China – eine Saat geht auf
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China – eine Saat geht auf
WOLFGANG BÜHNE China – eine Saat geht auf Exakt zwölf Monate nach unserem ersten Besuch in China saß ich im März dieses Jahres wiederum im Flugzeug Richtung Shanghai. Dieses Mal war ich alleine - die Koffer vollgepackt mit Kommentaren, Bibelkursen, apologetischen, erwecklichen und evangelistischen Büchern vor allem in chinesischer, aber auch in englischer und deutscher Sprache. Was würde passieren, wenn an der Zollkontrolle meine Koffer geöffnet und durchsucht würden? Ab und zu tauchten bange Fragen in mir auf, aber ich wusste mich im „Schatten des Allmächtigen“ und begleitet von den Gebeten vieler Freunde. Leute von der Rezeption waren peinlich berührt, entschuldigten das mit einem Computerfehler und öffneten mir zum gleichen Preis eine „Executive Deluxe Suite“ mit riesigem Wohnzimmer, zwei Bädern und viel Komfort, wo ich mir etwas verloren vorkam und mich fragte, was wohl die Christen daheim denken würden, wenn sie mich in dieser fürstlichen Umgebung sehen könnten. Und tatsächlich ging alles sehr leicht: Im Flughafen Shanghai wurde mein Gepäck nicht einmal zur Kenntnis genommen. Die Abfertigung ging schneller als auf einem Inlandflug in Deutschland und am Ausgang wartete ein freundlicher Empfang in Form von Bruder Siegfried Haase und zwei chinesischen Brüdern. Wenige Stunden später wusste ich jedoch, warum der Herr diesen Zimmertausch geplant hatte: Mittags hatten wir einen Bruder zu Gast, einen Arzt, der unter Studenten arbeitet und kurz entschlossen seine Mitarbeiter anrief und ein Treffen mit uns vereinbarte. Ab 18.30 Uhr kamen in kurzen Abständen paarweise junge Studenten zu uns, die alle engagierte Hauskreisleiter waren. Eine halbe Stunde später saßen 28 Leute in meinem Nobel-Wohnzimmer, die alle Platz hatten und bis 22 Uhr einem Vortrag zuhörten, der von Siegfried ins Englische und von dem Leiter der Studenten-Arbeit ins Chinesische übersetzt wurde. Auch das hatte sich erst in den letzten Monaten ergeben: Siegfried hatte ich schon vor 40 Jahren kennen gelernt, aber dann hatten wir uns für viele Jahre aus den Augen verloren. Vor wenigen Monaten trafen wir uns auf einer BeerdigungsNachfeier wieder, tauschten alte Erinnerungen aus und dann stellte sich heraus, dass Siegfried vor kurzem in China eine eigene Firma gegründet hatte und regelmäßig nach China flog. Er hatte auch schon gute Kontakte zur Untergrundkirche geknüpft und suchte nach Möglichkeiten, den Geschwistern dort eine geistliche Hilfe zu sein. Natürlich war uns schnell klar: Der Herr hatte unsere Wege zusammengeführt und das nächste Mal würden wir gemeinsam in China nach offenen Türen Ausschau halten! Nun war es so weit. Göttliches Timing Als wir uns morgens um 10 Uhr in Shanghai begrüßten, hatte ich schon 17 Stunden Reise hinter mir und nun sollte es in einem kleinen Transporter weiter gehen. Spätestens um 21 Uhr wollten wir am Ziel der Reise sein. Durch verschiedene Umstände wurde aber daraus nichts und so fuhren wir die Nacht durch und kamen erst morgens um 5 Uhr total übermüdet im Hotel an. Vergeudete Zeit – Probleme im göttlichen Timing? Als man mir das gebuchte Zimmer öffnen wollte, stellte sich heraus, dass es von innen verriegelt war. Dort schlief also schon jemand. Die Spontane Zusammenkunft im Hotelzimmer Besuch einer Hauskirche Am nächsten Tag – einem Sonntag – waren wir in eine Hauskirche eingeladen. Die Zusammenkunft war im obersten Stock eines Hauses mitten in der Großstadt. Der oberste Teil der Treppe war mit ausgezogenen Schuhen übersät und in der kleinen Wohnung waren etwa 35 Geschwister zunächst zum Abendmahl und dann zur Predigt versammelt, um die man uns gebeten hatte. Während des Abendmahls wurde viel gebetet und gesungen. Manche dieser Geschwister - fast alles Mediziner - hatten Tränen in den Augen. 13 Nr.105 Hier erfuhren wir auch etwas über die Aufnahme-Bedingungen der Hauskirchen-Bewegung in dieser Gegend, die natürlich von der allgegenwärtigen Verfolgung mitgeprägt sind: 1. Der Bewerber muss von zwei Geschwistern, die ihn mindestens neun Monate als Christ kennen, empfohlen werden. 