiel Zeit, Geld und Nerven, wie zuletzt die Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz gezeigt hat, die nach einer Studie der Universität Duisburg 1,7 Mrd. Euro gekostet hat. Mag sein, dass am Ende der neuen Compliance-Debatte ein Kodex ähnlich dem Corporate Governance-Kodex steht, der zumindest eine gewisse Orientierung bietet. Soweit sind wir aber noch nicht, und es ist wenig wahrscheinlich, dass ein solcher Kodex konkrete Verhaltenspflichten enthalten würde: zu unterschiedlich sind die Unternehmen, Branchen und Haftungsrisiken. 2. Mindestanforderungen nach geltendem Recht Wer sich einen Überblick über Mindestanforderungen an Compliance verschaffen will, kann in die einschlägige Kommentarliteratur zu § 130 OWiG und § 823 6 Zu entsprechenden Klauseln Gilch, CCZ 2008, 131. -5BGB schauen. Das Rad neu erfinden, wird auch die Compliance-Debatte nicht. Entscheidend für die Aufsichtspflichten nach geltendem Recht sind die Art, die Größe und die Organisation des Betriebs, die unterschiedlichen Überwachungsmöglichkeiten, aber auch die Vielfalt und die Bedeutung der zu beachtenden Vorschriften und der Umstand, ob in der Vergangenheit schon einmal dagegen verstoßen wurde7. Allgemein gesprochen sind nur solche Maßnahmen zu ergreifen, mit denen sich betriebsbezogene Verstöße mit hoher Wahrscheinlichkeit unterbinden lassen8. Stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, die einen Pflichtenverstoß gleich gut verhindern, darf das mildeste Mittel gewählt werden9. Die dem Betriebsinhaber angesonnenen Maßnahmen müssen objektiv zumutbar sein10. Ziel ist weder eine Aufsicht um der Aufsicht willen noch die Verhinderung von Pflichtverletzungen um jeden Preis11. Umgekehrt setzt die Aufsichtspflicht nicht erst dann ein, wenn einzelne Stichproben Missstände zutage gefördert haben12. Unzumutbar sind bürokratische Maßnahmen, deren praktische Umsetzung lebensfremd ist, die unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen, den Betriebsfrieden unzumutbar stören13 oder die von den Betriebsangehörigen als schikanös oder entwürdigend empfunden werden. Von diesen Grundsätzen ausgehend lassen sich mit Rogall14 folgende fünf Einzelpflichten ableiten: 1. Der Aufsichtspflichtige hat zunächst für eine sorgfältige Auswahl seiner Vertragspartner und ggf. von Aufsichtspersonen zu sorgen. 2. Sodann ist er verpflichtet, eine sachgerechte Organisation und Aufgabenverteilung vorzunehmen. 3. Die Vertragspartner sind angemessen über ihre Aufgaben zu unterrichten und 7 8 9 10 11 12 13 14 OLG Düsseldorf wistra 1999, 115, 116; OLG Zweibrücken NStZ-RR 1998, 311 f.; OLG Köln wistra 1994, 315. KK-OWiG/Rogall, § 130 Rn. 43. KK-OWiG/Rogall, § 130 Rn. 48 mwN. Göhler, § 130 OWiG Rn. 22; Otto, Jura 1998, 414. KK-OWiG/Rogall, § 130 Rn. 49 mwN. OLG Stuttgart NJW 1977, 1410. OLG Frankfurt VRS 56, 109, 111; KK-OWiG/Rogall, § 130 Rn. 49. KK-OWiG/Rogall, § 130 Rn. 40. -6über ihre Pflichten zu belehren. 4. Ferner bedarf es einer ausreichenden Überwachung und Kontrolle der Vertragspartner. 5. Schließlich ist der Aufsichtspflichtige gehalten, gegen Verstöße einzuschreiten, wobei ggf. Sanktionen anzudrohen und auch zu verhängen sind. 3. Compliance-Maßnahmen nach der Literatur Diese von der Rechtsprechung und Literatur entwickelten Minimalanforderungen – die wohlgemerkt für jeden Betrieb und jedes Unternehmen gelten – decken sich größtenteils mit dem, was in den Lehr- und Handbüchern zur Corporate Compliance verlangt wird. a) Bekenntnis der Unternehmensführung zur Compliance Am Anfang muss das klare Bekenntnis der Firmenleitung stehen, es mit der Compliance Ernst zu meinen, d.h. Rechtsverstöße in keinem Falle zu dulden, sondern konsequent zu verfolgen. Im Zweifel muss die Moral vor dem Profit rangieren. Wo eine Unternehmensleitung nicht einmal das akzeptieren kann, ist Compliance vergebliche Liebesmüh. Haftungsfreizeichnung mittels „ComplianceBürokratie“ gibt es nicht. Im Gegenteil. Eine nur vorgeschobene ComplianceOrganisation wird regelmäßig als Zeichen besonderer krimineller Energie gewertet. Deshalb müssen den frommen Absichtsbekundungen – neudeutsch: dem „Compliance-Commitment“ – der Unternehmensleitung auch Taten folgen: Compliance-Verstöße müssen für die Betroffenen disziplinarische Konsequenzen haben. „Null Toleranz“ heißt das Gebot der Stunde. 