Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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Forschungsjournal Soziale Bewegungen
1 Y 12892 F Postvprtriebsstück Entgelt bezanlt Neue Soziale FORSCHUNGSJOURNAL Bewegungen @ WESTDEUTSCHER VERLAG Heft 2 - Juni 1997 DM18,- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , J G . 10, HEFT 2, 1997 — Editorial M a r g i n a l i t ä t und Mobilisierung Zwischen Aufstieg und Ausstieg sozialer Bewegungen 3 Call for Papers: V o m Sozialstaat zur Wohlfahrtsgesellschaft? Akteure zwischen Pflicht und Engagement 12 Essay Christian Welzel Die ostdeutsche B ü r g e r b e w e g u n g als Gegenelite? Kai- Uwe 13 Hellmann Marginalisierung und Mobilisierung. Konzeptionelle Ü b e r l e g u n g e n zur Emergenz und Mobilisierung von Marginalisierten Roland 23 Roth Die R ü c k k e h r des Sozialen. Neue soziale Bewegungen, poor people's movements und der K a m p f um soziale B ü r g e r r e c h t e Stefan 38 Pabst Sozialanwaltschaftliche Interessenvermittlung Die Armutsberichterstattung der W o h l f a h r t s v e r b ä n d e Friedhelm 51 Wolski-Prenger M a r g i n a l i t ä t und Widerstand Mobilisierungsprobleme der Arbeitslosenbewegung Harald 63 Rein ' W i r k ä m p f e n um das, was wir brauchen' Stand und Perspektiven des Erwerbslosenprotests Eric 70 Hammann F ü r eine K u l t u r der Gleichheit in der Verschiedenheit Selbstorganisierte ambulante Dienste am Beispiel des fib e.V. 76 Pulsschlag Iris Bauer P a l ä s t i n a am Scheidepunkt Civil Society zwischen Befreiungskampfund Demokratie Volker 90 Lorek Thatcherismus und die Proteste gegen die poll tax 94 W^9M FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1 9 9 7 Stephanie Hoffmann Von der Subkultur zur Bewegung und z u r ü c k ? Die Lesbenbewegung der ausgehenden 90er Jahre Thorsten Ullrich S.O.S. Tierrechte H a ß b e r g e . Eine neue Gruppe in einer neuen Bewegung Jens Sambale/Dominik 103 Brenner Arbeitslosenzeitung 'quer' Bernd 100 Veith Marginalisierung als urbaner P r o z e ß Britta 97 107 Hüttner Das 'Archiv der Sozialen Bewegungen' H a m b u r g 108 Treibgut Materialien, Hinweise, Notizen, Termine 110 Bewegungsliteratur Rezensionen Fritz Vilmar Im Streit f ü r die Umwelt Jo Leinen, Basis-Aktivist und Minister (Karl-Ott Sattler) Regina 114 Kröplin Gewerkschaftsarbeit im Wohnbereich (Volker Hielscher u.a.) 115 Annotationen 116 Aktuelle Bibliographie 118 Abstracts 122 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1 Marginalisierte Agenda Bewegungen nachlässigte schung Phänomene. konzentriert Analyse und Akteure, vorrangig erfüllen, te eine den Mobilisierung, Scheiterns dann der sozialen Fragestellung, Erklärungsbedürftig Prozeß der Marginalisierung resultieren Anwendungsfall bietet etwa die kanische Studentinnenbewegung. durchaus erfolgreiche ker werdenden Bewegung gezeigt zu den an müßte wel- und AgenStuden1 versickern. Spannungsfeld und von Mobilisierung mit seinen renden soziale Folgen für dient Aufmerksamkeit. rikanische Anders auf die an Wertehorizonten ausgerichteten len Bewegungen' konzentriert. baren sozialstrukturellen Bundesrepublik gehen. dien ermöglicht und Die soziale sozia- Entwicklungen Bewegungssektoren sich daher an, den jedoch Blick auf Akteure, Anliegen zurück. 1 und neue Armut behinderte darauf, daß sich am Rande Gesellschaft Die Sozialabbau der 'poor und rung.'' Zugleich scheint von genannten an- mit den Betroffenen Probleme Aushöhlung voranschreitenrationalisierungs- verschärfen Marginalität und die Pro- Marginalisie- die Sensibilität wie auch die aber einige unserer bedingte Stellenabbau Gewalt sind nur Bedingungen den über 1997f, Straßen- die verschlechtern. von Wilk oder auch die Menschen* einem die v.a. A. Cloward Langzeiterwerbslosen und Obdachlosigkeit , für Menschen bleme OffizielMillionen, 5 Wohnungsnot zunehmend zunächst 5 1996:193; auszu- zu suchen, und Richard den ist (Geißler durch Diskussionen F. Piven von knapp ein Drittel Hinweise sozia- ist von Problemlagen. Wohlfahrtsstaates an US-amerikanische Frances Eindeutig des Anschluß den Fallstu- der Bewegungsansatz in der people's movements' wovon gegen beobacht- liegen auf Frage kehrt auf die Agenda zuzuordnen na- 'neuen 'Randgruppenpro- basierenden le Arbeitslosenzahlen bislang Die der FraBezüge MobilisierungschancenZ-hemmnisse. kinder'' postmateriellen Bewegung von zu den aktuellen, einen integrativen die legen es aber nahe, von wichtiger Es bietet US-ame- in Thematische Randgruppenkonzepten hat sich Bewegungsforschung hezu ausschließlich ver- als die Bewegungsforschung europäische Wandel marginalisie- Bewegungen skiz- marginalisierten in den 60er und 70er Jahren ler Bewegungen Scheitern vorlie- sich dem hier Marginalen Diskussionen eine etablierDas von der Mobilisierung. zu- auf Berücksichtigung die Akkumulation Doch nicht nur die Frage nach dem etc. wir hier beiträgt? widmet nahe. In Abgrenzung Es Selbstorganisation, die zur Segmentierung besonderer dieser aufgrund politisch unter AnliePolitik Koalitionen oder stoßen Bewegungen gen stär- von Politik, Die nachfolgender tinnengenerationen zierten und die ausgerichteten Formenmix blematik' die Mobilisierungs- da Setting-Versuche wäre soziomomarginalisier- Gruppen Themenheft dann ausdifferen- Können ter Bewegungssektoren gende dramatisch können, in einem advokatorischer bundesrepubli- eingebüßt. werden cher Faktoren ter gesellschaftlicher sich in Anerkennungskämpfe gen einer postmateriell ihres Bewegungs- Frage bezieht Bewegungssektoren: ralische kann. hat trotz Problemdrucks Mobilisierungsfähigkeit zierten Entwicklung, ehedem Die für die die Kooperationsformen die Scheitern sind? interessante sammengehen von der aus dem interessanten Fragestellung dann denen auf worden hät- erfolgreicher nach Protestmobilisierung Einen Folgen fragt? Bewegungen, Gele- wirkungs- Gründen sondern und dieser Interessen dieser nach die sozialen Doch welche Umkehrung mehr auf sind und die Vor- innerhalb ihre voll zu thematisieren. geregt forschung Protestbewegungen verankert genheitsstrukturen der ver- Bewegungsfor- die im politischen, System aussetzungen nicht Die sich auf bislang 'erfolgreicher' kulturellen von sind der Bewegungsforschung 3 1997 rückläufig. für die Solidarität FORSCHUNGSJOURNAL N S B , J G . 10, HEFT 2, 1997 Das Zentrum ripherie der Gesellschaft zur eigenen nalität zementiert einer dominanten des Wohlfahrtsstaates projiziert werden, politischer nicht begreift, viduen zuschreibt politischer Ohnmacht politischer wesentliche Hintergrund systemischer erfolgreicher vor Individuen Öffnung (Kirchen, Gewerkschaf- Parteien) für In derartigen sich die Betroffenen Mobilisierung, Dort, wo marginalisierte essen artikulieren, sen Gruppen als Anliegen Inter- auf die Teilhabe lagenspezifischen men und respektiert ab, mit den Besonderheiten zu Der sich definierten zielt darauf Mobilisierung in Bewegung glaubte dabei nalen in Bewegung unnoticed' (Miller dar und prägen die sich Marginalen die Themenebene überwunden ge- Thematisiert werden - in Anlehnung an die Unterteilung von (1982)- überschießende Erwartungen nicht an Entfaltungswerte und orientierten (rising demands), sondern des materiellen grundlegenden lichkeiten Verteidigung und Marginalen in einer trale Kategorien stoßen sozialer, und meist schnell und 'Normali- Anliegen ergeben. problem- müssen grundsätzlich an verdrängt mangelt es of- und der Marginalen. können sich der Thematisierung ihre berüh- Existenzängste an Aufmerksamkeit 2 Diskus- Bereiche Der Kerngesellschaft rungshemmnisse' und Entsprechende jedoch tät für die Anliegen zen- wirtschaftlicher da sie 'tabuisierte' Weise betreffen getrimmten Erwerbsgesellschaft Teilhabe. fensichtlich gesellBehinde- und Obdachlosigkeit leistungsorientierten werden. der wie Alter, auf Jugendlichkeit kultureller der Partizipationsmög- (need defence). Themen rung, Arbeits- sionen Akteuren die Fundamentalbedarfs, Rechte schaftlichen Brand Selbstverwirklichungs- von postmateriell im Zen- SensibiliMobilisie- aus der der Art eigenen Die artikulierten Themen zwei Kriterien erfüllen: angenom- werden. Es muß sich um Forderungen an die Thematik der Margi- und Ansprüche die verallgemeinerungsfähig Betroffene wie potentielle des 'seen but tretbarsind. 1993: 154) kann über vier werden, als Sphäre bezieht für er- Im Falle der Deprivationen. handeln, Eine Annäherung stellen einer auf fundamentale, ren, in die bestimmte Interes- an einer die Grundlage des Protests. jedoch so Wertorientierungen vielmehr Würde. bezieht folgreichen Agenda Ausführun- Wertewandel-Diskussion, Grenzen, An- und zur offenbar n individuellen der Gesellschaft tät', sondern ihre es sich Protest, nach Anerkennung nicht allein trum der Heraus- schaffen.™ nach gesellschaftlicher der eigenen sowie Wunsch Voraussetzungen wie z.B. die um politischen erkennung zunächst Identität, handelt um die Forderung deren Anerkennungs- und die einer kollektiven zu gesellschaftlicher führt. politischer diesem Anerkennung können weniger mit negativer kämpfen bildung Indi- oftmals scheint marginalisierter erfahren changie- (1) Folgt man den einschlägigen Protestbewegungen Anliegen als Gruppe Adlerperspektive ren: Folge 1992: 5 2 f f ) . Margi- Wohlfahrtsverbände, krosoziologischer als eine angesichts undpolitischerAkteure ma- postmaterialistische Voraussetzung die zu einer zwi- und Wohl- die soziomoraiische der Interessen die Frosch- des sich daher Mobilisierung geschehen, gen Chancenstrukturen. politischer ten, die den betroffenen (Gans verbindet Ebenen mikrosoziologischer Weise und sondern nalisierung sein, mehr interdependente schen Auf die von in einer Entscheidungen Effekte Status können die das Versagen dann Pro- den Betroffenen Probleme fahrtsstaates Margi- bestimmter zugleich Mehrheitskultur. Exklusionsprozessen die Pe- und die und Marginalisierung blemgruppen Eine benötigt Verortung, Sympathisanten Die Mobilisierung kann wenn es sich um als bedrohlich und für vererschwert wahr- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, genommene Themen rung einer blüfft insbesondere aktuellen schen Lage, Blockie- vor dem Hintergrund und da auch die Diese Generalisierung arbeitsmarkt- stärker die 'Nicht-' Problematisierung alternativer Der zweite betrifft lung an die Sphäre die Erleben. für die Arbeitslosen sowie Was Wacker herausgearbeitet wird. nung auf die entsprechenden Dadurch Gruppen zu: Schickwahrgenom- unterbleibt träger, die öffentliche (1987) trifft individuell men an hat, marginalisierte sal, das aber lediglich wirt- als auch ist ein massenhaftes die Zurech- Entscheidungs- Skandalisierung und die der (potentiell) von externen Betroffenen. (2) Marginalisierte Gruppen sind Gesellschaft, sourcenebene benachteiligt oder teilweise chen Zusammenhangs 236). Die Teilhabe zialen und unmöglich, wenn des Leben ist jedoch Grundausstattung gen Armen' Sozialpolitik, sourcenintensiv 1992: stützung gen ausschließlich, mehrheitlich dachlosenbewegungen sozialer Dabei organisieren können interne haben teil, sich stärker sich Trägern die Bewegungen den Vorselbst können. von externen auf die zentrale katorischen Handelns Bewegung. Aufgrund so- bilisierungsschwächen fast herem Maße für abhängig 'unwürdires- (re-)integriert des ReEntstestrukturel- sich aufgrund als andere mulieren, zu bündeln politische Sphäre torischen Allianzen systemische stimmte, Forderungen dann Organisationen betroffen aus, sind, sondern berufen der Marginalen füh- zu und an die öffentliche weiterzuleiten. Die übernehmen 'Puffer-Funktion'. nicht sozia- gehen Einzelperso- ihres Engagements len, die Forderungen vermittelbare auf der Strecke hö- Fürsprecherinnen Viele Initiativen unmittelbar in Mo- sind sie in weitaus und Initiatorinnen die nicht advo- der beschriebenen oder pater- des die Marginalen von externen le Bewegungen. Ressourcen Bedeutung Institutionen neben schaffen den Protestaktivitäten nen, Voraussetzung 1102). innerhalb wo sie sich etablierten anschließen, Ob- Ressour- 1996: sondern im die sie sich weniger Netzwerke, zu Hilfe Lediglich (Cress/Snow verweist 52). Bewegungen auf cen zurückgreifen Dort, Zuwendun- erhalten. Ressourcen- source M o b i l i z a t i o n A p p r o a c h - die hung materielle der Humanressourcen eigene. etwa Unter- und informationelle von außen bestehender Obdach- daß diese moralische weitestgehend Bereich einer Be- Cress und Snow kommen zu dem Ergebnis, prominenten) die die Maße In lose einsetzen, von (oftmals zwangsweise Wenn - so die zentrale in starkem die sich für (3) Die Abhängigkeit an und mehr oder minder Ressour- von 15 US-amerikanischen ganz von ge- einer Grup- von abhängig: auch Voraussetzung betreut hinaus und einer die Ei- unterminierenden Mobili- Teil 1965: am gesellschaftlichen, Erfah- die marginalisierter Ressourcen Res- gesellschaftli- Das Zusammenspiel ist die nalistischen (Gans und stehen Marginalität geninitiative zwar auf der (Fürstenberg eine fehlt. sellschaftlicher schwäche außerhalb kulturellen Ressourcen sind aber und wegungsorganisationen, widmen dieser so zielen cen. Sie sind darüber Untersuchung Rückkopp- Randständigkeit Solidarisierung 26). Zurechenbarkeit auch auf andere zu mobilisieren, sierungsanstrengungen Erarbei- Ressour- Qualifikation pen erst einmal auf die Schaffung ihre der politischen rungen Geld, noch interes- Entscheidungsträger das individuelle cen wie Zeit, Deprivationen abhängt, einer 1983: und meint sowohl schaftlichen der und relativen von der Möglichkeit an und (Dahrendorf Punkt der Themen auch und Lösungsvorschläge siert sein müßten len Spannungen ver- wohnungspoliti- 'Vielleicht-Betroffenen' allgemeinen tung handelt. möglichen 5 1997 wie advoka- damit Daß dabei Interessen bleiben for- und eine beund sich 6 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, die Bewegungsförmigkeit len Prämissen an den institutionel- der unterstützenden Organisa- tionen und Institutionen abarbeiten scheint als notwendiges Übel. Damit men die Sozialanwälte der er- überneh- zwar die wichtige der Öffentlichkeitsarbeit, und muß, der Ressourcenmobilisierung. Aufgrund ihrer (verwaltungs-)technischen der eigenverbandlichen Rolle Sensibilisierung Kontrolle und Interessen stülpen aber eigene Organisationsstrategien über Forderungen der Betroffenen. zepte bleiben zugunsten ger' Presse- (siehe den Artikel im vorliegenden blemfokus Diskus- Wohlfahrtspluralismus und Wohlfahrtsgesellschaft Olk Pabst und die aktuelle Sozialstaat, anschließen ein Handicap für deren dar. Hinzu (Evers/ 1996)." räres Problem ligen Gruppen wird oftmals und verzeitlicht Zudem der wodurch die Tendenzen' Verhältnis der Medien teressen. einer zu marginalisierten In- mit ihrem Anliegen an -formen an Massenwirksamkeit entierten Medienlandschaft bleibenden und der somit öffentlichen Berichterstattung Teilen und Quoten Aufmerksamkeit. beschränkt auf die spektakuläre Einzelschicksalen, die Darstellung se - ist der Trend zu beobachten, mung und zu entpolitisieren, 1995). die in der öffentlichen dadurch werden bleibt und eine bestimmten als weder fähig eingeschätzt zu werArbeitsloAnliegen Wahrneh- dethematisieren (Uske die Problemlagen neut in die Einzelverantwortlichkeit legiert, Die nalen er- zurückde- grundsätzliche Diskussion Teilöffentlichkeiten barrieren Temporäre dem schließt die Diskussion Thematlsierungsder ein fehlenund verbindendes, und an Lösungen fehlt, orientier- so daß die organisationswerden Betroffenheit Hintergrund schlechternden schaftlichen Margi- noch (Offe duellen konflikt- 1972: sich sich 338). aber weiterhin (sozial-)politischen Einzelschicksalen se 'Spirale 1996: 47) betrifft der und Diskriminierung wirtindivi- zu kumulieren. Die- (Gahleitner am häufigsten Defizite, sozialen vor ver- und in der Abwärtsmobilität' baren ökonomischen denzen droht einer Lage zu verstetigen die Isolation einhergehen unmittel- die oft mit und (Geißler Ten- sozialen 1996: 180). Im Zentrum den sowie vorbe- halten. (4) An die Frage nach daß der geringeres von zu entproblematisieren Dadurch aus- tes Handlungssystem Ergebnisse über Ein Teilhabe bedingen, gleichgerichtetes skandalisiert, - so die zur Medienarbeit 'disso- 1975: 60) Interaktionsmöglichkeiten ori- großen problematisiert den. Seit den 80er Jahren der Marginalen zu dann nicht aber grundsätzlich einer Studie sich als zuge- unterstellten entstehen. de gemeinsame Sie scheitern Zustand Defiziten (Waldmann die kultureller individuelle Maß gesellschaftlicher sich auch (Butterwegge wird durch erlebt und den eigenen schrieben, tempobio- wird dominant Vorstellungen als jewei- 1996; Beck 1986:144ff). Übernahme Prower- persönlich subjektive negativ Schicht- das von der abhängt, das gestaltet Marginalität der interpretiert beschrieben, Lebensphase graphisiert die stellen - als 'lebenslanges' spezifischer ziativen instrumenteil daß nicht mehr - wie noch zu Zeiten Problembetroffenen Ahnlich und Mobilisierungsanstren- kommt, und Klassenanalyse Indi- auch für Betroffenen den kann. Marginalität auf gelten von Marginallsierung die Heft). Hier ließe sich der Pro- erweitern um von Stefan vidualisierungstendenzen gungen an. Die ge- zu beobachtenden blem 'richtioft der Mobilisierungsebene sie Kon- vermeintlich und Öffentlichkeitsarbeit der Strecke sion Innovative rigkeiten samtgesellschaftlich 1997 Schwie- einer Mobilisierung ständigen lassen Strategien ausmachen: mobilisierung, sich der zusammenfassend Zum einen eine die sich - nicht unbedingt Randzwei Selbstziel- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, orientiert- weder men ausrichtet antwortlichen dann unorthodoxe Der im Rahmen denkbar, machen kann. Skandalisierung und sten wie das Bewegung fühl ginalität als Zustand der E x k l u s i o n . Dies f ü h r t müßte der dann zur Unterscheidung einer weder inten- gewährlei- dierten noch zurechenbaren strukturellen M a r - einer ginalisierung und einer aus Entscheidungen potentielle Gemeinschaftsge- anderer resultierenden strategischen M a r g i - Im Gegensatz nalisierung. Erfolgreiche Protestmobilisierung verlaufen aber Aktionen scheitert unter den Gesichtspunkten struktu- zielorientierter, reller Marginalisierung an den fehlenden Res- berechenbarer sourcen, dem M a n g e l an allgemein verbindli- die gelenkter, spontan, von Inklusion und E x k l u s i o n e r m ö g l i c h t die A n a lyse von Marginalisierung als P r o z e ß und M a r - und festigen. koordinierter, und Peripherie durch die L e i t d i f f e r e n z eine - zur Selbstaktivierung für zung der g ä n g i g e n Unterteilung v o n Zentrum der Problematisierung, ebenso unentbehrliche weniger diesen am seltensten artikulieren. D i e Erset- offenlegen - f ü r die Initialzündung ansprechen dann gen, die am ehesten A n l a ß zu Protest haben, Generalisierung Spannungen Konzepts der relativen Deprivation. Es zeigt sich, d a ß gerade diejeni- Bewegungen 307) die siert er anhand des Alsein Entsprechend (1993: Mobilisierung lisierung'. D i e Entstehung von Protest analy- diffus eher sozialer von Neidhardt/Rucht strukturellen Fremd- advokatorischer dem einzelnen zur Entstehung solche nen Beitrag zur 'Marginalisierung und M o b i - und die erst dann erfolgreich Deprivation und bewußt hat Probleme' e r ö f f n e t Kai-Uwe Hellmann sei- erscheint ist die subjektiv M i t der lapidaren B e m e r k u n g ' W e r protestiert, Ver- disruptive Aktion. Zum anderen kann, wenn sie die bislang Matrix Protest als ungerichtete, mobilisierung erlebte Aktionsfor- an die unmittelbar wendet. oftmals lianzen an tradierten noch 1997 auch chen Deutungsrahmen und u n g ü n s t i g e n p o l i - Verbündete. tischen Gelegenheitsstrukturen. H i n z u kommt, Als ein Zwischenfazit bleibt festzuhalten, die Bewegungsforschung Themen teure orientierte, bislang daß an sozialen ressourcenschwache vernachlässigt hat. Ak- Gängige Konzepte der Ressourcenmobilisierung, der Stärke Kontinuität sind für von Bewegungen Anwendungsbereich einandersetzung unzureichend. mit marginalen auch mit marginalisierten bilisiert insbesondere sozialen lischen Kampfes Ausaber Bewegungen sozialen sen daher als Voraussetzung lisierung in stärkerem werden. Die Gruppen, um Anerkennung. aufmacht, steht beim der Mobilisierung Perspektive noch zu erhoffen. len' f ü h r t Roland Roth drei D i s k u s s i o n s s t r ä n - sensi- ge zusammen: soziale B e w e g u n g e n , die eines people 's movements poor und den K a m p f um sozia- le B ü r g e r r e c h t e . E r stellt fest, d a ß es den g ä n gigen Konzepten der 'neuen sozialen B e w e - Mobi- gungen' an einer B e r ü c k s i c h t i g u n g ressour- berücksichtigt censchwacher Gruppen und ihrer sozialen Pro- Mehr- 1972) zu ei'Kerngesellschaft' augenblicklichen - weder M i t seinem A r t i k e l ' D i e R ü c k k e h r des S o z i a - müs- Maße marginaler - je nach Hellmann dann auch gering ein. mora- politischer auf die ge Mobilisierungschancen s c h ä t z t Die Daß sich aber die 'abweichende Sternmarsch nalisierung der ' B e w e g u n g ' ansetzt. Z u k ü n f t i - Handelns heit' (Basaglia/Basaglia-Ongario nem sätzen vorhanden ist, die strategische M a r g i - diesen für die Bedeutung Dimensionen und d a ß h ä u f i g dort, wo eine M o b i l i s i e r u n g i n A n - tergrund der U S - a m e r i k a n i s c h e n nen um die poor people's movements Diskussioskizziert Stand er die Erfolgschancen spontaner, disruptiver wohl und radikaler Protestformen. Sie g e w ä h r l e i - befürchten sten den Z u g a n g zu ressourcenstarken A k t e u - Gruppen zu bleme und Forderungen mangelt. Vor dem H i n - ren und etablierten Organisationen mit ihren FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 moralischen, materiellen, informationellen und der A r m u t zwar eine (auch politische) Ö f f e n t - integrativen U n t e r s t ü t z u n g s l e i s t u n g e n . A u c h lichkeit schaffen, aber die A r m e n werden durch in der Bundesrepublik erkennt Roth neue A k - verbandspolitische Interessen zugleich instru- teure, die B e w e g u n g in die l ä h m e n d e n korpo- mentalisiert und als politisch h a n d l u n g s u n f ä - ratistischen Traditionen der sozialpolitischen hige Klientel verharmlost. A r e n a bringen k ö n n e n . D i e citizenship-Debat- te bietet sich als Leitidee der politischen M o b i - D e n Stand und die Perspektiven des E r w e r b s - lisierung unter der P r ä m i s s e einer erfolgrei- losenprotests beschreiben F r i e d h e l m W o l s k i - chen A n e r k e n n u n g der Forderungen margina- Prenger und H a r a l d R e i n . Friedhelm Wolski- lisierter G r u p p e n an. D e r K a m p f um die sozia- Prenger skizziert M o b i l i s i e r u n g s p r o b l e m e der len B ü r g e r r e c h t e bietet inhaltliche, normative Arbeitslosenbewegungen. T r o t z der und theoretische Implikationen: E i n e um mar- haften Betroffenheit von Arbeitslosigkeit be- ginalisierte Gruppierungen und bislang ver- teiligt sich lediglich ein geringer T e i l an deren n a c h l ä s s i g t e Forderungen erweiterte Bewe- A k t i o n e n . Wolski-Prenger untersucht die R a h - gungsforschung kann den Tendenzen in R i c h - menbedingungen und die internen organisato- massen- tung zunehmender E x k l u s i v i t ä t sozialer B ü r - rischen, ideologischen und strategischen D i f - gerrechte und demokratischer Beteiligung ent- ferenzen der verschiedenen ' R i c h t u n g e n ' i n - gegenwirken. nerhalb der (kirchlichen, u n a b h ä n g i g e n , gewerkschaftlichen und verbandlichen) A r b e i t s - Akteure, Z i e l e und Strategien 'sozialanwaltli- losenbewegung. G e m e i n s a m ist den A k t e u r e n cher Interessenvermittlung' untersucht Stefan die A b s i c h t , die materiellen, psychischen und Pabst mittels einer empirischen A n a l y s e am sozialen Belastungen der B e t r o f f e n e n z u m i n - B e i s p i e l der Armutsberichterstattung der W o h l - dern. D i e unterschiedlich gewichtete A r b e i t s - f a h r t s v e r b ä n d e - vor allem des P a r i t ä t i s c h e n losenarbeit ist durch mangelnde Vernetzung, Wohlfahrtsverbands und der Caritas. D i e A r - Abgrenzungsbestrebungen mutsberichterstattung ist von strategischen und tiges Desinteresse der A k t i v e n gekennzeich- politischen Ü b e r l e g u n g e n a b h ä n g i g . A u s i n - net und bedingt deren momentane E i n f l u ß l o - nerverbandlicher Sicht zielt sie auf die E n t - sigkeit. D i e Z u k u n f t sieht er entsprechend pes- sowie wechselsei- s c h ä r f u n g der K r i t i k von M i t g l i e d s v e r b ä n d e n simistisch: W i l l die Arbeitslosenbewegung ein- und F a c h k r ä f t e n . A u ß e r d e m soll sie genutzt f l u ß r e i c h e r werden, so m u ß sie u m s e t z u n g s f ä - werden, um das eigene Image in der Ö f f e n t - higere Konzepte e n t w i c k e l n . D i e s e m ü s s e n lichkeit zu verbessern und das neue V e r n e t z u n g s b e m ü h u n g e n und A n n ä h e - Spendenauf- k o m m e n zu sichern. Politische Ü b e r l e g u n g e n rungen der einzelnen Richtungen sowie eine f ü h r e n z u relativ g e m ä ß i g t e n neue B ü n d n i s p o l i t i k beinhalten. Forderungen, nicht zuletzt, um das kooperative Verhältnis z u m Staat nicht zu g e f ä h r d e n . J ü n g e r e (Personal-)Entwicklungen zeigen aber auch, d a ß die W o h l f a h r t s v e r b ä n d e insgesamt stärker auf e i nen K o n f l i k t k u r s zur Bundesregierung zusteuern, der sich u.a. in der ö f f e n t l i c h e n K r i t i k des zunehmenden Sozialabbaus und an der T e i l nahme am S o z i a l - und B e s c h ä f t i g u n g s g i p f e l zeigt. W o h l f a h r t s v e r b ä n d e k ö n n e n - so das Fazit v o n Pabst - durch die Thematisierung Harald Rein hingegen spricht der A r b e i t s l o senbewegung ein g r ö ß e r e s Handlungspotential zu. Z w a r teilt er die M e i n u n g , d a ß es eine breite Erwerbslosenbewegung bislang nicht gibt, betont aber stärker die M o b i l i s i e r u n g s p o tentiale des Erwerbslosenprotests und lehnt die sozialarbeiterisch-paternalistischen F o r men der Arbeitslosenarbeit ab. M i t den A u s f ü h r u n g e n zur E n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e der FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 'Bundesarbeitsgemeinschaft 9 Anmerkungen der Initiativen gegen A r b e i t s l o s i g k e i t und A r m u t ' zeigt er, d a ß sich die politische E i n f l u ß n a h m e des E r werbslosenprotests in erster L i n i e weder an der organisierten sozialpolitischen L o b b y noch an den i l l u s i o n ä r e n Wunschbildern des M a s senprotests orientiert. V i e l m e h r hat sich eine V i e l z a h l eigener Widerstandsmuster i m A l l t a g herausgebildet, die sich sozial, ö k o n o m i s c h und historisch v e r ä n d e r n und bislang durch den B l i c k auf das S p e k t a k u l ä r e verdeckt werden. 1 Die Beiträge des Themenschwerpunkts dokumentieren uberarbeitete Referate der Jahrestagung der Forschungsgruppe Neue Soziale Bewegungen, die - im zehnten Jahr der Kooperation mit der ElisabethSeibert-Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Saarbrücken - vergangenen November unter dem Titel 'Marginal(isiert)e Bewegungen' stattfand. Anläßlich dieser Zusammenarbeit sei besonders Frau Monika Sommer-Hasenstein und Frau Lotte Wahlster für die freundliche Aufnahme gedankt. Alex Demirovic, Frankfurter Institut für Sozialforschung, stellte auf der Tagung unter Bezugnahme auf eine empirische Untersuchung zur politischen Einstellung von Studierenden an hessischen Hochschulen fest, daß sich Ausdifferenzierungen studentischer Teilmilieus beobachten lassen (Demirovic/ Paul 1996). So bewegt sich das politische EngagementderStudentlnnen zwischen linkerBasisdemokratie und einem belegbaren Rechtsruck. Jenseits dieser Teilmilieus skizzierte Demirovic das B i l d einer Studentinnenschaft, in der trotz einer Vielzahl von Protestanlässen Resignation vorherrscht. B e i den von den Befragten angegebenen Gründen, sich nicht (mehr) politisch zu engagieren, spielt der Faktor 'Zeit' die wichtigste Rolle. Hinzu kommt das Wissen um die Wirkungslosigkeit eines Engagements als negative Lernerfahrung aus vormaligen Bewegungszusammenhängen. JuliaTieke bestätigte am B eispiel des Heidelberger Studentinnen-Streiks 1996, daß nur wenige, in Institutionen eingebundene Studierende politisch teilhaben. S iehe hierzu den ausführlichen Artikel von Roland Roth im vorliegenden Heft. Desweiteren die grundlegenden Arbeiten von Piven/Cloward 1977; 1986; 1991. Zur Mobilisierungsfähigkeit der Erwerbslosen und den Möglichkeiten einer politischen Aktivierung siehe die Beiträge von Friedhelm Wolski-Prenger und Harald Rein im Hauptteil mit weiteren Literaturhinweisen. Schätzungen sind gerade im Falle der Obdachlosen hochgradig unsicher, da sie sich selbst - aufgrund von Scham oder Mißtrauen - einer offiziellen Registrierung entziehen (Martin 1997:3). Die auffälligste 'Mobilisierung' läßt sich im Bereich der Obdachlo2 A m B e i s p i e l der A r b e i t des 'Vereins zur F ö r d e rung der Integration Behinderter' plädiert E r i c H a m m a n n f ü r eine ' K u l t u r der Gleichheit in der Verschiedenheit'. Selbstorganisierte am- bulante Dienste, die ihre A r b e i t zwischen den sektorspezifischen L o g i k e n von M a r k t , Staat und P r i v a t s p h ä r e ausbalancieren m ü s s e n , versteht er als eine institutionelle Komponente der Z i v i l g e s e l l s c h a f t . D e r traditionellen B e hindertenhilfe, die sich durch b ü r o k r a t i s c h rationelle Problemparzellierung charakterisieren läßt, setzen selbstorganisierte ambulante Dienste eine Alternative entgegen, die H i l f e demokratisch und human organisiert, R a u m für individuelle Entfaltungsspielräume öffnet und die B i l d u n g neuer, ( f a m i l i e n - ) u n a b h ä n giger S o l i d a r f o r m e n e r m ö g l i c h t . Sie z i e l e n darauf, den Behinderten selber in die L a g e z u versetzen, Entscheidungen ü b e r Ziele, A k t e u re und zeitliche Schritte der U n t e r s t ü t z u n g zu f ä l l e n . D i e s setzt aber auch ein gewandeltes V e r s t ä n d n i s der institutionalisierten H i l f e und 1 4 ein demokratischeres Verständnis helfender Beziehungen voraus. Erst hierdurch kann das soziale Konstrukt ' B e h i n d e r u n g ' und die korrespondierende Marginalisierung der Betrof- fenen ü b e r w u n d e n werden. Michael Hasse/Ludger Klein/Ansgar 5 Klein FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1 9 9 7 senpresse ausmachen (Honigschnabel 1996: 87ff). Die einzelnen Publikationen unterscheiden sich sowohl in Basisbezug, Kommerzialisierungsgrad und Zielgruppenorientierung als auch in bezug auf die (redaktionelle) Beteiligung von Obdachlosen erheblich. In der Bundesrepublik wird dieses Thema - anders als die Diskussionen um die Straßenkinder in der 'DrittenWelt' - erstallmähIichwahrgenommen(z.B. Jogschies et al. 1995; Institut für soziale Arbeit 1996). Die Auseinandersetzungen werden auch häufig unter dem Label der 'underclass', in Anlehnung an die US-amerikanischen Diskussionen geführt: siehe z.B. das Themenheft der Zeitschrift BerlinerDebatte I N I T I A L 5/1995, 1 und Howald 1992. Siehe den Beitrag von Eric Hammann in diesem Heft und bspw. Jürgmeier 1992; Sierck 1994. ' D e r sozial wissenschaftliche Begriff der Marginalität beruht auf den Arbeiten von Robert E . Park (1928), der unter Berufung auf den Exkurs von Georg Simmel (1968: 509ff) zum Fremden vom marginal man spricht. "' Dabei sollte nicht übersehen werden, daß marginalisierte Gruppen ihre Anliegen z.T. durchaus selbstbewußt vertreten und sich in ihrem Selbstverständnis auch als soziale Bewegungen (etwa die 'Krüppel-' oder Teile der 'Arbeitslosenbewegung') verstehen. " Dies hat Sonja Kemnitz auf der Tagung sehr deutlich am Beispiel der Berliner Obdachloseninitiative Motz e.V. herausgearbeitet. Themen- und sachverhaltsimmanente Defizite, so Susann Burchhardt, Wissenschaftszentrum Berlin, können zu einer Beeinträchtigung der Protest- und Bewegungsfähigkeit einer Problemlageführen. Die Konkretheit eines Themas begünstigt 'handliche Schuldzuweisungen' und die Ausbildung entsprechender Handlungsrahmen. Diesem Thema wird sich die Forschungsgruppe auf der kommenden Jahrestagung widmen. Siehe hierzu die Ankündigung im Anschluß an das Editorial. 6 7 8 12 M Literatur Basaglia, Franca/FrancaBasaglia-Ongario 1972: Die abweichende Mehrheit. Die Ideologie der totalen sozialen Kontrolle. Suhrkamp: Frankfurt/M. Beck, Ulrich 1986: Risikogesellschaft. A u f dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp: Frankfurt/ M. Brand, Karl Werner 1982: Neue soziale Bewegungen. Entstehung, Funktion und Perspektive neuer Protestpotentiale. Eine Zwischenbilanz. Westdeutscher: Opladen. Butterwegge, Christoph 1996: Armutskarrieren. Neue Tendenzen der Armutsforschung. 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November 1997 D i e D i s k u s s i o n u m die ' K r i s e des Sozialstaats' ist fast so alt wie der Sozialstaat selbst. In der aktuellen sozialpolitischen Auseinandersetzung konkurrieren Deregulierungsstrategien mit den vermeintlich neuen Konzepten des ' W o h l f a h r t s m i x ' und 'Wohlfahrtspluralismus'. So stellt sich die Frage, ob sich die Bundesrepublik v o m Sozialstaat zur Wohlfahrtsgesellschaft entwickelt (siehe Forschungsjournal 3/95 zur Kommunitarismus-Debatte). Dabei geht es i m Rahmen der Tagung weniger u m die Nachfrageseite als vielmehr u m die A n a l y s e der Angebots- und Akteursseite der Wohlfahrtsproduktion mit den entsprechenden Handlungs- und Systemlogiken. Das zentrale A u g e n m e r k gilt daher der A n a l y s e der E i n f l u ß m ö g l i c h k e i t e n klassischer i n t e r m e d i ä r e r Akteure sowie sozialer Bewegungen, bewegungsaffiner Selbsthilfegruppen, Initiativen und Projekte. A u c h das konkurrierende und/oder k o m p l e m e n t ä r e Verhältnis der vier Segmente der Wohlfahrtsproduktion - informeller Sektor, Dritter S e k t o r / i n t e r m e d i ä r e r B e r e i c h , M a r k t und Staat - soll vor diesem Hintergrund ausgeleuchtet werden. H i e r stellt sich auch die Frage nach staatsverordneter V e r p f l i c h t u n g sowie neuer Engagements- und M o b i l i s i e r u n g s f o r m e n . Das Einleitungsreferat soll in die zentrale B e g r i f f l i c h k e i t von Sozialstaat, Wohlfahrtsstaat und neuere sozialpolitische Konzepte einfuhren. N a c h diesem auf die Bewegungsrelevanz verweisenden Beitrag sollen in Einzelreferaten der Stand und das Entwicklungspotential der traditionellen und alternativen Anbieter herausgearbeitet werden. E i n zweiter B l o c k widmet sich a u s g e w ä h l t e n Fallbeispielen. So sollen innovative Konzepte innerhalb der kirchlichen Kooperationsringe, Wohlfahrtsverbände, das Modellprogramm die privat initiierten lokalen Seniorenbüros und die Tausch- und Freiwilligenagenturen vorgestellt werden. In einem a b s c h l i e ß e n d e n S t r e i t g e s p r ä c h werden die Positionen g e b ü n d e l t und die Ergebnisse der Fallstudien z u s a m m e n g e f a ß t : Fragen der Deregulierung und Privatisierung werden dabei ebenso zentral sein wie die M ö g l i c h k e i t e n einer neuen Sozialstaatlichkeit. A u s a u s g e w ä h l t e n Referaten der Tagung w i r d sich H e f t 2/1998 des Forschungsjournals Neue Soziale Bewegungen zusammensetzen. Wer Interesse hat, einen Tagungsbeitrag beizu- steuern oder als Teilnehmerin mitzudiskutieren, ist herzlich eingeladen, sich bei folgender Adresse zu melden: F o r s c h u n g s j o u r n a l Neue Soziale Bewegungen • M i c h a e l Hasse • Dorotheenstr. 53111 B o n n • fon & pc-fax: (0228) 696243 • e M a i l : atze.dc@t-online.de 85 • 13 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 Christian Welzel Die ostdeutsche Bürgerbewegung als Gegenelite 1 Fragestellung terstellt, es sei f ü r ein I n d i v i d u u m leichter, eine vorhandene K a p i t a l f o r m i n eine andere D i e Besetzung hochrangiger ö f f e n t l i c h e r Ä m - zu konvertieren als neues K a p i t a l zu erwer- ter durch ehemalige D D R - B ü r g e r hält b e s t ä n - ben. Ü b e r t r a g e n auf R e g i m e w e c h s e l f ü h r t dies d i g D i s k u s s i o n e n i n G a n g , die v o n Stereoty- zu der S c h l u ß f o l g e r u n g , d a ß bisher p r i v i l e - pen beherrscht werden. gierte G r u p p e n eine g r ö ß e r e Chance Stereotyp ist b e i - haben, spielsweise die Vorstellung, die attraktivsten sich in der Neuelite z u etablieren, als jene Ä m t e r in den neuen B u n d e s l ä n d e r n gerieten Gruppen, die i m ancien regime depriviert w a - wieder in die H ä n d e tradierter D D R - S e i l s c h a f - ren (vgl. B o u r d i e u 1991; Hankiss 1991; Sta- ten, w o d u r c h die B ü r g e r b e w e g u n g um die niszkis 1991; M a t e j u / R e h a k o v a 1993; W a s i - F r ü c h t e ihrer Revolution betrogen werde. A b - lewski 1994; H i g l e y et al. 1996). F ü r die ost- seits derart moralischer Bewertungen deutsche N a c h - W e n d e - E l i t e w ü r d e das bedeu- bleibt es indes eine empirische Frage, ob sich das ten, d a ß sich die Rekrutierungsgruppen Rekrutierungsreservoir der ostdeutschen Eli- D D R - E l i t e am besten z u behaupten vermoch- mit d e m R e g i m e w e c h s e l nicht doch ver- ten. Z u r P r ü f u n g dieser These m u ß bekannt te 2 lagert hat. Konnten sich die Rekrutierungs- sein, gruppen der alten D D R - E l i t e (Reproduktions- D D R - E l i t e aufwies. welche Rekrutierungsmerkmale der die these) oder jene der g e g e n e l i t ä r e n B ü r g e r b e wegung besser behaupten Diese Fragestellung sucht (Transitionshese)? der Unter den biologischen Rekrutierungsmerk- vorliegende malen v o n A l t e r und Geschlecht f a l l e n der Beitrag anhand der Potsdamer Elitenstudie zu geringe Frauenanteil von 5 Prozent und das beantworten. hohe Durchschnittsalter von rund 62 Jahren 1 onsniveau der D D R - E l i t e war f ü r die F ü h - ins A u g e (Derlien 1996: 28). Das Q u a l i f i k a t i - 1.1 Mögliche Rekrutierungsbasen der ostdeutschen Elite Die Reproduktionsthese rungsschicht eines hochindustrialisierten L a n des a u f f a l l e n d gering: N a c h den Daten der D D R - L e b e n s verlaufsstudie haben nur 12 P r o - N a c h der Reproduktionsthese Zuge eines k o m m t es i m Regimewechsels zu keiner zent aller Leitungskader einen H o c h s c h u l a b s c h l u ß als h ö c h s t e Q u a l i f i k a t i o n angegeben wesentlichen Verlagerung des Rekrutierungs- ( a u s f ü h r l i c h e r hierzu W e l z e l reservoirs mit Meyers (1992) Auswertungen hatten i n der der E l i t e n . D i e s läßt sich 1997a). N a c h Bourdieus Theorie der K a p i t a l f o r m e n b e g r ü n - D D R - E l i t e 1981-89 nur 17 bis 18 Prozent e i - den, die z w i s c h e n ö k o n o m i s c h e m , sozialem nen H o c h s c h u l a b s c h l u ß als h ö c h s t e b e r u f l i - und kulturellem K a p i t a l differenziert und un- che Erstqualifikation aufzuweisen (Meyer FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2. 1997 1992: 140). D e r A n t e i l der E l i t e a n g e h ö r i g e n , kation eine untergeordnete R o l l e g e g e n ü b e r die einen H o c h s c h u l a b s c h l u ß auf dem z w e i - dem linientreuen politischen Engagement ge- ten B i l d u n g s w e g erwarben, lag mit ca. 50 P r o - spielt habe (Endruweit zent ( D e r l i e n 1996: 28) zwar beträchtlich dar- Sterbling 1993). M i t der Bildungsexpansion über, d o c h belegt dies nur, d a ß i n U m k e h - ziehen sozialistische Regimes f o l g l i c h ihr e i - rung der Rekrutierungsmodi entwickelter G e - genes Gegenelitenreservoir sellschaften eine wissenschaftliche Q u a l i f i - sich mit einem demokratischen R e g i m e w e c h - kation auf das Folge sel dann die Rekrutierungsbasis der E l i t e verlagert ( a u s f ü h r l i c h e r W e l z e l 1997b; v g l . eben- handenen akademischen Q u a l i f i k a t i o n e n b i l - so K o n r a d / S z e l e n y i 1991; B a y l i s 1994; D i e - deten die A b s o l v e n t e n eines wald/Sorensen der sondern heran, 1991; des Eintritts i n die E l i t e war. Unter den vor- an nicht Voraussetzung, 1987; A d l e r Parteistudiums SED-Hochschule in tionskategorien allen größte M i t ihrem F o k u s auf die Intelligenz bleibt die G r u p p e (Schneider 1994: 84, 175) mit A n t e i - Transitionsthese zwar relativ unscharf, doch len zwischen 17 Prozent ( Z K - M i t g l i e d e r ) und bietet gerade diese O f f e n h e i t w i c h t i g e A n - 50 SED- s c h l u ß s t e l l e n an die D e m o k r a t i s i e r u n g s f o r - Bezirksleitungen). Es folgten die Absolventen schung. D i e gedankliche B r ü c k e läßt sich Prozent der D D R - E l i t e (Erste die 1994). Posi- Sekretäre der wirtschafts-, gesellschafts- und staatswissen- ü b e r die A n n a h m e herstellen, das v o n der juristischer) A b - Transitionsthese behauptete Gegenelitenreser- s c h l ü s s e , die meist nicht an einer r e g u l ä r e n voir sei identisch mit den v o n der D e m o k r a - schaftlicher Hochschule, (inklusive sondern A k a d e m i e erworben einer wurden. besonderen Sektoral be- tisierungsforschung als besonders typisch identifizierten T r ä g e r g r u p p e n v o n D e m o k r a - trachtet f ü h r t e der Weg in die D D R - E l i t e ü b e r tisierungsprozessen. eine hauptamtliche Karriere i n den Parteiap- aber sind das? Welche Trägergruppen paraten, den Apparaten der Massenorganisationen oder in den bewaffneten Organen (vgl. M e y e r 1992: 161). Nach der traditionellen Mittelschichtthese sind demokratische T r ä g e r g r u p p e n i n erster Linie im selbständigen bürgerlichen Mittel- 1.2 Die Transitionsthese stand z u finden ( D a h l 1973; L i p s e t 1981). Im Kontext sozialistischer Gesellschaften fällt je- D i e Transitionsthese geht davon aus, d a ß mit doch der b ü r g e r l i c h e Mittelstand als K a n d i - einem R e g i m e w e c h s e l eine U m v e r t e i l u n g der dat des demokratischen k o m p a r a t i v e n Plazierungschancen zwischen aus. D a m i t r ü c k e n andere soziale Segmente verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen er- in den Mittelpunkt. U n d das sind dieselben, folge. F ü r die E l i t e n bedeute dies eine v e r ä n - die i n der j ü n g e r e n derte soziale Z u s a m m e n s e t z u n g schung als E i n z u g s f e l d neuer sozialer zugunsten Gegenelitenreservoirs DemokratisierungsforBewe- bislang deprivierter Gruppen. gungen Theoretisch stellt die Transitionsthese auf die Demokratierelevant sind deren T r ä g e r g r u p p e n betrachtet werden ( f ü r sozialistische Gesellschaften z . B . K n a b e 1988; Szabo 1991). Rekrutierungsmechanismen aufgrund ihrer postmaterialistischen Wertori- sozialistischer Regimes ab. Sie h ä t t e n eine D e - entierungen, die auf die Institutionalisierung eigentümlichen privation der wissenschaftlichen 3 Intelligenz erweiterter demokratischer M i t s p r a c h e - und manifestiert, weil f ü r die Rekrutierung von Selbstbestimmungsmöglichkeiten F ü h r u n g s p e r s o n a l das K r i t e r i u m der Q u a l i f i - Sozialstrukturell gelten diese T r ä g e r g r u p p e n abzielen. 15 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 Wilhelm Bürklin Zur Potsdamer Elitestudie 1995 D i e 'Potsdamer Elitestudie' von 1995 ist die erste gesamtdeutsche nach der Wiederverei- deutschland, i n die gesamtdeutsche Elite aufzusteigen? nigung i m Jahre 1990. Sie k n ü p f t konzeptionell an die bundesdeutsche Tradition der Angestrebt war eine Vollerhebung der deut- empirischen E l i t e f o r s c h u n g an und soll durch schen F ü h r u n g s s c h i c h t , die mit H i l f e des Po- den Vergleich mit den V o r l ä u f e r s t u d i e n von sitionsansatzes 1968, 1972 und 1981 einen Beitrag z u m bes- d a ß unter dem B e g r i f f der E l i t e der Perso- seren V e r s t ä n d n i s des Wandels der deutschen nenkreis g e f a ß t wurde, der r e g e l m ä ß i g E i n - D e m o k r a t i e leisten. Zuletzt i n der 'Mann- f l u ß auf gesamtgesellschaftlich wichtige E n t - heimer Elitestudie' von 1981 war als eine scheidungen nehmen kann. In modernen G e - der G r u n d l a g e n f ü r das Funktionieren der sellschaften ist M a c h t ü b e r w i e g e n d institu- bundesdeutschen Elite- tionalisiert, das heißt, an F ü h r u n g s p o s i t i o n e n geeinten gebunden. In dieser L o g i k wurden die insge- E l i t e ' identifiziert worden. In dieser F o r m samt 3.941 Inhaber der h ö c h s t e n F ü h r u n g s - sind positionen gesellschaftlich zentraler Demokratie eine struktur i n F o r m der 'konsensual die verschiedenen gesellschaftlichen Interessen mit ihren widerstreitenden Zie- identifiziert wurde. Das heißt, Institu- tionen und Organisationen a u s g e w ä h l t . len r e p r ä s e n t i e r t , gleichzeitig aber in einem kooperativen Netzwerk integriert. Im R a h m e n des D F G - g e f ö r d e r t e n Projekts wurden von I N F R A T E S T B U R K E ( M ü n c h e n ) Vor diesem Hintergrund richtet sich das ana- 2.341 Interviews realisiert. Erste Ergebnisse lytische Interesse der 'Potsdamer Elitestu- wurden auf einem S y m p o s i u m an der U n i - die' p r i m ä r auf die Frage, ob diese 'konsen- versität Potsdam präsentiert und sind i n der sual geeinte E l i t e ' fortbestehen w i r d . W i e gut Broschüre sind die E l i t e n der neuen L ä n d e r i n das ge- deutschen samtdeutsche D i e B r o s c h ü r e kann b e i m A u t o r angefordert integriert? kooperative In w e l c h e n Elitennetzwerk Wertorientierungen und p o l i t i s c h e n Z i e l p r i o r i t ä t e n unterschei- den sich die E l i t e n ost- und westdeutscher „Kontinuität und Führungsschicht" Wandel der dokumentiert. oder ü b e r das Internet abgerufen werden (http://enterprise.rz.uni.potsdam.de/u/elitepro/index.htm). H e r k u n f t ? W e l c h e A u s w i r k u n g e n hatte der Systemwandel auf die Rekrutierung der bei- Wilhelm den Teileliten? W e l c h e Chancen hatten die schaftschaftlicher Leiter der Studie und S o - f r ü h e r e n S E D - E l i t e n , welche die M i t g l i e d e r zialwissenschaftlichen F a k u l t ä t der U n i v e r - Bürklin ist Professor an der W i r t - der Oppositionsbewegung in Ostdeutschland sität Potsdam und wissenschaftlicher L e i t e r und der Neuen Sozialen Bewegungen in West- der Potsdamer Elitestudie. mam als FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFI 2 . 