Wechselwirkung zwischen Trocknungsprozessen
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Wechselwirkung zwischen Trocknungsprozessen
Wechselwirkung zwischen Trocknungsprozessen und Oberflächeneigenschaften von flexiblen und starrflexiblen Substraten Andreas Schilpp, Würth Elektronik GmbH&Co.KG, Niedernhall 1. Warum Trocknen von Leiterplatten? 1.1 Trocknen und Tempern Unter „Trocknen“ verstehen wir im Folgenden das Entfernen von Feuchte, während „Tempern“ für das „Erwärmen des Materials mit erhöhten Temperaturen“ steht, „ein Verfahren, um die Stoffeigenschaften von Festkörpern zu verändern. In der Leiterplattentechnik wird das Tempern … zum Abbau von inneren Spannungen, die sich in Verwölbungen und Verwindungen zeigen, eingesetzt“ [1]. Dazu müssen Temperaturen oberhalb des Glasübergangspunktes Tg gewählt werden, während Trocknungsprozesse in der Regel bei niedrigeren Temperaturen stattfinden. 1.2 Der Lötprozess Feuchtigkeit in Materialien führt insbesondere bei hohen Temperaturen zu unerwünschten Fehlern wie Fehlstellen, Delamination oder Rissen. Dabei entspricht die Vorstellung vom Dampfkochtopf, also hohe Wasserdampfdrücke bei hohen Temperaturen [2] wie z.B. beim Löten, nicht der Realität. Eine Wasseransammlung mit Phasengrenze flüssig/gasförmig bzw. Änderung des Aggregatszustandes flüssig nach gasförmig liegt ja nur dann vor, wenn es tatsächlich Hohlräume gibt, in denen sich die Feuchtigkeit sammeln konnte. Ansonsten verteilt sich die Feuchtigkeit in Form von Wassermolekülen im Polymer-Festkörper mit Anreicherungen an den Grenzschichten. Grafik 1: Feuchteprozesse bei der Leiterplatte [3] Mai 2009 Andreas Schilpp Seite 1 von 10 Feuchtigkeit kann jedoch laut [4] Ursache von Fehlstellenbildung durch Ausgasung oder von Degradation von Kunststoffen sein: Sie kann bei Polyimid durch Hydrolyse an der Oberfläche zu einer Verschlechterung von Bindungen führen. An Grenzflächen wie z.B. Kleberschichten können die Haftungskräfte reduziert werden, was dann auch Ursache für Delamination bei thermischer Belastung sein kann. Je höher der Temperaturstress beim Lötprozess ist, desto höher ist auch das Risiko von Fehlern. Durch das Bleiverbot und den Wechsel zu bleifreien Lötprozessen mit höheren Löttemperaturen hat sich die Notwendigkeit von Trocknungsprozessen selbst bei „normalen“ Multilayer aus FR4 merklich erhöht. Umso mehr gilt das für feuchteempflindlichere bzw. hygroskopischere Materialien, die also mehr Feuchtigkeit als Standard-FR4 aufnehmen. Beispiele dafür sind Aramidfasern, hoch Tg-FR4 oder insbesondere Polyimid, wie es in flexiblen und starrflexiblen Leiterplatten eingesetzt wird. Bei letzterem ist eine trockene Leiterplatte vor dem Löten zwingend erforderlich, was in der Regel durch einen Trockenprozess unmittelbar vor dem Bestücken erfolgt. Auch geringe Unterschiede im Lötprofil können im Grenzfall über Erfolg oder Schädigung des Substrats entscheiden. 2. Feuchteaufnahme Die Menge der aufgenommenen Feuchte hängt von vielen Faktoren ab: Grafik 2: Ishikawa-Diagramm „Feuchtegehalt“ Neben den Materialeigenschaften und den Lagerbedingungen kann über das Design die Feuchteaufnahme und auch die Trocknungsmöglichkeiten beeinflusst werden. Doch dazu später mehr. Zuerst wollen wir uns den Prozess der Feuchteaufnahme und Feuchteabgabe anschauen. Wie in Grafik 1 zu erkennen ist, handelt es sich um einen Gleichgewichtsprozess aus Adsorption und Desorption an der Oberfläche, der zeitabhängig und stark von den Mai 2009 Andreas Schilpp Seite 2 von 10 Umgebungsbedingungen Temperatur und relativer Feuchte abhängig ist. Kupfer wirkt als Diffusionssperre. Kupferflächen verzögern damit die Feuchteaufnahme, jedoch auch die Feuchteabgabe und damit die Trocknung. In welchen Zeiträumen die Feuchtigkeitsaufnahme in Leiterplatten von statten geht, zeigt nachfolgendes Diagramm: Diagramm 1: Feuchteaufnahme