2. Compliance-Organisation Compliance bedarf darüber hinaus gehöriger Organisation, d.h. eindeutig bestimmter Zuständigkeiten sowie personeller und materieller Ausstattung. Ob es einen Compliance-Officer, einen Ombudsmann, eine Telefonhotline usw. geben muss, oder ob der Firmensyndikus die Compliance im Nebenamt miterledigen kann, richtet sich nach der Größe, der Branche und den Risiken, denen ein Unter- -7nehmen ausgesetzt ist. Die Compliance-Funktion sollte jedenfalls fachlich unabhängig sein und sich nur gegenüber der Geschäftsleitung verantworten müssen. Die Geschäftsleitung selbst darf das Thema Compliance nicht vollständig delegieren. Zumindest eines der Mitglieder muss sich damit verantwortlich befassen. Sodann gilt es, sich einen Überblick über die einzuhaltenden nationalen, europäischen und ausländischen Rechtsvorschriften zu verschaffen und sich auf dem Laufenden über die Änderungen zu halten. Kennt oder versteht der Betriebsinhaber die einschlägigen Vorschriften selbst nicht genau, muss er sich kundig machen und Experten einschalten15. Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. 3. Unterrichtung und Anleitung der Belegschaft a) Grundsätze nach geltendem Recht Im nächsten Schritt gilt es, die für einschlägig erkannten Vorschriften an die Mitarbeiter zu kommunizieren. Die Belehrung, dass die „geltenden Rechtsvorschriften“ einzuhalten sind oder dass die Verletzung von (Straf-)Gesetzen nicht geduldet wird, genügt nach der Rechtsprechung ebenso wenig wie die schriftliche Bestätigung, dass die Mitarbeiter die für ihren Wirkungsbereich geltenden Regeln kennen16. Erforderlich ist vielmehr eine laufende Unterrichtung über die gesetzlichen Vorschriften, deren Beachtung im jeweiligen Betrieb erforderlich ist17. Das kann durch Broschüren, Aushänge, Rundschreiben, Intranet, E-Mails, und bei regelmäßig durchzuführenden Abteilungsbesprechungen erfolgen18. Die Unterrichtung muss richtig, vollständig und unmissverständlich erfolgen19. Allerdings dürfen auch hier die Pflichten nicht überspannt werden. Der Arbeitgeber darf davon ausgehen, dass Buchhalter, Facharbeiter oder sonst mit ihrer Tätigkeit vertraute Personen die für ihren Wirkungskreis geltenden Vorschriften kennen20. Erst recht gilt das, wenn externe Fachunternehmen beauftragt werden21. 15 16 17 18 19 20 21 Dazu BayObLG wistra 2001, 479. KK-OWiG/Rogall, § 130 Rn. 57. Leube, wistra 1987, 41, 45; Wirtz, WuW 2001, 343. Hauschka, DB 2006, 1146. MünchKomm/Wagner, § 831 Rn. 35 mwN. KK-OWiG/Rogall, § 130 Rn. MünchKomm/Wagner, § 823 Rn. 294 mwN. -8Ob und inwieweit darüber hinausgehende Schulungsmaßnahmen erforderlich sind, hängt vom Einzelfall ab. Am Markt erhältlich sind beispielsweise computergestützte Trainingsprogramme zum Kartellrecht und zum Antidiskriminierungsrecht22. Wichtig ist dabei immer der Nachweis, dass die Information auch tatsächlich bei den Mitarbeitern angekommen ist. Ohne gewissenhafte Dokumentation aller Maßnahmen kann in einem Haftungsfall kaum der Beweis sorgfältigen Handelns erbracht werden. Das bedeutet Bürokratie. b) Ethik-Richtlinien aa) Begriff und Bedeutung In vielen Fällen mündet die Befassung mit dem legislatorischen Umfeld in der Aufstellung firmeninterner Verhaltenskodizes, sogenannter „Ethik-Richtlinien“. Ihre US-amerikanische Herkunft zeigt sich bereits in der Terminologie. Von „Code of Conduct“, ist die Rede von „Business Conduct Guidelines“ oder „Corporate Principles“. Ihr Ziel ist es, die Mitarbeiter auf die einschlägigen Rechtsvorschriften „einzuschwören“. Folgerichtig beginnen die meisten Richtlinien mit einem klaren Statement: „Unser Unternehmen verhält sich rechtstreu. Das erwarten wir auch von unseren Mitarbeitern und Geschäftspartnern“. Was dann folgt, variiert von Firma zu Firma. Zum Teil bleibt es bei allgemeinen Regeln, die sich wie schlichte Programmsätze lesen, zum Teil erfolgen dezidierte Handlungsanweisungen. Sie betreffen den Umgang mit Kunden und Lieferanten, aber auch das Verhalten gegenüber Behörden und Amtsträgern: „Nicht Bestechen, nicht betrügen, ehrlich bleiben, keine Geschenke annehmen“. Auch die Vergabe von Firmenaufträgen wird Restriktionen unterworfen, etwa dass keine Aufträge an nahe Angehörige erteilt werden dürfen. Fast jede Ethikrichtlinie enthält Vorgaben zum Umgang mit betrieblichem Eigentum, manche regeln sogar das Verhalten der Mitarbeiter untereinander und verbieten Diskriminierungen und Belästigungen. Berühmt-berüchtigt ist die Ethik-Richtlinie der Firma Wal-Mart, die – allerdings erfolglos – Liebesbeziehungen der (nicht verheirateten) Mitarbeiter verbieten wollte. Auch Verschwiegenheitspflichten sind in Ethikrichtlinien üblich, manche enthalten umgekehrt Anzeigepflichten und Whistleblowerklauseln. Zum Schluss 22 