100" i n den Nachaufbaugenerationen, den Jahren liegen. E i n B l i c k i n d i e Daten verrät der H u - jedoch, d a ß weder die Frauenquote noch das mandienstklasse sowie den T r ä g e r n nicht-eli- Durchschnittsalter der ostdeutschen E l i t e die tärer Erwartungen der Reproduktionsthese H o c h g e b i l d e t e n , den A n g e h ö r i g e n Erwerbspositionen verankert (Kriesi bestä- 1987; W e ß e l s 1991). D i e Entstehung und das tigen; D e r Frauenanteil liegt bei 30 Prozent Wachstum dieser sozialstrukturellen Gruppen und das Durchschnittsalter bei 47 Jahren. D a - verweist auf Modernisierungsprozesse, w i e bei sind gut drei Viertel der ostdeutschen E l i - die a l l g e m e i n e B i l d u n g s e x p a n s i o n und die te nach 1942 geboren und stammen somit aus T e r t i ä r i s i e r u n g , welche sich auch i n den ent- der Generation, deren politische Sozialisati- wickelteren on sozialistischen L ä n d e r n - na- i n d i e Z e i t nach 7 d e m E n d e der ent- mentlich der D D R , der C S S R , Ungarn und P o - behrungsreichen sozialistischen A u f b a u p h a s e len - in massiver F o r m zugetragen haben (vgl. f i e l . Im Kontext westlicher Gesellschaften ent- auch G e n s i c k e 1994). F ü r die D D R - G e s e l l - spricht das den Kohorten, die eine postmate- schaft kann die Grundmenge von A n g e h ö r i - rialistische Wertorientierung a u f w e i s e n . G e - gen der n i c h t - e l i t ä r e n Intelligenz und H u - genüber mandienstklasse D D R - E l i t e ist v o n einer deutlichen ' V e r w e i b - auf ca. 15 Prozent der er- der Z u s a m m e n s e t z u n g der alten w e r b s t ä t i g e n B e v ö l k e r u n g veranschlagt wer- lichung' und V e r j ü n g u n g der ostdeutschen E l i - den (Welzel 1997b). V o n daher besteht also te z u sprechen. D i e s bedeutet eine Verlage- g r u n d s ä t z l i c h die M ö g l i c h k e i t , d a ß sich i m rung der elitären Rekrutierungsbasis und so- Z u g e des Regimewechsels die Rekrutierungs- mit eine B e s t ä t i g u n g der Transitionsthese ge- basis der E l i t e auf diese sozialen Segmente messen an biologischen Gruppenmerkmalen. verlagert hat. Das entspricht auch der E r w a r t u n g einer meritokratischen Elitenrekrutierung, bei der biologische Unterschiede i n den Hintergrund r ü k - 2 Die tatsächliche Rekrutierungsbasis der ostdeutschen Elite 2.1 'Biologische' Rekrutierung ken. 2.2 Fachliche Rekrutierung Sollte die Reproduktionsthese zutreffen, dürfte der Frauenanteil in der ostdeutschen nicht w e s e n t l i c h ü b e r 5 Prozent Elite Nach der Reproduktionsthese w ä r e hinsicht- und das lich der Q u a l i f i k a t i o n der ostdeutschen Durchschnittsalter nicht wesentlich unter 6 0 Abb. I: Fachrichtung der akademischen Qualifikationen in wesl- und ostdeutscher Elite i 995: Prozent an Hochschulabsolventen SiaatsWiss Willst!) Wiss Niilur- + TeuhnikWiss. iy.v[I 44 J- is.« C SnzialWira, GeislesWiss. Theologie Journalistik Sonstige IJn.f. 1.1 L , . U 2 , 1 Elite zu erwarten, d a ß erstens der A k a d e m i k e r a n - ' • 11.4 IE3 • Wesl Osi k.l 11.7 [ZK.? Basis (n)-Wesl: 1528,-Ost: 210; Cnmier's V: .44 (gewichtet: .59); Datenbasis: Potsdamer Elilensludie 1995. FORSCHUNGSIOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 17 teil nicht wesentlich ü b e r 20 Prozent liegt, onsgruppen stattgefunden. Diese Beobachtung zweitens d a ß die vorhandenen A k a d e m i k e r unterstützt ebenfalls die Transitionsthese. ü b e r w i e g e n d ideologienahe A b s c h l ü s s e vorweisen und diese drittens an einer der besonders dogmatischen Parteihochschulen 2.3 Sektorale Rekrutierung oder A k a d e m i e n erworben haben. Nach der Reproduktionsthese müßte der g r ö ß t e Teil der ostdeutschen Elite eine hauptSchon die erste E r w a r t u n g m u ß z u r ü c k g e w i e - amtliche Karriere in den Apparaten der Par- sen werden, denn knapp 80 Prozent (215 von teien und Massenorganisationen sowie der a l l - 268 B e f r a g t e n ) haben einen H o c h s c h u l a b - gemeinen staatlichen Verwaltung oder der be- s c h l u ß erworben. D a hiervon nur 5 Personen waffneten Organe, somit also i m politischen an einer Parteihochschule oder A k a d e m i e stu- und den zentralen staatlichen Herrschaftssek- dierten, toren, durchlaufen haben. ist auch die dritte Erwartung z u r ü c k z u w e i s e n . A b b i l d u n g 1 zeigt d a r ü b e r und D i e Verteilung der Ostelite ü b e r die H e r - t e c h n i k w i s s e n s c h a f t l i c h e r S t u d i e n g ä n g e mit hinaus, daß die Absolventen natur- kunftssektoren 1988 (linke B a l k e n i n A b b i l - knapp 45 Prozent der studierten Ostelite die dung 2) widerlegt diese These. D i e relative s t ä r k s t e G r u p p e stellen. Staats- und w i r t - Mehrheit schaftswissenschaftliche Q u a l i f i k a t i o n e n sind Humandienstleistungsbereich dagegen k a u m vertreten. der Ostelite stammt aus dem gefolgt vom Wirtschaftsapparat. H i e r b e i handelt es sich u m die nach sachfremden K r i t e r i e n b e v o r m u n - Verglichen mit der D D R - E l i t e hat somit eine deten, p o l i t i s c h untergeordneten Verlagerung der Rekrutierungsbasis v o n sy- ren, in denen man sich noch a m ehesten auf- stemnahen grund auf systemneutrale Qualifikati- fachlicher Qualifikation Abb.2: Sektorale Verteilung der ostdeutschen Elite: I9KK und 1995 im Vergleich (Prozent) Basis (n) 1 9 « « : 2 5 6 ; Basis (n) 1995: 272: Datenbasis: Polsuamer Elilensludie 1995 Fachsektoetablieren FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 konnte. Diese stellen somit die typischen P o - P o s i t i o n s h ö h e die Reihenfolge 'Elite - obere sitionssektoren der ideologieneutral q u a l i f i - Subelite - untere Subelite - Professionen zierten Intelligenz. Subprofessionen - nicht E r w e r b s t ä t i g e ' auf- 2.4 Hierarchische Rekrutierung Welzel - weisen (zur D e f i n i t i o n der K a t e g o r i e n v g l . 1997a). In modernen Gesellschaften mit standardisier- A u s A b b i l d u n g 3 ist zu erkennen, d a ß auch ten Karrierestrukturen sind die Aufstiegschan- diese Vorstellung nicht mit den Daten i n E i n - cen in die E l i t e entlang der Positionshierar- klang steht. A m stärksten sind n ä m l i c h D D R - chie in Organisationen von oben nach unten Professionen, knapp gefolgt v o n der unteren gestaffelt. T r ä f e die Reproduktionsthese zu, d ü r f t e sich daran mit einem Regimewechsel Subelite der D D R , i n der heutigen repräsentiert. Beide zusammen Ostelite b i l d e n fast nichts wesentliches ä n d e r n . Das heißt, die Z u - zwei Drittel der Ostelite, wobei s o w o h l nach sammensetzung oben als auch nach unten ein der Ostelite m ü ß t e in ihrer S t ä r k e hinsichtlich der i n der D D R erreichten quantitativer Sprung z u erkennen ist. D e r Sprung nach oben Abb. 3: Positionshöhe der ostdeutschen Elite in der DDR 1988 (Prozent) Basis (n): 25h; Datenbasis: Pnlsüanier Elilenstudie 1995. Tab. I: Politische Gruppierung der heutigen ostdeutschen Elite in der D D R Fallzahl Prozent SED-Mitglieder 75 28,0 Blockparteimitglieder 47 17,5 Ungebundene 81 30,3 Oppositionelle 65 24,2 Summe 268 TÖÖ Datenbasis: Potsdamer Elitenstudie 1995 (zur oberen Subelite und Elite) verleiht der ditiert wurden. D e r Sprung nach unten (zu Tatsache A u s d r u c k , d a ß ehemalige S p i t z e n - den Subprofessionen) verdeutlicht, d a ß Q u a - vertreter v o n D D R - E i n r i c h t u n g e n , selbst w e n n l i f i k a t i o n und Professionalisierung zumindest diese nur auf K r e i s - oder Ortsebene bei angesie- delt waren, mit dem Regimewechsel diskre- einem demokratischen R e g i m e w e c h s e l als A u f s t i e g s f i l t e r w i r k s a m sind. Insgesamt ist FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 eine Verlagerung zur professionellen und stufen stellt sich geradewegs umgekehrt z u unteren s u b e l i t ä r e n Intelligenz z u verzeich- den Erwartungen der Reproduktionsthese dar. nen. Insofern ist auch die hierarchische R e - Besonders a u f f ä l l i g ist dabei der quantitative krutierung mehr durch transitorische als durch Sprung zwischen N i c h t - M i t g l i e d e r n und Par- reproduktive Tendenzen teimitgliedern ohne A m t einerseits gekennzeichnet. 2.5 Politische Rekrutierung z u den Abb. 4: Integration in Parteipolitik'. Heutige Ostelite vor der Wende (Fallzahlen) B e z o g e n auf die p o l i t i - ] 3 sche Rekrutierung m ü ß te sich die Ostelite der Reproduktionsthese zu- folge z u m weit ü b e r w i e genden T e i l aus ligen gefolgt ehema- SED-Mitgliedern, von teimitgliedern BlockparBasis (Ii): 2fiX; Datenbasis: Potsdamer Elilensludie iyy5. zusam- mensetzen. E h e m a l s O p positionelle oder Ungebundene sollten dagegen in der deutlichen Minderheit sein. amtstragenden Parteimitgliedern andererseits. Letztere haben ihre komparativen Karrierevorteile mit dem R e g i m e w e c h s e l o f f e n k u n - D i e Daten i n Tabelle 1 k ö n n e n diese E r w a r - dig e i n g e b ü ß t . tungen nicht b e s t ä t i g e n , denn mit zusammen 55 Prozent bilden Oppositionelle und U n g e - 2.6 Zwischenbilanz bundene die Mehrheit in der Ostelite. D a m i t hat sich die elitäre Rekrutierungsbasis auf po- Trotz ihrer relativ zu den Westdeutschen noch litische G r u p p e n verlagert, die zu D D R - Z e i - geringeren Aufstiegschancen m u ß mit B l i c k ten keine Chance hatten, in die E l i t e a u f z u - auf steigen. Indes ist keine v o l l s t ä n d i g e Verlage- Rekrutierungssieb der E l i t e g e s c h l ü p f t sind, rung festzustellen, da S E D - M i t g l i e d e r und eine deutliche Verlagerung der i n der D D R - Blockparteimitglieder mit zusammen 45 P r o - Gesellschaft zent i m m e r noch stark und i m Verhältnis zu konstatiert werden. Das gilt g l e i c h e r m a ß e n i n ihren ehemaligen B e v ö l k e r u n g s a n t e i l e n so- bezug auf qualifikatorische, sektorale, hier- gar ü b e r d u r c h s c h n i t t l i c h vertreten s i n d . In- sofern treffen w i r hier eine H y b r i d k o n f i g u r a - jene Ostdeutschen, archische das und politische Rekrutierungs- kriterien. A n h a n d dieser K r i t e r i e n zeichnet sich die positioneile lerdings dominant transitorischen elitenreservoirs an. durch zugeteilten A u f s t i e g s c h a n c e n tion aus R e p r o d u k t i o n und Transition mit alElementen die Verankerung der ab: die ideologieneutral sionelle und subelitäre Deutlicher treten die transitorischen E l e m e n - Intelligenz te bei Betrachtung der H ö h e v o n Parteifunk- che entweder tionen i n A b b i l d u n g 4 hervor. D i e Verteilung die parteipolitische der Ostelite ü b e r die einzelnen Hierarchie- war. des Gegen- DDR-Gesellschaft qualifizierte, klar profes- Humandienstleistungs- der Nachaußaugenerationen, wel- gar nicht oder nur marginal Machtzuteilung in integriert A u f g r u n d der r i g i d e n institutionellen FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1 9 9 7 Barrieren i n der D D R - G e s e l l s c h a f t war die- Demokratie in allen gesellschaftlichen B e r e i - ses Reservoir i n positionell sehr trennscharf chen' umrissenen Gesellschaftsbereichen eingekap- Outputstruktur bevorzugt sie eine selt. E s entspricht der bereits v o n L u d z (1968) logische beschriebenen 'institutionalisierten Gegeneli- den 'Schutz der U m w e l t ' , die 'Integration v o n te' und ist d a r ü b e r hinaus mit dem typischen A u s l ä n d e r n ' und die 'Sicherung des S o z i a l - E i n z u g s f e l d neuer sozialer staats' in den Vordergrund stellt. U n d als per- Bewegungen iden- gekennzeichnet Ausrichtung ist. H i n s i c h t l i c h der Staatstätigkeit, tisch. W i e i m folgenden zu sehen, w i r d das sönlichen Verhaltensmaßstab auch in einer Reihe typisch postmaterialisti- Angehörigen scher E i n s t e l l u n g e n der ostdeutschen Idealismus Elite deutlich. der sozial-öko- der ostdeutschen die schätzen Elite die einen hoch, bei dem es w i c h t i g ist, 'sich f ü r sozial benachteiligte G r u p p e n einzuset- z e n ' , 'anderen M e n s c h e n z u helfen' und 'sich 3 Postmaterialismus in der ostdeutschen Elite politisch zu engagieren'. Diese drei Wertedimensionen sind miteinan- Tabelle 2 gibt zu erkennen, d a ß die politi- der k o m p a t i b e l und b i l d e n A s p e k t e schen W e r t p r i o r i t ä t e n der ostdeutschen nochmals ü b e r g e o r d n e t e n Syndroms, das sich Elite stärker postmaterialistisch e i n g e f ä r b t sind als w i e d e r u m faktoranalytisch extrahieren jene der westdeutschen Elite. Das gilt s o w o h l als (erweiterte) Neue Politik-Dimension f ü r die B e w e r t u n g des politischen Regimes zeichnen l ä ß t . eines und kenn- 5 i m Input- und Outputbereich als auch f ü r die persönlichkeitsorientierten Wertpräferenzen, 4 Fazit denn auf diesen drei Faktoren besitzt die ostdeutsche E l i t e h ö h e r e scores als die westdeut1 D i e A n g e h ö r i g e n der ostdeutschen E l i t e w a - sche Elite." H i n s i c h t l i c h der Inputstruktur des ren vor der Wende zu i m m e r h i n einem V i e r - politischen R e g i m e s präferiert die ostdeutsche tel, aber g l e i c h w o h l nicht mehrheitlich i n der E l i t e ein partizipatives B ü r g e r b e w e g u n g aktiv (vgl. Tab. 1). D a s war Demokratiemodell, das durch die ' E i n f ü h r u n g von Volksbegehren und auch nicht zu erwarten i n einem a u t o r i t ä r e n Volksentscheiden' sowie die 'Realisierung der R e g i m e , das der M o b i l i s i e r u n g p o l i t i s c h e n Tab. 2: Unterschiede zwischen Ost- und Westelite in den progressiven Dimensionen politischer Wertpräferenzen: Mittelwerte von Faktorscores Progressive Dimensionen politischer Wertpräferenzen Regimebewertung-Input: Partizipati ve Demokratie Regimebewertung-Output: Sozial-ökologische Staatstätigk. Persönlicher Verhaltensmaßst.: Idealismus Meta-Dimension: Neue Politik (erweitert) Datenbasis: Potsdamer Elitenstudie 1995. Westelite Ostelite Eta -.08 .58 .22 -.06 .46 .17 -.08 .60 .22 -.09 .71 .26 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , Jo. 10, HEFT 2, 1997 Dissenses massive Repressionsdrohungen entgegensetzte. D e n n o c h besitzt die ostdeutsche tionen in Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Medien, Verbänden, Militär und Kirchen verstanden. Unter der wissenschaftlichen Intelligenz sind i m folgenden die Absolventen eines Hochschulstudiums zu verstehen. Die Faktoren, auf die sich die scores beziehen, wurden aus unterschiedlichen Variablen extrahiert, nämlich einer Frage zum Demokratieverständnis, zur gewünschten Ausrichtung der Staatsaktivitäten und zu den persönlichen Wertvorstellungen. Jede dieser Fragen enthielt eine Batterie von items, zu denen die Befragten ihre Zustimmung auf einer mehrstufigen Skala einstufen konnten. Im Text sind die items, die hoch auf den Faktoren laden, kurz genannt (ausführlich Welzel 1997b). Alle Faktorscore-Variablen, die sich aus den Faktoranalysen zu den oben beschriebenen Variablen extrahieren ließen, wurden ihrerseits nochmals einer Faktoranalyse unterzogen. Dabei zeigte sich, daß die drei oben berichteten Einzelfaktoren wiederum auf eine gemeinsame Meta-Dimension reduzierbar sind, die sich als (erweiterte) Neue Politik-Dimension kennzeichnen läßt. Erweitert deshalb, weil hier mehr Variablen berücksichtigt sind als im ursprünglichen Neue Politik-Konzept von Baker et al. (1981). 3 E l i t e sozial-strukturelle und -kulturelle C h a rakteristika, die f ü r neue soziale Bewegungen typisch sind. E s handelt sich insofern u m die 4 A n g e h ö r i g e n eines blockierten B e w e g u n g s reservoirs, das erst i m Z u g e der Wende p o l i tisch aktiv werden konnte. D a b e i w i r d am ostdeutschen Transitionsbeispiel auch deutlich, d a ß zumindest in demokratischen U m b r ü c h e n vor allem die f ü r neue soziale Bewegungen typischen G r u p p e n mobilisiert werden und in die E l i t e aufsteigen. D i e heutige Z u s a m m e n setzung der ostdeutschen E l i t e reflektiert v o n daher noch die Ausnahmesituation des U m bruchs. M i t zunehmender zeitlicher Distanz zu dieser einmaligen Z ä s u r ist daher eine A n gleichung an die Zusammensetzung der westdeutschen E l i t e z u erwarten. Christian Welzel ist Politikwissenschaftler und arbeitet a m Wissenschaftszentrum B e r l i n f ü r S o z i a l f o r s c h u n g ( W Z B ) , Schwerpunkt Transformationsprozesse in postsozialistischen 5 Ländern. Anmerkungen 1 Der Beitrag stützt sich auf die Potsdamer Elitenstudie 1995, der ersten gesamtdeutschen und sektorübergeifenden sowie als Vollerhebung angesetzten Elitenbefragung in der Bundesrepublik Deutschland. B e i einer Rücklaufquote von knapp 60 Prozent (n=2.341) sind ehemalige DDR-Bürger zu knapp 12 Prozent (n=272) in der Elite vertreten. Sie besetzen etwa 60 Prozent der in den neuen Bundesländern angesiedelten Elitepositionen. Wenn im folgenden von Ostdeutschen die Rede ist, dann sind damit Ostdeutsche nach Herkunft, also die ehemaligen DDR-Bürger in der bundesdeutschen Elite gemeint. Zu weiteren Einzelheiten der Erhebung vgl. 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Dabei kann man sondern erst in dem M o m e n t , da sich diese Probleme kennzeichnen Diskrepanz i m Vergleich zu dem, was andere als „Diskrepanzen z w i s c h e n I s t - Z u s t ä n d e n und S o l l - Z u s t ä n d e n " entbehren m ü s s e n , v e r g r ö ß e r t . Dieses (Gerhards zept arbeitet somit mit z w e i Diskrepanzen v o n 1992: 310): M a n erwartet etwas, Kon- was der F a l l sein s o l l , sieht sich aber ent- S o l l - und I s t - Z u s t ä n d e n , z u m einen mit der t ä u s c h t in dem, was der F a l l ist. Insofern kann Feststellung einer absoluten man ein P r o b l e m auch als die E n t t ä u s c h u n g nur auf die E n t t ä u s c h u n g der eigenen E r w a r - einer Erwartung definieren. L ä ß t sich nun die tungshaltung bezogen ist, z u m anderen mit E n t t ä u s c h u n g dieser Erwartung auf eine Ent- der Feststellung einer relativen scheidung anderer zurechnen, hätten w i r es die auf einen Vergleich der eigenen E r w a r - mit einem sozialen P r o b l e m zu tun. U n d w i r d t u n g s e n t t ä u s c h u n g mit der anderer abzielt. s c h l i e ß l i c h noch die Verantwortung f ü r diese U n d erst, wenn in der eigenen E i n s c h ä t z u n g Entscheidung eingeklagt, verbunden mit der andere weniger entbehren m ü s s e n als man A u f f o r d e r u n g , diese Entscheidung zu revidie- selbst, w i r d dies als so ungerecht e m p f u n - ren, handelt es sich u m Protest ( H e l l m a n n den, d a ß die kritische S c h w e l l e v o n Erleben 1994). Protest ist somit der Versuch, auf P r o - zu Handeln, also von A p a t h i e z u Protest, über- bleme aufmerksam z u machen und sie zu l ö - schritten w i r d . Deprivation, die Deprivation, sen. D a b e i kann Protest ebenso von einzelnen w i e v o n mehreren Personen artikuliert werden. W e n n jedoch mehrere, mitunter sogar sehr viele Personen gemeinsam protestieren, sprechen w i r v o n M o b i l i s i e r u n g , und verf ü g e n diese Personen untereinander noch ü b e r eine k o l l e k t i v e Identität f ü r das, was sie tun, von sozialer B e w e g u n g . Geht man von diesem Konzept aus, m ü ß t e n vor allem jene am ehesten zu Protest neigen, die am meisten unter relativer D e p r i v a t i o n l e i den. D a v o n gibt es aber jede M e n g e , man denke nur an Arbeitslose, A r m e , Obdachlose, A l t e , Behinderte oder A u s l ä n d e r . Im Vergleich z u dem, was andere Leute haben, die i n B r o t und A r b e i t stehen oder j u n g , gesund und Deut- In der Bewegungsforschung w i r d der Versuch, sche sind, entbehren diese M e n s c h e n ein be- Protest auf Probleme z u r ü c k z u f ü h r e n , vor al- t r ä c h t l i c h e s M a ß an L e b e n s q u a l i t ä t - z u m i n - lem mit dem Konzept Depriva- dest aus Sicht derer, die nicht betroffen sind. tion verbunden (Gurr 1972). Danach neigen der relativen G l e i c h w o h l ist auch o f f e n s i c h t l i c h , d a ß gera- M e n s c h e n nicht schon dann z u Protest, wenn de diese M e n s c h e n selten ö f f e n t l i c h prote- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 stieren, auf die S t r a ß e gehen und ihr Recht Konzept der relativen Deprivation also auch auf m e n s c h e n w ü r d i g e L e b e n s u m s t ä n d e e i n - weiterhin G e l t u n g z u , nur eben mit einge- klagen. Statt dessen w i r d die Proteststatistik s c h r ä n k t e r Reichweite. ü b e r w i e g e n d v o n Personen bestimmt, denen es weitaus besser geht als den 'Randgruppen U m das Verhältnis von G e l t u n g und R e i c h - in der modernen weite dieses Konzepts genauer z u bestimmen, Gesellschaft' ( F ü r s t e n b e r g 1965). Bedeutet dies, d a ß das Konzept e m p i - liegt es nahe, das g r ö ß t e H a n d i c a p dieses K o n - risch unzutreffend ist, auch wenn es analy- zepts in Augenschein zu nehmen. D i e s be- tisch bestechende Ü b e r z e u g u n g s k r a f t besitzt? steht darin, d a ß jene, die dem K o n z e p t nach am ehesten A n l a ß zu Protest h ä t t e n , es am D i e D i s k u s s i o n u m die L e i s t u n g s f ä h i g k e i t , seltensten tun. In den folgenden Ü b e r l e g u n - aber auch Leistungsgrenzen dieses Konzepts gen w i r d es deshalb darum gehen, sich z u m haben schon v o r Jahrzehnten einen ü b e r die Geltung zur E n t w i c k - des Konzepts, d.h. ge- lung konkurrierender E r k l ä r u n g s a n g e b o t e ge- sellschaftstheoretisch ü b e r jene z u v e r s t ä n d i - f ü h r t , die letztlich jedoch k o m p l e m e n t ä r ar- gen, die berechtigten A n l a ß haben, die mit beiten: N u r i m Z u s a m m e n s p i e l der unter- Sicherheit g r ö ß t e absolute, schiedlichen E r k l ä r u n g s a n s ä t z e kann es ge- sogar g r ö ß t e relative möglicherweise Deprivation f ü r sich i n lingen, das P r o t e s t p h ä n o m e n und die Entste- Anspruch zu nehmen. Z u m anderen gilt es, hung, E n t f a l t u n g und Erhaltung sozialer B e - die Reichweite wegungen v o l l s t ä n d i g v e r s t ä n d l i c h zu machen che zu ü b e r p r ü f e n , warum gerade diejenigen, (Neidhardt/Rucht 1993). Insofern kommt dem die dem K o n z e p t der relativen D e p r i v a t i o n des Konzepts, d.h. die Tatsa- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 25 nach am ehesten A n l a ß zu Protest haben, es nalität darin besteht, d a ß der 'marginal m a n ' a m seltensten tun. I m A n s c h l u ß daran geht es diese Grenzsituation gleich i n doppelter H i n - u m die Unterscheidung von sicht erfährt: i n bezug auf 'his past and his in Bewegung gen; Marginalisierten und Marginalisierten Bewegun- a b s c h l i e ß e n d erfolgt eine E i n s c h ä t z u n g traditions' und i n bezug auf 'the new society' ( „ t w o cultures and two societies"). z u k ü n f t i g e r Mobilisierungschancen von M a r ginalisierten. Das Verhältnis von K e r n und R a n d hat auch Herbert J . N i c k e l in seiner A r b e i t ü b e r ' D i e 2 Marginalität und Marginalisierung Campesinos zwischen M a r g i n a l i t ä t und Integration' zur Leitdifferenz G r u n d s ä t z l i c h bezeichnet Struktur, Marginalität eine während M a r g i n a l i s i e r u n g einen P r o z e ß beschreibt. U m dem P h ä n o m e n der gemacht, seiner Untersuchung nur d a ß N i c k e l mit der Unterscheidung ripherie systemtheoretisch von Zentrum und Pe- arbeitet ( N i c k e l 1971a: 140ff). D a - M a r g i n a l i s i e r u n g auch s o z i o l o g i s c h auf die nach beschreibt M a r g i n a l i t ä t den Status quo Spur z u k o m m e n , m u ß man jedoch einen U m - v o n Menschen, die an der Peripherie eines weg ü b e r den B e g r i f f der M a r g i n a l i t ä t neh- sozialen Systems leben, das ihnen den Z u - men, der erstmals 1928 mit einer A r b e i t von gang z u m Zentrum erschwert, wenn nicht ver- Robert E z r a Park ü b e r ' H u m a n M i g r a t i o n and wehrt. D a b e i äußert sich die D i f f e r e n z z w i - the M a r g i n a l M a n ' E i n g a n g in den soziologi- schen Zentrum und Peripherie f ü r N i c k e l v o r schen Sprachgebrauch fand, da der B e g r i f f allem in Kommunikationsproblemen der Pe- der M a r g i n a l i s i e r u n g fachintern bisher kaum ripherie, eigenständige lexikalische Berücksichtigung tun haben, der F ä h i g k e i t zur komplexen K o m - gefunden hat. munikation, dem Tempo der Informationsver- Park z u f o l g e handelt es sich beim 'marginal ziehung in Entscheidungssituationen und an- m a n ' um „ a new type o f personality, namely, deren kommunikativen Kompetenzen ( N i c k e l die mit der D i c h t e der Kontakte z u mittlung, dem M a n g e l an W i s s e n , der E i n b e - a cultural hybrid, a man l i v i n g and sharing 1971a: 155 ff; D a m s 1970: 13; G o e t z e / B e n n - intimately i n the cultural l i f e and traditions holt-Thomsen 1975: 8). 1 o f two distinct peoples; never quite Willing to break, even i f he were permitted to do so, In vielen Untersuchungen, die sich mit d e m with his past and his traditions, and not quite P h ä n o m e n der M a r g i n a l i t ä t vor allem i n der accepted, because of racial prejudice, i n the Dritten Welt b e s c h ä f t i g e n , ist die Unterschei- new society in w h i c h he now sought to f i n d a dung von Zentrum und Peripherie i m Sinne place." (Park 1950: 354) Im K e r n geht es also einer L e i t d i f f e r e n z i n Gebrauch, die weltge- um eine Grenzerfahrung, die jene machen, die sellschaftlich verankert w i r d und die Dritte genau auf der G r e n z e zwischen z w e i K u l t u - Welt als die Peripherie der westlichen Indu- ren verharren, w e i l sie nicht b l o ß in einer v o n striestaaten als dem Zentrum der Weltgesell- beiden leben k ö n n e n - das 'historische' und schaft begreift; M a r g i n a l i s i e r u n g beschreibt 'typische' S c h i c k s a l der Juden, so Park. Ent- d e m g e g e n ü b e r eine spezifische F o r m der A u s - scheidend ist, d a ß M a r g i n a l i t ä t - grenzung aus dem Zentrum und Verbannung wie Park w ö r t l i c h formulierte ( „ o n the margin") - eine an die Peripherie der Weltgesellschaft ( N i k - Grenzsituation bezeichnet, in der es um das k e i 1971b). B e s c h ä f t i g t man sich jedoch sy- Verhältnis stemtheoretisch von Kern und Rand geht, wobei das S p e z i f i s c h e an Parks B e g r i f f der M a r g i - mit M a r g i n a l i t ä t und M a r g i - nalisierung in der modernen Gesellschaft, bie- 26 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 tet es sich an, die Unterscheidung von Z e n - systemgesetzten Teilnahmebedingungen nicht trum und Peripherie durch die e r f ü l l t werden und die I n k l u s i o n m i ß l i n g t , von Inklusion und Exklusion Unterscheidung als Leitdifferenz v o n Exklusion spricht ( L u h m a n n 1994). zu ersetzen. Z u m einen w i r d dadurch der E i n druck vermieden, es g ä b e i n der modernen Dabei erstrecken sich Inklusion und E x k l u s i - Gesellschaft noch ein definitives Zentrum mit on z u g l e i c h auf die j e w e i l i g e f u n k t i o n s s y - 2 r ä u m l i c h klar lokalisierbarer P e r i p h e r i e , z u m stemspezifische Leistungs- und P u b l i k u m s r o l - anderen w i r d damit der kommunikative C h a - le, w i e sie beispielsweise f ü r P o l i t i k , W i r t - rakter betont, der der D i f f e r e n z von Inklusi- schaft, Erziehung, Recht und Wissenschaft i n on und E x k l u s i o n zugrunde liegt, und nicht der „ D i f f e r e n z von Obrigkeit und Untertan, zuletzt w i r d sich zeigen, d a ß sich M a r g i n a l i - von Produzent und Konsument bzw. V e r k ä u - tät und M a r g i n a l i s i e r u n g als E p i p h ä n o m e n e fer und K ä u f e r , von Lehrer und S c h ü l e r , von dieser D i f f e r e n z , n ä m l i c h als E x k l u s i o n s e f - Richter und Parteien [und] v o n Forscher u n d fekte beschreiben lassen. E m p f ä n g e r von Wissen" (Luhmann 1980b: 139) z u m A u s d r u c k k o m m e n . D e n n es ist 2.1 Inklusion und Exklusion ebenso m ö g l i c h , v o n einer Leistungsrolle v o r ü b e r g e h e n d oder dauerhaft - - ausgeschlos- D i e moderne Gesellschaft ist p r i m ä r f u n k t i o - sen z u werden, etwa durch Arbeitslosigkeit, nal differenziert. D a b e i bezeichnet f u n k t i o - wie von einer Publikumsrolle, etwa durch Z a h - nale D i f f e r e n z i e r u n g die A u f f ä c h e r u n g der l u n g s u n f ä h i g k e i t . Fragt man daher nach den modernen G e s e l l s c h a f t in f ü r e i n a n d e r glei- funktionssystemspezifischen M ö g l i c h k e i t s b e - Teilsysteme: gleich, als die- dingungen f ü r Inklusion und E x k l u s i o n , m u ß che wie ungleiche se Teilsysteme allesamt eine gesamtgesell- s c h a f t l i c h relevante wahrnehmen, Funktion und zugleich ungleich, als diese Funktionen man zuerst einmal die spezifische K o n s t e l l a tion von Leistungs- und P u b l i k u m s r o l l e n f ü r jedes einzelne Funktionssystem berücksich- j e w e i l s andere sind, wie Erwartungssicherheit, tigen, das jeweils andere A n f o r d e r u n g e n an Erkenntnisgewinn die eigenen Leistungs- und P u b l i k u m s r o l l e n oder Bedürfnisbefriedi- gung. Insofern ist die M u l t i f u n k t i o n a l i t ä t vor- ausgibt (Stichweh 1988). moderner Gesellschaften durch die A u s d i f f e renzierung der E i n z e l f u n k t i o n e n i n s p e z i f i - So setzt die Inklusion in die P u b l i k u m s r o l l e sche Subsysteme der modernen Gesellschaft des politischen Systems voraus, d a ß man sich ersetzt worden, denen j e w e i l s f ü r sich u n i - innerhalb der Grenzen des Grundgesetzes be- versale Z u s t ä n d i g k e i t z u k o m m t : N u r Recht wegt; andernfalls e r f ä h r t man eine E i n s c h r ä n - spricht Recht, nur E r z i e h u n g erzieht. Die k u n g seiner S t a a t s b ü r g e r r e c h t e , gegebenen- funktionsspezifischen Teilsysteme sind somit falls sogar Inhaftierung und damit e m p f i n d - f ü r sich j e w e i l s autonom; sie allein bestim- liche, wenngleich nur partielle Inklusionsein- men, was f ü r sie relevant ist und was nicht. b u ß e n . Immerhin kann sich das auch auf an- Das betrifft auch die A r t und Weise, ob und dere Leistungsrollen auswirken, w i e die B e - w i e jemand an ihnen teilnimmt, also die Fest- rufsverbote in den 70er Jahren zeigen. D a b e i legung der funktionssystemspezifischen T e i l - hat Arbeitslosigkeit einen besonders gravie- nahmebedingungen, die e r f ü l l t sein m ü s s e n , renden Einschnitt zur Folge, da die freie Ver- damit die Inklusion einer Person ins System f ü g u n g ü b e r ein M i n d e s t e i n k o m m e n f ü r die faktisch gelingt. D e n n genau dies bezeichnet Inklusion in fast alle Funktionssysteme v o n Inklusion, nicht zu u n t e r s c h ä t z e n d e r Bedeutung ist ( K r o - w ä h r e n d man f ü r den F a l l , d a ß die FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 nauer 1995; Huster 1995: 9 f f ) - wie sich ü b e r - zweiter O r d n u n g hinreichend v e r f ü g t , zeigt haupt der E i n d r u c k einstellt, als ob das W i r t - sich den komplexen Anforderungen der m o - schaftssystem bei der Frage nach Inklusions- dernen Gesellschaft auch gewachsen. und Exklusionsbedingungen in der modernen fern stellt genau diese F ä h i g k e i t jene funda- Gesellschaft eine herausragende Stellung ein- mentale Inklusionskompetenz dar, auf die es nimmt ( K r e c k e l 1992: 180). in der modernen Gesellschaft insgesamt kommt. D i e K o m p l e x i t ä t dieser Inso- an- Kompetenz D o c h bei „allen offensichtlichen Unterschie- zeigt sich aber auch darin, d a ß sie nochmals den, die sich aus den unterschiedlichen F u n k - zwischen der S o z i a l - , der Sach-, der R a u m - tionen und Codierungen dieser Systeme und der Zeitdimension differenziert. er- geben, zeigen sich auch ü b e r r a s c h e n d e G e meinsamkeiten, gleichsam der modernen 1992b: 'Tiefenstrukturen' Gesellschaft." (1) In der S o z i a l d i m e n s i o n handelt es sich (Luhmann um das P r o b l e m der Individualisierung, das 125) D e n n u n a b h ä n g i g v o n diesen sich auch als zunehmende A n o n y m i t ä t ä u ß e r t funktionssystemspezifischen Sonderregelun- und die ganzen Schwierigkeiten mit der per- gen f ü r jede einzelne Leistungs- oder P u b l i - s ö n l i c h e n Selbstdarstellung h e r a u f b e s c h w ö r t ; k u m s r o l l e ist feststellbar, d a ß es allgemeine U l r i c h B e c k hat dieses P h ä n o m e n h i n l ä n g - Inklusionskompetenzen gibt, die f ü r alle S y - lich bekannt gemacht, so d a ß sich weiterge- steme gelten. hende E r k l ä r u n g e n e r ü b r i g e n . D i e F ä h i g k e i t , 2.2 Kompetenzen und Risiken petenz zur Autonomie, auf die es hier p r i m ä r ankommt, ist die K o m u m sich selbst i n Ver- h ä l t n i s s e n zurechtfinden z u k ö n n e n , i n deM a x Weber hat i n der ' V o r b e m e r k u n g ' zu den nen es k a u m noch l ä n g e r f r i s t i g e , v e r b i n d l i - Gesammelten A u f s ä t z e n zur R e l i g i o n s s o z i o - che, widerspruchsfreie, von A n e r k e n n u n g s - logie auf einen „ s p e z i f i s c h gearteten ' R a t i o - v e r h ä l t n i s s e n gesättigte nalismus' der okzidentalen K u l t u r " aufmerk- gen gibt, die eindeutige R i c h t u n g e n vorge- sam gemacht, der sich ü b e r alle Funktionsbe- ben und Sicherheit spenden. M a n m u ß inner- reiche der modernen Gesellschaft hinweg er- lich m o b i l sein, emotional beweglich, mit un- streckt und i n einer besonderen „Fähigkeit terschiedlichsten M e n s c h e n trotz v ö l l i g e r U n - und D i s p o s i t i o n der M e n s c h e n z u bestimm- vertrautheit umgehen k ö n n e n und i m wesent- Lebensführung" lichen darauf vertrauen, d a ß wechselseitig die 1984: 20f) z u m A u s d r u c k k o m m t . gleichen S o z i a l i s a t i o n s e f f e k t e zweiter O r d - ten Arten praktisch-rationaler (Weber Erwartungserwartun- E g a l , in w e l c h e m Bereich, immer trifft man nung, also die Vertrautheit i m U m g a n g mit auf eine spezifische F o r m der Distanznahme, Fremdheit, in bezug auf die völlig anonyme des k ü h l e n K a l k ü l s , der Reflektiertheit, der Begegnung in hochkomplexen Funktionszu- Kontextbezogenheit, kurz: der 'Beobachtung s a m m e n h ä n g e n vorliegen, u n a b h ä n g i g davon, zweiter O r d n u n g ' ( L u h m a n n 1992a: 89), die wer jemand a u ß e r h a l b dieses Kontexts noch ü b e r die Beobachtung von Beobachtungen die ist (Hahn 1994). j e w e i l s nur kontexturale R e l e v a n z dessen realisiert, was uns i n der modernen Gesellschaft insgesamt begegnet, und einen ständigen ' S i n n - S w i t c h ' vollzieht, u m von Relevanzbereich z u R e l e v a n z b e r e i c h z u springen. N u r wer ü b e r diese F ä h i g k e i t zur Beobachtung (2) In der Sachdimension handelt es sich daru m , die extrem hohe K o m p l e x i t ä t völlig unterschiedlicher A n f o r d e r u n g e n innerhalb j e des einzelnen Funktionssystems z u b e w ä l t i gen. D e n n das K e r n p r o b l e m besteht i n der 28 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 K o n t i n g e n z der modernen Gesellschaft, die U m g e b u n g befanden, trifft man heute auf de- mit einer u n ü b e r s c h a u b a r e n P l u r a l i t ä t v o n zentrale, weit verstreute W o h n - , Arbeits- und Q u a l i f i k a t i o n e n und R o l l e n konfrontiert, ohne F r e i z e i t v e r h ä l t n i s s e , die ein hohes M a ß an d a ß noch eine alles beherrschende Ordnungs- r ä u m l i c h e r B e w e g l i c h k e i t erfordern, u m der instanz existiert, an der man sich einheitlich E x p a n s i o n der Distanzen R e c h n u n g z u tra- orientieren k ö n n t e ( L u h m a n n 1992b). Ä h n - gen (Berger 1995). Deshalb k o m m t es beson- lichkeiten m ö g e n zwar bestehen, aber der Teu- ders auf die Kompetenz zur Mobilität fel steckt i m D e t a i l , so d a ß ein einziges, uni- mit diesen Gegebenheiten versal anwendbares Schema nicht hinreicht. nung und Entfernung Schritt z u halten ( T u l - A u ß e r d e m w i r d man nie alles lernen k ö n n e n ly/Wahler 1996). an, u m räumlicher Tren- und immer mit der U n g e w i ß h e i t rechnen m ü s sen, Deshalb (4) S c h l i e ß l i c h spielt i n der Z e i t d i m e n s i o n die braucht es vor allem die F ä h i g k e i t zur Gene- was als nächstes passiert. E i g e n d y n a m i k der modernen Gesellschaft die ralisierung und die f l e x i b l e V e r f ü g u n g ü b e r entscheidende Variable, da nichts bleibt, w i e b e t r ä c h t l i c h e Wissensmengen, w o f ü r B i l d u n g es ist, sich s t ä n d i g alles ä n d e r t und i m F l u ß n a t ü r l i c h eine w i c h t i g e Voraussetzung dar- ist. Das schließt die Rollenstrukturen ebenso stellt (Beck 1986: 126ff). Z u d e m bedarf es ein wie die Q u a l i f i k a t i o n s p r o f i l e , so d a ß un- eines versierten Rollenmanagements, u m po- a u f h ö r l i c h e Fortbildung in B e r u f und A l l t a g lykontextural agieren und von Kontext z u zu einer S e l b s t v e r s t ä n d l i c h k e i t geworden ist: Kontext unvermittelt umschalten zu k ö n n e n , Wer sich heute auf den Lorbeeren von ge- i m Sinne einer „ m u l t i - r e l a t i o n a l e ( n ) Synchro- stern ausruht, v e r f ü g t morgen nur noch ü b e r nisation" (Berger et al. 1987: 65). Ohne diese welkes L a u b . Worauf es deshalb ankommt, ist K o m p e t e n z ist man restlos ü b e r f o r d e r t , w e i l die F ä h i g k e i t , permanent lernen zu k ö n n e n . innerhalb der Funktionsbereiche Wer nicht i n der L a g e oder bereit ist, s t ä n d i g k e i n e Gelegenheiten überhaupt mehr bestehen, diese dazuzulernen und Schritt z u halten mit d e m und sozialen Wandel, der f o r t w ä h r e n d Neues zur Zeitkredit zur N e u - Welt bringt und anderes unter sich b e g r ä b t , orientierung z u versorgen. W o r a u f es daher bleibt auf der Strecke (Berger et al. 1987: ankommt, ist die F ä h i g k e i t zur Reflexivität, 71). D a b e i ü b t das Tempo der S e l b s t v e r ä n d e - u m mit der Kontingenz der modernen G e s e l l - rung der modernen G e s e l l s c h a f t einen s o l - schaft s o u v e r ä n umgehen zu k ö n n e n . chen Zeitdruck aus, d a ß k a u m noch die M u ß e D e f i z i t e noch aktuell zu kompensieren sich mit ausreichendem bleibt, ü b e r die S i n n f ä l l i g k e i t dieser Selbst(3) In der R a u m d i m e n s i o n geht es um die 'Entbettung sozialer Systeme', w i e Anthony Giddens „ d a s 'Herausheben' sozialer B e z i e - hungen aus ortsgebundenen Interaktionszu- s a m m e n h ä n g e n und ihre unbegrenzte R a u m Zeit-Spannen übergreifende Umstrukturie- r u n g " (Giddens 1995: 33) genannt hat. W o f r ü h e r eine unipolare U n t e r s c h e i d u n g schen Z e n t r u m und Peripherie die zwi- leichte v e r ä n d e r u n g zu reflektieren, sich Sonderrechte zu sichern oder v o n der allgemeinen E n t w i c k l u n g auszunehmen. Statt dessen erfordert es einen ä u ß e r s t f l e x i b l e n Erwartungshaushalt, in dem es ein s t ä n d i g e s K o m m e n und G e h e n gibt, denn allem k o m m t nur v o r ü b e r gehende Geltung z u , weshalb man diese permanente L e r n f ä h i g k e i t auch als K o m p e t e n z zur Reversibilität bezeichnen k ö n n t e . Ü b e r s c h a u b a r k e i t der Verhältnisse g e w ä h r l e i stete und sich alle wesentlichen L e b e n s b e z ü - S o m i t e r f ä h r t die 'Beobachtung zweiter O r d - ge w i e F a m i l i e und A r b e i t in unmittelbarer nung' durch die Aspekte A u t o n o m i e , R e f l e - FORSCHUNGSJOURNAL N S B , Je, 29 10, HEFT 2, 1997 xivität, M o b i l i t ä t und R e v e r s i b i l i t ä t nochmals F ü r s t e n b e r g es a u s g e d r ü c k t hat - die „ m a n - ihre s o z i a l , s a c h l i c h , r ä u m l i c h und zeitlich gelnde soziale Teilhabe" ( F ü r s t e n b e r g 1965: spezifische A u s f o r m u n g . U n a b h ä n g i g von den 240) am gesellschaftlichen L e b e n . Genau i n Besonderheiten innerhalb eines jeden F u n k - diesem Sinne läßt sich M a r g i n a l i t ä t i n der tionssystems e r m ö g l i c h e n es diese ' T i e f e n - modernen Gesellschaft als die E x k l u s i o n aus i m Sinne generalisierter Inklusi- einem oder mehreren Funktionssystemen ver- strukturen' onskompetenzen, sich in der modernen G e - sellschaft p r i n z i p i e l l z u r e c h t z u f i n d e n bergen aber auch gravierende sie Exklusionsri- stehen, was auch positiv wahrgenommen werden mag, etwa als 'Junge Generation i m Ghetto' (Fetscher 1978), die sich gar nicht erst siken, sofern diese 'Tiefenstrukturen' gar nicht inkludieren lassen w i l l , sondern betont da- oder nur u n g e n ü g e n d sozialisiert sind. D e n n von distanziert ( W i l l i s 1978; M a n r i q u e 1992; dann w i r d die N i c h t - T e i l n a h m e an einem oder Guter 1994). D e m g e g e n ü b e r beschreibt M a r - mehreren Funktionssystemen z u einem e x i - ginalisierung den Ü b e r g a n g v o n Inklusion z u stentiellen P r o b l e m f ü r „ d i e von der Teilnah- E x k l u s i o n , also den Verlust von Teilnahme- me chancen an der Gesellschaft, w o b e i hier z u - Ausgeschlossenen: Nicht-Versicherte, Schulabbrecher, 'the unemployable', A u s l ä n - meist die negative der ohne A u f e n t h a l t s - und Arbeitserlaubnis auch in der Selbstbeschreibung der M a r g i n a - ('Illegale'), lisierten. K r i m i n e l l e , p h y s i s c h und psy- K o n n o t a t i o n dominiert, chisch Behinderte und chronisch Leistungsgeminderte, D r o g e n a b h ä n g i g e . Ihnen mangelt F ü r die moderne Gesellschaft ist aber weit- die Verkehrsberechtigung bzw. die basale Z a h - aus entscheidender, lungs- und T e i l n a h m e f ä h i g k e i t f ü r Teile oder sierung von Personen oder G r u p p e n i m m e r die G e s a m t h e i t mehr v o n einem Struktureffekt des bürgerlichen Lebens." ( O f f e 1996: 275) D a b e i ist insbesondere die „ M u l t i d i m e n s i o n a l i t ä t der E x k l u s i o n " (Stichweh 1997: 7 ) vorzuheben, 3 und deren E i g e n d y n a m i k her- da die E x k l u s i o n Funktionssystem - auf einen Stra- verschiebt. D e n n i m Unterschied zu vormodernen Gesellschaften, in denen die weitgehend u n v e r f ü g b a r e n Strukturgegeben- einem heiten der sozialen O r d n u n g durch den uner- einem D o m i n o - E f f e k t forschlichen W i l l e n eines oder mehrerer G ö t - gleich - die beschleunigte, aus tegieeffekt d a ß sich die M a r g i n a l i - selbstverstärken- ter oder andere k o s m o l o g i s c h e M ä c h t e be- de E x k l u s i o n aus anderen Funktionssystemen g r ü n d e t waren, w i r d i n der modernen G e s e l l - nach sich ziehen und dadurch hochgradig ne- schaft durch das Kontingentwerden der E r - gativ eignisse - immer mehr ist der Beobachtung 1994: integrierend 41; w i r k e n kann Aderhold 1970: (Luhmann 131 f; Nickel zweiter Ordnung freigegeben - auch i m m e r 1971b: 45) - man denke nur an N i c h t s e ß h a f - mehr auf E n t s c h e i d u n g e n te ( A d e r h o l d 1970; Girtler 1980) oder „the spricht N i k l a s L u h m a n n geradezu cumulative effects of racial isolation and chro- „ E r f i n d u n g v o n Entscheidungen" ( L u h m a n n zugerechnet. So v o n der nic Subordination on life and behavior in the 1991a: 35), damit die Z u r e c h n u n g inner c i t y " ( W i l s o n 1987: 4) i m F a l l e der selbst wenn gar keine Entscheidungen vor- schwarzen Ghettos in den U S A . gelingt, liegen sollten: „ W i r m ü s s e n deshalb mit der M ö g l i c h k e i t rechnen, d a ß die moderne G e - 2.3 Struktur und Strategie sellschaft zu v i e l auf Entscheidungen zurech- F o r m a l bedeutet E x k l u s i o n die Nichtteilnah- der (Person oder Organisation) gar nicht iden- me an K o m m u n i k a t i o n oder - wie Friedrich tifiziert werden k a n n . " ( L u h m a n n 1991b: 130) net und dies auch dort tut, w o der Entschei- \30 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 U n d dies gilt nicht nur f ü r die Zuschreibung behren mag. Im E n d e f f e k t l ä u f t dies aber auf von Entscheidungen, sondern auch von Ver- das G l e i c h e hinaus, n ä m l i c h ein N u l l s u m m e n - antwortung, f ü r die Entscheider einstehen müssen. spiel: Strukturelle M a r g i n a l i s i e r u n g nimmt i n dem M a ß e ab, wie strategische M a r g i n a l i s i e rung zunimmt. M i t Struktureffekt ist daher gemeint, d a ß sich die M a r g i n a l i s i e r u n g von Personen oder G r u p - In jedem F a l l handelt es sich bei M a r g i n a l i - pen z w a r nicht z u f ä l l i g ereignen mag, aber sierung in der modernen Gesellschaft u m e i - auch nicht direkt als gewollt erscheint, etwa nen dysfunktionalen E f f e k t der funktionalen durch H u n g e r s n ö t e , E p i d e m i e n oder Natur- D i f f e r e n z i e r u n g . D e n n Inklusion i n der m o - katastrophen. E s ist keine Intentionalität i m dernen Gesellschaft h e i ß t Inklusion S p i e l , f ü r die M e n s c h e n verantwortlich ge- jedes Funktionssystem v o n seiner F u n k t i o n macht werden k ö n n e n , weshalb auch keine her universal angelegt ist und damit alle be- Z u r e c h n u n g dieses E f f e k t s auf Entscheidun- trifft, weshalb auch alle Z u g a n g erhalten m ü s - gen erfolgt; g l e i c h w o h l sind Strukturen l a - sen ( L u h m a n n 1980a: 31). M i ß l i n g t es der tent i m S p i e l . M a n k ö n n t e diesen E f f e k t i n modernen Gesellschaft daher, die I n k l u s i o n A n l e h n u n g an Johan G a l t u n g (1975) als struk- aller zu bewerkstelligen, ist die E x k l u s i o n ( i m - bezeichnen, die sich mer) g r ö ß e r e r T e i l e der B e v ö l k e r u n g , also turelle Marginalisierung einfach ereignet und von niemandem aller, da beab- Marginalisierung, als eine D y s f u n k t i o n f u n k - sichtigt und verfolgt oder auch nur nicht ver- tionaler D i f f e r e n z i e r u n g zu bewerten, die dem hindert w i r d , obgleich es vielleicht m ö g l i c h Inklusionsgebot nicht gerecht w i r d - w a r u m w ä r e . Insofern w i r d strukturelle M a r g i n a l i s i e - auch immer ( L u h m a n n 1994: 4 2 f ) . rung v o n allen Beteiligten nur erlebt und nicht als H a n d e l n zugerechnet: E s passiert, aber 3 Protest und Mobilisierung niemand hat es entschieden; Foucaults G e schichte des Wahns i m Zeitalter der Vernunft bezeugt dies sehr eindrücklich (Foucault 1973). N u n konzentrieren sich nach Claus O f f e derartige E x k l u s i o n s e f f e k t e , w i e sie hier als M a r ginalisierung bezeichnet werden, innerhalb der Staffelung „(a) Gewinner, (b) Verlierer und Dagegen ist mit Strategieeffekt gerade die Z u - (c) Nicht-Kompetente, Nicht-Teilnahmebe- rechnung von M a r g i n a l i s i e r u n g auf Entschei- rechtigte, dungen angezeigt, was demzufolge als H a n - auf die letzte Kategorie, also auf jene, denen deln erlebt w i r d , f ü r das jemand verantwort- alles abhanden gekommen ist, weshalb gera- lich oder de ihnen nicht nur die absolute, sondern auch schlichtweg nur zur Verantwortung gezogen die relative D e p r i v a t i o n ihrer marginalisier- w i r d : Jemand w i r d marginalisiert, w e i l j e m a n d ten Lebensweise am deutlichsten ins Gesicht marginalisiert - man denke nur an Rassis- geschrieben steht. Z u g l e i c h ist aber die P r o - mus, A r b e i t s l o s i g k e i t oder A r m u t . D e s h a l b testbereitschaft k ö n n t e m a n diesen E f f e k t auch als strategi- gerade dieser Kategorie unterdurchschnittlich zeichnet oder sich zeigen m u ß ' Ü b e r f l ü s s i g e ' " ( O f f e 1996: 274) und M o b i l i s i e r u n g s f ä h i g k e i t wobei ausgebildet, w ä h r e n d es v o r allem die 'Ver- eben ein S c h w u n d struktureller M a r g i n a l i s i e - lierer' sind, also jene, die noch inkludiert sind, rung festzustellen ist, da i m m e r mehr auf Ent- die auf die S t r a ß e gehen und gegen unzurei- scheidungen zurechenbar ist oder zugerech- chende A r b e i t s - und L e b e n s u m s t ä n d e demon- net w i r d , auch wenn dies jeder Grundlage ent- strieren. W i e ist diese D i s k r e p a n z z u e r k l ä - sche Marginalisierung bezeichnen, FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 ren? H a t es damit z u tun, d a ß sich die Ä r m - D i e w o h l e i n f l u ß r e i c h s t e A n t w o r t auf diese sten der A r m e n , die ' Ü b e r f l ü s s i g e n ' , schon Frage haben lange Z e i t John D . M c C a r t h y und so sehr daran g e w ö h n t haben, nichts zu ha- M a y e r N . Z a l d gegeben, als sie - ü b e r die ben, d a ß sie jede H o f f n u n g auf Besserung auf- K r i t i k am K o n z e p t der relativen D e p r i v a t i - gegeben und vielleicht nicht einmal mehr den on - E i n d r u c k haben, am meisten unter relativer Mobilisierungserfolg von einer erfolgreichen D e p r i v a t i o n zu leiden? T r i f f t die G r u n d a n - Resource nahme des Konzepts der relativen Deprivati- thy/Zald 1977). D e n n je mehr Ressourcen m o - on v i e l l e i c h t d o c h z u , nur d a ß die bilisiert werden k ö n n e n , desto wahrscheinli- größte D e p r i v a t i o n von relativ Mobilization a b h ä n g i g ist ( M c C a r - 'Modernisie- cher ist auch ein M o b i l i s i e r u n g s e r f o l g . D a - rungsverlierern' und nicht v o n den ' E x k l u s i - bei verstehen M c C a r t h y / Z a l d unter Ressour- onsopfern' den darauf a u f m e r k s a m machten, d a ß ein erfahren w i r d , auch wenn kontraintuitiv dies erscheint? cen vor allem die V e r f ü g u n g ü b e r G e l d und Zeit, die man einsetzen m u ß , u m erfolgreich zu mobilisieren ( O l i v e r / M a r w e l l 1992). H i n - B e v o r es an die Beantwortung dieser Frage- zu treten Personal, Q u a l i f i k a t i o n und andere unumgänglich, M ö g l i c h k e i t e n , das amorphe Heer der Betrof- mehr ü b e r die M ö g l i c h k e i t s b e d i n g u n g e n er- fenen in Bewegung z u setzen. V o r allem be- stellung gehen kann, ist es folgreicher Protestmobilisierung z u erfahren. darf es aber einer Organisation, die mit pro- D e n n erst deren Kenntnis w i r d d a r ü b e r auf- f e s s i o n e l l e m K a l k ü l den E i n s a t z a l l dieser k l ä r e n k ö n n e n , w i e es zu dieser Diskrepanz Ressourcen ö k o n o m i s c h plant und realisiert. von P r o b l e m d r u c k und Protestapathie kommt. V i e l e Untersuchungen, die sich auf den Res- D e s h a l b werden i n den folgenden drei A b - sourcenmobilisierungsansatz schnitten einige dieser M ö g l i c h k e i t s b e d i n g u n - haben deutlich gemacht, w i e fruchtbar sich gen diese Innovation f ü r die Bewegungsforschung und s p e z i e l l die d a z u g e h ö r i g e n For- ( R M ) stützen, s c h u n g s a n s ä t z e kursorisch dargestellt. Im ein- ausgewirkt hat - zelnen handelt es sich um den Resource Mo- zungsreich erfolgreiche Protestmobilisierung und ist und wie ressourcenarm die meisten B e w e - Struc- gungen sind, weshalb ein M o b i l i s i e r u n g s e l f o l g bilization-Ansatz, das Framing-Konzept die Forschung z u Political Opportunity grundsätzlich immer sehr unwahrscheinlich ist. tures. 