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nr.
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april 2006 | 4. jahrgang
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«bern soll sein orchester
mit stolz und freude betrachten!»
the secret life
of words
ein sopran fährt bus
noch ein pissoir
dee letzte seiner art
SOMETHING LIKE
HAPPINESS – STESTI
7 Tschechische Oscars 2006 – Bester Film - SAN SEBASTIAN 2005
Monika, Dascha und Toník leben in einer kleinen tschechischen Industriestadt. Monika träumt von einem Leben in
Amerika, wo ihr Freund bereits auf sie wartet. Dascha setzt ihre ganze Hoffnung in eine Affäre mit dem verheirateten
Jára und gerät zunehmend aus dem Gleichgewicht. Durch Toníks Dach tropft der Regen ins Wohnzimmer. Aber das
Haus seiner Kindheit, das er mit seiner exzentrischen Tante bewohnt, will er nicht aufgeben, auch wenn die Besitzer
der angrenzenden Fabrik die alte Bruchbude schon lange kaufen möchten. Als Dascha mit psychischen Problemen
eingeliefert wird, springt Monika – zunächst widerwillig – als Ersatzmutter für ihre beiden Jungen ein. Toník hilft ihr, ist
er doch schon seit langem heimlich in Monika verliebt. Zusammen bilden sie eine glückliche Patchworkfamilie und mit
Elan und Fantasie schaffen sie sich ihr kleines Paradies. Doch sie wissen, es ist nur ein Glück auf Zeit...
Mittwoch, 19. April // 18:30 h
Kino Movie 1, Bern
GRATIS TICKETS:
031 318 6050 ODER WWW.ENSUITE.CH
die vorpremière
ensuite &
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n
KULTUR & GESELLSCHAFT
«bern soll sein orchester mit stolz und
freude betrachten!» 6 dee letzte seiner art 21
LITERATUR
jurij brezan, truman capote, frank schirrmacher 22
letzte lustseite 40
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Titelseite und rechts: Von Sinnen: FFA Zone ldt. Tanz Company,
am 26. April im Käfigturm Theater, Bern
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3
BÜHNE
Vor allem...
■ Sie halten das grösste, je in Bern gedruckte Kulturmagazin in den Händen. Mit 80 Seiten gleichen wir tatsächlich schon bald einem Kulturbuch. Finanziell wird dies nicht einfach werden – das ist mir klar. Aber man kann mir
auch nicht vorwerfen, in den letzten Jahren unplanmässig agiert zu haben:
ensuite – kulturmagazin hat sich weit emporgearbeitet, hat viel Bewegung
ausgelöst und ist klar die Nummer 1 in Bern - trotz des anhaltenden Zwists
zwischen der städtischen Kulturpolitik und unserem Unternehmen. Aber ich
denke, es liegt nicht mehr an uns, um die Gunst einer Stadt zu buhlen. Das
haben wir jetzt 4 Jahre lang erfolglos gemacht. Es für mich ein klares Zeichen, wenn ich den Pressekollegen in die Blätter schaue und sehe, dass ich
nicht der einzige bin, der Kritik übt. Über ensuite – kulturmagazin liest man
zum Beispiel im „Bund“ oder der „Berner Zeitung“ nie etwas - auch nichts
Negatives.
Trotz dieses städtischen Hindernisses haben wir eine Sensation nach der
anderen zu bieten. In dieser Ausgabe zum Beispiel bieten wir neben dem
grösseren Umfang, einer neuen klassischen Musik-Redaktion, einigen inhaltlichen Straffungen und neuen Rubriken eine weitere mediale Neuheit: Lisa,
die Ladyofwar, eine von uns ausgesuchte italienische Bloggerin, startet neu
die Serie und Rubrik: Blog to Print. Noch weiss niemand, wohin es führen
wird. Das Konzept ist bedenklich einfach: Lisa (www.ladyofwar.net) kann im
ensuite – kulturmagazin pro Monat eine Seite frei für ihren Blog füllen. Was
im Internet schnelllebig und vergänglich ist, wird so in einer anderen Form
manifestiert. Und dass Lisa in Italien sitzt und der gesamte Kontakt nur über
das Internet zustande kam, hat Zeitgeist. Sie als LeserIn dürfen natürlich
eingreifen und sich beteiligen. Da muss ich allerdings anfügen, dass sie der
italienischen oder englischen Sprache einigermassen mächtig sein sollten.
Übrigens war Lisa die letzten drei Jahren inkognito und ohne Gesicht…
Und genau solche Aktionen machen ensuite – kulturmagazin zu dem, was
es ist: ein lebendiges Kulturmagazin. Nicht ich habe es erfunden, sondern
die 35 Beteiligten, welche immer noch gratis aktiv mitarbeiten und mitgestalten und all die AbonnentInnen und Partner, welche uns in den Jahren
unterstützt haben. Das ist Bern, das ist Kultur und das sind wir. Frohes Frühlingserwachen.
Lukas Vogelsang
jacko: «aua, ich lebe» 11 «diese blöde sehnsucht!» 14
titaniamania 14 verunsicherung 14
artensuite
die farbe hat mich 32 aufsehen erregende kleckse 32 luxus
mit brockenstubencharme 33 er gewinnt bei näherer betrachtung 34 viele, viele bunte marken 35 noch ein pissoir
35 kunstbücher 36 galerien in bern 37 augenspiel 39
KINO/FILM
the secret life of words 23 inside man 24 v for vendetta
24 breakfast on pluto 25 das andere kino 26
MUSIK
ein sopran fährt bus 16 süsse, lärmende popträume 16 cdtipps 17 ECM listening post 17 april im marians jazzroom 18
«das musikbiz ist wie ein laufband im fitnesscenter» 60
LIFESTYLE
marta nawrocka... 5 blog to print 20 curry macht glücklich
28 stadtundland 79
DIVERSES
kulturnotizen 4 frühenglisch kommt zu spät 18 stadtläufer
19 tratschundlaber 25 menschen & medien / fauser cartoon
29 menschen: burgeners m&m 30
KULTUR-PR
«wie ein leuchten der erinnerung» 10 der wilde westen
kommt in den fernen osten! 12 berner weltmusikfrühling 13
STADT THUN
peter wyssbrods goldener thunfisch 15 kleinkunstkaleidoskop 78
AGENDA
kulturagenda bern 41 museen bern / biel / thun 70 kulturagenda biel 72 kulturagenda thun 77
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K U L T U R N O T I Z E N
JEDER FÜR
SECHSEINHALB
MINUTEN BERÜHMT
Pix Mix Volume 11
26. April 2006, 20.20 Uhr
Foyer, Dampfzentrale
www.starfrosch.ch/pixmix
SIMPLY PeRFeCT
WeberHinderSchlatterFeuz, Zürich; Foto: Caroline Minjolle
■ Statt einen Text darüber zu schreiben, sollte ich
es besser selber ausprobieren. Hozzy sucht noch Teilnehmer für das Pix Mix, das er seit mehr als einem
Jahr zusammen mit seiner Freundin Jacqueline monatlich programmiert. Aufgeschnappt haben sie die
Idee, als sie in ihrem anderen Leben als Architekten
Tokio besuchten. Dort nennt sich das «Pechakucha»
und dient der freien Projektpräsentation vor Fachpublika. Sie haben das Konzept importiert und weiteren
Inhalten gegenüber geöffnet.
Zwanzig Bilder von mir an die Wand projizieren
lassen und während je zwanzig Sekunden live kommentieren? Ich ziehe das kühle blaue Leuchten des
Computermonitors dem aufdringlich roten von Bühnenspots vor und verstecke mich lieber hinter Texten. Ausserdem: was könnte ich denn präsentieren?
Vielleicht unsere Umgebung via Bildreinigung von
Starbucks und Baseballcap-Trägern befreien? Tragtaschen im Längsschnitt sezieren oder im Gegenlicht
fotografierte Küchengeräte erläutern? Leider sammle ich weder Wasserläufer im Verpuppungsstadium
(keine Ahnung, ob die dies überhaupt tun) noch Ansichten von überbelegten Mehrfachsteckdosen. Auf
Reisen muss man mich dazu nötigen, die Welt durch‘s
Okular zu betrachten und meine Seiltanzkünste reichen knapp nicht aus, um von verwackelten Schnappschüssen abzulenken. Aber ich könnte ja diese Plattform brauchen, um meine Dienste zu bewerben...
oder Filmplakate tiefenpsychologisch analysieren
(das gäbe einiges her) oder – wie andere auch schon
– mit dem Publikum Rate spielen.
Der Anlass ist Kult (eine durchaus nicht geschützte Kategorie) geworden, das Publikum nimmt stets
zu - nicht bloss, weil die Beizencrew sogar innert «20
mal 20» ein tolles Menu kocht - aber Jacqueline und
Hozzy müssen immer noch ihren ganzen Idealismus
aufbringen, um neue Referentinnen zu gewinnen. In
Bern grassiert eine Lampenfieber-Pandemie. Immun
dagegen scheinen einzig Musiker und eine Handvoll
Selbstdarsteller mit reichlich Bühnenerfahrung zu
sein. Aber eben; der Anlass lebt von der Vielfalt, Jacqueline vergleicht ihn mit einem gesellschaftlichen
Kaleidoskop. Sprayerbilder können schon mal auf
eine Präsentation der Stadtpolizei treffen.
Wer sich schon getraut hat, meint, die sechs Minuten vierzig wären fast schon krass kurz und den Bildern
käme sowieso mehr Aufmerksam zuteil, als den Vortragenden. Ausser diese würden gerade einen Bauchtanz vorführen, eine Oper singen oder Boxen, was alles
auch schon vorgekommen ist. Also wenn Ihr’s auch tut,
überlege ich mir etwas, versprochen! (jlf)
INTERNATIONALES TANZFESTIVAL SCHWEIZ
27. APRIL–18. MAI 2006
WWW.STEPS.CH T: 0848 870 875
BERN KULTURHALLEN DAMPFZENTRALE
09.05. 19h30 JIN XING DANCE THEATRE SHANGHAI
TANZCOMPAGNIE RUBATO BERLIN
10.05. 19h30 JIN XING DANCE THEATRE SHANGHAI
TANZCOMPAGNIE RUBATO BERLIN
11.05. 19h30 FILM PHILIPPE SAIRE LAUSANNE
12.05. 19h30 GALA#10
14.05. 19h30 LOUISE LECAVALIER MONTRÉAL
STADTTHEATER BERN
04.05. 19h30 BATHSEVA DANCE COMPANY TEL AVIV
BIEL AULA BERUFSBILDUNGSZENTRUM BBZ
04.05. 20h30 INTRODANS ARNHEM
05.05. 20h30 PILOBOLUS DANCE THEATRE CONNECTICUT
12.05. 20h30 RAIMUND HOGHE DÜSSELDORF
13.05. 20h30 FILM PHILIPPE SAIRE LAUSANNE
THUN SCHADAUSAAL
29.04. 20h00 PILOBOLUS DANCE THEATRE CONNECTICUT
Ehrenpatronat BUNDESRAT PASCAL COUCHEPIN
Partner
Konzept und Realisation
K U L T U R N O T I Z E N
5
ADRIANO‘S & CESARY:
ZIGIS AUSDRÜCKEN
UND TIEF DURCHATMEN
■ Kein Aprilscherz: Ab dem 1.4.2006 sind Adriano‘s
und Cesary komplett rauchfrei. Nachgefragt, ob sich
dieses Gerücht nicht bald in Rauch auflöst, schrieb uns
Adrian Iten vom Adriano‘s: alles wahr. Wir vom ensuite,
so schlug er vor, könnten ja nun: «in den oft gehörten
Chor jener einstimmen, die den Kulturverlust beweinen
und sich über das imperiale Gesundheitsdiktat der Amis
echauffieren.» Viel spannender fände er aber die Frage,
was nun künftig die Luft in der Trendbar anstelle des
lästigen Rauchs schwängern würde. Tipp von Adrian:
«Übelste Attacken olfaktorischer Terroristen: Guerlin vs.
Chanel (was man ja noch riechen könnte), ganz schlimm
Janine D. vs. Migrosrasierwasser.» Wir vom ensuite vermuten weiter: Frischer Frühsommerschweiss, frei fliegende Pheromone und Thunfisch-Panini-Rülpser. Auch
ins rauchfreie Adriano‘s sollte man seine Nase auf jeden
Fall mal reinstecken. Gleiches gilt natürlich für‘s Cesary.
(nm)
MARTA NAWROCKA...
AUF STREIFE
STIPENDIEN IN BARCELONA, NEW YORK UND PARIS
■ Berner Künstler haben die Möglichkeit, von drei
verschiedenen Bernischen Kulturkommissionen Auslandstipendien für das nächste Jahr zu erhalten. Die
kantonale Musikkommission vergibt zwei Musikern vom
5.8.2007 bis zum 31.1.2008 je ein New York-Stipendium.
Die kantonale Kommisssion für Foto und Film vergibt
bernischen Filmschaffenden und FotografInnen ein
Stipendium in Paris vom 1. Juni bis zum 30. November
2007. Ebenso hat die kantonale Kommisssion für Kunst
und Architektur sowie Foto und Film ein Stipendium an
einen ausgewiesenen Kunstschaffenden zu vergeben,
und zwar von Januar bis Juni 2007 in Barcelona. Bei
allen genannten Stipendien können die Stipendiaten in
der jeweiligen Stadt unentgeltlich in eigens dafür vorgesehenen Appertements wohnen und arbeiten.
Die Bewerbungsbedingungen und Anmeldeformulare für diese Stipendien können entweder auf der Webseite des Amtes für Kultur eingesehen und heruntergeladen werden: www.erz.be.ch/kultur oder per Mail an
gkk@erz.be.ch oder per Fax: 031 633 83 55 angefordert
werden.
Die Bewerbungsunterlagen für die New York-Stipendien müssen bis zum 5. Juni 2006, für das Paris-Stipendium bis zum 22. Mai 2006 und für das
Barcelona-Stipendium bis zum 17. April 2006 an die
Geschäftsstelle der kulturellen Kommission im Amt für
Kultur eingereicht werden. (mm)
DREI VARIATIONEN
ÜBER DIE LIEBE
■ Eine Frau, ein Mann, beide nackt auf dem Bett, gelöst
und zufrieden. Er fährt mit dem Finger über ihren Körper und zählt ihre Schönheitsflecken.
Mit dieser Situation voller Intimität lässt der französische Comic-Autor Jean-Philippe Peyraud jede seiner
drei Variationen über die Liebe beginnen. Mit viel Feingefühl erforscht er die Klippen und Gipfel der Liebesbeziehung, spürt Gräben auf, alte Konflikte, findet die grossen
Gefühle und malt auch die feinen emotionalen Nuancen
dazwischen.
Peyrauds Protagonisten sind Ex-Geliebte, die sich seit Jahren getrennt - durch Zufall wieder begegnen und
einen Abend zusammen verbringen. Alte Leidenschaften brechen hervor, neue Fragen tauchen auf. Jede der
drei Variationen beleuchtet andere Hintergründe, andere Charakterzüge und andere Motivationen. Peyrauds
Geschichten lesen sich sehr leicht und doch erzählen
sie von allem, was das menschliche Liebesleben so
kompliziert macht - nicht gefühlsdusselig, aber sehr
berührend. (nl)
Jean-Philippe Peyraud: Schönheitsflecken
Carlsen Comics, 2006
■ SIE haben den Indiekindern die Streifen geklaut.
Die Fussgängerzone sieht plötzlich aus wie ein alternativer Konzertschuppen – man könnte meinen,
es liefen tonnenweise Emozöglinge durch die Gassen: überall gestreifte Oberteile, Hemden, Pullis und
Schals. SIE haben die Indiekinder wohl schon länger
beobachtet und heimlich IHRE Notizen gemacht, um
im richtigen Moment zuzuschlagen. In dem Augenblick, da die Rockmusik wieder massenfähig wurde,
wischten SIE den sensiblen Converse-Trägern deftig
eins aus. Denn als diese gerade ahnungslos auf ihrem
iPod von The Arcade Fire auf Bonnie Prince Billie umschalten wollten, wurde der sogenannte Beatnik-Look
in die Läden gestellt - frei nach Zebra. Und als die Indiekinder endlich die letzte Note von Will Oldham hörten und aufblickten, kamen sie überhaupt nicht mehr
zurecht. Das Erkennungszeichen von Ihresgleichen
flitzte durch die Strassen, mal mit der aufgepimpten
Goldverzierung auf der glattrasierten Brust eines
House-Fuzzis, mal um die zierlichen Schultern der
Burberry-Jusstudentin drapiert – hundertfach. Streifen bedeuteten plötzlich nicht mehr, dass der Träger
sich liebend gerne in Diskussionen über Majorlabels
und der Geschichte von At The Drive-In verwickeln
liess. Die schwarz-weiss Bebalkten tranken auch nicht
abends Rotwein auf Conor Obersts Dauerdepression
und liessen Luftsprünge bei der Ankündigung eines
neuen Vines-Albums aus. So fühlen sich die Indiekids
mal wieder von der Welt betrogen und missverstanden. Was ja eigentlich der Dauerzustand ist, wäre diese modische Entwendung ein Einzelfall. Ist sie aber
nicht. Der Irène haben SIE dieses Jahr ihr Knallgrün
geklaut. Und vor zwei Jahren musste Anics Türkis
dran glauben. Und ich weiss ganz genau, dass sie
meine goldenen Schuhe bereits in IHREM Notizbuch
vermerkt haben – ich rechne so gegen Sommer mit
meinem Individualitätsverlust. Natürlich haben weder
wir noch die Indiekids wirklich Anspruch auf unsere
vermeintlich einzigartigen Kleider-Gimmicks, doch
weh tut es trotzdem. Deshalb appelliere ich hier im
Namen von allen, die sich mit ein bisschen Mut und
Fantasie anziehen und deshalb zu den potentiellen
Opfern zählen: Wenn irgendjemand SIE wieder auf
Streife sieht, bitte kräftig auf die Füsse treten und
den Notizblock mitgehen lassen. Als Belohnung verschicke ich gestreifte Hemden frei Haus, die gibt’s ja
jetzt im H&M für 14.90 Franken...
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K U L T U R
&
G E S E L L S C H A F T
Bild: zVg.
«bern soll sein orchester
mit stolz und freude betrachten!»
Andrey Boreyko über die Arbeit mit dem Berner Symphonie-Orchester (BSO) und sein Leben mit der Musik.
Sonja Koller: Herr Boreyko, Sie dirigieren heute
Abend bereits Ihr letztes Abonnementskonzert der
laufenden Spielzeit. Wie haben Sie die erste Saison
als Chefdirigent in Bern erlebt?
Andrey Boreyko: Ich habe diese Stelle in Bern angenommen, weil ich von Anfang an von der Möglichkeit einer sehr guten Zusammenarbeit zwischen dem Orchester und mir überzeugt war. Hier besteht die Chance zu
einer schöpferischen Entwicklung. Nach den sechs Konzerten, die ich bisher geleitet habe, ist mein Eindruck
insgesamt sehr positiv. Wir arbeiten gerne zusammen
und bewegen uns in die richtige Richtung.
Man hatte mir gesagt, das Publikum in Bern sei relativ zurückhaltend. Das sehe ich gar nicht so, im Gegenteil. Ich bin sehr positiv überrascht, wie warm, wie nett
und wie frenetisch manchmal dieser Applaus ist. Dazu
kommt, dass ich spüre, wie unser Spiel beim Publikum
auf eine emotionale Resonanz stösst. Die Leute reagieren nicht nur auf die Qualität unserer Arbeit, sondern
sie verstehen auch, was wir mit unserer Musik erzählen
oder mitteilen möchten. Das ist natürlich toll, darüber
freue ich mich sehr.
So wie gestern Abend? Das Casino war auch praktisch ausverkauft.
Ja, das ist überaus positiv. Ich habe gehört, dass in
der letzten Spielzeit nicht alle Konzerte sehr gut besucht
waren, und werde versuchen, dies Schritt für Schritt zu
ändern. Ich möchte in Zukunft immer häufiger sagen
können: «Sie möchten eine Karte für das Konzert heute
Abend? Ich freue mich über Ihr Interesse, aber es tut
mir leid, wir haben schon alle Karten verkauft!»
Gibt es bereits Höhepunkte, an die Sie sich besonders gerne erinnern?
Schwer zu sagen, denn jedes Konzert hat eine bestimmte Aufgabe und ein bestimmtes Ziel. Ich wollte in
dieser Spielzeit Werke in verschiedenen Stilen spielen,
um das Orchester kennen zu lernen. Deshalb habe ich
Programme ausgewählt, die stilistisch sehr verschieden
sind. Ich glaube, die Spielzeit war so gebaut, dass man
keines der Konzerte als Höhepunkt herausheben kann.
Ausserdem verstehe ich alle Programme als meine Kinder, beziehungsweise zusammen mit dem Orchester als
«unsere gemeinsamen Kinder». Keines der Kinder soll
vor den anderen bevorzugt werden.
Nun, da Sie das BSO etwas besser kennen: Wie
würden Sie seine Eigenheiten beschreiben? Welches
sind seine Stärken, wo liegen Schwächen?
Ich würde nicht den Begriff «Schwäche» verwenden.
Ich nenne es lieber «noch weniger bearbeitete Felder».
Eine Schwäche ist etwas, das man kaum oder gar nicht
ändern kann. Dies gibt es bei uns nicht. Hingegen sehe
ich Bereiche, in denen wir noch mehr arbeiten müssen:
Ich würde sagen, das Orchester braucht mehr Gefühl
für Plastizität und Flexibilität. Das Spiel darf noch runder, improvisatorischer werden. In einem Teil des Repertoires braucht man durchaus sehr präzises, strikt
rhythmisches Spiel. Aber immer, auch in einem solchen
Repertoire, sollte das Orchester mehr atmen. Und um
mehr zu atmen, muss man besser aufeinander hören
und ständig in Kontakt mit dem Dirigenten bleiben.
Wenn sich jemand ganz auf seine Noten konzentriert
und ich etwas anders machen möchte als in der Probe
– denn Musik kann man nicht zwei Mal genau gleich wiederholen, das ist absolut ausgeschlossen – dann kann er
oder sie nicht auf meine Zeichen reagieren. Die Musiker
müssen den Dirigenten im Augenwinkel behalten und
ständig auf seine Gesten reagieren. Man weiss nie, was
kommen wird. Und wenn von neunzig Musikern auch
nur drei nicht mitmachen, dann klingt es bereits nicht
mehr ideal, es gibt ein Gefühl von nicht ganz sauberen
Übergängen.
Auf der anderen Seite ist unser Orchester sehr
stark darin, präzise und rhythmisch zu spielen. Das ist
interessant, es handelt sich eigentlich um zwei Seiten
derselben Medaille: Auf der einen Seite steht die Aufmerksamkeit gegenüber dem Notentext. Hier ist alles
genau sichtbar und lesbar. Die andere Seite betrifft die
Aufmerksamkeit gegenüber dem Dirigenten, gegenüber
der schöpferischen Arbeit und dem Unerwarteten. Diese Seite muss noch deutlicher graviert werden.
Wie gut haben Sie die Stadt Bern unterdessen
kennen gelernt?
Noch viel zu wenig. Da ich meistens morgens und
abends Probe habe, bieten sich sehr wenige Möglichkeiten, irgendwo hinzufahren. Ausserdem gibt es zwischen
den Proben immer etwas zu tun. Doch in der nächsten
Spielzeit werde ich ein oder zwei Mal in zwei aufeinander folgenden Wochen Konzerte leiten. An den dazwischen liegenden Wochenenden würde ich mir gerne die
Gegend rund um Bern ansehen.
Immerhin, durch die Altstadt bin ich schon oft hindurchspaziert und ich habe das Klee-Zentrum besucht.
Aber es gibt noch vieles zu entdecken.
Sie haben vorhin die kommende Spielzeit angesprochen. Können Sie bereits Genaueres darüber
verraten?
Nein, das darf ich nicht. Aber es steht schon alles unter Dach und Fach. Ich hoffe, dass die nächste Konzertsaison mindestens so spannend wird wie die aktuelle.
Wir haben auch ein paar sehr interessante Solisten und
Dirigenten gewinnen können.
Wann wird das neue Programm bekannt gegeben?
Am 21. April veranstalten wir eine Pressekonferenz.
Und Sie dirigieren mehr Konzerte als in der aktuellen Spielzeit?
Ja, ich werde insgesamt zehn Konzerte leiten. Auch
in den folgenden Jahren werden es jeweils zehn Konzerte sein. In der laufenden Saison sind es nur sieben, weil
ich noch anderweitige Verpflichtungen habe, die bereits
abgemacht waren, als ich die Stelle in Bern annahm.
Wie sollte das BSO Ihrer Ansicht nach von der
Berner Bevölkerung wahrgenommen werden? Welche
Rolle soll das Orchester in der Stadt spielen?
Das ist eine gute Frage, denn ich habe den Eindruck,
dass es hier – obwohl bereits viel gemacht wurde und
gemacht wird – noch relativ viel zu tun gibt. Wenn wir
heute zehn beliebige Leute, die hier auf der Strasse vorbei kommen, fragen würden, ob es in Bern ein Orchester gibt, wo es spielt, und wie der Chefdirigent heisst,
dann bin ich nicht sicher, ob die Hälfte der Befragten alle
Antworten wüsste. Ich würde mir sehr wünschen, dass in
zwei bis drei Jahren mindestens acht von zehn Passanten diese drei Frage richtig beantworten könnten. Denn
die Musiker des Berner Symphonie-Orchesters verdienen
es, in der Stadt Bern bekannter und beliebter zu sein. Ich
wünsche mir, dass das BSO zu einem Teil von Berns Visitenkarte wird. Zu einem von Berns Markenzeichen – so
wie die Bären, das Münster oder der Zibelemärit.
Um dies zu realisieren brauchen wir natürlich auch
die Hilfe der Bevölkerung, unsere geehrten Politiker eingeschlossen. Es freut mich sehr, dass ich immer mehr
wichtige und einflussreiche Damen und Herren der Politbühne an unseren Konzerten sehe und treffe. Das ist
ein gutes Zeichen. Aber vom Guten gibt es nie zu viel!
Bern ist die Hauptstadt der Schweiz und das BSO das
Sinfonieorchester der Hauptstadt. Dies ist eine Verantwortung, und wir sind bereit, zu beweisen, dass wir die
Schweiz in der Welt präsentieren können. Natürlich gibt
7
es in diesem Land bereits ein wunderbares Orchester
mit Weltreputation, aber das bedeutet nicht, dass das
BSO deshalb im Schatten stehen bleiben muss.
Wir werden alles tun, um unsere Qualität immer weiter zu verbessern. Und es muss sich herumsprechen,
dass sich das Orchester auf dem Weg nach oben befindet. Wir haben ein wunderbares Stammpublikum, das
unsere Qualität genau kennt, doch es gibt noch eine
grosse potenzielle Gruppe von Freunden. Ich möchte
unbedingt noch mehr Menschen an unsere Konzerte
holen und ihnen zeigen, dass nicht nur Berner Gäste wie
das London Symphony Orchestra oder die Wiener Philharmoniker gut spielen können. Das BSO ist ein sehr guter Klangkörper. Ich sehe grosse Perspektiven und habe
viel Hoffnung für dieses Orchester.
Wie sehen Sie denn ganz allgemein die Funktion
der klassischen Musik in unserer Gesellschaft?
Klassische Musik ist ein untrennbarer Teil der Kultur.