FR4 Multilayer Nach der Herstellung der Leiterplatte ist diese nicht trocken, wie oft fälschlicherweise angenommen wird. Aus der Produktionsumgebung hat diese Leiterplatte im Beispiel oben knapp 0,2 Gewichtsprozente Feuchte aufgenommen. Gemessen wird der Feuchtegehalt durch lange Trocknung und Präzisionswiegen vor und nach dem Trocknen. Setzt man diese trockene Leiterplatte einer feuchten Umgebung aus, so stellt sich wieder ein Feuchtegleichgewicht ein. Dieser Prozess dauert viele Wochen, bis eine Sättigung eingetreten ist. In Bezug auf die Feuchte ist es also unter Umständen ein großer Unterschied, ob die Leiterplatten direkt nach der Anlieferung verarbeitet werden oder nach einem halben Jahr. Je nach Lagerbedingungen kann die Leiterplatte ggf. wesentlich feuchter sein oder auch trockener, wenn sie z.B. in einem Trockenschrank gelagert werden. Verpackung von Leiterplatten: Die Standardverpackung von Leiterplatten (PE Schrumpffolie) ist nicht feuchtedicht, sondern stellt für Feuchte ähnlich wie Lötstopplack keine Barriere dar. Spezialverpackungen mit Alubeschichtung und definiertem MVTR-Wert (Moisture Vapour Transmission Rate) sind prinzipiell möglich, jedoch sehr aufwändig und teuer [9]. Nach dem Öffnen dieser Verpackungen und bei prozessbedingten Wartezeiten muss die Trockenheit der Leiterplatte wieder durch geeignete Maßnahmen sichergestellt werden. Mai 2009 Andreas Schilpp Seite 3 von 10 3. Wie trocknet man richtig? Trocknen ist die Umkehrung der Feuchteaufnahme. Dazu muss die Feuchte im Material an die Oberfläche diffundieren, danach von der Oberfläche desorbieren können. Da die Diffussionsrate temperaturabhängig ist, werden die Leiterplatten in der Regel erwärmt. Trocknungsparameter von Leiterplattenherstellern können nur als Anhaltswerte oder grobe Empfehlung verstanden werden, denn sowohl die Designeinflüsse als auch die spezifischen Umgebungs-, Trocken- und Lötbedingungen mit der dazu gehörigen Logistik spielen eine große Rolle. Layoutspezifische Trocknungsparameter lassen sich durch die Ermittlung von Trocknungskurven festlegen. 3.1 Equipment Unabhängig vom Trocknungsprozess ist auf Sauberkeit großen Wert zu legen, denn Verschmutzungen wie z.B. Kondensatablagerungen im Einbrennofen können sich auf der Leiterplattenoberfläche niederschlagen und verschlechtern die Lötbarkeit der Oberflächen unnötig, aber merklich. 3.1.1 Umluft-Trockenschrank Der Umluft-Trockenschrank hat eine gute Wärmeübertragung durch erzwungene Konvektion auf das Trockengut. Durch die schnelle Durchwärmung sind diese Geräte sehr effizient. Mit Frischluftzufuhr und Abluft kann der Feuchtegehalt der Luft niedrig gehalten werden. Bild 1: Beispiel für einen kleinen Umluft-Trockenschrank [6] 3.1.2 Vakuum Trockenschrank Grafik 3: Siedepunktserniedrigung, Platten- und Mantelheizung (v. links nach rechts) [6] Vakuum wirkt erst dann, wenn die Wassermoleküle an der Oberfläche sind. Diesbezüglich sind Diagramme mit niedrigen Siedepunkten von Wasser bei Druckverringerung irreführend, weil es diesen „Wassertopf“ ja nicht gibt. Schwieriger ist Mai 2009 Andreas Schilpp Seite 4 von 10 im Vakuum die Erwärmung des Trockenguts: Mantel- oder Plattenheizungen sind üblich, es ist auch ein Prozess mit abwechselnder Heizphase und Vakuumphase möglich. Nachteilig ist die aufwändige Vakuumtechnik, ein Vorteil ist die Vermeidung von Oxidation im Vakuum. 