3.1 aber auch, w i e vorausset- Die Armut des Protests Indes ist auch der Ressourcenmobilisierungsansatz nicht frei von K r i t i k , gerade was den Wer protestiert, hat Probleme, aber nicht je- Organisationsaspekt der, der Probleme hat, protestiert auch - das de b e m ä n g e l t , d a ß der R M - A n s a t z soziale B e - betrifft. M e h r f a c h wur- war die C r u x mit dem Konzept der relativen wegungen h ä u f i g auf die Bewegungsorgani- D e p r i v a t i o n . D e n n relative D e p r i v a t i o n er- sationen reduziert, die f ü r sich unverzichtbar f ä h r t jeder, und doch kommt es nur selten sein m ö g e n , was den M o b i l i s i e r u n g s e r f o l g e i - dazu, d a ß der P r o b l e m d r u c k auch zur P r o - ner sozialen B e w e g u n g betrifft, an sich aber testmobilisierung f ü h r t : „ G r i e v a n c e s are eve- keine sind (Jenkins 1983; F e r r e e / M i l l e r 1985; rywhere, movements not." (Japp 1984: 316) O l i v e r 1989). V o n daher wurde d e m R M - A n - D i e entscheidende Frage lautete daher: W o - satz z w a r nicht bestritten, d a ß er z u Recht von h ä n g t es ab, d a ß es zur Protestmobilisie- auf die b e s c h r ä n k t e Reichweite v o n rung k o m m t , wenn der Problemdruck alleine Deprivation nicht gleich aber vorgeworfen, die G r e n z e n seiner ausreicht? a u f m e r k s a m gemacht Relative hat, z u - 32 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 eigenen R e i c h w e i t e aus den A u g e n verloren Genau diese Ressource hat der F r a m i n g - A n - zu haben. M i t anderen Worten: S o w o h l Rela- satz z u m Gegenstand seiner A u f m e r k s a m k e i t tive Deprivation Mobiliza- gemacht. Im K e r n geht es u m die Frage, w i e als auch Resource tion haben Wesentliches dazu beigetragen, die es sozialen Bewegungen gelingt, erfolgreich E m e r g e n z v o n Protest und M o b i l i s i e r u n g zu zu ü b e r z e u g e n . D i e A n t w o r t dieses Ansatzes e r k l ä r e n ; g l e i c h w o h l v e r f ü g e n beide nur ü b e r lautet, d a ß bestimmte Deutungsmuster, b e s c h r ä n k t e Reichweite, weshalb es weiterer nannte Master Konzepte zur E r k l ä r u n g von Protest und M o - gisch implementiert werden m ü s s e n , die vor bilisierung bedarf. allem drei Funktionen e r f ü l l e n : Sie m ü s s e n Frames, soge- entwickelt und strate- eine ü b e r z e u g e n d e P r o b l e m d e f i n i t i o n anbieten k ö n n e n , die auch die Frage nach Verursa- 3.2 Der Eigensinn der öffentlichen Meinung chung und Verantwortlichkeit b e r ü c k s i c h t i g t ; sie m ü s s e n ü b e r z e u g e n d e P r o b l e m l ö s u n g e n D i e K r i t i k am Ressourcenmobilisierungsan- in Aussicht stellen k ö n n e n ; und sie m ü s s e n satz hat mehrere Schwachpunkte aufgedeckt. die M e n s c h e n so motivieren k ö n n e n , d a ß sie E i n e r davon war die R e d u k t i o n sozialer B e - sich auch mobilisieren lassen ( S n o w / B e n f o r d wegungen auf Bewegungsorganisationen, ein 1988). D a r ü b e r hinaus m ü s s e n Master anderer richtete sich gegen das mit diesem mes empirisch g l a u b w ü r d i g , nachvollziehbar Fra- Reduktionismus verbundene R a t i o n a l i t ä t s k a l - und kulturell gesättigt sowie i n der L a g e sein, k ü l , mit dem soziale Bewegungen betrachtet B r ü c k e n zu schlagen z u anderen und an dem sie gemessen werden, demgegen- tentialen, A n w e n d u n g s f ä l l e z u inszenieren, ü b e r G e f ü h l e und andere Q u a l i t ä t e n in den die H i n t e r g r u n d r ü c k e n (Kitschelt 1991; Ferree Ü b e r t r a g b a r k e i t auf verwandte Problemberei- 1991). D e n n bei der Frage nach den M ö g - che z u erleichtern (Snow et al. 1986). lichkeitsbedingungen erfolgreicher Anwendungsbreite Protestpo- auszudehnen und Protest- m o b i l i s i e r u n g ist entscheidend, d a ß die M o - D i e Deutungskompetenz, die dazu erforder- bilisierung ü b e r das Kernpersonal der B e w e - lich ist, und der Vermittlungsaufwand sind be- g u n g hinaus, das sich zumindest ü b e r die N o t - t r ä c h t l i c h . J ü r g e n Gerhards hat anhand w e n d i g k e i t des Protests e i n i g ist, auch die I W F - K a m p a g n e 1989 i n B e r l i n gezeigt, w i e - M a s s e n - ob direkt betroffen oder nicht der - v i e l Zeit und Vorbereitung es kostet, f ü r eine erreicht; sonst bleibt es eine konspirative Ver- bestimmte Kampagne die unterschiedlichsten anstaltung. brauchen G r u p p e n und Initiativen unter ein D a c h z u breite U n t e r s t ü t z u n g , wenn es sich nicht nur bringen (Gerhards 1993). D a b e i spielt die öf- u m ' E i n t a g s f l i e g e n ' handeln soll. D r u c k auf- fentliche M e i n u n g eine entscheidende bauen und weitergeben kann aber nur, wer da es wesentlich von der Resonanz der rele- eine hinreichende Z a h l v o n Personen f ü r sich vanten M e d i e n a b h ä n g t , ob ein Deutungsmu- gewinnt. K o a l i t i o n e n m ü s s e n geschmiedet und ster a n s c h l ä g t und M a s s e n m o b i l i s i e r u n g ge- Soziale Bewegungen Rolle, A l l i a n z e n b e g r ü n d e t werden, damit eine trag- lingt (Rucht 1994). Ausschlaggebend bei der f ä h i g e Basis entsteht, die sich ad hoc m o b i l i - ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g ist aber auch, d a ß sie sieren läßt und auf die S t r a ß e geht, wenn es ü b e r einen b e t r ä c h t l i c h e n E i g e n s i n n v e r f ü g t darauf ankommt. Entscheidend ist somit die und selbst Gepflogenheiten gehorcht, die sich Ü b e r z e u g u n g s a r b e i t , die soziale B e w e g u n g e n nicht ohne weiteres f ü r den Protest verein- leisten m ü s s e n , u m erfolgreich zu m o b i l i s i e - nahmen ren (Klandermans 1984). wenn es der Protest versteht, virtuos auf der lassen ( S c h m i t t - B e c k 1990). N u r , J FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 K l a v i a t u r der ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g zu spie- Eliten mit Interesse oder Indifferenz reagie- len, kann er das P u b l i k u m auch f ü r sich ein- ren. Je nachdem, welche Chancen dem P r o - nehmen und hinter sich bringen; andernfalls test von politischer Seite her e i n g e r ä u m t oder ist eine u n e r h ö r t e K a k o p h o n i e mit einem a l - verweigert werden, ist die Wahrscheinlichkeit lenfalls irritierenden G e r ä u s c h p e g e l das R e - f ü r eine erfolgreiche Protestmobilisierung g r ö - sultat, und der S c h u ß geht nach hinten los. ßer oder kleiner. Insofern stellt auch die P o l i tik eine entscheidende Möglichkeitsbedin- 3.3 Die Hermetik des politischen Systems gung f ü r erfolgreiche P r o t e s t m o b i l i s i e r u n g A b e r selbst, wenn es dem Protest gelingt, die Ressourcen oder die ö f f e n t l i c h e M e i n u n g . dar, ü b e r die der Protest aber noch weniger v e r f ü g e n kann als schon ü b e r ö f f e n t l i c h e M e i n u n g f ü r sich protesteigene einzunehmen, ist er noch nicht am Z i e l seiner W ü n s c h e . 4 D e n n eine L ö s u n g vieler Probleme, f ü r die Marginalisierte in Bewegung und Marginalisierte Bewegung sich viele M e n s c h e n mobilisieren lassen, läßt sich nur ü b e r eine Entscheidung der P o l i t i k Es zeigt sich also, d a ß Protestmobilisierung erreichen. Protest mag l o k a l bleiben, sich i m hochunwahrscheinlich ist, da es eine V i e l z a h l Rahmen von ortsansässigen Bürgerinitiativen von M ö g l i c h k e i t s b e d i n g u n g e n gibt, ü b e r die bewegen oder bundesweite A k t i o n e n starten: der Protest nicht s o u v e r ä n disponieren kann. In den meisten F ä l l e n sind es kommunale E n t - Fragt man vor diesem Hintergrund nach den s c h e i d u n g s t r ä g e r oder politische G r e m i e n auf Mobilisierungschancen v o n Marginalisierten, Landes- oder Bundesebene, die kollektiv ver- w i r d offensichtlich, wie unwahrscheinlich es b i n d l i c h entscheiden m ü s s e n , damit sich an ist, d a ß es ü b e r h a u p t zur M o b i l i s i e r u n g v o n der Problemlage g r u n d s ä t z l i c h etwas ä n d e r t Marginalisierten kommt. D e n n vor allem ver- (Rucht 1994: 347). In diesem Sinne k o m m t f ü g e n Marginalisierte noch sehr viel weniger der Protest um die P o l i t i k letztlich nicht her- ü b e r eigene Ressourcen wie G e l d oder Q u a - um, sofern es i h m nicht nur u m ö f f e n t l i c h e n l i f i k a t i o n als andere Protestgruppen A u f r u h r und M e d i e n r u m m e l geht. S n o w 1996), wenn sie auch viel Zeit haben (Cress/ m ö g e n . D a r ü b e r hinaus haben sie auch k a u m Wenn der P o l i t i k f ü r den Protest jedoch eine Erfahrung i m Aufbau von letztlich Master so zentrale Bedeutung zukommt, dann übt w i e d e r u m die P o l i t i k einen nicht un- Frames, überzeugenden z u m a l die ö f f e n t l i c h e M e i - nung nur eine begrenzte A u f n a h m e k a p a z i t ä t wesentlichen E i n f l u ß auf den M o b i l i s i e r u n g s - gerade f ü r ihre Probleme hat, und T h e m e n - erfolg sozialer Bewegungen aus. D e n n je konjunkturen das ihrige dazu beitragen, u m nachdem, w i e sich die P o l i t i k z u m Protest ver- den Z u g a n g der Marginalisierten z u den M e - hält, sieht sich der Protest mit mehr oder we- dien z u erschweren. Gerade deshalb mag es niger K o n d i t i o n e n konfrontiert. mittlerweile auch i n fast allen G r o ß s t ä d t e n Genau dieser Zusammenhang ist Gegenstand eigene Obdachlosenzeitungen geben; gleich- des K o n z e p t s der politischen Gelegenheits- w o h l bleibt deren Resonanz m i n i m a l und der struktur (Tarrow 1991). Im K e r n geht es u m Vernetzungsgrad der Initiativen völlig u n z u - die Frage, w i e sich das politische System z u m reichend (Morgenroth 1990: 147ff; A d o l p h i günstigen Protest v e r h ä l t , ob es sich o f f e n oder ver- 1997). S c h l i e ß l i c h d ü r f t e eine P o l i t i k , die sich schlossen gibt, zur Repression oder zur R e - von einer (Mit-)Verantwortung a m L o s der s p o n s i v i t ä t neigt, aber auch, ob die politischen M a r g i n a l i s i e r t e n nicht v ö l l i g f r e i sprechen E 1 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 kann, i n nur sehr begrenzten M a ß e f ü r deren Konzentrationsgrad der Masse, oder, w i e w i r K r i t i k o f f e n sein, da sie dadurch j a mit ihrem es nannten, die dynamische D i c h t e . " ( D ü r k - eigenen Versagen - ob gewollt oder nicht - heim 1984: 195) Danach nimmt bei einer Z u - konfrontiert w i r d . Insofern gibt es einen Z u - nahme v o n Volumen und dynamischer D i c h - sammenhang zwischen Marginalisierten in te das G e f ü h l der Z u g e h ö r i g k e i t und Z u s a m - B e w e g u n g und einer marginalisierten B e w e - m e n g e h ö r i g k e i t zu: „ D i e dynamische D i c h t e gung, w e i l aufgrund der miserablen M o b i l i - kann ebenso w i e das V o l u m e n durch die Z a h l sierungschancen die der Individuen definiert werden, die nicht nur Wahrscheinlichkeit hoch ist, d a ß M a r g i n a l i - in k o m m e r z i e l l e n , sondern auch i n m o r a l i - von Marginalisierten sierte i n B e w e g u n g u n v e r z ü g l i c h als margi- schen B e z i e h u n g e n zueinander stehen; das nalisierte B e w e g u n g enden, die kaum, da sie heißt, die nicht nur Leistungen austauschen versucht, erfolgreich zu mobilisieren, in i h - oder miteinander konkurrieren, sondern ein rem B e m ü h e n schon wieder marginalisiert gemeinschaftliches L e b e n f ü h r e n . " ( D ü r k h e i m w i r d - ein Teufelskreis, aus dem es kein E n t - 1984: 195) rinnen gibt, zumal die Rede von einer marginalisierten B e w e g u n g geradezu einer Contra- Betrachtet man nun die Bedingungen d a f ü r , dictio in adjecto gleichkommt. d a ß es zu E x k l u s i o n s e f f e k t e n und damit zur M a r g i n a l i s i e r u n g k o m m t , m u ß man D i e Frage, warum gerade jene, die dem K o n - ausgehen, daß zept der relativen Deprivation nach doch am grundlegenden auf absehbare Zeit V e r ä n d e r u n g e n zu davon keine erwarten ehesten zu Protest A n l a ß hätten, wie A r b e i t s - sind, insbesondere dann, wenn man den g l o - lose, A r m e , Obdachlose, A l t e , Behinderte oder balen Zusammenhang b e r ü c k s i c h t i g t . D i e Z a h l A u s l ä n d e r , es a m seltensten tun, ist somit da- der Marginalisierten w i r d nicht nur stabil b l e i - hingehend z u beantworten, d a ß gerade M a r - ben, sondern h ö c h s t w a h r s c h e i n l i c h noch w e i - ginalisierte ü b e r denkbar schlechte ter ansteigen - was durch die scheinbar un- Mobilides a u f h ö r l i c h e Zunahme der Massenarbeitslosig- P r o b l e m - und Leidensdrucks, der auf ihnen keit sicherlich beschleunigt w i r d . Das k ö n n t e lastet. G l e i c h w o h l bleibt die Frage, ob es sich aber zur F o l g e haben, d a ß die schiere Z a h l , dabei u m einen Dauerzustand handelt, also das Volumen der Marginalisierten, und sierungschancen v e r f ü g e n , ungeachtet oder ob nicht V e r ä n d e r u n g e n auftreten k ö n n e n , die ihr Verhältnis zueinander, p l ö t z l i c h auch die Marginalisierten mit bes- sche D i c h t e zwischen ihnen, soweit also die d y n a m i - seren M o b i l i s i e r u n g s c h a n c e n ausstatten. gen, d a ß in nicht allzu ferner Z u k u n f t ein k r i - anstei- tisches M a ß ü b e r s c h r i t t e n w i r d und sie v o n 5 einer statistischen Aggregation i n eine dyna- Die Eigendynamik dysf unktionaler Effekte funktionaler Differenzierung mische A s s o z i a t i o n transformiert werden, die dann ü b e r ganz andere Voraussetzungen der Selbstorganisation und der M o b i l i s i e r u n g s f ä E m i l e D ü r k h e i m hat i n seiner A b h a n d l u n g higkeit v e r f ü g t , als es jetzt noch der F a l l ist - ü b e r ' D i e Regeln der soziologischen M e t h o - was s c h l i e ß l i c h sogar zur ' S o z i a l e n S c h l i e - de' die Ü b e r l e g u n g angestellt, d a ß die 'Tat- ß u n g durch S o l i d a r i s m u s ' f ü h r e n mag, w i e sache der A s s o z i a t i o n ' von M e n s c h e n P a r k i n (1983) den mit Exklusionsmechanismus zwei Bedingungen v e r k n ü p f t ist: „ E s ist die der Unterklasse einmal bezeichnet hat. M o - Z a h l der sozialen Einheiten, oder, wie w i r auch mentan scheinen die M o b i l i s i e r u n g s c h a n c e n sagen, das V o l u m e n der Gesellschaft und der der Marginalisierten zwar noch miserabel zu FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 sein; da j e d o c h kein A n l a ß besteht, anzuneh- 35 Literatur men, d a ß die dysfunktionalen E f f e k t e f u n k tionaler D i f f e r e n z i e r u n g i n Z u k u n f t weniger werden, mag sich das bald ä n d e r n . Wenn aber davon auszugehen ist, d a ß der A u s s c h l u ß von Nicht-Kompetenten noch zunehmen wird, w e i l es der modernen Gesellschaft nicht gelingt, diese dysfunktionalen E f f e k t e f u n k t i o naler D i f f e r e n z i e r u n g systemimmanent abzu- stellen, k ö n n t e die D i f f e r e n z v o n Inklusion und Exklusion möglicherweise „ L e i t d i f f e r e n z des nächsten sogar zur Jahrhunderts" ( L u h m a n n 1995: 147) avancieren, so d a ß sich das V e r h ä l t n i s von M a r g i n a l i s i e r u n g und M o bilisierung qualitativ ä n d e r t . Kai-Uwe Hellmann ist Sozialwissenschaftler und P u b l i z i s t in B e r l i n . Anmerkungen 1 Luhmann (1993: 146) schlägt sogar vor, den Unterschied zwischen Zentrum und Peripherie durch einen Unterschied von stratifizierter und segmentärer Differenzierung zu ersetzen. 2 Das spricht natürlich nicht dagegen, von einer Pluralität von Zentrum/Peripherie-Differenzierungen auszugehen (Kreckel 1992: 46). 3 Schon E . V . Stonequist definierte den 'marginal man' als „excluded from numerous spheres of social acitivity - from a System of group relationships." (zit.n. Dickie-Clark 1966: 190) Auch Meinardus begreift Marginalität als „ein multidimensionales, in sich vernetztes Kontinuum" (1982: 57), nur daß er eine andere Differenzierung der Dimensionen vorschlägt, die nicht nach funktionalen Gesichtspunkten unterscheidet, sondern von einer psychosozialen, einer sozialen, einer kulturellen, einer ökonomischen und einer raumbezogenen Dimension ausgeht. Siehe auch Dams (1970: l l f ) und Goetze/Bennholt-Thomsen(1975: 6), die zwischen kultureller, sozialer, politischer und ökonomischer Marginalität unterscheiden. Aderhold, Dieter 1970: Nichtseßhaftigkeit. Eine Gesamtdarstellung des Problems der Nichtseßhaften in der modernen Gesellschaft nach Erscheinungsformen, statistischer Struktur und Ursachen. Kohlhammer: Köln. Adolphi, Friedrich 1997: Eine Vernetzung findet nicht statt. 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Z u n ä c h s t scheint die folge werden als Produktions- und Handels- zentrale R o l l e der neuen sozialen B e w e g u n - hemmnisse und nicht mehr - w i e noch i n den gen und ihrer Themen zu schwinden. Rechte 80er Jahren - als Innovationsressource G e g e n m o b i l i s i e r u n g e n d r ä n g e n i n den Vor- eine expandierende dergrund der ö f f e n t l i c h e n Wahrnehmung. D e r tisiert. Negative R ü c k w i r k u n g e n sind f r e i l i c h allgemeine sich politische Problemhaushalt hat umgeschichtet. für U m w e l t i n d u s t r i e thema- noch stärker i m B e r e i c h sozialer B ü r g e r r e c h te zu beobachten. W i r sind einer i m N a m e n der globalen Standortkonkurrenz vorangetrie- Vormals institutionell gesicherte Bereiche so- benen Deregulierung sozialer Standards aus- zialer Integration (Sozialstaatspostulat) gesetzt. wer- den - i m N a m e n des 'Standorts', des ' E u r o ' und der ' G l o b a l i s i e r u n g ' oder auch nur aus In der Bundesrepublik selbst setzt sich dies f i s k a l i s c h e n Z w ä n g e n - z u m O b j e k t politi- darin fort, d a ß M i g r a n t i n n e n und F l ü c h t l i n - scher Infragestellungen, und soziale B ü r g e r - ge, die ohnehin nicht i m G e n u ß voller B ü r - rechte werden massiv abgebaut. M i t den d i - gerrechte sind (Asylbewerberleistungsgesetz), versen 'Sparpaketen' benutzt der letzten Jahre erle- ben w i r nun in der Bundesrepublik verspätet, werden, u m die S e n k u n g sozialer Standards auf breiter Front voranzutreiben. was in anderen L ä n d e r n mit den N a m e n R e a 1 gan und Thatcher verbunden war. E i n e K o n - W i r erleben faktisch einen parallelen und eng sequenz ist die v e r s t ä r k t e Wiederkehr der 'so- miteinander v e r k n ü p f t e n A n g r i f f auf die E r - zialen F r a g e n ' : A r m u t , Obdachlosigkeit, A r - rungenschaften beitslosigkeit. Ihr A u f t r e t e n trägt z u g l e i c h gung, nachhaltig z u m Verlust bereits erreichter Stan- Wohlfahrtsstaats g e p r ä g t hatten, und die j ü n - die den der 'alten' Kern des sozialen B e w e keynesianischen dards i n jenen P o l i t i k f e l d e r n bei, die zu den geren institutionellen E r f o l g e der neuen so- D o m ä n e n der neuen s o z i a l e n B e w e g u n g e n zialen Bewegungen. E s ist darum an der Zeit, g e h ö r e n (Senkung von ö k o l o g i s c h e n diese Z u s a m m e n h ä n g e konzeptionell und e m - Stan- 39 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 pirisch auch i n der Bewegungsforschung z u m reichter sozialer Rechte beklagt w i r d , sondern T h e m a z u machen. W e n n die These von der zugleich der diskriminierende Zuschnitt bis- Bewegungsgesellschaft heute einen S i n n m a - lang garantierter sozialer B ü r g e r r e c h t e i n den chen soll, m u ß sie die T h e m e n der 'alten' und B l i c k gerät ( z . B . die Rechte alleinerziehen- der neuen sozialen Bewegungen in globaler der Mütter, von Asylsuchenden, F l ü c h t l i n g e n Perspektive auf die Tagesordnung setzen. W e - und Migrantinnen) und egalitäre Alternativen niger anspruchsvoll w i l l ich nachfolgend die (z.B. Existenzgeld und Grundsicherung) auf gemeinsame S c h n i t t f l ä c h e der drei, zumeist die Tagesordnung gesetzt werden. unabhängig voneinander diskutierten Kon- zepte beleuchten, die i m Titel dieses Beitrags 1 Die verborgene soziale Agenda genannt sind. D i e zentrale These dieses P a piers lautet, d a ß sie ein an Bedeutung g e w i n - In der vorherrschenden Sicht v o n neuen so- nendes, gemeinsames F e l d - ' l ' e n j e u ' i m S i n - zialen Bewegungen w i r d ihr A b s t a n d zu so- ne A l a i n Touraines (1996) - haben. So waren zialen Fragen z u m D e f m i t i o n s m e r k m a l . Neue in die neuen sozialen Bewegungen von A n - soziale Bewegungen unterscheiden sich i n i h - beginn weit mehr soziale Forderungen und ren zentralen T h e m e n ( Ö k o l o g i e , P a z i f i s m u s Utopien und Feminismus) von den klassischen A r b e i - eingeschrieben, wahrgenommen als üblicherweise wurde. Sie markieren U m r i s s e einer neuen die ' P o l i t i k des S o z i a l e n ' , terbewegungen, bei denen soziale Probleme im Mittelpunkt ihrer M o b i l i s i e r u n g standen. die ' k l a s s i s c h e ' soziale Sicherungsforderun- D i e Konzentration auf gen mit dem emphatischen A n s p r u c h auf eine Forderungen w i r d m ö g l i c h , w e i l sozialstaat- demokratische Gestaltung von Lebensweisen liche Garantien und biographische S i c h e r - verknüpfen. people's heitserfahrungen dies zulassen. Ihre Ferne z u movements' (etwa i m B e r e i c h W o h n e n und sozialen Themen ist zudem der sozialen Z u - Obdachlosigkeit) sind den M o b i l i s i e r u n g s m u - sammensetzung der neuen sozialen B e w e g u n - stern und Organisationsformen der neuen so- gen geschuldet, denn bei der zialen Bewegungen weit näher, als dies die handelt es sich, so das G r o s der vorhandenen Gegenwärtige 'poor postmaterialistische 'Kerngruppe' ä l t e r e Kontroverse ü b e r die Besonderheiten empirischen Studien, u m Mittelschichtange- der B e w e g u n g e n v o n armen Leuten erwarten h ö r i g e - M e n s c h e n mit h ö h e r e r B i l d u n g und ließ ( L e i b f r i e d / N a r r 1986; P i v e n / C l o w a r d gesichertem E i n k o m m e n oder i n u n i v e r s i t ä - 1992). G l e i c h z e i t i g h ä u f e n sich M o b i l i s i e r u n - ren A u s b i l d u n g s g ä n g e n auf dem Wege dahin. gen und Proteste, w i e die 'Chaos-Tage' von E i n i g e Beobachter sind sogar so weit gegan- Punks ( G e i l i n g 1995; G e i l i n g 1996) oder die gen, die - nicht-intendierte - Zuarbeit der neu- Proteste von ' A u t o n o m e n ' , bei denen die ü b - en sozialen Bewegungen f ü r die reibungsar- liche me Durchsetzung staatlicher A u s t e r i t ä t s p o l i - Sortierung sozialer Bewegungen schwierig w i r d . S c h l i e ß l i c h z w i n g e n die E r fahrungen der letzten 20 Jahre, social zenship tik verantwortlich z u machen. citi- erneut als u m k ä m p f t e s Terrain z u be- trachten. Wachsende soziale Ungleichheit und E x k l u s i o n werden verstärkt, aber nun angereichert mit den ' U t o p i e n ' bzw. Problemwahrnehmungen der neuen sozialen Bewegungen, zu einem F o k u s von sozialen M o b i l i s i e r u n gen, wobei nicht nur der A b b a u vormals er- H i n z u k o m m t ein heimlicher E v o l u t i o n i s m u s , der den meisten Konzepten v o n neuen sozialen Bewegungen zugrunde liegt. Sie werden als z e i t g e m ä ß e Bewegungen einer neuen Stufe der Vergesellschaftung (Postindustrialismus, Postmoderne etc.) verstanden, die alte B e w e g u n g s f o r m e n und T h e m e n a b g e l ö s t haben. FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1 9 9 7 Die K o n t u r e n der Industriegesellschaft sind der Bewegungsdebatte hat sicherlich auch bei- verschwunden und mit ihnen die Zentralität getragen, d a ß viele sozial- und der Arbeiterbewegungen und ihrer 'sozialen politische Initiativen heute eher i m Kontext F r a g e n ' . Protestbewegungen von entlang sozialer T h e m e n sind aus dieser Sicht unwahrscheinlich, m a r g i n a l oder r ü c k w ä r t s g e w a n d t . gesundheits- S e l b s t h i l f e und D r i t t e - S e k t o r - G r u p p e n abgehandelt werden. Ihre B e w e g u n g s b e z ü g e werden dabei zumeist v e r n a c h l ä s s i g t . G e g e n das 'unsoziale' B i l d der neuen sozialen B e - E i n w ä n d e gegen diese Sichtweise sind h ä u - wegungen spricht, d a ß sie - gelegentlich ver- f i g vorgebracht worden. Unterhalb der gro- stärkt durch die G r ü n e n - nachhaltig zur so- ßen T h e m e n der neuen sozialen Bewegungen zialpolitischen lassen sich unschwer soziale Subthemen aus- Jahrzehnte beigetragen machen (Roth 1991). Ihre Akteure sind in i h - allem f ü r den Garantismus und andere sozial Reformdebatte der letzten haben. Dies gilt vor ren Orientierungen nicht m i t t e l s t ä n d i s c h bor- inklusive Konzepte. M i t solchen V o r s c h l ä g e n niert und sozialpolitisch desinteressiert. haben sie aktiv versucht, ihrer anti-sozialen Kri- tisch sehen sie vielmehr die Herrschafts- und Exklusionselemente des modernen N u t z u n g entgegenzusteuern. Wohl- fahrtsstaates und seine Existenz als 'siamesi- Dennoch fehlt es dem Konzept neuer sozia- scher Z w i l l i n g ' einer ö k o l o g i s c h d e s a s t r ö s e n ler Bewegungen an einer Integration Wachstumsorientierung. Statt dessen suchen censchwacher Gruppen, die sich i n ihren M o - ressour- sie nach F o r m e n sozialer Sicherung, die mit bilisierungen stark an sozialen Problemlagen ihren neuen Themen, ihren Freiheits- und D e - orientieren bzw. von ihnen g e p r ä g t sind. E s m o k r a t i e a n s p r ü c h e n w i e z . B . der m u ß sich deshalb ebenfalls den V o r w u r f der 'ökosozia- len Frage' (Roth 1996) oder der f e m i n i s t i - ' N o r m a l i s i e r u n g ' sozialer Bewegungen gefal- schen S o z i a l p o l i t i k vereinbar sind. len lassen, wie er gegen den mainstream der Bewegungsforschung i n den U S A (RessourA u c h das B i l d der m i t t e l s t ä n d i s c h e n Kern- cenmobilisierung, politische Chancenstruktu- ist schief, w e i l dabei die soziale ren) erhoben wurde ( P i v e n / C l o w a r d 1992). Streuung der Bewegungsmilieus nicht ange- Das Konzept 'neue soziale B e w e g u n g e n ' hat messen b e r ü c k s i c h t i g t w i r d - gruppen selbstgewählte den A n t e i l sozialer Probleme und Forderun- M a r g i n a l i t ä t , o r i g i n ä r e R a n d s t ä n d i g k e i t und gen an der Konstitution sozialer B e w e g u n - junge Leute i n A u s b i l d u n g passen ebensowe- gen - „social problems as social movements" nig in das eindimensionale M i t t e l s c h i c h t e n - (Mauss 1975, N o w a k 1989) - zugunsten von b i l d w i e die gegen die Castor-Lagerung pro- kulturellen und postmaterialistischen T h e m e n testierenden Bauern i m Wendland. A u f f ä l l i g so weit in den Hintergrund g e r ü c k t , d a ß sie ist, d a ß gerade der Teil der Arbeitslosen, die gelegentlich g ä n z l i c h ü b e r s e h e n wurden. aktiv politisch mit ihrer Situation umgehen, sich stark in den neuen sozialen B e w e g u n gen engagiert haben, dort oft den existenti- 2 Poor people's movements 2.1 Zur US-amerikanischen Debatte ell-radikalen P o l bilden und wesentliche Infrastrukturleistungen erbringen (Rein/Scherer D a es in der Bundesrepublik keine e i g e n s t ä n - 1993: 2 5 3 f f ) . Dies galt besonders f ü r die ra- dige Tradition i n der Debatte ü b e r neuere P r o - dikalen Jugendbewegungen teste gegen A n f a n g der acht- soziale B e n a c h t e i l i g u n g e n und ziger Jahre und die Instandbesetzungen i n Ausgrenzungen - von E i n z e l s t u d i e n e i n m a l B e r l i n . Z u r Dethematisierung des Sozialen in abgesehen ( N o w a k 1989; Rein/Scherer 1993; 41 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 Wolski-Prenger 1993) - gibt, kann ein B l i c k ins Z e n t r u m v o n Untersuchungen auf die e i n s c h l ä g i g e U S - K o n t r o v e r s e unsere w i r d . Indem moralische und kulturelle T h e - A u f m e r k s a m k e i t s c h ä r f e n . Poor people's mo- men privilegiert und materielle Forderungen treten dort als benachteiligte und ver- v e r n a c h l ä s s i g t werden, hat die B e w e g u n g s - vements gerückt n a c h l ä s s i g t e Gegenspieler der 'normalen' B e - forschung einen M i t t e l k l a s s e bias. wegungen auf. Ihre M e r k m a l e und Besonder- geht, d a ß zentrale Konzepte, w i e z . B . R e s - heiten gaben A n l a ß , die mit dem A n s p r u c h sourcen, in poor auf V e r a l l g e m e i n e r u n g s f ä h i g k e i t auftretende, anderen S i n n erhalten, ihn gelegentlich so- dominierende Bewegungsforschung, die ihre gar verkehren. „ M o s t analysts of social m o - Schwerpunkte i n den Bereichen professionel- vements have stressed the non-material gains le R e s s o u r c e n m o b i l i s i e r u n g , dauerhafte B e - of movements [...] W h i l e agreeing with the wegungsorganisationen und taktische balan- importance of psychological, social network, Kooperationsstrategien and affiliational gains of movements, we also cierte K o n f l i k t - u n d mit dem Gegner bzw. staatlichen people's Ihr ent- movements einen Instanzen argue that for poor people such overtly non- hat, infrage z u stellen ( M a y e r 1991). Was f ü r material resources often translate into mate- andere Interessen und B e w e g u n g s z i e l e gut rial resources [...] Yet they may gain access to und richtig sein mag, z . B . die S c h a f f u n g dau- these material resources as a result o f m o v e - erhafter nationaler Organisationen und ein be- ment rechenbares moderates K o n f l i k t r e p e r - 553). W ä h r e n d ü b l i c h e r w e i s e die M o b i l i s i e - toire, ist G i f t f ü r die Proteste armer Leute. rung v o n Ressourcen (Geld, Zeit, W i s s e n etc.) Diese sind - so die zentrale These der F a l l - als Voraussetzung f ü r eine erfolgreiche B e - und participation" (Wagner/Cohen 1991: studien von P i v e n und C l o w a r d (1977) - v i e l - wegungspolitik verstanden w i r d , k ö n n e n W a - mehr dann erfolgreich, wenn sie spontan, dis- ger und C o h e n darauf verweisen, d a ß sie i n ruptiv und radikal auftreten. der M o b i l i s i e r u n g von sozial Ausgegrenzten eher als Ergebnis des Protests z u erwarten E s geht hier nicht darum, die erste Debattenrunde nachzuzeichnen ( G a m s o n / S c h m e i d l e r 1984; P i v e n / C l o w a r d 1984). Interessant ist in unserem Zusammenhang, d a ß sie eine N e u auflage in der Auseinandersetzung mit aktuellen sozialen Protestbewegungen in den U S A , vor a l l e m von Obdachlosen und S o z i a l h i l f e e m p f ä n g e r n , erfahren hat. Erneut lautet der V o r w u r f an die Adresse der d o m i n i e renden Bewegungsforschung, ihr Interesse an organisierten und dauerhaften, oft auch auf nationaler E b e n e auftretenden Bewegungen „ m i n i m i z e s attention to spontaneous m o v e ments o f the p o o r " (Wagner/Cohen 545). Weder Organisationsformen, noch M o b i l i s i e r u n g e n v o n poor people's vements 1991: Inhalte mo- entsprechen dem g ä n g i g e n B i l d zeit- g e n ö s s i s c h e r sozialer Bewegungen oder dem, was als S M O (social movement Organization) ist. Erst Protest e r ö f f n e t ihnen den Kontakt zu Leuten mit h ö h e r e m E i n k o m m e n , zu etablierten Organisationen und deren Ressour- cen, bietet ihnen i n d i v i d u e l l e A n e r k e n n u n g und die Reduzierung von E n t f r e m d u n g . Ä h n liche Umkehrungen sind in den B e w e g u n g s strategien zu beobachten. W ä h r e n d ü b l i c h e r weise B e w u ß t s e i n s b i l d u n g und kognitive M o bilisierung als Voraussetzung bzw. vorbereitende Praxis von Bewegungen gesehen w i r d , zeigt sich bei poor people's movements oft die umgekehrte Reihenfolge (Wagner/Cohen 1991: 557). Besonders kritisch ist die a m b i valente R o l l e v o n U n t e r s t ü t z e r n und V e r b ü n deten f ü r die Proteste v o n sozial Benachteiligten zu p r ü f e n . „ S o c i a l issues such as poverty, w h i c h are deeply embedded i n the Organization of capitalism, are not easily amenable to the influence of professionalized ad- 42 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 vocates" (Wagner 1993: 1831). Statt sich S y - l i d a r i t ä t s e r k l ä r u n g e n , Teilnahme an A k t i o - s t e m d e f i z i t e n z u z u w e n d e n , praktizieren sie nen, L e g i t i m a t i o n etc.), daher h ä u f i g eine P o l i t i k des M i t g e f ü h l s . Sie trägt zwar dazu bei, soziale Probleme sicht- • bar zu machen, aber sie tendiert dazu, die Betroffenen als schwach und hilflos zu prä- eine gesicherte materielle Infrastruktur (vor allem sichere R ä u m e , H e i z u n g , B ü r o ausstattung etc.), sentieren. Z u diesem B i l d der hilflosen O p f e r steuern zudem noch sympathisierende sozi- • informationelle U n t e r s t ü t z u n g ( R e c h t s h i l - a l w i s s e n s c h a f t l i c h e A r b e i t e n ihr S c h e r f l e i n fe, Gesundheitsberatung, bei. „ M o s t social science literature has also Expertisen, aber auch U n t e r s t ü t z u n g bei accepted the assessment of the homeless po- der A b f a s s u n g von A r t i k e l n , Reden etc.), wissenschaftliche pulation and many members o f the marginal poor population as suffering f r o m d i s a f f i l i a tion, isolation, vulnerability, and disempowerm e n t " (Wagner starke F ü h r u n g s p e r s o n e n (mit integrativer und K o n t i n u i t ä t v e r b ü r g e n d e r W i r k u n g ) . 1993: 6). U n t e r s t ü t z e r und Wissenschaft sind somit i n der Gefahr, Proteste von armen Leuten zu entmutigen bzw. zu vernachlässigen. • Die US-Erfahrungen der letzten Jahre zeigen jedoch, so Wagner, d a ß die einzige C h a n c e v o n sozial Ausgegrenzten f ü r die Verbesserung ihrer Lebenssituation in disruptiven A k t i o n e n liege. Dies scheint, bedenkt man die besonderen L e bensbedingungen v o n O b d a c h l o s e n , relativ s e l b s t v e r s t ä n d l i c h . Weniger erwartbar ist das Ergebnis, d a ß 75 Prozent dieser Ressourcen 'von a u ß e n ' k o m m t und karitative oder b ü r gerrechtliche U n t e r s t ü t z e r o r g a n i s a t i o n e n da2 bei eine zentrale R o l l e spielen. Ü b e r r a s c h e n d d ü r f t e sein, d a ß diese besondere Ressourcen- W ä h r e n d einige der neueren Fallstudien z u a b h ä n g i g k e i t keine moderierende Obdachlosenprotesten auf die A k t i o n s f o r m e n der Initiativen in U S - S t ä d t e n die äl- teren Thesen v o n P i v e n und C l o w a r d i m we- Wirkung hat. A u c h bei den vorwiegend k i r c h l i c h u n t e r s t ü t z - sentlichen zu b e s t ä t i g e n scheinen, bietet eine ten Gruppen gibt es einige, die z u radikalen breiter angelegte, auf ethnographische A k t i o n s f o r m e n neigen. Feld- arbeit g e s t ü t z t e Vergleichsuntersuchung, die sich mit f ü n f z e h n Obdachloseninitiativen in ' M o b i l i z a t i o n at the M a r g i n s ' hat sicherlich acht einige spezifische Voraussetzungen und B e d i n g u n - Ü b e r r a s c h u n g e n (Cress/Snow 1996). Das B i l d gen, die sich von denen der neuen sozialen US-Städten auseinandersetzt, v o m spontanen, disruptiven und deshalb er- Bewegungen unterscheiden. G l e i c h w o h l gibt folgreichen Protest der Marginalisierten trifft es keinen A n l a ß , sie als exotische A u s n a h m e allenfalls f ü r einen Ausschnitt dieses Feldes oder als praktische U n m ö g l i c h k e i t aus dem zu. L ä n g s t gibt es auch bezogen auf O b d a c h - D i s k u s s i o n s f e l d sozialer Bewegungen auszu- losigkeit erfolgreiche Bewegungsorganisatio- grenzen. Ihre stärkere A b h ä n g i g k e i t von ex- nen, die f ü r l ä n g e r e Zeit auf die lokale P o l i - terner U n t e r s t ü t z u n g kann auch als A n f o r d e - tik E i n f l u ß nehmen. Voraussetzung f ü r die er- rung an die Solidaritäten von Initiativen ver- folgreiche Stabilisierung solcher Organisatio- standen werden, die aus der ressourcenstar- nen sind folgende Ressourcen: ken ' M i t t e ' der Gesellschaft k o m m e n - j e n seits des w o h l f e i l e n M i t g e f ü h l s und gelegent- • die moralische U n t e r s t ü t z u n g durch andere, meist etabliertere Organisationen (So- licher Spenden. 43 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 2.2 Ansätze in der Bundesrepublik einigen A l t e r n a t i v m i l i e u s eine gewichtigere R o l l e (Rollheimer, Wagenburgen). Z u g l e i c h In der Bundesrepublik hatten w i r die Situati- werden on, d a ß die z u m Ausgangspunkt von Initiativen und P r o - 'kritische Masse' f ü r g r ö ß e r e soziale Problemlagen zunehmend fehlte. jekten, w i e sie f r ü h e r vor allem entlang v o n E i n z e l n e Initiativen gab es i m m e r wieder. Erst Themen der neuen sozialen Bewegungen ü b - i m Z u s a m m e n h a n g mit der A u ß e r p a r l a m e n t a - lich waren (Obdachlosen-Zeitungen, rischen O p p o s i t i o n und der von ihr inspirier- projekte ten 'Sozialarbeiterbewegung' k a m es E n d e der 1996). A r m e - L e u t e - B e w e g u n g e n weitgehend etc.; Honigschnabel Wohn- 1996; Blum 6 0 e r / A n f a n g der 70er Jahre zu einer breiteren U n t e r s t ü t z u n g v o n sozialen (Randgruppenstrategie). Initiativen K o m m u n a l e B ü n d n i s s e gegen Sozialabbau D i e zwischen sozia- gewinnen i n der Bundesrepublik und in E u - lem G e w i s s e n und politischer Idealisierung ropa an B o d e n ( Ö k u m e n i s c h e r T r ä g e r k r e i s schwankende Parteinahme f ü r die W i d e r s t ä n - A r m u t 1995). Solche lokalen Netzwerke ha- digkeiten v o n M a r g i n a l i s i e r t e n wirkte nach ben sehr unterschiedliche und p r ä g t e das S e l b s t v e r s t ä n d n i s eines Teils spielen professionelle A k t e u r e aus der A r - der sich entwickelnden lokalen Konturen. Meist Bewegungs- mutsberichterstattung und den freien T r ä g e r n , milieus. So verstanden sich die A n f ä n g e des- aus Politik, V e r b ä n d e n und Verwaltungen eine sen, was s p ä t e r - ö k o l o g i s c h bzw. feministisch g r o ß e R o l l e , aber gelegentlich geben auch e i n g e f ä r b t - unter dem Titel Alternativ- und Betroffeneninitiativen den T o n an. K o m m u - Selbsthilfeprojekte lief, z u n ä c h s t als Initiati- nale B ü n d n i s s e bilden jedenfalls ein Unter- ven gegen Arbeitslosigkeit und soziale A u s - s t ü t z u n g s n e t z w e r k , das den ö f f e n t l i c h e n P r o - grenzung. S o z i a l e M a r g i n a l i t ä t blieb als ein test von Obdachlosen, Arbeitslosen und ar- M o t i v - und Erfahrungszusammenhang men B e v ö l k e r u n g s g r u p p e n erleichtert. ten und wurde v o r allem i n gen, Jugendrevolten erhal- Hausbesetzun- und den Protesten von 3 Auf lokaler und ü b e r r e g i o n a l e r Ebene existiert i n zwischen in der Bundesrepublik eine V i e l f a l t ' A u t o n o m e n ' sichtbar (Manrique 1992). D e n - v o n Vernetzungsinitiativen entlang noch konnte sie neben den zentralen T h e m e n Notlagen. E i n e neuere B r o s c h ü r e p r ä s e n t i e r t der neuen sozialen Bewegungen kein beson- rund 20 Organisationen und B ü r g e r b e w e g u n - deres G e w i c h t erlangen. gen sozialer gegen A r b e i t s l o s i g k e i t , A r m u t , Woh- nungsnot und S t r a f f ä l l i g k e i t (Stiftung M i t a r Heute befinden w i r uns i n einer deutlich verä n d e r t e n Situation. Soziale Probleme haben längst in den lokalen Bewegungsmilieus E i n zug gehalten und dort z u Entmischungen gef ü h r t . S o z i a l e S i c h e r u n g und A r b e i t s p l ä t z e sind auch in den Projekten der neuen sozialen Bewegungen zu einem wichtigen T h e m a geworden. A r b e i t s b e s c h a f f u n g s m a ß n a h m e n und Arbeitsförderungsgesetz begünstigten den A u t b a u der lokalen Alternativszene in den neuen B u n d e s l ä n d e r n ; der A n t e i l bezahlter A r b e i t lag schnell ü b e r dem der A l t l ä n d e r (Blättert et al. 1997). Armutslagen spielen in beit 1995). Ihre Programmatik hat sich ü b e r den g e w e r k s c h a f t l i c h e n und wohlfahrtsver- bandlichen B e g r ü n d u n g s h o r i z o n t hinaus be- wegt, der an der V e r k n ü p f u n g v o n sozialen Rechten und Lohnarbeit f e s t h ä l t . Sie setzen stattdessen auf Grundeinkommenskonzepte ( z . B . Existenzgeld), f ü r die es mit dem B a s i c Income European N e t w o r k ( B . I . E . N . ) auch seit einigen Jahren ein internationales D i s k u s s i onsforum gibt. E i n e u r o p ä i s c h e s B ü n d n i s gegen Arbeitslosigkeit und A r m u t versucht die nationalen M ä r s c h e gegen A r b e i t s l o s i g k e i t , wie sie mit einiger Resonanz in den letzten FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2. 