Und ohne Kultur gibt es keine Zukunft: Ohne kulturelle
Errungenschaften wie Bibliotheken, Theater, Oper und
Museen wird sich jede Gesellschaft langsam, aber unvermeidlich zurückbilden. Die schrecklichen Resultate
davon werden jede Zivilisation umbringen, einfach töten. Wer das versteht, pflegt die Kultur, die kulturellen
Wurzeln und die Tradition, denn er hat eine wichtige Vision für seine Kinder und Enkel. Wer heute denkt, dass
Sport, grosse Unterhaltungsshows, Politik und ökonomische Entwicklungen wichtiger seien als kulturelle Aktivitäten, irrt sich. Die klassische Musik begleitet uns seit
vielen hundert Jahren, und ich kann mir eine Zukunft
ohne sie nicht vorstellen. Und nicht nur für mich selbst
– das ist weniger wichtig, wir alle sind nur Gäste hier – es
geht um unsere Kinder, Enkel, Urenkel. Die Zukunft liegt
in unseren Händen und nur wir, die heute leben, sind
vollkommen verantwortlich für sie!
Ich bin völlig einverstanden. Aber können Sie
noch genauer erklären, was klassische Musik Ihrer
Ansicht nach so wertvoll und wichtig macht?
Wir entwickeln uns als Zivilisation nur, wenn wir miteinander kommunizieren. Und Musik ist eine Form von
Kommunikation. Musik war immer ein Teil des öffentlichen Lebens, des Lebens ausserhalb des Familienkreises. Bis vor wenigen Jahrzehnten spielte das Musizieren auch innerhalb der Familie eine wichtige Rolle. Im
Gegensatz zu früheren Jahrhunderten haben wir heute
unendlich viele Varianten, wie wir die Freizeit verbringen können. Das Fernsehen zum Beispiel hat sehr viele
Leute aus dem klassischen Musik- und Opernbereich
weggenommen. Wir können gemütlich zuhause bleiben,
Bier trinken und auf dem Bildschirm etwas betrachten,
ohne uns anzustrengen, uns vorbereiten und schön anziehen zu müssen. Dies ist meiner Ansicht nach eine ge-
fährliche Tendenz. Die Menschen schliessen sich durch
die Massenmedien mehr und mehr in einen engen Kreis
ein. Das Fernsehen saugt uns Aufmerksamkeit ab, gibt
jedoch nichts als Bild und Klang zurück. Die Beziehung
ist einseitig. Wenn hingegen zwei Leute miteinander
reden, sich in die Augen schauen, dann ist da ein Austausch von Auren, von Ideen und Energien. Auch im
Konzert gibt es einen solchen lebendigen Austausch.
Zudem geht es im klassischen Konzert auch um Meditation, manchmal bewusst, manchmal unbewusst. Heute sind wir uns immer mehr gewohnt, das Leben durch
die Augen zu empfinden. Wer sich mit klassischer Musik
beschäftigt, konzentriert sich hingegen auf sein Gehör.
Wer aktiv hört, hört nicht nur nach aussen, sondern
auch gegen innen. Er begibt sich auf die Suche nach
dem Verhältnis zwischen dem Klang der Welt und der
«eigenen», «inneren» Musik. Auch darin liegt für mich
der hohe Wert der klassischen Musik. Und schliesslich
findet das Meditieren in einem Konzert in der Gemeinschaft statt. Je mehr Leute zusammen sind, desto stärker wirkt die Kraft ihrer Meditation.
Wie sind Sie persönlich zur Musik gekommen? Wie
ist die Musik in Ihr Leben getreten?
Meine Mutter war eine klassische Ballerina, sie hat
auch im ersten Teil ihrer Schwangerschaft mit mir noch
getanzt. Als sie in den letzten Monaten dann nicht mehr
An bester Lage, in der Ryffabrik, neben dem Marzilibad und
gleich vor der Dampfzentrale, ein Bachsteingebäude aus der
Jahrhundertwende, in einer Bürogemeinschaft mit allgemeiner
Infrastruktur, ist per sofort,
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die nummer
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1 Büroarbeitsplatz frei.
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Der Theaterspass in Mundart
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selber tanzen konnte, ging sie trotzdem noch täglich ins
Theater. Ich habe also sehr viel der klassischen Ballettmusik bereits vor meiner Geburt gehört.
Meine ersten Lebensjahre haben wir dann in Polen
verbracht. Dort war meine Mutter Tänzerin im Opernhaus, mein Vater Professor an der Universität. Meine
Mutter hat mich immer zu den Proben und Aufführungen mitgenommen. Sie hat mir erzählt, ich sei dabei sehr
ruhig gewesen, hätte in der Wiege gewartet und Musik
gehört. Nur einmal sei ich auf der Suche nach Mama
direkt auf die Bühne gekrabbelt. Das war während einer
Aufführung von «Schwanensee»! Für das Publikum soll
es ein grosser Schock gewesen sein. An meine eigene
Reaktion erinnere ich mich leider nicht…
Als wir zurück nach St. Petersburg zogen, ergab es
sich, dass mich ein Professor in der Grundschule singen
hörte, und daraufhin empfahl, mich in die Chorschule zu schicken. Es war eine der beiden berühmtesten
Chorschulen der damaligen Sowjetunion. Sie nahm nur
Knaben auf und man musste eine Aufnahmeprüfung
bestehen. Morgens hatten wir normalen Schulunterricht, nachmittags standen drei bis vier Stunden Musik
auf dem Programm. Täglich hatten wir Gehörbildung,
Musikgeschichte und so weiter, alles während zehn Jahren. Ich habe in dieser Schule eine fantastische, einfach
fantastische Musikausbildung erhalten. Damals habe
ich das natürlich nicht verstanden, aber heute kann ich
sagen, das war eine der besten Musikausbildungen, die
man überhaupt bekommen konnte. Übrigens hat in dieser Schule auch mein Vorgänger beim BSO studiert, Dimitri Kitajenko, sowie viele weitere bekannte russische
Dirigenten.
Wann haben Sie entschieden, die Musik zu Ihrem
Beruf zu machen?
Eigentlich war bereits mit dem Eintritt in die Chorschule – also in meinem achten Lebensjahr – klar, dass
es nur in diese Richtung weitergehen würde. Obwohl
ich nicht sagen kann, dass ich ein Wunderkind gewesen
wäre, das nur Klavier spielen oder nur klassische Musik
hören wollte. Oh nein, so war es nicht! Die Schule war
streng, es gab viele Hausaufgaben und diesen regelmässigen, weichen Druck. Und dann – langsam, langsam
– begann die Musik für mich eine immer grössere Rolle
zu spielen.
Zuerst habe ich Chorleitung und Komposition studiert, dann habe ich Rockmusik gespielt, dann Jazzmusik und parallel dazu Alte Musik. Nach diesen Perioden
hab ich mich für das Dirigieren entschieden. Und jetzt
habe ich das Gefühl, da zu sein, wo ich sein will. Ich glaube, es ist ein grosses Glück, wenn dies jemand so sagen
kann. Ich mache das, was mir gefällt, ich kann von dieser
Aktivität leben, ich sehe sehr viele interessante Leute,
ich kann reisen. Mein Beruf öffnet mir Türen zu anderen
Kulturen.
Können Sie beschreiben, was Sie wahrnehmen und
was in Ihnen vorgeht während Sie ein Konzert dirigieren?
Zuallererst will ich mit der Musik immer etwas erzählen. Ich bitte dies auch die Musiker zu tun und zu verstehen, dass Musik eine Sprache ist. Damit meine ich nicht
konkrete Geschichten im Sinn von «Er ist hinaus gegangen, es war schönes Wetter und die Bäume blühten». In
der Musik geht es vielmehr um die Beschreibung emotionaler Zustände. In manchen Werken habe ich ein mehr
oder weniger klares Programm dazu im Kopf, dieses
möchte ich dem Publikum aber nicht mitteilen, da jeder
Zuhörer die Musik auf seine eigene Weise auffasst.
Und im physischen Sinn? Was machen Sie, was
denken Sie während Sie dirigieren?
Wenn ich dirigiere…(Pause) Das ist sehr schwierig
zu beschreiben. Was ich sagen kann – absolut eindeutig
– ist, dass ich nicht das zu hören versuche, was nahe
bei den Ohren liegt, also die Hauptlinie oder Hauptmelodie, sondern die versteckten, polyphonen Stimmen. Ich
konzentriere mich auf diese Linien, um zu kontrollieren,
ob sie hörbar sind. Wenn nicht, muss ich das Orchester
sofort dazu auffordern, die Balance anzupassen.
Die Hauptmelodie muss weniger dirigiert werden.
Sie wird in den Proben vorbereitet, die Phrasierung gepflegt. Im Konzert möchte ich die Musiker ihre Melodien
ausspielen lassen. Aber die Frage des Gleichgewichts,
die bleibt zentral.
Meine Aufgabe während des Konzertes ist es, die
Balance zwischen den verschiedenen Instrumentengruppen zu kontrollieren und gleichzeitig die Musiker
zu inspirieren. Um einen Vergleich zu benutzen: Es ist
wie bei einem Ball, der auf die Luftsäule eines Ventilators gesetzt wird. Da schwebt er nun, ist irgendwie
fixiert und trotzdem ständig in Bewegung. Diesen Ball
kann man mit den Händen ein bisschen bewegen, ihn
auf der Luftsäule verschieben. Es ist ein Spiel, man kann
sich damit vergnügen. Doch wenn man nicht genügend
sensibel ist, fällt der Ball sofort runter. Ähnlich verhält
es sich beim Dirigieren. Orchestermusik ist «coincidentia oppositorum». Etwas, das Organisation und Stabilität braucht, gleichzeitig jedoch nicht ohne Freiheit und
Improvisation existieren kann. – Ein «unstabiler stabiler
Prozess» sozusagen, ein Prozess, der stabil ist, jedoch
jeden Moment unstabil werden könnte. Es geht um die
Kontrolle über etwas, das wahnsinnig… zerbrechlich ist,
launisch auch, beständig wechselnd, wunderschön und
lebendig...
Wichtig ist, dass der Dirigent immer kontrolliert und
inspiriert. Inspiriert und kontrolliert. Herz und Kopf,
Kopf und Herz. Diese Dualität muss unbedingt im Gleichgewicht sein. Und ein solches Gleichgewicht ist niemals
statisch, es bewegt sich immer, es vibriert.
Ich finde es eindrücklich zu sehen und zu hören,
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wie die Begeisterung, mit der Sie Ihre Arbeit ausführen, auf das Orchester übergreift.
Ich habe selber nicht gehört, wie das Orchester früher gespielt hat. Bestimmt haben die Musiker und das
Publikum immer schon gemeinsame Höhepunkte erlebt!
Ich geniesse das Musizieren mit dem BSO sehr. Es ist
mein grösster Wunsch, dass die Musiker ihre Arbeit als
eine Feier betrachten, nicht als Dienst. Ich wünsche mir,
dass sie nach den Proben und Konzerten beglückt heimgehen, inspiriert und voll von positiver Energie. Diese
teilen sie dann wieder mit den Leuten, denen sie draussen begegnen. Das ist das Schönste. Diese Stimmung
möchte ich sowohl beim Orchester als auch beim Publikum weiter pflegen und entwickeln.
Ich wünsche mir, dass die Politik diesem Aspekt
der kulturellen Tradition wieder mehr Aufmerksamkeit
schenken würde. Wir brauchen kulturell interessierte
Menschen mit guter Ausbildung – und damit meine ich
jetzt nicht Ausbildung im Sinne von Diplomen und Hochschulabschlüssen. Ausbildung bedeutet für mich alles,
was in unserem Leben mit uns passiert. Was haben wir
gesehen, mit wem und wie haben wir gesprochen, was
haben wir gehört? Das ist die Ausbildung, sie beginnt
bei der Geburt. Und die Schule ist nur eine von mehreren Formen dieser Ausbildung.
Wie gesagt: Ich lade die Berner und Schweizer Politiker sehr herzlich zu unseren Konzerten ein. Ich wünsche
mir, dass sie das Orchester dieser Stadt mit Stolz und
Freude betrachten. Wir freuen uns sehr, wenn wir die
Leute aus dem Bundeshaus ab und zu bei uns begrüssen dürfen.
Bild: zVg.
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K U L T U R - P R
SONJA KOLLER
«wie ein leuchten der erinnerung»
Bild: zVg.
Die basel sinfonietta gastiert in Bern – Paul Sacher zu Ehren
■ «Der Weg ist das Ziel», soll Konfuzius gesagt haben.
Die basel sinfonietta, die in der aktuellen Saison ihren
25. Geburtstag feiert, stimmt dem chinesischen Philosophen zu und setzt sein Zitat als Motto über ihr Jubiläumsprogramm: «Dieser Satz passt zur bewegenden
Geschichte unseres Orchesters», findet die basel sinfonietta, «die ständige Dynamik prägt das Orchester von
seinen ersten Tagen bis heute».
Geliebte Gratwanderungen. Um künstlerische Träume auszuleben, um ungewöhnliche und experimentelle
Musik zum Erklingen zu bringen, und um grenzüberschreitende Produktionen zu verwirklichen, wurde die
basel sinfonietta 1980 von jungen Musikerinnen und
Musikern mit viel Idealismus gegründet. Von Anfang an
war klar, dass das Orchester demokratische Strukturen
haben sollte. Also: Kein Chefdirigent, die Orchestermitglieder dürfen in allen Entscheidungsprozessen mitbestimmen, die Geschäftsführung ist schlank und wendig.
Die Mitarbeiter des Orchesterbüros sind bei den Musikerinnen und Musikern angestellt – und nicht umgekehrt!
Löhne konnten in den ersten Lebensjahren des Orchesters keine gezahlt werden, Krisen und Hindernisse
mussten überwunden werden, um das abenteuerliche
Unternehmen aufrecht zu halten: «Als eine Gruppe von
jungen, idealistischen und begeisterungsfähigen Musiker/-innen sind wir angetreten, um uns für eine Idee
einzusetzen. Obwohl uns immer wieder der Untergang
prophezeit wurde, haben wir nie aufgegeben. Über die
Jahre haben wir uns die Fähigkeit angeeignet, uns immer wieder zu reformieren und uns neuen inneren und
äusseren Gegebenheiten anzupassen. Aber unter einer Voraussetzung: Ohne unser Selbstverständnis und
unsere künstlerische Eigenständigkeit preiszugeben»,
erinnert sich Ruedi Linder, dessen Kopf die Idee eines
«alternativen Orchesters» im Herbst 1979 entsprang.
Auf eine lange Zukunft. Heute ist die basel sinfonietta
fest in der schweizerischen Kulturlandschaft verankert
– und sie strahlt weit über die Landesgrenzen hinaus.
Dies beweisen auch die unzähligen Glückwünsche, die
das Orchester von freundschaftlich verbundenen Komponisten, von enthusiastischen Musikerinnen und von
seinem frischen, neugierigen Publikum zum Geburtstag
erhielt. So dampft das Orchester nun mit voller Kraft
durch sein Jubiläumsjahr – und macht dabei auch eine
Extrafahrt nach Bern: Dem grossen Musikförderer und
Freund der basel sinfonietta, Paul Sacher zu Ehren, konzertiert das engagierte Sinfonieorchester am 25. April
im Kultur-Casino Bern. Paul Sacher verstarb 1999, in
diesem Jahr hätte er seinen hundertsten Geburtstag
feiern können. Das Konzert steht unter der Leitung
des spanischen Dirigenten und Komponisten Cristobal
Halffter (geboren 1930 in Madrid). Als Jurymitglieder
eines Wettbewerbs für zeitgenössische Musik lernten
sich Halffter und Sacher 1968 in Warschau kennen. «Als
wir zwei Jahre später erneut dieser Jury angehörten,
dieses Mal in Basel, entwickelte sich eine enge und herzliche Freundschaft, die bis zu Paul Sachers Tod andauerte», erzählt der Dirigent. Seine Komposition «Tiento
del primer tono y batalla imperial», welche die basel
sinfonietta in Bern interpretieren wird, schrieb Cristobal Halffter zu Paul Sachers 80. Geburtstag. In seinem
kompositorischen Schaffen beschränkt sich Halffter keineswegs auf ästhetische Fragen. Vielmehr bringt er in
seiner Musik stets auch ethische und soziale Probleme
zum Ausdruck. So auch im Adagio en forma de rondo,
das in Bern als zweites Werk des Abends (nach Mozarts
Maurerischer Trauermusik KV 477) auf dem Programm
steht: Diese Musik ist geprägt von der geistig-emotionalen Wirkung, welche die Ereignisse des 11. Septembers
2001 auf den Komponisten ausübten.
Neue Wege. Uraufführungen gehören zur basel sinfonietta wie das Salz in die Suppe. In der aktuellen Saison stellt das Orchester seinem Publikum das Schlagzeugkonzert phosphor des deutschen Komponisten
Johannes Schöllhorn vor. Den Solopart übernimmt
Pascal Pons, dem das Konzert auch gewidmet ist. «Vom
Einzelnen zum Ganzen, das Ganze nicht im Ganzen und
das Einzelne nicht im Einzelnen ruhend, sondern immer zwischen allen Zwischenstufen und zwischen sich
und seiner Rolle oszillierend, stellt das Stück trotz oder
gerade wegen seines klaren Aufbaus eine Art «chiaroscuro» dar, eine – wenn man will – «phosphoreszierende
Form», schreibt der 1962 geborene Komponist zu seinem neuen Werk. Und er lädt das Publikum dazu ein,
sich in dieser Musik einen eigenen Weg zu finden; eine
eigene Geschichte wahrzunehmen: «Wie ein Leuchten
der Erinnerung».
Zum Konzert:
basel sinfonietta
Cristobal Halffter, Leitung
Pascal Pons, Schlagzeug
Dienstag, 25. April, 19:30 h Kultur-Casino Bern
(Weitere Termine: 23. April, 19:00 h Basel Stadtcasino
// 24. April, 19:30 h Freiburg i. Br. E-Werk)
W. A. Mozart: Maurerische Trauermusik c-moll, KV 477
- Cristobal Halffter (*1930): Adagio en forma de rondo
- Johannes Schöllhorn (*1962): phosphor, Schlagzeugkonzert (UA) - Cristobal Halffter (*1930): Tiento del
primer tono y batalla imperial
Vorverkauf:
Münstergass-Buchhandlung, Münstergasse 33, Bern
Abendkasse ab 18:30 h
Preise: CHF 30.- (ermässigt: 15.-)
Für weitere Informationen: www.baselsinfonietta.ch
B Ü H N E
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Bild: zVg.
TILL HILLBRECHT
jacko: «aua, ich lebe»
Das zeitgenössische Theatertreffen auawirleben ist heuer besonders reaktionsfreudig
■ Freie Radikale (chemisch: Atome oder Moleküle mit
mindestens einem ungepaarten Elektron, meist instabil
und besonders reaktionsfreudig), besetzen 11 Tage lang
Berns Theaterproduktionstätten. Namentlich freie Radikale (soziologisch: Personen, die schnellen, abrupten
Wechsel provozieren, Richtungsänderung mit ev. Gewalterzwingung) werden versucht sein, möglichst viele Zuschauer anzustecken, Reaktionäre einzubinden, um sie
einstweilen wieder verseucht auszuspucken.
Freie Radikale sind Giftklasse A. A wie Anarchos, die
irgend- und nirgendwo in der Gesellschaft hocken. Freie
Radikale ist Programm, ist Konzept, ist Name von auawirleben 2006.
Das Treffen für zeitgenössisches Theater nimmt für
seine diesjährige Ausgabe zum Thema, für was es seit
seiner Gründung vor 23 Jahren einsteht: Die Grundintention von auawirleben ist die theatrale Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Realität – und die Realität
ist, schaut man über seinen Tellerrand hinaus oder aber
auch mal in die eigene Suppe hinein, eine radikale Welt.
Was gestern war, zählt heute vielleicht schon als illegal oder, noch schlimmer, umgekehrt und wird ständig
von irgendwem bekämpft. Aus einer Laune oder aber
einer Zwangslage heraus an den Rand der Gesellschaft
geschoben: Selbstverständliches wird unverständlich,
ein Mauerblümchen wird zur fleischfressenden Pflanze
radikalisiert. Nebst all dem Übel doch eine fruchtbare
Erde fürs Theatergedeihen.
Wirft man einen Blick auf das Periodensystem von
auawirleben 06 wird schnell klar: An freien Radikalen
mangelt es beileibe nicht. Und viele Hochkarätige davon tun gütlich daran, am auawirleben Theatertreffen
06 aufzutreten. Ob das Programm die Explosivität des
Titels übernimmt, ist nicht einmal so massgebend. Denn
weiter wird klar: Radikal heisst zwar heftig, bedeutet
auch Extremsituation – aber Kunst sei, was Zündstoff
auf eine ganz subtile Art und Weise zu inszenieren
weiss: Beklemmend minimalistisch («Meeresrand», mit
Cathrin Störmer), politsatirisch, fesselnd und befreiend
(«Houdini oder die innere Sicherheit», Mass & Fieber)
oder dann aber auch klassisch terroristisch («RAF Unplugged», Barabra Weber & Co). Alles in extremo.
Der Rahmen für ein reaktionsfreudiges Programm
ist gross, das Theatertreffen indes spannt sich über die
ganze Stadt: Tatorte sind das Schlachthaus, Stadttheater Bern, Tojo Theater Reithalle, Dampfzentrale und
Festivalzentrum PROGR. Die Strategen der Kommandozentrale haben ganze Arbeit geleistet; der Einsatzplan
umfasst zehn Produktionen von Einsatztruppen aus
Deutschland, Belgien und der Schweiz, darunter die Kolhaasgruppe & sophiensaele Berlin, Theater Winkelwiese, Maxim Gorki Theater, schauspielfrankfurt. Übliche
Verdächtige also, aber auch neue Täter und Täterinnen
kollaborieren in Bern. Als nationaler Nachwuchs stehen
mit Botho Strauss` Trilogie des Wiedersehens die Studierenden von HKB - Theater (Hochschule der Künste
Bern) in ihrer Diplominszenierung auf der Bühne.
Zehn Produktionen hält der Veranstalter bereit, drei
davon feiern in Bern Uraufführung: «Fernwärme» (von
Reto Fringer), «Im inneren Ausland» (Christoph Frick
und Susanne Zahnd) und «Jacko Unplugged», zweiter
Teil des Unplugged2-Abends von Barbara Weber & Co:
Ein Schauspiel über schwarzen Widerstand und weissen
Puder. Und falsche Nasen.
Für das Konzertfenster gelingt auawirleben ein
ganz besonderer Wurf: Die Ausnahmekünstlerin Laurie
Anderson performt im Rahmen des Festivals mit «The
End of the moon» (2.5., Dampfzentrale) einen poetischen Abend über Weltraum, Krieg und Gesellschaft.
Anderson gilt als eine der bedeutendsten Medienkünstlerinnen weltweit und ist in Musik, Theater, Video- und
bildender Kunst gleichermassen zuhause. Eine freie Radikale par exellence, deren Werke immer wieder auch
gesellschaftskritische Appellation sind. Die Wege der
New Yorkerin kreuzen multimediale Opern und schlichte Soundexperimente und finden sich in erstklassigen
Performances wieder. Eine Radikalkur für kulturgeschädigte Bernerinnen und Berner.
An die guten Erfahrungen mit dem PROGR als letztjähriges Festivalzentrum will man anknüpfen. Die Turnhalle bildet Treffpunkt für KünstlerInnen und Publikum,
es gibt Apéro aber auch radikal warmes Essen. Und ein
Fest, und zwar ein richtiges: Mit Zuckerwatte schaukelt
man am 6. Mai den Jahrmarktfeelings-Zuckerspiegel
in die Höhe, um Tanz und Glitzer mit genügender Energiezufuhr zu frönen. Und da die klebrigen Finger das
Händeschütteln bereits im Keim erstickt haben, finde
man zu diesem Zeitpunkt anlässlich der RaketenglaceRenaissance doch heraus, ob das Eis des Jahrhunderts
immer noch so gut schmeckt wie vor 20 Jahren. Tipp: Es
wird.
Das Festivalzentrum bietet aber noch weitere Zückerchen; Text+ heisst das allabendliche Dessert für die
Ohren, dass Textperformer ab 22:00 h kochen und servieren. Words`n`Beats (Stauffer und Kuratli), Lieblingsbeats (lDeeP), dann und wann aber auch ein Scheisslied
(GUZ). Damit will der Veranstalter nicht auf zwei Hochzeiten tanzen, sondern die Slam-Szene als Sprechtheater ins auawirleben-Festival integrieren.
Elf Tage lang ist Bern frei. Und radikal. Dem Theatertreffen sei dank: Das Radikal wird auf unsere Gesellschaft
losgelassen, um zu beissen und zu kratzen – aua eben.
Dann merken wir mal wieder, dass wir noch leben.
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K U L T U R - P R
der wilde westen
kommt in den fernen osten!
Festival Ouest-Est
■ Endlich können sich die in Bern lebenden Romands
wieder ein bisschen zu Hause fühlen und müssen nicht
in den Westen flüchten, um vom Kulturangebot zu profitieren. Aber auch für kulturinteressierte Nicht-Romands
ist es eine Gelegenheit, wieder einmal das französische
Wörterbuch aus dem Bücherregal zu holen und dem
französischen Charme unserer Künstler zu verfallen.
Vor einem Jahr fand das erste Mal das Festival Ouest-Est
in Bern statt. Es wurde ein Schritt über die Sprachgrenze gemacht, um den kulturellen Röschtigraben zwischen
Romandie und der Deutschschweiz zu überwinden.
Damals war es die Partnerstadt Genf, und dieses Jahr
ist es Lausanne, genauer die Kulturszene rund um das
Théâtre Arsenic. Sandrine Kuster, Leiterin des Théâtre
Arsenic und Sandro Lunin vom Schlachthaus Bern haben in Zusammenarbeit mit der neuen Betriebsleitung
der Dampfzentrale ein Programm zusammengestellt,
das sich zwischen Tanz, Theater, Performance, Musik
und Comic bewegt. Die ausgewählten VertreterInnen
der Kulturszene Lausanne sind charakteristisch für die
zeitgenössische Kultur aus der Romandie und zeigen
einen spielerischen Umgang zwischen den Schnittstellen verschiedener Sparten. Diese Auseinandersetzung
spiegelt sich auf der Bühne wieder und man findet eine
charmante Prise von Selbstironie und Humor in den
Stücken. Ob das der Charme der Kulturszene aus der
Romandie ausmacht?
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen der
französischen und der deutschsprachigen Schweiz?
Wir wissen zwar, dass die Deutschschweizer nicht gerne
Hochdeutsch sprechen und die Romands das Schweizerdeutsch eher belustigend finden. Gibt es diesen
Röschtigraben wirklich und wollen wir ihn gerne behalten? Eigentlich ist es ja müssig, dass man über diese
sogenannten Unterschiede in einer so kleinen Schweiz
spricht. Einfach wäre es, zu sagen, wir interessieren uns
für eine qualitativ hoch stehende Kulturszene, egal von
wo. So ist es! Aber nicht nur. Die Diskussion zu diesem
Thema ist nicht uninteressant – geht es doch um kulturelle Unterschiede auf Schmalspurniveau. Wir kennen
alle diese Geschichten, von den Romands, die Deutschschweizer nicht lieben, und von den Deutschschwei-
zern, die wohl brav versuchen, französisch zu sprechen,
aber trotzdem eher belächelt werden. Ist es nicht auch
interessant, dass eine Minderheit wie die Romands
ein ausgeprägteres Kultur-Verständnis haben als die
Deutschschweizer, die durch ihre Ablehnung gegenüber
deutscher Kultur eben nicht einen grossen Bruder im
Rücken haben, wie die Romands mit Frankreich?