3.1.3 Trockenlagerschrank Trockenlagerschränke entfeuchten die Luft im Schrank durch Trockenmittel. Über die Steuerung lassen sich verschiedene Feuchtigkeitsstufen, z.B. 10 / 5 / 2% r.F. einstellen. Durch automatische Regeneration des Trockenmittels ist ein kontinuierlicher Betrieb möglich. Vorteilhaft sind die geringen Betriebskosten und die fehlende Temperaturbelastung. So können Leiterplatten auch in Originalverpackung im Trockenschrank gelagert werden. Die Trocknungseffizienz wird von einem Hersteller bei FR4 folgendermaßen beschrieben [7]: Bild 2: Beispiel Trockenlagerschrank [7] Diagramm 2: Trocknung von FR4 1,4mm dick im Trockenlagerschrank [7] Ein direkter Vergleich mit Vakuum- und Umluft-Trockenschrank läuft im Moment, das Ergebnis wird in Kürze verfügbar sein. 3.2 Temperatur Nachfolgendes Diagramm zeigt die normierte Darstellung identischer Leiterplatten bei unterschiedlichen Temperaturen: Mai 2009 Andreas Schilpp von Trockenkurven Seite 5 von 10 Diagramm 3: Einfluss der Trocknungstemperaturen zwischen 80°C und 150°C Der Unterschied zwischen 80°C und 125°C ist gravierend. Eine weitere Temperaturerhöhung auf 150°C bringt praktisch kaum Verbesserung, erhöht jedoch die Temperaturbelastung. Untersuchungen haben jedoch auch gezeigt, dass bei Epoxy eine gewisse Menge an Feuchtigkeit nur oberhalb des Tg des Basismaterials ausgetrieben werden kann. [8] 3.3 Zeit Übliche Trockenzeiten liegen zwischen 2 Stunden und 8 Stunden und sind stark vom Design der Leiterplatte abhängig, siehe auch 3.5ff. Durch die Ermittlung von Trocknungskurven können die erforderlichen Trocknungszeiten festgelegt werden. Maßgeblich werden diese Zeiten durch die Zeit bestimmt, die die Feuchtemoleküle zur Diffusion bis zur Oberfläche benötigen. 3.4 Anordnung Neben der Trockentemperatur und –dauer ist die Anordnung der Trockenware, also hier der Leiterplatten, ein wesentlicher Parameter für die Trocknungseffizienz. Werden Platten im Stapel getrocknet, dauert es länger, bis die innen liegenden auf Trockentemperatur sind. Dadurch nimmt der Trocknungsgrad ab, je tiefer im Stapel die Leiterplatte liegt. Die Streuung der Qualität im Lötergebnis kann entsprechend von „in Ordnung“ bis „großflächig delaminiert“ groß sein. Werden Platten dagegen einzeln im Schlitzbrett stehend getrocknet, so kann zum Einen jede Platte schnell erwärmt werden und zum Andern die Desorption optimal erfolgen: die Trocknung ist effiziente:. Mai 2009 Andreas Schilpp Seite 6 von 10 Diagramm 4: Trocknungskurven bei 5er / 11er Stapel bzw. einzeln im Schlitzbrett [5] Diagramm 5: Trocknungsgrad bei 5er / 11er Stapel bzw. im Schlitzbrett [5] 3.5 Design 3.5.1 Dicke Mit zunehmender Dicke nehmen die Diffusionslängen zu, es dauert also länger, bis die Feuchtigkeit an die Oberfläche kommt und desorbieren kann. 3.5.2 Kupferverteilung Mai 2009 Andreas Schilpp Seite 7 von 10 Kupfer lässt keine Feuchte durch, ist also eine Feuchtebarriere. Kupferflächen behindern also die Diffusion der Wassermoleküle bei der Feuchteaufnahme, jedoch auch beim Trocknen. Während in der Regel für die Feuchteaufnahme viel Zeit zur Verfügung steht, soll die Trocknung schnell gehen. Deshalb ist es sehr ratsam, Kupferflächen zu rastern bzw. mit Öffnungen zu versehen, damit die Feuchte auf kurzem Weg zu Oberfläche diffundieren kann und nicht beispielsweise bei Power-/Groundlagen den langen Weg über die Kante nehmen muss. 3.5.3 Klebersystem Acryl / Epoxy Acrylkleber hat eine höhere Feuchteaufnahme (bis 4%) als Epoxy NoFlow-Pregreg. Acrylbasierte Starrflex-Leiterplatten müssen in der Regel etwas länger getrocknet werden. Ebenso können Deckfolien und das flexible Basismaterial Acrylkleber enthalten. Alternativen bieten kleberfreie Basismaterialien und Epoxykleber / Epoxy NoFlowPrepreg. 3.5.4 Anzahl Flexlagen Je mehr flexible Lagen und damit auch Kleberschichten und Deckfolien in einem Multilayeraufbau vorhanden sind, desto höher ist die relative Feuchteaufnahme. Der Anteil hygroskopischen Materials ist entscheidend für die Menge der Feuchtigkeit und damit für das Schädigungsrisiko bei fehlender oder fehlerhafter Trocknung. 