1997 Jahren in Spanien oder E n g l a n d d u r c h g e f ü h r t wurden, E U - w e i t zu koordinieren. W i c h t i g f ü r 3 Social citizenshipLeitidee der Mobilisierung die M o b i l i s i e r u n g s c h a n c e n von sozialen Initiativen ist auch, d a ß heute klassische sozi- W i r wissen, d a ß 'frames' bzw. Leitideen eine alpolitische Problemfelder - wie z . B . die A l - zentrale R o l l e f ü r die E n f a l t u n g s m ö g l i c h k e i - tenpolitik - mit A n s p r ü c h e n auf Demokratie ten von sozialen Bewegungen z u k o m m t . E i n - und S e l b s t v e r w i r k l i c h u n g aufgeladen (Evers et a l . 1993; H u m m e l 1995). sind zelne Proteste brauchen lediglich A n l ä s s e und Selbst Provokationen. A b e r zur B e w e g u n g verdich- wenn a l l diese E n t w i c k l u n g e n b e r ü c k s i c h t i g t ten sie sich erst, wenn sie einen integrativen werden, w ä r e es noch i m m e r ü b e r t r i e b e n , v o n Deutungsrahmen entfalten k ö n n e n , der hete- poor people 's movements rogene Protestmotive z u s a m m e n f ü h r t und auf i n der Bundesrepu- b l i k z u sprechen. A b e r es gibt U n b o t m ä ß i g k e i t e n und Proteste zunehmend 4 von sozial gesellschaftliche Resonanz abstimmt. H i s t o risch am 'erfolgreichsten' war die Vorstellung marginalisierten G r u p p e n und ihren U n t e r s t ü t - von Gerechtigkeit ( M o o r e 1982). A u c h zern (erinnert sei nur an die Auseinanderset- Gros der Nachkriegsproteste i n den U S A ar- zungen u m Bettelsatzungen das und ' G e f a h r e n - beitete mit dem erfolgreichen 'master f r a m e ' in einigen bundesdeut- der B ü r g e r r e c h t s b e w e g u n g . F ü r die N a c h - schen S t ä d t e n oder an lokale B o y k o t t a k t i o - kriegsproteste in Westdeutschland spielte der abwehrverordnungen' nen gegen ausbildungsunwillige lokale U n - 'justice f r a m e ' keine ähnlich bedeutende R o l - ternehmen) und eine wachsende Z a h l von ver- le. In den avancierten kapitalistischen G e s e l l - netzten lokalen und regionalen Projekten, die schaften des Westens ist es zudem generell gelegentlich z u demonstrativen A k t i o n e n aufrufen. 5 W e n n w i r g e g e n w ä r t i g e Proteste an den H o c h s c h u l e n oder gegen schwierig, angesichts der ö k o n o m i s c h e n U n gleichheitsdynamik Gerechtigkeitsvorstellun- Infrastruktur- gen i m sozialen B e r e i c h dauerhaft z u veran- projekte genauer betrachten, dann spielen so- kern. D i e national spezifische Ausgestaltung ziale Fragen und soziale B ü r g e r r e c h t e f ü r die der wohlfahrtsstaatlichen Systeme bietet un- M o b i l i s i e r u n g e n eine ungleich g r ö ß e r e R o l l e terschiedliche Chancen, soziale Sicherungen als noch vor einem Jahrzehnt. Neue Akteure als soziale Rechte einzuklagen. In haben - neben den klassisch diesen B e r e i c h versicherungsstaaten', dominierenden Gewerkschaften, K i r c h e n und republik ( R i e d m ü l l e r / O l k 1994), in denen we- Wohlfahrtsverbänden - 'Sozial- wie z . B . der Bundes- die s o z i a l p o l i t i s c h e sentliche Sozialbereiche nach dem Versiche- A r e n a betreten. Ihre basis- und projektorien- rungsprinzip organisiert sind, ist dies beson- tierte Praxis, ihre organisatorische ders schwierig, w e i l sie Rechte an v o r g ä n g i g Orientie- rung an vernetzten Strukturen und ihre B e - zu erbringende Leistungen binden. reitschaft z u Protest und z i v i l e m Ungehor- waren i m 'keynesianischen 6 Dennoch Wohlfahrtsstaat' sam r ü c k t sie i n die N ä h e dessen, was w i r der Nachkriegszeit N o r m e n sozialer Teilhabe von den neuen sozialen Bewegungen kennen. eingelassen, die sich als T e i l eines besonde- V i e l l e i c h t k ö n n e n sie B e w e g u n g i n die läh- ren citizenship menden korporatistischen Traditionen der S o - Phillips 1996) deuten lassen. regimes (Jenson 1996; Jenson/ zialpolitik bringen. E i n e zentrale Schwierigkeit f ü r g e g e n w ä r t i g e soziale Bewegungen, die soziale Probleme ins Zentrum r ü c k e n , ist der Umstand, d a ß sie sich nicht (mehr) auf ein weithin akzeptiertes L e i t - FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 b i l d sozialer Teilhabe beziehen k ö n n e n . D e r of welfare programs by g i v i n g local welfare Weg z u r ü c k zu dem, was h ä u f i g als 'golde- agencies more power and m a k i n g them ac- nes Zeitalter' der Wohlfahrtsstaatlichkeit ver- countable to their clients" ( K y m l i c k a / N o r m a n klärt w i r d , ist versperrt. W i e k ü n f t i g e zenship regimes citi- in ihrer sozialen D i m e n s i o n aussehen werden, ist o f f e n . D e r B ü r g e r s t a t u s 1994: 359). D i e aktuelle, a l l m ä h l i c h auch in der Bundesrepublik ü b e r citizenship ankommende Debatte bietet ü b e r diese politische insgesamt, w i e auch dessen soziale Aspekte Kontroverse hinaus interessante sind Gegenstand heftiger politischer A u s e i n - und normative Konzepte f ü r die Reintegrati- theoretische andersetzungen, an denen soziale B e w e g u n - on sozialer T h e m e n i n die Auseinanderset- gen einen mehr oder weniger starken A n t e i l zung mit g e g e n w ä r t i g e n sozialen B e w e g u n - haben ( k ö n n e n ) . Z u n ä c h s t geht es u m E i n - gen. s c h l u ß und A u s s c h l u ß , d.h. wer hat v o l l e n rechte geht es nicht einfach darum, die Struk- B ü r g e r s t a t u s , dann aber auch u m die R e i c h - turen des Sozialstaats i n seiner Nachkriegs- weite und konkrete Ausgestaltung sozialer gestalt zu verteidigen. Z u n ä c h s t ist die K r i t i k Bürgerrechte. 8 In der D i s k u s s i o n ü b e r soziale B ü r g e r - ernstzunehmen, 7 die a m diskriminierten Sta- tus von Frauen, von M i g r a n t e n und A s y l s u D i e Elemente, die zur E r o s i o n der sozialstaat- chenden, von K i n d e r n und Jugendlichen, v o n lichen Sicherungsysteme beigetragen haben, Wohnungslosen und Arbeitslosen i n der uns sind h i n l ä n g l i c h diskutiert. Gesteigerte B e l a - bekannten Variante der 'vollen B ü r g e r s c h a f t ' stung durch Massenarbeitslosigkeit und ihre g e ü b t wurde. In den progressiven B e i t r ä g e n F o l g e n sowie die internationale K o n k u r r e n z zu dieser Debatte ist die Sozialstaatskritik der der 'nationalen Wettbewerbsstaaten' neuen sozialen B e w e g u n g e n (Cerny aufgenommen 1990: H i r s c h 1995) haben die Standards der und in egalitäre Konzepte von sozialen B ü r - s o z i a l e n Sicherungssysteme gerinnenrechten u n t e r h ö h l t und den keynesianischen Wohlfahrtsstaat, auch wo übersetzt, die zugleich s e l b s t g e w ä h l t e Unterschiede in den Lebens- seine wesentlichen Strukturen erhalten geblie- weisen respektieren. Z u d e m versuchen ben sind, in eine Sackgasse g e f ü h r t , w e i l er Bürgerrechte die neuen A n f o r d e r u n g e n nicht sozial inte- H e r k u n f t als S t a a t s b ü r g e r r e c h t e h e r a u s z u l ö - grativ b e w ä l t i g e n kann. sen und soziale B ü r g e r r e c h t e jenseits des N a - aus ihrer sie nationalstaatlichen tionalstaats z u denken, die eine angemessene Politischer A n s t o ß f ü r das neuerliche Interesse am B ü r g e r s t a t u s war in den a n g e l s ä c h s i - Antwort auf Migrationsbewegungen und ö k o nomische Globalisierungsprozesse darstellen. schen L ä n d e r n der A n g r i f f der neuen R e c h ten auf soziale B ü r g e r r e c h t e i n den 80er Jah- Dennoch ren. „ I n s t e a d of accepting citizenship as a po- Schwierigkeiten i m B l i c k zu behalten, die mit gilt es, einige grundsätzliche litical and social Status, modern Conservati- dem Konzept citizenship ves have sought to reassert the role of the storisch markierte citizenship market and have rejected the idea that c i t i - S t a a t s b ü r g e r s c h a f t ein zentrales K r i t e r i u m der zenship confers a Status independent o f eco- E i n - und A u s s c h l i e ß u n g i n innerstaatlichen n o m i c Standing" (Plant 1991: 52). A u c h die V e r h ä l t n i s s e n der A u s b e u t u n g , D i s k r i m i n i e - linke A n t w o r t auf diese Herausforderung ist rung und U n t e r d r ü c k u n g (Bader 1995: 118). bekannt: ,,'empowering' welfare recipients by Wenn e g a l i t ä r e P r i n z i p i e n z ä h l e n , gilt noch supplementing welfare rights with democra- heute: „ C i t i z e n s h i p in Western liberal demo- tic participatory rights in the administration cracies is the modern equivalent o f feudal verbunden sind. H i i m Sinne v o n 46 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 privilege - an inherited Status that greatly en- gestimmt ist. E i n e hances one's life chances. L i k e feudal birth- und nicht der 'Wohlfahrtsstaat' ist der H o r i - right Privileges, restrictive citizenship is hard- zont, an dem sich eine z e i t g e m ä ß e Ausgestal- ly to j u s t i f y when one thinks about it close- tung von sozialer B ü r g e r s c h a f t zu b e w ä h r e n l y " (Carens, zit. n. Bader 1995: 119). Ä h n l i c h hätte. 'Wohlfahrtsgesellschaft' v e r h ä l t es sich mit dem Konzept 'soziale B ü r gerrechte'. Gerade die Marshall-Tradition hat (c) Zeitdiagnostisch orientiert sich die D e - betont, d a ß der P r o z e ß sozialer Inklusion, d.h. batte ü b e r citizenship die A u s w e i t u n g sozialer Garantien auf die B e - radoxien, die sich aus der w i d e r s p r ü c h l i c h e n v ö l k e r u n g insgesamt, ein wesentliches M e r k - S c h w ä c h u n g und S t ä r k u n g nationalstaatlicher an den politischen P a - mal moderner Sozialstaatlichkeit unter k a p i - Souveränität talistischen Bedingungen ist - z u m a l in E u - rungsprozessen ropa (Therborn 1995: 8 5 f f ) . D i e g r o ß e histo- bereits mit verschiedenen, rische soziale B e w e g u n g , die Arbeiterbewe- schiedlich stark ausgebildeten B ü r g e r s c h a f - gung, war gerade in dieser D i m e n s i o n e r f o l g - ten (von der E U bis zur lokalen Politikebe- reich. In welchen M i s c h u n g s - und K o m p r o - ne). G l e i c h z e i t i g vollzieht sich ein Festungs- in den aktuellen G l o b a l i s i e - ergeben. F a k t i s c h leben w i r allerdings unter- m i ß f o r m e n auch immer, der moderne W o h l - bau gegen Asylsuchende und F l ü c h t l i n g e , der fahrtsstaat garantiert social restaurativ ethnische und nationale citizenship. Die- se orthodoxe Sichtweise ist heute nicht mehr Zugehö- rigkeiten v e r s t ä r k t (Bader 1995: 116f). zu halten: M i t solchen Neuvermessungen bietet die Ci- (a) D i e von T . H . M a r s h a l l am britischen B e i - tizens hip-Debatte spiel gezeigte A b f o l g e v o n B ü r g e r r e c h t e n (ci- punkte. Erstens trägt sie dazu bei, e x p l i z i t nor- vil rights, mative Orientierung, w i e soziale Gerechtig- ausmachen) keit und Menschenrechte, d i s k u s s i o n s f ä h i g z u wurde ü b e r w i e g e n d e v o l u t i o n ä r gedeutet und machen. Zweitens thematisiert sie kritisch die eine füll rights, social citizenship rights, Anknüpfungs- die gemeinsam political wichtige verallgemeinert. Diese e v o l u t i o n ä r e n A n n a h - askriptiven sozialen S c h l i e ß u n g e n , die mit men sind nicht tragfällig. S o w o h l die histori- nationalstaatlichen K o n z e p t e n von B ü r g e r - sche A b f o l g e w i e die M i s c h u n g s v e r h ä l t n i s s e rechten s i n d , und v e r k n ü p f t sie der citi- mit dem Versuch, weitergehende Perspekti- verschiedenen zenship Dimensionen von verbunden variieren erheblich. Z u den E r f a h r u n - ven freizulegen - z . B . eine E u r o p ä i s c h e S o - gen der letzten Jahrzehnte zählt, d a ß alle B ü r - zialcharta, ein transnationaler oder k o s m o p o - gerrechte g l e i c h z e i t i g unter D r u c k geraten litischer B ü r g e r s t a t u s (Twine 1994). Drittens k ö n n e n , und es nicht nur um den K a m p f f ü r sensibilisiert B ü r g e r s c h a f t f ü r die v i e l f ä l t i g e n die avanciertesten F o r m e n geht. sozialen und politischen E x k l u s i o n s p r o z e s se, die mit dem E n d e des füll citizenship im (b) D i e ü b l i c h e Konzentration des Konzepts Marshallschen Sinne verbunden sind. D i e ci- B ü r g e r s c h a f t auf einen rechtlichen Status ist tizenship-Debaüs staatszentriert und ' p a s s i v ' . Gerade dem sich die K ä m p f e der Marginalisierten ab- soziale steckt das Terrain ab, auf Initiativen und Bewegungen praktizieren da- spielen und klagt die Verpflichtungen ein, die gegen ein aktives V e r s t ä n d n i s von den Vollbürgern in dieser Situation erwach- citizenship, das auf solidarische und sozial kreative F o r - sen. E i n plurales und differenziertes K o n z e p t men der Vergemeinschaftung zielt und gegen- v o n B ü r g e r s c h a f t s o l l es e r m ö g l i c h e n , ü b e r staatlichen Versorgungsformen kritisch moralischen Erfordernisse die universalistischer FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 Gerechtigkeit mit den Erfordernissen der ver- Es geht u m eine ' N e u e r f i n d u n g des S o z i a l e n ' schiedenen Varianten v o n lokaler D e m o k r a - angesichts der E r o s i o n der sozialen F o r m e n , tie und deren partikulare L e b e n s f o r m e n z u die die Stabilität der Gesellschaften des W e - vermitteln. U m zu einem an den M a ß s t ä b e n stens nach dem II. Weltkrieg ausgemacht ha- von G l e i c h h e i t und Gerechtigkeit m e ß b a r e n ben - eine E r o s i o n , die durch v e r s t ä r k t e G l o - Konzept eines demokratischen Bürgerstatus balisierungen beschleunigt w i r d und natio- zu gelangen, sind zumindest z w e i schwierige nalstaatliche L ö s u n g s w e g e blockiert. In den Operationen n ö t i g : E i n m a l gilt es, den B ü r - neuen sozialen B e w e g u n g e n sind w i c h t i g e gerstatus aus seinen askriptiven Z u r i c h t u n - Orientierungsmarken f ü r solche sozialen A l - gen und B e s c h r ä n k u n g e n entlang von Rasse, ternativen entwickelt worden. Poor people's Geschlecht, A l t e r etc. h e r a u s z u l ö s e n . Z u m an- movements soziale deren ist demokratische B ü r g e r s c h a f t aus der Bornierungen a u f k l ä r e n , z . B . ü b e r die B e d e u - Verstrickung mit S t a a t s z u g e h ö r i g k e i t z u ent- tung einer sozialintegrativen M i l i e u b i l d u n g wirren. D e m o k r a t i s c h kann dieser B ü r g e r s t a - von unten ( B ö h n i s c h 1994). D i e Debatte ü b e r tus nur sein, wenn er weit g e f a ß t , m ö g l i c h s t citizenship, e g a l i t ä r ausgestaltet und auf wirksame politi- integriert einige dieser Aspekte. Im Zentrum sche B e t e i l i g u n g angelegt ist ( T i l l y 1996). steht die Neufassung eines sozialen B ü r g e r - D i e s s c h l i e ß t notwendig soziale Garantien ein. status jenseits der alten m ä n n l i c h e n , arbeits- k ö n n e n uns ü b e r deren besonders ü b e r social zentrierten 4 industrial citizenship, citizenship, die n o c h immer die Vorstellungswelt der meisten p o l i - Für eine bewegte 'Politik des Sozialen' tischen A k t e u r e beherrscht (Cannan 1996: 145). E s zeichnet sich ab, d a ß die Szene sozialer B e w e g u n g e n bunter w i r d und soziale Proble- D i e kritische R e f o r m u l i e r u n g sozialer R e c h - me dabei eine gewichtigere R o l l e spielen. M i t te steht i n einem engen Zusammenhang m i t einer R ü c k k e h r zur K l a s s e n p o l i t i k mit den den anderen S ä u l e n des B ü r g e r s t a t u s , die heu- bekannten A k t e u r e n (Gewerkschaften und l i n - te gleichfalls b r ö c k e l n . Z i v i l e B ü r g e r r e c h t e , ke Parteien) ist dennoch k a u m zu rechnen. wie sie f r ü h in der Habeas Corpus A k t e als V i e l m e h r deutet sich eine doppelte E n t w i c k - Schutzrechte vor staatlicher W i l l k ü r f o r m u - lung an: Einerseits laden sich M o b i l i s i e r u n - liert wurden, sind durch neue Technologien gen der neuen sozialen Bewegungen mit so- in historisch unbekannter Weise bedroht - von zialen Fragen auf, andererseits bewegen sich den M ö g l i c h k e i t e n ' G r o ß e r L a u s c h a n g r i f f e ' die Proteste von sozial Marginalisierten und bis z u den die A n s ä t z e zu poor people 's movements häu- Atomtechnologie. D i e E n t w i c k l u n g der p o l i - f i g in geringer Entfernung von den F o r m e n tischen B ü r g e r r e c h t e , klassisch als die A u s - und T h e m e n der neuen sozialen B e w e g u n - weitung des Wahlrechts auf i m m e r gen. Es ist daher an der Zeit, die wechselsei- B e v ö l k e r u n g s g r u p p e n g e f a ß t , läßt sich heute tige Ignoranz der F o r s c h u n g ü b e r neue so- nicht mehr sinnvoll, d.h. ohne Substanzver- ziale Bewegungen und der ü b e r poor people 's lust auf das politische Separee liberaler D e - movements zu ü b e r w i n d e n . Neue soziale B e - mokratie begrenzen. Angesichts der M a c h t - wegungen vertreten nicht einfach M e n s c h - f ü l l e der privat v e r f a ß t e n , vor- und subpoliti- heitsinteressen jenseits des sozialen R a u m s , schen Bereiche haben die neuen sozialen B e - und soziale D i s k r i m i n i e r u n g und E x k l u s i o n wegungen radikale Demokratie f ü r alle L e - sind längst keine Minderheitenthemen mehr. bensbereiche F o l g e n der militärisch-zivilen auf die Tagesordnung weitere gesetzt. 48 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 A b e r auch mit B l i c k auf den kulturellen B ü r gerstatus dominieren eher Gegenbewegungen. D e r A u s s c h l u ß vieler v o n den gesellschaftlichen B i l d u n g s - und Kulturstandards, der mit der aktuellen Entwertung und Z e r s t ö r u n g öffentlicher Erziehungseinrichtungen - allen voran der U n i v e r s i t ä t e n - einhergeht, ist eine weitere Facette g e g e n w ä r t i g e r E x k l u s i o n s t e n denzen. F ü r die deutsche Forschung zu neuen sozialen Bewegungen stellt sich die Frage, ob sie nicht durch ihre besonderen A u f m e r k s a m k e i ten zur M a r g i n a l i s i e r u n g und Nichtwahrnehm u n g v o n Initiativen und Protesten von sozialen Problemen entlang beigetragen hat. M e h r A u f m e r k s a m k e i t ist schon deshalb vordringlich, u m der realen Fragmentierung so- 3 Hier sei auf genauere Informationen zu Aachen (Forum der Arbeit 1996) und Frankfurt/M. (Bartelheimer/Freyberg 1997) verwiesen. Diese Tendenzaussage m u ß sich f ü r die Zahl der Protestereignisse einstweilen auf Augenschein und Zeitungslektüre stützen. Die Formen des Widerstands von marginalisierten Bevölkerungsgruppen, zumal von Menschen, die auf der Straße leben müssen, sind ungleich vielfältiger und ambivalenter als die 'ordentlichen' Proteste der neuen sozialen Bewegungen. Hinweise und Anregungen f ü r eine solche Blickerweiterung bietet z.B. die Studie von Lindenberger (1995). 4 5 In einer Bestandsaufnahme spricht zwar der A u tor von einer Erwerbslosenbewegung, seine eigene Darstellung legt eher den Schluß nahe, daß es sich um eine Projekteszene handelt, f ü r die Protestmobilisierungen nur einen kleinen Ausschnitt ihrer Aktivitäten darstellen (Wolski-Prenger 1993). A m klarsten läßt sich von sozialen Rechten noch im - gegenüber den Versicherungssystemen nachrangig konzipierten - Sozialhilferecht mit seinen Grundnormen 'Führung eines menschenwürdigen Lebens' und 'Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft' (SGB I, § 9) sprechen. In der klassischen, auf die englische Entwicklung bezogenen Formulierung sozialer Bürgerrechte von T. H . Marshall heißt es: „Mit dem sozialen Element bezeichne ich eine ganze Reihe von Rechten, vom Recht auf ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Wohlfahrt und Sicherheit, über das Recht auf einen vollen Anteil am gesellschaftlichen Erbe, bis zum Recht auf ein Leben als zivilisiertes Wesen entsprechend der gesellschaftlich vorherrschenden Standards. Die am engsten mit ihm verbundenen Institutionen sind das Erziehungswesen und die sozialen Dienste" (Marshall 1992: 40). Ein Zeichen f ü r das verstärkte Interesse sind die Schwerpunkthefte der Zeitschriften 'Prokla' (1996, 105) und 'Feministische Studien' ( M a i 1996). Die internationale Debatte ist unübersichtlich geworden, hier sei nur auf einige der neueren Beiträge verwiesen: Bader 1995; Roche 1995; Mackert 1996; Einhorn et al. 1996; Tilly 1996. Seit 1997 erscheint zudem eine einschlägige internationale Fachzeitschrift mit dem Titel 'Citizenship Studies'. 6 zialer Initiativen und Bewegungen nicht z u sätzlich Vorschub zu leisten. D i e Konsequenz w ä r e v e r m u t l i c h , soziale B ü r g e r r e c h t e u n d demokratische B e t e i l i g u n g z u einem E x k l u - sivgut f ü r wenige i m nationalen w i e i m internationalen M a ß s t a b z u deformieren. Genau diese e x k l u s i v e R ü c k b i l d u n g gilt es herauszufordern. Roland Roth lehrt Politikwissenschaft an der Fachhochschule Magdeburg. Anmerkungen 1 Eine zusammenfassende Übersicht zu den 'sozialen Grausamkeiten' der letzten Jahre bieten Bauer/Hansen 1995. Eine eindrucksvolle Evaluierung von kirchlichen Empowerment-ProgYammen für arme Leute, die auf die Ausbildung und Unterstützung von Community Organizers setzen, denen für Protestmobilisierungen eine wichtige Rolle zukommt, bieten M c Carthy/Castelli 1994 und McCarthy et al. 1994. 2 7 8 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 Literatur Bader, Veit-Michael 1995: Rassismus, Ethnizität, Bürgerschaft. Soziologische und philosophische Überlegungen. Westfälisches Dampfboot: Münster. 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D a r ü b e r hinaus haben die verfolgen und aufzuzeigen, welche Caritas und der P a r i t ä t i s c h e Wohlfahrtsver- gruppen band das A r m u t s p r o b l e m z u einem zentralen des sozialanwaltschaftlichen Engagements i m verbandspolitischen T h e m a gemacht, Armutsbereich vorantreiben (Pabst eigene in den Verbänden Akteurs- die Intensivierung 1996).' Armutsberichte erstellt und eine R e f o r m der staatlichen A r m u t s p o l i t i k gefordert. D i e Spit- 2 z e n v e r b ä n d e der freien Wohlfahrtspflege i n - Akteure in den Wohlfahrtsverbänden tensivieren mit diesen A k t i v i t ä t e n die selbstgestellte A u f g a b e , als Sozialanwälte die Lage der A r m e n zu verbessern. In g ä n g i g e n T y p o l o g i e n von Interessenverb ä n d e n werden die W o h l f a h r t s v e r b ä n d e als Sozialleistungsvereinigungen gekennzeichnet, Fragestellung nach: Vertreten die V e r b ä n d e die Dienstleistungen f ü r Dritte erbringen. In die- Interessen betroffener Dritter w i r k l i c h als de- ser F u n k t i o n sind die W o h l f a h r t s v e r b ä n d e be- ren A n w ä l t e , wie es die W o h l f a h r t s v e r b ä n d e triebswirtschaftlich und professionell g e p r ä g - f ü r sich in A n s p r u c h nehmen te Dienstleistungsunternehmen, (Spiegelhalter die ( A l e m a n n 1985) Der vorliegende Beitrag geht nun folgender insbesondere soziale die mit ihren 1990)7 O d e r verfolgen die V e r b ä n d e auf i n - Angeboten z u m T e i l m a r k t f ü h r e n d e Anbieter direktem Wege e i g e n n ü t z i g e Strategien, sind und in vielen Einrichtungsarten de- ren A u s w i r k u n g e n f ü r die A r m e n wenig hilf- gegen- ü b e r ö f f e n t l i c h e n und privaten T r ä g e r n do- reich sind, wie die klassische Wohlfahrtsver- minieren. So befanden sich 1993 knapp 5 5 % b ä n d e f o r s c h u n g in der R e g e l aller A l t e n - und Behindertenheime, ü b e r z w e i argumentiert (Bauer 1978; H e i n z e / O l k 1981; T h r ä n h a r d t Drittel et al. 1986; A u s t 1993)? D e m z u f o l g e ist zu mehr als jedes dritte A l l g e m e i n e Krankenhaus untersuchen, warum die V e r b ä n d e politische Forderungen erheben, v o n deren E r f ü l l u n g sie - zumindestens unmittelbar - nicht profitie- ren (Winter 1992). in aller Jugendhilfeeinrichtungen wohlfahrtsverbandlicher ( B A G F W 1994). und Trägerschaft FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 A u f g r u n d der g r o ß e n wirtschaftlichen Bedeu- tenmacht tung des unternehmerischen Bereichs sind er- ( K ü p p e r / O r t m a n n 1986). Z u m anderen stens - w i e i n anderen klassischen Betrieben nen die F a c h k r ä f t e ü b e r die in den V e r b ä n - bei den F a c h k r ä f t e n b e g r ü n d e t w i r d kön- auch - die A k t e u r e auf der unternehmerischen den installierten F a c h a u s s c h ü s s e ihre Inter- Leitungsebene darum b e m ü h t , die Bestands- essen g e g e n ü b e r der organisatorischen bedingungen und -entwicklungen der V e r b ä n - rung auch direkt geltend machen. de z u verbessern, d.h. strategisch bandseigenen Füh- die ver- Interessen durchzusetzen. In- Neben den L e i t u n g s k r ä f t e n und F a c h k r ä f t e n teressen von A r m e n werden demzufolge von gibt es drittens der Leitungsebene vor allem dann vermittelt, den wenn es den Verbandsinteressen W o h l f a h r t s v e r b ä n d e eine weitere nützt, d.h. wenn es etwa die A k z e p t a n z bei den Mit- aufgrund der vorherrschen- vereinsrechtlichen Organisation der verbands- politisch bedeutende Akteursgruppe: die M i l - g l i e d s v e r b ä n d e n , Klienten und der Ö f f e n t l i c h - lionen M i t g l i e d e r der V e r b ä n d e . Im G e g e n - keit f ö r d e r t , der Bekanntheitsgrad e r h ö h t w i r d satz zu den meisten anderen oder wenn Spenden und staatliche F ö r d e r m i t - b ä n d e n beruht i m F a l l der W o h l f a h r t s v e r b ä n - tel de das zentrale M o t i v , M i t g l i e d zu sein, nicht eingeworben werden können (Winter 1992). Interessenver- p r i m ä r auf der V e r f o l g u n g der eigenen materiellen Interessen, sondern auf der V e r w i r k l i - D i e Produktion von Dienstleistungen bringt chung von gemeinsam geteilten zweitens ungen, mit sich, d a ß die W o h l f a h r t s v e r b ä n - Weltanschau- die in den Satzungen und normativen de rund eine M i l l i o n hauptberufliche M i t a r - Leitbildern beiter b e s c h ä f t i g e n . A u c h diese k ö n n e n be- (Bauer 1984). D a v e r b a n d s ü b e r g r e i f e n d in a l - der Verbände formuliert sind reit sein, sich f ü r die Interessen von Dritten len Satzungen der A n s p r u c h fixiert ist, sozi- sozialanwaltschaftlich einzusetzen. D u r c h die alanwaltschaftlich die Interessen derjenigen P r o f e s s i o n a l i s i e r u n g sozialer Dienste bildet benachteiligten B e v ö l k e r u n g s g r u p p e n z u ver- sich bei den M i t a r b e i t e r n zunehmend treten, die ihre Interessen nicht selbst artiku- eine spezifische Berufsethik und eine theoretische lieren ( k ö n n e n ) , erwarten die M i t g l i e d e r von Wissensbasis aus, die nicht nur rein tech- den Verbandsleitungen, d a ß sie g e m ä ß der nisch-fachliche auch weltanschaulichen Grundlagen die A r m e n i n - professionelle N o r m e n und Wertvorstellungen teressen vertreten. D u r c h die vereinsrechtli- u m f a ß t , die die Grundlage f ü r die Bereitschaft che Organisation der V e r b ä n d e k ö n n e n die zur Kenntnisse, sondern s o z i a l a n w a l t s c h a f t l i c h e n Interessenver- M i t g l i e d e r ihre Vorstellungen z u m einen ü b e r Vorstellungen die ehrenamtlichen V o r s t ä n d e und M i t g l i e d e r - bilden (Leisering 1993). D i e F a c h k ä f t e k ö n - versammlungen direkt i n den innerverband- m i t t l u n g aufgrund fachlicher nen sich mit ihren Z i e l e n innerverbandlich i n lichen zweifacher Hinsicht durchsetzen: Z u m einen Z u m anderen m ü s s e n die L e i t u n g s k r ä f t e auch sind die Verbandsleitungen auf die K o m p e - auf die Mitglieder R ü c k s i c h t nehmen, da die- tenz der F a c h k r ä f t e angewiesen, da F a c h l i c h - se wie die F a c h k r ä f t e einen zentralen L e g i t i - keit einen zentralen Legitimationsfaktor der mationsfaktor nach a u ß e n und zudem ein be- W o h l f a h r t s v e r b ä n d e g e g e n ü b e r den ä u ß e r e n deutendes Ressourcenpotential in F o r m v o n U m w e l t e n darstellt. D i e Verbandsleitungen M i t g l i e d s b e i t r ä g e n , Spenden und ehrenamt- m ü s s e n daher das Fachpersonal sowie die lichem Engagement darstellen. Fachreferenten bei verbandspolitischen Entscheidungen miteinbeziehen, wodurch Exper- Willensbildungsprozeß einbringen. 53 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 werden, problem konfrontiert waren, die das T h e m a d a ß in den W o h l f a h r t s v e r b ä n d e n idealtypisch Mitte der 80er Jahre i n die Fachdiskussion drei Akteursgruppen in den V e r b ä n d e n bereit einbrachten und damit D r u c k auf die Ver- sein können, bandsstrukturen a u s ü b t e n (Aust 1993: 579f)- Z u s a m m e n f a s s e n d kann festgestellt die Interessen Dritter anwalt- schaftlich zu vermitteln: die Leitungsebene, Aufgrund die F a c h k r ä f t e und die Mitglieder. F ü r die B e - e m p f a h l 1986 der w i s s e n s c h a f t l i c h e Beirat des innerverbandlichen Drucks reitschaft z u m a n w a l t s c h a f t l i c h e n Engage- des P a r i t ä t i s c h e n Wohlfahrtsverbandes d e m ment liegen jedoch unterschiedliche M o t i v e Vorstand, sich des Themas Armutsberichter- vor - strategische, fachliche und weltanschau- stattung anzunehmen (Schneider 1989: 275). liche - , so d a ß von den drei Akteursgruppen Jedoch war dieses Vorgehen innerverbandlich unterschiedliche Z i e l e verfolgt werden k ö n - nicht unumstritten. So wurden noch 1989, als nen und es z w i s c h e n ihnen zu Auseinander- der P a r i t ä t i s c h e z u m ersten M a l seit seinem setzungen ü b e r die armutspolitische A u s r i c h - Bestehen V e r b a n d s g r u n d s ä t z e tung und Strategie k o m m e n kann. Im folgen- te, innerhalb des Verbandes Auseinanderset- den w i r d nun a m B e i s p i e l der armutspoliti- zungen d a r ü b e r g e f ü h r t , ob der Verband ein schen Wohlfahrtsverbände reiner Dienstleistungsverband f ü r M i t g l i e d s - aufgezeigt, welchen E i n f l u ß die Akteursgrup- organisationen w ä r e oder ob er eine d a r ü b e r pen j e w e i l s auf die Verbandspolitik nehmen. hinaus gehende sozialanwaltschaftliche F u n k - Aktivitäten der verabschiede- tion hätte. N a c h A u s k u n f t eines Vertreters des 3 Paritätischer Wohlfahrtsverband und Caritas Paritätischen wurde diese Frage z w i s c h e n A k teuren, die ihre Arbeit mit einem Ü b e r g e w i c h t politisch verstehen, und A k t e u r e n , die eher Unter den f ü n f g r o ß e n W o h l f a h r t s v e r b ä n d e n heben sich die Caritas und der P a r i t ä t i s c h e Wohlfahrtsverband deutlich heraus: Diese V e r b ä n d e sind bis Mitte der neunziger Jahre wiederholt mit eigenen Armutsberichten an die Ö f f e n t l i c h k e i t gegangen. 2 Im folgenden w i r d dargestellt, welche A k t e u r e die Verstärk u n g der Armutsberichterstattung einforder- ten, welche Z i e l e diese verfolgten und mittels welcher Strategien sie versuchten, ihre betriebswirtschaftlich denken, „ h e f t i g debattiert, w i r k l i c h heftig. D i e D i s k u s s i o n ging quer 3 durch den Verband". L e t z t l i c h m u ß t e sich die Verbandsleitung dem D r u c k der F a c h v e r b ä n de beugen. W i e sich ein Verbandsvertreter ä u ßerte: „ E s gab einen Problemdruck, der sich innerverbandlich artikulierte und den Verband zwang, auch zu diesem T h e m a Stellung z u nehmen. Selbst wenn das nicht politisch opportun war". Z i e l e durchzusetzen. B e i der Caritas war die Intensivierung des 3.1 Die Akteure armutspolitischen Engagements innerver- bandlich ebenfalls umstritten. A u c h hier m u ß B e z ü g l i c h der entscheidenden Akteure ist bei- ten erst die F a c h k r ä f t e D r u c k a u s ü b e n , bis den V e r b ä n d e n gemeinsam, d a ß die armuts- der Verband in die Ö f f e n t l i c h k e i t ging. So wur- politische Initiative weder von den i n d i v i d u - den trotz der eindeutigen normativen A u s r i c h - ellen M i t g l i e d e r n noch von der Leitungsebe- tung, den „ Ä r m s t e n der A r m e n " zu helfen, ne, sondern von F a c h k r ä f t e n und F a c h v e r b ä n - deren Interessen von der Caritas bis Mitte der den ausging. Im F a l l des P a r i t ä t i s c h e n W o h l - 80er Jahre nicht in der Ö f f e n t l i c h k e i t vermit- fahrtsverbandes waren es v o r n e h m l i c h die telt (Kuper 1988: 14). E i n e Ursache h i e r f ü r F a c h v e r b ä n d e , die vor Ort mit dem A r m u t s - ist i n den engen personellen B i n d u n g e n an 54 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10. HEFT 2, 1997 die christliehen Regierungsparteien und an se M ü n s t e r 1987). D i e Bundesebene reagier- die A m t s k i r c h e zu finden. So kam nach A u s - te darauf nach A u s k u n f t eines Caritas-Refe- sage eines Caritasreferenten eine in den 80er renten z u n ä c h s t sehr verhalten. S c h l i e ß l i c h Jahren geplante mutsuntersuchung V e r ö f f e n t l i c h u n g einer A r - sollte es nicht z u m K o n f l i k t z w i s c h e n C D U / nicht zustande, w e i l sich C S U und der Caritas k o m m e n . D e r P r ä s i d e n t die Caritas aus parteipolitischen E r w ä g u n g e n der Caritas hätte intern sehr deutlich gesagt, k u r z f r i s t i g z u r ü c k z o g , „weil das Institut z u d a ß das Engagement der D i ö z e s e M ü n s t e r linkslastig war". A u f g r u n d der sich abzeich- zwar sehr mutig gewesen sei, d a ß aber die nenden politischen Ergebnisse wurde b e f ü r c h t e t , „ d a ß Forderungen auf Bundesebene man sich mit der C D U - R e g i e r u n g s m a n n s c h a f t nicht umsetzbar seien: „ D e r hat sich i m G r u n - in C l i n c h begeben m ü ß t e , und das wollte man de ein Stück von dem Armutsbericht abge- zu dem Zeitpunkt nicht". Ferner waren nach setzt. A u f der Ebene: Ich w i l l m i c h da nicht E i n s c h ä t z u n g dieses Fachreferenten innerhalb in die Nesseln setzen, das ist m i r politisch zu des Verbandes auch deshalb W i d e r s t ä n d e vor- heiß". handen, sich politisch f ü r die A r m e n k l i e n t e l einzusetzen, da soziale Dienste f ü r A r m e nicht p r o f i t t r ä c h t i g seien und es daher nicht i m Verbandsinteresse liege, sich armutspolitisch z u engagieren ( „ D a s ist nicht wie ein K r a n k e n haus, w o ich mit verdienen kann, oder eine Sozialstation. Das sind alles Dienste, w o i c h nur G e l d reinbuttern m u ß " ) . Mangelndes armutspolitisches Engagement und sogar ein W i d e r w i l l e n in bezug auf einen entsprechenden Einsatz resultieren schließlich auch aus den vorherrschenden Armutsbildern innerhalb des Verbandes. D i e A t m e n , so wie sie nach Ansicht eines Caritasvertreters verbandsintern gesehen werden, entsprechen nicht dem B i l d der A r m e n , die der H i l f e w ü r d i g sind. D i e C a ritas sei zwar von ihrem A n s p r u c h her f ü r die Ä r m s t e n der A r m e n da, „ a b e r wenn sie stin- D u r c h den Armutsbericht des D i ö z e s a n c a r i tasverbandes M ü n s t e r wurde die Armutsproblematik jedoch auch i n anderen Diözesan- c a r i t a s v e r b ä n d e n intensiver diskutiert, so d a ß der Bundesverband Probleme bekam, den f e h lenden Einsatz f ü r die A r m e n zu rechtfertigen. E i n weiteres verbandspolitisches H i n d e r nis wurde dadurch a u s g e r ä u m t , d a ß Ende der 80er Jahre der P r ä s i d e n t der Caritas seine B e denken, sich politisch zu engagieren, aufgab. A u f g r u n d seiner christlichen Weltanschauung - so ein Verbandsvertreter - hätte er davon ü b e r z e u g t werden k ö n n e n , d a ß ein Engagement f ü r die Interessen der A r m e n notwendig w ä r e . D a m i t war auch in der Caritas der W e g f ü r die Intensivierung des armutspolitischen Engagements geebnet. ken und saufen und unkonventionell sind, und zu Tageszeiten k o m m e n , w o w i r unsere B e r a t u n g s b ü r o s geschlossen haben, dann passen 3.2 Die Ziele sie auch nicht in unser Schema rein". D i e Leitungsebenen beider V e r b ä n d e v e r f o l g ten mit der Intensivierung ihres armutspolitiAm A n f a n g der armutsspolitischen Wende schen Engagements E n d e der 80er Jahre ne- standen wie beim Paritätischen die A k t i v i t ä - ben der Vermeidung massiver innerverband- ten einiger engagierter P r a k t i k e r und Mit- licher Verwerfungen weitere verbandspoliti- g l i e d s v e r b ä n d e . So brachte der D i ö z e s a n c a - sche Z i e l e . So versuchten ritasverband M ü n s t e r 1987 u n a b h ä n g i g v o n auch, sich in der Ö f f e n t l i c h k e i t zu p r o f i l i e - der Caritasleitung i n Freiburg einen A r m u t s - ren. N a c h Interviewaussagen wollte die C a r i - bericht heraus (Caritasverband f ü r die D i ö z e - tas das armutspolitische E n g a g e m e n t beide V e r b ä n d e dazu FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 nutzen, „ d a s Image des alten, verstaubten ka- p r ä g t e n M e n s c h e n auf der anderen Seite und tholischen Kastens abzulegen". D a der P a r i - F u n k t i o n s t r ä g e r n , die den ganzen L a d e n z u - t ä t i s c h e nach den E r g e b n i s s e n einer Infas- sammenhalten m ü s s e n auf der dritten Seite". U m f r a g e (Infas 1993: 4) nur f ü r 7 % der B e - W ä h r e n d die Initiativen die E i n f ü h r u n g e i - v ö l k e r u n g ein B e g r i f f ist, war es f ü r den Ver- nes Existenzgeldes forderten, verlangten an- band aufgrund dieser nach E i n s c h ä t z u n g ei- dere die Beibehaltung der Armutsvermeidung nes Verbandsvertreters ü b e r das B S H G . Dritte, h ä u f i g auch progres- „erschreckenden ErBekannt- sive Wissenschaftler, s t ü n d e n dazwischen und heitsgrad zu e r h ö h e n ( „ D a s löst natürlich ge- forderten eine umfassende R e f o r m i e r u n g des nau ein solches Nachdenken aus, wie k ö n n e n B S H G . „ D a n n ist es Sache der F u n k t i o n ä r e wir unser Image aufpolieren"). D a z u konnte i m Verband, [...] die sozialpolitischen Stel- die Darstellung als Sozialanwalt ein Weg sein. lungnahmen so zu formulieren, d a ß ein brei- A u f g r u n d dessen habe der Verband nach A u s - ter innerverbandlicher Konsens m ö g l i c h ist." gebnisse" ohnehin nötig, seinen sage eines Verbandsvertreters bei der Erstellung von Armutsberichten sehr darauf achten A m B e i s p i e l der Caritas soll i m folgenden dar- m ü s s e n , „ d a ß w i r dieses so optimal verkau- gestellt werden, wie die V e r b ä n d e vorgingen, fen, d a ß sich f ü r die Ö f f e n t l i c h k e i t damit et- u m die unterschiedlichen Z i e l d i m e n s i o n e n was verbindet, wenn sie P a r i t ä t i s c h e r h ö r e n " . z u s a m m e n z u f ü h r e n . 1988 wurde v o m Z e n - G l e i c h z e i t i g verfolgten die Verbandsstrategen entschieden, die Arbeitsgruppe „ A r m u t s d i s - das Z i e l , mit dem v e r s t ä r k t e n Einsatz f ü r die kussion des Zentralvorstandes" z u g r ü n d e n tralvorstand des Deutschen Caritasverbandes A r m e n m ö g l i c h s t nicht allzu starke K r i t i k sei- ( B o c k 1992: 536f). In dieser Arbeitsgruppe tens der P o l i t i k hervorzurufen. E i n Verbands- hatten L e i t u n g s k r ä f t e ein deutliches Ü b e r g e - vertreter des P a r i t ä t i s c h e n d r ü c k t e die not- wicht g e g e n ü b e r den F a c h k r ä f t e n . N a c h E i n - wendige Gratwanderung f o l g e n d e r m a ß e n aus: s c h ä t z u n g eines Caritas-Referenten sollte da- D i e W o h l f a h r t s v e r b ä n d e seien in dem „ Z w i e - mit verhindert werden, „ d a ß eine z u starke spalt, einerseits F o r m e n v o n ausgelagerten Praxisorientierung da mit r e i n k a m , eine z u Staatsagenturen z u sein, [...] auf der anderen starke Linksorientierung". U m den A n t r a g zur Seite sind sie M i t g l i e d e r v e r b ä n d e . [...] G e r a - Erstellung eines Armutsberichtes durch die de der P a r i t ä t i s c h e ist der Verband, der e i - dem armutspolitischen Engagement gentlich am s t ä r k s t e n in diesen widerstreit- noch enden Interessen steht, und versuchen m u ß , bandlichen G r e m i e n zu b e k o m m e n , sollte z u m innerverbandlich auch dieses zusammenbrin- einen eine theoretische gen." ü b e r den A r m u t s b e g r i f f vermieden skeptisch gegenüber immer stehenden ver- Auseinandersetzung werden. Statt dessen sollte klientenorientiert und de- 3.3 Die Strategien D i e Verbandsleitungen m u ß t e n demnach versuchen, die unterschiedlichen Z i e l e miteinander zu vereinbaren. Diese Strategie war jedoch s c h w i e r i g umzusetzen. So gab es beim P a r i t ä t i s c h e n nach A u s k u n f t eines Verbandsvertreters Spannungen „ z w i s c h e n den Initiativen auf der einen Seite, wissenschaftlich ge- skriptiv vorgegangen werden. Z u m anderen wurde versucht, einen „ g e e i g n e t e n " wissenschaftlichen Projektleiter a u s z u w ä h l e n : N a c h E i n s c h ä t z u n g eines Fachreferenten der C a r i tas vergab man den Forschungsauftrag an e i nen Wissenschaftler, der sich bis dahin nicht mit „ r a d i k a l e n " V o r s c h l ä g e n hervorgetan hatte, u m allzu extremen armutspolitischen F o r derungen vorzubeugen. Angesichts dieser rr i FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10. HEFT 2, 1997 Vorgehensweis gaben auch die kritisch ge- nisterin f ü r F a m i l i e und Senioren, Hannelore g e n ü b e r dem armutspolitischen R ö n s c h , bezeichnete den A n s a t z der Caritas Engagement der Caritas eingestellten Verbandsvertreter i h - als einen weiteren „ h i l f r e i c h e n B e i t r a g , u m ren Widerstand auf. das Problem sozialer Ausgrenzung in Deutschland v e r l ä ß l i c h e r als bisher z u k l ä Trotz dieser strategischen Ü b e r l e g u n g e n w a - ren" und erhofft sich „ e i n e V e r s a c h l i c h u n g ren i m folgenden nicht alle Probleme gelöst. der D i s k u s s i o n ü b e r A r m u t , in der bisher oft So wurden innerhalb der Arbeitsgruppe, die zu pauschale Urteile vorgeherrscht vorwiegend nicht aus Armutsfachleuten be- ( B M F u S 1993). stand, z u n ä c h s t doch haben" Auseinandersetzungen d a r ü b e r g e f ü h r t , was ü b e r h a u p t unter A r m u t W i e sehr die armutspolitischen Forderungen zu verstehen ist. D a eine E i n i g u n g auf eine der Caritas von strategischen A r m u t s d e f i n i t i o n z w i s c h e n den K o n s e r v a t i - g e p r ä g t waren, ist auch daran zu erkennen, ven und den Progressiven nicht erzielt wer- d a ß sie diese nicht p r i m ä r von den B e d a r f e n den konnte, der Armutsbericht jedoch auch der A r m e n , sondern vielmehr von der H a u s - Überlegungen nicht scheitern sollte, wurde die innerverband- haltslage des Staates a b h ä n g i g machte, w i e liche D i s k u s s i o n ausgesetzt und z u n ä c h s t die ein Caritasvertreter schilderte: „In dem z u m deskriptive Untersuchung in G a n g gesetzt. In Ende der Caritas-Armutsuntersuchung h i n en- der Untersuchung wurde - um sich alle Wege ger werdenden offen zu halten - mit mehreren A r m u t s d e f i - w ä r e eine Forderung einer 30%igen E r h ö h u n g nitionen gerechnet, d.h. neben der S o z i a l h i l - der S o z i a l h i l f e nicht durchsetzbar fegrenze wurden mehrere relative E i n k o m - o b w o h l dies viele auch i m Caritasverband ge- mensarmutsgrenzen b e r ü c k s i c h t i g t . N a c h A b - fordert haben". Deswegen wurden i m A r m u t s - schluß bericht auch a u s d r ü c k l i c h die geringen K o - der Caritas-Armutsuntersuchung „ A r m e unter uns" ( H a u s e r / H ü b i n g e r in deren F o l g e dann auch Finanzhaushalt des Staates gewesen, 1993), sten der Forderungen betont: „ S o w ä r e n die armutspolitische z u s ä t z l i c h e n A u s g a b e n geringer als es z u - Forderungen erhoben werden sollten, setzte n ä c h s t den A n s c h e i n haben m a g " (Hauser/ sich die D i s k u s s i o n u m den A r m u t s b e g r i f f Hübinger fort. D i e unterschiedlichen Positionen kamen nach Beseitigung der verdeckten A r m u t war 1993: 34). Selbst die F o r d e r u n g s c h l i e ß l i c h l e d i g l i c h auf den kleinsten ge- aber innerhalb der Caritas noch umstritten. meinsamen Nenner, d a ß das Unterschreiten E i n M i t g l i e d der Arbeitsgruppe b e f ü r c h t e t e der S o z i a l h i l f e s c h w e l l e als A r m u t gewertet nach A u s k u n f t eines Verbandsvertreters, d a ß werden m u ß ( „ v e r d e c k t e A r m u t " ) . Das p r i - auch die moderaten Forderungen, wenn die m ä r e M i t t e l der Armutsbeseitigung besteht f ü r verdeckt A r m e n die ihnen zustehende S o z i - die Caritas demnach darin, allen Anspruchs- alhilfe w i r k l i c h beantragen berechtigten das E x i s t e n z m i n i m u m in H ö h e stenintensiv seien. würden, zu ko- der S o z i a l h i l f e zu verschaffen ( H a u s e r / H ü binger 1993: 34; Becker 1993: 13). D i e Arbeitsgruppe verfolgte diese 4 Die arideren Verbände Strategie W ä h r e n d sich der P a r i t ä t i s c h e und die C a r i - v o r n e h m l i c h deshalb, um sich nicht gegen- tas in der Ö f f e n t l i c h k e i t durch die P r ä s e n t a t i - ü b e r der Politik aufgrund illusorischer F o r - on mehrerer Armutsberichte besonders p r o f i - derungen angreifbar zu machen. Diese Stra- liert haben, b e s c h r ä n k t e sich die Intensivie- tegie g i n g auf, denn die damalige B u n d e s m i - rung des armutspolitischen Engagements bei 5 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 der Arbeiterwohlfahrt ( A W O ) , der D i a k o n i e i ben". In diesem K o n f l i k t zwischen Fachrefe- und dem Deutschen Roten K r e u z ( D R K ) bis- renten und L e i t u n g s k r ä f t e n hat sich die Ver- lang ü b e r w i e g e n d auf die M i t g l i e d s c h a f t in bandsleitung bislang weitgehend durchsetzen der k ö n n e n , so d a ß ein wirksames sozialanwalt- N a t i o n a l e n A r m u t s k o n f e r e n z und auf schaftliches Engagement unterblieb. D i e U r - punktuelle Stellungnahmen. sache f ü r das fehlende Engagement des D R K F ü r die vergleichsweise z u r ü c k h a l t e n d e A r - dagegen liegt vornehmlich in seiner D o p p e l - mutspolitik dieser V e r b ä n d e gibt es funktion als Wohlfahrtsverband und nationa- mehrere Ursachen. Z u m einen ist festzustellen, d a ß die ler Rotkreuzgesellschaft b e g r ü n d e t , aufgrund F a c h k r ä f t e i n diesen V e r b ä n d e n weniger gut derer traditionell ein sehr enges V e r h ä l t n i s organisiert sind und geringeren D r u c k auf die z u m Staat besteht. Weiterhin zeigen sich be- Verbandsleitungen a u s g e ü b t haben. Z u m an- sonders intensive personelle Verflechtungen deren waren hier auch die anderen Akteurs- zu Parteien und staatlichen Institutionen, die gruppen - die Leitungsebene i n f o l g e bei der B e s e t z u n g v o n Leitungsposten strate- des b e g r ü n d e t e r Bedenken, die Mitglieder D R K z u m A u s d r u c k k o m m e n . D i e s f ü h r t zu bzw. V o r s t ä n d e aufgrund der in diesen Ver- einer konservativen Grundtendenz des Ver- b ä n d e n bestehenden Weltanschauungen bandes, weswegen es die P r ä s i d e n t e n nach gisch - bis Mitte der 90er Jahre gegen eine Intensivie- D e u t u n g eines Verbandsvertreters rung des armutspolitischen Engagements. armutspolitisch tätig zu werden: „ D i e P r ä s i - ablehnen, denten sind in der Regel dem sehr abgeneigt, Die Leitungsebenen dieser V e r b ä n d e verhin- sich ü b e r h a u p t in irgendeiner Weise sozial- derten eine Intensivierung der A r m u t s p o l i t i k politisch zu engagieren oder festlegen zu las- aus mehreren G r ü n d e n . Bei der D i a k o n i e w o l l - sen". Legitimiert werden kann dieser W i d e r - te spruch z u m A u f t r a g in den Statuten, „ A n w a l t man die finanzkräftige Kirchenklientel nicht Uber eine „ R e i c h t u m s d i s k u s s i o n " ver- f ü r die prellen, derzufolge die (Kirchen)Steuerzahler (Helms 1990: 100) zu sein, Uber den Neutra- Schwachen oder Benachteiligten" finanzielle müßten. l i t ä t s g r u n d s a t z i n der P r ä a m b e l , nach d e m A u c h die A r b e i t e r w o h l f a h r t hielt sich auf- sich die Rotkreuzbewegung zu jeder Z e i t an grund armutspo- politischen Auseinandersetzungen enthält, u m Einbußen finanzieller hinnehmen Abhängigkeiten litisch z u r ü c k . N a c h M e i n u n g eines A W O - sich das Vertrauen aller zu bewahren. D i e auf- Fachreferenten steht die A W O aufgrund ihres grund der Organisationsstruktur mit weitrei- geringen Eigenmittelanteils und der daraus chenden E i n f l u ß m ö g l i c h k e i t e n versehene L e i - folgenden von tungsebene des D R K kann unter B e z u g auf staatlichen Geldern stärker als die konfessio- diesen Grundsatz politisches Engagement ab- ausgeprägten Abhängigkeit nellen V e r b ä n d e i m L o y a l i t ä t s k o n f l i k t z w i - lehnen, w i e sich ein D R K - V e r t r e t e r a u s d r ü c k - schen Armeninteressen und organisatorischen te, „ d e n D e c k e l draufhalten", und somit ver- Eigeninteressen der Substanzerhaltung ihrer meiden, d a ß sich jemand „auf den Schlips ge- E i n r i c h t u n g e n und Dienste: „ B e i d e s kann man treten f ü h l t und sagt: W i e k ö n n t ihr denn da nicht gleichwertig und gleich intensiv wahr- sowas sagen? Das ist gegen unsere eigene nehmen, das ist eine pure S e l b s t t ä u s c h u n g . C D U - P o l i t i k " . E i n D R K - R e f e r e n t vertritt die Jede Wahrnehmung der sozialpolitischen A n - pessimistische E i n s c h ä t z u n g : „ E s ist politisch waltsrolle kann langfristig A r b e i t s p l ä t z e der nie m ö g l i c h gewesen, w i r k l i c h daranzugehen A W O g e f ä h r d e n . D a m u ß man realpolitisch und das mal i n die ö f f e n t l i c h e D i s k u s s i o n z u sein und darf sich nicht Phantasien bringen". hinge- 58 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 E i n e weitere Ursache f ü r das fehlende sozi- viele leitende A W O - F u n k t i o n ä r e , die j a sel- alanwaltschaftliche Engagement dieser Ver- ber S P D - F u n k t i o n ä r e sind, und i m R e g e l f a l l b ä n d e besteht neben strategischen Ü b e r l e g u n - mehr S P D - F u n k t i o n ä r s m e n t a l i t ä t haben als gen der Leitungsebene in den weltanschau- A W O " . Dies bewirkt eine A u s r i c h t u n g an den lich g e p r ä g t e n Armutsbildern, die bei den A k - sozialen Problemlagen der S P D - K l i e n t e l . D a teuren dieser V e r b ä n d e vorherrschen. So wur- sich die klassische Klientel der S P D aber tra- de auf der Leitungsebene der D i a k o n i e , die ditionell aus Arbeitnehmern im Altersdurchschnitt um etwa 60 Jahre liegt, stehen i m Mittelpunkt der politischen Forde- nach Aussage eines Fachreferenten noch Mitte rungen deren Lebensbedingungen und nicht der neunziger Jahre mit dem tradierten B e - die die Frage, ob die S o z i a l h i l f e r e g e l s ä t z e eine g r i f f von 'absoluter A r m u t ' operiert. zusammensetzt, „Die menschenwürdige Existenz ermöglichen (Lei- gucken, was in ihrer eigenen Biographie war. sering 1993: 496). S o rechtfertigt selbst ein D i e sehen da irgendwelche T r ü m m e r f r a u e n , A W O - F a c h r e f e r e n t f ü r A r m u t die N o t w e n d i g - die abgemagert einen E i m e r Wasser tragen, keit des Lohnabstandsgebots: „ E s geht nicht der f ü r die ganze F a m i l i e eine Woche reichen an, d a ß die R e a l e i n k o m m e n der A r b e i t n e h - m u ß . E i n e bestimmte Generation nimmt sich mer sinken und die S o z i a l h i l f e r e g e l s ä t z e real schmale B e g r i f f l i c h k e i t e n raus, lehnt ab, d a ß konstant bleiben". Insofern betreibt die A W O das so oder so bezeichnet w i r d - auch i m lediglich symbolische Oppositionspolitik, d.h. Bereich A r m u t - und bringt es dann fertig, die Regierungspolitik w i r d verbal verurteilt fast das ganze T h e m a zu negieren". D a m i t ist und das Problem dramatisiert, ohne die A r - insbesondere der bis 1994 amtierende P r ä s i - meninteressen ernsthaft zu vermitteln. dent der D i a k o n i e gemeint, der etwa in e i nem A r t i k e l konstatierte: „ W e r gerade von e i ner d r e i w ö c h i g e n Reise zu K i r c h e n und 'Brot f ü r die Welt'-Projekten in O s t a f r i k a z u r ü c k kommt und die A r m u t und das E l e n d so vieler M e n s c h e n vor A u g e n hatte, tut sich schwer, ü b e r A r m u t und arme M e n s c h e n in der B u n desrepublik Deutschland zu schreiben" ( N e u k a m m 1988: 11). Dementsprechend hatte das T h e m a ' A r m u t in der Bundesrepublik' nach Ansicht eines Fachreferenten f ü r den P r ä s i denten keine Priorität und wurde von i h m vernachlässigt. D e n Fachreferenten dieser V e r b ä n d e bleibt bislang lediglich das A u s w e i c h e n in die N a tionale Armutskonferenz in der Bundesrepublik Deutschland ( N A K ) . D i e 1991 g e g r ü n dete N A K ist ein nationaler A b l e g e r des eur o p ä i s c h e n Armutsnetzwerkes und eine Institution, in der neben den W o h l f a h r t s v e r b ä n den auch ü b e r r e g i o n a l e Selbst- und F r e m d hilfeorganisationen sowie der D G B M i t g l i e d sind. D i e N A K kritisiert seit ihrem Bestehen auch i m Namen und mit U n t e r s t ü t z u n g der W o h l f a h r t s v e r b ä n d e vehement die S o z i a l p o litik der Bundesregierung und fordert eine A u c h bei der A W O spielen weltanschaulich kostenintensive g e p r ä g t e soziale P r o b l e m b i l d e r eine ( N A K 1993). D a die Delegierten der N A K i n große Armutsvermeidungspolitik R o l l e f ü r die V e r n a c h l ä s s i g u n g des A r m u t s - der Regel der Fachreferentenebene themas. T r o t z der formellen U n a b h ä n g i g k e i t b ä n d e entstammen, k ö n n e n i n fachpolitischen der Ver- von der S P D bestehen v i e l f ä l t i g e personelle Diskursen unter E i n s c h l u ß v o n Fachreferen- nach A u s k u n f t eines ten von V e r b ä n d e n , die innerverbandlich eine Fachreferenten dazu f ü h r t , d a ß auf Leitungs- eher schwache Stellung einnehmen, Positio- ebene eher S P D - als A W O - P o s i t i o n e n vertre- nen entwickelt werden, die ü b e r die Forde- ten werden. „ D a s P r o b l e m ist, w i r haben j a rungen V e r f l e c h t u n g e n , was der Einzelverbände hinausgehen. 59 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 D e m z u f o l g e beschreibt ein Referent der D i a - derungen - insbesondere konie die Nationale Armutskonferenz als e i - der Caritas - relativ g e m ä ß i g t blieben. A u c h nen „Bypass", bei den V e r b ä n d e n , die sich armutspolitisch der an den von der Leitungs- ebene gemachten Restriktionen vorbei f ü h r t . i m Armutsbericht bislang vergleichsweise eher z u r ü c k h i e l t e n , spielen strategische Ü b e r l e g u n g e n der Ver- D i e S t ä r k e der N A K , d a ß viele F a c h k r ä f t e in bandsleitungen eine g r o ß e R o l l e . A u s R ü c k - ihr vertreten sind, ist gleichzeitig auch ihre sichtsnahme S c h w ä c h e . W ä h r e n d die von verbandsstrate- auch Steuerzahler auf Beitrags-, Spendenund aufgrund oder gewachse- gischen und weltanschaulichen Ü b e r l e g u n g e n ner Verflechtungen mit dem Staat oder mit g e p r ä g t e n Armutsberichte von den Verbands- den g r o ß e n Parteien sind dem sozialanwalt- spitzen letztlich mitgetragen schaftlichen Engagement keitswirksam präsentiert und ö f f e n t l i c h - wurden, sind die der Wohlfahrtsver- b ä n d e Grenzen gesetzt. V e r b ä n d e in der N A K laut einem Verbandsvertreter „ m i t irgendwelchen Leuten von der Neben diesen strategischen Ü b e r l e g u n g e n der Basis vertreten, die i m Verband keine richti- Verbandsleitungen k ö n n e n auch die in den ge P o w e r haben". Deshalb ist die Ressour- W o h l f a h r t s v e r b ä n d e n existierenden cenausstattung und der E i n f l u ß auf die i n - schauungen - etwa in F o r m dadurch g e p r ä g - nerverbandlichen D i s k u s s i o n e n , aber auch der ter Armutsbilder oder auch einer daraus re- Bekanntheitsgrad sultierenden E i n g r e n z u n g der K l i e n t e l - die sowie die Ö f f e n t l i c h k e i t s - w i r k u n g der N A K relativ begrenzt. Infolge- Weltan- Bereitschaft zur sozialanwaltschaftlichen Ver- dessen bleibt die A r m u t s p o l i t i k der N A K letzt- mittlung von Armeninteressen hemmen. Das lich wirkungsloser als die der einzelnen W o h l - g r ö ß t e Problem f ü r die F a c h k r ä f t e , die die ar- f a h r t s v e r b ä n d e . Z u m anderen besteht f ü r die mutspolitische D i s k u s s i o n s o w o h l in den E i n - L e i t u n g s k r ä f t e der V e r b ä n d e die M ö g l i c h k e i t , z e l v e r b ä n d e n als auch in der N A K m a ß g e b - i m F a l l e einer u n e r w ü n s c h t e n Z u n a h m e des lich voranbringen, liegt darin, d a ß diese e i - politischen E i n f l u s s e s der N A K ihre D e l i g i e r - nen relativ geringen direkten ten abzuberufen oder deren M a n d a t e i n z u - verbandspolitischen Entscheidungen schränken. k ö n n e n , die letztendlich auf der Leitungsebe- E i n f l u ß auf die nehmen ne getroffen werden. D i e F a c h k r ä f t e haben 5 nur dann Chancen sich durchzusetzen, wenn Fazit und Ausblick entweder die P r ä s i d e n t e n und die G e s c h ä f t s In der A n a l y s e der Interessen, Ziele und Stra- f ü h r e r es f ü r sinnvoll erachten, die Sozialan- tegien der verschiedenen verbandlichen A k - waltsrolle zu stärken, oder wenn sie in der wurde deutlich, d a ß die Ver- Lage sind, den innerverbandlichen D r u c k der- der Caritas und des Paritäti- artig zu v e r s t ä r k e n , d a ß sich die L e i t u n g s - teursgruppen bandsieitungen schen Wohlfahrtsverbandes mutsberichten mit eigenen A r - an die Ö f f e n t l i c h k e i t gegan- k r ä f t e ihren Forderungen nicht entziehen k ö n nen. gen sind, um dem innerverbandlichen D r u c k durch M i t g l i e d s v e r b ä n d e und F a c h k r ä f t e zu Was begegnen und um das Image der V e r b ä n d e in schaftlicher Interessenvermittlung der Ö f f e n t l i c h k e i t z u verbessern. Gleichzei- wurde der G i p f e l des armutspolitischen E n - tig durfte die Tragweite armutspolitischer For- gagements zumindest i m F a l l e des Paritäti- die Zukunftsaussichten sozialanwaltbetrifft, so derungen das kooperative Verhältnis zur R e - schen mit der V e r ö f f e n t l i c h u n g des A r m u t s - gierung nicht g e f ä h r d e n , weswegen diese F o r - berichtes 1994 erreicht. D i e Verbandsstrate- 60 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 gen hegen inzwischen die B e f ü r c h t u n g , d a ß A b s c h l i e ß e n d ist zu fragen, ob eine Verstär- sich die einseitige A u s r i c h t u n g auf die A r - kung der sozialanwaltschaftlichen Interessen- mutsproblematik nachteilig auf das Verbands- vermittlung durch image auswirken k ö n n t e . D e r Verband m ü s s e aus der S i c h t der B e t r o f f e n e n eher positiv zur oder negativ zu beurteilen ist. A u f r e c h t e r h a l t u n g eines nach A u s s a g e des Positivimages zuständigen die Wohlfahrtsverbände Referenten „ s e h r d e u t l i c h aufpassen, d a ß unser P r o f i l D i e Armutsberichte der W o h l f a h r t s v e r b ä n d e nicht z u einseitig w i r d , d a ß w i r nachher nicht stellen einen zu sozialpolitisches P r o b l e m ü b e r h a u p t i n der e i n s e i t i g als A r m u t s v e r b a n d dastehen." denkbaren W e g dar, A r m u t als Deshalb versuche der P a r i t ä t i s c h e , sich aus politischen Ö f f e n t l i c h k e i t zu „rein strategischen Ü b e r l e g u n g e n , die man in D a weder eine e i n f l u ß r e i c h e Selbstorganisa- der Ö f f e n t l i c h k e i t s a r b e i t anstellt", auch in an- tion von A r m e n existiert n o c h der politische deren Politikbereichen wieder zu engagieren. W i l l e auf Seiten der Bundesregierung, sich A u s diesem G r u n d w i r d aller Voraussicht nach mit dem Armutsthema z u b e s c h ä f t i g e n , vor- kein weiterer Armutsbericht erscheinen. thematisieren. handen ist, w ä r e das Wissen der politischen Ö f f e n t l i c h k e i t ü b e r die A r m u t s p r o b l e m a t i k Dagegen scheinen insgesamt verstärkt auf politischen K o n f l i k t - die Wohlfahrtsverbände ohne die mit g r o ß e m finanziellen A u f w a n d erstellten Armutsberichte noch geringer. kurs zur Bundesregierung zu gehen. So ist bei der D i a k o n i e seit M i t t e der neunziger Jah- Andererseits werden die Armeninteressen von re eine politische Neuorientierung zu ver- den S o z i a l a n w ä l t e n h ä u f i g f ü r verbandspoli- zeichnen. M i t dem Personalwechsel an der tische Z i e l e instrumentalisiert, gefiltert und Spitze der D i a k o n i e i m Herbst 1994 ist of- damit nicht authentisch vertreten, so d a ß sich f e n s i c h t l i c h ein die Z i e l e der Betroffenen nicht notwendiger- Wandel der A r m u t s b i l d e r m ö g l i c h und ein innerverbandlicher D i s k u s - weise mit denen der S o z i a l a n w ä l t e decken. s i o n s p r o z e ß ü b e r das T h e m a in G a n g gesetzt Dies hat mehrere problematische Konsequen- w o r d e n . E i n Positionspapier zen: des Diakoni- schen Werkes der E K D zur Weiterentwick(Diakonisches 1) D i e Skandalisierung des Armutsthemas i n W e r k 1995) kritisiert nicht nur die R e g i e - lung des Sozialhilferechtes den älteren Armutsberichten der Wohlfahrts- rungskoalition, sondern fordert d a r ü b e r hin- v e r b ä n d e - dem der Caritas 1987 und dem aus eine umfassende N o v e l l i e r u n g sowohl des des P a r i t ä t i s c h e n 1989 - wurde in den aktu- B S H G als auch der vorgelagerten Sicherungs- elleren systeme. A u c h der „ z u n e h m e n d e S o z i a l a b - Hanesch 1994) durch eine eher n ü c h t e r n e B e - bau" wird öffentlich kritisiert (SZ Berichten (Hauser/Hübinger 1993; vom richterstattung ersetzt. Z u fragen ist aber, w e l - 16.10.1996: 5). D i e anderen V e r b ä n d e gehen che F o l g e n die neuen F o r m e n des Umgangs ebenfalls entschiedener in die O f f e n s i v e . W i e mit dem A r m u t s p r o b l e m f ü r die Betroffenen sich an der Teilnahme der W o h l f a h r t s v e r b ä n - haben werden. K ö n n t e eine Dramatisierung de am „ S o z i a l g i p f e l " i m Jahr 1996 ( S Z v o m und pointierte Z u s p i t z u n g des A r m u t s p r o - 9.5.1996) oder an dem geplanten „ B e s c h ä f t i - blems gungsgipfel" ( L e i b f r i e d et al. 1995: 344)? im April 1997 (SZ vom den B e t r o f f e n e n nicht eher helfen 7.1.1997) zeigt, w i r d in diesem Z u s a m m e n hang auch die Zusammenarbeit mit den G e - 2) D i e Tragweite der sozialpolitischen F o r - werkschaften derungen der W o h l f a h r t s v e r b ä n d e ist durch intensiviert. FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 verbandspolitische Eigeninteressen einge- 61 Anmerkungen s c h r ä n k t und orientiert sich nicht an den P o sitionen der S e l b s t h i l f e i n i t i a t i v e n . W ä h r e n d ' Die empirische Basis beruht auf der Auswertung von einschlägigen Materialien der Verbände sowie auf Experteninterviews, die im Jahr 1994 mit zialhilfeinitiativen ein Existenzgeld von rund 1200 D M ohne Z w a n g zur A r b e i t fordert Fachreferenten und Vorstandsmitgliedern der Bun( B A G S H I 1992: 3), sind etwa die Forderun- des- und Landesverbände geführt wurden. Zentrale Aktivitäten der Caritas stellen der A r gen der Caritas bescheidener: D e r A r b e i t s mutsbericht der Diözese Münster im Jahr 1987 (Caz w a n g w i r d aufrechterhalten, das geforderte ritasverband f ü r die Diözese Münster 1987) und N i v e a u des E x i s t e n z m i n i m u m s orientiert sich die Armutsuntersuchung „Arme unter uns" (Hauan der bestehenden S o z i a l h i l f e s c h w e l l e . W i e ser/Hübinger 1993) dar. B e i m Paritätischen W o h l aber k a n n sich die Lebenslage der A r m e n ä n fahrtsverband sind insbesondere die Armutsunterdern, w e n n die armutspolitischen Forderun- suchung aus dem Jahr 1989 ( B l d W 11+12/1989) gen der Caritas derart g e m ä ß i g t ausfallen? und der gemeinsam mit dem D G B erstellte A r mutsbericht „Armut in Deutschland" (Hanesch 1994) zu nennen. 3) S c h l i e ß l i c h stellen die W o h l f a h r t s v e r b ä n de die B e t r o f f e n e n in der R e g e l pauschal als ' Die im Text aufgeführten Zitate ohne Quellenaneinen marginalisierten und kaum handlungs- gabe stellen (anonymisierte) Interviewaussagen von Verbandsvertretern dar. f ä h i g e n T e i l der B e v ö l k e r u n g dar. E s stellt z . B . die Bundesarbeitsgemeinschaft der So- 2 sich j e d o c h die Frage, ob dieses von den Verb ä n d e n nach a u ß e n vermittelte B i l d mit der R e a l i t ä t ü b e r e i n s t i m m t und ob nicht auch A r m e g r u n d s ä t z l i c h politisch h a n d l u n g s f ä h i g sein k ö n n e n (Leisering 1994: 289). Wenn dies der F a l l sein sollte, erscheint es n ö t i g , verstärkt ü b e r M ö g l i c h k e i t e n nachzudenken, wie sich A r m e - m ö g l i c h e r w e i s e unter tätiger M i t h i l f e v o n S o z i a l a n w ä l t e n w i e den Wohlfahrtsv e r b ä n d e n - selbst organisieren und artiku- lieren k ö n n e n , ohne d a ß sie sich i m Interessengeflecht der W o h l f a h r t s v e r b ä n d e verstrikken und f ü r verbandspolitische Z i e l e instrumentalisiert werden. Stefan Pabst ist wissenschaftlicher M i t a r b e i - ter a m Z e n t r u m f ü r Sozialpolitik an der U n i versität Bremen. 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FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 Friedhelm Wolski-Prenger Marginalität und Widerstand ladt Mobilisierungsprobleme der Arbeitslosenbewegung 1 Apathie oderGegenwehr? • Evident ist, d a ß trotz mehr als vier M i l l i o nen arbeitsloser M ä n n e r und (vor allem) Dauerarbeitslose Frauen i m vereinten Deutschland von einer (arbeitsamtlich: 'Langzeitarbeitslose') zusam- Massenbewegung nicht die Rede sein kann.' F ü r die S o z i o l o g i e gelten men mit Obdachlosen, A u s l ä n d e r n und A r men als A n g e h ö r i g e der Randschichten der • D e n n o c h findet eine A r t 'Arbeitslosenbe- Arbeitsgesellschaft ( G e i ß l e r 1992: 165). Sie wegung' statt, die neben Frustrationen auch werden zu einer e i g e n s t ä n d i g e n Problemgrup- Erfolge pe definiert oder als neu entstehende soziale stimmten Voraussetzungen z u k ü n f t i g zu er- Schicht (Kronauer et al. 1993). N o c h wirkt warten hat. zu verzeichnen und unter be- offenbar das D i k t u m von Claus O f f e (1973: 146f) nach, d e m z u f o l g e Arbeitslose als so- Warum nur eine Minderheit von Arbeitslosen ziale G r u p p e - wie K r i m i n e l l e oder 'Geistes- an kranke' - nicht k o n f l i k t f ä h i g sind. A l i W a k - nimmt, welche Bedeutung den diversen R a h - ker, S o z i a l p s y c h o l o g e und P i o n i e r der neue- menbedingungen zukommen, ob interne (or- ren deutschen kollektiven Widerstandsaktionen teil- A r b e i t s l o s e n f o r s c h u n g , geht ganisatorische, ideologische, strategische) D i f - noch weiter: E r hält die Arbeitslosen nicht ferenzen eine Mobilisierung der Arbeitslosen- einmal f ü r politisch o r g a n i s a t i o n s f ä h i g (Wak- bewegung behindern und unter welchen Vor- ker 1987: 80). aussetzungen Arbeitslose stärker z u m Subjekt sozialer Auseinandersetzungen G a n z anders die E i n s c h ä t z u n g zweier 'Insi- werden k ö n - nen, soll in diesem Beitrag diskutiert werden. der' der 'Arbeitslosenbewegung', denen z u folge bei den Dauerarbeitslosen geradezu ein 2 Fraktionierung u n e r s c h ö p f l i c h e s Widerstandspotential zu finden sei: „In unserer Untersuchung soll der Z u r E i n f ü h r u n g z u n ä c h s t drei D e f i n i t i o n s s k i z - N a c h w e i s g e f ü h r t werden, d a ß in der G e - zen: 2 schichte w i e in der Gegenwart Erwerbslose eine bedeutende R o l l e in der gesellschaftli- • 'Arbeitslosenbewegung': Darunter werden chen Auseinandersetzung mit dem sozialen sehr heterogene B e m ü h u n g e n Status der Erwerbslosigkeit spielen und spiel- u m zu kollektiven Strategien der B e w ä l t i - ten" (Rein/Scherer 1993: 6). gung der verstanden, A r b e i t s l o s i g k e i t zu gelangen. H i e r z u z ä h l e n advokatorische ArbeitslosenB e i d e angedeutete P o s i t i o n e n treffen k a u m projekte die R e a l i t ä t , w i e vorerst zwei einfache Fak- selbstorganisierte Z u s a m m e n s c h l ü s s e B e - ten troffener sowie F o r m e n der Ö f f e n t l i c h - nahelegen: paternalistischer Provenienz, Ü5 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 7 keitsarbeit z u Ursachen und K o n s e q u e n zen von A r b e i t s l o s i g k e i t . 3 Z u n ä c h s t und 'stilbildend' organisierte die Industrie- und Sozialarbeit der evangelischen K i r c h e in der alten Bundesrepublik ab M i t t e • 'Arbeitslosenprojekte' ( A L P ) ist ein S a m - der siebziger Jahre die A L P , u m die 'ersten m e l b e g r i f f f ü r Arbeitslosenzentren ( A L Z : O p f e r des Arbeitsmarktes' sozial zu betreuen hauptamtliche Mitarbeiterinnen, feste Z e i - und politisch-advokatorisch z u vertreten. ten, Angebotsstruktur), Arbeitslosentreffs ( A L T : e i n g e s c h r ä n k t e s Angebot, teilprofes- M i t kritischer A t t i t ü d e g e g e n ü b e r diesen als sionalisiert) sowie Arbeitsloseninitiativen paternalistisch wahrgenommenen k i r c h l i c h e n ( A L I : ü b e r w i e g e n d Selbstorganisation B e - B e m ü h u n g e n entstanden ab etwa 1980 unab- troffener) u n d Arbeitslosenberatungsstel- h ä n g i g e , g r o ß e n t e i l s politisch motivierte A L P , len ( A L B : ü b e r w i e g e n d in den neuen B u n - die zunehmend einen eigenen D i s k u s s i o n s - d e s l ä n d e r n ) (Wolski-Prenger 1989: 24ff). zusammenhang neben der evangelisch-kirchlichen ' R i c h t u n g ' etablierten. • 'Arbeitslosenarbeit' w i r d i n A L P , aber auch in G e w e r k s c h a f t e n sowie publizistisch ge- A l s dritte ' R i c h t u n g ' kamen ab den f r ü h e n leistet. D i e semantische Paradoxie des B e - achtziger g r i f f e s spiegelt seine B e d e u t u n g s v i e l f a l t A L P dazu, die nicht von den Gewerkschafts- wider. D i e U r s p r ü n g e der Arbeitslosenar- f ü h r u n g e n initiiert waren, sondern s i c h als Jahren die 'gewerkschaftlichen' beit' finden sich in der sozialen A r b e i t ( B e - B a s i s i n i t i a t i v e n der massenhaft treuung, B i l d u n g und Beratung), dem ge- ten', g e w e r k s c h a f t l i c h sozialisierten B e t r o f - werkschaftlichen M i l i e u und bei politisch fenen organisierten. z i e l m o t i v i e r t e n Selbstorganisationen 'freigesetz- von Arbeitslosen, die versuchen, andere B e t r o f - D e r vierte Z u s a m m e n h a n g entstand fene f ü r deren Interessen zu mobilisieren neuen B u n d e s l ä n d e r n und kann als 'verband- (Wolski-Prenger/Rothardt 1996). i n den l i c h ' apostrophiert werden. M i t der e x p l o d i e renden Vereinigungsarbeitslosigkeit entstand K u r z g e f a ß t und entsprechend generalisiert hieraus der 'Arbeitslosenverband D e u t s c h - entwickelte sich die derzeitige 'Arbeitslosen- l a n d ' ( A L V ) ( W o l s k i - P r e n g e r 1991; G r e h n bewegung' aus vier relevanten U r s p r ü n g e n : 1996), der sich als o r i g i n ä r e Interessenver- Tabelle: Grobstruktur der Arbeitslosenbewegun g nach ' R i c h t u n g e n ' Richtung kirchlich Initiator Als Angebot von unabhängig Arbeitslose kirchlichen Stellen Uberwiegend verbandlich Eigen- organisiert u.a. lich Organisierter uberwiegend zunächst ohne nalisierung professionelle soziale Arbeit hauptamtliche Ziele Bildung professionell differenziert Arbeit Arbeit und Zweiter Arbeits- Leben in der markt Arbeitslosigkeit Soziale Arbeit Politik Recht auf Arbeit Einkommen Beratung gewerkschaftsund sozialpolitisch Q u e l l e : Wolski-Prenger 1996a: 21. ALV initiative gewerkschaft- Professio- Methoden gewerkschaftlich Beratung 65 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG, 10, HEFT 2, 1997 tretung der ' a b g e w i c k e l t e n ' B ü r g e r i n n e n in Relativ erfolglos verlief die a n f ä n g l i c h e A p - den neuen B u n d e s l ä n d e r n versteht. pellation an die hauptverantwortliche Bun- desebene. Dagegen verzeichnet die A r b e i t s - 2.1 Arbeitslosenarbeit losenbewegung auf Landes- und v o r a l l e m D i e Z i e l e der derzeit etwa l .500 A L P resul- ter) E r f o l g e . In vielen Städten wurden ' A r - tieren aus den Belastungen, denen sich A r - b e i t s l o s e n p ä s s e ' e i n g e f ü h r t , die k o m m u n a l e beitslose ausgesetzt sehen. Miteinander z u - V e r g ü n s t i g u n g e n z . B . i m ö f f e n t l i c h e n Perso- auf lokaler Ebene eine Reihe (oft u n t e r s c h ä t z - s a m m e n h ä n g e n d sind diese Belastungen f i - nennahverkehr e r m ö g l i c h t e n . A u c h die E i n - nanziell/materiell, psychisch und sozial. P o - richtung von A L Z mit kommunalen M i t t e l n , litisch gewollt steigert sich die materielle U n - oft in Verbindung mit Personalfinanzierungen, terversorgung kann als E r f o l g i n dieser Hinsicht gewertet mit zunehmender D a u e r der Arbeitslosigkeit. Psychische Belastungen kor- werden. respondieren vor allem mit dem verbreiteten Selbstverschuldenssyndrom; soziale Belastun- A u s der Einsicht, d a ß viele Betroffene i n f o l - gen ergeben sich aus der verbreiteten und poli- ge ihrer marginalisierten Situation nicht i n tisch genutzten Schuldzuweisung an die Betrof- der L a g e sind, sich kollektiv f ü r ihre Interes- fenen ('blaming the v i c t i m ' ; Kieselbach 1996). sen einzusetzen, ergab sich die Beratung als zentrale Methode der Arbeitslosenarbeit. N a - Gegen die Unterversorgung der Lebenslage hezu alle A L P beraten (ehrenamtlich oder pro- von Arbeitslosen richtet sich von B e g i n n an fessionell) Arbeitslose in sozialrechtlicher und politischer Protest der Arbeitslosenbewegung, psychosozialer Hinsicht. So kann 'Beratung' wobei das gesamte Instrumentarium als zentrale Kategorie der Arbeitslosenarbeit politi- scher A r b e i t eingesetzt wurde und wird. L e i - gesehen tende A u s g a n g s ü b e r l e g u n g war dabei, die In- Schaubild, das d a r ü b e r hinaus weitere M e - werden, w i e auch im folgenden d i v i d u a l i s i e r u n g der A r b e i t s l o s i g k e i t s e r f a h - thoden zumindest i n Stichworten andeutet. rung zu ü b e r w i n d e n . Schaubild: M o d e l l integrativer Arbeitslosenarbeit B i ldu ngsarbeit/Seminare offener Bereich Öffentlichkeitsarbeit Gruppenarbeit Training und Basisqualifikationen soziale Begleitung bei Arbeitssuche und Arbeitsaufnahme politische Arbeit Familienberatung Drogenberatung Psychotherapie Schuldnerberatung u.a.m. Gewerkschaft (Rechtsschutz) Quelle: Wolski-Prenger/Rothardt 1996: 139. Erstellung individueller Förderkonzepte Sozialamt Arbeitsamt andere Behörden m FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 2.2 Vernetzung? durch erneute A b g r e n z u n g s v e r s u c h e schlicht G r u n d s ä t z l i c h unterscheidet sich die M e t h o - wechselseitiges Desinteresse oder ge- kennzeichnet. dik der Arbeitslosenarbeit zwar nicht in A b h ä n g i g k e i t von den verschiedenen R i c h t u n - D a ß i m Verlaufe der letzten Jahre diese A n - gen, unterschiedliche sätze wieder i m Sande verliefen, hat eine R e i - Schwerpunkte ausmachen. D i e in den letzten he von Ursachen, die sich zumeist an den je- es Jahren lassen sich aber verstärkt aufkommende katholische weiligen Schwerpunkten der 'Richtungen' Arbeitslosenarbeit (Wienen/Wustmanns 1996) festmachen lassen. So konnte die ist eher paternalistisch-advokatorisch ausge- schaftliche' A L P innergewerkschaftlich argu- richtet und die (vergleichsweise wenigen) au- mentativ an B o d e n gewinnen, was vor allem t o n o m - u n a b h ä n g i g e n A L P betonen eher den an der Arbeitsmarktkatastrophe i m Beitritts- A n s p r u c h auf Selbstbestimmung. 4 'gewerk- V i e l e 'ge- gebiet liegt. Z u n e h m e n d setzte sich i n den (gewerk- gewerkschaftlichen F ü h r u n g s g r e m i e n - nicht schafts-)politische Arbeit stärker in den Vor- zuletzt bei der m ä c h t i g e n I G M e t a l l - die E i n - dergrund als eine Reihe von A L V oder A L B , sicht durch, d a ß Arbeitslosenarbeit v e r s t ä r k t w e r k s c h a f t l i c h e ' A L P stellen die die aus der B e d ü r f n i s l a g e heraus die sozial- notwendig und f ö r d e r u n g s w ü r d i g ist (Beier rechtliche Beratungsarbeit et al. 1993). betonen. E i n e solche B i l a n z läßt erwarten, d a ß es eine D e r gleichzeitige tendenzielle R ü c k z u g Bereitschaft zur Kooperation und Zielabspra- der B A G Arbeit r ü h r t e aber auch von anti- aus che z w i s c h e n den verschiedenen ' R i c h t u n - g e w e r k s c h a f t l i c h e n Ressentiments gen' gibt, die auch i m A n s c h l u ß an die ange- a n f ä n g l i c h beim A L V und bei R e p r ä s e n t a n - sprochene als ten der ' u n a b h ä n g i g e n ' R i c h t u n g z u m A u s - eine Phase der A n n ä h e r u n g und Z u s a m m e n - druck kamen. D a sich auch der A L V stärker Gründungsphase tatsächlich her, die arbeit zu bewerten ist (Wolski-Prenger 1993: auf die K o n s o l i d i e r u n g seiner A L P und auf 132ff). die Verbesserung seines Verhältnisses z u den Gewerkschaften b e s c h r ä n k t , 'vernetzen' In der a n s c h l i e ß e n d e n Konsolidierungsphase die B A G zur Zeit i m wesentlichen etwa 30 bis 40 konzentrierte sich die Kooperation der ' R i c h - ' u n a b h ä n g i g e ' A L P . Entsprechend e i n f l u ß l o s tungen' ist die B A G in der ö f f e n t l i c h e n Vertretung der auf die sukzessive enger werdende 'Bundesarbeitsgrup- Arbeitsloseninteressen, da von den Medien pen der Intiativen gegen Arbeitslosigkeit und eher der A L V als Ansprechpartner gesucht A r m u t ' ( B A G 1996). V o r allem nach der deut- wird. Zusammenarbeit in den 5 schen Vereinigung und dem rasch expandierenden A L V gab es in der B A G weitere E i n i - A u c h die anderen 'Richtungen' betreiben je- gungsversuche, weils isoliert erfolgreich die interne Vernet- an denen - trotz erheblicher Milieuunterschiede - neben dem A L V die un- zung. a b h ä n g i g e und die ' g e w e r k s c h a f t l i c h e ' R i c h - R i c h t u n g die 'Koordinierungsstelle gewerk- So erzielen in 'gewerkschaftlicher' tung beteiligt waren. S o v e r s t ä n d i g t e man schaftlicher A r b e i t s l o s e n g r u p p e n ' , die sich auf das s o z i a l p o l i t i s c h e K o n z e p t des chen mit einer Reihe von K o o r d i n i e r u n g s z u - ' E x i s t e n z g e l d e s ' , eine Variation des garan- Kir- s a m m e n h ä n g e n und der A L V mit seinem B u n - tierten G r u n d e i n k o m m e n s ( B A G 1993). D i e desvorstand aktuelle E n t w i c k l u n g dagegen ist allerdings neuen B u n d e s l ä n d e r n erhebliche und L a n d e s v o r s t ä n d e n i n den Fortsehnt- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 67 te. F ü r die ' u n a b h ä n g i g e ' R i c h t u n g ist m o - folgreiche gesellschaftliche Auseinanderset- mentan die B A G A r b e i t als Vernetzungszu- zung. sammenhang attraktiv. Zur 3 ZukunftderArbeitslosenbewegung A n a l y s e der Ausgangssituation gehört aber auch, d a ß nicht nur die Arbeitslosen negativ von Arbeitslosigkeit betroffen sind. So M i t ihren E r f o l g e n geht die Arbeitslosenbe- haben alle a b h ä n g i g B e s c h ä f t i g t e n e r h ö h t e wegung insofern f a h r l ä s s i g um, als d a ß sie Sozialabgaben z u leisten, u m die Arbeitslo- diese eher f ü r sich b e h ä l t , statt offensiv dar- sigkeit zu finanzieren. D i e s w i r d i m R a h m e n auf zu verweisen. Volker M o s c h k a u betont in der 'Sozialschmarotzer'-Debatte auch immer seiner E r ö f f n u n g s r e d e z u m 2. B U K O zu Recht: gegen die Betroffenen a n g e f ü h r t . Z u d e m ha- „Ohne Erwerbslosenbewe- ben viele B e s c h ä f t i g t e angesichts des drohen- gung w ä r e es um einiges dunkler, kälter und den Arbeitsplatzverlustes unter Existenzangst unsozialer in dieser R e p u b l i k ! " ( M o s c h k a u zu leiden. unsere 'kleine' 1988: 21) Viele Arbeitslose haben durch ihr Engagement, durch E r f o l g e i m Ä m t e r k a m p f , A u c h die Gewerkschaften sind offensichtlich durch bewegungsvermittelte von der Arbeitslosigkeit betroffen. Indem z u - soziale Kontak- te u.ä. Selbstvertrauen und damit die F ä h i g - nehmend keit z u m W i d e r s t a n d z u r ü c k g e w o n n e n . D a - von qualifizierte Arbeitnehmerinnen der A r b e i t s m a r k t k r i s e betroffen sind, bei wurden umso bessere Ergebnisse erzielt, schwindet die Durchsetzungsmacht je weniger auf klassische sozialarbeiterische beitnehmervertretung, Klientenbeziehungen gesetzt wurde. D i e E x i - der - ein E r f o l g auch der 'gewerkschaftlichen' stenz von A L P bedeutet f ü r sich bereits ein A L P - sich nun auch i m neuen D G B - G r u n d - Politikum. satzprogramm widerspiegelt. F ü r eine politisch-soziale B e w e g u n g f r e i l i c h T r e f f e n diese sicher u n v o l l s t ä n d i g e n sind solche Resultate notwendige, aber nicht g a n g s ü b e r l e g u n g e n ansatzweise z u / ' dann er- hinreichende Bedingungen. Wenn die A r b e i t s - gibt sich die Strategie der Arbeitslosenbewe- losenbewegung gung nahezu von selbst: So ist die erfolgrei- zukünftig gesellschaftlich ein der A r - Zusammenhang, Aus- w i r k u n g s m ä c h t i g e r werden w i l l , m u ß aus e i - che (und s t ä r k e r z u propagierende) ner realistischen A n a l y s e der eigenen L a g e grationsarbeit fortzusetzen und zu intensivie- und der s o z i o ö k o n o m i s c h e n Situation ein u m - ren. Q u a l i f i z i e r t e Arbeitslosenarbeit ist dabei s e t z u n g s f ä h i g e s Konzept entwickelt werden. die Basis, auch politisch e i n f l u ß r e i c h e r agie- Dabei m u ß davon ausgegangen werden, d a ß ren zu k ö n n e n . Des weiteren sind erneute B e - die M a s s e n - und Dauerarbeitslosigkeit z u m i n - m ü h u n g e n der Vernetzung erforderlich. D i e - dest mittelfristig anhalten w i r d . H i n z u k o m m t se zielt auf eine erneute A n n ä h e r u n g die E r f a h r u n g der Arbeitslosen, d a ß es f ü r die 'Richtungen' untereinander und auf eine neue Mehrheit der Gesellschaft funktional ist, i h - B ü n d n i s p o l i t i k , z u der unter bestimmten Vor- nen die Verantwortung f ü r ihre eigene A r - aussetzungen beitslosigkeit zuzuweisen und damit die Ver- vante Teile davon bereit w ä r e n . Reinte- der die Gewerkschaften oder rele- schlechterung der materiellen Existenzbedingungen zu legitimieren. Das bedeutet eine Außerdem materielle und soziale M a r g i n a l i s i e r u n g so- anstreben, ein e i g e n s t ä n d i g e r Faktor - neben wie schlechtere Voraussetzungen f ü r eine er- den Gewerkschaften, sozial engagierten C h r i - m u ß die Arbeitslosenbewegung FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 sten, W o h l f a h r t s v e r b ä n d e n und l i n k e n Par- Im Jahre 1983, i n den ersten M o n a t e n nach teien - i m entstehenden gesellschaftlichen dem 1. B u n d e s k o n g r e ß , verdoppelte sich die B ü n d n i s gegen A r b e i t s l o s i g k e i t z u werden. Z a h l der Arbeitslosenprojekte. A l s I n i t i a l z ü n - Dabei ist eine einseitige Orientierung auf die dung wirkte allein die ö f f e n t l i c h e W o r t m e l - (sicher nicht g r u n d s ä t z l i c h auszugrenzende) dung der Arbeitslosenbewegung. E i n solches P D S ebenso s c h ä d l i c h wie ein sozialrevolu- Fanal w ä r e dringend z u wiederholen, um die t i o n ä r e r Illusionismus, der sich bei einigen Widerstandspotentiale R e p r ä s e n t a n t e n der ' u n a b h ä n g i g e n ' Richtung, freizusetzen. der M a r g i n a l i s i e r t e n aktuell bei den B A G - S p r e c h e r n , verbreitet. Friedhelm Wolski-Prenger, Sozialwissen- F ü r eine realistische B ü n d n i s s t r a t e g i e haben schaftler und P ä d a g o g e , war 1980 M i t b e g r ü n - die A L P dort besonders gute Voraussetzun- der der Paderborner Initiative gegen A r b e i t s - gen, w o sie nach wie vor am erfolgreichsten losigkeit ( P I G A L ) . sind: auf der lokalen Ebene. D o r t sind die ' N e t z w e r k e gegen A r m u t und A r b e i t s l o s i g keit' auszubauen oder anzustreben Anmerkungen (Wolski- Prenger/Rothardt 1996: 2 2 0 f f ) . A b e r auch auf der Bundesebene kann - insbesondere hin- sichtlich relevanter M e d i e n w i r k u n g e n - die A r b e i t wesentlich effektiviert werden. ' In der Weimarer Republik gab es dagegen massenhafte Protestaktionen Erwerbsloser (Huber-Koller 1992); zur Arbeitslosenbewegung in den U S A (Mattick 1969) und in Großbritannien (Gallas 1994). In diesem Beitrag werden 'Arbeitslosigkeit' und entsprechende Komposita gegenüber dem Begriff 'Erwerbslosigkeit' präferiert, da die Lebenslage der Betroffenen nicht nur durch Geldmangel, sondern auch (psycho-)sozialen Belastungen durch die Ausgrenzung aus der Arbeitsgesellschaft bestimmt wird (Wolski-Prenger 1996a: 9ff). 2 D e r erste B u n d e s k o n g r e ß der A r b e i t s l o s e n projekte war 1982 i n F r a n k f u r t / M . , der z w e i te B U K O fand 1988 in D ü s s e l d o r f statt. W ä r e es nicht an der Zeit, einen dritten Bundeskongreß der A r b e i t s l o s e n z u organisieren, vorzugsweise in den neuen B u n d e s l ä n d e r n ? 3 Aufzuarbeiten w ä r e n die Erfahrungen der Vereinigung, die S c h w ä c h e n und Skrupellosigkeiten der neoliberalen Ideologie wie der realkapitalistischen Praxis, die Herausforderung der e u r o p ä i s c h e n Integration und damit zusammenh ä n g e n d ein A u s b a u der internationalen K o n takte (Grehn 1996: 77ff). Vor allem w ä r e darü b e r zu sprechen, ob der erneute Versuch der Zusammenarbeit i m Rahmen einer erneuerten - auch institutionell abgesicherten - Bündnis- politik z u g r ö ß e r e r Bedeutung in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen führen kann. E i n e fortdauernde Fraktionierung der A r beitslosenbewegung bedeutet, den Status quo, in dem sich viele Protagonisten eingerichtet haben, f ü r das m a x i m a l Erreichbare zu halten. Anders als Rein/Scherer (1993) kann ich nicht sehen, daß individuelle Überlebensstrategien oder 'Sozialstaatsüberlistung' Elemente der Arbeitslosenbewegung sind. Vielmehr liegt nahe, solche Verhaltensweisen als Zuordnungskriterien zu einer neuen sozialen Schicht - die sich gerade durch die 'Annahme' der zugewiesenen Rolle konstitutiert zu sehen (Kronaueret al. 1993). Dieser Anspruch wäre m.E. aber auch gründlich zu hinterfragen. Nennenswerten Einfluß kann das BAG-Sprechergremium lediglich i m (sozialpolitischen) Zusammenhang der Armutskonferenz verbuchen. Differenzierter untersucht die Ausgangsbedingungen zukünftiger Arbeitslosenbewegung Gallas 1994; Gallas 1996; W o l f 1991. 4 5 6 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, Literatur BAG (Bundesarbeitsgruppen der Initiativen gegen Arbeitslosigkeit und Armut) 1993: Existenzgeld für alle - 13 Thesen gegen falsche Bescheidenheit und das Schweigen der Ausgegrenzten. In: WolskiPrenger 1993, 188-192. 