Beim Salongespräch «Sprachübergreifender Kulturaustausch: Kür oder Pflicht?» im Rahmen des Festivals
«Ouest-Est» gibt es eine Möglichkeit zur Diskussion. Die
Abteilung Theater von Pro Helvetia lädt alle Interessierten zu einem Salon ein, um darüber zu diskutieren, ob
ein von der Politik geförderter Austausch zwischen den
Regionen wirklich zu Verständigung innerhalb des Landes beiträgt. Kann die Kultur diesen Anspruch einlösen?
Gibt es adäquate Vermittlungsformen? Ist für das Theater der Austausch mit dem gleichsprachigen Ausland
sinnvoller?
Die Hauptsache dieses Festivals sind jedoch die
eingeladenen KünstlerInnen. Am Eröffnungsabend in
der Dampfzentrale setzt sich Massimo Furlan mit dem
Phänomen «Superman» auseinander. Er zeigte seine
Arbeiten unter anderem in der Gessnerallee Zürich
und im Centre Culturel Suisse in Paris. In Bern wird er
das Publikum mit zwei verschiedenen Performances
überraschen. Auch Gaspard Buma wollte schon immer
«ein starker Mann sein, ein präziser Tänzer, einfach
so, ein Superheld, ein umwerfender Liebhaber», und
er hilft auch mit einem «Crisis Managment Tool» aus
der Patsche. Zu dieser spielerischen «Männergruppe»
gesellt sich auch Yan Duyvendak, welcher sich mit dem
Wunsch, ein Star zu werden und dem Reality-Fernsehen
auseinandersetzt.
Weiter geht es mit illustren Namen aus der Theaterszene wie das «Théâtre en Flammes» und Marielle
Pinsard zeigen ihre Produktionen im Schlachthaus. In
der Dampfzentrale gibt es neben Party mit Optickle VJ
Michael Spahr und Marielle Pinsard’s Performance auch
die «Young Gods», und der zeitgenössische Tanz ist mit
Gilles Jobin’s «Steak House» vertreten.
Helge Reumann, der Comic-Zeichner und Illustrator hat
nicht nur das Programmheft gestaltet, welches detail-
liert über die Veranstaltungen informiert, sondern
zeigt auch ausgewählte Arbeiten im Schlachthaus.
Au revoir Röschtigraben – bienvenu Lausanne!
Programm
Mittwoch, 5. April 2006
Salon Abteilung Theater Pro Helvetia – Gespräch /
Dampfzentrale
Gaspard Buma – Performance / Dampfzentrale
Massimo Furlan – Performance / Dampfzentrale
Yan Duyvendak – Performance / Dampfzentrale
Donnerstag, 6. April 2006
Helge Reumann – Vernissage / Schlachthaus
Théâtre en Flammes – Theater / Schlachthaus
The Young Gods – Konzert / Dampfzentrale
Freitag, 7. April 2006
Helge Reumann – Ausstellung / Schlachthaus
Théâtre en Flammes – Theater / Schlachthaus
Samstag, 8. April 2006
Helge Reumann – Ausstellung / Schlachthaus
Marielle Pinsard – Theater / Schlachthaus
Massimo Furlan – Performance / Dampfzentrale
Gilles Jobin – Tanz / Dampfzentrale
VJ Michael Spahr & Marielle Pinsard – Performance +
Optickle Video Disco - / Dampfzentrale
Sonntag, 9. April 2006
Gilles Jobin – Tanz / Dampfzentrale
Kulturhallen Dampfzentrale
Marzilistr. 47
3005 Bern
kultur@dampfzentrale.ch
Reservation: 031 312 12 06 (Anrufbeantworter) und
www.dampfzentrale.ch
K U L T U R - P R
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Bilder: zVg.
berner weltmusikfrühling
weitere konzerte
■ Derweil die Knospen spriessen und auch kalendarisch der Frühling Tatsache geworden ist, steht der Weltmusik-Frühling schon kurz vor seinem Schlussbouquet.
Wer diese Ausgabe des ensuites dem Postboten aus den
Händen nimmt, schafft es gerade noch an die 5. Berner
Weltmusiknacht und kommt in den Genuss, nordindische
Klänge von zwei Grossmeistern dieser Kunst zu erleben.
Klassisch indische Musik hat während Jahrhunderten
eine einzigartige Raffinesse und Virtuosität entwickelt.
Während Bollywood und Bhangra die Dancefloors erobern und Indien zur Wirtschaftsmacht avanciert, wird
auch der Klassik- und Jazzwelt immer mehr bewusst,
welch beeindruckende Anzahl an phantastischen Musikern dieser Subkontinent beheimatet. Als Abschlussfeuerwerk der «Musik der Welt» Frühlingskonzerte folgt
am 26. April für alle Fans andalusischer Gitarrenakrobatik und edlen Tanzes ein Abend mit der Compania Flamenca des bekannten Gitarristen Antonio Andrade.
5. Berner Weltmusiknacht (Nordindien). Hariprasad Chaurasia, Rajeev Taranath, Sandip Bhattacharya
«Ich spiele nicht auf der Flöte, ich singe durch sie». Hariprasad Chaurasia hat sich mit seiner legendären Virtuosität auf der einfachen Bambusflöte längst Weltruf
eingespielt.
Seine Diskographie und die überdurchschnittliche Zahl seiner jährlichen Konzerte rund um den
Erdball sind beeindruckend. Kein Musikfestival in Indien möchte ohne seine Präsenz auskommen und
im Westen ist er sowohl als Partner von Musikern
wie Yehudi Menuhin, John McLaughlin und Jan Garbarek wie als Botschafter der alten Musiktradition
Indiens
bekannt.
www.hariprasadchaurasia.com
Mit Rajeev Taranath haben wir einen der Senior Sarodmeister Indiens zu Gast. Der bescheidene, von der
Presse gelobte Musiker entzieht sich jedoch dem grossen
Rummel und ist, speziell in Europa, selten zu hören. Er
repräsentiert wie Chaurasia die Senia Beenkar Gharana,
die auf Mya Tansen, den berühmten Hofmusiker des Mogulkaisers Akbar zurückgeht. www.rajeevtaranath.com
Sandip Bhattacharya, der die beiden Solisten jeweils
auf der Tabla begleitet, stammt aus der Musik-Hochburg
Varanasi. Nebst der Benares Gharana studierte Sandip
auch den Farukhabad Stil und die zur Begleitung des
Dhurpada benutzte Doppeltrommel Phakawaj. Er spielte
mit vielen von Indiens Top-Musiker und auch in stilübergreifenden Projekten, u.a. mit Mari Boine oder der Gruppe Vedaki (Montreux 2000). www.sandip-tabla.com
Compania Antonio Andrade
Andrade wurde in Puebla de Cazalla bei Sevilla, einem
der traditionsreichsten Dörfer des Flamencogesangs geboren und wuchs ganz verbunden mit dieser Kunstform
auf. Sein Onkel ist José Menese - eine lebende Legende
unter den Flamenco-Sängern. Es verstand sich daher
von selbst, dass Antonio schon in frühester Kindheit
mit dem Gitarrenspiel begann. Seine Lehrmeister waren
Romero de Badajoz, Miguel Perez und Antonio Amador
vom Gitano-Clan der Amadores. In seiner mittlerweile
langen Karriere arbeitet er mit Flamenco-Grössen wie
Javier Barón, Israel Galván, Antonio «El Pipa», Javier
Cruz, Sara Baras, Carmen Ledesma und vielen anderen
zusammen
Als künstlerischer Leiter und Produzent der «Compañia Flamenca Alhama & Maria Serrano» hat Antonio
Andrade sein Können in zahlreichen Tourneen unter Beweis gestellt und Konzertreisen mit Grossproduktionen
führten ihn durch die Opernhäuser und Konzerthallen
der Welt.
Mit «Noches de Amor» kehrt er auf intimere Bühnen
und zum ursprünglichen «Flamenco puro» zurück. Diese kraftvolle und impulsive Grundform bildet auch heute
noch das lebendige Rückgrat der weltweit bekanntesten
Kunstform Spaniens. Es ist die physische und emotionale Kontrolle der TänzerInnen über ihren Körper: die Art,
wie der Kopf hochgehalten wird, die Bewegungen der
Schultern, die Gestik der Arme, die komplexen Rhythmen der Füsse zu denen Instrumentalisten und Sänger
im Wechselspiel improvisieren. Die Kraft des «Flamenco
puro» kommt aus dem Moment der Katharsis, wenn der
Tanz die Kontrolle durchbricht und in reine Energie und
Freude umschlägt.
Compania Antonio Andrade: Antonio Andrade (guit),
David Huertas Bravo (perc, guit, voc), Francisco Javier
Orozco (perc, voc), Vicente Dominguez (flute, saxes),
«Juanaire» Juan Siddi (dance, palmas), Rosalia Moreno
(dance, palmas). http://www.antonio-andrade.com
Musik der Welt in Bern präsentiert:
Samstag, 1. April 2006, 20:00 h
Salon Royal, Bellevue Palace Bern
5. Berner Weltmusiknacht
Hariprasad Chaurasia & Rajeev Taranath (Nordindien)
Mittwoch, 26. April, 20:00 h
Theater National Bern
Compania Flamenca Antonio Andrade (Spanien)
In Zusammenarbeit mit WeltMusikWelt ZH und Los
Caracoles
Preisinfo und Reservation:
www.musikderwelt.info
Vorverkaufsstellen:
Transa Travel & Outdoor, Aarbergergasse 21, Bern
Kalisha Rathausgasse 47, Bern
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B Ü H N E
Bilder: zVg.
«DIESE
BLÖDE SEHNSUCHT!»
Bier für Frauen von Felicia Zeller
■ Wir haben es wahrscheinlich alle schon einmal erlebt:
Hat das erste Bier noch gelöste Konversation zur Folge, wird diese spätestens nach dem fünften, sechsten,
siebten zu tränenseliger Gefühlsdusselei oder kicherndem Geblödel, es sei denn, man ist nicht schon längst,
den Kopf auf dem Tisch, eingeschlafen. Aber reagieren
Frauen eigentlich anders auf Alkohol als Männer? Dieser Frage ist die junge deutsche Autorin Felicia Zeller in
ihrem Stück «Bier für Frauen» nachgegangen. Sie hat
trinkende, saufende und betrunkene Frauen belauscht
und das Gehörte zu einer Sprachcollage verarbeitet.
Drei Frauen (-typen) – rot, blond und schwarz – durchleben auf der Bühne, stellvertretend für alle trinkenden
Frauen, von der Gelegenheits- bis zur Hardcoretrinkerin,
sämtliche Phasen eines alkoholisierten Abends. Die drei
reden über die üblichen Themen: Aussehen, Männer
und darüber, in Zukunft nicht mehr zu trinken. Eine beschwert sich, dass ihr beim Küssen in letzter Zeit immer
die Zähne in den Weg kämen, eine andere erzählt, mehr
oder weniger amüsiert, von der Gabe sich selbst wie
von aussen beobachten zu können. Ganz nebenbei entwickeln die drei ausserdem ein geniales Werbekonzept
für die Zukunft.
Zwischen den Akten wird jeweils der Alkoholpegel
bekannt gegeben, dieser wird spätestens bei zehn Bier
zusätzlich mit Alka Seltzer abgemischt. Der Flirt mit
dem männlichen Theaterpublikum will auch nicht mehr
so richtig gelingen. Das Lallen der Frauen wird mit jedem Bier unzusammenhängender und ihre seelische
Verfassung immer trauriger. In dieser Phase fallen dann
auch die schönsten Sätze des Abends: «Wenn man dann
so ankommt. So mit sich selber, so voller Hoffnung»
oder ein völlig verwirrtes: «Was mache ich eigentlich
und so weiter...» während die dritte nur noch verzweifelt
schreit: «Diese blöde Sehnsucht!». (ss)
Bier für Frauen
von Felicia Zeller
Schweizer Erstaufführung
Inszenierung: Katharina Ramser
Mit: Susanne Bard, Heidi-Maria Glössner, Grazia Pergoletti
1./2./4./8./12. April wochentags 19:30 h, Samstag / Sonntag 19:00 h, Kornhausbühne.
TITANIAMANIA
«In the future, everyone will be famous
for 15 minutes.» Andy Warhol
■ Die freie Theatergruppe Far A Day Cage («Polizey»)
setzt sich in ihrer neuesten Produktion mit dem momentanen Casting-Wahnsinn der TV-Shows auseinander.
Den Weggang von drei Gruppenmitgliedern in ein festes
Engagement nimmt die Gruppe zum Anlass, ein Casting
– offen für jedermann – zu veranstalten und dies direkt
in die Produktion mit einzubauen. «Entdeckt zu werden,
aus der alltäglichen Anonymität und Durchschnittlichkeit ausbrechen zu können und das Leben eines Stars
zu führen, scheint heute für jedermann möglich zu sein,
ungeachtet der Talente und Motivationen.»
Als Textgrundlage dient Shakespeares «Ein Sommernachtstraum», das zauberhafte Verwirr- und Verwandlungsstück handelt unter anderem von einer Laientheatertruppe. «Kein Stück der klassischen und modernen
Literatur bietet besseres Material, um den Fragen um
Traum und Wirklichkeit, Hoffnung und Enttäuschung,
Selbstbestimmung und Manipulation auf den Grund zu
gehen.»
Titania, Oberon, Puck und Co. werden zu Jurymitgliedern und die im Winter gecasteten temporären Neumitglieder «egal ob Schauspieler, Soziologiestudenten oder
Tramfahrer» präsentieren sich erstmals der Öffentlichkeit. Wer weiss, vielleicht gibt es ja tatsächlich ein Talent
zu entdecken. (ss)
Titaniamania.
Die Midsummer Night’s Casting Show! Far A Day Cage
Mit Christoph Moerikofer, Tomas Schweigen, Tatjana
Steinbichl, Julia Stöter, Vera von Gunten und die gecasteten Darsteller sowie wechselnde prominente Gäste
aus Theater / Medien. Regie: Tomas Schweigen. Konzept: Tomas Schweigen, Julia Stöter, Vera von Gunten.
19. – 22. April um 20:30 h im Schlachthaus Theater Bern,
Rathausgasse 20/22.
VERUNSICHERUNG
■ Die Menschen brauchen dank der «Pro Illuminatis»
– Pille nur noch zwei Stunden Schlaf, sie sind fit, produktiv und effizient. In einer solchen Welt lebt Herbert K.,
der weiterhin acht Stunden Schlaf und Träume pro Tag
geniesst und somit Gefahr läuft, als Sozialparasit abgestempelt zu werden. Eine Versicherungsgesellschaft
versucht ihm sein Verlangen nach Schlaf schleunigst
auszutreiben. In einem Aufbauprogramm soll er mit
Hilfe seines persönlichen Beraters lernen, seinen Alltag
in den Griff zu bekommen: weniger trinken, mehr Sport
treiben, gesund leben. Herbert scheitert daran. Jede
Nacht zieht es ihn an ein unlöschbares Feuer. «Ein Ort,
an dem er ein Alter Ego gebiert, dass ihm die Freiheit
jenseits aller Abhängigkeiten von Versicherungen und
Vorsorgeplänen aufzeigt.»
«Verunsicherung» der jungen Basler Formation
TLÖN («Kopie») ist eine unheimliche Zukunftsvision,
eine «melancholisch-satirische Social-Fiction, welche
die bestehenden Tendenzen im Versicherungswesen auf
die Spitze treibt».
Musikalisch begleitet wird Herbert auf seiner Odyssee von einem traurigen Gitarristen, der ihm den Blues
spielt. (ss)
Verunsicherung
Eine TLÖN Produktion
Regie: Dominique Müller. Text: Dominique Müller, Manuel Bürgin. Musik: Sandro Corbat, Frank Wenzel. Bühne/
Video: Lydia Lymbourides. Kostüme: Judith Steinmann.
Spiel: Manuel Bürgin, Sandro Corbat, Dominique Müller,
Christopher Novák, Frank Wenzel.
6., 7. & 9. April um 20:30 h im Tojo Theater Reitschule,
Neubrückstr. 9.
S T A D T
T H U N
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Bild: zVg.
TABEA STEINER
peter wyssbrods
goldener thunfisch
■ Peter Wyssbrod erhält dieses Jahr den goldenen Thunfisch, den Schweizer Kleinkunstpreis schlechthin. Wenn
man sein Lebenswerk kennt, ist das nichts als selbstverständlich. Wenn man es nicht kennt, zuckt man mit den
Schultern, oder aber mit den Brauen, wenn man weiss,
dass seine Vorgänger Namen tragen wie 05 Gardi Hutter,
04 Thiel und Jean Claude Sassin, 99 Ursus und Nadeschkin, 97 Stimmhorn oder 95 Michael von der Heide, um die
prominentesten, der Deutschschweiz jedenfalls, zu nennen. Andreas braucht man gar nicht mehr mit Vor- und
Nachnamen zu nennen, so präsent ist er. Zuweilen wird er
gar in einem Atemzug mit Tanja Frieden genannt oder in
Jugendgottesdiensten zitiert.
Nun aber zurück zu Peter Wyssbrod, dem Beehrten des
Jahres 2006. Liest man den Pressebericht von Anfang
Januar, stolpert man bereits beim Titel: «Ein Unbotmässiger des Theaters» (Thuner Tagblatt).
Was um Himmels Willen heisst unbotmässig? Spielt er
Stücke von Goethe? Weit gefehlt, er spielt seine eigenen
vier Stücke, wobei er als Autor, Regisseur, Bühnenbildner
und Interpret fungiert. Vier eigene Stücke und nicht mehr.
Er spielt ebenfalls «Das letzte Band» von Samuel Beckett, welcher ihn durch sein Leben begleitet und eine prägende Rolle gespielt hat, und ist ab und zu in Fernsehfilmen wie «Tod einer Ärztin», «Einmal noch Shakespeare»
und weiteren zu sehen, aber seine eigenen WyssbrodStücke sind und bleiben vier an der Zahl. Viele Auftritte
sind ihm schon verwehrt worden, weil er seine alten
Stücke in der Tasche hatte und nichts Neues, das Theater
will Frischprodukte über den Ladentisch gehen lassen.
Erstaunlich daran ist auch, dass die Stücke in kurzen
zeitlichen Abständen geschrieben und uraufgeführt wurden, 1974 «Abfall / Ordures», 1976 «Le Grand Départ»,
1979 «Hommage au Théatre» und 1981 «Entracte».
Und dann fertig. Er hat gesagt, was er zu sagen hat,
und das ist viel. Und er hat es in diesen vier Stücken
gesagt, auch wenn «Abfall / Ordures» und «Le Grand
Départ» Theaterstücke ohne Worte sind. Und genau das
ist seine Kunst, er braucht die Sprache nicht, um etwas zu
sagen, er teilt es ohnehin mit.
An diesem Punkt setzt dann aber auch ein gewisses
Unverständnis ein, dafür, dass man Peter Wyssbrod in der
Deutschschweiz so schlecht kennt. Die Sprache kann es
letzten Endes nicht sein, die seinen Erfolg gehemmt hat,
er ist Deutschschweizer, nicht einmal bilingue. Nach erfolgreichen Aufführungen am Hechtplatz in Zürich wurde er
1980 von der Pro Helvetia eingeladen, in Le Havre an einer
Veranstaltungsreihe teilzunehmen, wofür er nach einigem
Zögern sein Stück übersetzen liess. Dies war die Initialzündung für seine Karriere im frankophonen Raum. Nach
und nach genoss er einen immer höheren Bekanntheitsgrad in der Westschweiz, Frankreich und Belgien, wurde
er 1985 am Festival in Cannes mit der Preis für den besten
Schauspieler ausgezeichnet und in der Folge von Pro Helvetia dazu ausgewählt, mit seinem legendären Hommage
au Thêatre das Centre Culturel Suisse in Paris zu eröffnen,
während er in der Deutschschweiz dem Vergessen anheim
fiel. Seine persönliche Ab-Wende von der Deutschschweiz
löste ein leicht schizophrenes Erlebnis aus: Seine Bewerbung um Teilnahme an der quinzaine culturelle romande
1986 in Zürich (selektive Auswahl von Theaterproduktionen aus der Westschweiz) wurde mit der Begründung
abgelehnt: Sie sind ja doch eigentlich Deutschschweizer,
Herr Wyssbrod! Zürich hatte ihn also ins Französische Exil
verbannt.
Mit einer gehörige Portion Selbstbewusstsein arbeitet
er weiter, und das scheint auch das ihn tragende Moment
zu sein: ich habe doch Stücke, und ich habe Stücke, mit
welchen ich grossen Erfolg hatte, und noch immer hatte,
also lasst mich spielen. Und nicht nur an einem einzelnen
Abend, sondern eine ganze Serie will ich bespielen, denn
es muss sich herumsprechen: Wyssbrod ist in der Stadt,
den muss man gesehen haben! Wie einen guten Film oder
den Zirkus Knie.
Wie 1987 am fest off in Avignon, als er ein Kubikmeter
Werbematerial 6000 plakate für sein Programm mitgen-
ommen hatte, und gar nicht wusste wohin damit in dieser
grossen Stadt. So beklebte er einfach die Strassen, und
dem flic erklärte er, dass man das en suisse halt so handhabe. Sein Programm war eines der erfolgreichsten, und
wir haben nun das Prinzip der Wandzeitungen.
Und doch, ein Wyssbrod kann nicht gleichzeitig in
allen Theater spielen so wie ein Film, und ein Zirkus ist
er ebenfalls nicht. Deshalb gibt es noch immer Städte
in der Schweiz, in welchen er seine Stücke noch nicht
alle gespielt hat, und das würde auch noch eine geraume Weile dauern. Und ich glaube nach wie vor, dass er
recht hat: Wyssbrod in der Stadt, das müsste man wirklich
gesehen haben. Nur war er bisher in meiner Kleinstadt
noch nicht, würde gerne bereits einen Platz reservieren.
Sein Problem scheint wirklich darin zu liegen: welches
Theater probt schon über eine längere Zeit, um das Stück
dann nur ein einziges Mal vorzuführen? Auch kann es
nicht daran liegen, dass er Solostücke aufführt, besagter
Thiel führt winterfüllend und begeisternd das selbe Stück
auf, Ursus und Nadeschkin bieten gar Reprisen an, ausverkauft. Irgendwo scheint es zu klemmen, und man versteht nicht so genau, weshalb, man weiss nur, dass es in
der Deutschschweiz ist.
Unbotmässig, weil er seine Botschaft nicht ins ganze
Land tragen kann? Man spürt es heraus, ein grosses Genie,
das nicht das will, was seine Paten wollen, nämlich immer
neu gut sein. Man kann auch mit dem immer gleichen gut
sein, man kann der Beständigkeit ein neues Gesicht verleihen, indem man ihr die vermeintliche Maske der Langeweile abnimmt und das von Peter Wyssbrod aufsetzt.
Denn: auch ein gutes Buch, und gerade eines von Goethe,
kann man immer wieder lesen. Und wenn man dann noch
weiss, dass Peter Wyssbrod zwischen den einzelnen Auftritten seine Stücke szenisch nicht probt, sondern sie nur
im Kopf memoriert, dann wird erst recht klar, dass jeder
Auftritt eine Premiere ist.
Weiter Informationen: www.ktv.ch
16
M U S I K
SARA TRAUFFER
EIN SOPRAN FÄHRT BUS
■ Sie heisst Ernst. Aber sie hat Witz. Auf die Idee,
eine Beobachtung während einer Busfahrt zu vertonen, muss man erst einmal kommen. Eine alltägliche
Szene, es ist eng und ein Fahrgast stört sich über
andere, die ihm auf die Füsse treten, benimmt sich
etwas auffallend. Der französische Schriftsteller Raymond Queneau hat sich einen Spass daraus gemacht,
diese Kleinigkeit in unzähligen literarischen Stilübungen zu karikieren. Ein gefundenes Fressen für Siegrid
Ernst, die deutsche Komponistin mit grossem Interesse für Sprachformulierungen. Sie hat eine Auswahl
dieser Stilübungen für eine Solo-Sopranistin in Musik
gesetzt und lässt diese herrlich humorvoll durch die
unterschiedlichen Stilebenen hüpfen. Mal distanziert,
mal direkt, verspielt, umständlich oder ignorant. Da
kann es auch mal zu einem heftigen Ausruf kommen,
wie man ihn üblicherweise selten in Konzerten zu hören bekommt: «Das ist mir scheissegal!» gehört hier
mit zur Komposition.
Die CD würde jedoch nicht den Titel «Facetten»
tragen, wären darauf nicht auch die anderen Seiten
der 1929 geborenen Komponistin zu hören: ernsthaftere, eindringlichere Töne. Zum Beispiel «Damit
es anders anfängt zwischen uns allen» für Chor und
Orgel nach einem Gedicht von Hilde Domin. Ein ziemlicher Brocken, dramatisch und intensiv, vielleicht
sogar politisch deutbar, anspruchsvoll für den Chor,
und auch zum Zuhören nicht einfach. Überhaupt ist
die CD als Ganzes keine leichte Kost. Sie erfordert
genaues, konzentriertes Hinhören, und man kann
sich vorstellen, dass die Werke live eine noch weit
grössere Wirkung entfalten. Trotzdem: Es lohnt sich,
dieser Porträt-CD Zeit zu widmen. Neben den vokalen sind darauf nämlich auch äusserst spannende instrumentale Kompositionen versammelt. Ein Trio für
die seltene Besetzung Flöte, Viola und Gitarre etwa.
Oder das Eingangsstück «Para» für Mezzosopran,
Querflöte, Violoncello und Klavier, wo die Singstimme ohne Text, nur Vokale und Silben singend, wie ein
Instrument eingesetzt ist. Facettenreich.
Siegrid Ernst: Facetten. Kammermusik und Vokales.
2005 Hastedt HT 5326
Bild: zVg.
BENEDIKT SARTORIUS
süsse, lärmende popträume
■ «Fantastic. C’est la vie. Ring a bell for joy. Enjoy.» Mit
trotzig anmutender Stimme und japanischem Akzent
singt die Sängerin und Bassistin Satomi Matsuzaki diesen Aufruf an die Freude und bildet so einen seltsamen
Kontrast zur rollenden, lärmenden, ekstaseähnlichen
Soundwand der übrigen Band. Eine Gitarrenwand, getrieben von Rumpelkammerschlagzeug, die das aktuelle, mit 56 Minuten Spielzeit für Deerhoof Verhältnisse
epische Album «The Runners Four» (Kill Rock Stars)
beschliesst.
Deerhoof sind eine der Gruppen, die sich keinen
Deut um vermeintliche Zauberwörter des Musikbusiness wie Genres, Trends und Durchhörbarkeit scheren.
Von Grund auf unberechenbar, ohne je einem wie auch
immer gearteten, anmassenden Kunstkonzept verpflichtet zu sein, ziehen Deerhoof ihre Kreise im freien Feld;
wenig erstaunlich also, dass Popprominente wie Sonic
Youth, Wilco und der Simpsons Erfinder Matt Groening
bekennende Anhänger der Gruppe sind.
Seit zwölf Jahren betreibt Greg Saunier seine Band,
zuerst als Gitarren-Schlagzeug Duo, das 2001 neu formiert und zum Quartett erweitert wurde. Der immens
produktive, in San Francisco ansässige Vierer verquirlt
auf genialische Weise glückselige Melodien mit Lärm
und zitiert sich munter durch die weit verzweigte Geschichte der Popkultur. Ruhelos befinden sich Deerhoof
gleich neugierigen Kindern auf der Suche nach immer
neuen Überraschungen, Ideen und Abenteuern, die pro
Jahr in mindestens einem, oft kürzestmöglichen Album
verbraten werden: «Green Cosmos», die im Frühjahr
2005 erschienene EP, führt in gerade mal 18 Minuten
von Noise-Attacken über süssen, opulenten Nippon-Pop
bis hin zu entrückten, gespenstischen Kinderliedern.