Hauschka, DB 2006, 1146. -9schärfen die meisten Ethikrichtlinien den Mitarbeitern nochmals ein, dass Verstöße gegen den Kodex nicht geduldet, sondern zivil- und strafrechtlich verfolgt werden. Ob Ethik-Richtlinien wirklich helfen, ist schwer zu sagen. Die Amerikaner jedenfalls schwören darauf, die Deutschen finden sie eher lästig. Soweit ersichtlich, haben Ethik-Richtlinien bislang weder Korruption noch Bilanzmanipulationen verhindern können, und doch gehören sie heute zum Standard: nicht nur bei den DAX-Unternehmen, sondern auch im Mittelstand. Aus der Fülle der Fragen möchte ich zwei herausgreifen: Besteht eine Rechtspflicht zur Einführung von Ethik-Richtlinien und wie sollte das am besten geschehen? bb) Rechtspflicht zur Einführung. Nach deutschem Recht besteht keine generelle Pflicht zur Schaffung eines Verhaltenskodex. Freilich kann der Arbeitgeber mit Ethik-Richtlinien einen Beitrag zur Erfüllung seiner Aufsichtspflichten leisten; wohl gemerkt nur einen Beitrag. Denn die Einführung der Richtlinien für sich allein genügt nicht, um einer straf- und zivilrechtlichen Haftung zu entgehen; sie müssen auch befolgt werden. Das verlangt Unterrichtung, vielleicht auch Schulungsmaßnahmen und Auffrischungskurse, und natürlich Überwachung und Durchsetzung. Börsennotierte Unternehmen in Deutschland verpflichtet der Corporate Governance Kodex seit 2007 mittelbar zur Einführung von Richtlinien, wenn er vom Vorstand verlangt, nicht nur für die Einhaltung der Gesetze, sondern auch für die Beachtung der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen. Strenger ist nur der Sarbanes-Oxley Act (SOX), der für die an den US Börsen notierten Unternehmen ausdrücklich die Einführung eines „Code of Ethics“ vorsieht23. 23 Dieser braucht aber kein umfassender Ethikkodex zu sein; gefordert wird nur ein redliches und an den Grundsätzen der Unternehmensethik orientiertes Verhalten sowie die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften. Strenger ist allerdings der „Listed Company Manual“ (LCM) vom November 2003, der in Sec. 303.A10 die betroffenen Unternehmen zur Einführung und Veröffentlichung eines „Code of Business Conduct und Ethics“ für sämtliche Mitarbeiter verlangt, dessen Inhalt durch die amtliche Kommentierung konkretisiert wird. Es sollen insbesondere Interessenkonflikte und die besondere Vorteilsziehung aus der Position des Mitarbeiters unterbunden, ein faires Geschäftsgebaren gepflegt, das Unternehmens- - 10 cc) Implementation Damit kommen wir zu zweiten, zur arbeitsrechtlichen Frage, nämlich der nach dem geeigneten Regelungsinstrument für Ethik-Richtlinien. Sie lässt sich leider nicht pauschal beantworten. Vielmehr ist für jede Ethik-Bestimmung im Einzelfall zu klären, wie sie sich verbindlich machen lässt. Am leichtesten hat es der Arbeitgeber bei Bestimmungen mit lediglich informatorischem Gehalt. Das können z. B. Hinweise auf gesetzliche Bestimmungen sein. Sie lassen sich jederzeit im Wortlaut wiedergeben und sind schon deshalb verbindlich, weil es das Gesetz so will. Viele weitere Inhalte kann der Arbeitgeber einseitig im Wege des Direktionsrechts bestimmen. Dieses ermöglicht bekanntlich nicht nur Anordnungen zu Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung, sondern auch zum arbeitsbegleitenden Verhalten (vgl. § 106 Satz 2 GewO). Das Direktionsrecht erlaubt Anweisungen im Einzelfall, aber auch den Erlass abstrakt-genereller Richtlinien, mit denen gleichgelagerte Sachverhalte einheitlich geregelt werden sollen. Vom Direktionsrecht gedeckt wären etwa Bestimmungen zum ethisch korrekten Verhalten gegenüber Kunden und Lieferanten, Regeln zu Medienkontakten, zum sorgfältigen Umgang mit dem Arbeitgebereigentum und zur Nutzung der IT-Anlagen. Kraft Direktionsrecht lassen sich auch zahlreiche Nebenpflichten konkretisierend nachzeichnen. Das können Regelungen zur Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, zu Verschwiegenheits- und Anzeigepflichten und zum Verbot von Nebentätigkeiten sein. Die Grenze ist erreicht, wo der Privatbereich des Mitarbeiters beginnt. Regelungen zum außerdienstlichen Verhalten werden sich nur ganz ausnahmsweise treffen lassen. Im Regelfall sind sie selbst dann nicht zulässig, wenn sich der Mitarbeiter damit ausdrücklich einverstanden erklärt. Das trifft beispielsweise für Wohlverhaltens-Klauseln zu, die auch für die Freizeit gelten sollen oder das Verbot von Liebesbeziehungen unter nicht verheirateten Betriebsangehörigen. vermögen geschützt, zur Einhaltung der Gesetze und sonstiger