2. Er muss getauft sein. 3. In seinem Leben muss die Hingabe an Jesus Christus erkennbar sein. 4. Es wird erwartet, dass er jeden Sonntag die Gottesdienste besucht. 5. Er muss in einer Gruppe (meist evangelistischer Hauskreis) mitarbeiten. 6. Ein kontinuierliches, systematisches Bibelstudium (sowohl persönlich als auch gemeinsam) muss vorhanden sein. Die Hauskirche ist also keine öffentliche Versammlung und die evangelistischen Aktivitäten spielen sich meist in separaten Hauskreisen ab. Ein grober Überblick über die GemeindeEntwicklung Chinas issbegierige udentinnen Die Millionenstadt Wenzhou, wo wir zu Gast waren, hat eine Erweckung erlebt und man schätzt den Anteil der bekennenden Christen hier auf 10 - 15%! Man nennt diese Stadt wohl zu Recht das „Jerusalem Chinas“, weil von hier aus viele treue Brüder aus den Hauskirchen, aber auch christliche Geschäftsleute die Botschaft in andere Gebiete Chinas weitertragen. Nach unserer Einschätzung werden vor allem geistliche Leiter benötigt, die ein brennendes Herz für den Herrn haben und in der Bibel zu Hause sind, weil allgemein ein Defizit an biblischer Lehre besteht. Daher auch das große Interesse an guter geistlicher Literatur. Chinesische Bibeln für 1,50 € und 1 € Ein Hauskirchen-Leiter gab uns einen kurzen Abriss der Kirchengeschichte Chinas in den letzten 200 Jahren: 1800 – 1900 Die Zeit der Pionier-Missionare: Robert Morrison, Hudson Taylor und die „China-Inland-Mission“. 1900 – 1950 Die Christen bekamen vor allem durch die Verkündigung und die Schriften von Watchman Nee und Wang Ming Tao ein Fundament. um 1950 schätzt man die Zahl der Christen in China auf ca. 1. Millionen. 1950 – 2000 Die Zeit der Verfolgung und die Bildung der Untergrund-Kirchen. Ab 1970 kommt es angesichts der Kultur-Revolution unter der Jugend zu großen Erweckungen. Sonntags in der Hauskirche Pan To Fel Hau Fen Gemeinsame Überlegungen zur Literatur-Arbeit Obwohl es wenig Bibeln gab und die Ältesten meist im Gefängnis saßen, wuchs die Gemeinde. In diesen Jahren ging die Saat der ausgewiesenen Missionare und der inhaftierten Führer auf und viele junge Brüder, die zwar ein Defizit an biblischer Lehre, aber ein brennendes Herz hatten, füllten die entstandenen Lücken aus. Ab 1978 gab es unter Deng Xiao Ping eine Lockerung und Öffnung, auch für Bibeln und Literatur. Aber es gab auch einen starken Einfluss durch die Charismatische Bewegung. Heute schätzt man allein in den Hauskirchen die Zahl der Christen auf 50 bis 70 Millionen. Nr.105 14 Die Geschichte einer Bibel Unser Gastgeber erzählte, dass es in den 70er Jahren oft nur eine Bibel in einer Stadt gab, die wie ein kostbarer Schatz gehütet wurde. Er selbst hatte als junger Christ erlebt, wie diese eine Bibel versteckt oder in der Erde vergraben wurde, um nicht von den Kommunisten gefunden zu werden. Durch eine Bibel sind in seinem Dorf etwa 500 Menschen zum Glauben gekommen! Inzwischen hat sich die Situation so sehr verändert, dass man eine einfache Bibel für 1 € und eine bessere für etwa 1,50 € kaufen kann. Einen Mangel an Bibeln gibt es nicht und man scheut sich auch nicht, öffentlich mit einer Bibel unter dem Arm über die Straße zu gehen. Am letzten Tag vor unserer Abreise trafen wir mit einem Leiter einer Untergrund-Bibelschule zusammen, der auch in der Literatur-Arbeit tätig ist. In diesen Bibelschulen sind bis zu 20 Schüler jeweils 9 Wochen zusammen. Sie dürfen in dieser Zeit tagsüber das Haus nicht verlassen, damit der Unterrichts-Betrieb nicht auffällt. Im Untergrund werden auch zahlreiche Schriften und eine Zeitschrift gedruckt und wir freuten uns sehr, dass wir diese Arbeit mit Gaben aus verschiedenen Gemeinden und von zahlreichen „Fest&treu“- Lesern unterstützen konnten. Wir erfuhren auch, dass an einer neuen, wortgetreuen Übersetzung der Bibel im modernen Chinesisch gearbeitet wird. Christliche Buchläden in China! Und die Verfolgung? Hätte mir das jemand vor der Reise erzählt – ich hätte es nicht geglaubt! Aber es gibt sie tatsächlich und in einigen Großstädten gibt es sogar mehrere: Christliche Buchhandlungen! Zwei davon haben wir aufgesucht, die von Schwestern geführt werden, die vor allem ein evangelistisches Anliegen haben und auf diesem Weg