«Milk Man» (2004) legt mit einem hymnischen GitarrenRiff los, Spukorgeln tauchen die Szenerie in ein bombastisches, gotisches Licht. Dazwischen finden sich kleine,
listige Nervensägenlieder, die bei aller Widerborstigkeit
und Sperrigkeit den herzlichen Charme dieser Band an
den Tag legen.
Und nun also «The Runners Four»: Zwanzig Stücke,
Lieder, Clips, Collagen, die bei jedem Hördurchlauf neu
entdeckt werden wollen und müssen. Zwanzig Stücke,
die immer neue Facetten freilegen. Schliesslich zwanzig
Stücke, von denen mindestens die Hälfte listige Ohrwurmqualitäten besitzt und sei es auch nur der kleinste Haken, die die Melodie schlägt und durch den Kopf
wirbelt und zwirbelt, als sei es die einfachste Musik der
Welt. «The Runners Four» versteckt seine Ausgereiftheit hinter salopp anmutender Übungsraumatmosphäre, die die Zeitachse einmal mehr aushebelt, damit eher
an eine bislang im Vergessen schlummernde Produktion
aus den sechziger Jahren erinnert und nichts weniger
als süsse, leichtfüssig lärmende, feine, zwielichtige,
kurz: abenteuerliche Popmusikträume freisetzt.
Einziges CH-Konzert: 4. April, 21:00 h, Bad Bonn, Düdingen. Support: Disco Drive.
Weitere Informationen:
http://deerhoof.killrockstars.com
C D - T I P P S
17
LUKAS VOGELSANG
ECM listening post
Kate Bush – Aerial
Neil Diamond – 12 Songs
■ Nach über 12 Jahren bringt uns Kate Bush die Mystik
zurück und wer den Frühling noch nicht wahrgenommen
hat, wird mit dem Doppelalbum «Aerial» aus dem Winter
gezaubert. Es ist erstaunlich, dass diese Frau in all den
Jahren nicht die Spur von ihrem Konzept weggerückt
ist. Zum Glück: Sie ist eine der grossen Musikerinnen,
welche in den letzten 30 Jahren das Musikgeschehen
und die Entwicklungen mitgeprägt hat. Den Erfolg hat
sie sich nie durch die Klatsch-Presse erlogen, sondern
ging ihren eigenen Weg und Ideen nach. Eigentlich ist
sie ein sympathisches Musikerinnen-Gnom und eine
Querbeettänzerin.
Die zwei CDs haben unterschiedliche Charaktere: «A
Sea of Honey» ist klassischer und zeitloser in den Stücken, poppiger, frecher und ein gutes Aufwärmen und
Vorbereiten auf «A Sky of Honey», der zweiten CD. Da
wird Kate Bush doch konkreter in der Definition, was ein
mystisches Popexperiment sein könnte. Man muss gut
hinhören, um all die Feinheiten wahrnehmen zu können. Aber der Frühling ist garantiert. Da Kate Bush Kate
Bush ist und auch klingt wie Kate Bush, kann man keine
Wertung machen. Sie produzierte schon immer musikalische Bilderbücher, Geschichten, die so klingen, wie die
Geschichte verläuft. Da gibt es schöne oder weniger erfreuliche Momente – aber sie gehören zu der Geschichte. Wegstreichen kann man nichts.
Auch wenn in elf Jahren voluminösere Erwartungen
gereift sind, so ist «Aerial» eine meisterliche Überraschung. Die Kraft liegt diesmal in der nicht ausgespielten
Möglichkeit. Fast penetrant halten sich die MusikerInnen
zurück, spielen fast liegend, in einer verstörenden organischen Verhaltenheit. Man hat zuweilen das Gefühl aus
dem Timing zu springen. Kate Bush wiederum, mit ihrer
vertrauten Stimme, zaubert darin mit feinen und skurrilen Texten. Auch das ist verwirrlich. Und gerade weil
alles so unbegreiflich ist, diese ungekünstelte Mystik in
uns eindringt und uns einnimmt, wird das Doppelalbum
zur Sucht. Wer sich darauf einlässt wird sein eigener Gefangener.
Mit «Aerial» hat Kate Bush nach so langer Zeit wieder unerreichbar unbegreifliche Musik in mystischen
Nebel oder in eine Frage gesetzt. Wenn man bedenkt,
dass es eigentlich Pop-Musik wäre und ist, taucht man
erstaunt gleich nach den ersten Takten ein und entschwindet dieser Welt. Festhalten oder klassieren kann
man Kate Bush nicht und es ist ein Segen. (vl)
■ Ich kannte Neil Diamond aus dem Soundtrack zu
Jonathan Livingstons Seagull («Die Möwe Jonathan»),
welche meine Eltern noch als Langspielplatte in der
Sammlung hatten. Als vielleicht fünfjähriges Kind spielte ich diese Platte rauf und runter – irgendwie angetan
und unersättlich. Viel später kaufte ich mir sogar die CD
– einfach weil die Musik tiefe Bilder in meiner Erinnerung hinterlassen hatte. Für mich waren der amerikanische Songwriter und das Urgestein der bombastischromantischen Kitschmusik schon längst ausgestorben
geglaubt. Umso überraschter war ich, als ich hörte, dass
er jetzt ein neues Album herausgegeben und dies sogar
auf Virgin Radio (England), und als «album of the year
2006» nominiert wurde.
Neil Diamond war in den 60er Jahren ein ErfolgsSongschreiber und hat «the Monkees» und vielen anderen Bands und Sängern Songs verkauft. Aber auch
sicher selber konnte er immer in den Top Ten halten.
Was sich in den «12 Songs» abspielt ist nun aber alles
andere als kitschig. Natürlich, einen grossen Teil seiner
romantischen Seele hat Neil Diamond nie hergegeben,
doch Rick Rubin – ein grossartiger und staubtrockener
Produzent – hat aber den Diamant geschliffen und in ein
neues Licht gerückt.
Neil Diamond, in diesem Jahr 65 Jahre alt, hat wohl
das brillanteste aller seiner Produktionen geschaffen.
Wir geniessen Songs mit einer unerreichten Erfahrung
im Songwriting. Virgin Radio hatte recht, das Album
ist ein Versprechen. Und vielleicht mag es an Johnny
Cash erinnern und als Kopie erscheinen, doch dass
dieser Mann nach so vielen Jahren noch so viel Klasse
aufweist, ist phantastisch. Anders betrachtet, kommt
dieses Album im perfektesten Moment auf den Markt
– eben wegen Johnny Cash. Reinhören ist ein Muss und
lassen Sie sich überraschen. (vl)
■ Wenn Schönheit ein musikalischer Begriff wäre, so
würden wir sie wie Anouar Brahem besingen. Anouar
ist kein unbeschriebenes Blatt mehr. Zusammen mit
Rabih Abou-Khalil und Dhafer Youssef gehört er zu
den grossen Oud-Spielern, welche dieses Instrument
aus dem Schatten der Dattelpalme geholt haben. Als
geborener Tunesier (1957) und hat er bei Al Sriti, seinem Musiklehrer und Meister, klassische arabische
Musik studiert. Aber Anouar ist ein Reisender, welcher
nie an den gleichen Ort zurückkehrt und jeder Schritt
heisst Entwicklung, ist Dankbarkeit und Demut. Nur so
kann erklärt werden, mit welch Innigkeit er die Oud
und seine Kompositionen in diesen Glanz erheben
kann. Die Zusammenarbeit mit Manfred Eicher und
dem ECM-Label war schon fast geschriebene Prophezeiung.
Mit «Le voyage de Sahar» spielt er mit zwei ebenso skurrilen, wie grandiosen Musikern zusammen. Das
ist zum einen Jean-Louis Matinier, der mit dem Akkordeon einen so feinen und sensiblen Klang trifft, mit
Zärtlichkeit um den Bauchnabel streichend, dass wir
nicht erkennen, ob er es nicht wirklich tut. Die Kombination Akkordeon mit der Oud übertrifft bei weitem
die Erotik eines argentinischen Bandoneóns. Wenn
dann François Couturier noch mit dem Piano dazutrifft, entfährt uns nur noch ein seliger Seufzer.
Wenn Schönheit ein musikalischer Begriff wäre, so
würde er wie «Le voyage de Sahar» klingen. Nichts
bricht aus, nichts entgleitet der Führung, nichts fühlt
sich zufällig an. Wir spüren den Sand unter den Füssen, blicken in die Weite und werden zu Entdeckern
der Wüste. Es riecht nach dicken Zeltstoffen und es
knistert zwischen den Zähnen. Die Musik weckt die
Neugierde und führt den Traum. Die Schönheit verschlägt einem zuweilen den Atem.
«Le voyage de Sahar» ist bisher das stärkste und
perfekteste Album von Anouar Brahem überhaupt.
Man kann gespannt sein, auf welche Reise er uns noch
einladen wird. Dies hier ist nur eine Oase, doch sein
Weg wird noch weiterführen. Geniessen wir den Moment.
Anouar Brahem – Le voyage de Sahar // ECM 1915
18
M U S I K
april im marians jazzroom
Im Rahmen des 31. Internationalen Jazzfestivals Bern 2006
SARAH ELENA SCHWERZMANN
FRÜHENGLISCH
KOMMT ZU SPÄT
■ Es ist ja wirklich unglaublich, wie es um unsere
Englischkenntnisse steht. Vor nicht allzu langer Zeit
habe ich mich ab einem deutschen Auslandjournalisten totgelacht, der eine Rede von Bush zusammenfassen sollte und «homeland security», womit
die Sicherheit innerhalb eines Landes gemeint ist,
mit «Heimatschutz» übersetzt hat. So stupide und
anspruchslos wie Medien im heutigen Zeitalter sein
können, ist diese Übersetzung eins zu eins übernommen worden und man durfte in der Zeitung lesen, dass die CIA doch tatsächlich eine «Abteilung
für Heimatschutz» hat. Ich kann mir gut vorstellen
wie irgendwelche Agenten Vögelchen, die vom Aussterben bedroht sind, nachjagen und Sprayer, die an
geschützten Gebäuden ihre Kritzeleien hinterlassen
nach Guantánamo verfrachten.
Doch seit letztem Samstag, dem 18. März dürfen
auch wir Schweizer uns in Grund und Boden schämen. Auf unserem Lieblings- weil einziger nationaler
Sender wurde eine tolle Show mit einem ehemaligen
Sportmoderator, der bei einem anderen Sender schon
lange weg vom Fenster wäre, ausgestrahlt. Ich sitze
also um drei Uhr nachts vor dem Fernseher und zappe in die Wiederholung rein. Geputzt und geschniegelt steht dort der Moderator und fragt Sängerin
Pink nach ihrem Auftritt: «Haben Sie eigentlich nicht
Angst, ihre Stimme mal zu verlieren?». Und sie sagt:
«No, I have a naturally hoarse voice.» Und was macht
unser Sprachgenie? Er übersetzt, und zwar so: Ach
ne, davor habe sie keine Angst, sie habe ja schliesslich eine Stimme wie ein Pferd.» Meine Dolmetschprofessorin wäre wohl aus dem Fenster gesprungen,
wenn sie das gehört hätte. Ich meine, okay, wenn
man gerade mal einen Sekundarabschluss hat, kann
es gut sein, dass man zwischen einer rauen und einer
Pferdestimme auf phonetischer Ebene keinen Unterschied machen kann. Es klingt ja schon sehr ähnlich.
Nur eine Frage hätte ich noch: Wie bitte klingt eine
Pferdestimme bei einem Menschen? Antworten und
Interpretationen bitte an sarah@de-bug.de
ERNESTINE ANDERSON
JIM HALL / GEOFFREY KEEZER DUO
■ Ernestine Andersons (voc) Musik basiert auf dem
Mainstream. Sie interpretiert World-Jazz, Pop-Standards und Blues. Meist gastiert sie mit kleinen Besetzungen oder mit Bigbands. 1943 sang sie bereits als
Teenager mit der «Russell Jacquet`s Band». Auf Ihrer
ersten Single begleitete sie fünf Jahre später das «Shifty Henry Orchestra».
In den Fünfzigern verschrieb sie sich voll dem Jazz
und arbeitete mit Milt Jackson, Quincy Jones und Gigi
Gryce. Nachdem Ray Brown Ernestine Anderson auf
dem «Turnwater Festival 1975» in Kanada beobachtete,
wurde er ihr Manager und daraus resultierte schliesslich
ein Vertrag mit Concord Records. Ernestine Anderson
ist heute einem sehr breiten Publikum bekannt.
Mit ihrer biegsamen Stimme, in der alle Nuancen von
zärtlich und gefühlvoll bis ruppig und rau mitschwingen, ist Ernestine Anderson eine der vielseitigsten und
wandlungsfähigsten Jazz-Vokalistinnen, die aus der Big
Band Zeit hervorgegangen ist. In ihr lebt ein lebensbejahender Blues mit spürbar tiefen Gefühlen.
Eric Reed (p), ca. 35ig, muss zu den grössten Hoffnungsträgern der aktuellen internationalen Jazzszene
gezählt werden. Er agiert mit Feuer und Einfallsreichtum, wobei der regelmässige Dynamik- und Rhythmuswechsel den Einfluss zeigen kann, den Ahmad Jamal als
Vorbild auf Reed hatte und hat. Reed besitzt eine überragende Technik, die aber immer höchst musikalisch
eingesetzt wird.
■ Jim Hall, geb. 1930, ist ein US-amerikanischer Jazzgitarrist und Komponist.
Er hat unter anderem Platten mit Bill Evans, Ron Carter,
Sonny Rollins und vielen weiteren Grössen aufgenommen. Bedeutende Kollegen nennen ihn den grössten
lebenden Gitarristen des Jazz!
Ernestine Anderson, voc / Jeff Rupert, ts /
Michael Mossman, tb / Terell Stafford, tp /
Eric Reed, p / Gerald Cannon, b / Willie Jones III, dr
Dienstag, 4. April - Samstag, 8. April 2006, 19:30 und
22:00 h.
RON CARTER QUARTET
■ Ron Carter, geboren 1937 in Michigan (USA), ist
ein Jazz-Bassist. Mit über 2500 Alben ist er einer der
meistproduzierten Bassisten der Jazzgeschichte.
Seine Karriere begann im Miles Davis Quintett der
frühen 1960er mit Herbie Hancock, Wayne Shorter und
Tony Williams. Carter auch in Soloprojekten aktiv, spielte und produzierte des weiteren auch mit Antonio Carlos Jobim, McCoy Tyner, Stan Getz, Coleman Hawkins,
Horace Silver, Kenny Burrell, und vielen anderen bedeutenden Jazzmusikern. Auch als Bandleader spielte
er mehr als 20 Alben ein und ist ebenso zu hören auf
dem einflussreichen Low End Theory der alternativen
Hip-Hop Group «A Tribe Called Quest».
Ron Carter lehrt an der Eastman School of Music.
Ron Carter, b / Stephen Scott, p /
Payton Crossley, dr / Rolando Morales-Matos, perc
Dienstag, 11. April - Samstag, 15. April 2006, 19:30 und
22:00 h.
Jim Hall, g / Geoffrey Keezer, p
Dienstag, 18. April - Samstag, 22. April 2006, 19:30 und
22:00 h.
NICHOLAS PAYTON QUARTET
■ Nicholas Payton wurde 1973 in eine Musikerfamilie
hineingeboren. Im Alter von 4 Jahren lehrte der Vater
Nicholas das Trompetenspiel, mit 9 erhielt er erstmals
die Möglichkeit, bei der Young Tuxedo Brass Band mitzuspielen. Mit 12 beeindruckte der junge Payton Wynton
Marsalis, der seinen Vater anrief, indem er ihm spontan
etwas über‘s Telefon vorspielte. Nicholas spielte auch im
historischen französischen Viertel von New Orleans, wo
er auch an den Mardi Gras-Paraden teilnahm. Wendell
Brunious beeinflusste Payton in eine Verschmelzung
von traditioneller New Orleans-Musik mit Bebop.
Payton fühlt sich von Musikern angezogen, die es verstehen, Gefühle zu transportieren und so wurde er natürlich auch stark von Louis Armstrong und Miles Davis
inspiriert. Payton graduierte am New Orleans Center for
the Creative Arts und mit 16 spielte Nicholas bereits mit
dem Pianisten Marcus Roberts. Clark Terry, Art Blakey
und Carl Allen waren andere Musiker, mit denen der junge Payton zusammen arbeitete.
1992 wurde Payton ein Mitglied von Elvin Jones‘ Band.
Schon bald übernahm er, erst 19-jährig, die Position des
musikalischen Direktors. Eine Funktion, die er bis 1994
ausübte. In der Zeit spielte u. a. auch Ravi Coltrane in
Elvin Jones‘ Band. Payton sammelte hier erstmals Erfahrung mit einer regulär-tourenden Band. Daneben
spielte er im Jazz at Lincoln Center Orchestra, mit dem
er ebenfalls umherreiste, und trat in der Carnegie Hall
Jazz Band sowie mit den Newport Jazz Festival All Stars
auf.
1996 trug Payton zum Soundtrack von Robert Altmans
Film «Kansas City» bei, in dem er auch auftrat. (nr)
Nicholas Payton, tp / Danny Grisset, p /
Vincente Archer, b / Marcus Gilmore, dr
Dienstag, 25. April - Samstag, 29. April 2006, 19:30 und
22:00 h.
D I V E R S E S
19
STADTLÄUFER
■ nr. 19 // bestandesaufnahme. In der letzten offiziellen Winterwoche hat mich die Erkältungswelle doch
noch erwischt, und so steht die Sonne schon hoch am
Himmel, als ich mich aus dem Bett bemühe. Die Sonne?
Draussen ist es verdächtig warm, ich höre Vogelgezwitscher und Kindergeschrei und entschliesse mich trotz
Gliederschmerzen zu einem Spaziergang. Ich will herausfinden, ob es von gestern auf heute wirklich Frühling
geworden ist.
Eine erste Bestandesaufnahme scheint dies zu bestätigen. Plötzlich sind all diese Menschen wieder da.
Man kennt sie nicht, nicht persönlich, aber man sieht
sie den ganzen Sommer über in Cafés, Parks und in den
Freibädern; mit den ersten Sonnenstrahlen tauchen sie
wieder auf und spielen Schach in Parks, Fussball auf
Wiesen und Gitarre in den Gassen.
Auch auf der Pläfä stehen alle Zeichen auf Frühling.
Mutig entledigen sich die Sonnenhungrigen ihrer Jacken
und Pullover – der Frühling muss ja schliesslich demonstrativ begrüsst werden. Es riecht nach frischen Blumen
und frischem Gras. Die Aare schimmert grün und wirkt
zum ersten Mal einladend. Und wer lange genug beob-
achtet, bemerkt auch die Veränderung bei Mensch und
Tier: Überall wird munter beschnuppert.
Doch die ersten Anzeichen der warmen Jahreszeit
sind fragil. Der Himmel verdunkelt sich, Wind zieht auf,
es sieht nach Regen aus. Im Schatten sieht das Wasser
der Aare wieder so kalt aus wie es wirklich ist. Die Menschen ziehen ihre Jacken und Pullover wieder an: So
mutig, sich im letzten Moment noch eine Erkältung zu
holen, sind sie dann doch wieder nicht. (al)
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G E S E L L S C H A F T
21
Bild: zVg.
STEPHAN FUCHS
dee letzte seiner art?
■ In dieser Qualität bestimmt! Georgette Dee ist die
letzte noch lebende Diseuse. Ein Wort das kaum einer
kennt…ausser jene Matrosen die in deutschen Häfen
schon vor Anker lagen. Georgette Dee besingt die Matrosen und mit ihnen die Ferne die sich doch so furchtbar gerne nah ankuschelt. Am Saum. Im Mondlicht. Im
Schweiss. Auf den Wellen. Nackt. Georgette Dee, dessen
Alter ausser einem Berner keiner kennt, ist jetzt schon
ein Verlust. Jetzt, wo sie noch lebt und das wird sie noch
lange.
Und wie. Die Frau ist erwachsen geworden. Oder war
sie das schon immer und sie lässt uns erst jetzt daran
Teil haben? Verschwunden sind der rote Fummel und
das gülden Haar in langer wallender Pracht. Verloren
hat Dee damit nichts, dafür gewonnen. Sie ist ehrlicher
und emanzipierter geworden – und schlussendlich, sind
wir ehrlich, geht es um diese Stimme. Ihre Stimme ist
jener Schauer, der auch Nicht-Matrosen die Gischt ins
Gesicht schlägt. Auch nicht schwulen Matrosen und
Süsswasser- Matrosen wie unsereins. Lassen wir das.
Georgette Dee liebt keine Matrosen. Es ist das Leben in
all seiner Konsequenz die geliebt sein will – natürlich mit
den Matrosen. In all seinen Exzessen, in all seinen Farben und in all seiner tiefen Trauer. Die Trauer über den
Verlust, gleichzeitig süss, fordernd und verlangend. Das
Vermissen ist schön, der Schmerz hinreissend. Georgette! Wir haben’s verpasst!
Wieso haben wir keine Zigarren geraucht? Wieso
haben wir nicht zusammen die Bar geleert, auf den Boden gespuckt wie damals, als der Schauspieler auf der
Bühne bis in die fünfte Reihe spuckte, welches dich so
berührte? Wieso haben wir nicht über das Boxen im
Ring gequatscht und über die Weiber getratscht, wie
das richtige Kerle tun? Nun gut, du warst auf Tour, hast
dich letzte Woche nur kürzeste Zeit in Bern aufgehalten
und mit anderen Jungs an der Museumsnacht über das
Töten gesprochen. «Du sollst nicht töten? Sprachgewalt
und Schlagkraft... ein biblisches Duell!» Das war sicher
auch lustig. Doch dass wir uns nicht trafen, soll kein
Verlust sein, wir hätten eh bloss auf den Boden gekotzt,
oder zumindest einen himmeltraurigen Morgen erlebt.
Ist dies, was Georgette Dee ausmacht? Saufen, rauchen und das bunt? Nein, das ist es nicht. Nicht nur.
Vielleicht trinkt die Dame gar nicht. Vielleicht raucht sie
nur Damenkippen und keine Havannas. Bei Georgette
Dee geht es um einiges mehr. Ihre Stimme verrät, dass
sie glaubt, was sie singt. Tief und flammend in diesem
Herz, das jeden Tropfen nach aussen zu kehren scheint.
Georgette Dee ist die Reise an den Ursprung der Bretter, welche die grosse Welt bedeutet, ohne selbst zum
Abklatsch der guten Zwanziger zu werden. Konsequent.
Sie erzählt die Geschichten, die wir verdrängt haben.
Die ganz Grossen. Die ganz Aktuellen, die es schon
immer waren. Und die, wie auch ihr neues Programm,
mehr als doppeldeutig sinnverstanden werden können.
«Neben mir: Ich – wie nett!» Kürzlich sass sie auch neben sich auf dem Sofa: «Die Politiker sollen sich besser
um die eigentlichen Probleme des Landes kümmern, als
die Menschen immer weiter zu gängeln!», meinte sie unlängst in einer TV-Diskussion. Das braucht Mut in einem
Geschäft, in dem man sich so leicht demontieren lassen
kann. Dee bleibt radikal in allem und offenbar gibt es
nun auch ein Leben vor Mitternacht. In der letzten noch
lebenden Diseuse steckt subversive Fantasie und das
nicht zuwenig. Vielleicht ist dies das Geschenk das wir
von Dee bekommen. Jedes Mal, jeden Abend auf‘s Neue
an der Bar.
Georgette Dee im PROGR:
Am 19., 20. & 22. April um 21:00 h
www.georgettedee.de
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L I T E R A T U R
Deutschland über alles
Andere Welten, einen Sommer lang
Frauen kommen, weil die Männer sterben
Jurij Brezan: Der Gymnasiast. Roman.
Truman Capote: Summer Crossing. Roman. Englisch.
Frank Schirrmacher: Minimum. Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gesellschaft.
■ Jurij Brezan, der diesen Juni 90 Jahre alt geworden
wäre, ist am 12. März sanft entschlafen. An der Leipziger
Buchmesse hätte er lesen sollen, als Zeitzeuge.
Er, der schon in seinem stark autobiographisch gefärbten Frühwerk, der Felix-Hanusch-Triologie «Der Gymnasiast» (1958), «Semester der verlorenen Zeit» (1960)
sowie «Die Mannesjahre» (1964) die Mannwerdung eines
jungen Sorben in gleichzeitiger Abgrenzung und Konfrontation mit seiner deutschen Umgebung schildert,
war eine der grossen Stimmen sorbischer Literatur.
Felix Hanusch, der sich schon als Kind der Grenze
bewusst ist, welche die zumeist sorbische Dienerschaft
von ihrer deutschen Herrschaft trennt, erhält als Kind
eines Steinbrucharbeiters die Chance, die städtische
Schule zu besuchen. Entfremdet ihn sein Bildungsweg
zunächst seinen Eltern, lernt er aufgrund der äusseren
Ereignisse, die ihren Höhepunkt in der Machtergreifung
Hitlers finden, das Volksgut der Sorben und insofern
auch seine Herkunftsfamilie schätzen. Wenn er auch
zunächst fasziniert ist von jener für ihn unbekannten
bürgerlichen Welt, die ein Grossteil seiner Mitschüler
auf dem Gymnasium verkörpert, wird ihm immer wieder
deutlich gemacht, dass diese Welt nicht die seine ist.
Die Beziehung mit dem kommunistischen Aschemädchen Agnes öffnet ihm schliesslich in vielerlei Hinsicht
die Augen. Ihm wird klar, dass es nicht reicht, wenn er
zwar nicht zum Täter wird, sich aber auch nicht deutlich
zu einer anderen Gesinnung bekennt. Diese Erkenntnis
führt zu einer noch stärkeren Hinwendung zu seiner
ethnischen Herkunft, für die er nun sogar bereit ist, seine Liebe zu der Gutsherrentochter Beate aufs Spiel zu
setzen.
Was wie ein typischer Bildungsroman beginnt, entpuppt sich zunehmend als Mahnmal für jene ethnischen
Minderheiten, die das Dritte Reich zu fressen versucht
hat. Glücklicherweise nicht immer mit Erfolg. (sw)
■ Der Name Capote ist zurzeit in aller Munde, umso
interessanter, dass im letzten Jahr sein bislang verschollen geglaubter erster Roman «Summer Crossing»
bei Random House erschienen ist. Der Autor äussert in
einem Interview mit Lawrence Grobel die Überzeugung,
den Roman vernichtet zu haben. War Truman Capote
bei seinem Romandebüt «Other Voices, Other Rooms»
(1948) gerade einmal 23, ist sein nun gefundener Erstling noch in wesentlich jüngeren Jahren entstanden.
Nicht von ungefähr erinnert die Protagonistin Grady
McNeil an Holly Golightly aus «Breakfast at Tiffany’s»,
deren Figur für immer mit der Person der unvergleichlichen Audrey Hepburn verknüpft sein wird, obwohl
Capote selbst sie als Fehlbesetzung empfunden hatte.
Stets angezogen von den Schönen und Reichen, fühlte
sich der homosexuelle Autor in Gesellschaft schöner,
einflussreicher Frauen am wohlsten. Zu seinen Freundinnen zählten so illustre Namen wie Marilyn Monroe
oder Lee Radziwill, die Schwester Jaqueline Onassis’.