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EL FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1 9 9 7 Harald Rein fi Wir kämpfen um das, was wir brauchen' 1 Stand und Perspektiven des Erwerbslosenprotests „ E s gibt viele g r o ß e und gute Bewegungen. ßen bundesweiten Z u s a m m e n s c h l ü s s e i m E r - E s gibt soziale Bewegungen, es gibt die F r i e - werbslosenbereich, die Bundesarbeitsgruppen densbewegung, Ö k o l o g i e b e w e g u n g , S c h ü l e r - der Initiativen gegen Arbeitslosigkeit und A r - und Studentenbewegung: mut, die Koordinierungsstelle gewerkschaft- Jetzt gibt es auch eine Arbeitslosenbewegung!" (1. B u n d e s k o n - licher Arbeitslosengruppen und der A r b e i t s - g r e ß 1983: 14) losenverband i m Osten Deutschlands arbeiten seit l ä n g e r e m k o n t i n u i e r l i c h zusammen. D i e s e r etwas euphorisch ausgerufene Satz Resultat dieser gemeinsamen A k t i v i t ä t e n w a - stammt v o m 1. B u n d e s k o n g r e ß der A r b e i t s - ren bisher die selbstorganisierte losen, der 1982 i n Frankfurt stattfand. E r ent- tion gegen S o z i a l l e i s t u n g s k ü r z u n g e n i n B o n n sprach der d a m a l i g e n A u f b r u c h s s t i m m u n g ; am 4.11.1995 und eine gemeinsame Ö f f e n t - Demonstra- nicht mehr isoliert in den eigenen S t ä d t e n und lichkeitsarbeit, verbunden mit A k t i o n e n ge- Landkreisen Initiativarbeit zu leisten, sondern gen die N o v e l l i e r u n g des B u n d e s s o z i a l h i l f e - gemeinsam mit vielen Betroffenen grundle- gesetzes bzw. des A r b e i t s f ö r d e r u n g s g e s e t z e s . gendes z u bewegen. Im M a i 1997 werden die genannten bundesDas T r e f f e n und die bis heute darauf aufbau- weiten Organisationen zusammen mit der I G - ende t a g t ä g l i c h e Arbeit der Erwerbslosenin- M e t a l l einen K o n g r e ß z u m T h e m a ' N i e d r i g - itiativen in Deutschland widerlegt einige po- lohn und Arbeit u m jeden P r e i s ? ' d u r c h f ü h - p u l ä r e Vermutungen ü b e r Verhaltensweisen ren. D i e von W o l s k i - P r e n g e r i n diesem H e f t und politische A u s d r u c k s m ö g l i c h k e i t e n v o n behaupteten Erwerbslosen, etwa die behauptete K o n f l i k t - 'anti-gewerkschaftlichen Ressentiments' u n f ä h i g k e i t bei O f f e (1972: 146f), oder gar w i e wechselseitig vorhandenes die U n m ö g l i c h k e i t der Organisation von E r - se' an einer Zusammenarbeit hat mit der tat- werbslosen bei Wacker (1987: 80). s ä c h l i c h stattgefundenen V e r n e t z u n g s r e a l i t ä t 'Abgrenzungsversuche' und so- 'Desinteres- in den letzten z w e i Jahren nichts gemein. F e h Heute existieren etwa 500 Erwerbslosengrup- lender Kontakt zur aktiven Erwerbslosensze- pen in Deutschland. D i e Unterscheidung i n ne erleichtern solche Behauptungen. k i r c h l i c h e , g e w e r k s c h a f t l i c h e und u n a b h ä n - zeigt auch sein a u s s c h l i e ß l i c h akademisch o r i - gige G r u p p e n spielt keine herausragende R o l - entierter le, da angesichts der sozialpolitischen A n g r i f - 'Richtungen' einzuteilen, 'Abgrenzungen' vor- Dies Drang, Erwerbslosenaktivitäten 'Definitionen' über in fe e i n Z u s a m m e n r ü c k e n , trotz unterschiedli- zunehmen und cher T r ä g e r s c h a f t e n und politischer E i n s c h ä t - oder falsche' Verhaltensweisen festzulegen. N u r 'richtige zungen, n o t w e n d i g erscheint. D i e drei gro- so ist erklärbar, wie Wolski-Prenger zu der Phan- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 tasiezahl von 1.500 Arbeitslosenprojekten 71 Die Entstehungszusammenhänge kommt und nach wie vor eine Typisierung des Erwerbslosenprotests vorgibt, die v o m A l l t a g der Erwerbsloseninitiativen längst überholt ist. A l s Vorläufer der bundesweiten Zusammen- arbeit von Erwerbsloseninitiativen stehen w i d e r s t ä n d i g e Jugendliche, die i n den siebziger Initiative, Bewegung und Protest Jahren in und a u ß e r h a l b der F a b r i k gegen k a pitalistische Ausbeutungsstrukturen O b die jahrelangen A k t i v i t ä t e n der Erwerbs- und f ü r selbstorganisiertes Arbeiten k ä m p f t e n . A u ß e r - loseninitiativen bereits als B e w e g u n g zu be- halb der Produktion trafen Jugendliche, die zeichnen sind, erscheint m i r gewagt. Sicher- keinen Ausbildungsplatz fanden oder v o n den lich ist es in ü b e r z w a n z i g Jahren Massener- Betrieben nicht ü b e r n o m m e n wurden, auf sog. werbslosigkeit nicht gelungen, den a u f k e i - Aussteiger aus der Leistungsgesellschaft, die menden Protest in eine g r o ß e Protestbewe- eine eigene A u f f a s s u n g von selbstbestimm- gung zu transformieren. Allerdings wurde i m tem Arbeiten und Leben einbrachten. D i e er- Wissenschaftsbetrieb, so z . B . auch in der B e - sten wegungsforschung der Fehler begangen, ein- von Erwerbslosen entstanden. A u f z w e i ü b e r - gegrenzte selbstorganisierten Zusammenschlüsse Konfliktverhaltensmuster und her- regionalen Treffen 1977 wurde der Kontakt k ö m m l i c h e Organisationsvorstellungen z u m z w i s c h e n den E r w e r b s l o s e n i n i t i a t i v e n ver- Ausgangspunkt z u nehmen, u m nach Protest- stärkt und gemeinsame Zielvorstellungen dis- potential i m B e r e i c h der von E r w e r b s l o s i g - kutiert. keit B e t r o f f e n e n z u suchen. Ausgeklammert bleiben dann die a l l t ä g l i c h e n Resistenzwei- Ä h n l i c h w i e die s p ä t e r e n Bundesarbeitsgrup- sen, die i c h weiter g e f a ß t als Erwerbslosen- pen hatten diese f r ü h e n Z u s a m m e n s c h l ü s s e protest bezeichne. Darunter fallen alle i n d i - bereits Elemente des utopischen Denkens mit v i d u e l l e n und k o l l e k t i v e n Verhaltensweisen radikaler praktischer A r b e i t verbunden. D i e von Erwerbslosen, die eine Ä n d e r u n g beste- Problematisierung hender sozialer V e r h ä l t n i s s e bezwecken oder strukturen, das M i ß t r a u e n g e g e n ü b e r institu- ein L e b e n in W ü r d e anstreben. tionalisierter Sozialarbeit und die A b l e h n u n g kapitalistischer A r b e i t s - hierarchischer Organisationsprinzipien bei D i e i m Wissenschaftsbetrieb h ä u f i g zu f i n d - gleichzeitiger inhaltlicher Z i e l s e t z u n g auf ende T y p i s i e r u n g der Erwerbslosengruppen kleine wie g r o ß e gesellschaftliche V e r ä n d e - trifft nur noch bedingt die Realität. D i e B e - rungen standen i m M i t t e l p u n k t der A u s e i n - zeichnung einer G r u p p e als Treff, Initiative andersetzung. N a c h wie vor ist diese A r t der oder Z e n t r u m ist oft z u f ä l l i g . E i n Z e n t r u m A n a l y s e bzw. der konkreten Umsetzbarkeit kann sich a u s s c h l i e ß l i c h der sozialbetreueri- p r ä g e n d f ü r einen T e i l der E r w e r b s l o s e n i n - schen T ä t i g k e i t z u w e n d e n , w i e auch unter itiativen. U m s t ä n d e n eine Initiative nur ü b e r F r e m d hilfe am L e b e n gehalten werden kann. D i e A n f a n g der achtziger Jahre erlebte die Initia- organisatorischen L e i s t u n g e n von E r w e r b s - tivenszene in Deutschland den erhofften Z u - losen u m f a ß t am besten der B e g r i f f Erwerbs- wachs. Immer mehr Erwerbslose erkannten, loseninitiative, denn der Terminus Initiative d a ß ihr erfolgloses Suchen nach einem A r - beinhaltet nicht nur den entschlossenen Wil- beitsplatz weniger mit ihrer i n d i v i d u e l l e n U n - len etwas z u v e r ä n d e r n , sondern auch die f ä h i g k e i t oder ihrer mangelnden beruflichen praktische Umsetzung. Q u a l i f i k a t i o n , als v i e l m e h r mit einem gesell- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10. HEFT 2, 1997 .schaftlichen System zusammenhing, das nicht Innen, Obdachlose, F l ü c h t l i n g e , Gruppen, die in der L a g e war, j e d e m M e n s c h e n i m er- sich gegen prekäre, u n g e s c h ü t z t e Arbeitsver- w e r b s f ä h i g e n A l t e r einen angemessenen A r - hältnisse wehren oder Widerstand gegen A r - beitsplatz oder zumindest eine m e n s c h e n w ü r - b e i t s z w a n g s v e r h ä l t n i s s e leisten. dige materielle A b s i c h e r u n g zu garantieren. E i n e neue Bundesarbeitsgruppe bildete sich M i t dem ersten B u n d e s k o n g r e ß der Arbeits- unter dem N a m e n 'Multinationale Z u s a m m e n - losen 1982 i n F r a n k f u r t / M . wurde der G r u n d - arbeit', die 1990 ein Internationales A r b e i t s - stein f ü r die E n t w i c k l u n g r e g e l m ä ß i g e r , ba- losentreffen sisdemokratischer Vorbereitungen wurde s c h l i e ß l i c h bundesweiter T r e f f e n ge- legt. Im N o v e m b e r 1986 trafen sich rund Spanien das organisierte. Nach intensiven 1994 i n 'Europäische Netzwerk gegen 1.000 Erwerbslose in Köln z u einem zentra- Arbeitslosigkeit und A r m u t ' ( I T A C A ) g e g r ü n - len A k t i o n s - und Konferenztag. Themenbe- det. D e r ein Jahr s p ä t e r in H a m b u r g stattfin- zogene Arbeitsgruppen bildeten den K e r n der dende Veranstaltung. Sie u m f a ß t e n die B i l a n z und Massenarbeitslosigkeit und A r m u t ' war ein 'Europäische Kulturkongreß gegen Perspektiven der Erwerbslosenbewegung, der weiterer H ö h e p u n k t in der internationalen S o - B e s c h ä f t i g u n g s p o l i t i k und der existentiellen lidaritätsarbeit. A b s i c h e r u n g . D i e Bundesarbeitsgruppen eta- blierten sich und fanden ihre B e s t ä t i g u n g auf dem 2. B u n d e s k o n g r e ß 1988 in D ü s s e l d o r f . D e r 1989 erfolgte Zusammenbruch der D D R , ebenso w i e andere gesellschaftliche E n t w i c k lungen, blieben auch f ü r den Bundeszusam- Gesucht und teilweise auch gefunden wurde m e n s c h l u ß der Erwerbsloseninitiativen nicht der Kontakt zu anderen Gruppen, die von A r - ohne F o l g e n . 1990 g r ü n d e t e sich i m Osten mut, gesellschaftlicher Ausgrenzung oder son- Deutschlands der Arbeitslosenverband ( A L V ) . stiger Formen der D i s k r i m i n i e r u n g betroffen A n f ä n g l i c h e s M i ß t r a u e n , besonders ü b e r den waren. Dies sind u.a. die Sozialhilfebezieher- N a m e n , der einen A n s p r u c h f ü r Gesamt- deutschland beinhal- ' .aber VUSWASM.. <fe e i \ - t e t e ' konnte nur teil- weise ausgeräumt werden. Hauptkritikpunkt blieb die Lohnarbeitszentriertheit in den Forderungen des A L V , die bei manchem Westakti- visten K o p f s c h ü t t e l n verursachte. Trotzdem ist die gegenseitige tanz der rischen und AkzeporganisatoStrukturen inhaltlichen Schwerpunkte i m m e r FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 noch der Grundkonsens gemeinschaftlichen derstandsmustern, die nach den sozialen und Handelns, und mehrere B A G - T r e f f e n fanden ökonomischen in den darauf folgenden Jahren i m Osten statt. der j e w e i l i g e n historischen E p o c h e genutzt Entwicklungsvoraussetzungen E i n gutes Z u s a m m e n w i r k e n gibt es auch mit schichte des Erwerbslosenprotestes den gewerkschaftlichen Arbeitslosengruppen, se meist v o n den Forschern ignoriert oder v o n deren erste bundesweite Arbeitstagung wurden. D a es noch keine geschriebene G e gibt, die- 1984 der allgemeinen Geschichte der Arbeiterbe- stattfand. E i n halbes Jahr s p ä t e r g r ü n d e t e sich wegung ü b e r l a g e r t w i r d , ist es a u ß e r o r d e n t - eine Koordinierungsstelle. lich schwierig, Spuren des Widerstandes 'aus- zugraben'. D e r a u s s c h l i e ß l i c h e B l i c k auf das Inhaltlich und aktionsbezogen haben die S p e k t a k u l ä r e verdeckt aber die Sicht auf die B A G s neben einer V i e l z a h l v o n F l u g b l ä t t e r n , alltägliche Resistenzformen, die ansonsten i n Pressemitteilungen usw. K a m p a g n e n gegen die den B e r e i c h des 'abweichenden B e d ü r f t i g k e i t s p r ü f u n g und fallen w ü r d e n . gegen den er- Verhaltens' zwungenen Arbeitseinsatz v o n Sozialhilfebezieherlnnen und Erwerbslosen d u r c h g e f ü h r t . Reaktions- und Widerstandsformen D i e Ausarbeitung einer e i g e n s t ä n d i g e n P o s i tion zur existentiellen Absicherung, i n F o r m A k t u e l l e politische Verhaltensmuster v o n E r - einer Existenzgeld-Forderung, kann als bis- werbslosen finden sich h ä u f i g i n F o r m a l l - heriger H ö h e p u n k t der gemeinsamen inhalt- täglicher Widerständigkeit, i m individuellen lichen A r b e i t angesehen werden. In den letz- Widersetzen. Dieser 'stumme' Protest ( R e i n / ten Jahren etablierte sich ein Sprecherinnen- Scherer 1993: 253ff) ist es, der sich am ehe- g r e m i u m , u m u.a. i n der Ö f f e n t l i c h k e i t P o s i - sten i n der Protestwirklichkeit der A r m u t s b e - tionen der Erwerbsloseninitiativen effektiver v ö l k e r u n g wiederfindet. E r stellt oft den e i n - zu p r ä s e n t i e r e n . E i n w i e i m m e r gearteter B u n - zigen Weg dar, sozialer Ungerechtigkeit ent- desvorstand w i r d abgelehnt, denn schon P i - gegenzutreten und bewahrt d a r ü b e r hinaus i n v e n / C l o w a r d (1986) haben darauf hingewie- s e l b s t b e w u ß t e n ' l i s t i g e n ' Handlungen einen sen, d a ß soziale Bewegungen nicht durch den gewissen G r a d an menschlicher W ü r d e . Aufbau großer Organisationen erfolgreich sind, sondern nur dann, wenn sie die herr- D i e Geschichte zeigt: Erwerbslose lassen sich schenden F o r m e n der politischen A u s e i n a n - nur schwer i m traditionellen Sinne organisie- verletzen. E n t s c h e i d e n d ist der ren. Sie galten und gelten mit ihrem u n k a l k u - dersetzung 'nichtberechenbare Protest'. lierbaren politischen Auftreten und ihren disruptiven Reaktionsweisen als S t ö r f a k t o r i m Auf den Blickwinkel kommt es an! geregelten, organisierten Klassenkampf. D e r Verlust des Arbeitsplatzes f ü h r t z u m Z u s a m - Wesentlich f ü r die Herangehensweise an das menbruch der teilweise jahrzehntelangen (po- Widerstandsverhalten v o n E r w e r b s l o s e n ist litischen) S e l b s t v e r s t ä n d l i c h k e i t e n und z u den die A b k e h r v o n einem eindimensionalen P o - wiederholenden E r f a h r u n g e n , d a ß E r w e r b s - litikbegriff, der m a ß g e b l i c h e politische E i n - lose v o n keinen politischen Instanzen f l u ß n a h m e nur als festorganisierte L o b b y a r - zu erwarten haben. Stattdessen werden sie f ü r beit oder als demonstrierende Masse identi- ihre unverschuldete Situation durch K ü r z u n - fiziert und bewertet. Das Protestverhalten E r - gen der Sozialleistungen noch bestraft. D i e s werbsloser beinhaltet eine V i e l f a l t von W i - kann z u politischen Verhaltensweisen f ü h r e n , Hilfe 74 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, Jo. 10, HEFT 2, 1997 die durch keine Partei oder Gewerkschaft ein- bestens aus. zuordnen oder zu integrieren sind. Menschen W i d e r s p r ü c h e gegen Bescheide der 1993 legten mehr als 500.000 A r b e i t s ä m t e r ein, und A n f a n g 1995 gab es Protesthandeln steht in engem Zusammenhang 125.000 W i d e r s p r ü c h e gegen die K ü r z u n g e n mit der j e w e i l i g e n Struktur eines gesellschaft- von Arbeitslosengeld und -hilfe. O b w o h l i n - lichen Systems und den S p i e l r ä u m e n , die den d i v i d u e l l angelegt, M e n s c h e n zugestanden werden. Solange die- K a n ä l e innerhalb der Erwerbsloseninitiativen se „ d a s A l l t ä g l i c h e leben k ö n n e n , rekonstitu- Einspruchs- und W i d e r s p r u c h s m ö g l i c h k e i t e n ieren sich die alten V e r h ä l t n i s s e " (Lefebvre an andere Betroffene weitergegeben. 1972: 51). In diesem Zusammenhang k ö n n e n zählt auch die Weitergabe von 'geheimen' In- Erwerbslose den Verlust von Lohnarbeit nicht formationen, z . B . ü b e r M ö g l i c h k e i t e n , die ge- nur als Resignation, Apathie oder Krankheit ringen Sozialleistungen durch Nebenverdien- erleben, sondern auch als politischen und per- ste ('Schwarzarbeit') sönlichen S e l b s t f i n d u n g s p r o z e ß , sowie werden ü b e r i n f o r m e l l e Hierzu aufzubessern. als M ö g l i c h k e i t , vorhandene A k t i v i t ä t e n zu i n - D i e Freiraumschafferlnnen tensivieren bzw. neue zu entfalten. schaffenen F r e i r a u m z u m Nachdenken und nutzen den ge- zur R e a l i s i e r u n g anderer L e b e n s - oder A r So finden sich verschiedene Formen der R e - b e i t s m ö g l i c h k e i t e n , etwa um in gesellschaft- sistenz unter E r w e r b s l o s e n , die - wenn sie lichen B e r e i c h e n politisch aktiv z u werden ü b e r h a u p t erkannt oder ihnen nützlich erscheinenden werden - einer ö f f e n t l i - chen D i f f a m i e r u n g unterliegen: Tätigkei- ten nachzugehen. D i e A k t i v i t ä t e n bestimmter sozialer Bewegungen ( z . B . A n t i - A K W - B e w e unter- gung, H ä u s e r k a m p f usw.) w ä r e n ohne diese werfen sich nur i n ä u ß e r s t e n Notsituationen Protagonisten k a u m denkbar gewesen. F r e i - einem r e g e l m ä ß i g e n Lohnarbeitsdrill und neh- raumschaffung kann aber auch zur p e r s ö n l i - men nur solche T ä t i g k e i t e n an, die nötig sind, chen Neugestaltung des individuellen und be- das eigenbestimmte Lebensniveau z u halten. ruflichen Lebens f ü h r e n . Ü b e r die Zeit z u ver- E r g ä n z e n d halten sie sich mit z u s ä t z l i c h e n f ü g e n , nachzudenken und Neues sozialen Leistungen ü b e r Wasser. Solange ihr spielt dabei eine g r o ß e R o l l e . Diese Erwerbs- D i e individuellen Leistungsverweigerer anzugehen, individueller Widerstand erfolgreich ist, se- losen begreifen ihre Situation als i n d i v i d u e l - hen sie keine Notwendigkeit des gemeinsa- le Chance autonomen Handelns, als H i l f e f ü r men politischen Engagements. die B e s t ä t i g u n g ihres Status quo oder f ü r w e i tergehende Lebensschritte. D i e s kann auch D i e selbstbewußten Bezieherinnen von S o z i - alhilfe und Lohnersatzleistungen lassen sich politische Verhaltensweisen einschließen, m u ß es aber nicht. ihre L a g e weder psychologisieren noch f ü r ihre Situation individuell verantwortlich ma- Arbeitslosenarbeit? chen. Sie wissen sehr w o h l , wer sie wegrationalisiert und ihnen die Sozialleistungen ge- Der in der letzten Zeit eingebrachte Ansatz kürzt hat. Ihr Widerstand ist der K a m p f um einer materielle Leistungen und f ü r ein Leben in 1996) ist in seiner K o n z e p t i o n und Praxis sehr W ü r d e . Sie fordern die ihnen Arbeitslosenarbeit (Wolski-Prenger zustehenden problematisch, da er verdeutlicht, d a ß sich staatlichen Leistungen s e l b s t b e w u ß t ein und Arbeitslosigkeit mit all ihren Facetten zu ei- kennen sich in den rechtlichen Grundlagen ner Wachstumsbranche innerhalb der S o z i a l - 75 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 arbeit etabliert hat. In diesem Sinne steht A r - tischen Beratungsstellen f ü r verzweifelte Arbei- beitslosenarbeit i m Widerspruch z u e i g e n s t ä n - terinnen nach Beendigung der Tarifrunde? diger und u n a b h ä n g i g e r Interessenartikulation durch die Betroffenen selbst. D e r b e r u f l i - Harald che D r u c k , etwas vorweisen zu m ü s s e n , läßt beitet i m Frankfurter Arbeitslosenzentrum. Rein ist Sozialwissenschaftler und ar- professionelle M e r k m a l e der Sozialarbeit und der Betreuung E i n g a n g i n die a l l t ä g l i c h e A r - Kontakt: beit der Initiativen finden. W o H i l f e zur K o n - ( F A L Z ) , Solmsstr. l a , 60486 F r a n k f u r t / M . , trolle w i r d , ist dann k a u m noch z u unterschei- Tel.: (069) 700425, Fax: 704812. Frankfurter Arbeitslosenzentrum den. B e i z u p f l i c h t e n ist der E i n s c h ä t z u n g von psychosozialen Dienstleistungen: „ S i e leisten Dort existiert auch ein A r c h i v mit M a t e r i a l i - H i l f e dort, w o M e n s c h e n mit der B e w ä l t i g u n g en zu den A k t i v i t ä t e n von E r w e r b s l o s e n i n - ihrer A l l t a g s p r o b l e m e nicht mehr zurecht- itiativen. H i n z u w e i s e n sei auch noch auf die k o m m e n , und sie ü b e n Kontrolle g e g e n ü b e r einzige ü b e r r e g i o n a l e , u n a b h ä n g i g e A r b e i t s - H a n d l u n g e n und Individuen aus, die gesell- losenzeitung i n Deutschland: Quer, Postfach s c h a f t l i c h lizensierte Toleranzgrenzen ü b e r - 1412, 09581 Freiberg. Siehe hierzu auch die schreiten" (Keupp 1986: 447). Selbstdarstellung i n der R u b r i k 'Pulsschlag' i m vorliegenden H e f t . W o l s k i - P r e n g e r sieht i n der Sozialarbeit ein neutrales Instrumentarium, dessen man sich Anmerkungen nur in der richtigen A r t und Weise bedienen m ü s s e . D i e i n der sozialen A r b e i t T ä t i g e n geraten p l ö t z l i c h in die R o l l e eines M o t o r s f ü r 1 Zentrales Motto des 2. Bundeskongresses der Initiativen gegen Arbeitslosigkeit und Armut 1988. soziale Bewegungen, wenn der A u t o r behauptet, „ d a ß soziale A r b e i t v i e l f a c h erst die Vor- Literatur aussetzungen f ü r eine politische oder soziale B e w e g u n g schaffen m ü ß t e " (Woski-Prenger 1996: 218). Wieder soll ü b e r die K ö p f e der E r w e r b s l o s e n h i n w e g i m a g i n ä r e P o l i t i k betrieben werden, falls sie bereit sind, sich vorher 'betreuen' z u lassen. Selbstorganisation und s e l b s t ä n d i g e s D e n k e n und Handeln hat in solchen Konzeptionen keinen R a u m . - Passend dazu auch die konsequente D e f i n i t i o n des A u t o r s : „ d i e B e s c h ä f t i g u n g mit deren L e i den [der Erwerbslosen, H . R . ] w ä r e daher f o l g lich Arbeitslosenarbeit." (Wolski-Prenger 1996: 15). E i n e ketzerische Frage sei am E n d e noch gestellt: W a r u m w i r d eigentlich i m m e r wieder eine spezielle psychologische Betreuung f ü r Erwerbslose gefordert, die ihre Arbeit 'verloren haben', und warum gibt es keine therapeu- /. Bundeskongreß der Arbeitslosen 1983: Fachhochschulverlag: Frankfurt/M. Keupp, Heiner 1986: Normalität und Abweichung. In: Rexilius, G./Grubitzsch, S.(Hg.): Psychologie. Rowohlt: Reinbek. Lefebvre, Henri 1972: Das Alltagsleben in der modernen Welt. Suhrkamp: Frankfurt/M. Offe, Claus 1972: Politische Herrschaft und Klassenstrukturen, in: Kress,G./Senghaas,D. (Hg.): Politikwissenschaft. Fischer: Frankfurt/M. Piven, Frances Fox/Cloward, Richard A. 1986: Aufstand der Armen. Suhrkamp: Frankfurt/M. Rein, Harald/Scherer, Wolfgang 1993: Erwerbslosigkeit und politischer Protest. Lang: Frankfurt/M. Wacker, Ali 1987: Arbeitslosigkeit ist ein massenhaftes Schicksal, aber ein massenhaft individuelles, in: Provinz-Arbeitslosigkeit. Internationalismus: Hannover. Wolski-Prenger, Friedhelm 1996 (Hg.): Arbeitslosenarbeit. Leske & Budrich: Opladen. FORSCHUNGSJOURNAL N S B . JG. 10. HEFT 2, 1997 Eric Hammann Für eine Kultur der Gleichheit in der Verschiedenheit Selbstorganisierte ambulante Dienste am Beispiel des fib e.V. 1 Behindertenhilfe und Individualisierung A u f der anderen Seite besteht eine nach w i e vor dominierende Z u s t ä n d i g k e i t der privaten S p h ä r e , die den g r ö ß t e n A n t e i l des H i l f e b e - 'Perspektive ohne Alternative z w i s c h e n öf- darfs von behinderten M e n s c h e n abdeckt, bei fentlicher Anstalt und privatem Haushalt', so gleichzeitiger A u f l ö s u n g der dort angesiedel- kann die Struktur der H i l f e f o r m e n f ü r behin- ten Hilferessourcen. D i e Notwendigkeiten und derte M e n s c h e n kurz auf einen Nenner ge- Voraussetzungen dieses i n hohem M a ß e h i l - bracht werden. A u f der einen Seite existiert ferelevanten eine hochgradige Konzentration der ö f f e n t l i - Kenntnis genommen. Im Gegenteil: Im Ver- Bereiches werden kaum zur che A u f m e r k s a m k e i t auf den professionellen such der U m k e h r u n g des historischen Trends B e r e i c h der Behindertenhilfe, auch wenn er einer zunehmenden nur ca. 10% des notwendigen H i l f e b e d a r f s Frauen sollen und werden hier äußerst pre- behinderter k ä r e Bedingungen i n zynischer Weise v e r k l ä r t Menschen abdeckt (Socialdata Erwerbsbeteiligung v o n 1980: 60). A u f g r u n d seiner b ü r o k r a t i s c h - r a - und aufrechterhalten. tionellen Ausrichtung ist dieser B e r e i c h durch Nachdenken ü b e r die M ö g l i c h k e i t e n einer so- ein hohes M a ß an Spezialisierung und D i f f e - zial gerechten Verteilung dieser gesellschaft- O h n e jedes kritische renzierung gekennzeichnet. D i e damit einher- lich notwendigen B e i t r ä g e , f ü h r t die O r g a n i - gehenden Prozesse der Problemparzellierung sation der H i l f e i m privaten B e r e i c h zu enor- und der Z e r p f l ü c k u n g des Menschen in seine men A b h ä n g i g k e i t e n ' D e f i z i t e ' sowie die Perfektionierung zusam- sowohl der Hilfeleistenden (in traditioneller menhangloser M i t t e l und Werkzeuge der E r - Z u s t ä n d i g k e i t s v e r t e i l u n g vor allem der F r a u - ziehung usw. zielen i m K e r n auf die R e d u k t i - en) als auch der H i l f e e m p f ä n g e r . und Überforderungen on von K o m p l e x i t ä t . Professionelles Handeln entzieht sich dem A l l t a g und m i ß a c h t e t dabei weitestgehend die alltäglichen B e w ä l t i g u n g s muster sowie die Bedeutung der N o t w e n d i g keiten des a l l t ä g l i c h e n Lebens. Insofern ist das professionelle System v i e l f a c h eine M a ß nahme zur A b w e h r realer Verantwortung und dient d e m g e g e n ü b e r eher zur Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Machtstrukturen p e r s ö n l i c h e m M a c h t - und Statusgewinn. und Dieser P o l a r i s i e r u n g s p r o z e ß ist Resultat e i ner zunehmend rasanter werdenden Indivi- d u a l i s i e r u n g s d y n a m i k i n modernen Gesell- schaften, in werbs)arbeit deren Vollzug die L o h n ( E r - als A n d e r t h a l b - P e r s o n e n - B e r u f z u m dominaten M u s t e r der sozialen Integration w i r d . Anders und ausgegrenzt sind die, die nicht gleich dem V o l l z e i t e r w e r b s t ä t i g e n kontinuierlich in den Arbeitsmarkt und i n die FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 durch die Erwerbsarbeit abgesicherten Siche- auch von den Sicherheiten traditionaler G e - rungsformen eingebunden sind. D a v o n abge- meinschaftsformen, erwachsen neue B e d ü r f - sehen, und vor allem hierauf soll aufmerk- nisse, die sich gegen die negativen F o l g e n sam gemacht werden, f ü h r t das L e i t b i l d einer der I n d i v i d u a l i s i e r u n g richten und d a r ü b e r Verallgemeinerbarkeit des 'Normalarbeitsver- hinaus auch den i n d i v i d u e l l e n Gestaltungs- h ä l t n i s s e s ' a u ß e r d e m zu spezifischen E i n s e i - und E n t f a l t u n g s s p i e l r a u m erweitern sollen. tigkeiten und Ausblendungen, welche die öf- Alternative Projekte bilden hier Kristallisati- fentliche Debatte ü b e r Verantwortlichkeiten onspunkte, in deren Zusammenhang die E n t - gegenüber stehung selbstorganisierter ambulanter D i e n - behinderungsbedingten Risiken p r ä g e n . So konzentriert sich die traditionelle ste f ü r behinderte A r b e i t s - und Sozialpolitik fast a u s s c h l i e ß l i c h sind. V o n der 'Arbeitsseite' sind sie als Ver- Menschen zu verstehen auf die S c h a f f u n g und A b s i c h e r u n g von pro- suche anzusehen, H i l f e human und demokra- fessionellen und institutionellen Standards i m tisch zu organisieren und z u g l e i c h den R a u m Rahmen 'Normalarbeitsverhältnisses', f ü r i n d i v i d u e l l e E n t f a l t u n g s s p i e l r ä u m e und w ä h r e n d andere F o r m e n der sozialen Beteili- die B i l d u n g neuer, f a m i l i e n u n a b h ä n g i g e r oder gung unterhalb und a u ß e r h a l b dieser Stan- e r g ä n z e n d e r S o l i d a r f o r m e n zu schaffen. A u s - dards ignoriert bzw. abgelehnt werden. D i e gangspunkt ist die individuelle Bedarfslage. sich damit verschlechternden Es w i r d versucht, dem j e w e i l s v o n der E i n - des Bedingungen f a m i i i a l e r H i l f e und sozialer U n t e r s t ü t z e r n e t z - zigartigkeit werke h i n s i c h t l i c h freier A r b e i t s k a p a z i t ä t e n , H i l f e b e d a r f und den ö r t l i c h e n V e r h ä l t n i s s e n bedarfsgerechter Zeitstrukturen und r ä u m l i c h - gerecht z u werden. Problemlagen werden mit technischer Voraussetzungen werden v e r l ä ß l i c h e n f l e x i b l e n H i l f e n dort kaum der P e r s ö n l i c h k e i t abhängigen angegan- z u m Ausgangspunkt politischer L ö s u n g s s t r a - gen, w o sie sich f ü r die einzelnen herausbil- tegien gemacht. D u r c h das S c h w i n d e n ele- den: in der K o m p l e x i t ä t des gegebenen mentarer tags eines selbstbestimmten Lebens. Z i e l der Voraussetzungen famiiialer Hilfe und den M a n g e l an e r g ä n z e n d e n s e k u n d ä r e n H i l f e ist, behinderte Hilfs- selbst in die L a g e zu versetzen, Entscheidun- und Entlastungsmöglichkeiten wird Menschen All- möglichst sich die D i s k r e p a n z z w i s c h e n dem s o z i a l - gen ü b e r Ziele, Akteure und zeitliche Schritte strukturell dem der H i l f e m a ß n a h m e n z u f ä l l e n ; des weiteren A n g e b o t an ö f f e n t l i c h finanzierten und f ü r die F ö r d e r u n g lokaler G e m e i n s c h a f t s f o r m e n 'verursachten' B e d a r f und K o n s u m e n t i n n e n 'bezahlbaren' persönlichen und U n t e r s t ü t z u n g s n e t z w e r k e , die sozial be- Dienstleistungen in absehbarer Z u k u n f t er- nachteiligten Personengruppen heblich v e r g r ö ß e r n . Verortung e r m ö g l i c h e n . Im Gegensatz z u klas- eine soziale sisch biologistischen oder defizitorientierten D i e Verallgemeinerung der individuellen A b h ä n g i g k e i t v o m Arbeitsmarkt auch über G e schlechtergrenzen hinweg und die A u f l ö s u n g tradtioneller p r i m ä r e r S o l i d a r f o r m e n ist aber nur die eine Seite des Individualisierungsprozesses. Individualisierung kann auf der anderen Seite auch als notwendiger P r o z e ß der i n d i v i d u e l l e n und gesellschaftlichen E m a n zipation a u f g e f a ß t werden. Befreit von den moralischen und normativen Z w ä n g e n , aber A n s ä t z e n definiert sich professionelles H a n deln hier ü b e r Ressourcenorientierung. V o n der 'Angebotsseite' reagieren selbstorgani- sierte ambulante Dienste damit insbesondere auf die zunehmenden B e d a r f s l ü c k e n , die sich der polarisierenden w i e unangemessenen A r beitsteilung formeller und informeller H i l f e systeme verdanken. E x p l i z i t w i r d die Intensivierung und wechselseitig e r g ä n z e n d e A b s t i m m u n g der Interaktionen z w i s c h e n dem El FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 f o r m e l l e n B e r e i c h professioneller H i l f e und tionsanspruch f ü r geistig behinderte dem i n f o r m e l l e n Bereich der H i l f e durch die schen mit zeitintensiven H i l f e b e d a r f umge- Men- F a m i l i e und/oder lokale U n t e r s t ü t z u n g s n e t z - setzt werden konnte ( H a m m a n n 1995: 209). werke und s c h l i e ß l i c h der Selbsthilfe behin- D i e Perspektive eines s e l b s t ä n d i g e n Lebens derter M e n s c h e n i m Sinne der Mitgestaltung in der eigenen Wohnung (allein, in der Part- von Hilfeangeboten angestrebt. nerschaft oder in einer W G ) wurde also auch f ü r den Personenkreis der gemeinhin als 1.1 Verein zur Förderung der Integration Behinderter hinderten E r w a c h s e n e n erschlossen. D a m i t D e r Marburger 'Verein zur F ö r d e r u n g der In- jenen A n s ä t z e n , die mit der V e r f o l g u n g einer 'nicht i n t e g r a t i o n s f ä h i g ' geltenden geistigbesteht der f i b e.V. i m krassen Gegensatz z u a l l tegration Behinderter' (fib e.V.) hat sich, aus 'stufenweisen Integration' letztlich nur den einer Initiative von behinderten und nichtbe- weiteren A u s s c h l u ß von behinderten hinderten M e n s c h e n 1982 schen aus der Gesellschaft in H e i m e und A n - hervorgegangen, Men- in den letzten 15 Jahren zu einem m i t t e l s t ä n - stalten perpetuieren. Im R a h m e n dieser Stu- digen Unternehmen mit einem Haushaltsvo- fenkonzeptionen bestimmt der v o n a u ß e n ge- lumen von knapp 5 M i l l i o n e n M a r k und e i - setzte ' G r a d der B e h i n d e r u n g ' die L e b e n s - nem differenzierten Hilfeangebot entwickelt. form: G l e i c h w o h l gehen von i h m nach wie vor wesentliche i n n o v a t i v e Impulse nicht nur auf • f ü r die 'fitten Behinderten' die L e b e n s f o r m die traditionellen F o r m e n der Behindertenhilfe der betreuten Wohngemeinschaft oder des aus. H a b e n sich ambulante Dienste vor allem betreuten E i n z e l w o h n e n s , in der Selbstorganisation k ö r p e r l i c h beeint r ä c h t i g t e r M e n s c h e n entwickelt, so hat der • f i b e.V. auch i m Kontext dieser neuartigen f ü r die 'richtigen Behinderten' die b e h ü t e te L e b e n s f o r m i m W o h n h e i m und Dienstleistungangebote wichtige A n s t ö ß e geliefert. D i e s deshalb, weil er sich konsequent • dem Z i e l verschrieben hat, das Recht auf ein f ü r die 'Restgruppe' die V e r w a h r u n g i n Psychiatrien und G r o ß e i n r i c h t u n g e n , die in L e b e n i n einer s e l b s t g e w ä h l t e n W o h n f o r m f ü r der F o l g e i m m e r mehr z u unmenschlichen alle M e n s c h e n - u n a b h ä n g i g v o m A u s m a ß des Schwerstbehindertenzentren verkommen. Angewiesenseins auf fremde H i l f e bei der B e w ä l t i g u n g des A l l t a g s - mit verschiedenen aufeinander abgestimmten Hilfsangeboten z u v e r w i r k l i c h e n : V o n A n f a n g an - und das war Uber Jahre h i n w e g bundesweit einzigartig f ü r den A u f b a u eines f l ä c h e n - und bedarfsdekkenden Netzes ambulanter Angebote zur Vermeidung von H e i m e i n w e i s u n g und A u s s o n derung - wurde der Integrationsanspruch ü b e r den Personenkreis k ö r p e r l i c h b e e i n t r ä c h t i g ter Menschen hinaus auch f ü r und mit M e n schen mit geistigen B e e i n t r ä c h t i g u n g e n praktisch erschlossen. Das f i b - A n g e b o t ist i n z w i schen soweit, d a ß 1992 erstmals der Integra- D e r fib e.V. setzt mit seinen praktischen E r folgen Standards: D i e Q u a l i t ä t selbstorganisierter ambulanter Dienste bestimmt sich darin, inwiefern es ihnen gelingt, die Perspektive 'Schwerstbehindertenzentren' als logi- sches Produkt 'stufenweiser Integration' z u verhindern, indem kooperativ-dialogische H i l f e n auch f ü r M e n s c h e n mit geistigen B e e i n t r ä c h t i g u n g e n entwickelt werden, die zeitintensive und spezifische H i l f e n b e n ö t i g e n . In einem Konzept 'ungeteilter Integration' kann es keine Z u w e i s u n g von M e n s c h e n in besondere, von der ü b r i g e n Gesellschaft ab- 79 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 gesonderte Lebensorte geben. Diese f r e m d - Diese D e f i n i t i o n verdeutlicht die soziale K o n - gesetzten M u s t e r entsprechen mehr unserer struktion 'Behinderung' und zielt auf die K r i - eigenen Phantasielosigkeit als den B e d ü r f n i s - tik an der kulturellen Vorherrschaft einiger sen, aber auch M ö g l i c h k e i t e n der B e t r o f f e - Gruppen, die exklusiven oder p r i m ä r e n Z u - nen. gang zu den M i t t e l n der Interpretation und K o m m u n i k a t i o n in der G e s e l l s c h a f t haben. 1.2 KulturelleVorherrschaft, Gewalt und Marginalisierung H i e r generalisieren dominante Gruppen, oft ohne es zu merken, ihre Erfahrungen als rep r ä s e n t a t i v f ü r die Menschheit. Sie s t ä r k e n Im folgenden sollen anhand der i n der kriti- ihre Situation, indem sie andere G r u p p e n an schen B e h i n d e r t e n p ä d a g o g i k und -bewegung der k a u m hinterfragten S e l b s t v e r s t ä n d l i c h k e i t etablierten D e f i n i t i o n der B e h i n d e r u n g ver- und Verbreitung ihrer kulturellen Erzeugnis- schiedene Ausgrenzungsprozesse se messen. Differente A n s p r ü c h e und Lebens- drückungsformen wie und Unter- kulturelle Vorherr- formen, die sich aus anderen als den vorherr- schaft, G e w a l t und M a r g i n a l i s i e r u n g thema- schenden Erfahrungshorizonten begründen, tisiert werden. D i e L o g i k dieser A u s g r e n - werden in der Folge als das A u f f ä l l i g e , U n - zungsprozesse aufzuzeigen, verfolgt nicht das terlegene rekonstruiert, Z i e l , erneut behinderte Menschen als geson- senszug in die Natur der Betroffenen substan- derte G r u p p e zu klassifizieren. E s geht v i e l - tialisiert und in irgendeiner A r t mit ihrem K ö r - mehr darum, anhand der Darstellung auf an- per i n V e r b i n d u n g gebracht. gemessene Strategien der Beendigung dieser Gruppen sind unausweichlich mit einer para- Prozesse und in dieser Hinsicht auf die B e - doxen Erfahrung konfrontiert. Eigene kultu- deutung selbstorganisierter ambulanter D i e n - relle A n s p r ü c h e und A u s d r u c k s f o r m e n finden ste hinweisen zu k ö n n e n . keine Anerkennung und W e r t s c h ä t z u n g . Z u - als besonderer W e - Unterdrückte gleich finden sie sich als das ganz Andere In A n l e h n u n g an die B e g r i f f s d e f i n i t i o n der Weltgesundheitsorganisation W H O formuliert Jantzen (1987: 18):"Behinderung kann nicht als ein n a t u r w ü c h s i g entstandenes P h ä n o m e n betrachtet werden. Sie w i r d sichtbar und damit als B e h i n d e r u n g erst existent, wenn M e r k male und M e r k m a l k o m p l e x e eines Individuums aufgrund sozialer Interaktion und K o m m u n i k a t i o n in bezug gesetzt werden z u jeweiligen gesellschaftlichen Minimalvorstellungen ü b e r i n d i v i d u e l l e und soziale F ä h i g keiten. Indem festgestellt w i r d , d a ß ein Indiv i d u u m aufgrund seiner M e r k m a l s a u s p r ä g u n g diesen Vorstellungen nicht entspricht, gekennzeichnet, indem die A u ß e n w e l t Vorgaben d a r ü b e r macht, wie sie als stigmatisierte G r u p p e ü b e r sich denken sollten. Das D i l e m m a behinderter Menschen besteht darin, d a ß sie diese Fremdzuschreibungen in gewissem M a ß e verinnerlichen m ü s s e n , u m auf d i s k r i minierende Verhaltensweisen dominanter G r u p p e n a d ä q u a t reagieren z u k ö n n e n . Z u gleich haben sie innerhalb dieser isolierenden V e r h ä l t n i s s e ein Selbstbild z u behaupten, d a ß sie mit anderen Charakteristika als mit dem Handicap identifiziert ( Y o u n g 1996: 1271'f; G o f f m a n n 1967: 151 f f ) . wird Behinderung erst o f f e n s i c h t l i c h , sie existiert K e i n anderes T h e m a ist i n den letzten Jahren als sozialer Gegenstand erst von diesem A u - mehr in den Fokus der ö f f e n t l i c h e n A u f m e r k - genblick an." samkeit geraten und hat z u einer g r ö ß e r e n Verunsicherung bei den i m Behindertenbe- reich T ä t i g e n beigetragen als die G e w a l t ge- 80 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 gen machtlose/stigmatisierte richte Menschen. Be- und A u f k l ä r u n g s i n i t i a t i v e n zu eigenen Lebensweise entspricht. Jene A n t e i - Miß- le des Selbst, die mit selbstgeschaffenen M y - handlung, sexuellem M i ß b r a u c h und T ö t u n g then nicht in E i n k l a n g zu bringen sind, wer- behinderter den an den ' R a n d s t ä n d i g e n ' ausgemacht bzw. M e n s c h e n durch F a m i l i e n a n g e - h ö r i g e und/oder professionelle H e l f e r i n n e n , auf sie projiziert und vermeintlich mit ihnen sowie die gezielten rechtsradikalen A n g r i f f e aus dem eigenen L e b e n 'entsorgt'. M i t dieser auf Behindertenheime und Sonderschulen ha- Tendenz erfolgt die Ü b e r n a h m e eines D e n - ben das B i l d von F a m i l i e und ö f f e n t l i c h e r E i n - kens der Scheidung zwischen r i c h t u n g als 'sicheren' und 'lebensunwertem' Ort z u m L e b e n er- schüttert. 'lebenswertem' L e b e n i n gesellschaft- liche N o r m v o r s t e l l u n g e n . W i e die kritische Auseinandersetzung mit alten und neuen A p o - G l e i c h w o h l hat die tradierte Vorstellung B e - logeten der Euthanasie behinderter, stand, d a ß es sich bei den P h ä n o m e n e n phy- und alter Menschen zeigt, ist die F i k t i o n v o m sischer und psychischer Gewaltanwendung kranker leidensfreiem I n d i v i d u u m , das des anderen handelt, M e n s c h e n nicht mehr bedarf, der wirksamste u m eine b l o ß individuelle, moralisch falsche M o t o r aller gegenseitiger Entsolidarisierungs- nur u m eine private Angelegenheit H a n d l u n g . D e m g e g e n ü b e r sind A n s ä t z e not- prozesse. A u s dieser F i k t i o n resultiert konse- wendig, die einen offensiven U m g a n g mit die- quent die Angst vor und der H a ß auf M i t g l i e - ser T h e m a t i k verlangen, auf den systemischen der ausgegrenzter G r u p p e n . M i t ihnen darf Charakter v o n G e w a l t hinweisen und ihr en- es keine Gemeinsamkeit geben, nichts, was ges Zusammengehen das eigene L e b e n in die N ä h e von R a n d s t ä n - mit Formen kultureller digkeit bis hin zu potentiell t ö d l i c h e r B e d r o - Vorherrschaft aufzeigen. hung r ü c k e n k ö n n t e . Machtlose/stigmatisierG e w a l t ist eine F o r m institutioneller und so- te G r u p p e n bedeuten eine P r o v o k a t i o n des zialer Praxis, die K o n f l i k t l ö s u n g e n qua ex- Selbst. U n a u s w e i c h l i c h verweisen sie auf jene pansiver B e m ä c h t i g u n g bevorzugt. Dabei un- Schmerzen und Anstrengungen der Selbstun- t e r s t ü t z e n sich gegenseitig kulturelle T r a d i - terwerfung, die als Preis f ü r die Z u g e h ö r i g - tionen, ein expansives Wirtschaftssystem und keit zur allseitig reduzierten Lebensweise der das H e r r s c h a f t s v e r h ä l t n i s zwischen M ä n n e r n herrschenden und Frauen (Rommelspacher wesentlicher Aspekt der w i l l k ü r l i c h e n und sy- 1992). G e w a l t G r u p p e n zu zahlen sind. E i n dient zur A b s i c h e r u n g von Privilegien derje- stemischen G e w a l t ist ihre Irrationalität, die nigen, Angst die das Zentrum gesellschaftlicher ' N o r m a l i t ä t ' v e r k ö r p e r n . Sie richtet sich z u - und der Haß als Motivgrundlage (Young 1996: 132). allererst gegen Menschen in ihrer Eigenschaft als Mitglieder machtloser/stigmatisierter D i e v o n Jantzen vorgeschlagene Definition G r u p p e n . Das Wissen u m die M ö g l i c h k e i t der der 'Behinderung' ist zwar richtig, um die P r o - Verletzung allein aufgrund einer bestimmten zesse der Behinderung als Interaktions- und Gruppenzugehörigkeit gehört zum Alltag i m Kommunikationsprozesse zu beschreiben, i n L e b e n der B e t r o f f e n e n . In dieser denen Menschen d a f ü r sanktioniert allgegen- werden, w ä r t i g e n F o r m ist Gewalt aber auch i m Vor- d a ß sie in der konkreten M e r k m a l s a u s p r ä g u n g stellungshorizont dominanter G r u p p e n per- ihrer P e r s ö n l i c h k e i t bestimmten gesellschaft- manent w i r k s a m . Sie erzwingt den Erhalt e i - lichen Vorstellungen nicht entsprechen. A b e r nes Selbstbildes, das dem A n s p r u c h dieser die A n a l y s e f ü h r t allein bis dahin i n die f a l - G r u p p e n auf N o r m a l i t ä t und U n i v e r s a l i t ä t der sche R i c h t u n g , w o sie nicht aufzeigt, w i e il FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 N o r m - und Wertkonstituierung wesentlich von der D o m i n a n z k u l t u r ausgeschlossen. D i e s ge- der ö k o n o m i s c h e n L a g e der Gesellschaft ab- schieht durch den Verweis auf ein H i l f e s y - hängen: stem, das in seiner Struktur wiederum wesent- „Es wird noch nicht v o n gesell- s c h a f t l i c h e r P r o d u k t i o n und A r b e i t gespro- lich auf dem gesellschaftlichen L e i t b i l d ' N o r - chen, die i n letzter Konsequenz diese Prozes- m a l a r b e i t s v e r h ä l t n i s ' aufsitzt, auf Unsichtbar- se bestimmen" (Jantzen 1987: 19). M a r g i n a - machung abzielt und Verantwortung als Ver- lisierung als A u s s c h l u ß von Menschen die das wahrung entsorgt. Arbeitssystem nicht brauchen kann und w i l l , rückt damit in den Mittelpunkt der A n a l y s e Zusammenfassend kann festgehalten werden, von obgleich A b h ä n g i g k e i t und H i l f e b e d ü r f t i g k e i t Behinderungsprozessen. A u s d r u c k einer gemeinsamen menschlichen Moderne Gesellschaften sind durch eine D i f - Situation sind, gerinnen sie in unserer G e - f e r e n z i e r u n g in sektoriale Teilbereiche ge- sellschaft, die dem Wettbewerb und der E i n - kennzeichnet. M a r k t , Staat, zivilgesellschaft- zelleistung unangemessen g r o ß e n Wert bei- licher und privater bzw. gemeinschaftlicher mißt, z u m Stigma. A u s der noch nicht, nicht B e r e i c h b i l d e n s o w o h l S p h ä r e n , die durch mehr oder nur in geringem U m f a n g vorhan- eine denen ö k o n o m i s c h e n N ü t z l i c h k e i t und Ver- relative E i g e n s t ä n d i g k e i t voneinander getrennt sind, als d a ß sie sich auch gegensei- wertbarkeit tig voraussetzen, indem erst ihr arbeitsteili- schen in der R e g e l ' B e h i n d e r u n g ' , d.h. eine resultiert f ü r betroffene ges Z u s a m m e n w i r k e n die Reproduktion der umfassende Entrechtung, E n t w ü r d i g u n g und G e s e l l s c h a f t als Ganzes g e w ä h r l e i s t e t . D i e - Isolation bzw. die Ausgrenzung von der T e i l - ses Z u s a m m e n w i r k e n vollzieht sich aber nicht habe am gesellschaftlichen L e b e n - und zwar in einem A b s t i m m u n g s p r o z e ß , der den ver- in dem doppelten Sinn der Beteiligung an der schiedenen sektorialen Teilbereichen gleiches gesellschaftlichen G e w i c h t z u k o m m e n läßt und ihren wechsel- w i c k l u n g und der A n t e i l n a h m e am gesell- Reproduktion und Men- Ent- seitigen A b h ä n g i g k e i t e n p l a n v o l l R e c h n u n g schaftlichen Reichtum. U n d dies sollte deut- trägt. V i e l m e h r besteht eine Hierarchie gesell- lich geworden sein: M i t der Ü b e r w i n d u n g se- schaftlicher S p h ä r e n und eine gregierender 'Gleichzeitig- Institutionen, wie Anstalten, keit von H e g e m o n i e und relativer A u t o n o - H e i m e usw., w ä r e nur ein ä u ß e r e s und sicht- m i e ' . D i e konkrete A u s b i l d u n g bestimmter bares Zeichen der I n h u m a n i t ä t und brutalen Sektoren basiert geradezu auf der Unterord- Gewalt von Ausgrenzung beseitigt, nicht aber nung anderer Sektoren, deren spezifische L o - diese Realität und Praxis selbst. giken und Ressourcen zugleich begrenzt wie auch instrumentalisiert werden, und vollzieht sich in einem Mechanismus, der wechselsei- 2 Zivilgesellschaft und Selbstbestimmung tige A b h ä n g i g k e i t e n unsichtbar macht. D i e s verhindert aber die Einsicht in einen wesent- Das Ende einer 'Perspektive ohne Alternati- lichen ve' zwischen ' ö f f e n t l i c h e r Anstalt' und ' p r i - Aspekt menschlichen Lebens: Alle Menschen sind lebenslang auf die H i l f e an- vatem derer angewiesen ( R ö d l e r 1993). Behinderte bzw. f ü r alle gesprochen, M e n s c h e n , die diese v e r d r ä n g t e Seite des L e - „ g r e n z e n l o s e n Ausdehnung der Anstalt in die Haushalt' f ü r behinderte Menschen das E n d e einer bens durch ihre Existenzweise unnachgiebig ' N o r m a l i t ä t ' h i n e i n " (Feuser 1995: 266) setzt zur G e l t u n g bringen, stören das Herrschafts- notwendig eine umfassende R e v i s i o n all je- getriebe. A l s leidiges P r o b l e m werden sie von ner gesellschaftlichen Vorstellungen und H a i - 82 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 tungen voraus, die sich einem ö k o n o m i s c h - faßt, das Gemeinschaftlichkeit als Ergebnis patriarchal verzerrten jener L i b e r a l i s m u s verdan- prekären Erfahrungen widerspiegelt, ken. D i e atomistische D o k t r i n abstrahiert von „die sich gerade in der Kette durchgestande- den konkreten sozialen Kontexten, in denen ner K o n f l i k t e , ertragener und M e n s c h e n leben, z e r s t ö r t elementare soziale akzeptierter Z u s a m m e n h ä n g e und damit die sozialen Vor- 1994: 1811). Divergenzen wechselseitig bilden" (Dubiel aussetzungen, auf denen moderne G e s e l l schaften basieren. Sie tut dies, indem die ba- Angesprochen ist damit der zivilgesellschaft- nale E r k e n n t n i s nicht n a c h v o l l z o g e n wird: liche B e r e i c h , der zwar z u M a r k t , Staat und d a ß nicht nur Individuen eine Gemeinschaft privaten Haushalten gleichen Abstand wahrt, oder Gesellschaft bilden, sondern d a ß auch aber wesentlich zur sozialen Integration die eine Gesellschaft und die vielen G e m e i n - Gesellschaft beitragen kann, indem die sek- schaften das Verhalten der Individuen und torspezifischen Verfahrensweisen - d i e G r u p p e n bilden, beeinflussen und gestalten. gleich k o m p l e m e n t ä r und konkurrierend w i r - der zu- Das atomistische Denken - darauf insistiert ken - so organisiert werden, d a ß die i n d i v i - vor allem die kommunitaristisch duellen Intentionen inspirierte nicht vereitelt werden. S o z i a l - und Gesellschaftskritik - erweist sich Diese Verfahren betreffen Marktallokationen, als u n f ä h i g , L ö s u n g e n g e g e n ü b e r einer z u - staatliche Planung, k o l l e k t i v e B e d ü r f n i s v e r - nehmenden Fragmentierung in durch Indivi- sorgung, Schutz der Rechte des einzelnen so- dualisierung und Pluralisierung gekennzeich- wie l e i s t u n g s f ä h i g e demokratische neten Gesellschaften zu entwickeln. Schon die und K o n t r o l l m a ß n a h m e n (Taylor 1995: 123). Initiativ- Frage bleibt v ö l l i g a u ß e r h a l b des P r o b l e m horizonts marktliberaler D o k t r i n , wie denn „ein hang sozial ü b e r g r e i f e n d e r Wertzusammenbeschaffen sein kann, der einerseits durch neue F o r m e n der gesellschaftlichen S o lidarität den destruktiven weiteren Tendenzen Individualisierung einer entgegenwirkt, ohne andererseits dem radikalen Pluralismus liberaler Gesellschaften zuwiderzulaufen" (Honneth 1994: 22f). Z w e i Aspekte sind vor allem hervorzuheben, die der zivilgesellschaftliche Bereich b e i t r ä g t z u m A u s f i n d i g m a c h e n nie e n d g ü l t i g e r , sondern immer wieder solchen