Kontakte knüpfen möchten. Die Mitglieder der DreiSelbst-Kirchen leben unbehelligt. Die Christen der Hauskirchen, die sich aus geistlichen Gründen den Bedingungen des Staates bewusst nicht gebeugt haben, leben im Untergrund und sind damit einer steten Gefahr der Entdeckung durch die Behörden ausgesetzt. Natürlich war ich gespannt auf das Buchprogramm und stellte zu meiner Verwunderung fest, dass Bunyan´s „Pilgerreise“, Joni´s Biographie, Bücher von Josh McDowell, Bonhoeffer´s „Nachfolge“, sogar ein Buch von Jonathan Edwards, Bücher über Luther, Calvin usw. in offziellen chinesischen Verlagen aufgelegt und hier angeboten werden. Sogar die amerikanische Bestseller-Serie von Tim LaHaye/Jerry B. Jenkins „Finale – die letzten Tage der Erde“ wurde hier in chinesischer Sprache angeboten. Die Preise für Bücher sind ungewöhnlich günstig – sie betragen nur etwa 20-30% der bei uns üblichen Preise. Natürlich standen da auch sehr bedenkliche Bücher von N.V. Peale, Carnegie und bekannte Werke von liberalen Theologen. Aber immerhin können jetzt in China offiziell christliche Bücher gedruckt und vertrieben werden – vorausgesetzt sie tragen den Geruch von klassisch-christlicher Literatur oder wissenschaftlicher Theologie. Auf den ersten Blick eindeutig evangelistische Bücher werden noch nicht genehmigt. Interessant ist, dass diese Bücher nicht in christlichen, sondern in verschiedenen säkularen Verlagen aufgelegt wurden. Das war uns eine Herausforderung, uns bald nach den Voraussetzungen für eine Verlagsgründung in China zu informieren. Die Türen scheinen sich zu öffnen! So musste die von uns besuchte Hauskirche vor kurzem ihren Versammlungsort wechseln: Ein Nachbar hatte sich über den ‚lauten Gesang’ bei der Polizei beschwert. Kurz darauf trat ein Polizist die Tür ein und stand plötzlich inmitten der Geschwister. Nachdem er eine Weile zugehört hatte, verließ er den Raum wieder, offensichtlich, um seinem Vorgesetzten zu berichten. Der Bruder und die Geschwister führten den Gottesdienst unter Gebet – wie geplant - weiter und hatten das Haus rechtzeitig verlassen, bevor der Polizist mit Verstärkung anrückte. Der Bruder, der das Haus zuletzt verließ, begegnete noch seinen Häschern – aber sie erkannten ihn nicht! Zwei christliche Buchläden Gefährlich wird es auch, wenn chinesische Literatur gefunden wird, die im Ausland gedruckt wurde und keine ISBN-Nummer hat. Solche Literatur steht unter dem Verdacht, unerwünschten politischen Einfluss auszuüben. Aber ansonsten wurde uns von allen Seiten der Untergrund-Kirche bestätigt, dass der politische 15 Nr.105 Druck nachlässt und die Offenheit schrittweise zunimmt. Sicher ist ein Grund für diese Tatsache, dass die Politiker wissen, dass in manchen Großstädten über 3.000 Hauskirchen existieren, die wiederum jeweils mehrere Kleingruppen unterhalten und somit ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung aus überzeugten, engagierten Christen besteht, die sich nicht mehr verstecken, sondern sich öffentlich zu Jesus Christus und zur Bibel bekennen. Beten wir weiter um Bewahrung und Wachstum für unsere Geschwister in China und um treue Arbeiter für die große „Erntearbeit“ in diesem Land mit über 1,3 Milliarden Menschen! ■ Abschiedsfoto der „Langnasen“ Hauskreisleiter mit Familie Deshalb ergreift die ganze Waffenrüstung Gottes, damit ihr an dem bösen Tag widerstehen und, wenn ihr alles ausgerichtet habt, stehen bleiben könnt! So steht nun, eure Lenden umgürtet mit Wahrheit, bekleidet mit dem Brustpanzer der Gerechtigkeit und beschuht an den Füßen mit der Bereitschaft zur Verkündigung des Evangeliums des Friedens! Bei alledem ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr alle feurigen Pfeile des Bösen auslöschen könnt! Nehmt auch den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, das ist Gottes Wort! Mit allem Gebet und Flehen betet zu jeder Zeit im Geist, und wachet hierzu in allem Anhalten und Flehen für alle Heiligen und auch für mich! damit mir Rede verliehen werde, wenn ich den Mund öffne, mit Freimütigkeit das Geheimnis des Evangeliums bekanntzumachen. Eph 6,13f Nr.105 16 Eine chinesische Buchhändlerin präsentiert die ‘Waffenrüstung’ aus Eph 6 als Wandschmuck.