Vorschriften aufgerufen sowie Verstöße dagegen gemeldet werden. Der Kodex muss sämtliche Mitarbeiter verpflichten. Sofern ausländische Unternehmen von diesen Vorgaben abweichen, müssen sie dies veröffentlichen. - 11 - Regelungen, zu denen der Arbeitgeber das ausdrückliche Einverständnis seiner Arbeitnehmer benötigt, betreffen die Privatnutzung der betrieblichen Telekommunikationseinrichtungen, vor allem des Internets. Will hier der Arbeitgeber privates Mailen zulassen, sich aber Kontrollbefugnisse vorbehalten, benötigt er das von jedem Mitarbeiter individuell erteilte Einverständnis, da es um die Einschränkung des Fernmeldegeheimnisses geht24. Eine Betriebsvereinbarung genügt hierfür nicht. Für alle anderen Fragen erscheint mir die Betriebsvereinbarung als das günstigste Instrument, zumal die meisten Regeln ohnehin der Mitbestimmung unterliegen, und es wenig tunlich ist, den Kodex in Bestimmungen aufzuteilen, die mit dem Betriebsrat abgestimmt sind und solchen, die sein Plazet nicht erfordern. Freilich hat das BAG in seiner Entscheidung vom 22. Juli diesen Jahres25 festgestellt, dass die Frage der Mitbestimmung sich nicht pauschal beantworten lässt, sondern bei jeder Kodex-Regel im Einzelnen geprüft werden muss – ein für die Praxis sicher viel zu umständliches Verfahren. Der Vorteil der Betriebsvereinbarung besteht auf jeden Fall darin, eine Richtlinie wieder ändern zu können, was bei Richtlinien, die in den Arbeitsvertrag aufgenommen wurden, kaum zu bewerkstelligen sein dürfte. Dem stehen die üblichen Probleme gegenüber, vor allem die Pflicht, mit dem Betriebsrat Konsens zu suchen. Ganz nebenbei: natürlich hat der Betriebsrat bei Fragen der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auch ein Initiativrecht. Er darf den Arbeitgeber also mit besonders guten Vorschlägen beglücken –zB der Forderung nach einem „Tag der Ethik-Richtlinie“, an dem die gesamte Mannschaft in Sachen Gesetzestreue geschult wird – und darf zur Not dafür auch die Einigungsstelle anrufen. Dass die allgemeinen Regelungsgrenzen für Betriebsvereinbarungen eingehalten werden müssen, versteht sich von selbst. Was dem Arbeitgeber an Regelungen kraft Direktionsrecht verboten ist, wird nicht dadurch erlaubt, dass der Betriebsrat 24 25 Eine solche IT-Nutzungsregelung lässt sich deshalb auch nicht per Betriebsvereinbarung einführen. Zwar hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht, wenn der Arbeitgeber den Gebrauch seiner Betriebsmittel regeln will, so dass die Betriebsvereinbarung in der Tat als Mittel der Wahl zur Erfüllung der mitbestimmungsrechtlichen Pflichten in Betracht kommt, nicht aber, wenn es um den Verzicht auf Persönlichkeitsrechte geht. Darauf kann der Betriebsrat nicht kollektiv verzichten. BAG 22.7.2008, 1 ABR 40/07 Pressemeldung 58/08. - 12 sein Einverständnis hierfür gibt. Auch die Betriebsparteien haben die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer zu wahren und dürfen niemand diskriminieren. dd) Sanktionen bei Kodex-Verstößen Abschließend noch ein Wort zu möglichen Sanktionen, wenn Arbeitnehmer den Kodex nicht beachten. Regelmäßig enthalten die Richtlinien die Bestimmung, dass Regelverstöße mit allen Mitteln bis hin zur Kündigung verfolgt werden. Die Ankündigung als solche ist möglich, erspart im Regelfall aber nicht die Abmahnung. Diese muss dem Arbeitnehmer den Pflichtverstoß in einem konkreten Einzelfall vor Augen führen. Nur wo der Verstoß so massiv ist, dass der Mitarbeiter nicht ernsthaft mit einer Duldung rechnen kann, kann sie unterbleiben, sowie dann, wenn die Fortsetzung des Arbeitsvertrags für den Arbeitgeber unter keinen Umständen zumutbar ist. Kein Grund für eine Sanktion, erst recht nicht für eine Kündigung, dürfte gegeben sein, wenn sich der Arbeitnehmer weigert, die Richtlinien zur Kenntnis zu nehmen, oder mit seiner Unterschrift zu bekräftigen. Eine Nebenpflicht zur Abgabe entsprechender „Treueschwüre“ wird man nur dann anerkennen können, wenn der Arbeitgeber auf solche Erklärungen zwingend angewiesen ist, etwa weil ein Geschäftspartner oder das ausländische Recht darauf bestehen. 