Grady McNeil nun, Tochter einer einflussreichen New
Yorker Familie, steht kurz vor ihrem gesellschaftlichen
Debüt, als ihre Eltern sie auf ihren persönlichen Wunsch
hin für einen Sommer allein in New York zurück lassen.
Schon vor der Abreise ihrer Eltern hat sie ein Verhältnis
mit einem Jungen namens Clyde angefangen, welcher
nicht ihrer gesellschaftlichen Sphäre entspricht. Unbekümmert setzt sie dieses nun fort, bis hin zu einer überstürzten nächtlichen Heirat. Die Ereignisse überschlagen sich, bis offenbar nur noch ein Ausweg bleibt.
Capotes vielgelobte Sprache ist schon in diesem
Frühwerk als vollendet zu bezeichnen. Virtuos gelingt
es ihm, jene Gesellschaftssphäre einzufangen, in welcher er sich selbst bewegte. Den Rahmen dazu liefert
ein überhitztes New York. (sw)
■ «Good bye Europe» titelte die Weltwoche erst kürzlich, insofern vermag der Titel von FAZ-Herausgeber
Schirrmachers neuestem Wurf niemanden zu erstaunen. Ausgehend von zwei Ereignissen – demjenigen am
Donner-Pass von 1846 einerseits, andererseits jenem
von Summerland, einem Vergnügungspark auf der Isle
of Man von 1971 – entwickelt der Journalist seine These
von der Schicksalsgemeinschaft Familie. Beide Katastrophen beweisen, gemäss Schirrmacher, dass es sich bis
zum heutigen Tag bei Familien um sogenannte «Überlebensfabriken» handelt. Nicht die waghalsigen männlichen Einzelgänger sind es, welche sich ihr eigenes
Überleben zu sichern vermögen, sondern insbesondere
jene Familien, die über die meisten Mitglieder verfügen.
In einem Europa mit von Jahr zu Jahr tieferen Geburtenraten sind Schirrmachers Aussagen ein Schlag ins
Gesicht. Die Überlebensfabrik Familie wurde bei uns
von Vater Staat abgelöst - einem Vater jedoch, der ohne
zahlreiche Kinder nicht finanzierbar ist. Diese Kinder
nun werden, folgen wir der Argumentation des Journalisten, keine europäischen sein oder nur dann, wenn
es uns gelingt, Ethnien mit höheren Geburtenraten zu
integrieren.
Im Zentrum des Buches stehen, neben den schwindenden Familien, die Frauen, welchen in einer Zeit der
Auflösung die Rolle der sozialen und kulturellen Bewahrerinnen zukommt. In diesem Zusammenhang bedient
der Frankfurter jedoch auch antiquierte Klischees: So
führt er zwei brasilianische Dörfer an, deren Geburtenraten innerhalb kurzer Zeit in dramatischer Weise
gesunken sind, was offenbar mit dem regen Konsum
der brasilianischen Frauen von Telenovelas in Relation
stehe. Galten im letzten und vorletzten Jahrhundert
romanlesende Frauen als gesellschaftsgefährdend, sind
es nun offenbar Konsumenteninnen der täglichen Vorabendserien.
In der Schirrmacherschen Zukunft müssen sich Frauen zumindest nicht nicht mehr in einer von Männern
dominierten Welt behaupten, viel mehr werden sie dann
die Mehrheit der Bevölkerung stellen. (sw)
Breznan, Jurij: Der Gymnasiast. Roman. Verlag Neues
Leben. Berlin 2006. ISBN-10: 3-355-01714-0.
Capote, Truman: Summer Crossing. Roman. Englisch.
Random House. New York 2006. ISBN 1-4000-6522-4.
Im April 2006 erscheint der Roman in deutscher Übersetzung.
Auch empfehlenswert: Capote, Truman: Ich bin schwul,
ich bin süchtig, ich bin ein Genie – ein intimes Gespräch
mit Lawrence Grobel. Diogenes Verlag. Zürich 1986.
ISBN 3 257 21606 8.
Schirrmacher, Frank: Minimum. Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gesellschaft. Karl Blessing Verlag.
München 2006. ISBN 10: 3-89667-291-6.
K I N O
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Bild: zVg.
SONJA WENGER
the secret life of words
■ «The secret life of words» ist ein stiller, zutiefst bewegender Film darüber, wie der Mensch mit seiner Vergangenheit umgeht und der Frage, ob es möglich ist,
durch Liebe und Verständnis die seelischen Wunden
von Kriegsopfern heilen können. Hanna (Sarah Polley)
ist beinahe taub und lebt in einer abgeschotteten, klinisch sauberen, bis ins letzte Detail geregelten Welt. Als
ihr Vorgesetzter sie quasi dazu zwingt, einmal Urlaub zu
nehmen, lässt sie sich auf einer Ölbohrinsel im graukalten Atlantik als Krankenschwester anstellen. Sie soll den
bei einem Feuer schwer verletzten Josef (Tim Robbins)
so lange pflegen, bis er transportfähig ist. Das Zusammenleben mit den Eigenbrötlern der Insel öffnet Hanna
eine völlig neue Welt und aus der anfänglich professionellen Distanz zu Josef entwickelt sich bald eine für
beide überraschende Intimität. Sie geht soweit, dass sie
einander in ihre Geschichten einweihen, was für Hanna
jedoch auch den Abbruch der Beziehung bedeutet. Als
Josef wieder gesund ist, macht er sich auf die Suche
nach Hanna.
Nach «My life without me» ist dies die zweite Zusammenarbeit der kanadischen Schauspielerin Sarah Polley
mit der spanischen Regisseurin Isabel Coixet. Auszüge
aus einem Interview mit der Regisseurin.
Sonja Wenger: Frau Coixet, worum geht es in wenigen Worten in diesem Film?
Isabel Coixet: Es geht um das Überleben. Wie ein
menschliches Wesen durch die Hölle (der Folter) gehen
muss und mit diesen Erfahrungen umgeht. Als ich ein
Kind war, habe ich mich immer gefragt, was in Menschen vorgeht, die in einem Konzentrationslager waren.
Ich dachte: Sie haben überlebt und nun wird ihr Leben
wieder wunderbar sein. Erst Jahre später realisierte ich,
dass für diese Menschen danach nur eine andere Art
der Hölle beginnt.
So wie Hannas Therapeutin im Film einmal sagt:
«Die Scham, noch am Leben zu sein». Hanna wird
im real existierenden Internationalen Zentrum für
die Rehabilitierung und Beratung von Folteropfern
(IRCT) in Dänemark betreut. Wie ist dieser Bezug
entstanden?
Nach meinem letzten Film «My life without me»,
bot man mir an, einen Dokumentarfilm über eine Nichtstaatliche Organisation zu machen. Ich hatte Jahre zuvor ein Interview mit der Gründerin des IRCT, Inge Genefke, gehört und war sehr beeindruckt von ihr. Diese
Organisation kämpft auf zwei Ebenen: Zum einen auf
der politischen, indem sie ganz direkt gegen die Folter
kämpft, zum anderen entwickelt sie Therapien, um Folteropfern zu helfen. So kam ich für Interviews mit ihr
nach Kopenhagen und habe dort und in Sarajewo, wo
das IRCT ein Center hat, auch mit vielen Folteropfern
direkt gesprochen. Als ich nach Spanien zurückkehrte,
haben mich diese Geschichten nicht mehr losgelassen.
Es war aber nie meine Absicht, einen Film über den Balkan oder den Krieg zu machen. Ich glaube nicht, dass
man das als aussenstehende Person kann, zu diesem
schweren Thema fehlte mir auch der Bezug. Was ich
aber mitbrachte, war eine grosses Wissen über das Leiden, denn ich empfinde schon seit meiner Kindheit eine
grosse Empathie für Menschen, die gelitten haben. Ich
weiss aber nicht, weshalb das so ist. In meinem Leben
gab es nie eine grosse Tragödie.
Wie gehen sie mit dieser Empathie um?
Ich weiss es nicht. Aber als wir diese Dokumentation gemacht haben, konnten wir abends kaum darüber
sprechen. Man hört all diese schrecklichen Geschichten
und weiss gleichzeitig, dass man diesen Film machen
und sich irgendwie davor schützen muss. Jeder Therapeut auf der Welt weiss, dass man einem Menschen
nicht helfen kann, wenn man selber schwach ist. Ich
sehe diese Fähigkeit als ein Geschenk.
Sie haben die Rolle speziell für Sarah Polley geschrieben. Wie kann man sich die Zusammenarbeit
mit einer solchen Schauspielerin oder mit Tim Robbins vorstellen?
Mit guten Schauspielern ist die Arbeit sehr viel einfacher, denn sie stellen immer die richtigen Fragen. Tim ist
einer dieser wenigen Schauspieler, die an einem Punkt
in ihrer Karriere stehen, in denen sie nur noch Rollen
annehmen, die sie auch persönlich herausfordern. Und
Sarah ist für mich eine der besten Schauspielerinnen
dieser Generation. Es gab nur etwas, was mir wirklich
Sorge bereitet hat. Ich wusste, dass beide perfekt für die
Rollen sein würden. Aber was würde passieren, wenn sie
zusammen kommen? Denn sie haben sich vorher nicht
gekannt. Ich erinnere mich, dass Tim einen Tag, nachdem George Bush wiedergewählt worden war, für die
erste Drehbuchlesung ankam. Entsprechend war er in
einer ziemlich miesen Stimmung. Als wir die beiden das
erste Mal zusammen sahen, dachten wir, dass dies niemals funktionieren kann. Man muss sich den physischen
Unterschied vorstellen. Sarah ist diese zierliche kleine
Frau und Tim... Aber vom ersten Moment an, als wir das
Skript lasen, entstand diese unglaubliche Chemie zwischen den beiden und das war phantastisch!
Mehr Informationen zum IRCT finden Sie
unter www.irct.org.
Der Film dauert 112 Minuten und kommt am 6.4.2006
in die Kinos.
24
K I N O
INSIDE MAN
■ Der US-amerikanische Regisseur Spike Lee («Malcom X», «25th Hour») hat mit seinem neuesten Film
«Inside Man» einen ungemein spannenden Thriller
über den perfekten Bankraub geschaffen. Bereits
in der ersten Einstellung wendet sich Dalton Russel
(Clive Owen), der brilliante Kopf der Bankräuberbande, direkt an das Publikum und ermahnt es, auf
jedes Detail zu achten, denn er «wählt seine Worte
mit Vorsicht und wiederholt sich niemals.» Und vom
ersten Moment an füttert der Film das Publikum
mit Informationen, bietet der Geschichte viel Raum
für gute Action, für subtilen Humor und spannt mit
ständigen Wendungen einen Bogen zu einem überraschenden Ende. Denzel Washington als dynamischer
Detective Keith Frazer ist Russels Gegenspieler. Dass
ihm dieser stets ein Schritt voraus zu sein scheint,
betrachtet er als persönliche Herausforderung. So
sind die Begegnungen zwischen den beiden Protagonisten geprägt von gegenseitigem Respekt und dem
Kitzel, wer von beiden schneller den nächsten Schritt
vorausahnt.
Spike Lee sagte in einem Interview einmal: «Ich respektiere die Intelligenz des Publikums sehr und deswegen gebe ich mich nicht
mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner zufrieden». Das der Regisseur bei diesem Film nicht
nur den üblichen Aufbau eines Thrillers mit
chronologischem Aufbau und Schwarz-Weiss-Malerei ignoriert, sondern eine ganz eigene Handschrift
entwickelt hat, zeigt sich unter anderem auch in
der Musik-Wahl. Mit einem irritierenden, aber faszinierenden «Bollywood meets Rap» als Einstieg,
setzt er Akzente, die neugierig machen, nur um
dem Film selbst noch einmal einen anderen Dreh
zu verleihen. Mit visuellen und musikalischen Referenzen schafft Lee zusätzlich eine Hommage an
das Kino der Siebziger Jahre wie beispielsweise
«Dog Day Afternoon» mit Al Pacino. Neben dem
charismatischen Owen und Washington haben aber
auch Christopher Plummer als Bankbesitzer Arthur
Case mit düsterer Vergangenheit, und Jodie Foster
als obskure Verbindungsperson zwischen Chase
und Russel sichtlich Freude an den intelligenten
Dialogen und bieten originelle Unterhaltung. (sjw)
Der Film dauert 124 Minuten und ist seit dem
23.3.2006 in den Kinos.
Bild: zVg.
SONJA WENGER
v for vendetta
■ «Remember, remember, the Fifth of November»
– Am 5. November 1605 wurde in London der legendäre Saboteur Guy Fawkes hingerichtet, der das britische Parlament in die Luft jagen und mit dieser symbolischen Tat der Verfolgung der Katholiken in England
ein Ende setzen wollte. Vor diesem historischen Hintergrund zieht der Film «V for Vendetta» den Bogen in
eine nahe, erschreckend nachvollziehbare und düstere
Zukunft Grossbritanniens, dessen Bevölkerung unter
der Überwachung eines totalitären Regimes leidet. Die
Menschen sind eingeschüchtert, manipuliert und stehen
unter ständiger Kontrolle. Das kleinste Aufmucksen hat
schwerste Strafen zu Folge und die Methoden der Polizei erinnern sehr an die Militärdiktaturen von faschistischen Ländern. Die Meinungsfreiheit ist inexistent, das
Kulturleben untersteht einer Totalzensur und Religionsfreiheit ist ein Fremdwort.
In dieser Atmosphäre der Angst lebt Evey (Natalie
Portmann) ein ereignisloses Leben bis zu dem Moment,
als sie von Spitzeln der Regierung bedroht wird und der
unter einer Maske von Guy Fawkes versteckte Rächer V
zufälligerweise rettend zur Stelle ist. Als V kurz darauf
die staatliche Fernsehanstalt in seine Gewalt bringt und
der Bevölkerung seine Pläne mitteilt, am 5. November
Fawkes Vorhaben in die Tat umzusetzen, begegnet er
Evey erneut. Da sie nun als seine Komplizin gilt und von
der Regierung verfolgt wird, nimmt V sie mit in seine
Welt.
Evey ist anfänglich von Vs Freiheit des Denkens und
seinem Wissen beeindruckt, doch seine Pläne bleiben
ihr suspekt. Sie lehnt seinen Feldzug ab, sich an all jenen zu rächen, die ihn für medizinische Experimente
missbraucht haben und ihm nicht nur sein Gesicht, - der
Grund weshalb er eine Maske trägt - sondern auch seine
Menschlichkeit genommen haben. Doch sie muss realisieren, dass sie nicht in ihr altes Leben zurückkehren
kann. Als ein Freund (Stephen Fry) sich öffentlich gegen
den diktatorischen Kanzler Sutler (John Hurt) stellt, wird
er von der Polizei in den Nacht aus seinem Haus entführt
und auch Evey fällt ihnen offenbar in die Hände.
«V for Vendetta» basiert auf der Comicgeschichte
von David Lloyd, die 1988 zum ersten Mal als Gesamtausgabe im Vertigo Verlag publiziert worden war. Andy
und Larry Wachowski, die «Matrix-Macher», schrieben
das Drehbuch und James McTeigue gibt mit dem Film
sein Regiedebüt. Wem die Stimme unter der Maske
vertraut vorkommt, möge sich an den australischen
Schauspieler Hugo Weaving (Agent Smith aus der Matrix-Trilogie) erinnern. Ihm gelingt es hervorragend, der
unbeweglichen Maske von V nur mit seiner Stimme Leben und Charakter einzuhauchen.
Der Film krankte leider wie bereits «Matrix Reloaded» und «Matrix Revolutions» an einer Überdosis Dialog. Das führt streckenweise zu der Irritation, ob es sich
bei «V for Vendetta» denn nun um eine Action-ComicVerfilmung oder eher um ein visionäres Moraldrama
handelt. Nichtsdestotrotz ist der Film kurzweilig und unterhaltsam, eine düstere Zukunftsvision aber nicht ohne
Hoffnung. V möchte vor allem die Bevölkerung aufrütteln und sagt einmal: «Nicht das Volk sollte Angst vor
der Regierung haben, sondern die Regierung vor dem
Volk». Wenn man bedenkt, dass wir in einer Zeit leben,
deren politisches Klima der Angstmache, Paranoia und
Unsicherheit beinahe identisch ist mit der Ausgangslage des Films, dann bekommt die Geschichte noch
eine zusätzliche Bedeutung. Die Darstellung von «Big
Brother is watching you», Orwells Visionen und rassistischer Hetze erinnert nicht nur an «1984» und die
Nazis, sondern in einem bedenklichen Ausmass auch an
die Einschränkungen von Freiheit und Bürgerrechten in
unserer Zeit. In diesem Sinne ist «V for Vendetta» vor
allem auch ein gelungenes Plädoyer dafür, den Mächtigen immer wieder auf die Finger zu schauen.
Der Film dauert 132 Minuten und ist seit dem 16.3.2006
in den Kinos
K I N O
25
SONJA WENGER
TRATSCHUNDLABER
Bild: zVg.
SONJA WENGER
breakfast on pluto
■ Der irische Regisseur Neil Jordan («The Crying
Game», «Interview with a Vampire») hat mit «Breakfast
on Pluto» einen liebevollen und witzigen Film geschaffen, der vor allem durch den Mut und die Hingabe des
Hauptdarstellers Cillian Murphy («28 Days later», «Red
Eye») beeindruckt. Doch auch die exquisite Besetzung
der Nebenrollen liest sich wie das Who’s Who des irischen Film- und Musikgeschäfts. Liam Neeson, Stephen
Rea, Brian Ferry, Brian Gleeson und Gavin Friday, der
sich auch verantwortlich zeichnet für die Musik des
Films, die eine eigene und essentielle Rolle spielt.
Patrick Braden wird als Baby vor der Türe des katholischen Dorfpfarrers (Neeson) ausgesetzt und nicht die
Spatzen, sondern zwei Rotkehlchen pfeifen es von den
Dächern, dass Vater Liam diesen Namen mehr als nur
in kirchlicher Hinsicht verdient. Patrick wächst bei einer konservativen Pflegefamilie auf und realisiert schon
früh, dass er anders ist, denn er besitzt ein unwiderstehliches Flair für Frauenkleider und Make up. Doch statt
dieses Bedürfnis zu unterdrücken, umarmt er seine Einzigartigkeit und lebt seinen Hang zum Transvestitismus
in vollen Zügen aus. Mit herzerwärmendem Charme
und inspirierender Intelligenz schafft es Patrick, der
sich selbst «Kitten» nennt, dass nichts und niemand
ändern kann, dass er – also sie - so ist, wie sie ist. Mit
ihren Freunden, der wilden Charlie (Ruth Negga), dem
behinderten Lawrence (Seamus) und dem rebellischen
Irwin (Laurence Kinlan) lebt Kitten in ihrer eigenen Welt
und philosophiert schon mal mit einer Gruppe von Harley-Bikers über den Sinn des Lebens und den astralen
Highway zum Planeten Pluto. Charlie und Irwin werden
früh ein Paar, doch als die IRA Anfang der siebziger Jahre neu erstarkt, wird Irwin in ihren Bann gezogen, was
ihn später das Leben kosten wird. Als Kitten die Engstirnigkeit im nordirischen Hinterland zu viel wird, macht
sie sich auf nach London, um ihre Mutter zu suchen, von
der sie nicht mehr weiss, als ihren Namen und dass sie
«von der grössten Stadt der Welt verschlungen worden
ist».
Kittens Reise ist jedoch erst der Anfang einer Geschichte voller Wendungen und surrealen Überraschungen. Durch ihr neugieriges und freundliches Wesen
– das man aber nicht mit Naivität verwechseln sollte
– stolpert Kitten zwar von einem Schlamassel in den anderen. Doch genau diese Charaktereigenschaften sind
es auch, die sie schützen und ihr immer neue Menschen
über den Weg laufen lässt, die sich ihrer annehmen, mal
mit guten, mal mit schlechten Absichten. So findet sich
Kitten unter anderem als Indianer-Squaw auf der Bühne wieder, als Assistentin eines Kleinvarieté-Zauberers
oder als Verdächtige bei einem IRA-Bombenanschlag,
bis sie in die Prostitution abrutscht und schliesslich von
einer Gruppe Stripperinnen aufgenommen wird. Als sie
dort eines Tages überraschenden Besuch von Vater
Liam erhält, erfährt sie endlich die Adresse ihrer Mutter.
Unter dem Vorwand, eine Umfrage durchführen zu wollen, lernt sie ihre Mutter kennen, kann sich aber nicht
überwinden, ihre Identität preiszugeben. Kitten kehrt
nach Nordirland zurück, um der schwangeren Charlie
beizustehen und sich mit Vater Liam auszusöhnen, nur
um am Ende mit Charlie und dem Baby nach London
zurückzugehen. Ihre Heimat ist noch nicht bereit, Menschen wie Kitten zu akzeptieren.
«Breakfast on Pluto» ist eine Geschichte über
das Anderssein, über das Suchen, Verlieren und Finden von Liebe und Freundschaft. Gepaart mit einem
wahren Farbenfest der visuellen Ausstattung und einem fulminanten Soundtrack, lässt der Film die Aufbruchstimmung im Irland und Britannien der siebziger Jahre wieder auferstehen und zeigt, dass Männer
manchmal wirklich die schöneren Frauen sein können.
Der Film dauert 129 Minuten und ist seit dem 16.3.2006
in den Kinos.
■ Geld regiert die Welt, das ist nix Neues. Doch bis
anhin konnte man immerhin sicher sein, dass für den
Lidschatten aus dem Bodyshop keine Äffchen im Labor gequält wurden. Doch dieses gute Gewissen ist
jetzt futsch – der Kosmetikgigant L’Oréal hat vor kurzem die Firma Bodyshop aufgekauft.
Wem darüber nun die Tränen kommen, kann sich
aber leicht wieder aufmuntern mit dem Lesen der
bunten Schweizer Blätter. Die haben letztens ein ungeheures Humorpotential entwickelt. Da finden sich
Brüller wie: «Wir essend die Vogelgrippe weg» oder
es wird sinniert über die Frage: «Müssen Tokio Hotel eigentlich nicht zur Schule?». Auch gut ist: «Eine
Kuh macht muh...Michelle Hunziker macht Werbung
für die Schweizer Bauern.» oder der erstaunte Unterton bezüglich des Fakts, dass Salman Rushdie mit
einem Model verheiratet ist. Das sei der «lebende
Beweis, dass Intellekt auf Frauen halt doch erotisch
anziehend sein muss.». Da sage noch ein Mensch,
die SchweizerInnen hätten keinen Humor! Ganz neu
hingegen ist die Information, dass die böse US-Regierung nun ihre Gefangenen in Guantánamo mit
Songs von Eminem foltert. Obwohl es da noch etwas
Besseres gibt.
Im Interview mit Vera Dillier, der «letzten Überlebenden des Schweizer Jetsets» schreibt die SI
nämlich: Ihr Chihuahua-Rüde Macho (12) diktiere ihr
zurzeit ein Buch über sein «Leben als Mexikaner in
der Schweiz». Bei ihr zuhause sehe es aus, «wie bei
Saddam Hussein», so Dillier und Botox hält sie für
die «genialste Erfindung aller Zeiten». Auf die Frage
nach dem Alter antwortet sie: «Ich frage Sie ja auch
nicht nach Ihrem Bankkonto.» und besonders treffend im gleichen Gespräch: «Wissen Sie, ich habe es
nicht gerne vulgär.» Immerhin kann sie mit Fug und
Recht behaupten, nicht zu heucheln. Dazu ist sie zu
blöd. Als Gegenmittel unbedingt zehnmal hintereinander schnell Chihuahua sagen!
Zugegebenermassen den Vogel abgeschossen
(oho!) hat im März allerdings die US-Ausgabe der
ELLE: Der Schreiberin eines Leserbriefes mit dem
Namen Lumiere Chieh wurde Folgendes geraten:
«Mit diesem Namen sollten Sie sich in Leder kleiden und eine Karriere als Pornostar in Betracht ziehen...». Offen bleibt, ob das tatsächlich eine Überlegung wert ist oder ob die Entschuldigung: «das war
doch ironisch gemeint» nur das neue und beliebte
Deckmäntelchen für Ehrlichkeit ist.
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D A S
A N D E R E
K I N O
www.cinematte.ch / Telefon 031 312 4546
www.kellerkino.ch / Telefon 031 311 38 05
www.kinokunstmuseum.ch / Telefon 031 328 09 99
Un Autre Monde Als Rahmenprogramm zur gleichnamigen Foto-Ausstellung im Kornhausforum präsentieren
wir einen kleinen Querschnitt durch das Filmschaffen auf
dem schwarzen Kontinent mit Werken, welche sich durch
ihre besondere Bildsprache hervorheben:
Delwende Ganz der schnörkellosen, direkten Erzähltradition des westafrikanischen Kinos verpflichtet, erzählt
S. Pierre Yaméogo von Männerherrschaft, dem Diktat des
Brauchtums und dem Aufbegehren einzelner Frauen.
Hyènes Grossartiger Film zu den fatalen Folgen von
«Macht und Wahnsinn». Ein irritierendes ästhetisches
Hybrid, als Parabel über Kolonialismus und Konsumismus, deren tückische Ironien sich einfacher Deutung widersetzen.
Lumumba Die Geschichte von Patrice Lumumba, einer der wichtigsten Figuren der schwarzafrikanischen
Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Ta Dona Auf der einen Seite steht die Suche eines
jungen Mannes nach der vollkommenen Weisheit. Im Gegensatz dazu steht die autoritäre Regierung: Ihr repressiver Kampf gegen die Brandrodung erfolgt ohne jeden
Respekt vor der Landbevölkerung.
Heremakono - En Attendant Le Bonheur Nouadhibou, eine Kleinstadt an der Küste Mauretaniens, ein Ort
des Transits. Der Regisseur schildert in ruhigen und wunderschönen Bildern das Leben in dieser afrikanischen
Kleinstadt, zeigt ihre Menschen mit grosser Sympathie
und subtilem Humor.
Dôlè Strassenjungs in Libreville. Ihre Delikte sind
ziemlich naiv, manchmal sogar lustig. Mougler braucht
Geld, um Medikamente für seine kranke Mutter zu kaufen. Er plant mit seinen Kumpeln, den Kiosk des neuen
Lottospiels «Dôlè» auszurauben.
TGV In seinem zweiten Spielfilm unternimmt der senegalesische Filmemacher Moussa Touré auf wunderbar
leichte Art eine Reise durch seinen schwarzafrikanischen
Kontinent.
Svenska Nätter Die Filme zum Soundtrack: Passend
zum Konzertzyklus mit schwedischen Bands im Berner
ISC servieren wir folgendes schwedische Filmschaffen:
Pippi geht von Bord von Olle Nordemann, Persona von
Ingmar Bergmann, Ronja Räubertochter von Tage Danielsson, Kops von Josef Fares und Together von Lukas
Moodysson.
Saratan (Von Ernest Abdyjaparov, Kirgisistan 2005,
90’, Kirgisisch/d/f, Spielfilm) Ernest Abdyjaparov lässt
uns in seiner herrlich skurrilen Komödie in die Atmosphäre eines kleinen kirgisischen Dorfes eintauchen,
das die Situation des ganzen Landes zehn Jahre nach
dem Zusammenbruch der Sowjetunion versinnbildlicht.
Überall fehlt es an Geld, und alle versuchen sich durchzuschlagen, so gut sie können. In Form einer Komödie
erzählt uns Abdyjaparov die Geschichte, wie die Personen dieses Mikrokosmos zwischen Politik und Religion,
Tradition und Moderne mit dem Leben zurechtzukommen suchen. (Ab 13.4.)