Gesellschaften ausgemacht werden, auszuhandelnder widerstreiten- den Forderungen der unterschiedlichen, und doch sich wechselseitig e r g ä n z e n d e n und voraussetzenden Verfahren, durch die w i r unser Zusammenleben Welches einigende B a n d kann nun aber in neu Gleichgewichte zwischen den organisieren. Zunächst: Zivilgesellschaftliche Zusammens c h l ü s s e nehmen ihren Ausgangspunkt oft i n das die bestehenden D i f f e r e n z e n z w i s c h e n Themenbereichen Lebensformen als allgemeingesellschaftliche Relevanz, die bis V i e l f a l t zur Geltung bringt und als spezielle dato vornehmlich als private Angelegenhei- B e i t r ä g e zur Realisierung eines gemeinsamen ten oder als das A n l i e g e n m i n o r i t ä r e r G r u p - G a n z e n anerkennt? D i e Rede von der S o l i - pen galten. Sie vermitteln dem Handeln e i - dargemeinschaft gesichts und -bereichen positiv und verdeutlichen deren der B ü r g e r i n n e n macht an- nen Z u g a n g zur Ö f f e n t l i c h k e i t und bringen der v i e l f ä l t i g e n Spaltungslinien in dort lebensweltlich verankerte A u s d r u c k s f o r - einen men und Praktiken zur Geltung. D . h . sie b ü n - S i n n , wenn man darunter das B e w u ß t s e i n e i - unserer G e s e l l s c h a f t nur noch dann deln Ressourcen der P r o b l e m d e f i n i t i o n , -ar- nes gemeinsam geteilten politischen Raumes tikulation und - b e w ä l t i g u n g i n einer A r t und 83 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 Weise, die der Tendenz traditioneller Wahr- licht, handelt es sich hier u m z w e i verschie- nehmungs- dene Muster sozialer Integration: W ä h r e n d es scher und L ö s u n g s m u s t e r bzw. k l a s s i entgegen- f ü r die soziale Integration einer Gesellschaft wirkt, einseitig nur auf einer der Handlungs- ideologischer Strömungen von Belang ist, d a ß jene Eigenschaften wech- logiken v o n M a r k t , Staat und privaten Haus- selseitig A n e r k e n n u n g f i n d e n , die alle ihre halten zu basieren. A u s der N ä h e zu den prak- Mitglieder miteinander teilen, so ist f ü r die tischen Fragen des alltäglichen Lebens resul- soziale Integration v o n Gemeinschaften von tiert i n s o f e r n ein angemessenes M i s c h u n g s - B e l a n g , d a ß sich die M i t g l i e d e r i n E i g e n - verhältnis von Krisenbewältigungsstrategien, schaften und F ä h i g k e i t e n w e r t s c h ä t z e n , die das an der K o m p l e x i t ä t menschlicher B e d ü r f - ihnen j e w e i l s als bestimmten Subjekten oder nisse und gesellschaftlicher Z u s a m m e n h ä n g e Personengruppen z u k o m m e n . „Sich wechsel- nicht vorbeigeht. U n d in dem M a ß e , w i e z i - seitig w e r t s c h ä t z e n aber heißt, vilgesellschaftliche Akteure g r ö ß e r e n E i n f l u ß Beziehungen der S o l i d a r i t ä t zu auf die f o r m a l e r organisierten Entscheidungs- jemandem Solidarität entgegenzubringen n ä m - untereinander unterhalten: instanzen r e p r ä s e n t a t i v e r Demokratie nehmen lich meint, ihn oder sie als eine Person zu und z u gewinnen versuchen, w i r d auch staat- betrachten, deren Eigenschaften von Wert f ü r liche P o l i t i k aufgrund dieser breiteren Basis eine gemeinsame von Beratung und Entscheidungsfindung ein sind die sozialen Beziehungen, die w i r vor h ö h e r e s M a ß an praktischer R a t i o n a l i t ä t be- A u g e n haben, wenn w i r von 'Gemeinschaf- anspruchen k ö n n e n . Direkte Demokratie und ten' sprechen, stets V e r h ä l t n i s s e der Solidari- Dezentralisierung stehen damit nicht i m G e - tät: In ihnen bringe i c h dem anderen mehr als gensatz zu r e p r ä s e n t a t i v e n F o r m e n der D e - Respekt und Toleranz entgegen, i c h w e i ß m e i - mokratie, sondern bilden deren ne Lebensziele als etwas, das von seinen F ä - wesentliche Voraussetzung und E r g ä n z u n g . higkeiten e r m ö g l i c h t oder bereichert (Honneth Entscheidend f ü r die Frage nach angemessenen Strategien der Beendigung von Ausgrenzungsprozessen behinderter M e n s c h e n ist ferner der H i n w e i s auf die zivilgesellschaftliche S p h ä r e als F e l d der K o n f l i k t e r f a h r u n g und -austragung. E x p l i z i t m u ß die Bedeutung der Z i v i l g e s e l l s c h a f t als ein Netz von selbstorganisierten f r e i w i l l i g e n Vereinigungen bzw. T e i l ö f f e n t l i c h k e i t e n hervorgehoben Verschiedenheit nicht nur Lebenspraxis sind. Daher wird" 1993: 263). D i e A n e r k e n n u n g in Form sozialer W e r t s c h ä t z u n g in Gemeinschaften macht es m ö g l i c h , d a ß der/die einzelne sich auf sich selbst positiv beziehen kann, und diese A r t von nach innen gerichtetem Vertrauen erlaubt es, ungezwungen auch von i n neren B l o c k i e r u n g e n die eigenen B e d ü r f n i s se z u artikulieren und die eigenen F ä h i g k e i ten a u s z u ü b e n . werden, w o passiv toleriert Diese Perspektive z i v i l e r Solidarität und ge- w i r d , sondern die B ü r g e r i n n e n sich auch ak- sellschaftlicher Selbstorganisation w i r d aber tiv darum b e m ü h e n , sich gerade in jenen U n - nur dann C h a n c e n auf R e a l i s i e r u n g haben, terschieden zu verstehen und zur L ö s u n g strit- insoweit es staatlicher P o l i t i k gelingt, ihr e i - tiger Fragen beizutragen, die ethisch b e g r ü n - genes A u f g a b e n v e r s t ä n d n i s in R i c h t u n g ent- det sind. Neben der A n e r k e n n u n g eines bür- wicklungorientierter Strategien z u k o r r i g i e - gerrechtlichen Status kommt in dieser Streit- ren (Evers 1989). Staatlicher P o l i t i k fällt hier praxis - und das m ö c h t e ich betonen - auch die A u f g a b e zu, auf behutsame, aber entschie- ein M i n i m u m an sozialer W e r t s c h ä t z u n g z u m dene Weise die sozialen Kontexte zu v e r ä n - A u s d r u c k . W i e Honneth (1993: 263) verdeut- dern, eine soziale Infrastruktur und f i n a n z i - FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10. HEFT 2, 1997 eile Ausgangsbedingungen z u schaffen, die halb, w e i l nur so die Idee selbstgesetzter Wer- es wahrscheinlicher machen, d a ß M e n s c h e n te gesichert werden kann, die nicht nur ein sich in sozialer Hinsicht ' m o r a l i s c h ' verhal- historisch nicht mehr hintergehbares F a k t u m ten, d.h. als freie Individuen die A u s w i r k u n - darstellt, sondern auch die recht verstandene gen ihres Handelns auf andere bedenken und F o r m gelungener I n t e r s u b j e k t i v i t ä t z u m A u s - diese in das eigene Handeln miteinbeziehen. druck bringt" ( R ö s s l e r 1994: 84f; B e n j a m i n U m es noch einmal hervorzuheben: E s kann 1990; Rommelspacher 1992). D i e F ö r d e r u n g dabei nicht um die F ö r d e r u n g jedweder G e - b ü r g e r s c h a f t l i c h e n Engagements kann nur i m meinschaften gehen. „ G e m e i n s c h a f t e n [kön- umfassenden R a h m e n einer arbeitszeitpoliti- nen, E . H . ] ihrem eigentlichen, positiven Sinn schen Neuorientierung gelingen. D i e ' H y p e r - nur gerecht werden, wenn sie als f r e i w i l l i g e dominanz' der Erwerbsarbeit f ü r das und e g a l i t ä r e Gemeinschaften und nicht als Leben und die bestehende Geschlechterhier- ganze durch ( m ä n n l i c h e ) Traditionen und A u t o r i t ä - archie stehen in einem engen wechselseiti- ten vorgegebenen Gemeinschaften verstanden gen K o n s t i t u t i o n s z u s a m m e n h a n g . Erst eine werden. U m die Idee von Freiheit in G e m e i n - Arbeitszeitpolitik, die auf die A b l ö s u n g der schaften z u sichern, ist dieser Rekurs auf F r e i - Vorherrschaft der Arbeit f ü r das ganze L e b e n w i l l i g k e i t wesentlich. E r ist wesentlich des- zielt und sich an der gleichberechtigten V i e l - 85 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 falt unterschiedlicher B e d ü r f n i s s e und Inter- 3 essen orientiert, die das D i k t a t des Zeitre- Selbstorganisierte ambulante Dienste gimes der Erwerbsarbeit zugunsten einer neuen Synchronisation der verschiedenen R h y t h - Selbstorganisierte ambulante Dienste sind als men des Lebens aufbrechen w i l l , schafft die eine Variante institutioneller M a n i f e s t a t i o n der wesentlichen Voraussetzungen f ü r die Ü b e r - Zivilgesellschaft windung der Geschlechterhierarchie und da- d a ß sie sich nicht eindeutig einem der B e r e i - mit die Voraussetzungen f ü r die Realisierung che von Markt, Staat und privaten Haushal- f r e i w i l l i g e r und e g a l i t ä t e r G e m e i n s c h a f t e n . ten zuordnen lassen. A u s dieser Z w i s c h e n l a - Erst hier gewinnen alle mehr Freiraum f ü r die ge f o l g t der vermittelnde Charakter Entfaltung bisher v e r n a c h l ä s s i g t e r und unter- F o r m personenbezogener Dienstleistung, d.h. d r ü c k t e r C h a n c e n allseitiger E n t w i c k l u n g der hier m ü s s e n erhebliche Spannungen z w i s c h e n eigenen P e r s ö n l i c h k e i t ( K u r z - S c h e r f 1994). dadurch gekennzeichnet, dieser sektorspezifischen L o g i k e n ausbalanciert werden. D i e spezifische Q u a l i t ä t dieser Balance- O h n e die H o f f n u n g auf z i v i l e Ö f f e n t l i c h k e i t arbeit kann aber nicht allein dadurch und Solidarität ü b e r d e h n e n z u wollen, kann stimmt werden, d a ß hier S t ä r k e n und S c h w ä - be- doch f ü r die interessierende Frage der Selbst- chen isoliert betrachteter Sektoren i n A d d i t i - b e s t i m m u n g behinderter M e n s c h e n zusam- ons- und Subtraktionsverfahren neu k o m b i - menfassend behauptet werden, d a ß die A k t i - niert werden. M i t dem B e g r i f f 'synergetische vierung und F ö r d e r u n g des zivilgesellschaft- M i x e ' (Evers 1992: 54) ist angesprochen, d a ß lichen Bereiches seitens staatlicher S o z i a l p o - spezifische S t ä r k e n sich erst ausmachen und litik i m oben a n g e f ü h r t e n Sinne hier wesent- optimieren und spezifische S c h w ä c h e n sich liche Voraussetzungen sichert und Perspekti- erst minimieren lassen, wenn man sie als B e i - ven e r s c h l i e ß t . M i t den M ö g l i c h k e i t e n zu po- träge in einem gemischten Arrangement er- litischer P a r t i z i p a t i o n und wertschätzender mittelt. Erst solche Institutionen, die eine i n - in g e m e i n s c h a f t l i - teraktive V e r k n ü p f u n g unterschiedlicher Ver- chen Z u s a m m e n h ä n g e n der Z i v i l g e s e l l s c h a f t fahrensweisen in der Organisation ihrer A r - sind soziale Voraussetzungen gegeben, die als beit erreichen, garantieren als Synergieeffekt ausschlaggebend eine Anerkennungserfahrung dafür angesehen werden dynamisch-innovative demokratische k ö n n e n , ob es behinderten M e n s c h e n gelingt, Alltags- und H i l f e k u l t u r jenseits nur punktu- von der ihnen zunehmend rechtlich g e w ä h r - eller A d - h o c - S o l i d a r i t ä t e n und ten Freiheit zur Selbstbestimmung auch tat- Institutionen. D i e Etablierung einer Instituti- sächlich Gebrauch zu machen. M i t h i n stellt onskultur, die auftretende A m b i v a l e n z e n we- der z i v i l g e s e l l s c h a f t l i c h e B e r e i c h jene insti- der verleugnet noch einseitig a u f z u l ö s e n ver- tutionellen Arrangements bereit, die sich vor sucht, sondern quasi in der Schwebe hält, er- allem f ü r die spezifischen B e i t r ä g e behinder- m ö g l i c h t institutionelles L e r n e n und e r ö f f n e t ter M e n s c h e n sensibel zeigen, diese s o w o h l insofern die Chance, die eigene Verantwor- stützen als auch einfordern und somit aner- tung f ü r die Inklusion des/der Ausgegrenz- kennen. D i e s e spezifische Q u a l i t ä t soll i m f o l - ten wahrzunehmen. genden f ü r die selbstorganisierten Dienste ambulante als z i v i l g e s e l l s c h a f t l i c h - k o l l e k t i v e A k t e u r e i m B e r e i c h der Behindertenhilfe anhand der A r b e i t des fib e.V. konkretisiert werden. verkrusteter In A n l e h n u n g an eine Darstellung von Evers et al. (1993: 47) soll der synergetische M i x f ü r den f i b e.V. veranschaulicht werden. S e i ne i n t e r m e d i ä r e A r b e i t s - und A n g e b o t s f o r m 86 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 zielt darauf ab, den einzelnen behinderten behinderten M e n s c h e n und W o h n u n g s i n - M e n s c h e n aus dem Korsett an Restriktionen habern und Vorschriften z u befreien, das h e r k ö m m - a b z u s c h l i e ß e n . D e r H i l f e v e r t r a g k a n n so lich durch staatlich g e w ä h l t e und bzw. Wohnungsbaugesellschaften verordnete jederzeit g e k ü n d i g t werden, ohne d a ß die H e l f e r g e s c h n ü r t wurde: der/die einzelne soll A u f g a b e der bestehenden W o h n s i t u a t i o n bei notwendig damit verbunden w ä r e . der Zusammenstellung des eigenen Hil- fearrangements den g r ö ß t m ö g l i c h e n Entscheidungsspielraum realisieren, indem gewisserm a ß e n eine unternehmerische Rolle • D e r Hilfevertrag darf auch nicht an andere gegen- Bedingungen g e k n ü p f t sein, wie z . B . der wird. Besitz eines Arbeitsplatzes i n einer W e r k - Dies s c h l ä g t sich in folgenden G r u n d s ä t z e n statt f ü r Behinderte. D a m i t w ä r e die F r e i - ü b e r den H e l f e r i n n e n eingenommen der f i b - A r b e i t nieder. w i l l i g k e i t als Grundlage des Vertrags i n Frage gestellt. G r u n d s ä t z l i c h ist darauf zu • Zuallererst gilt als Grundlage der H i l f e l e i - achten, d a ß nicht alle Lebensbereiche ( A r - stung die Z u s t i m m u n g der Betroffenen und beit, Freizeit, Wohnen) unter dem D a c h e i - der A b s c h l u ß eines Hilfevertrages. A r t , Zeit, ner Institution organisiert werden, so d a ß Ort und U m f a n g der H i l f e n werden als Ver- Wechsel, Wahl und neue Erfahrungen nicht tragsinhalt v o n den K u n d i n n e n selbst fest- oder nur sehr e i n g e s c h r ä n k t m ö g l i c h sind. gelegt. D i e H i l f e l e i s t u n g soll also flexibel nach den i n d i v i d u e l l e n B e d ü r f n i s s e n der • Das Laienhelferlnnen-Prinzip bedeutet, d a ß Betroffenen erbracht werden, deren W ü n - selbstorganisierte sche und Interessen sind m a ß g e b e n d , nicht die H i l f e vor Ort generell den Einsatz v o n die Vorgaben der Institution. Laienhelferlnnen bevorzugen. Dieses P r i n - ambulante Dienste f ü r zip b e g r ü n d e t sich aus dem S e l b s t v e r s t ä n d • D i e H i l f e ist als H i l f e l e i s t u n g gegen B e - nis behinderter zahlung z u konzipieren. Unentgeltliche H i l - die Expertinnen ihrer Situation sind und fe ist oft mit Situationen verbunden, in de- am besten wissen, welcher U n t e r s t ü t z u n g nen v o n den B e t r o f f e n e n erwartet w i r d , sie b e d ü r f e n . D i e G e f a h r der B e v o r m u n - dankbar f ü r erhaltene U n t e r s t ü t z u n g s l e i - dung durch professionelle H e l f e r i n n e n soll stungen sein z u m ü s s e n , so d a ß die A r t i - dadurch unterbunden k u l a t i o n eigener B e d ü r f n i s s e nicht 5). D i e a u s s c h l i e ß l i c h e B e s c h ä f t i g u n g v o n mehr erfolgen kann. Desweiteren wird werden ( V I F 1985: ungelernten, sozial und f i n a n z i e l l schlecht abgesicherten • M e n s c h e n , d a ß sie selbst darauf geachtet, K r ä f t e n w i r d v o m f i b e.V. jedoch auch als qualitative E i n s c h r ä n k u n g daß Wohnen und H i l f e l e i s t u n g nicht aneinan- angesehen, die es i n Z u k u n f t durch die der gekoppelt werden. D i e U n v e r l e t z l i c h - Festanstellung keit der Wohnung als Grundrecht (Art. 13 ü b e r w i n d e n gilt (fib 1991: 162). Insbeson- des Grundgesetzes) ist zu sichern. Z u m H i l - dere gilt dies f ü r Bereiche, die speziell A n - feangebot g e h ö r t zwar die U n t e r s t ü t z u n g gebote f ü r M e n s c h e n mit geistigen B e e i n - bei t r ä c h t i g u n g e n entwickelt haben und w e i - der Wohnungssuche, d.h. aber nicht, hauptamtlicher K r ä f t e zu tere e r s c h l i e ß e n w o l l e n . d a ß der fib e.V. ü b e r Wohnungen in eigener T r ä g e r s c h a f t v e r f ü g t , die er dann an behinderte Menschen weitervermietet. M i e t v e r t r ä g e sind immer direkt zwischen • Als letzter und vielleicht wichtigster Grundsatz soll hier noch a n g e f ü h r t wer- 87 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 den: Integration ist unteilbar! A m b u l a n t e dessozialhilfegesetzes H i l f e m u ß u n a b h ä n g i g v o m Schweregrad Menschen mit geistigen B e e i n t r ä c h t i g u n g e n (§§ 39ff B S H G ) f ü r der B e e i n t r ä c h t i g u n g f ü r alle Menschen er- anerkennt und finanziert. Z u d e m konnte der reichbar sein. A u c h traditionelle ambulan- Landeswohlfahrtsverband Hessen dazu be- te Dienste ( z . B . Sozialstationen) bieten f ü r wegt werden, f ü r 'Betreutes Wohnens' einen M e n s c h e n mit dauerhaft intensiver H i l f e - abweichenden P e r s o n a l s c h l ü s s e l v o n 1:6 (4,3 b e d ü r f t i g k e i t keine w i r k l i c h e Alternative Std./Woche) H i l f e zu bewilligen und z u zah- zu verwahrenden Versorgungsformen der len. Insgesamt sind also knapp 16 Std.AVo- Behindertenhilfe. D i e s e L ü c k e versuchen che selbstorganisierte Dienste zu m ö g l i c h . Z u d e m k ö n n e n als weitere F i n a n - s c h l i e ß e n , i n d e m sie H i l f e n rund um die- zierungsgrundlagen noch Leistungen der H i l f e U h r sowie an Wochenenden und Feierta- zur Pflege ( § § 68, 69 B S H G ) und teilweise gen zur V e r f ü g u n g stellen. E i n s c h r ä n k e n d auch der Pflegekassen herangezogen werden, ist kritisch anzumerken, d a ß trotzdem vie- so d a ß i m E i n z e l f a l l auch die finanzielle A b - le behinderte M e n s c h e n das Angebot a m - sicherung zeitintensiver H i l f e n m ö g l i c h ist. bulanter H i l f e ü b e r h a u p t nicht erreicht. V o n Ohne die ganzen U n z u l ä n g l i c h k e i t e n und U n - W a h l f r e i h e i t kann also keine Rede sein, sicherheiten a u f z u z ä h l e n , die mit dieser recht- z u m a l sie schon i m V o r f e l d derart in eine lichen und f i n a n z i e l l e n Regelung verbunden Rehabilitationskette eingebunden sind, d a ß sind, kann die Situation w i e i m fib-Jahresbe- sich die eigene Entscheidung zu e r ü b r i g e n richt 1996 so z u s a m m e n g e f a ß t werden: „ A l l scheint. A b h i l f e k ö n n t e n hier vielleicht trä- das sind nur K r ü c k e n , u m eine g e r ü b e r g r e i f e n d e und - u n a b h ä n g i g e Infor- Form mations- und Beratungsstellen schaffen. schen in ein normales W o h n - und L e b e n s u m - ambulante sozialpädagogisch begründete Hilfen unteilbare der E i n g l i e d e r u n g behinderter Men- feld zu realisieren" (Urban 1996: 61; D e g e n Diese Grundsätze verdeutlichen einerseits eine m ö g l i c h e V e r t r ä g l i c h k e i t von A r b e i t s und A n g e b o t s f o r m mit m a r k t i n d i v i d u a l i s t i scher Philosophie von Freiheit und D e m o k r a tie. Andererseits ist aber auch offensichtlich, d a ß die K o n z e p t i o n des fib e.V. nicht v o l l s t ä n d i g in dieser P h i l o s o p h i e aufgeht: E s bedarf n ä m l i c h erheblicher kollektiver Garantien finanzieller und rechtlicher A r t , um solche individuellen F r e i r ä u m e auch jenen Personen zu e r ö f f n e n , denen sie ü b l i c h e r w e i s e mangels finanzieller M i t t e l verschlossen w ä r e n . er 1990). War f ü r die H i n w e n d u n g der S o z i alhilfeträger zu ambulanten F o r m e n der H i l fe neben h u m a n i t ä r e n G r ü n d e n vor allem das erhebliche Einsparungspotential s t a t i o n ä r e n Versorgungsformen gegenüber ausschlagge- bend, so ist das K o n f l i k t f e l d klar umrissen: M i t der N o v e l l i e r u n g des B S H G 1996 hat der Gesetzgeber v e r a n l a ß t , i m § 3a der ambulanten H i l f e den Vorrang g e g e n ü b e r der station ä r e n Versorgung e i n z u r ä u m e n , w o b e i nach § 3 den W ü n s c h e n der H i l f e e m p f ä n g e r nur dann entsprochen werden soll, wenn dies k e i ne ' u n v e r h ä l t n i s m ä ß i g e n M e h r k o s t e n ' verursacht. D i e Auseinandersetzung ü b e r die In- A l s v o r l ä u f i g e s und bisher bundesweit einzigartiges E r g e b n i s konnte der fib e.V. i m m e h r j ä h r i g e n Rechtsstreit mit dem örtlichen terpretation des B e g r i f f s ' U n v e r h ä l t n i s m ä ß i g keit' w i r d in j e d e m E i n z e l f a l l i m m e r wieder neu g e f ü h r t werden m ü s s e n . und ü b e r ö r t l i c h e n S o z i a l h i l f e t r ä g e r durchsetzen, d a ß die Stadt M a r b u r g bis m a x i m a l 11 Std.AVoche H i l f e b e d a r f auf der Grundlage der Entscheidend wurden f ü r die Q u a l i t ä t institu- sog. E i n g l i e d e r u n g s h i l f e i m R a h m e n des B u n - tioneller Arrangements i m Zivilgesellschaft- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 liehen B e r e i c h vor allem die M ö g l i c h k e i t zu den kann: W o k ö n n e n und m ü s s e n G r e n z e n politischer Partizipation und Gemeinschafts- ü b e r s c h r i t t e n werden, und w o erweisen sie bildung herausgestellt. Insofern m u ß f ü r die sich als sinnvoll und h i l f r e i c h ? O h n e die Arbeit des fib e.V. noch ein Drittes a n g e f ü h r t Grundlegung der A r b e i t des fib e.V. auf die- werden: R a d i k a l i s i e r e n d e Forderungen ser Basis von D i a l o g und Kooperation z w i - und Neuerungen w ä r e n gar nicht aufgestellt und schen umgesetzt worden, wenn der fib e.V. nicht von schen und professionellen H e l f e r i n n e n , w ä r e v o n B e h i n d e r u n g betroffenen Men- A n f a n g an eine Doppelstrategie verfolgt hät- es weder dazu gekommen, dieses M o d e l l mit- te. So werden nicht nur mehr i n d i v i d u e l l e samt seiner D i f f e r e n z z u m rein versorgungs- W a h l - und F r e i h e i t s s p i e l r ä u m e i m oben an- staatlichen g e f ü h r t e n Sinne angestrebt. G l e i c h z e i t i g sol- Ansatz durchzusetzen, noch w ä r e es m ö g l i c h len auch die M ö g l i c h k e i t e n gemeinsamer B e - geworden, jene teiligung f ü r all jene g e ö f f n e t und g e s t ä r k t ments herzustellen, die bislang oft in vieler- und rein marktwirtschaftlichen vertrauensvollen Arrange- werden, die ü b e r ihren durch die P r i m ä r - und lei Hinsicht hilflosen Menschen M u t machen, Arbeitsbeziehungen begrenzten Radius sozia- zu lernen, wie man selbst etwas unternimmt ler B e z i e h u n g e n zur Thematisierung p o l i t i - und wieder die K r a f t der eigenen Entschei- scher A n l i e g e n hinaus w o l l e n . Ohne diesen dung erlangt. Diese F o r m e n des R ü c k h a l t s bei B e z u g zur gemeinsamen politischen A k t i o n einer Gemeinschaft und einem K o l l e k t i v b i l - ist die A r b e i t des f i b e.V. undenkbar. Initiato- den bis heute das K o m p l e m e n t des Z u g e w i n n s rinnen des vor 15 Jahren g e g r ü n d e t e n fib e.V. an individuellen Freiheiten und sind die ent- waren z u m einen die in provokativer A b s i c h t scheidende Voraussetzung f ü r die spezifische sich selbst so bezeichnende Krüppelbewe- Qualität der Arbeits- und A n g e b o t s f o r m des gung und z u m anderen die von antiautoritä- fib e.V. Wesentlicher B e z u g s p u n k t ist hier ren Ideen g e p r ä g t e n S o n d e r p ä d a g o g i k s t u d e n - nach wie vor die E r f a h r u n g v o n behinderten tinnen, die gemeinsam ein gesellschaftskriti- Menschen, wenn nicht schon von der V e r f ü - sches G e g e n m o d e l l entwickeln wollten: f ü r gung Uber m i n i m a l e gesellschaftliche Stan- selbstbestimmte dards materieller Teilhabe ausgeschlossen, so W o h n - und L e b e n s f o r m e n , A r b e i t in nicht-hierarchischen Projektstruk- doch i m H i n b l i c k auf gesellschaftliche E i n - turen, ein H ö c h s t m a ß an Mitsprache und M i t - f l u ß - und T e i l n a h m e m ö g l i c h k e i t e n gestaltung f ü r alle Beteiligten sowie ein de- zu sein. machtlos mokratisches V e r s t ä n d n i s helfender B e z i e h u n gen zu f ö r d e r n , in dem behinderte Menschen nicht nur als Konsumenten von Dienstleistungen, sondern auch als Ko-Produzenten personenbezogener A r b e i t s - und A n g e b o t s f o r - men i m B e r e i c h der Behindertenarbeit und Eric Hammann, D i p l . P ä d . , ist Mitarbeiter des fib e.V. i m Arbeitsbereich A m b u l a n t e H i l f e n z u m s e l b s t ä n d i g e n L e b e n f ü r geistig behinderte M e n s c h e n ' . als Gestalter von f a m i l i e n u n a b h ä n g i g e n oder ergänzenden S o l i d a r f o r m e n auftreten. wichtigste A u f g a b e n f e l d der fib-Arbeit Das be- steht also in der Herstellung ö f f e n t l i c h e r R ä u me, w o i m kollektiven Austausch zwischen behinderten und nicht-behinderten Menschen ausgelotet werden kann, w i e eine K u l t u r der G l e i c h h e i t i m Verschiedenen realisiert wer- Kontakt: fib e.V., Verein zur F ö r d e r u n g der Integration Behinderter, Biegenstr. 34, 35037 Marburg. FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 89 Honneth, Axel 1994: Individualisierung und Gemeinschaft. In: Zahlmann 1994, 16-23. Benjamin, Jessica 1990: Die Fesseln der Liebe: Jantzen, Wolfgang 1987: Allgemeine BehindertenPsychoanalyse, Feminismus und das Problem der pädagogik. Band 1: Sozialwissenschaftliche und psychologische Grundlagen. Beltz: Weinheim/BaMacht. Stroemfeld/Roter Stern: Frankfurt/M. Degener. Theresia 1991: Die sozialrechtliche S i - sel. tuation geistig behinderter Menschen in bezug auf Jantzen, Wolfgang 1991: Bemerkungen zur Sozioselbstbestimmtes Leben. In: Ende der Verwah- logie behindernder Instutionen. In: f i b 1991, rung?! Perspektiven geistig behinderter Menschen 235-246. zum selbständigen Leben. Hrsg.vom Verein zur Kurz-Scherf, Ingrid 1994: Es gibt nur zwei FreiF ö r d e r u n g Behinderter. A G S P A K : M ü n c h e n , heiten - Plädoyer für eine konsequente Politik der Arbeitszeitverkürzung. In: Oskar Negt (Hg.): Die 168-175. Dubiel, Helmut 1994: Ungewißheit und Politik. zweite Gesellschaftsreform. Steidl: Göttingen, 5564. Suhrkamp: Frankfurt/M. Evers, Adalbert 1989: Arbeit und Engagement im Rödler, Peter 1993: Menschen, lebenslang auf die intermediären Bereich. Z u m Verhältnis von Be- Hilfe anderer angewiesen. 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Sonderfall Palästina Palästina stellt für die Transformations- und Demokratisierungsforschung einen Sonderfall „Whatever political entity final- dar: Neben der internen ly emerges on the West Bank (Re-)Organisation politischer, and Gaza, there is a sound basis sozialer, zivilgesellschaftlicher for attributing to the Palestinans und ökonomischer Strukturen in a high potential for developing a der Folge liberalisierter Besatparticipant political System", for- zungsbedingungen stehen hier mulierte Richard August Norton auch der Aspekt der national(1995: 13f) in der Einleitung ei- staatlichen Souveränität und daner Studie über zivilgesellschaft- mit Entscheidungen über die liche Strukturen i m Nahen Osten. Staatsbürgerschaft und das Eine territorial endgültig defi- Staatsterritorium (im folgenden: nierte politische Entität oder gar stateness) zur Disposition. Der ein palästinensischer Staat exi- Fall Palästina offenbart damit ein stieren auch 1997 noch immer weiteres Dilemma am Transfornicht, und die zögerlichen Ver- mationshorizont, das eines handlungen um das Hebron-Ab- Transformationsprozesses, in kommen haben unlängst illu- dem die Nationalstaatsbildung striert, wie sehr der israelisch- synchron zur Systemtransformapalästinensische Friedensprozeß tion verläuft. Beide Entwicklunins Stocken geraten ist. Der Aus- gen vollziehen sich dabei in eigang dieses Prozesses und da- nem Kontext nicht-demokratimit der Endstatus des inzwischen scher Traditionen und neopatriimmerhin teilautonomen palästi- archaler sozialer und politischer nensischen Gemeinwesens sind Macht- und Herrschaftsstruktuderzeit vollkommen offen, wäh- ren. Das Hauptaugenmerk der rend internationale Medien und vorliegenden Skizze konzentriert Menschenrechtsorganisationen sich allerdings weitgehend auf autoritäre Tendenzen der Herr- die Beurteilung der demokratieschaftsausübung und fortgesetz- theoretischen Relevanz der (erte Menschenrechtsverletzungen staunlich) zahlreichen palästides palästinensischen Autono- nensischen zivilgesellschaftlimieregimes dokumentieren. Quo chen Organisationen innerhalb vadis Palästina und wie valide dieser beiden Prozesse - so in ist die eingangs formulierte The- einem nicht-staatlichen und neose Nortons, der implizit unzwei- patriarchalen Kontext überhaupt die Rede von einer Zivilgesellschaft sein kann. Gibt es eine palästinensische Zivilgesellschaft? Die zunächst problematisch erscheinende Anwendung der 'klassischen' zivilgesellschaftlichen Konzepte und deren Perzeptionen innerhalb des sozialwissenschaftlichen civil societyDiskurses auf den palästinensischen Fall kann dabei über die P r ü f u n g der folgenden Ausgangsfragen aufgelöst werden: (1) Inwieweit sind universalistisch-normative Konzeptionen der Zivilgesellschaft explizit und ausschließlich auf demokratische Gesellschaften bzw. solche in einem demokratischen Transformationsprozeß zugeschnitten? (2) Gibt es eine Zivilgesellschaft ohne den Referenzpunkt (Nation a l s t a a t ? (3) Ist die Zielsetzung 'nationalstaatliche Souveränität' legitimes Anliegen einer Z i v i l gesellschaft? (1) Es kann als unstrittig gelten, daß die Herausbildung zivilgesellschaftlicher Strukturen und Handlungsspielräume i m Rahmen einer rechtsstaatlich verfaßten demokratischen Ordnung auf ungleich günstigere Ausgangsbedingungen trifft als in autoritären politischen Systemen. Dies bedeutet jedoch nicht zwingend, daß die Entstehung einer Z i v i l gesellschaft in letzterem Falle unmöglich ist. Im Gegenteil können zivilgesellschaftliche Organisationsformen in solchen Systemen einen substantiellen B e i trag zur Aufweichung autoritärer Herrschaftsformen sowie zur FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 Erosion deren gesellschaftlicher Durchdringungspotentiale leisten und damit den Boden f ü r eine postautoritäre, demokratische Entwicklung bereiten (Lauth/ M e r k e l 1997). Freilich ist die Respektierung universeller K r i terien wie der Verzicht auf physische Gewalt, nicht-intendiertes Streben nach politischer Herrschaft und Ämtern, Freiwilligkeit, wechselseitige Toleranz, Akzeptanz und Pluralität (Diamond 1994) als conditio sine qua non f ü r eine Zivilgesellschaft prinzipiell auch in nicht-demokratisch verfaßten Gesellschaften möglich. (2) D i e zivilgesellschaftlichen Organisationen agieren im Kontext einer fremdstaatlichen Besatzung. M i t dem israelischen Besatzungsregime ist damit auch im palästinensischen Fall der staatliche Referenzpunkt gegeben. Das Besatzungsregime läßt die Herausbildung zivilgesellschaftlicher Assoziationsformen dabei in dem M a ß e zu, wie diese den eigenen Herrschaftsstatus nicht zu gefährden drohen. Die die Existenz einer zivilgesellschaftlichen Sphäre garantierenden rechtsstaatlichen Strukturen (Habermas 1992) existieren hingegen nicht. Die Beendigung dieser Besatzungsbedingungen und die Herstellung einer eigenstaatlichen Autorität avancieren dementsprechend zum Primärziel der palästinensischen Z i v i l gesellschaft. 'Adressaten' ihrer Aktivitäten sind neben dem Besatzungsregime die Organisationen der nationalen Befreiungsbewegung und seit 1994 die pa- lästinensische waltung. Autonomiever- (3) Bleibt die Frage nach der L e gitimität ihrer Zielausrichtung: Das Erreichen nationalstaatlicher Souveränität kann dann ein legitimes Anliegen sein, wenn zivilgesellschaftliche Strukturen und Handlungen erstens von pluralistischen Partikularinteressen und zweitens von einem gemeinsamen normativen Basiskonsens im Sinne der genannten universellen Kriterien flankiert werden. Denn: um eine mögliche innerstaatliche zivilgesellschaftliche oder gar demokratische Entwicklung zu verfolgen, m u ß diese Staatlichkeit erst hergestellt werden. Insofern zielt das Streben zivilgesellschaftlicher Organisationen und Assoziationen nach nationalstaatlicher Souveränität auf 'öffentliche Angelegenheiten' innerhalb einer fremdbestimmten Handlungssphäre. Für die Beurteilung der demokratietheoretischen Relevanz der palästinensischen Zivilgesellschaft ist deshalb entscheidend, inwieweit sie den angeführten notwendigen Bedingungen gerecht wird, welche Funktionen sie erfüllt und durch welche Erscheinungsmerkmale sie charakterisiert ist. Organisationsvielfalt und'vertagte' Partikularinteressen Die Wurzeln des traditionellen palästinensischen Organisationswesens und die Gründung von Gewerkschaften, Frauen- und Studentenverbänden sowie Wohlfahrtsorganisationen in den 91 U r b a n e n Zentren datieren zum Teil vor Beginn der Okkupation. Die marginale sozioökonomische Staatstätigkeit und die repressive Realität des Besatzungregimes (Watzal 1994), aber auch dessen eingeschränkte gesellschaftliche Durchdringungskapazität weichen zusammen mit erneuten Modernisierungsimpulsen neopatriarchale soziale M u ster an den Rändern auf und bereiten so den Boden f ü r die Ausweitung bestehender Organisationen (Tamari 1991: 65) und die Herausbildung weiterer kollektiver zivilgesellschaftlicher A k teure. Die palästinensische Zivilgesellschaft zeichnet sich durch eine hohe Inklusivität und einen mit der Besatzungszeit, vor allem in den achtziger Jahren, wachsenden Vernetzungs-, Interaktionsund Organisationsgrad aus. Die Mobilisierungspotentiale der palästinensischen Zivilgesellschaft liegen in der allen Organisationen gemeinsamen politischen Zielsetzung begründet, die in der Sicherstellung der Grundversorgung, der Schaffung einer von Israel unabhängigen sozioökonomischen Infrastruktur und in der Beteiligung am nationalen Befreiungskampf ihren Ausdruck findet. Diese Aktivitäten stoßen auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dessen Basis wiederum das Identifikationsmerkmal der nationalen Z u gehörigkeit ist. Partikularinteressen hingegen - gewerkschaftliche, frauenpolitische, studentische etc. - werden dem kollekti- 92 ven Primärinteresse untergeordnet und auf den Zeitpunkt nationalstaatlicher Unabhängigkeit vertagt (Hiltermann 1991: 7f; Jawwad 1990: 66; Muslih 1995: 252). Z u einer die gesamte Gesellschaft horizontal integrierenden Entfaltung pluralistischer Interessen kommt es daher nicht, die politische Kultur bleibt vorwiegend parochial, wenngleich mit einer im Verlauf der Besatzung wachsenden partizipativen Komponente. 'Defekte' palästinensische Zivilgesellschaft D i e Organisationen der Zivilgesellschaft weisen eindeutige A f finitäten zur nationalen Befreiungsbewegung und Kongruenzen mit der Präferenzordnung der P L O bzw. ihren Faktionen auf; sie scheren in den Elitenkonsens hinsichtlich des Primats der Nationalstaatsbildung ein. Bezeichnenderweise sind vor allem die mitgliederstärksten Organisationen von derselben Faktionalisierung geprägt wie die P L O (Jad 1990: 131); ihre Dachverbände sind in die PLO-Organisationsstruktur hineinkooptiert. Andere Organisationen werden von PLO-nahen politischen Eliten penetriert und kulturelle Foren und Medien verstehen sich schließlich als Multiplikatoren der nationalen Identität (Ashrawi 1990: 77ff; Taraki 1990). W ä h r e n d die Autonomie der z i vilgesellschaftlichen Sphäre gegenüber dem Besatzungsregime gegeben ist, fehlt sie hingegen weitgehend gegenüber der quasi-staatlichen P L O . Die zivilgesellschaftliche Sphäre avanciert FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 vielmehr zum funktionalen Äquivalent für die fehlende political society in den besetzten Gebieten und zum gesellschaftlichen Resonanzboden f ü r die nationalistischen Mobilisierungen durch die P L O und ihre Faktionen (Taraki 1990: 62). Die von Arafats Fatah-Bewegung dominierte E x i l - P L O wird in Abwesenheit einer eigenstaatlichen Autorität zum informellen politischen Agenten f ü r die Regelsetzung der assoziativen Aktivitäten (Muslih 1995: 266) und greift aus dem E x i l mittels eines eigens eingerichteten ' M i nisteriums' sowie über ihre klandestinen Counterparts in Westbank und Gaza systematisch auf die zivilgesellschaftliche Infrastruktur zurück, um über diesen Transmissionsriemen auch die palästinensischen Massen zu kollektiven Aktionen gegen das Besatzungsregime zu mobilisieren: Bereits vor Beginn der Intifada kommt es wiederholt zu Streiks, Protestaktionen und Demonstrationen. Dabei entlarven die Verbände und Assoziationen die Dysfunktionalitäten des autoritären Besatzerregimes und Menschen- und Bürgerrechtsgruppen untergraben seine Legitimität ein empirischer Befund, der sich mit den Ergebnissen anderer Länderanalysen (Forschungsjournal N S B 10/1997, 1) deckt. Im palästinensischen Fall allerdings verstärkt sich über die Interaktion von P L O , zivilgesellschaftlichen Akteuren und 'Massen' vor allem die kollektive nationale Identität. Es entstehen die verhaltensstandardisierenden Normen und Codes eines cleavageübergreifenden/jat/wiafarjc capitals, aus dem sich ein hohes Mobilisierungspotential speist und das Herrschaftsanspruch und nationstate / i ' m - P r ä f e r e n z der E x i l - P L O auch innerhalb der besetzten Gebiete legitimiert. Social Capital als Nebenprodukt Das als Ausgangsbedingung f ü r einen erfolgreichen demokratischen Transformationsprozeß so fundamentale social capital (Putnam 1993: 163-185) häuft sich hingegen nur als Nebenprodukt an und bleibt auf die internen Akteure, politische wie zivilgesellschaftliche, beschränkt. Genau hier sind deshalb in Ansätzen die - auf längere Sicht - relevanten demokratischen Potentiale der palästinensischen Gesellschaft zu verorten: Im Gegensatz zu den delegativen Praktiken der Elitenreki'utierung auf Seiten der Exilorganisationen greifen einzelne interne Gruppierungen, um angesichts der repressiven Rahmenbedingungen (Verhaftungen, Deportationen) nicht zerschlagen zu werden, zu Dezentralisierungsmaßnahmen und wählen ihre F ü h r e r s c h a f t über demokratische bzw. semidemokratische Verfahren (AbuA m r 1996: 87). Zudem entwikkeln sie über ihre Aktivitäten eine Kultur des Widerstands gegen autoritäre Herrschaftsformen und eine Tradition gesellschaftlicher Selbstorganisation. Ihre organisatorische Binnenstruktur ist zwar insgesamt weniger hierarchisch und vertikal als diejenige der Exilgruppierungen, ihre FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2 , 1 9 9 7 Mitgliederstruktur aber spiegelt ebenso wie diejenige der externen Organisationen weiterhin den transformatorischen Grundcharakter des Neopatriarchalismus wider. Die Anbindung der zivilgesellschaftlichen Sphäre an das PLO-Staatssurrogat koinzidiert dabei wiederum mit der geringen funktionalen Ausdifferenzierung und steigert so die E r folgsaussichten der klassenübergreifenden nationalistischen M o bilisierung in der Intifada: Die zivilgesellschaftliche Sphäre wird zur sozialen Infrastruktur des permanenten Widerstands gegen das Besatzungsregime und die Intifada zum zentralen endogenen Delegitimierungs- und Destabilisierungsfaktor f ü r das Besatzungsregime. Stateness versus Demokratisierung Durch die Autonomieabkommen Oslo I und II explizit legitimiert und durch die demokratischen Wahlen von 1996 bestätigt, kommt es nach 1994 schließlich zur Institutionalisierung der PLO-Exil-Führung als neue palästinensische Regimeelite. Sie überträgt ihre Präferenz des nationstate first und ihre neopatriarchialen, undemokratischen Herrschaftsstrukturen auf das neue Gemeinwesen. Die von den PLO/Fatah-Eliten besetzte Palestinian Authority (PA) bestimmt nunmehr die rules of the game und orientiert politische Entscheidungsprozesse primär entlang des von ihnen selbst definierten nationalen Interesses: Der nationalistische Faktor und das Herrschaftsverständnis der neu- en Regimeeliten üben einen nachhaltigen Einfluß auf die Institutionalisierung des Autonomieregimes aus. Während weite Teile der Gesellschaft und der Zivilgesellschaft noch immer den Imperativen der nationalen Befreiungsbewegung verhaftet sind, entzündet sich an der autoritären Herrschaftspraxis der aus dem E x i l zurückgekehrten A u tonomieeliten die Kritik einzelner interner politischer Eliten und zivilgesellschaftlicher Organisationen. Die P A wiederum ist um die Aufrechterhaltung des für ihre interne Herrschaftslegitimation konstitutiven nationalen Konsenses bemüht und begegnet der Artikulation divergierender Interessen mit ambivalenten Strategien. Entweder über K o optationen und Verhandlungen oder aber über Korruption und Repressionen. Der Entfaltung pluralistischer Interessen stehen neue constraints entgegen. E i n konstitutioneller Rahmen, der die Artikulation und Aggregation unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Interessen rechtlich normieren, vor allem aber die Autonomie des gewählten Parlaments und der zivilgesellschaftlichen Handlungssphäre garantieren würde, existiert noch immer nicht. Die zweifellos vorhandenen demokratischen Kräfte innerhalb der palästinensischen Gesellschaft stehen deshalb vor der schwierigen Situation, sich i m Kontext neuer autoritärer und nicht-konstitutioneller Strukturen zu organisieren und das Erreichen nationalstaatlicher Souveränität mit den Prärogativen einer demokratischen Transformation in E i n klang zu bringen. Inwieweit dies in Anbetracht der Vielzahl der auf den palästinensischen Transformationsprozeß einwirkenden Einflußfaktoren gelingen kann, wird nur längerfristig zu beurteilen sein. Iris Bauer, Institut f ü r Politikwissenschaft, Universität Mainz. Literatur Abu-Amr, Ziad 1996: Pluralism and the Palestinians. In: Journal of Democracy V o l . 7/1996, 3, 83-93. Ashrawi, Hanan M. 1990: The Politics of Cultural Revival. In: Hudson, Michael (ed.): The Palestinians. New Directions. W a shington, 77-83. Diamond, Larry 1994: Toward Democratic Consolidation. In: Journal of Democracy 5/1994, 3, 4-17. Habermas, Jürgen 1992: Zur Rolle der Zivilgesellschaft und politischer Öffentlichkeit. In: Ders.: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt/M., 399467. Hiltermann, Joost 1991: Behind the Intifada. Labor and Women's Movements in the Occupied Territories. Princeton. Jad, Islah 1990: From Salons to Populär Committees. Palestinian Women 1919-1989. In: Nassar, Jamal R./Heacock, Roger (eds.): Intifada. Palestine at the Crossroads. New Y o r k et al., 125-142. FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1 9 9 7 Jawwad, Islah Abdul 1990: The Zuschüssen und dem Lastenausgleich) angebunden bliebe, schien die poll tax mit ihrer spezifischen Form dazu geeignet, in Zukunft die Schwächung von jenen politischen Kräften zu garantieren, die Einsparungen entLauth, Hans-Joachim/Merkel, gegenstanden. So sollte poll tax Wolfgang 1997: Zivilgesellschaft Die anti-poll tax campaign war garantieren, daß jeder Bürger f ü r und Transformation. In: For- eine der wichtigsten Protestbe- den vom ihm angerichteten schungsjournal N S B 10/1997, 1. wegungen gegen die neoliberale Schaden zur Verantwortung geMuslih, Muhammad 1995: PalePolitik der Regierung Thatcher. zogen werden konnte. L o k a l e stinian C i v i l Society. In: Norton, Nach einer ganzen Reihe von in- Widerstände gegen die sozialRichard August (ed.): C i v i l So- nenpolitischen Siegen dieser Re- staatliche Einsparungspolitik ciety in the Middle East. Leiden gierung - z.B. gegenüber der La- sollten dadurch gebrochen weret al., 243-268. bour Party bei den Wahlen 1983 den, so daß an der Schnittstelle Norton, Richard August 1995: und 1987, den Gewerkschaften zwischen Staat und Bürger ein Introduction, in: Ders. (Hrsg.): im miner 's strike 1984/85 - bot marktförmiges Regime verankert C i v i l Society in the Middle East. die 1989 in Schottland und 1990 würde (Mac Gregor 1988). D i e Leiden et al., 1-25. für den Rest Großbritanniens (mit poll tax sollte i m Sinne des ThatPutnam, Robert 1993: M a k i n g Ausnahme der Provinz Nordir- cherismus 'individualisierend' Democracies Work. Civic Tra- land) eingeführte poll tax den wirken. ditions in Modern Italy. Prince- Anlaß f ü r ein symbolträchtiges ton. Zurückweisen der Auswüchse der Doch das tat sie nicht. Vielmehr Tamari, Salim 1991: The Pale77!arc7ierire-Ideologie. entzündete die Entscheidung stinian Movement in Transition. eine massive Protestbewegung. Historical Reversais and the Poll fax als Politikum In Schottland, wo die Abgabe Uprising. In: Journal of Palestizuerst eingeführt wurde, verweiDie poll tax war eine abgabenne Studies 20/1991,2, 57-70. gerten schon i m ersten Jahr über förmige lokale Steuer, die jeder Taraki, Lisa 1990: The De600.000 Bürger die Entrichtung erwachsene Bürger an seinem velopement of Political Conscider poll tax. A m 31. M ä r z 1990, Wohnort f ü r lokale öffentliche ousness in the Occupied Terrieinen Tag vor der Einführung der Dienstleistungen wie Müllabfuhr tories 1967-1987. In: Nassar, JaAbgabe in England und Wales, etc. entrichten sollte. 