4. Whistle-Blowing a) Begriff und Bedeutung Die Mitarbeiter auf Gesetzestreue einzuschwören ist das eine. Regelverstöße rechtzeitig zur Kenntnis zu nehmen, ist das andere. Formelle und informelle „Berichtslinien“ im Unternehmen einzuführen, gehört daher ebenfalls zu guter Compliance26. Es gilt, die in vielen Firmen anzutreffende Lehmschicht zu durchdringen, bei der Informationen von der Basis nicht nach oben gelangen. Derartige Informationsbarrieren werden in den USA durch „Whistleblowing“ beseitigt. Diesen Begriff mit „verpfeifen“ zu übersetzen, verfehlt den Sinn, weil die englische Bedeutung keinen negativen Beiklang wie im Deutschen hat, sondern schlicht die 26 Hauschka, DB 2006, 1146. - 13 Anzeige eines rechtswidrigen Zustands meint27, so wie ein Schiedsrichter bei einem Regelverstoß ein Spiel „abpfeift“. „Whistleblower“ sind nichts anderes als betriebsinterne Informanten28. Ohne sie blieben die meisten Rechtsverstöße unentdeckt: sei es, dass sich Mitarbeiter an Stellen innerhalb des Betriebs wenden: an Vorgesetzte und Kollegen, an die Belegschaftsvertretungen oder firmeninterne Hotlines, sei es, dass sie Verstöße extern anzeigen: bei Umweltbehörden, Finanzämtern, Polizei, Staatsanwaltschaft oder Rundfunk und Presse29. Unter dem Aspekt der Compliance ist wiederum fraglich, ob eine Rechtspflicht zur Einrichtung eines Hinweisgeber-Systems besteht und ob es konkrete Vorgaben für dessen Ausgestaltung gibt. b) Rechtspflicht zur Einführung von Hinweisgeber-Systemen In den USA müssen Unternehmen in der Tat Systeme zur Anzeige von Fehlverhalten einrichten, wenn sie an den dortigen Börsen gelistet sind, allerdings auf Verstöße im Bereich Rechnungslegung und Abschlussprüfung beschränkt. Details zur Ausgestaltung sind nicht geregelt. Bestimmt ist nur, dass das Anzeigeverfahren sämtlichen Mitarbeitern offenstehen muss und dass Anzeigen auch anonym möglich sein müssen30. Im deutschen Recht gibt es bislang nichts Vergleichbares. In einigen Spezialvorschriften sind Anzeigerechte geregelt – wir kommen darauf zurück –; eine Pflicht zur Einrichtung von Anzeigesystemen besteht nicht; sie ergibt sich auch nicht aus den straf- und zivilrechtlichen Generalklauseln über die Aufsichtspflicht. c) Ausgestaltung von Hinweisgeber-Systemen Bei der Ausgestaltung eines Hinweisgebersystems stellen sich zahlreiche Fragen: 27 28 29 30 Freilich herrscht auch in der amerikanischen Literatur Streit über den juristischen Begriffsinhalt. Eine eng gefasste Definition geben z.B. Miceli/Near, Labour Law (1992), S. 15: „The disclosure by organisation members... of illegal, immoral, or illegitimate practices under the control of their employers to persons or organisations that may be able to effect action”. Müller, NZA 2002, 424 (426). Graser, Whistleblowing (2000), S.4; Müller, NZA 2002, 424 (426). Vgl. § 301 SOX. Eine ähnliche Regelung enthält § 406, dessen Ausführungsbestimmungen ebenfalls die Einrichtung eines Meldesystems vorschreiben, über das Verstöße gegen den Ethik-Kodex angezeigt werden können; s. Marhold, „Global Whistle“ oder „deutsche Pfeife“ – Whistleblowing-Systeme im Jurisdiktionskonflikt, NZA 2008, 737, 740. - 14 aa) Hotline oder Ombudsmann Soll man eine Hotline schalten oder lieber einen externen Ombudsmann beauftragen? Hotlines verdienen häufig ihren Namen nicht. In der Praxis werden sie nur selten in Anspruch genommen, weil die Hinweisgeber um die Vertraulichkeit ihrer Angaben fürchten und häufig gar nicht wissen, wo die Hotlines aufgeschaltet sind. Die Erfahrungen der Firmen mit Ombudsleuten sind durchweg besser31. Ihnen wird Vertrauen geschenkt, nicht zuletzt wegen des persönlichen Kontakts, der häufig entsteht, und weil sich die Hinweisgeber dort aussprechen können – nicht selten sind sie ja selbst in strafbare Handlungen verwickelt –; viele Ombudsleute sind Rechtsanwälte und unterliegen damit der Schweigepflicht. Zumeist erledigt sich mit ihrer Einschaltung auch das Problem der anonymen Hinweise. Diese sind unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes besonders problematisch und sollten nur in Ausnahmefällen akzeptiert werden. Wer wirklich etwas vorzubringen hat, kann seinen Namen nennen, wenn ihm Vertraulichkeit zugesichert wird und er auf diese Zusage – eben wie bei einem Ombudsmann – auch wirklich vertrauen kann32. bb) Pflicht zur Befassung mit dem Hinweis und Schutz des Angezeigten Zwei weitere Punkte scheinen mir überdies noch wichtig. Zum einen muss sichergestellt sein, dass der Hinweis nicht im Sande verläuft, sondern sich das Unternehmen wirklich mit dem Vorbringen befasst. Gerade dies wird von vielen Hinweisgebern moniert. Im Antidiskriminierungsrecht ist die Befassung mit einer Mitarbeiter-Beschwerde ausdrücklich zu einer Rechtspflicht erhoben worden. Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 AGG ist der Arbeitgeber gehalten, die Beschwerde zu prüfen und das Ergebnis mitzuteilen. Freilich bedeutet das keinen Anspruch auf unbedingte Erfüllung des vom Arbeitnehmer Verlangten, wohl aber 31 32 Vgl. den instruktiven Erfahrungsbericht von Bucher, CCZ 2008, 148 ff. Ein weiteres Problem ist, ob man in einem Whistle-Blower-System sämtliche Regelverstöße melden können soll oder nur ganz bestimmte, z.B. solche aus dem Bereich „Finanzen“ oder Hinweise über korrupte Praktiken. Viel spricht dafür, nur wirklich „Dickschiffe“ melden zu lassen und die Übertretungen des täglichen Lebens, die Kavaliersdelikte des Alltags auf dem direkten Dienstweg, d.h. zwischen Mitarbeiter und seiner Führungskraft zu bereinigen. Freilich ist die Grenzziehung oft heikel und sollte – schon aufgrund des Informationsflusses, den man ja erst einmal in Gang setzen muss –, nicht engherzig betrieben werden. Vergessen wir bei allem nicht die Belegschaftsvertretungen und die verschiedenen Beauftragten im Betrieb (zB für den Datenschutz, den Umweltschutz, die Arbeitssicherheit), bei denen ebenfalls Hinweise und Beschwerde angebracht werden können. - 15 eine Pflicht, sich mit dem Vorgebrachten auseinanderzusetzen. Zum anderen muss auch an den Schutz des Beschuldigten gedacht werden. Er muss spätestens dann über die Anzeige informiert werden, wenn kein Risiko besteht, dass Beweise vernichtet werden. Es sollte sich von selbst verstehen, dass sich der Beschuldigte angemessen zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen äußern kann. Nach Abschluss der Untersuchung sollten die gespeicherten Daten gelöscht werden, falls keine weiteren Maßnahmen eingeleitet werden. cc) Anzeigepflicht? Besonders effektiv wäre ein Anzeigesystem dann, wenn der Arbeitgeber seine Mitarbeiter zu entsprechenden Meldungen verpflichten könnte. Die Rechtslage hierzu ist relativ klar. Schon 1958 hat das BAG33 festgestellt, dass ein leitender Angestellter auch ohne ausdrückliche vertragliche Regelung seinem Arbeitgeber gegenüber aus dem Gesichtspunkt der arbeitsvertraglichen Treuepflicht verpflichtet sein kann, aus gegebenem Anlass und im gebotenen Umfang die Tätigkeit anderer Arbeitnehmer zu überwachen. Entscheidend seien die Umstände des Einzelfalls. Noch weitergehend kam das BAG 1970 zu der Überzeugung34, dass nicht nur leitende Angestellte, sondern jeder Arbeitnehmer zu einer Anzeigeerstattung verpflichtet sei, wenn der Gesetzesverstoß genau in dem Aufgabenbereich des Arbeitnehmer geschehe und das Unterlassen der Meldung beim Arbeitgeber einen Schaden verursache oder vergrößere. Freilich wollte sich das BAG nicht festlegen, ob es eine bedingungslose Pflicht zur Denunziation von Kollegen und Vorgesetzten gibt. Deshalb spricht es etwas vorsichtiger von einer „aktualisierten Überwachungspflicht“, die sich aus der Stellung des Arbeitnehmers ergibt. Dabei hat das Gericht vor allem Vorgesetzte im Blick, die die ihnen unterstellten Mitarbeiter kontrollieren müssen. In dem vom BAG entschiedenen Fall ging es um einen Chef-Kassierer eines 33 34 BAG 12.5.1958, NJW 1958, 1747, 1748. BAG 18.6.1970, AP Nr. 57 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers. - 16 Stadtwerks, der die Ablesekassierer zu überwachen hatte, die in den 1960er Jahren das Entgelt für Strom, Gas und Wasser noch bar kassierten, und der die Unterschlagung von 60.000 DM – damals ein immenser Betrag – durch einen Mitarbeiter gedeckt hatte: freilich in falsch verstandener Solidarität, wie ihm das BAG später bescheinigte: die Treue zum Arbeitgeber reiche weiter als die zu den kriminellen Kollegen. Sie zu decken, müsste die „Ganoven“ geradezu darin bestärken, ihr kriminelles Gebaren fortzusetzen. Für den Chef-Kassierer hatte die Nichtanzeige eine doppelt missliche Konsequenz: er durfte mit Recht abgemahnt werden und – erstaunlich genug – konnte sogar zum Ersatz der unterschlagenen Gebühren herangezogen werden – zumindest anteilig, weil den Arbeitgeber nach Ansicht des BAG ein gehöriges Mitverschulden getroffen hatte. Meines Erachtens kann es eine Anzeige-Pflicht nur unter sehr restriktiven Voraussetzungen geben. Grundlage kann nur die Nebenpflicht des Arbeitnehmers sein, Schäden vom Arbeitgeber abzuwenden, soweit ihm das möglich und zumutbar ist und nach der Verkehrssitte von ihm auch erwartet werden kann. Anzeigepflichtig ist ganz klar, wer im Betrieb zur Aufsicht eingeteilt ist. Anzeigepflichtig ist m.E. auch jeder Vorgesetzte hinsichtlich der ihm Unterstellten, denn zu einer ordentlichen Führung von Mitarbeitern gehört, dass man auf seine Leute aufpasst. Sehr viel zurückhaltender wird man bei der Anzeige von Kollegen und Vorgesetzten sein müssen. Sie