The Wayward Clouds (Von Tsai Ming-Liang, Taiwan 2005, Originalversion/d/f, Spielfilm) In einer Zeit
extremen Wassermangels wird in Fernsehsendungen
erklärt, wie man Wasser sparen kann. Statt Wasser soll
man zum Beispiel den Saft von Wassermelonen trinken.
Doch jeder hat seine eigene Methode, wenn es darum
geht, Wasser zu finden. Shiang-Chyi sammelt leere
Flaschen auf und füllt sie mit gestohlenem Wasser aus
öffentlichen Toiletten. Hsiao-Kang dagegen, jetzt ein
Porno-Darsteller, klettert nachts aufs Dach und badet in
den Pfützen der fast leeren Wassertanks. Überleben ist
schwer, aber noch schlimmer ist die Einsamkeit. Jeder
von uns ist wie eine Wolke im stummen Himmel: Man
schwebt alleine vor sich hin, ohne je den anderen zu berühren. Eines Tages findet Shiang-Chyi eine Wassermelone und trifft später Hsiao-Kang im Park. Sie verlieben
sich. Wenn eine Wolke die andere berührt, was entsteht
dann für eine Form? (Ab 20.4.)
Viva Zapatero (Von Sabine Guzzanti, Italien 2005,
Originalversion/d/f, Dokumentarfilm) Regierungskritiker haben am italienischen Fernsehen nicht mehr viel zu
lachen. Regierungschef und Medienmogul Silvio Berlusconi hat sie längst vom Bildschirm verbannt. Lachen
kann Italien (und die Schweiz) jetzt aber im Kino - dank
dem Film «Viva Zapatero» der italienischen Komikerin
Sabina Guzzanti. Ihre erfolgreiche Dokumentation ist
eine satirische Anklage gegen die Aushöhlung der Meinungsfreiheit in Italien. (Ab 6.4.)
KRZYSZTOF KIESLOWSKI Fortsetzung der umfassenden Retrospektive mit Kieslowskis Spätwerk (ab
1988). Nach der dokumentarischen Beschreibung der
äusseren Welt in den 70er Jahren folgte Kieslowski in
den 80ern einem tieferen Blick in den inneren Kosmos
der menschlichen Seele. 1984 begann die lange und erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Anwalt Krzysztof
Piesiewicz, den er 1982 bei seinen Filmaufnahmen der
Kriegsrechtsprozesse im Gerichtssaal kennen gelernt
hatte. Die beiden schrieben bis zu Kieslowskis frühem
Tod 1996 sämtliche Drehbücher gemeinsam. Nach der
Wende 1989 konnte Kieslowski seine Filme ausserhalb
von Polen - und vorwiegend in Frankreich - realisieren.
Dekalog 1-10 Kieslowski hat zu je einem der biblischen Gebote ein knapp einstündiges Filmwerk geschaffen. Die Menschen in Kieslowskis Dekalog wohnen alle
in derselben Hochhaussiedlung. Sie glauben nicht an die
Zehn Gebote, halten diese auch nicht für verbindliche
Normen und versuchen für ihr Handeln ihre eigenen
Orientierungsmassstäbe zu finden. In jeder Folge taucht
ein (stummer) Mann auf, ein Schicksalsbote, der den jeweiligen Hauptdarstellern in entscheidenden Momenten
ihres Lebens begegnet. «Dekalog 1-10» Sa 1. bis Di 4.4. /
Sa 15. bis Di 18.4.
Weitere Filme des Kieslowski-Spätwerkes: «La
double vie de Véronique» Sa 8.4. 20:30 h / Mo 10.4.
18:30 h / Di 11.4. 18:30 h // «Trois couleurs: bleu» Mo 10.
4. 20:30 h / Di 11.4. 20:30 h / So 23.4. 14:30 h // «Trois
couleurs: blanc» So 23.4. 16:30 h / Mo 24.4. 20:30 h / Di
25.4. 20:30 h // «Trois couleurs: rouge» Sa 22.4. 18:30
h / So 23.4. 18:30 h.
Wo liegen die Grenzen Europas?
«Sorry for Kung Fu» von Ognjen Svilicic (Kroatien 2005)
Sa 1.4. 20:30 h / Mo 3.4. 20:30 h / Di 4.4. 20:30 h.
LITERATUR UND FILM: Patricia Highsmith «Le cri du
hibou» von Claude Chabrol (Frankreich 1987) VORFILM:
«Jackson Pollock» von Hans Naumuth Sa 22.4. 20:30 h
/ Mo 24.4. 18:30 h / Di 25.4. 18:30 h.
KUNST UND FILM: Sam Francis «Jackson Pollock: Portrait» von Amanda Pope (USA 1984) VORFILM: «Lee Krasner - The Long View» von Barbara Rose So 9.4. 16:00 h.
F ü r d a s Ta g e s p r o g r a m m d i e Ta g e s z e i t u n g o d e r d a s I n t e r n e t W W W . B E R N E R K I N O . C H
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LICHTSPIEL
www.reitschule.ch / Telefon 031 306 69 69
www.lichtspiel.ch / Telefon 031 381 15 05
Neues vom Schweizer Film 6.- 8.4.06
«La petite Dame du Capitol», Jacqueline Veuve, CH
2006 // «Meerdolen», Peter Guyer, CH 2006 // «Zwischen den Welten», Yusuf Yesilöz, CH 2006
Viviendo al límite (Belkis Vega, Kuba 2004, Span/e)
Belkis Vega zeigt das Leben aus der Perspektive von
zwei Frauen und drei Männern, die mit HIV infiziert und
sowohl an ihrer persönlichen Grenze wie auch am Rande
der kubanischen Gesellschaft, «am Limit» leben. Im Film
kommen auch dramaturgische Elemente und Kunstformen zum Einsatz: Die Berichte der fünf ProtagonistInnen werden im Playback-Verfahren nachgespielt, wodurch der Film eine grosse emotionale Dichte erfährt.
Belkis Vega, die den Film persönlich vorstellt, gehört zu
den ganz wenigen Frauen, die in Kuba regelmässig produzieren. (Di 4.4. 20:00 h)
Santo Domingo Blues (Alex Wolfe, USA 2003, E)
Santo Domingo Blues erzählt die Geschichte von Luis
Vargas und der Bachata, dem Gitarrenblues, der ursprünglich vorwiegend in Bars und Bordellen gespielt
wurde und inzwischen bei den jungen Latinos in ganz
Nordamerika den Rap abgelöst hat. Vargas ist einer der
populärsten Bachata-Musiker des Landes, einer, der es
geschafft hat, der Brutstätte der Armut zu entkommen
und heute mit seinem Mercedes durch New York kurvt.
Weitere sensationelle Auftritte sind die von Raulín Rodríguez, Eladio Romero Santos, Aridia Ventura, Teodoro
Reyes und Joan Soriano. (Mo 10.4. 20:00 h)
Ein Werktag (CH 1931, 61‘, stumm) Der Propagandafilm «Ein Werktag» von Richard Schweizer aus dem Jahr
1931 verfolgt menschliche Schicksale in ihrem Kampf ums
Überleben vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise, z.B. das eines Kranführers, eines Lastwagenfahrers
oder einer alleinerziehenden Mutter mit fünf Kindern. Im
Vorprogramm gibt es dokumentarische Aufnahmen aus
Lausanne, La Chaux-de-Fonds und einer Tessiner Schokoladenfabrik aus den frühen Dreissigerjahren zu entdecken. Bei diesem «Sortie du Labo»-Programm handelt
sich um von der Cinémathèque suisse und Memoriav
frisch restaurierte Filmkopien. Musikalische Begleitung
von Wieslaw Pipczynski. (Di 18.4. 20:00 h)
Tschetschenien - Der schmutzige Krieg (13.29.4.06)
Das megafon und das Kino der Reitschule legen im April
ihren Schwerpunkt auf Tschetschenien, ein Land in Kaukasien, in dem Krieg herrschte und immer noch herrscht.
Ein schmutziger, sinnloser Krieg. Wie können Menschen
in diesem vom Krieg zerstörten Land leben, bedroht von
Entführung, Verschleppung, Vergewaltigung, Mord? Wie
bewältigen sie die traumatischen Erlebnisse und Erinnerungen? Was für Überlebensstrategien setzen sie Krieg
und Zerstörung entgegen? Das Reitschule-Kino zeigt
Filme von engagierten FilmemacherInnen aus Holland,
Deutschland und der Schweiz, die sich auf unterschiedliche Weise mit den vom russisch-tschetschenischen
Krieg betroffenen Menschen befassen.
In «Weisse Raben» erzählen russische Mütter über
ihre an Körper und Seele verletzten Söhne, die, nachdem sie an der russisch-tschetschenischen Front verletzt wurden, bei ihnen abgegeben wurden. Der Film
erzählt von Menschen, die Täter sind und nicht selten
zugleich selbst zu Opfern ihrer Tat werden. «Coca»
Sainap Gaschaiewa, hat zusammen mit anderen Frauen Hunderte von Videokassetten versteckt und will sie
nach Westeuropa schaffen mit dem Ziel, ein Tribunal
zu initialisieren, damit die Schuldigen bestraft werden
- auf welcher Seite sie auch stehen. In «Dance, Grozny,
Dance» schliesslich zeigt Regisseur Jos de Putter einen
aussergewöhnlichen Mann, Ramzan Akhmadov, der mit
Strassen- und Waisenhauskindern aus Grosny kaukasische Tänze einstudiert. Sein Engagement ermöglicht
ihnen triumphale Auftritte in ganz Europa. Diese Kinder
trotzen dem Krieg und zeigen ein Bild von Tschetschenien, das nicht nur aus Terror besteht. Kunst als Überlebensstrategie.
Am 15. April ist die Leiterin der russischen NGO
«Warm Home» zu Gast. Sie arbeitet in Tschetschenien,
Inguschetien und Moskau mit tschetschenischen Flüchtlingen.
27
Gangsterfilme
Im neuen Zyklus des StudentInnenfilmclubs, der am
24.4. mit «Reservoir Dogs» von Quentin Tarantino beginnt, stehen hartgesottene Gangster im Mittelpunkt.
Infos: www.studentinnenfilmclub.ch
www.pasquart.ch / Telefon 032 322 71 01
NEUE SCHWEIZER FILME VOM 7.4. - 8.5.06
Eine Auswahl
Melodias, François Bovy, CH 2005 (7.4.-10.4) Jorge
ist einer von drei Personen, die in «Melodias» porträtiert werden. Der junge Mann lädt heute Lastwagen ab,
früher war er Auftragsmörder. Dario, der Taxichauffeur,
erzählt von den täglichen Begegnungen mit kleinkriminellen Fahrgästen. Edwin schliesslich ist Polizist, wie
sein Vater, der während eines Einsatzes umgebracht
wurde. Rechtskonflikte, Gefahr und Gewalt sind überall
und an der Tagesordnung im kolumbianischen Medellin.
1000 Frauen ein Traum, Gabriela Neuhaus, Angelo Scudeletti, CH 2005 (1.5.) Friedensarbeit wird nicht
nur von Staatsmännern geleistet - deshalb nominierte
ein Komitee um die Politikerin Ruth-Gaby Vermot 1000
Frauen für den Friedensnobelpreis 2005. Z. B. Maggie,
die während der Massaker in Burundi Tausende von Kindern gerettet hat. Oder die Inderin Naseeb, deren Familie ermordet wurde und die seither gegen Rassenhass
kämpft. Oder Ellen, die sich für Strafgefangene in USGefängnissen einsetzt. In Anwesenheit der Regisseurin
(18:00 und 20:30 h).
Unser Amerika, Kristina Konrad, CH 2005
(28./29.4.) Eine Spurensuche in einem Land 25 Jahre
nach einer Revolution, die niemand für möglich hielt.
Eine subjektive Annäherung einer Europäerin, die nach
Nicaragua zurückkehrt, wo sie vor 20 Jahren eine der
letzten gemeinsamen Utopien miterlebte, die Tausende
von Menschen aus aller Welt angezogen hatte. Getragen
von der Hoffnung, dem kleinen Staat gelinge es, Armut
und Ungleichheit in politischem Pluralismus, gemischter
Wirtschaft und Blockfreiheit zu besiegen.
Weitere Infos:
http://www.pasquart.ch/d/filmpodium.d/programm.
d.jsp
28
L I F E S T Y L E
Bildlegende:
Genauso scharf wie das Red Chicken Curry
im Splendid: Bollywoodstar Aishwarya Rai.
NADIA MEIER
curry macht glücklich
■ Es ist Sonntagabend kurz vor zehn. Mir ist nicht eben
zumute, als ob ich vor lauter Lachen kleine Champagnerfontänen aus meinen Nasenlöchern prusten müsste. Im Kühlschrank sterben ein paar Joghurts und ein
angefaulter Eisbergsalat langsam vor sich hin. Ich habe
Hunger.
In solchen Momenten gibt es genau drei kulinarische
Möglichkeiten, die mich trösten können: Eine eiskalte
Vanilla Coke, für mich gekauft und serviert von einem
Mann, der ebenso süss schmeckt wie der Inhalt der
Flasche, selbst aber keine ist. Zweitens eine doppelte
Portion Maki Sushi, und zwar California Roll mit Surimi, Avocado, Gurke und Sesam, zubereitet von einem
lächelnden Japaner im goldenen Kimono. Drittens würde ausserdem helfen: Ein scharfes, noch schärferes, auf
der Lippe brennendes, in der Nase juckendes, Tränen
treibendes, feuerfarbenes Red Chicken Curry.
Der Mann hat diesmal keine Vanilla Coke gekauft, da
er damit beschäftigt war, mich an einen magischen Ort
zu entführen. Und wie man an einem Sonntagabend in
Bern einen Sushi-Meister auftreibt, der sich noch nicht
auf den Futon gelegt hat, weiss ich wirklich nicht. Wer
nun aufmerksam mitgelesen hat, wird bemerkt haben,
dass die einzige noch mögliche Rettung das Red Chicken Curry ist. Nun, mir ist bernweit nur ein Ort bekannt,
wo man ein ebensolches auch in den unmöglichsten Momenten bekommt: Das Splendid Bollywood Palace.
Wir sind fast die letzten Gäste. An der Bar sitzen
zwei, die einander nach dem Kino den Film erklären,
und rühren nachdenklich ihre Drinks warm. Daneben
beschliessen drei Männer, die ich für Inder halte, ihre
Woche mit einem grossen Bier, scheinbar darauf achtend, nicht zu viele Worte zu verlieren. Hinter uns und
zum Glück nicht im meinem Blickfeld sitzen zwei junge
Pärchen und knutschen und stecken sich die Zungen in
die Ohren. Na dann, guten Appetit.
Im Splendid Bollywood Palace gibt es eine offene Küche, ich glaube, weil die beiden Köche so hübsch sind.
Wir hören zu, wie Brian Johnson sich «Hells bells» aus
der Kehle würgt – im Palace wird man während der indischen Mahlzeit mit den unsäglichsten Klassikern berieselt, manchmal sogar abwechselnd mit HitparadenHiphop, naja, wir wissen auch nicht warum – und sehen
der liebenswerten Patronne zu, wie sie mit einem Gast
ein bisschen Billard spielt.
Ich mag jetzt nicht erklären, wie es im Palace aussieht, geht selber hin und schaut es euch an. Vielleicht
mögt ihr auch einen Bollywood-Film gucken auf der
grossen Leinwand, bald sollen jeden Sonntag solche gezeigt werden. Was aber doch erwähnt werden muss, sind
die goldenen Lämpchen, die auf jedem Tisch stehen. Sie
sehen ziemlich massiv aus, schwer wie viele Dinge auf
den ersten Blick scheinen, denen man im Leben so begegnet. Hebt man sein Tischlämpchen aber, ist es auf
einmal ganz leicht, wie eben manch anderes auch. Ich
hätte das Schätzchen von einer Lampe am liebsten eingesteckt und mit nach Hause genommen zwecks Schlafzimmerdekoration, aber leider war meine Handtasche
zu klein und mein Anstand zu gross.
Jetzt noch zum Red Chicken Curry: Es ist das beste
Curry seiner Art in Bern und womöglich überhaupt. Viel
mehr gibt es dazu nicht zu vermelden. Es ist einfach
ganz scharf und ganz rot. Wobei der Schärfegrad vom
Gast bestimmt werden kann, die Farbe hingegen nicht.
Dazu gibt es mit geheimen Zauberzutaten verfeinerten
Reis und eine schneeweisse Raita-Sauce mit Gurken und
Liebe, die der Schärfe ihre Brisanz nimmt und die Tränen trocknet. Nachher ist man einfach satt und glücklich und will nur noch einen gespritzten Weissen und
dann ab ins Bett.
Splendid Bollywood Palace
Von Werdt-Passage 8, 3011 Bern
Telefon 031 534 36 54
Mo - Do 09:00 – 01:30 h
Fr & Sa 09:00 – 03:30 h
(warme Küche bis 02:00 h!)
So
15:00 – 01:30 h
Jeden Donnerstag ab 22:00 h: Bärner Beats Live
C A R T O O N
29
www.fauser.ch
CHRISTINE WANNER
VON MENSCHEN UND MEDIEN
Die «Pro-Kampagnen» - Was uns die Detaillisten auch verkaufen
■ Für den Frühling. Mehr Ostern. Für den zweiten Frühling. Mehr Zeit zum Leben. Für mehr Kaufkraft. Für Arbeitsplätze. Die «Pro-Kampagnen» der Detaillisten sind
nicht zu übersehen. Doch ihr Werben im umkämpften
Markt kündigt mit dem Slogan «für Arbeitsplätze» bereits die Zeit nach Schnäppchenjagd und Discountitis an.
Der Slogan «Für mehr Kaufkraft» spielt nicht auf
die Wirtschaftslage an, sondern zielt direkt aufs Portemonnaie: Denn der Discounter Denner verkauft sich seit
Jahren mit dem Argument der tiefen Preisen. Wissen
wir. Wenn Produktewerbung plötzlich den Slogan «für
Arbeitsplätze» bemüht, fällt das auf: Ragusa – für 175
Arbeitsplätze in Courtelary. Feldschlösschen – für 700
Arbeitsplätze in Rheinfelden. Dar Vida – für 213 Arbeitsplätze in Malters. Caffè Latte – für 520 Arbeitsplätze in
Ostermundigen. Ovo – für 300 Arbeitsplätze in Neuenegg. Schweizer Marken, hergestellt in der Schweiz. Für
die beste Qualität. Und für viele Arbeitsplätze, davon
410‘000 allein bei Coop, lesen wir. Coop-Mediensprecher Karl Weisskopf will damit einmal andere Werte ins
Zentrum rücken als «Preis, Preis, Preis», wie er sagt. Die
Produktevielfalt solle im Vordergrund stehen und einen
Kontrapunkt zu den Aktionen setzen.
Für Christian Pfister, Professor für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte an der Uni Bern kommt diese Kampagne nicht überraschend. Im Zeitalter der globalen Auslagerung von Produktionen und Funktionen
nach China oder Indien werde der Erhalt von Arbeitsplätzen in zunehmendem Masse werbewirksam vermarktet. Dass die Schweizer Qualität als Verkaufsargument zitiert werde, sei bereits in der Reklame vor dem
ersten Weltkrieg zu beobachten. Die Kampagne «für
Arbeitsplätze» betont nicht in erster Linie die Schweizer Qualität, sondern appelliert an die gesellschaftliche
Verantwortung. Diese soziale Dimension bleibt gemäss
Journalist und Historiker Daniel Di Falco von der üblichen Werbung systematisch ausgeklammert. Denn die
Warenwerbung ziele primär auf den Konsum ab. Die
Leitwährung des Konsums sei nicht Verantwortung,
sondern Bedürfnis, sei nicht das Politische, sondern das
Persönliche.
Im genannten Beispiel wird zusätzlich die Verantwortung der Detaillisten thematisiert; mit ihrer Produkte- und Preispolitik bestimmen sie mit, an welche
Produzenten das Geschäft geht, respektive wer in der
Versorgungs- und Verkaufskette das Einsehen hat. Die
Nummer zwei der Schweizer Detaillisten hat diese Verantwortung im vergangenen Jahr eigens zu spüren gekriegt, als Coop unter (Ein)Druck der expandierenden
ausländischen Discountketten Preisabschläge durchund ein Tiefpreissegment einführte. Um seine Position
zu halten, musste der Detaillist eine Umsatzeinbusse in
Kauf nehmen.
An diesem Punkt wird deutlich, was die harte Kon-
sequenz allzu harter Konkurrenz im Tiefpreissegment
bedeutet: im Kampf um die Kundinnen und Kunden
schneiden sich die Wetteifernden ins eigene Fleisch.
Im Kampf um Billigprodukte können Schweizer Marken
nicht mithalten, denn es finden sich immer Länder und
Leute, die bereit sind, zu schlechten und schlechteren
Bedingungen für noch weniger Geld zu arbeiten. So wird
die Discountitis zum Eigentor. In letzter Konsequenz
werden hiesige Arbeitsplätze tatsächlich zum Sonderangebot, bis sie zum Sortiment herausfallen.
«Für Arbeitsplätze» geht weiter und spricht die
Zeit nach dem Tief- und Tiefstpreis an. Vergleichbare
Kampagnen werden sich gemäss Megatrend-Studie des
Gottlieb Duttweiler Instituts häufen und die Billigwelle
in der Werbung ablösen. Als weiteren Trend macht das
Institut den Kampf um Marktanteile in den gehobeneren
Preisklassen aus. Unterhalb der klassischen Luxusartikel entstehen diverse Linien des bezahlbaren Auserwählten, «Populux» im Fachjargon. Also mehr Luxus für
alle. Mehr. Mehr Zeit zum Leben. Für das Leben mit oder
ohne Tom. Und vor allem: Mehr Konsum. Für Genuss
ohne Reue.
Mehr Wissen über Werbung?
Daniel Di Falco, Peter Bär, Christian Pfister (Hg.): Bilder
vom besseren Leben. Wie Werbung Geschichte erzählt.
2002. Verlag Haupt.
30
M E N S C H E N
EVA MOLLET
burgeners m&m:
musik und medizin
Foto: Eva Mollet
■ Hans Burgener ist vierundfünfzig Jahre alt. Seine
Haarfarbe reicht von grau bis weiss. Die Haare stehen
ihm igelgleich vom Kopf. Burgener ist kein Geigendoktor, sondern ein Dr. Geige, d.h. er ist Musiker und Arzt.
Die beiden grossen Ms in seinem Leben ziehen sich wie
ein roter Faden durch die Biographie. Manchmal wollen
sie vereint werden, dann entstehen u.a. medizinische
Musikprojekte oder musikalische Medizinprojekte: Z. B.
«Communication invisible». Die Hirnströme der Musiker
und Musikerinnen werden während des Spiels visuell
sichtbar gemacht, eine Zusammenarbeit mit Hirnforschern der Psychiatrischen Universitätsklinik Bern.
Beim Erzählen von der Formation EAM (electronicacoustic-meeting) bekommt Burgener leuchtende Augen. Es ist momentan sein wichtigstes Projekt. Die Band
arbeitet seit eineinhalb Jahren zusammen. Die fünf Leute vereinen eine interessante Mischung an Musikstilen:
Burgener vertritt die experimentelle, zeitgenössische
Musik an der Geige. Mit der Improvisation hat er seine
Sprache gefunden. Die Sängerin Christine Lauterburg
kommt von der schweizerischen Natur- und Folkmusik.
Martin Müller repräsentiert die Jazz und Worldmusik
am electric 5-string Cello. Roger Stucki bringt den Computer und die digitalen Klänge mit. Stefan Woodtli spielt
Drums in der Rock- und Bluesszene. Was fasziniert an
dieser Zusammensetzung?
«Mich interessiert die Schnittstelle zwischen elektronischer und akustischer Musik. Die meisten Musiker entscheiden sich für das eine oder das andere. Die Akustiker haben oft einen anderen Zugang zur Musik, als die
Elektroniker. Die Letzteren haben einen spielerischen
Umgang, aber es lässt sich auf dem Computer nicht improvisieren.» Die Musik von EAM beschreibt sphärische
Klanglandschaften, ist rhythmisch und melodiös. Sie
gibt Stimmungen wieder. «Musik ist mehr als nur Töne
aneinanderreihen. Musik hat eine Botschaft. Es geht um
die Mystik hinter der Musik, das ist der spirituelle Aspekt.»
Wie entsteht solche Musik? Meistens bringt Roger
Stucki auf dem Laptop einen musikalischen Rahmen. Er
schafft den Boden. Die Abfolge der Grooves, Beats und
Klangflächen ist vorerst fix. Gemeinsam wird an diesen
Klangmodulen experimentiert und schliesslich werden
sie in eine Form gebracht. Wichtig sind die Freiräume,
die Improteile für Gesang und Geige. Überraschungen
sind trotz der Gliederung möglich. «Mir passt, dass ich
auf strukturiertem Boden Improvisation ausleben kann.
Die Schnittstelle der verschiedenen Musikstile ist eine
Herausforderung. Es bringt uns alle weiter, wenn wir
diese Auseinandersetzung annehmen. Unser Potential
ist noch lange nicht ausgeschöpft. Wir entwickeln uns
weiter, indem wir ausprobieren, was möglich ist.»
Wie kommen die beiden Ms in Burgeners Leben?
Er wächst in einer gut bürgerlichen Familie in Thun auf.
Er hat drei Geschwister. Eines davon ist sein Zwillingsbruder. Jeder hatte sein eigenes Ei.
Der Vater ist Arzt, die Mutter ist Hausfrau. Mit fünf
Jahren beginnt Burgener mit dem Geigenspiel. Die ersten beiden Jahre spielt er ohne Noten. Dieser Zugang
zur Musik über das Gehör ist prägend und legt den
Grundstein für die Vorliebe zur Improvisation. «Durch
diesen Zugang konnte ich später überall auf der Welt
mit den verschiedensten Musikern und Musikerinnen
spielen. Eine Vortragsübung damals in der Musikschule,
werde ich nie vergessen. Ein Junge stand auf der Bühne
und geigte, als plötzlich Flüssigkeit aus seinem Hosen-
bein tropfte.»
Mit sechzehn besucht Burgener den Gymer in Bern.
Danach studiert er Medizin.
«Ich konnte mir nichts anderes vorstellen.» Während
dem Studium und in der Assistenzzeit kommt die Geige
zu kurz. Danach widmet er sich drei Jahre lang hauptsächlich der Musik. Er spielt in klassischen Orchestern,
aber auch Folksmusik, Jazz-Rock und Folk-Rock. Später
lernt er auf Sri Lanka die Grundkenntnisse der Akupunktur. Er ergänzt die westliche Medizin mit der östlichen.
Die chinesische Medizin ist energetisch. «Was ich in der
Musik mache, ist nicht weit davon entfernt.» Lange Zeit
bleibt Burgener zwischen Medizin und Musik hin und her
gerissen. «Heute bin ich froh, dass ich zwei Standbeine
in meinem Leben habe. Es führt zu wohltuenden Freiheiten.»
Der amerikanische Bassist Barre Phillips ist eine
wichtige Persönlichkeit in Burgeners musikalischem
Werdegang. «Früher war er ein Vorbild, heute ist er ein
guter Freund. Phillips Verständnis von Musik hat mich
geprägt. Er ist ein Klangmagier und eine einzigartige
musikalische Persönlichkeit.» Zusammen mit Martin
Schütz treten sie seit fünfzehn Jahren mit ihrem StringTrio auf.
Burgener ist an einigen Projekten, Events, CDs und
Bands beteiligt. Es sind zu viele, um sie alle aufzuzählen. Sein Engagement für die Berner Kultur ist vielseitig
und langjährig. So soll es bleiben und die Ms werden ihn
begleiten.