3.5.5 Flex innenliegend / außenliegend Bei innen liegenden Flexlagen ist die Diffussionsstrecke im starren Bereich bis zur Oberfläche länger als bei einer außen liegenden Polyimidlage. Folglich trocknen starrflexible Leiterplatten mit außen liegender Flexlage schneller. Grafik 4: Starrflex Aufbaukonzepte, Flex innen liegend (links) und Flex außen liegend 4. Welche Auswirkungen hat das Trocknen auf die Lötbarkeit? Grundsätzlich stellt jede Temperaturbelastung nach dem Aufbringen der Lötoberfläche eine beschleunigte Alterung dar. Die Auswirkungen zeigen sich in einer Reduzierung der spezifizierten Lagerzeiten durch Verschlechterung der Lötbarkeit. Die Lötbarkeit kann durch Benetzungstests und Ausbreitungstests im Versuch ermittelt werden. Mai 2009 Andreas Schilpp Seite 8 von 10 Diagramm 6: Benetzungszeiten verschiedener Lötoberflächen [3] 4.1 OSP Organische Schutzschichten sind grundsätzlich bei Temperaturbelastungen nicht zu empfehlen. 4.2 chem. Ni/Au Robuste Allroundoberfläche, kann auch mehrfach getrocknet werden. 4.3 chem. Silber Kann problemlos getrocknet werden und übersteht danach auch mehrfache bleifreie Lötprozesse. 4.4 chem. Zinn Durch die temperaturabhängige Bildung einer Intermetallischen Phase wird die zum Löten benötigte Reinzinnschicht schnell reduziert. Somit kann chemisch Zinn in der üblichen Standardqualität nicht bei Leiterplatten empfohlen werden, die getrocknet werden müssen, insbesondere bei Starrflex-Leiterplatten. Ein Kompromiss bei den Trocknungsparametern zur Rettung der Lötbarkeit birgt das Risiko der Schädigung beim Lötprozess, und zwar abhängig von den jeweiligen Umgebungsbedingungen. So kann der Prozess im trockenen Winter durchaus funktionieren und Ausfälle im Frühjahr zeigen dann an, dass die Luftfeuchte angestiegen ist. 4.5 verbessertes chem. Zinn Versuche mit dem sog. smarttin ® [10] haben ein deutlich verbessertes Verhalten nach Wärmeprozessen gezeigt. Sofern sich diese ersten Ergebnisse bestätigen und gleichzeitig die Verträglichkeit mit allen Materialien wie Lötstopplacken, Flexlacken und Kleberschichten gegeben ist, scheint damit die verbesserte chemische Zinnoberfläche für starrflexible Leiterplatten anwendbar. Mai 2009 Andreas Schilpp Seite 9 von 10 Diagramm 7: Verbessertes Zinn nach 2x Reflow und 2 Wochen Lagerung 4.6 HAL bleifrei HAL bleifrei zeigt überraschend schlechte Werte bei den Benetzungszeiten nach Wärmeprozessen. Dies liegt u.a. daran, dass dünne bleifreie HAL-Schichten die gleiche Problematik zeigen wie chem. Zinn: Die Lötbarkeit durch Bildung einer Intermetallischen Phase wird sehr schlecht. Die enormen Prozesstemperaturen schließen eine Anwendung bei Flex und Starrflex zusätzlich aus. 5. Empfehlungen, Schlussfolgerungen und Ausblick Bei der Prozessplanung für die Verarbeitung von flexiblen und starrflexiblen Leiterplatten und auch anderen feuchteempfindlichen Materialien muss eine adäquate Trocknung berücksichtigt werden, die Auswirkungen auf die Lötbarkeit eingeschlossen. Lötprofile sollten so schonend wie möglich gestaltet werden. Prozessflow und Logistik sind anzupassen. Alternativen im Materialaufbau und Design sollten konsequent genutzt werden, um das Trocknungsverhalten zu optimieren. Bezüglich der Lötoberfläche gibt es ebenfalls Alternativen. Quellenverzeichnis 1. FED-Wiki, http://wiki.fed.de/fed-wiki/index.php/Tempern 2. Reise, Ritz et.al: Flexible und starrflexible Leiterplatten, Leuze Verlag, S. 63 3. Präsentation Dr. Lothar Weitzel, Würth Elektronik 4. Du Pont Electronics, Flexible Printed Circuit Processing Guide, S.59 5. PCB materials behaviour towards humidity and baking impact on wettability, Walter Horaud, Vincent Vallat, Solectron, 2003, S.4 ff. 6. Thermo Fisher Scientific Inc 7. Fa. Totech, „070806 FR4 Trocknungseffizienz.pdf“ 8. Moisture solubility and diffusion in epoxy and epoxy-glass composites, L.L.Marsh et.al., IBM J. RES. DEVELOP, Vol.28, No.6, Nov. 1984 9. IPC 1601 PRINTED BOARD HANDLING AND STORAGE GUIDELINES, Strawman Draft – November 6, 2008 10. http://www.apl-electrolesstin.de/Technologie Mai 2009 Andreas Schilpp Seite 10 von 10