anzeigen zu müssen, wird nur in wirklich krassen Fällen in Betracht kommen– beispielsweise bei schweren Straftaten oder Pflichtverletzungen, die zu Gefahren für Leib und führen können. Eine Pflicht zur Selbstanzeige wird man nicht annehmen können. Soviel Altruismus kann niemand angesonnen werden. All dies versteht sich (fast) von selbst. Und deshalb schadet es nicht, wenn der Arbeitgeber im Wege seines Direktionsrechts entsprechende Vorgaben macht und im Ethik-Kodex niederlegt. Nur nebenbei: Meldepflichten lösen Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG aus. Denn hier geht es nicht um das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten, sondern um die Ordnung des Betriebs35. Der Betriebsrat hat insbesondere über das „Wie“ mitzubestimmen, ob es also eine Whistleblower-Hotline oder besser einen Ombudsmann geben soll und wie die 35 Hess. LAG 18.1.2007, AuR 2007, 394; ArbG Wuppertal 15.6.2005, DB 2005, 1800; Wisskirchen/Körber/Bissels, DB 2006, 1571; Deinert, AuR 2008, 90. - 17 Meldewege im Einzelnen aussehen. dd) Anzeigerecht und Schutz von Hinweisgebern Auf einem ganz anderen Blatt steht, ob die Arbeitnehmer ein Recht zur Anzeige haben und wie man sie vor Maßregelungen bewahren kann. Dass Whistle-Blower keinen ganz leichten Stand haben, wenn sie mit ihren Informationen an die Öffentlichkeit gehen, ist bekannt. Kündigungen kommen nur selten vor; die meisten Reaktionen sind subtiler: die Versagung von Gratifikationen, das Kaltstellen durch Zuweisung sinnentleerter Arbeit, das Übergehen bei Beförderungen usw.36 Viele „Whistleblower“ scheiden deshalb in der Folgezeit freiwillig aus dem Unternehmen aus. Eine Reihe von ihnen hat auch danach noch mit Sanktionen zu rechnen. So entspricht es in den USA verbreiteter Übung, Whistleblower auf „Schwarze Listen“ zu setzen, mit denen sich die Unternehmen gegenseitig vor entsprechenden Bewerbern warnen, was faktisch ihren Ausschluss vom Arbeitsmarkt bedeutet37. Ein erster Schritt zum Schutz von Whistleblowern ist, ihnen das Recht zur Anzeige zu geben. Dass es eines solchen Anzeigerechts bedarf, liegt auf der Hand, denn zunächst einmal ist der Arbeitnehmer aus Loyalitätsgründen zur Verschwiegenheit verpflichtet. Er muss Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wahren. Wie weit diese Verschwiegenheitspflicht reicht und ob der Arbeitgeber wirklich erwarten darf, dass seine Leute sein Fehlverhalten decken, ist bis heute streitig. Im derzeit geltenden Recht gibt es nur sehr wenige Vorschriften, die entsprechende Anzeigebefugnisse gewähren. Sie betreffen das Gefahrstoffrecht38, das Arbeitssicherheitsrecht39 und das Antidiskriminierungsrecht40. 36 37 38 39 Nach einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 1992, die 13.000 Bundesangestellte erfasste, gaben die meisten der befragten Whistleblower an, subtile Vergeltungsmaßnahmen erlitten zu haben: 49 % wurden von Vorgesetzten, Kollegen oder Mitarbeitern geschnitten, 47 % wurden verbal angegriffen oder erhielten schlechte Leistungsbeurteilungen, 37 % waren weniger begehrte Arbeiten zugewiesen worden, 30 % wurden Belohnung versagt, 19 % eine anstehende Beförderung oder Weiterbildung verweigert, vgl. Graser, Whistleblowing (2000), S. 7. Graser, Whistleblowing (2000), S. 6f. Nach § 21 Abs. 6 Satz 1 der Gefahrstoffverordnung kann sich ein Arbeitnehmer an die zuständige Überwachungsbehörde wenden, wenn eine bestimmte Gefahrstoffkonzentration am Arbeitsplatz erreicht wird und der Arbeitgeber einer hiergegen erhobenen Beschwerde nicht unverzüglich abhilft, nachdem auch die innerbetrieblichen Beschwerdemöglichkeiten ausgeschöpft worden sind. Gemäß § 17 Abs. 2 ArbSchG darf sich der Arbeitnehmer an die zuständige Arbeitsschutzbehörde wenden, wenn konkrete Anhaltspunkte die Auffassung rechtfertigen, dass die vom Arbeitgeber getroffenen - 18 - Seit April diesen Jahres liegt nun ein Gesetzesvorschlag des Verbraucherschutzministeriums auf dem Tisch, der im Rahmen einer Novelle des Lebensmittelrechts, allen Arbeitnehmern ein Recht zur Anzeige gewähren soll. Auslöser waren die diversen Gammelfleisch-Skandale, die die Öffentlichkeit zu Beginn des Jahres erregt haben und die nur aufgrund von Hinweisen von Betriebsangehörigen ans Tageslicht gekommen sind. Der neue § 612a BGB soll vor allem eines: Rechtssicherheit schaffen, indem er die Voraussetzungen bestimmt, nach denen Arbeitnehmer künftig Miss-Stände anzeigen dürfen. Abs. 1 normiert eine Selbstverständlichkeit. Danach darf ein Arbeitnehmer, wenn er