CD-Taufe EAM: Sa., 8.April 2006, 20:30 h im Haberhuus
Köniz (in der geheizten Pfrundschüür).
Weitere Infos: www.eammusic.ch
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artensuite
3127
Sam Francis
Blue Balls IV, 1960, Öl auf Leinwand, 100 x 81 cm,
Sammlung E. W. K., Bern
© 2006, Sam Francis Estate / Samuel L. Francis Foundation, California /
ARS, New York / ProLitteris Zürich
artensuite
32
Die Farbe hat mich
Fest der Farbe - Die Sammlung Merzbacher-Mayer
Kunsthaus Zürich, Heimplatz 1. Geöffnet Dienstag bis
Donnerstag 10:00-21:00 h,
Freitag bis Sonntag 10:0017:00 h. Bis 14. Mai 2004.
■ 1914 schrieb Paul Klee während seiner Tunesien-Reise in sein Tagebuch:
«Die Farbe hat mich». Nach zehnjährigem Ringen um die Farbe, hat er sie
- oder sie ihn - endlich gefunden und er
wird sie jetzt in all ihren Möglichkeiten
analysieren und anwenden. Klees Werke hängen gleich neben einem weiteren
Highlight der neuen Ausstellung im
Kunsthaus Zürich mit Werken aus der
Sammlung Merzbacher-Mayer: frühe
Bild: André Derain
Bâteaux dans le Port de
Collioure, 1905
Öl auf Leinwand, 72 x 91 cm
Sammlung Werner und
Gabriele Merzbacher
© 2005 ProLitteris, Zürich
Aufsehen erregende Kleckse
Sam Francis und Bern
– Werke von Sam Francis,
Samuel Buri, Franz Fedier,
Rolf Iseli, Peter Stein
Kunstmuseum Bern, Hodlerstrasse 8-12. Geöffnet
Dienstag 10:00-21:00 h, Mittwoch bis Sonntag 10:00-17:00
h. Bis 18. Juni 2006.
■ Die aktuelle Ausstellung im Kunstmuseum Bern widmet sich der Malerei
des Amerikaners Sam Francis (19231994) und seinen Beziehungen zu Bern
und Berner Künstlern in den Jahren
1955-1963. Francisʼ Verbindung zu
Bern entstand im Dezember 1954, als
der damalige Direktor der Kunsthalle,
Arnold Rüdlinger, und der Berner Galerist Eberhard W. Kornfeld den Künstler in seinem Atelier in Paris aufsuchten. Die entstandenen Freundschaften
dienten als Ausgangspunkt für die
folgenden Beziehungen des Künstlers
zu Bern. Rüdlinger brachte nämlich
nicht nur das Werk Francisʼ nach Bern,
sondern animierte damit verschiedene
Berner Künstler, mit Francis und seinem Werk in Kontakt zu treten und sich
mit der neuen amerikanischen Konzeption moderner Malerei, dem sogenannten Tachismus, auseinanderzusetzen.
Die neuen Ausdrucksmöglichkei-
Gemälde von Wassily Kandinsky, die
nur so leuchten im schwelgerischen
Gebrauch der Farben. Ein Erlebnis!
Was hier gezeigt wird, ist ein Novum in der Kunst des beginnenden
20. Jahrhunderts, eher sogar mehr,
es ist ein Quantensprung. Bereits im
ausgehenden 19. Jahrhundert, mit Impressionisten und Postimpressionisten,
zeichnet sich die Entwicklung zu einem vollkommen neuen Gebrauch und
einem neuen Verständnis der Farbe ab.
Schliesslich nehmen die Fauvisten in
Frankreich und die Expressionisten in
Deutschland - durchaus zeitgleich aber
weitgehend unabhängig - die Farbe bei
der Hand und führen sie nun endgültig
vom Gegenstand weg in neue Gefilde.
Die Farbe wird frei, sie wird bunt und
beginnt zu leuchten, wie sie es noch
nie getan hat! Hervorragend ist dies
bei Kandinsky zu sehen, aber auch bei
Kirchner, Matisse (dessen Werk momentan in einer Retrospektive in der
Fondation Beyeler in Riehen zu sehen
ist) oder Jawlensky, der seine Porträts
mit einem wundervollen Rot anreichert
und damit Akzente setzt.
Es ist nicht ganz selbstverständlich,
dass wir nun anhand der Sammlung
diese Entwicklung nachverfolgen können - übrigens eine Sicht auf die Kunst-
ten, die der Amerikaner auf der Leinwand umsetzte, sind gekennzeichnet
durch die schwungvolle, fliessende
Bewegung von kräftigen Farben, dem
neuartigen Verständnis von Räumlichkeit und der Auflösung der herkömmlichen Bildauffassung. Kleinteilige
Farbzellen werden auf der Leinwand
zu Strukturen zusammengefügt, die
über den Bildrand hinaus gedacht ein
neues Raumverständnis vermitteln.
Diese Art von Farb- und Raumkompositionen, erstmals 1955 in der Ausstellung «Tendances Actuelles III» in
der Kunsthalle präsentiert, stiessen im
zurückhaltenden Bern nicht nur auf offene Augen und mussten sich dem Vorwurf des «Klecksismus» beugen.
Durch die Bemühungen Rüdlingers
und auch Kornfelds konnten sich dennoch einige Berner Künstler mit Francisʼ Werk anfreunden oder die neuen,
modernen Impulse zumindest in ihren
geschichte des 20. Jahrhunderts aus der
ganz privaten Sicht eines Sammlers.
Um 1900 tätigte Bernhard Mayer - der
Grossvater von Gabrielle Merzbacher
- die ersten Ankäufe, nur sporadisch
aber doch immer wieder gelangten so
hervorragende Kunstwerke in seinen
Besitz. Als er 1917 per Tram durch Zürich fährt, sieht Mayer im Schaufenster der Galerie Bollag Picassos «Das
Paar» von 1904, steigt aus und kauft es
gleich. Es zeigt Picassos triste «Blaue
Periode» mit ihren kärglichen, verelendeten Gestalten. Viele von Mayers
Werken kamen in die Sammlung von
Gabrielle und Werner Merzbacher, die
in über 40 Jahren die nun zu bestaunende Sammlung aufbauten. Merzbacher,
der jüdischer Abstammung ist und
im Zweiten Weltkrieg in Ausschwitz
seine Eltern verloren hatte, entdeckte
früh seine Leidenschaft und das Interesse für die lebhafte Farbe - trotz der
Schicksalsschläge oder gerade wegen
ihnen? - und begann seine Sammlerleidenschaft mit Werken der Expressionisten und Fauvisten auszuleben.
Werke aus über 100 Jahren Kunstgeschichte von Cézanne, über Sam
Francis bis zu Bridget Riley zeigt die
Ausstellung im Kunsthaus Zürich. Ein
Genuss und ein Muss. (di)
eigenen Werken auf ihre Weise umsetzen. Die hiesigen Künstler wurden in
ihrem Schaffen bekräftigt, ihre Arbeiten zeichnen sich aber durchaus als eigenständig aus.
Die Berner Künstler, Samuel Buri,
Franz Fedier, Rolf Iseli und Peter
Stein, in der aktuellen Schau im Kunstmuseum den Werken Francisʼ gegenübergestellt, vertreten exemplarisch
die Künstlerschaft, die sich mit der
abstrakt-expressiven Kunst der Nachkriegszeit befasste.
Die Ausstellung soll dem kunstwilligen (Berner-)Betrachter einmal mehr
zeigen, dass Kunst in Bern selbst diskursbestimmend und Kristallisationspunkt von neueren Entwicklungen sein
kann. Vielleicht soll sie als Exempel
aber auch dem Wunsch, dass Bern in
Zukunft wieder als Mittelpunkt künstlerischer Internationalität fungieren
könnte, Ausdruck verleihen. (mm)
artensuite
3327
Luxus mit Brockenstubencharme
■ «Erfinder des Junkie-Chics», höhnte jüngst die Weltwoche über den Modefotografen, der längst als Künstler
gilt: Juergen Teller. Tatsächlich hat
Juergen Teller diesen bis zu Ermüdung
zelebrierten Stil des heruntergekommenen Luxus geprägt. Nach den hedonistischen Achtzigerjahren folgten die
von Helen Lagger
Neunziger mit ihrer Ikone: Kate Moss.
Bis heute eine gute Freundin des Fotografen, welchen sie traf, als sie gerade
einmal fünfzehn Jahre alt war.
Während in den Achzigern Frauen
mit ausdruckstarken Gesichtern wie
Debbie Harry, Brooke Shields, Margaux Hemingway oder Polanskis Frau
Emanuelle Seigner angesagt waren,
folgte in den Neunzigern die Garde
der neurotischen, leicht intellektuellen
Blassfraktion, die möglichst physisch
oder psychisch angeschlagen auszusehen hatte: Joddie Kid, Winona Ryder,
Calista Flockhart und unendlich viele
No-Names. Berühmt ist Tellers Serie
«Go-Sees», wo der Fotograf Mädchen,
die an seiner Türe klingelten, um sich
bei ihm zu bewerben, ablichtete. Er hat
die Kindfrauen in ihrer ganzen Unsicherheit, ohne viel Make-up und in casual wear fotografiert. Modegöttinnen
wurden von ihm so von den Podesten
geholt. Doch Juergen Teller ist mehr als
der Porträtist von mageren Elfen mit
Sommersprossen.
Seine Arbeit hat sich kontinuierlich
weiterentwickelt, sein Stil ist unverkennbar.
In einem Internet-Forum fragt die
Londoner Künstlerin Tracey Emin, ob
er sich bewusst sei, dass er Menschen
in seiner Arbeit benutze. «Natürlich
benutze ich Leute und Leute benutzen
mich. Dies allerdings nicht in einer negativen Art und Weise. So sehr ich sie
benutze, so sehr gebe ich ihnen auch
etwas. Wenn andere mich benutzen,
geben sie mir ebenso etwas», antwortete Teller darauf. Tatsächlich ist Teller
nicht nur hinter der Kamera anzutreffen, sondern integriert sich in seinen
Fotos häufig selbst. Das Cover des
Bildbandes «Ich bin vierzig» zeigt den
Künstler, wie er vornüber in einen Teller voller Schweinebraten gefallen ist.
Bier und Jägermeister stehen auf dem
Tisch. Diese typisch deutschen Insignien stehen zudem auf einem spiessig
rotweiss karierten Tischtuch. Obwohl
Teller seit den Achtzigerjahren in London lebt ist das Deutschtum auf vielen
seinen Bildern präsent. Man könnte
schon nur seinen Hang zum Unprätentiösen, manchmal auch zum Hässlichen, als typisch deutsch bezeichnen. Das Misstrauen gegen klassische
Schönheit oder Idealisierung findet
man ebenso bei Urgesteinen der deutschen Malerei (Max Beckmann, Baselitz), wie auch bei diversen deutschen
Fotografen oder Filmemachern von
internationaler Bedeutung (Wolfgang
Tillmans, Fassbinder). Juergen Teller
ist in seinen Selbstporträts oft nackt
und inszeniert sich dabei nicht wirklich
vorteilhaft. Es sind provokative Bilder,
die wie Schnappschüsse wirken, jedoch
keine Schnappschüsse sind. Die grosse
Täuschung der Fotografie liegt in der
Vor-Täuschung «objektiver Wirklichkeit», schrieb Heinrich Böll in einem
Aufsatz. Juergen Tellers Fotografien
sind genauso inszeniert wie Bilder,
denen man das stundenlange Setting
sofort ansieht. Die Serie «Louis XV»
zeigt den Fotografen in dekadenten,
stark sexuell aufgeladenen Szenen gemeinsam mit der Schauspielerin Charlotte Rampling, die altersmässig seine
Mutter sein könnte. Selbst in unserer
hemmungslosen Zeit ein gelungener
Tabubruch.
Ganz andere Töne schlagen seine
autobiografischen Stillleben und Porträts von geliebten Menschen an. Er
fängt die Magie von Schauplätzen aus
seiner Kindheit ein, fotografiert Gegenstände oder für seine Heimat, Bubenreuth / Franken, Stereotypisches wie
zum Beispiel ein kleines Rehkitz. Die
Serien «Nürnberg» und «Ed in Japan»
beinhalten die persönlichsten Arbeiten.
Von umstürzlerischem Grunge-Feeling
ist hier nicht mehr viel zu spüren. Es
sind nostalgische, geschichtsträchtige
Bilder darunter, aber auch sehr fröhliche, lebensbejahende Familienbilder
voller Humor: Juergen Tellers Mutter,
die zwischen einer Schnauze eines
ausgestopften Krokodils hervorschaut,
Tellers Sohn im Schaumbad und die
rebellisch blickende Tochter Lola in
verschiedenen Posen.
Es verwundert nicht, dass Juergen
Teller mit dem Modedesigner Marc
Jacobs besonders gerne zusammenarbeitet. Es gibt viele Gemeinsamkeiten
zwischen den beiden. Beide kommen
aus der achtziger Punkszene, prägten
die neunziger Grunge-Bewegung mit
und sind mittlerweile etablierte Grenzgänger zwischen Kunst und Mode. Vergangenheitsbewältigung, Erinnerung
und Melancholie haben im Werk von
beiden einen wichtigen Stellenwert.
Marc Jacobs Kleider strahlen diesen
Brockenstubencharme aus, den man
bei Juergen Teller ebenso findet: Ein
bisschen verstaubt, ein bisschen selbst
gestrickt, Zwischentöne wie Beerenrot,
Olivgrün und Cognac und diese Patina
des Vergilbten, als würde man sich in
einem Film der Siebzigerjahre in der
DDR befinden. Ziemlich unluxuriös,
würde dann nicht plötzlich ein Jupe
aus Leopardenfell unter dem wollenen
Poncho hervorblitzen. Das Markenzeichen des Mode-Designers ist eine viel
zu grosse, hässliche Hornbrille. Nie
käme es dem Solarium gebräunten Armani oder dem toll geföhnten Valentino in den Sinn, solch ein Ding der Unmöglichkeit spazieren zu führen. Marc
Jacobs Musen sind keine Glamourgirls,
sondern Hauswirtschaftslehrerinnen
aus seiner Kindheit (wie waren die
schon wieder gekleidet?) oder die Regisseurin Sophia Coppola.
Juergen Teller ist genau wie David
LaChapelle (siehe ensuite-Ausgabe
vom März), einer der wichtigsten Fotografen des 21. Jahrhunderts. Der eine
zelebriert Alltäglichkeit, Intimität und
Melancholie, der andere Spass, Sexiness und Überdrehtheit. Es ist, als
müsste man sich zwischen einer deftigen Bratwurst und einem schaumigen
Mousse au Chocolat entscheiden. Es
kommt eben darauf an, ob man salzig
oder süss bevorzugt.
Juergen Teller - Do you
know what I Mean - Retrospektive
Fondation Cartier pour lʼart
contemporain, 261, boulevard
Raspail 75014 Paris. Geöffnet
Dienstag bis Sonntag 12:0020:00 h. Bis 21. Mai 2006.
artensuite
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Er gewinnt bei näherer Betrachtung
■ «In einem kleinen Raum nebenan
schlug ein Mann mit Pfeife im Mund
Nägel in die Wand und hängte seine
winzigen Bilder auf. Wenn ich winzig sage, dann meine ich, dass einige
nicht grösser als eine Postkarte waren.
von Dominik Imhof
Max Beckmann - Traum des
Lebens
Zentrum Paul Klee, Monument im Fruchtland 3.
Geöffnet Donnerstag 10:0021:00 h, Dienstag bis Sonntag
10:00-17:00 h. Bis 18. Juni.
Bild: Max Beckmann
Traum von Monte Carlo
1940-1943
Öl auf Leinwand
160 x 200 cm
Staatsgalerie Stuttgart
Beckmann warf Paul Klee, der seine
Kritzeleien aufhängte, einen verächtlichen Blick zu und schnaubte: ‹Und das
nennen Sie Kunst!›» Max Beckmanns
Galerist berichtet dies über das Zusammentreffen von Paul Klee und Beckmann beim Einrichten ihrer Ausstellung im Glaspalast in München 1921.
Jetzt treffen diese beiden so unterschiedlichen und doch so verwandten
Künstler im Zentrum Paul Klee noch
einmal aufeinander. Ein Gespräch mit
Tilman Osterwold, künstlerischer Leiter des ZPK:
Dominik Imhof: Das Interesse
für Musik, Theater und Artisten ist
eine Gemeinsamkeit im Leben und
Schaffen von Paul Klee und Max
Beckmann, es gibt aber ebenso viele
Kontraste. Wieso also Beckmann im
ZPK?
Tilman Osterwold: Es ist gerade
faszinierend, dass Max Beckmann eigentlich ein Antipode von Klee ist. Vor
allem in seiner Bildauffassung und
seiner Mentalität, in der subversiven,
schon fast anarchischen Art wie Beckmann wild und heftig, oft auch derb
in seinen Werken vorgeht. Spannend
ist, dass sich Beckmann und Klee für
ähnliche Dinge interessierten, z. B. für
Theater, Musik, für Gleichgewicht und
Maskierung. Daneben stehen auch diese gebrochenen Romantizismen in ihrer Sicht der Landschaft. Es erscheint
so etwas wie eine Kindheitssehnsucht,
z. B. wie beide den Mond oder die
Sonne malen. Ebenfalls interessant
ist ihr Hang zu einer Kontrastierung
von Schwarz und Bunt. Farbe wird
zu einem metaphorisch verwendeten
Gestaltungsfaktor in den Bildern.
Gerade bei den Affinitäten zwischen
Beckmann und Klee, in dem, was
sie inhaltlich und gestalterisch interessiert, werden ihre gegensätzlichen
künstlerischen Motivationen sichtbar.
Dazu kommt die grosse Melancholie, die beide im Bezug auf die zeitgeschichtlichen Umstände - Zweiter
Weltkrieg und Malverbot - aufweisen.
Dies spiegelt sich in der Art und Weise, wie sie z. B. persönliche Szenarien
zeitgeschichtlich interpretieren.
Wie nimmt Max Beckmann das
Zeitgeschehen der 1930er Jahre in
sein Schaffen auf, nimmt er es überhaupt auf?
Er thematisiert es nicht direkt, was
Klee auch nur selten macht, nur in wenigen Bildern wie z. B. «Von der Liste
gestrichen» (1933). Dieses Bild reflektiert sicherlich die Entlassung von seiner Lehrtätigkeit an der Düsseldorfer
Akademie durch die Nationalsozialisten und weist auf seine Betroffenheit. Ich bin der Meinung, dass gerade
bei der Lektüre der eindrucksvollen
Kriegstagebücher von Beckmann aus
dem Ersten Weltkrieg, oder der Briefe, die er seiner Frau geschrieben hat,
deutlich wird, wie intensiv sich die
Eindrücke jener Kriegsjahre in späteren Bildern manifestieren. Als wären
die Bilder der späten Dreissigerjahre
und die im Amsterdamer Exil (193747) entstandenen Werke eine melancholisch-tragische Reflexion jener
Eindrücke. Viele Beckmann-Bilder
strahlen eine eher traurige Grundstimmung aus.
Und bei Klee gibt es ja auch diese
Erinnerungen an frühere Jahre in seinem späten Schaffen.
Das sind diese traumhaften Aspekte, die beide Künstler verbindet. Im
Titel «Max Beckmann - Traum des
Lebens» soll das deutlich werden. Bei-
de haben sich auf extreme Weise mit
der Welt des Traumes beschäftigt. Von
Beckmann wie auch von Klee gibt
es ausserordentlich viele Zitate und
Werktitel zur Thematik des Traums.
Beckmann antwortete auf den
Ausspruch «Beckmann brutal» in
einer Rezension: «Na ja, bin ich ja
auch». Und eine Autobiografie beginnt er mit: «Beckmann ist ein
nicht sehr sympathischer Mensch».
Seine beiden Frauen zwang er, ihre
Karrieren aufzugeben. War Beckmann ein Misanthrop?
Das ist gewiss selbstironisch inszeniert. Paul Klee strahlt eher weiche
Züge aus. Beckmann hatte durchaus
sehr sensible Seiten. Ich habe mit Peter
Beckmann, seinem Sohn, lange über
Max Beckmann gesprochen. Gerade
wie er seinem Sohn seitenlange Briefe
zu zentralen Fragen des Lebens, der
Seele, des Glaubens, der Religiosität
schreibt, ist beeindruckend. Beckmann identifizierte sich auch mit der
Mentalität des Clowns, der auch diese
tragikomischen Nuancen hat, durchaus vergleichbar mit Klees expressiver
Thematisierung der Masken, korrespondierend mit den Handpuppen, die
er für seinen Sohn Felix gestaltet hat.
Beckmanns Schaffen hat etwas
Grobes, Rohes und Vulgäres, bei
Klee ist es vielmehr die Suche nach
einer Harmonie.
Diese vulgäre Komponente zeigt
Klee so nicht. Andrerseits gibt es bei
Klee viele Zeichnungen, farbige Arbeiten auf Papier zu erotischen Themen - beginnend mit der Zeit um 1905.
Der Hang zur erotischen Thematik ist
weniger drastisch als bei Beckmann.
Reinhard Piper erinnerte sich, wie
Beckmann seine zweite Frau, Hilde
Kaulbach - Quappi genannt -, 1924
den etwas zögernden Anwesenden
mit den aufmunternden Worten vorstellte: «Sie gewinnt bei näherer Betrachtung.» So geht es mir mit seinem
bildnerischen Schaffen: auf den ersten
Blick nicht wirklich schön, so gewinnt
es aber in seinen vielen Facetten und
gerade im Vergleich mit Klees Werken
bei näherer Betrachtung. Trotz Gleichzeitigkeit und den vielen Gemeinsamkeiten wird deutlich, wie eigen beide
in ihrem Charakter und vor allem in
ihrem Schaffen blieben.
Viele, viele bunte Marken
■ In einer Zeit, in der wir tagtäglich
von Brands, Labels und Logos umgeben sind, in der das Krokodil ganze
T-Shirts aufzufressen droht und sich
die Telefonieanbieter im Bewerben
von Lifestyle überbieten, erscheint der
von Sylvia Mutti
Bereich der schönen Künste als letzte
Bastion, die Eigenständigkeit und das
authentische Produkt eines kreativen
Individuums als Gegenpol zum industriell angefertigten Massenartikel
verteidigt. Gewiss hätten sich Joseph
Beuys auch ohne Filzhut oder Andy
Warhol ohne wirres Silberhaar in der
Kunstwelt durchsetzen können, und
dennoch sind es gerade diese markanten Accessoires, die untrennbar mit
jenen Künstlerpersönlichkeiten verbunden sind und sich als deren Markenzeichen − ja fast mehr noch als ihre
eigentlichen Werke − in das Bewusstsein des Publikums einem Branding
gleich eingeprägt haben.
Der Kunst im Spannungsfeld zwischen authentischem Ausdruck und
kalkulierter Marktstrategie mit Wie-
dererkennungswert, als Mittel optischer Anleihen aus der Werbewelt
und subversives Medium zur Konsumkritik, widmen sich derzeit zwei
Ausstellungen in Bern und Biel: Mit
ihren amüsanten Schadensskizzen von
kindlicher Hand hat sich die Mobiliar
Versicherung ein bekanntes, visuelles
Leitbild geschaffen und dementsprechend ist es auch der einprägsame
Stil als künstlerische Marke, welche
die Schau als Ausschnitt einer Corporate Collection in der Eingangshalle
des Firmenhauptsitzes in Bern dominiert. So symbolisiert Daniele Buetti die Macht der globalen Brands als
schmerzhafte und dennoch irritierend
ästhetische Tatoos in den makellosen
Gesichtern von Models, während beispielsweise Silvia Bächli mit ihren filigranen Tuschebildern, Rolf Iseli mit
Erdcollagen und Bernhard Luginbühl
mit einer massiven Eisenplastik für
charakteristische Handschriften und
Materialbearbeitung stehen.
Im Centre PasquArt in Biel lassen
Künstlerkollektive wie die etoy.CORPORATION oder PROTOPLAST die
individuelle Künstlerpersönlichkeit
zu Gunsten einer Marken- und Marktstrategie hinter sich und reflektieren
in ihren virtuellen oder imaginären
Produkten die Mechanismen der Businesswelt. In breiter Vielfalt mit insgesamt 28 zeitgenössischen Positionen
thematisiert die Ausstellung unter
anderem werbeähnliche Typographie,
Sprache und Gestaltung, Konsumkritik oder Kunstmarken wie die Spraybanane, die als Auszeichnung durch
den Bananensprayer bereits am Eingangsbereich des Museums prangt.
Marken, Zeichen, Labels, Werke aus
der Sammlung der Mobiliar
Noch ein Pissoir
■ Raffaella Chiara, Martin Blum,
Yves Netzhammer und Bernd Schurer,
Anselm Stalder, Gregor Zivic. Fünf
Positionen. Nicht mehr und nicht weniger. Keine mit dutzenden Namen überfüllte Räume. Sondern fünf Positionen.
Und das ist gut so. Fünf Positionen in
jeweils kleinen Werkgruppen zeigt uns
Andreas Fiedler als Gastkurator im
Auftrag des Kunstvereins Solothurn
unter dem offenen Titel «Flüchtiger
Horizont».
Natürlich assoziiert man mit diesem Titel sogleich Landschaft, Natur
und deren sichtbare, aber wohl etwas
unscharfe Begrenzung, vielleicht ein
Dunstschleier, ein feiner Nebel, der die
Konturen verblassen lässt - eben einen
flüchtigen Horizont. Fiedler fasst den
Begriff weiter. Die Grenzen des Horizonts verflüchtigen sich und lassen
den Blick auf das Jenseits hinter dem
Horizont erahnen oder sogar sichtbar
werden: «Jenseits des Horizonts lässt
sich eine unbestimmte, eine andere
Welt denken.»
Und dies geschieht in den fünf Positionen. Jeder erdenkt sich seine eigene
Welt und so ist der Ausstellungstitel
wirklich nur ein weiter Kreis, indem
sich die Künstler bewegen. Raffaella
Chiaras Zeichnungen sind wie gewohnt
äusserst fragil und subtil erarbeitet.
Feine Linien, die sich immer wieder zu
Inseln ballen, ziehen sich über die Fläche. Aus ihnen wachsen Pflanzen und
pflanzenartige Gebilde, biomorphe
Strukturen. Nur ganz zart erscheint
Farbe in diesen Gitterstrukturen. Alles
scheint hier irgendwie miteinander verbunden, Grenzen gibt es keine. Kaum
zu fassen sind auch Stalders Arbeiten,
vor allem in ihrer Heterogenität. Spiegel und Aluminium, Schriftbilder in
leuchtendem Gelb, Sternenhimmel mit
Tellern aus Fotografien und Malereien zusammengesetzt stehen gleichberechtigt nebeneinander. Zivic ist ein
Bastler und Konstrukteur. Ein ganzes
Haus, ein Pistolenhaus, hat er errichtet,
mit Videoarbeit und Pissoir. Nein, es
ist nicht Duchamps «Fontaine», die er
Branding - Das Kunstwerk
zwischen Authentizität und
Aura, Kritik und Kalkül
CentrePasquArt Biel,
Seevorstadt 71-75. Geöffnet
Mittwoch bis Freitag 14:0018:00 h, Samstag bis Sonntag
11:00-18:00 h.
Bis 28. Mai 2006.
Die Mobiliar, Bundesgasse
35. Geöffnet Montag bis
Freitag 8:00-18:00 h.
Bis 6. Mai 2006.
damit aufnimmt, sondern: nach österreichischem Gesetz gilt ein Haus nur
als solches, wenn eine Toilette vorhanden ist. Schön ist die Korrespondenz
der zweidimensionalen Gitter aus Chiaras Zeichnungen mit den in die Dreidimensionalität übergehenden Bauten
von Zivic. Blum konstruiert ebenfalls
Räume, aber in Form von Fotografie
und Installation. Sie sind als kleine
Modelle aus Fotografien angelegt, die
wiederum abgelichtet wurden und so
eigenartige Täuschungen hervorrufen.
Die Töne der Installationen von Netzhammer und Schurer dringen aus dem
Untergeschoss bis in die höheren Gefilde des Museums hinauf. Audiovisuelle
Collagen sind hier entstanden, die die
drei Räume des Untergeschosses bespielen. Computeranimation, umherschweifende Projektionen, Tierstimmen und elektronisch kreierte Töne
durchziehen die Räume. Und sie führen
uns endgültig in eine eigene, jenseitige
Welt hinter einem flüchtigen Horizont.
(di)
Bild: Daniele Buetti, Prada
29, 2003, 70 x 100 cm, CPrint, Edition3, 1/3, Sammlung Schweizerische Mobiliar
Genossenschaft, Bern.
© ProLitteris.
Flüchtiger Horizont
Kunstmuseum Solothurn,
Werkhofstrasse 30. Geöffnet
Dienstag bis Freitag 10:0012:00 h und 14:00-17:00 h,
Samstag und Sonntag 10:0017:00 h. Bis 7. Mai.
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Nakis Panayotidis - Worte
und Wörter
Galerie Henze & Ketterer,
Wichtrach. Geöffnet Dienstag bis Freitag 10:00-12:00
h und 14:00-18:00 h sowie
Samstag 10:00-16:00 h. Bis
24. April 2006.
Kunststoffwechselsystem
Bildgedicht
Lichtdieb
■ «Ein anonymer Gönner hat uns ein
Legat von einigen Zentnern Dynamit versprochen. Sobald wir das Geschenk abholen können, werden wir
damit zu Ihnen nach Bern fahren und
hoffen gerne, dass Sie zu Hause (d.h.
in der Kunsthalle) sein werden, wann
wir die künstlerischen Qualitäten des
Pülverleins erproben.» Dies die Worte
des Präsidenten einer «Vereinigung für
kulturelle Veranstaltungen» an Harald
Szeemann (1933-2005). Anlass war
natürlich «When Attitudes Become
Form», die kongeniale und legendäre
Ausstellung 1969 in der Kunsthalle
Bern. Was so schockierte, war diese
Freiheit der Präsentation, diese Verstörung der Erlebnisroutine, wie man sie
nicht mehr kannte: «Erlebnisintensität
ohne Energieverlust». Die Ausstellung
war nicht mehr nur Kunstvermittlung,
sondern ein immer weiterführender
Versuch, eigene Obsessionen - ein Museum der Obsessionen - zu realisieren.
Hans-Joachim Müller, ehemaliger
Kunstkritiker der «Zeit» und Feuilletonchef der «Basler Zeitung», jetzt freier Autor, präsentiert in 13 Kapiteln den
Menschen und vor allem den Macher,
den Ausstellungsmacher - den freien
Kurator Harald Szeemann. Am Kapitelanfang steht jeweils eine Chronik,
deren Highlight im nachfolgenden Text
analysiert wird. So durchschreitet Müller die Lebens- und Schaffenswege,
von den Attitüden zur «documenta 5»,
den «Jungesellenmaschinen», der Zeit
am Kunsthaus Zürich, der visionären
Schweiz und den Biennalen in Venedig
bis hin zum visionären Belgien.
Ein schmaler Band (gerade mal
168 Seiten sind es) ist im Hatje Cantz
Verlag (Schweizer Lizenzausgabe bei
Benteli) erschienen. Hier schreibt ein
Insider, ohne sich aber in die Falle des
zu detailverliebten Insiderwissens und
Anekdotischen zu begeben. Zwar ist es
eine Biografie, aber wie der Buchtitel
bereits verrät, geht es um Szeemanns
Arbeit im Dienste der Künstler. Ein
schön und reich bebilderter Band, der
einen kenntnisreichen Überblick zu
Harald Szeemann liefert. (di)
■ Wie Worte, oder besser Buchstaben eines Gedichtes, eines guten Gedichtes, schmiegen sich die einfachen
Schwarzweissfotografien in «East
Broadway Breakdown» von Christopher Wool aneinander. Einfache Fotografien, weil sie unprätentiös und
ungekünstelt, ungestellt und wahr,
aber immer vollkommen subjektiv
daherkommen - einfach also keinesfalls negativ gemeint. Es entsteht ein
Rhythmus, ein Fluss der Bilder, Symmetrien und Gleichklänge. Ein Motiv
kehrt wieder, eine Komposition zeigt
sich erneut.
Vielleicht ist es gar nicht so weit
hergeholt, Wools Fotografien mit Worten und Sätzen und Gedichten in Verbindung zu setzen, denn schliesslich
malt Wool (geboren 1955) seit geraumer Zeit grossformatige Schriftbilder.
Übrigens auch in schwarzweiss. Damit
versuchte er bereits in den 1980er Jahren das Kompositorische aus der Malerei zu verbanden, vielleicht sogar das
Kunstschaffen zu dekonstruieren.
Als Fotograf ist Wool wenig bekannt. Zwischen 1994 und 1995 machte Wool in der Lower East Side von
New York hunderte von Fotografien
mit einer Kleinbildkamera. Und dies
nachts. Im Winter 2001/02 nahm Wool
die Fotografien noch einmal zur Hand,
schuf eine Bilddatenbank und druckte
davon drei Exemplare auf Fotopapier
aus. Die Graphische Sammlung der
ETH erwarb 2004 ein Exemplar dieser
Edition, die noch bis Anfang April in
einer kleinen Ausstellung zu sehen ist.
Die Kamera scheint zu torkeln,
scheint durch die Strassen zu rasen und
doch alles festzuhalten: Strassen, heruntergekommene
Häuserfronten,
Hauseingänge und Treppen, der
Mensch bleibt im Hintergrund, dafür
aber Müll und eingezäunte Natur. Das
Bild wird unscharf, wird aus der Horizontalen geworfen. Also auch hier
Dekonstruktion und fehlende Komposition.
So nüchtern wie die Fotografien von
Wool, so nüchtern haben er und Hans
Werner Holzwarth auch die Publikation gestaltet. Bis auf den Titel und das
Impressum gibt es rein gar nichts zu
lesen, nicht einmal Seitenzahlen. So
wird daraus ein assoziatives Bildgedicht ohne jede Störung. (di)
■ «Prometeo ladro anche io» heisst
eine Installation von Nakis Panayotidis, die er im letzten Jahr mit einer
ganzen Serie ähnlicher Werke in Thessaloniki zeigte. Aus diesem Anlass
und einer Ausstellung in der Galerie
Henze & Ketterer erschien nun bei
Benteli ein umfangreicher Katalog.
Besagte Installation besteht aus
einer mit Bleifolie bespannten Fläche, aus der eine Faust mit einer roten
Leuchtstoffröhre herausragt. Das rote
Licht verweist auf den Mythos von
Prometheus, der sich den Göttern widersetzt, ihnen das Feuer raubt und es
den Menschen bringt. Er bringt den
Menschen Erleuchtung - und Kultur!
Das Motiv des Lichts ist erst einmal in
Form von Leuchtstoffröhren in seinem
Werk zu finden. Verbunden mit dieser
rebellischen und Wände durchbrechenden Faust erhalten die Arbeiten
etwas Kämpferisches. Teils sind die
Leuchtstoffröhren mit Wörtern und
Sätzen beschriftet.
Interessanter sind Panayotidisʻ malerisch-fotografische Objekte. Wie
man merkt, sie sind nicht ganz einfach zu etikettieren. Einerseits sind es
Fotografien von oftmals verlassenen
und heruntergekommenen Gebäuden.
Auch hier eignet sich der Künstler etwas an - raubt. Panayotidis erwähnt zu
seinen Arbeiten: «Ich kam und raubte,
um zu kreieren.» Zeit interessiert ihn
an der Fotografie, die vergangene Zeit
und die damit verbundenen Geschichten. Die Fotografien werden übermalt
und mit verschiedenen Materialien
wie Wachsblöcken, Steinen, Holz oder
wieder Leuchtstoffröhren verbunden,
Stoffen, die an seine Herkunft aus der
Arte Povera erinnern.
Das von Bruno Corà herausgegebene Buch zeigt Werke aus allen Schaffensphasen des Künstlers seit Mitte der
1980er Jahre. Etwas befremdlich wirkt
die Entscheidung, Texte in Griechisch,
Französisch, Italienisch und Deutsch
teils mit Übersetzungen aufzunehmen.
Vieles ist damit für viele schlicht und
einfach überflüssig, gleichzeitig aber
ist es ein Zeugnis der Stationen im
Leben des Künstlers: 1947 in Athen
geboren, Architekturstudium in Turin
und schliesslich seine Wahlheimat
Bern, wo ihm bereits 1994 das Kunstmuseum eine Ausstellung widmete.
(di)
Hans-Joachim Müller, Harald Szeemann - Ausstellungsmacher, Hatje
Cantz/Benteli, 168 Seiten, 2006,
Fr. 42.00.
Christopher Wool, East Broadway
Breakdown, Holzwarth Publications,
328 Seiten, 2003, Fr. 78.00.
Nakis Panayotidis - Ladro di Luce,
Benteli, 240 Seiten, 2005, Fr. 58.00.
GALERIEN IN BERN
Altes Schlachthaus
Metzgergasse 15, Burgdorf // Tel 034 422 97 86
annex14 - Galerie für zeitgenössische Kunst
Junkerngasse 14, 3011 Bern // Tel 031 311 97 04
Mi-Fr 13:00-18:30 h / Sa 11:00-16:00 h
Pamela Rosenkranz, Jean-Claude FreymondGut
On Paper
4.3. - 8.4.06
Michal Budny
22.4. - 27.5.06
Art-House
Mittlere Strasse 3A, 3600 Thun //
Tel 033 222 93 74
Mi-Fr 14:00-17:30 h / Sa 11:00-16:00 h
Roset
Gemälde «Poetische Physik
Ausstellung: 4.3. - 1.4.06
Franziska Ewald: Malerei
Martina Lauinger: Eisenplastiken
Vernissage: Fr 7.4.06
Ausstellung: 8.4. - 6.5.06
Art + Vision
Junkerngasse 34, 3011 Bern // Tel 031 311 31 91
Di-Fr 14:00-19:00 h / Do 14:00-21:00 h /
Sa 11:00-16:00 h
Beat Brechbühl
Atelier Bodoni, Neue Einblattdrucke,
Poesie zu Sehen
14.1. - 4.2.06
Bärtschihus Gümligen
Dorfstrasse 14, 3073 Gümligen
ESPACE Indigo
Stauffacher Buchhandlung, 3011 Bern
Tel 0844 88 00 40
Ladenöffnungszeiten
novelline
26.4. - 29.5.06
Über novelline
Novelline ist Kunstfigur und Künstlerinnenname
in einem. Zur selben Zeit handelt es sich immer
um ein und dieselbe Figur, was die Bilder zu Spiegelbilder oder Identifikationsfiguren der Künstlerin macht und so das Gesamtwerk zu einem fortdauernden Tagebuch werden lässt. Die Künstlerin
versucht die Essenz der Weiblichkeit auf Papier
festzuhalten, was zu einem unendlichen Prozess
geworden ist. Es entstehen bissige Dornröschen,
Blut weinende Madonnen und morbide Schönheiten. Das Symbol von Novelline ist ein Einhorn,
das für Individualität und Einzigartigkeit steht,
aber auch für etwas Unreales, das nur in Legenden und Märchen vorkommt - ein bisschen verloren in einer rationalen Welt.
bk Galerie Bernhard Bischoff & Partner
Speichergasse 8, 3011 Bern // Tel 031 312 06 66
Mi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h oder nach
Absprache
Zeitzeichen
Rudolf Blättler, Kotscha Reist
24.3.-13.5.06 - Eröffnung 24.3.06, 17:00-23:00 h
Galerie 25
2577 Siselen // Tel: 032 396 20 71
Fr-So 14:00-19:00 h oder nach telefonischer
Vereinbarung
Neueröffnung im August 2006
Galerie 67
Belpstrasse 67, 3007 Bern // Tel 031 371 95 71
Mo 13:30-18:30 h, Di-Fr 9:00-12:00 h & 13:3018:30 h & Sa 9:00-12:00 h
Kunst aus Brasilien
Verschiedene Künstler
Austellung März bis April
Huber.Huber
Eine Versuchsanordnung
Vernissage: Fr, 7.4.06, 18:00 h
8.4. - 6.5.06
Galerie Tom Blaess
Uferweg 10, 3018 Bern // Tel 079 222 46 61
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Arbeiten des Druckateliers
Galerie Beatrice Brunner
Nydeggstalden 26, 3011 Bern //
Tel. 031 312 40 12
Mi / Do / Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h
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«fluids»
10.3 - 8.4.06
Galerie Henze & Ketterer
Kirchstrasse 26, 3114 Wichtrach //
Tel 031 781 06 01
Di-Fr 10:00-12:00 h & 14:00-18:00 h / Sa 10:0016:00 h
Nakis Panayotidis – «Wörter und Worte»
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Auf den Seiten «Galerien in Bern» werden seit
November 2005 nur noch Galerien publiziert,
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37
artensuite
38
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Kunstreich
Gerechtigkeitsgasse 76, 3011 Bern //
Tel 031 311 48 49
Mo-Fr 09:00-18:30 h / Do 09:00-20:00 h / Sa
09:00-16:00 h
Dimitri
Clown Fantasy
bis zum 15.4.06
Shang Hutter
Figuren und Zeichnungen
27.4. - 3.6.06
Galerie Ramseyer & Kaelin
Junkerngasse 1, 3011 Bern // Tel 031 311 41 72
Mi-Fr 16:00-19:00 h / Sa 13:00-16:00 h
Barbara Bandi, Esther Quarroz
Finissage: Sa 1.4.06, 13:00-16:00 h
Heinz Inderbitzi, Malgorzata Kulczyk
11.4. - 29.4.06
Lukas Salzmann
«Second Nature»
Buchvernissage am 28.4.06, 18:45 h. Es spricht
Ulrich Gerster
Nur 28. & 29.4.06
Galerie Martin Krebs
Münstergasse 43, 3011 Bern // Tel 031 311 73 70
Di-Fr: 14:30-18:30 h / Sa 10:00-14:00 h
Stefan Haenni
Vom Niesen zu den Pyramiden
Dauer der Ausstellung: bis Samstag, 1.4.
Jean-François Luthy
«Augenblicke»
Vernissage: Sa 8.4.06, 11:30-15:30 h
Dauer der Ausstellung: bis Sa 13.5.06
Galerie Kornfeld
Laupenstrasse 41, 3001 Bern //
Tel 031 381 46 73
www.kornfeld.ch
Mo-Fr 14:00-17:00 h / Sa 10:00-12:00 h
Sam Francis
Graphik der Jahre 1960 bis 1990
8.3. - 13.4.06
Marianne Vögeli / Walter Vögeli / Raoul Ris
Besichtigung auf Anfrage
Galerie Rigassi
Münstergasse 62, 3011 Bern // Tel 031 311 69 64
Di-Fr 11:30-13:30 h & 15:30-19:00 h, Sa 11:0016:00 h
Martin Disler
5.4. - 24.5.06
Galerie Silvia Steiner
Seevorstadt 57, 2502 Biel / 032 323 46 56
Mi-Fr 14:00-18:00 h & Sa 14:00-17:00 h
Blumen / Fleurs / Fiori
Sibylle Heusser, Beatrix Sitter-Liver
Vernissage: 22.4., 17:00-19:00h
22.4. - 20.5.06
Kornhausforum
Forum für Medien und Gestaltung
Kornhausplatz 18, 3011 Bern //
Tel 031 312 91 10
Di-Fr 10:00-19:00 h, Do bis 20:00 h & Sa/So
10:00-17:00 h
Un autre monde
15 FotografInnen zeigen zeitgenössische Fotografie des afrikanischen Kontinents
3.3. - 9.4.06
CoverArtCulture 2
Vernissage: Do 6.4. 06, 21:00 h
5.4. - 29.4.06
Künstlerhaus
Postgasse 20, 3011 Bern // Tel: 031 311 53 76
Austellung Bilder & Objekte
Kunstraum Oktogon
Aarstrasse 96, 3005 Bern
Fr 16:00-19:00 h / Sa 11:00-15:00 h
Cécile Wick
1.4. - 6.5.06
KunstQuelle
Galerie Brunngasse 14, Bern //
Tel 076 331 97 75
Do 14:30-18:00 h, oder nach
telefonischer Vereinbarung.
«Déjà vu?»
Bilder von Walter Fuchs und Lilian Rappo
ab 1.2.06, bis auf weiteres.
ONO Bühne Galerie Bar
Gerechtigkeitsgasse 31, 3011 Bern //
Tel 031 312 73 10
Fr & Sa 13:00-17:00 h - Nachtgalerie: Mi-Sa ab
22:00 h
C. W. Marsens
Photoausstellung
Ausstellungsdauer: 4. - 30.5.06
PROGR Zentrum für Kulturproduktion
Speichergasse 4, Bern
Leerraum [ ] Soundinstallation
Strotter Inst. (CH) / fm3 (CN/USA)
Ort: Ausstellungszone, Treppenhaus (Eingang
Turnhalle)
2.3. - 2.4.06 Mi-So 14:00-17:00 h
Leerraum [ ] Soundinstallation
Kenneth Kirschner (USA)
6. - 30.4. Mi-So 14:00-17:00 h
Ort: Leerraum, 1.OG & Treppenhaus Eingang
Turnhalle
«Reisen Zur Kunst»
11.4. 19:00 h Eröffnung Ausstellung
Ort: Ausstellungszone, Videokunst.ch, 1.OG
Mit Pierre Vadi, Samuel Herzog & Judith Albert
Dauer der Ausstellung im PROGR: 12.4. - 28.5.
videokunst.ch
«Reisen Zur Kunst»
Arbeiten von Mauricio Dias & Walter Riedweg,
Monica Studer & Christoph van den Berg und
Alex Hanimann
12.4. - 18.6. (!)
Mi-So 14:00 h -17:00 h
«come together»
ab 11.4 bis auf weiteres
San Keller & Su Yung Park
Ort: Ausstellungszone
RAUM
Militärstrasse 60, Bern
Mo-Fr 16:00-19:00 h / Sa 12-16:00 h
Andrea Dora Wolfsämpf
Die Hand im Arm der Farbe
Malerei
Ausstellung: 3.3. - 7.4.06
Minsk in translation
Die Lyrikerin Lavinia Greenlaw aus London und
ihr Übersetzer Raphael Urweider lesen aus ihrem
neuen Werk MINSK
28.4.06, 20:00 h
Schloss Hünigen
3510 Konolfingen
Täglich von 8:00-21:00 h
Janeric Johansson
Installation
Permanente Bilder-Ausstellung im Neubau
SLM Kunstausstellung
Dorfplatz 5, 3110 Münsingen // Tel 031 724 11 11
Mo-Do 8:00-12:00 h & 13:30-17:00h / Fr 8:0012:00 h & 13:30-18:00 h
Die zweite Austellung ist für die Monate Juni /
Juli 2006 geplant.
Stadtgalerie
Hodlerstr. 22 + 24A 3011 Bern //
Tel 031 311 43 35
Mi-So 14:00-17:00 h
Yanick Fournier «Kriegsspiel» (Pop2/643)
Eröffnung: Fr 31.3. 18:30 h
Yanick Fournier, zeigt in seiner ersten Einzelaus-stellung in der Schweiz eine Installation,
die auf dem Computerspiel «Prince of Persia»
basiert und den STAGE-Pavillon in einen Raum
zwischen virtuellem Spielfeld und realer Gefahrenzone verwandelt.
1.4. - 7.5.06
Wartsaal 3
Helvetiaplatz 3 Bern // Tel 031 351 33 21
täglich von 10:00-12:30 h & 15:00-19:00 h
Regina Glatz
Acryl Bilder
21.4. - 23.4.06
Ann Chen
Mittagskonzert
26.4.06
Temporäre
Ausstellungsräume
Kunstrevue «TROU»
Rue de Fer 8, 2800 Delémont
48 Originalgraphiken von Van Bram Velde,
Meret Oppenheim, Oscar Wiggli, Gottfried
Tritten, Mario Botta.
Die Kunstrevue TROU (Redaktion und Druck
im Berner Jura, Moutier und Crémines) stellt
zum ersten Mal alle 48 Originalgraphiken die
seit 1979 mit der Vorzugsausgabe erschienen
sind in den Ausstellungsräumen der Stiftung
Anne und Robert aus. Es sind Künstler wie Van
Bram Velde, Meret Oppenheim, Oscar Wiggli,
Gottfried Tritten, Mario Botta, etc. vertreten.
10.3. - 23.4.06
Dominik Imhof
Augenspiel
■ Juri Steiner wird ab Anfang 2007 Leiter des
Zentrums Paul Klee. Er wird das sicher nicht
ganz einfache Erbe von Andreas Marti übernehmen, wird dafür sorgen müssen, dass das
ZPK weiterhin in aller Munde bleibt und nach
seinem Startbonus nicht in Vergessenheit gerät.
Wie schwierig das ist, sieht man bei den zahlreichen anderen monografischen Museen im internationalen Raum. Das Mono machtʻs schwierig,
stets bleibt man gebunden an den einen oder die
eine (ja es gibt ein paar wenige monografische
Museen für Künstlerinnen, z. B. Käthe Kollwitz und äh...). Ein Plus des ZPK ist sicher der
Drang zu grossen Namen, nach denen das Publikum immer noch strebt und zu denen Klee
sicher zählt, aber auch seine wirklich umfangreiche und auch abwechslungsreiche Sammlung
(ca. 4000 Klees), so dass immer wieder mal
was Neues gezeigt werden kann, ob das reicht.
Um zurück zu Steiner zu kommen: Für die Entscheidung waren für den Stiftungsrat Steiners
Ideen zur Umsetzung des Zentrumsgedankens
massgebend, die Verbindung von Kindermuseum, Konzerten und bildnerischen Künsten. Man
darf gespannt sein, wie Steiner die drei Sparten
verbindet und am Leben erhält. Ob sich die Strategie in Sachen Wechselausstellung bewährt,
muss sich ebenfalls erst bewähren, im Moment
mit der ersten tatsächlichen Wechselausstellung
mit Werken von Max Beckmann. Wenn sich das
ZPK hier einen Namen machen kann, trägt dies
sicher einiges zu seinem weiteren und anhaltenden Erfolg bei und man kann so auch NichtKlee-Liebhaber anlocken.
Und noch zu etwas ganz anderem: Seit kurzer Zeit ist nun das Schweizerische Institut für
Kunstwissenschaft mit seiner Website www.
sikart.ch und einem umfassenden Lexikon zur
Schweizer Kunst online. So erhält jeder vom gemütlichen Heim aus Zugang zu den Daten des
SIK und dies noch umsonst.
Und noch dies: Am 18. März sind im Photoforum PasquArt in Biel die Fotopreise des
Kantons Bern 2006 verliehen worden. Zu den
Gewinnern zählen Irina Polin, Christian Helmle, mit Anerkennungspreisen wurden Franziska
Frutiger, Chantal Michel und Jon Naiman geehrt. Werke der Preisträger und weiterer Künstler sind noch bis zum 16. April im Photoforum
zu sehen. Sehenswert.
artensuite
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L E T Z T E
L U S T S E I T E
Hinweis: Die Texte auf der letzten Lustseite sind nicht
ganz jugendfrei. Wir bitten die LeserInnen unter 18 Jahren, diese Texte aufzubewahren und erst bei bei voller
Reife zu lesen.
■ viel zeit, um aus dem fenster zu schauen. rechterhand der schnell-imbiss; kein personenverkehr, ab und
zu hält ein auto. männer steigen aus und kurz darauf
wieder ein. sehr wahrscheinlich ein leerer raum, ein imbiss, der die stufen ‚verlassen’, ‚einsam’ und ‚tot’ duchlaufen hat. linkerhand ein wohngebäude. helle fenster,
balkone, nur durch die milchglasscheiben der mittleren
fensterreihe dringt kein blick. als beobachter ahnt man
frisch geduschte körper in badezimmern. frauen und
männer, die auf der waage oder vor dem spiegel stehen. hände auf haut, die körpermilch verteilen. manchmal öffnet sich eines dieser fenster und nackte haut
wird sichtbar. details sind jedoch auf diese distanz nicht
auszumachen, alters- und geschlechtslose menschen
treten auf und ab. weder augenfarbe noch körperbau
noch hände erzählen etwas mehr. unten dann der garten mit ein paar vorwitzigen pflänzchen. unbewohnt,
leer, die nachbarkinder haben das wühlen im boden,
schreien, katzen-verkleiden, das rumfahren auf holzrädern noch nicht aufgenommen. die alleinerziehende mit
ihren freundinnen ist auch noch nicht aufgetaucht, die
geräuschkulisse netten lachens und schwatzen fehlt. die
tramhaltestelle schräg gegenüber ist leer. niemand wartet und niemand steigt aus. vielleicht ist ein krieg ausgebrochen und der, der aus dem fenster schaut, weiss
es noch nicht. beobachten nötigt das denken zu geduld
und konzentration. schweift der geist ab, produziert
er geschichten, erinnerungen und eigene bilder. andere, frühere fensterblicke tauchen auf. diese erinnerten
fensterblicke sind begleitet von tom waits und dem eindruck eines nächtlichen dauerregens. man stand damals
in einem anderen zuhause, schaute aus einem anderen
fenster und hörte traurige musik, die einem nichts anhaben konnte. man wartete und die zeit verging ganz
gut dabei. jetzt ist die damals im überschuss vorhandene zeit geschrumpft und das warten scheint eine ungute lösung. man sollte auf ein lohnendes, auf ein bestimmtes ‚etwas’ warten. weich, warm, golden und ein
bisschen fordernd könnte es sein. aber die zeiteinheiten
fliessen unstrukturiert weiter, katzen streifen durch den
garten und nestbauende vögel klagen sie an. später am
tag streiten sich an der tramhaltestelle ein mann und
eine frau. man müsste das fenster öffnen, um zu hören,
worum es geht, aber dazu reicht die neugier nicht. der
mann steigt erst beim dritten tram ein und die frau läuft
weg. ob es regnet, dass sie die schultern so hochzieht
und die hände in den taschen vergräbt? natürlich könnte
der beobachter auch aufs bett liegen und an die weisse
decke schauen. oder irgendeine andere überbrückungshandlung beginnen – lesen, essen, tv. aber das ist alles
mit bewegung verbunden und mit verrichtungen, die in
einer bestimmten reihenfolge getätigt werden müssen.
bei einem dasein im standby-modus am fenster scheint
das unmöglich. die kontrolle der technischen geräte ist
das maximum an interesse und bewegung: sms/negativ,
anrufe in abwesenheit/negativ, anrufbeantworter/negativ. der beobachter legt sich jetzt doch ins bett; er liest
die ewig gleichen erotischen stellen in den büchern auf
seinem nachttisch und masturbiert dazu. nachher steht
er auf, wäscht sich im badezimmer und lässt sich durch
die milchglasscheibe beobachten. dann, sich fast schon
lebendig und als teil des sozialen lebens fühlend, legt er
sich wieder hin und schläft ein. (vonfrau)
impressum
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