aufgrund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung ist, dass im Betrieb oder bei einer betrieblichen Tätigkeit gesetzliche Pflichten verletzt werden, sich an den Arbeitgeber oder eine zur innerbetrieblichen Klärung zuständige Stelle wenden und Abhilfe verlangen. Das wird in den meisten Betrieben gelebte Praxis sein und bräuchte nicht eigens kodifiziert zu werden. Entscheidend ist nun der zweite Satz. Dort heißt es: „Kommt der Arbeitgeber dem Verlangen nach Abhilfe nicht oder nicht ausreichend nach, hat der Arbeitnehmer das Recht, sich an eine zuständige außerbetriebliche Stelle zu wenden“. An sich ist gegen diese Regelung nichts einzuwenden, weil sie schlicht und ergreifend den Vorrang der innerbetrieblichen Klärung vor einem An-die-Öffentlichkeit-Gehen normiert. Problematisch sind aber die Details. Die Rechtsprechung41 hat das Anzeigerecht bislang mit Recht an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden, weil Anzeigen für das Unternehmen immer auch einen Imageverlust bedeuten können. Deshalb darf nicht mit Kanonen auf Spatzen schossen werden. Konkret: nicht jede Lappalie darf angezeigt werden, sondern nur schwere Straftaten, bei deren Nichtanzeige sich der Arbeitnehmer selbst strafbar machen würde (Vorbereitung eines Angriffskrieges, Hoch- und Landesverrat, Mord und Totschlag usw.), sowie Straftaten, die der Arbeitgeber begangen hat. Nach der Neuregelung dürfte 40 41 Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu gewährleisten, und eine entsprechende Beschwerde beim Arbeitgeber ohne Erfolg geblieben ist. Schließlich darf sich ein diskriminiert fühlender Arbeitnehmer zur Wahrung seiner Rechte unmittelbar an die zuständigen Antidiskriminierungsverbände und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden. BAG 3.7.2003, NZA 2004, 427. - 19 ausnahmslos jede Gesetzwidrigkeit angezeigt werden: z.B. geringfügige Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz, eine einmalige Diskriminierung, die um einen Tag verspätete Gehaltszahlung und was der Arbeitsalltag sonst noch an Belanglosigkeiten zu bieten hat. Besonders prekär ist dabei, dass eine innerbetriebliche Klärung schon dann nicht abgewartet werden muss, wenn der Arbeitnehmer subjektiv der Auffassung ist, dass eine innerbetriebliche Abhilfe nicht oder nicht ausreichend erfolgen wird. Das Anzeigerecht steht damit vollständig im Belieben des Mitarbeiters. Zwar verlangt die Regelung, dass der Arbeitnehmer zu seiner Auffassung auf Grund konkreter Anhaltspunkte gelangt ist – bloße Hypothesen und Mutmaßungen genügen folglich nicht. Welche Qualität diese Anhaltspunkte haben müssen, sagt die Vorschrift aber nicht. Erst recht verlangt sie keine sorgfältige und gewissenhafte Prüfung oder ein besonnenes Abwägen aller Umstände, und sie verhindert auch nicht, dass die Anzeige aus unredlichen Motiven erfolgt, etwa um dem Arbeitgeber eins auszuwischen oder ihn mit der Androhung einer Anzeige unter Druck zu setzen. Die Crux für den Anzeigenden ist und bleibt aber etwas anderes: nach wie vor muss er die tatsächlichen Voraussetzungen der neuen Vorschrift darlegen und ggf. auch beweisen, und gerade dies kann mitunter sehr schwer sein. Überdies bietet der neue § 612a BGB keinen effektiven Schutz vor Ausgrenzung, Mobbing und den vielen anderen subtilen Möglichkeiten des Arbeitgebers, sich an WhistleBlowern zu „rächen“, obwohl die Unternehmen in ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse an sich froh darüber sein müssen, dass ein Kommunikationsprozess in Gang kommt. Ob die geplante Neuregelung wirklich Gesetz wird, steht in den Sternen. Nach der Sachverständigenanhörung am 4.6.2008 vor dem Bundestagsausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz herrschte einigermaßen Ratlosigkeit, und es ist nicht klar, wie die Sache weitergeht. Für die Beamten hat der Gesetzgeber jedenfalls eine Regelung getroffen, die am 1.4.2009 in Kraft tritt. Danach dürfen Beamte zukünftig neben den Katalogstraftaten des § 138 StGB (Mord und Totschlag usw.). auch Korruptionsstraftaten direkt bei der Staatsanwaltschaft anzeigen. - 20 IV. Fazit Damit komme ich zum Schluss meiner Tour d’Horizon. An Compliance führt heute kein Weg mehr vorbei. Was etwas hochtrabend aus den USA daherkommt, kennen wir in Deutschland schon seit langem. Freilich dürfte die gehörige Aufsicht künftig bürokratischer gestalten, und die Unternehmen müssen misstrauischer werden gegenüber ihren Mitarbeitern und Geschäftspartnern. Aber das wusste ja schon Lenin: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.