1989 führmal R./Heacock, Roger (eds.): protestierten auf zwei nationate die Regierung Thatcher die Intifada. Palestine at the Crosslen Kundgebungen in Schottland offiziell als Community Charge roads. New York et a l , 53-71. (Glasgow) und in England (Lon(Kommunalabgabe) bezeichnete Watzal, Ludwig 1994: Frieden don) über 200.000 Menschen geSteuer ein, um lokale Steuerzahohne Gerechtigkeit? Israel und gen die Steuer. Für das Finanzler - insbesondere Hauseigentüdie Menschenrechte der Palästijahr 1990/91 folgten rund mer, eine wichtige und einflußnenser. Köln et al. 4,5 M i l l . Briten dem schottireiche Wählergruppe der Toryschen Beispiel und hielten ihre Partei - längerfristig von K o m lokalen Steuerzahlungen zurück. munalabgaben zu entlasten (Butler et al. 1994). D a jeder ErwachMobilisierung der Nichtsene zur geplanten Steuer beitragen würde und die Höhe der Mobilisierbaren? Abgabe eng an die Ausgaben ei- Die Proteste gegen die poll tax ner Gemeinde (nach Abzug von stellten die größte Mobilisierung Evolution of the Political Role of the Palestinian Women's M o vement in the Uprising. In: Hudson, Michael (ed.): The Palestinians. New Directions. Washington, 63-76. Thatcherismus und die Proteste gegen die poll tax 1 2 FORSCHU zivilen Ungehorsams in der Nachkriegsgeschichte Großbritanniens dar. Sie waren der M o bilisierungserfolg einer dezentralen Protestkampagne, die ohne organisatorische Unterstützung der Labour Party wie der nationalen Gewerkschaften zustande kam. W i e kam es zu dieser außergewöhnlichen Protestmobilisierung? Die poll tax verletzte mit ihrer archaischen Steuerform das Gerechtigkeitsempfinden breiter Teile der Bevölkerung und konnte mit der sonstigen Politik der Regierung in Beziehung gesetzt werden. Schon der Umstand, daß bestimmte soziale Gruppen wie Arbeitslose, Sozialhilfeempfängerlnnen. Rentnerinnen und Hausfrauen vielfach zum ersten Mal in ihrem Leben über eine direkte Lokalsteuer belastet werden sollten, reichte im Vorfeld der Protestkampagne aus, um die poll tax zu einer öffentlich kontrovers diskutierten Politikentscheidung zu machen (Deacon/ Golding 1994). Die poll tax spitzte den autoritären Politikstil der Zentralregierung i m Umgang mit den Kommunalverwaltungen in einer Weise zu, die lokalen Widerstand geradezu herausforderte. V o r allem in einer Region wie Schottland, wo ohnehin tiefsitzende Ressentiments gegenüber dem Zentralstaat und der Regierungspolitik Thatchers bestanden, mobilisierte die Entscheidung die lokale Öffentlichkeit (Lavalette/Mooney 1989). Hier bildete sich schon im Frühjahr 1988 eine dezentrale Pro- ' '. H . i 2,1997 testbewegung heraus, die mit ihrer Aufforderung zum Steuerboykott wesentlich größere U n terstützung fand als moderate Proteststrategien, wie sie i m besonderen von der Labour Party und den Gewerkschaften vertreten wurden. Die Führung der Labour Party und der Gewerkschaften hatten sich schon i m Herbst 1988 aus wahlstrategischen und mit dem New LabourImage zusammenhängenden Gründen entschieden gegen einen Steuerboykott ausgesprochen.' Damit wurde der Weg f ü r eine dezentral und stark basisdemokratisch-organisierte antipoll tax campaign frei. Bis 1990 formierten sich in Großbritannien über 1.200 sog. anti-poll tax Unions, die lokal von kleineren linken Gruppierungen wie der trotzkistischen Militant Tendency oder Studentenorganisationen, Stadtteilinitiativen, aber auch von lokalen Gewerkschaftsflügeln und Kirchenvertretern unterstützt wurden. Aufgrund ihrer lokalen Verwurzelung konnten häufig auch in Bewegungen marginalisierte Gruppen wie Sozialhilfeempfänger und (Haus-)Frauen im Rahmen ihrer lokalen Unions die Organisation selber politisch aktiv gestalten. Die nationalen Organisationen der Tendency oder der Socialist Workers Party besaßen jedoch weder die organisatorischen Mittel noch die Verankerung an der Basis der Bewegung, um die Kampagne zentral zu steuern oder zu koordinieren. Eine wesentliche Besonderheit der Bewegung lag in ihrer kommunalen Verwurzelung (Burns 1992). -1 Der überwältigende Mobilisierungserfolg für den Steuerboykott kann allerdings nur zum Teil mit der lokalen Verwurzelung der Bewegung erklärt werden. Die Kampagne profitierte mit ihrer disruptiven Mobilsierungsstrategie auch von der schwachen Sanktionsgewalt der lokalstaatlichen Institutionen. Nur deshalb konnten schließlich auch Hunderttausende von Bürgern in allen Regionen des Landes zum Steuerboykott bewegt werden. Waren die verschiedenen Protestbewegungen gegen den Thatcherismus vor allem deshalb gescheitert, weil sie kein Mittel gegen die durch eine gesellschaftspolitische Hegemonie stabilisierte law and order-Polhik der Regierung finden konnten, so stellte sich heraus, daß die Politik der Regierung Thatcher im Fall der poll tax auf lokaler Ebene angreifbar war. Die poll tax bot - nach 10 Jahren Thatcherismus - für 'normale' Bürger die politische Gelegenheit zum regelverletzenden Protest. Das Beispiel Schottland, wo die Bewegung besonders stark war, machte schon 1989 deutlich, daß ein massenhafter Steuerboykott gegenüber der juristischen und polizeilichen Sanktionsgewalt der Councils aufrechtzuerhalten war. Deren Maßnahmenkataloge gegen Steuerschuldner - wie (Lohn-)Pfändungen, Einfrieren von Bankverbindungen - versagten gegen eine politisch mobilisierte Protestbewegung. Hierfür war auch der Umstand bedeutsam, daß Großbritannien keine Einwohnermeldeämter kennt, was die strafrechtliche Verfol- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 . . ^ ^ / ^ * gung erschwerte bzw. insbesondere in den durch häufige Wohnwechsel bestimmter Bevölkerungssegmente gekennzeichneten Innenstädten praktisch unmöglich machte. Die sonst erfolgreiche Strategie der Regierung Thatcher, Protestbewegungen bzw. soziale Unruhen mit einer law and orrfer-Haltung zu konfrontieren und über Ausgrenzung effektiv zu bekämpfen, war angesichts der S c h w ä c h e der Sanktionsgewalt des lokalen Staats gegenüber der anti-poll tax campaign zum Scheitern verurteilt. Die non-payment-Zah\en entwikkelten sich 1990 zum unerbittlichen Barometer, welches anzeigte, daß die Zeit f ü r die konservative Regierung unter der Führung von Margret Thatcher abgelaufen war. Innenpolitisch kompromißunfähig, waren ihr die politischen Zügel aus der Hand geglitten. Folglich zeichneten sich schon im Sommer 1990 jene kurzfristigen politischen Wirkungen ab, die die anti-poll tax campaign zu einer erfolgreichen Protestbewegung machten. A m 21. November 1990 trat Thatcher als Premierministerin zurück. Ein halbes Jahr später nahm die neue konservative Regierung unter John Major die Entscheidung zurück. Feste kollektiven Handelns Die anti-poll tax Bewegung war themenspezifisch integriert, dezentral organisiert und sozialstrukturell wie politisch heterogen. A l s der Kampagne 1991 durch die Ankündigung der Z u rücknahme der poll tax im Jahr 1993 der politische Wind aus den Segeln genommen war, verlor sie in den meisten Orten ihren gemeinsamen Bezugspunkt. Nur in Schottland gelang es der Scottish Militant mit ihrem charismatischen Führer Sheridan in vier Stadtbezirken die Bezirkratswahlen gegenüber LabourKandidaten zu gewinnen und bei der Unterhauswahl 1992 im Bezirk Pollok mit 20% der Stimmen das beste Ergebnis eines unabhängigen Kandidaten seit 1945 zu erzielen (Butler et al. 1994: 298). kriegsgeschichte Großbritanniens hin. Die poll tax gab dabei auch sozial wie politisch marginalisierten Gruppen die Gelegenheit zum politischen Protest. Dies war in den achtziger und neunziger Jahren in Großbritannien sonst keiner anderen politischen Kraft gelungen. Volker Lorek, Berlin. Anmerkungen 1 Dieser Bericht faßt die Ergebnisse einer an der F U Berlin am F B Politische Wissenschaft eingereichten Diplomarbeit zusammen. Die Höhe der 'Kopf-Steuer' wurde von jeder Kommune eigenständig festgesetzt. Für bestimmte Gruppen - z.B. Studenten und S o z i a l h i l f e e m p f ä n g e r waren Rabatte vorgesehen, die die Abgabe auf 20% des jährlichen Betrags reduzierten. ' Wegen B e f ü r c h t u n g e n um Steuerausfälle in ihren Gemeinden gehörten auch Labour-Kommunalpolitiker zu den scharfen Kritikern der Kampagne. In Leeds waren z.B. 13 von 25 gewählten Kontaktpersonen der lokalen Stadtteil-Gruppen Frauen (Bagguley 1993). 2 In den meisten Teilen Großbritanniens setzte nach dem E i n lenken der Regierung Major allerdings ein völliger Auflösungsprozeß der Mobilisierungsstrukturen ein. Nur in Schottland konnte nach dem Wahlsieg der Konservativen 1992 mit einer Kampagne gegen die geplante Privatisierung von Scottish Water an Netzwerkstrukturen und an kollektive Erfahrungen aus den poll (ax-Auseinandersetzungen angeknüpft werden. Die anti-poll tax Bewegung kann vor allem hinsichtlich ihrer Organisationsform wie auch des regelverletzenden Charakters des kollektiven Handelns als eine einmalige Episode bezeichnet werden. Nur die in vielen Landkreisen und Gemeinden nach 1990 erheblich zurückgegangene Steuerdisziplin weist als statistische Spur noch heute auf eines der größten 'Feste kollektiven Handelns' in der Nach- 4 Literatur Bagguley, P. 1995: Protest, Poverty and Power: A Case Study of the Anti-Poll Tax Movement. Unpubl. M s . (später erschienen in: Sociological Review 3/95). Bums, D.1992: Poll Tax Rebellion. A K Press: Stirling. Butler, D./Adonis, A./Travers, T. 1994: Failure in British Govern- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 ment. The Politics of the Poll Tax. Blackwell: Oxford. Deacon, D./Golding, P. 1994: Taxation and Representation: The Media, Political Communication and the Poll Tax. Sage: London et al. Lavalette, M./Mooney, G. 1989: The struggle against the poll tax in Scotland. In: Critical Social Policy 26/1989. 79-91. Mac Gregor, S. 1988: The Poll Tax and the Enterprise Culture. The implicadons of recent local government legiislation for democracy and the welfare State. Center for Local Economic Strategies: London. der einst recht großen und kämpferischen Bewegung geworden ist. Warum sind die meisten Frauen der nachrückenden Generation nicht mehr in dem Maße für ihre Belange zu mobilisieren, es sei denn, es handelt sich um die Love-Parade oder den Christopher-Street-Day ( C S D ) . Sind es vielleicht nicht mehr die Belange der jungen Frauen, die verfolgt werden? Kann in den neueren Entwicklungen tatsächlich ein Ende, eine Stagnation oder eine Umstrukturierung gesehen werden, die eine Bewegung wie die der 70er Jahre überflüssig werden läßt? IM Anhand einer kurzen Geschichte der bundesrepublikanischen Lesbenbewegung, ihrer Zielen und Erfolgen sollen diese Fragen beantwortet werden. K i t Ii I Von der Subkultur zur Bewegung und zurück? Die Lesbenbewegung der ausgehenden 90er Jahre Eine Lesbe gilt heute nicht als 'Nestbeschmutzerin', wenn sie öffentlich das Ende der Lesbenbewegung konstatiert und die einstige Bewegung nur noch bei Tanzveranstaltungen oder Partys entdecken kann. Mit dieser Bemerkung wird ein mittlerweile weit verbreitetes und in feministisch-Iesbischen Diskursen viel diskutiertes Phänomen angesprochen. Seit einigen Jahren versuchen vor allem politisch aktive Feministinnen und feministische Lesben herauszufinden, was aus 1 2 Raus aus der Anonymität der Subkneipe Die allgemeine Aufbruchsstimmung zu Beginn der 70er Jahre war auch förderlich f ü r die kleine Gruppe von Lesben, die sich im Februar 1972 der 'Homosexuellen Aktion Westberlin' anschloß (Weiland 1994). Das Bedürfnis, aus der Subszene herauszutreten und neue Kommunikationsorte und -formen zu kreieren und damit der Isolation und Diskriminierung entgegenzuwirken, wurde in Aktionen umgeleitet. Aus dieser Gruppe entstand 1974 das 'Lesbische Aktionszentrum' ( L A Z ) , ein erster öffentlicher Zusammenschluß, von dem für die nächsten Jahre die entscheidenden 1 Impulse f ü r die Bewegung und ihre Öffentlichkeitsarbeit ausgingen. Gleichzeitig war das Zentrum aber auch Inspiration f ü r Frauen in anderen Städten, aktiv zu werden. In den darauffolgenden Jahren entstanden Frauenbuchläden, Kneipen und Cafes, und es kam zu ersten Buchveröffentlichungen mit lesbischen Themen sowie zu Gründungen von Frauen-/Lesben-Bildungsund Therapiestätten, Verlagen und Archiven. A m Beispiel der Pfingsttreffen läßt sich die Entwicklung der Szene nachverfolgen: 1973 fand das erste gemeinsame Pfingsttreffen von Schwulen und Lesben in Berlin statt, zu dem etwa 50 Lesben kamen. Dieses Treffen war aus der Tradition des Pfingstspaziergangs in den 20er Jahren wiedererwacht und avancierte in den nachfolgenden Jahren zu einem der größten öffentlichen Auftritte der Lesbenbewegung. 1986 trafen sich bereits 900 Lesben in M ü n c h e n zum Pfingsttreffen, um drei Tage lang über lesbische Theorie und Praxis zu diskutieren. Im M a i 1996 trafen sich etwa 5.000 Lesben zum - mittlerweile aufgrund des christlichen Hintergrunds umbenannten - 22. Lesbenfrühlingstreffen in München unter dem Motto '... und sie bewegt sich doch'. 4 Was wurde erreicht, was fehlt noch? Die Formierung der Lesbenbewegung in den 70er Jahren war geprägt durch die Schaffung von ' L e s b e n r ä u m e n ' innerhalb der 98 Gesellschaft (und außerhalb der Subszene), durch die Auseinandersetzungen mit feministischen Themen sowie durch Selbstfindungs-, Selbsterstarkungs- und Solidarisierungsprozesse. In den 80er Jahren begann die 'Projektphase': Es galt, feste Standorte zu schaffen, um sich besser zu organisieren und das bis dato Erreichte auszubauen. Die entwickelten Strukturen und das gesammelte Wissen wurden in Strategien umgesetzt, die es lesbischen Frauen ermöglichen sollten, sich in allen gesellschaftlichen Bereichen zu etablieren und der Homophobie und Diskriminierung entgegenzuwirken. Die immer deutlichere Präsenz lesbischer Frauen in den M e d i en - wenn auch nicht immer zum Vorteil der F r a u e n - , in Kultur und Politik, am Arbeitsplatz und in der Familie erschwert zwar mittlerweile die Ignoranz gegenüber lesbischen Frauen und der Subsumption unter männliche Homosexualität, schützt aber nach wie vor nicht vor Diskriminierung und Rechtlosigkeit. D i e so oft geforderte und notwendige institutionelle Macht steht noch aus. Allerdings gibt es einige positive Errungenschaften, die eine gewisse institutionelle und politische Sicherheit geben. Diese Liste der kleineren und größeren Erfolge ist lang, sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es an entscheidenden rechtlichen Absicherungen und Antidiskriminierungsmaßnah- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 men mangelt. Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften genießen nicht die gleichen Rechte wie heterosexuelle Partnerschaften. Dadurch, daß der Staat die gegengeschlechtlichen Zweiergemeinschaften wie Ehe und Familie nach wie vor protegiert, stehen Lesben z . B . beim Miet-, Erb- und Steuerrecht sowie beim Sorge- und Adoptionsrecht oder beim Besuchsrecht im Krankenhaus z.T. vor juristischem Niemandsland (Steinmeister 1995). Integration in den Mainstream Im Vorwort zum 22. Lesbenfrühlingstreffen heißt es: „Die Projektszene spiegelt die Situation der Lesbenbewegung wider. Es mangelt an Solidarität, obgleich viele danach schreien. Noch immer haben wir keinen Dachverband, der tragen kann. Woran scheitern wir bisher, zur Zeit? Was ist 'politisch korrekt' ? Ist es politisch korrekt, sich in und mit der Masse zu bewegen? [...] W i r können es uns nicht leisten, uns ins Private zurückzuziehen und uns auszuruhen auf den Errungenschaften der letzten 20 Jahre. W i r wollen nicht alles fallen lassen, was wir - oder die anderen - mühsam erkämpft haben." Nur die wenigsten werden das Vorwort gelesen haben, und wenn, dann ohne weiteres Interesse. Für die meisten Lesben dienen die alljährlichen Frühlingstreffen schon lange nicht mehr dazu, neue Strategien f ü r lesbische Politik zu entwickeln und sich mit feministischen Positionen auseinanderzusetzen. Zwei Tage lang haben die Teilnehmerinnen, die sicherlich einen repräsentativen Querschnitt durch die bundesweite Lesbenszene darstellen, die vielfältigen M ö g lichkeiten genutzt, sich in Workshops und Vorträgen weiterzubilden, zu diskutieren und zu streiten. Dennoch dominiert der Aspekt, sich zu vergnügen und das Bad in der 'Lesbenmenge' zu genießen und sich nach diesem Wochenende in das Private zurückzuziehen. Das Frühlingstreffen ist von einer politischkulturellen Veranstaltung zu einem Happening mit politischem Tauch mutiert. Bedeutet das aber auch ein Fallenlassen dessen, was andere m ü h s a m e r k ä m p f t haben? S i cherlich nicht, weil das, was heute stattfindet, auf dem Erkämpften aufbaut. Viele fragen sich dabei allerdings nicht, ob es politisch opportun ist, sich in und mit der Masse zu bewegen. Sie genießen die Möglichkeiten, sich in der Masse zu bewegen und verfolgen mit gespannter A u f merksamkeit 'die Romanze der Massenkultur mit den Lesben' (Budge/Hamer 1996). Dies geschieht dann auf Parties, beim C S D , im Kino, in der Kneipe und auch im Privaten. 5 A n diesem Punkt setzt die K r i tik der politisch-engagierten Frauen an, die häufig mit ihren Aufrufen zu Aktionen und Veranstaltungen nur noch wenig oder kein Gehör finden. Der W i derstand und M u t sowie die So- 99 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 lidarität und Kampfbereitschaft gegen lesbenfeindliche Strukturen sind Teilnahmslosigkeit und Bequemlichkeit gewichen. Diese Eigenschaften resultierten aus mangelndem politischen Bewußtsein f ü r die Situation von Frauen und speziell von lesbischen Frauen in der Gesellschaft. U m aber diese Strukturen zu erkennen, bedarf es neben den Diskriminierungserfahrungen auch einer Beschäftigung mit feministischen Gesellschaftsanalysen. Genau diese beiden Faktoren spielen bei vielen Lesben der neuen Generation kaum eine Rolle. Sie können und wollen sich nicht mit feministischen Positionen auseinandersetzen, weil sie keine Identifikation bieten. Die meisten jungen Frauen fühlen sich von den Problemen und Wertvorsteüungen ihrer Vorgängerinnen nicht mehr angesprochen. E i n Grund dafür dürfte sein, daß die meisten jungen Lesben heute mit ganz anderen Geschlechtervorstellungen und anders gelebten Geschlechterverhältnissen als die Frauen der 50er und 60er Jahre aufwachsen. Dementsprechend fehlt ihnen auch eine gewisse Sensibilität gegenüber den alltäglichen Diskriminierungen. Sie haben innovative Strategien entwickelt, sich mit dem anderen wie mit dem eigenen Geschlecht auseinanderzusetzen. Hinzu kommt, daß heute gewandelte Problemlagen und Wertvorstellungen das L e ben der jüngeren Generation beeinflussen: D a geht es um Schulabschlüsse, Ausbildungsplätze, Studium, Geld, Klamotten, Computer und Musik. Sicherlich hat auch A I D S seinen Teil dazu beigetragen, daß insgesamt mit Sexualität heute anders umgegangen wird. So profitieren die jungen Lesben von den Errungenschaften der letzten zwanzig Jahre, die die 'erste Generation' erkämpft hat. Aber die nachrückende Generation ruht sich nicht aus, sondern nutzt die geschaffene Infrastruktur diverser Einrichtungen (Zentren, Discos, Archive usw.), genießt das veränderte Bewußtsein in der Bevölkerung, die Präsenz Gleichgesinnter im öffentlichen Leben und trägt mit einem selbstbewußteren Auftreten zum Fortleben der erkämpften Strukturen bei. Das alles ist bei weitem nicht so politisch und kämpferisch wie in den 70ern, aber der Zeit entsprechend. Stephanie Hoffmann, Röttgenerstr. 28, 53127 Bonn. Anmerkungen 1 Im weiteren Verlauf wird auch zwischen Frauen(-bewegung) und Lesben(-bewegung) unterschieden, was immer noch zu Diskussionen in Frauen-/Lesbenkreisen führt, da nicht jede Feministin lesbisch und nicht jede Lesbe feministisch ist. Gerade diese Unterscheidung verstärkt auch heute noch den Konflikt zwischen den aktiven, offen-lebenden und den 'versteckten' Lesben sowie zwischen Heteras und Lesben in der Bewegung. 2 Der C S D entstand in den 70er Jahren als Folge einer geplanten Razzia in einem New Yorker Schwulen-Club in der Christo- pher Street. Dort wehrten sich die Besucher zum ersten M a l in der amerikanischen Schwulenund Lesben-Geschichte gegen eine solche M a ß n a h m e . Seitdem wird dieser Tag - mittlerweile weltweit - mit Paraden, Demonstrationen und Veranstaltungen gefeiert, um sich selbst und den Menschen zu zeigen, wie groß die Homosexuellen-Bewegung tatsächlich ist. 1 m Februar 1972 kam es zu der bis dahin größten Öffentlichkeitskampagne von Lesben in der Bundesrepublik: 10.000 Flugblätter mit der Überschrift 'Verbrechen an den lesbischen Frauen' wurden als Gegenaktion zu einer BILD-Serie 'Verbrechen der lesbischen Frauen' verteilt. Dabei ging es um den Prozeß gegen zwei Frauen, die des Mordes am Ehemann der einen angeklagt waren. Neben diesen unabhängigen Zusammentreffen gab es auch vielfältige Aktionen und Initiativen aus gewerkschaftlichen und politischen sowie kirchlichen und privaten Zusammenhängen. So haben z . B . die G R Ü N E N 1988 eine 'Bundesarbeitsgemeinschaft f ü r Lesben' gegründet und später ein 'Antidiskriminierungsgesetz' erarbeitet, was bis heute allerdings noch nicht verabschiedet werden konnte (Pagenstecher 1994; Weiland 1994). So gilt es als chic, lesbisch zu sein. Zudem haben Anspielungen und Eindeutigkeiten aus der lesbischen Szene Einzug in die Mainstream-Kultur gehalten (z.B. in Filmen, in der Pop-Musik und Werbung). 1 4 5 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 Literatur Budge, Belinda/Hamer, Diane 1996 (Hg.): V o n Madonna bis Martina. Die Romanze der Massenkultur mit den Lesben. Orlanda: Berlin. Pagenstecher, Lising 1994: 20 Jahre Lesbenbewegung in der alten Bundesrepublik. Rückblick und Ausblick. In: Frauenanstiftungen e.V. (Hg.): Was uns verbindet, was uns trennt. Lesbische Perspektiven in den Frauenbewegungen deutschsprachiger Länder. Dokumentation zur Wiener Konferenz i m Juli 1993, Hamburg, 34-37. Steinmeister, Ingrid 1995: Les- bische Lebensformen. Rechtslage, Tips, Forderungen. Lesbenring: Bonn. Weiland, Martina 1994: Und wir nehmen uns unser Recht! Kurzgefaßte Lesbenbewegungsgeschichte(n) der 70er, 80er, 90er Jahre in West-Berlin, nicht nur für Berlinerinnen! In: I H R S I N N 1994, 10, 8-16. SELBST [JAUMH lA.'NO S.O.S. Tierrechte Haßberge Eine neue Gruppe in einer neuen Bewegung 1 Warum Tierrechte? Gedanken zur Ethik Rechte f ü r Tiere? Etwas seltsam mag es klingen, ist der Begriff 'Recht' im moralischen Sinne bis jetzt dem Menschen vorbehalten. Zudem ist es noch nicht lange her, daß 'Rechte' nur bestimmten Menschen zugestanden wurden (z.B. der weißen Rasse oder dem männlichen Geschlecht). 'Rechte' sind also keine historische Selbstverständlichkeit, sondern der Kreis derer, die sie genießen, hat sich nur laufend erweitert. Aber Rechte für Tiere? Für Vögel? Für Ratten? Dies hört sich sehr ungewöhnlich an, und auch unter Philosophen wurden Tiere immer recht stiefmütterlich behandelt, wenn es um das moralische Prinzip geht. Ausnahmen sind hier u.a. Peter Singer (1982) und Helmut F. Kaplan (1993). Zentraler Ausgangspunkt der Tierrechtsethik ist das Gleichheitsprinzip. Das Gleichheitsprinzip baut auf der gleichen Berücksichtigung von Lebewesen auf, welche Interessen besitzen. Die Voraussetzung dafür, Interessen zu entwickeln, ist Leidensfähigkeit , ein Merkmal, welches ohne Zweifel Tiere mit Menschen gemeinsam haben. Die biologischen Merkmale 'Rasse' oder 'Geschlecht' oder Zugehörigkeit zu einer anderen Spezie spielen also im Gleichheitsprinzip an sich keine Rolle. In einem Interessenkonflikt müssen diese verglichen und abgewogen werden, d.h. wichtigen Interessen muß eine größere Berücksichtigung gegenüber geringeren Interessen zugesprochen werden. 1 2 Zur Verdeutlichung ein Beispiel: Fleischessen von Tieren aus Massentierhaltung in Deutschland. Für den Menschen bedeutet dies: Kurzer Gaumenkitzel und reine Genußlust, aber keine Notwen- digkeit und keine wirkliche Schwierigkeit, sich anders zu ernähren. Für das Tier bedeutet dies: Lebenslange physische und psychische Schmerzen sowie ein oft qualvoller Transport und grausamer Tod. Die Diskrepanz könnte nicht größer sein. Die größeren Interessen des Tieres werden geringfügigeren Interessen des Menschen geopfert. E i n offensichtlich krasser Verstoß gegen das Gleichheitsprinzip. Diese U n terdrückungsform wird in Anlehnung an den Begriff Rassismus 'Speziesismus' (Singer 1982: 26) genannt. Fleischessen aus Massentierhaltung wäre somit eine speziesistische Handlung. 2 Die Tierrechtsbewegung Die Anzahl der Menschen, die sich als Tierrechtlerinnen bezeichnen und dementsprechend leben, ist schwer zu schätzen. Sie liegt auf jeden Fall noch deutlich unter 1% der Gesamtbevölkerung in Deutschland. Dies bedeutet aber nicht, daß die Tierrechtsbewegung stagniert. Sie hat sich überhaupt erst in den letzten zehn Jahren in Deutschland formiert und dürfte jährliche Zuwachsraten im zweistelligen Prozentbereich verzeichnen. In einer groben Annäherung läßt sich die Tierrechtsbewegung in drei Strömungen aufteilen, wobei die Übergänge fließend sind. 2.1 Bürgerliche Tierrechtlerinnen Die größte (und relativ bekannte) Organisation ist 'Animal Pea- FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 3 ce' mit ca. 20.000 Mitgliedern. A n i m a l Peace ist von der Organisation und der Struktur mit Greenpeace vergleichbar. Im Vordergrund stehen spektakuläre Aktionen, die nicht immer legal, aber immer gewaltfrei sind, auf großes Medieninteresse und größtmögliche Aufmerksamkeit zielen. Animal Peace ist f ü r Jugendliche sehr attraktiv, und für viele ist dies der erste Schritt in politischen Z u s a m m e n h ä n g e n aktiv zu werden. Trotz anhaltender Kritik an A n i m a l Peace strenge Hierarchie, zuwenig sinnvolle Aktionen für Tiere, zuviel Geld f ü r Werbung - bleibt die Organisation eine wichtige Stütze der Tierrechtsbewegung. Eine weitere recht bekannte Organisation ist ' P e T A ' (People for ethical Treatment of A n i mals). Diese Gruppe hat ihren Hauptsitz in den U S A und ist dort eine große, einflußreiche Organisation. PeTAs Aufklärungsarbeit zielt hauptsächlich auf Erwachsene aus der Mittelschicht, so daß für die Werbung gerne Personen aus dem öffentlichen Leben zum gegenseitigen Imagegewinn eingeladen werden. 2.2 Autonomer Tierschutz Autonomer Tierschutz arbeitet mit dem Z i e l , Tiermord oder Tierquälerei direkt vor Ort zu verhindern. Dafür werden auch illegale Aktionen akzeptiert, und ein Großteil der Vertreterinnen des autonomen Tierschutzes befürwortet auch Gewalt gegen Sachen, um Gewalt gegen Tiere zu verhindern. Aktionsformen sind z.B. die Befreiung von Hühnern aus Legebatterien, Jagdsabotagen, B e schädigungen an Schlachtereien usw. D i e Pressearbeit hierfür übernimmt der 'Bundesverband der Tierbefreierlnnen' mit der Zeitschrift 'Tierbefreiung aktuell'. 6 4 Außer Animal Peace und P e T A gibt es noch viele kleinere bürgerliche Tierrechtsgruppen. E i nige davon sind unter dem Namensverbund 'Menschen für Tierrechte' zusammengeschlossen. Dies ist ein Sammelbecken für enttäuschte Aktive aus Tierschutzkreisen, denen der traditionelle Tierschutz nicht konsequent erscheint. 5 2.3 Politisch-linker Zusammenhang Speziesismus wird als eine weitere U n t e r d r ü c k u n g s f o r m zu Rassismus, Sexismus und Kapitalismus verstanden. Eine Plattform bot das vor kurzem eingestellte, vierteljährliche 'VeganInfo'. Das Einstellen der Zeitschrift ist ein Zeichen dafür, daß sich diese Teilbewegung in einer unsicheren Phase befindet: Viele Gruppen sind i m Umbau oder lösen sich auf. Die Gründe hierfür sind wohl sehr vielschichtig, ein paar seien hier kurz angesprochen: • Viele Aktivistinnen kommen aus antifaschistischen Zusammenhängen. Die Mehrheit der 'Antifa' akzeptiert jedoch Speziesismus nicht als weitere Unterdrückungsform. • Die Bewegung konnte sich in vielen strittigen Fragen nicht einigen (z.B. Gegenverhalten zu 'Hardline' ). 7 • Viele Leute wenden sich mehr dem Erdbefreiungsgedanken zu (z.B. 'Earth First!'"). Hier werden die Tierrechte nur als ein Teilaspekt begriffen. 3 S.O.S. Tierrechte Haßberge Die Gruppe gründete sich A n fang 1994. Damals waren wir ca. zehn Jugendliche, die sich allesamt vegetarisch oder vegan' ernährten und sich einfach effektiver f ü r die Rechte der Tiere einsetzen wollten. Unser Ziel ist die Verbreitung des Tierrechtsgedankens in der Öffentlichkeit. Aktionsformen hierfür sind Ausstellungen, Tierrechtetage (z.B. Ausstellung und Benefiz-Konzert in Jugendzentren), Demonstrationen in den umliegenden Städten, Infostände und der Verkauf von veganem Essen (z.B. auf Konzerten). W i r arbeiten mit allen Gruppen zusammen, denen die Befreiung der Tiere ein ernsthaftes Anliegen ist. Ausdrücklich grenzen wir uns gegen Gruppierungen ab, die die Tierrechtsdiskussion in ein 'rechtes Deckmäntelchen' zwängen oder den Tierschutz als A u f h ä n g e r f ü r die Verbreitung von rechtem Gedankengut mißbrauchen. J 4 Ausblick Die Utopie der vollständigen Tierbefreiung ist noch weit entfernt, ihr vollständiges Ziel noch nicht klar definiert. Diese Ziele FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 werden sich an den Menschenrechten orientieren (z.B. Recht auf Leben, Schutz der körperlichen Unversehrtheit, Schutz der individuellen Freiheit). Darin kommt dann auch der Unterschied zum traditionellen Tierschutz z u m Ausdruck. Versuchen Tierschützerinnen an das Mitleid der Menschen zu appellieren und das Tier vor 'unnötigen' Qualen zu schützen, gehen Tierrechtlerinnen einen Schritt weiter: Gnade soll zu Recht werden, das am Gleichheitsprinzip orientiert und gesetzlich verankert ist. Während es der Tierrechtsbewegung um die A b schaffung der gegenwärtigen Praktiken des Umgangs mit Tieren geht, verfolgt die Tierschutzbewegung lediglich eine Reform. Trotz einiger Fortschritte gestaltet sich die Befreiung der Tiere recht mühsam. Dies liegt vor allem: • an der recht schwierigen Ausgestaltung der Tierrechtsethik in der Realität; • an der fehlenden Fähigkeit der Tiere, sich selbst zu wehren (obwohl dies natürlich jedes Individuum mit allen Kräften versucht); • am christlich geprägten Bewußtsein, wonach der Mensch eine absolute Sonderstellung als höchstentwickeltes Säugetier einnimmt. Entgegenwirken werden diesen Schwierigkeiten die massiven, aus tierrechtlerischer Sicht zweitrangigen, (art-)egoistischen Gründe der Menschen f ü r die Tierbefreiung (Robbins 1995): • Ökologische G r ü n d e : Verschwendung von Lebensmitteln (durch den Umweg Pflanze, Tier, Mensch gehen 85% der pflanzlichen Kalorien verloren), vermehrter Ausstoß von Methan, Abholzung von R e g e n w ä l d e r n zum Anbau von Futtermitteln oder als Weideflächen für Rinder. • Sozialökonomische G r ü n d e : Jedes Jahr werden aus der 'Dritten Welt' Millionen Tonnen Getreide exportiert, um es an westliche Rinder zu verfüttern ('Das Vieh der Reichen frißt das Brot der Armen'). • Gesundheitliche Gründe: Fleisch ist das Nahrungsmittel mit den meisten Skandalen (z.B. B S E , Schweinepest, ' H o r m o n k ä l b e r ' ) . Zudem ist Fleisch ein von Grund auf die Gesundheit belastendes L e bensmittel, das f ü r verschiedene Krankheiten (mit-)verantwortlich gemacht werden kann. Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß die Befreiung der Tiere eine gewaltige Aufgabe ist. Gewaltig vor allem deshalb, weil die Ausbeutung immer perfekter und gnadenloser funktioniert, das Ausmaß des Leidens unermeßlich und die Anzahl der Opfer nicht mehr zählbar ist. ' A n i mal Liberation' ist somit eine der größten Aufgaben für den Schritt ins 21. Jahrhundert. Thorsten Ullrich, S.O.S. Tierrechte Haßberge, Stöckach 27, 97494 Bundorf. Anmerkungen 1 Peter Singer ist in Deutschland (und auch in unserer Gruppe) sehr umstritten. Grund hierfür sind befremdliche Äußerungen zur Euthanasie, die aber meiner Ansicht nach z.T. auch auf M i ß verständnissen beruhen. So schreibt Singer z . B . in seinem Buch 'Praktische Ethik' von 'a life not worth living', also ' L e ben, daß es nicht wert ist, gelebt zu werden'. Der Ausdruck ist in der deutschen Fassung mit 'lebensunwert' übersetzt, ein Wort aus der Naziterminologie, welches auf gesellschaftliche ' V o r teile' der Euthanasie abzielt. B e i 'a life not worth living' ist aber die Innenperspektive des Leidenden gemeint. Meine Meinungsbildung zu Singer ist noch nicht abgeschlossen, i m Moment halte ich ihn aber auf jeden Fall f ü r zitierbar (wobei ich nicht i m N a men der ganzen Gruppe sprechen kann). 2 Bereits Jeremy Bentham schrieb 1780: „Vielleicht wird eines Tages erkannt werden, daß die Anzahl der Beine, die Behaarung der Haut oder die E n dung des Kreuzbeins ebensowenig Gründe dafür sind, ein empfindendes Wesen diesem Schicksal zu überlassen. D i e Frage ist nicht: können sie verständig denken? oder: können sie sprechen? Die Frage ist: können sie leiden?" (Bentham zit.n. Singer 1982) ' Animal Peace e.V., Im Hahmich 1,51570 Windeck. FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 4 PeTA-Deutschland e.V., Postfach 311503, 70475 Stuttgart. Z . B . Menschen f ü r Tierrechte W ü r z b u r g e.V., Sternstraße 17, 97464 Niederwerrn. Bundesverband der Tierbefreierinnen, Postfach 3140, 55396 Bingen. 'Hardline' ist eine Bewegung aus den U S A , die absolute Korrektheit und Perfektion anstrebt (z.B. keine Drogen, keinen Sex zum Vergnügen). Wegen augenscheinlich rechtslastiger Aussagen (kategorisch gegen Abtreibung und Homosexualität) wurde die Bewegung aus der linken Tierrechtsszene verbannt. 'Earth First!' ist eine radikale Naturschutzbewegung aus den U S A , die auch in Europa langsam F u ß f a ß t . ' D i e E u l e ' , A . N . J . A . , c/o Schwarzmarkt, Kleiner Schäferkamp 46, 20257 Hamburg. '' 'Vegan' ist ein von 'vegetarisch' künstlich abgeleitetes Wort, um eine exaktere Abgrenzung zu (Ovo-)Lacto-Vegetarierinnen zu ermöglichen. Veganerlnnen ernähren sich rein pflanzlich und lehnen den Konsum tierischer 'Produkte' grundsätzlich ab (Fleisch, M i l c h , Eier usw.). Ethische Veganerlnnen meiden außerdem noch Leder, W o l l e , Pelz, Seide etc. 5 Peter Singer 1982: Befreiung der Tiere. Eine neue Ethik zur Behandlung der Tiere. Hirthammer: München. Strategie politischer Eliten und keine statische Kategorie sozialer Verhältnisse. Daher favorisieren wir den aktiveren Begriff der Ausgrenzung. 6 7 8 Literatur Kaplan, Helmut F. 1993: L e i chenschmaus. Ethische Gründe für eine vegetarische Ernährung. Rowohlt: Reinbek. Robbins, John 1995: Ernährung für ein neues Jahrtausend. Nietsch Hans: Waldfeucht. Marginalisierung als urbaner Prozeß Die Verlaufsform 'Marginalisierte Bewegungen' beschreibt einen Prozeß, der scheinbar konfliktfrei verläuft. A l s dessen Resultat finden sich sog. Randgruppen als hilflose Opfer, die zudem durch Forschung und H i l fepraxis reproduziert werden. Diesen Mechanismus möchten wir im folgenden in Frage stellen und versuchen, den Kontext der gegenwärtigen Ausgrenzungsprozesse kurz zu skizzieren, den räumlichen/urbanen Charakter dieser Entwicklung zu benennen und schließlich die Ausgegrenzten als Akteure zu rekonstruieren. 1 1 Marginalisierung als dynamische Strategie Der Begriff der margins oder Marginalität verschweigt in seiner Allgemeinheit, daß die Grenze zwischen Innen und Außen sowie zwischen Zugehörigkeit und Ausschluß nicht dauerhaft fixiert, sondern umkämpft ist und daß sie aktiv gezogen wird, also soziale und politische Kräfteverhältnisse kennzeichnet. Marginalität als Produkt der Marginalisierung ist also eine dynamische Seit Ende der 60er Jahre geht es in den sozialen Kämpfen gegen den Ausschluß aus der Mehrheitsgesellschaft immer weniger um die schlichte Integration in eine Gesellschaft, die um die zentralen Werte Lohnarbeit und Kernfamilie organisiert ist. Im Rahmen der gegenwärtigen Austeritätspolitik wird zu schnell vergessen, daß sich die politischen Forderungen gegen die Sparmaßnahmen häufig auf die formelhafte B e s c h w ö r u n g der wohlfahrtsstaatlichen Leistungen beschränken, die von den Bewegungsakteuren ehedem aufgrund ihrer rigiden Normalisierungsfunktion abgelehnt worden sind. Die 'Verschlankung' des Staates führt unter der Bedingung einer zunehmend komplexer werdenden Gesellschaft zur organisierten Ausgrenzung: Immer weniger soziale Gruppen bleiben als anerkannte und legitimierte E m p f ä n g e r i n n e n sozialer L e i stungen zurück und werden durch die eskalierenden A u s grenzungsprozesse immer stärker diszipliniert. Diese Funktion der Marginalisierung als Mittel zur Herstellung sozialer Kohärenz deutet auf den Ausstieg aus dem fordistischen Klassenkompromiß hin und markiert eine Transformationsphase, in der Ausgrenzung und nicht Ausbeutung die sozialen Konflikte strukturiert. FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 Legitimiert als Anpassungsleistungen an eine globalisierte Ö k o n o m i e und innenpolitisch getragen durch einen Grundkonsens gegen die „fremden Armen und ... armen Fremden" (Freyberg 1995: 23), ist die Formation einer veritablen Unterklasse kein konjunkturelles Krisenphaenomen, sondern Strukturmerkmal des postfordistischen Kapitalismus. Die mediale Repräsentation dieser 'gefährlichen U n terklasse' (Wilson 1987) macht Sicherheit und soziale Kontrolle zu zentralen Elementen kommunaler und nationaler Politik. 2 Geographie der Ausgrenzung Henri Lefebvre (1972) hat frühzeitig darauf aufmerksam gemacht, daß mit dem Übergang von der Ausbeutung zur Ausgrenzung die Städte zur Bühne gesellschaftlicher Konflikte werden. Dieser Wandel der Städte von Zentren der Produktion zu Dienstleistungsmetropolen (und Kriscnkapitalen) geht mit starken sozialen, ethnischen und räumlichen Polarisierungs- und Restratifizierungstendenzen einher, die nicht auf den Arbeitsmarkt beschränkt bleiben, sondern auch Wohnungsmarkt, Haushaltsstrukturen, (Über-)Lebensperspektiven und -Strategien modifizieren. Weniger untersucht sind die konkreten lokalpolitischen Strategien, auswärtiges Investitions- und Risikokapital sowie globale Geldströme in städtische Projekte zu vermitteln (z.B. Keil 1993). Die Restrukturierung des loka- len Sozialstaates als Versuch, Standortvorteile zu schaffen, erschöpft sich allzu oft in der M i n derung der konsumptiven L e i stungen. Das Mißverständnis der kommunalen Akteure, L e i stungskürzungen f ü r die Meistbedürftigen sowie Zuwendungen für Investoren und die bessergestellten Schichten als antizyklische Investition für den kommenden konjunkturellen Boom zu begreifen, treibt die Metropolen durch Neuverschuldungen in die Zinsquotenfalle und wird weiterhin Marginalisierung produzieren. Kulminierende Armutslagen (Einkommens- und Wohnarmut, niedriges Niveau formaler B i l dung, soziale Isolation usw.) konzentrieren sich zunehmend kleinräumig. Die Vernichtung industrieller Arbeitsplätze trifft die innerstädtischen Quartiere der Arbeiterinnen und Einwanderlnnen, während die Minderung sozialer Leistungen die Gebiete unter Anpassungsdruck setzt, die einen besonderen Bedarf aufweisen (z.B. viele Haushalte mit Kindern oder Rentnerinnen). 3 Marginalisierung und Bewegung in Berlin Wir weiden am Beispiel Berlins skizzieren, daß es Sinn macht, sich angelsächsische Analysen zur Stadtentwicklung und Marginalisierung zu vergegenwärtigen. Das Beharren auf der deutschen und speziell Berlinischen Besonderheit artikuliert einen kulturalistischen Überhang, der die Analyse wie die Bekämpfung metropolitaner Armutsentwicklung vernebelt. Die abrupte weltwirtschaftliche Integration der Stadt unter der Bedingung einer ernsten fiskalischen Krise und das Handlungsrepertoire einer an der Westberliner Subventionswirtschaft geschulten politischen Klasse führt zu schonungslosen Verdrängungsprozessen im öffentlichen Raum und auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. In den innerstädtischen Quartieren der Arbeiterinnen und Einwanderlnnen werden pauperisierte und ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen räumlich konzentriert, während sich in den Zentren eine Zitadellenökonomie formiert. Diese Z i tadellen-/Ghetto-Metapher aus der US-amerikanischen Stadtforschung (Friedmann 1995; K e i l 1993) scheint hier überzogen. Sie will jedoch keineswegs die Realität des Ghettos in Berlin unterstellen, sondern die sozialräumliche Polarisierung in der Innenstadt analytisch beleuchten. Die sozialen Probleme der Stadt sind (noch) Probleme der Innenstadt. So steigen z . B . die Einkommen der Haushalte, die Lebenserwartung der Bewohnerinnen und die Quadratmeterzahl der Wohnungen je Mieterin mit der Entfernung zum Zentrum, während bspw. die Sozialhilfequote, die Anzahl sozial diskriminierter Migrantinnen, das Qualifikationsniveau in gleicher Richtung abnehmen. Das gilt zumindest vorläufig auch noch für die verschrieenen Großsiedlungen am östlichen Stadtrand (Marzahn, Hellersdorf, H o h e n s c h ö n h a u sen), die in weiten Teilen eher FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 einem vertikalen Suburbia ähneln als den Slums, die nach der Wende prognostiziert wurden. Natürlich geht die Komplexität der Stadt nicht in dieser dualistischen Zentrum/Peripherie Spaltung auf, der städtische Raum ist vielfach fragmentiert. Trotzdem laufen die gegenwärtigen Planungen und Entwicklungen auf eine widersprüchliche Randwanderung der Armutsbevölkerung hinaus, die nur als Resultat eines komplexen, zugleich tiefgreifenden sozialen Wandels zu begreifen sind. Wichtiger ist noch, daß diese Restrukturierungen weder abgeschlossen noch unwidersprochen oder isoliert sind. Die hegemonialen Projekte lokaler Eliten und ihre Ausgrenzungsstrategien setzen sich nicht schlicht durch, sondern sind als konkrete Produkte Resultat öffentlicher Auseinandersetzung und/oder antihegemonialer sozialer Praxen. In diesen Kämpfen treten Marginalisierte als neue Akteure auf, die die soziale Bedeutung von Orten verändern und ihr Anwesenheitsrecht in R ä u m e n und Diskursen verhandeln, aus denen sie verdrängt werden sollen. W i r wollen dies am folgenden Beispiel erläutern. 4 Devianz und Konsum Wir werden uns hier auf den innerstädtischen Raum der City West um den Breitscheidplatz (Gedächtniskirche) mit den nationalen Ikonen Bahnhof Zoo und K A D E W E beschränken. Der Zoo markiert einen bekannten Raum der Devianz, während das K A D E W E als Kathedrale marktförmiger Begierden mindestens den gleichen Bekanntheitsgrad genießt. Zwischen diesen beiden Punkten liegt eine der umsatzstärksten innerstädtischen E i n kaufszonen der Bundesrepublik. Die Reproduktion dieser Standortqualität gegen die vermutete Konkurrenz aus Ostberlin und dem Umland ist sowohl das A n liegen des Senates als auch der Einzelhändler. Die Allianz der Händler ( A G City e.V.) bemüht sich schon lange, am Kurfürstendamm konsumptive von öffentlichen Nutzungen zu trennen. Dazu gehört laut Satzung 'die Einflußnahme bei der Entscheidung über Demonstrationen' und die Verhinderung von Großveranstaltungen an verkaufsoffenen Samstagen. Daß dies gelingt, zeigt zuletzt die Verlagerung der Love Parade 1996 mit 700.000 Teilnehmerinnen in den Tiergarten. U m die Verhaltensstandards und Normalitätsvorstellungen der Kundinnen zu schützen, hat die A G City Anfang der 90er Jahre einen eigenen Sicherheitsdienst installiert, der in den Geschäften patrouilliert (Eick 1995; Eick 1996). Unmittelbar angrenzend findet sich der Bahnhof Zoo. Seit der Privatisierung der Bundesbahn wird dieser Reproduktionsraum der Armen verstärkt überwacht und regelmäßig geräumt. Die Bahn A G bewirbt das Gelände als „ W a r e n h a u s mit Gleisanschluß" (Vorstandsvorsitzender Dürr) und stellt klar: „Der Bahnhof kann keine Sozialstation und kein Sammelbecken f ü r Stricher sein" (Martin Lepper von der Bahn A G ) . Innerhalb des Bahnhofes übt die Bahn A G Hausrecht aus, außerhalb spricht die Polizei Platzverweise aus, um unerwünschte Verhaltensweisen zu unterbinden. Werden diese Platzverweise nicht befolgt, nimmt sie die betreffenden Personen in Gewahrsam. Der sog. Verbringungsgewahrsam dient dazu, den Platzverweis durchzusetzen, indem die Verwiesenen an den Stadtrand verbracht werden. Die Zwangsausweisung hilfloser Personen in städtische Forstgebiete fern jeder Transportmöglichkeit wurde lange geleugnet, bis die ' A G Leben mit Obdachlosen' 1996 in einer Fragebogenaktion Dutzende von Fällen dokumentierte. In einem Anhörungsmarathon verschiedener Ausschüsse des Abgeordnetenhauses stellte sich heraus, daß diese Praxis absolut legal ist. Erst die Skandalisierung und Politisierung dieser Maßnahmen bewegte die Innenverwaltung im März 1997 dazu, diese Verbringungen zu unterbinden und den Polizistinnen mit einer KannBestimmung zu ermöglichen, hilflose Personen auf deren Wunsch in soziale Einrichtungen zu fahren. Die Verhinderung der räumlichen Reproduktion der Marginalisierung durch die Verbringung an die städtische Peripherie kann nicht das Ziel emanzipativer Politik sein. Hierfür ist es wichtiger, daß die sozialen Angebote f ü r ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen (akzeptierende Drogenhilfe, Gesundheitsversorgung, psycho-soziale Beratung usw.) in den aufgewerten 106 Innenstädten erhalten bleiben und entsprechend der veränderten Nachfrage in ausreichendem Maße erweitert werden (z.B. neue Schlafcontainer für Jugendliche). Der Preis f ü r das Anwesenheitsrecht der Dienste an diesem zentralen Ort ist ihr zumeist mobiler Charakter und die Lage hinter dem Bahnhof, wo eine K o l l i s i o n mit Reisenden und Kundinnen weitgehend ausgeschlossen ist. W i r wollen dieses Beispiel nicht als grandiosen Erfolg pauperisierter Massen verklären, sondern dahingehend interpretieren, daß mit der ausgehandelten A n wesenheit von Marginalisierten und sozialen Diensten, der von A G City, Bahn A G und Senat hofierte Mythos der widerspruchslosen postindustriellen FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 Dienstleistungsgesellschaft Frage gestellt wird. in Der Bahnhof Zoo markiert den umkämpften Rand der Isoglosse dieses Mythos. Die Isoglosse beschreibt den Geltungsbereich der entpolitisierten Rede von der Dienstleistungsmetropole. Innerhalb dieser sind Armut und Obdachlosigkeit durchaus präsent, „but their activity is rendered invisible by the dominant meaning of the space" (Ruddick 1996: 46). Die Räumungswellen gegen besetzte Häuser und Wagenburgen im Sommer 1996 und die Razzien an zentralen Orten der westlichen Innenstadt gegen unerwünschte Nutzerinnen seit Herbst 1996 kennzeichnen die Bemühungen staatlicher und privatwirtschaftlicher Akteure, den Geltungsbereich des Mythos der Dienstleistungsmetropole mit Hauptstadtfunktion über die gesamte (Innen-)Stadt auszudehnen und Marginalisierte an die Peripherie zu drängen. So heißt dies in den Worten des Berliner Innensenators:"Berlin ist nicht Hauptstadt der Wagenburgen und Hausbesetzer, sondern Hauptstadt der Deutschen. W i r haben eine Verantwortung vor der gesamten Nation" (Tagesspiegel, 27.09.96: 9). Der Konflikt um die Vertreibung Obdachloser von den Bahnhöfen stellt diese dynamische Strategie der Ausgrenzung erfolgreich in Frage. Wer von der f o l genlosen Säuberung der Innenstädte ausgeht, ist dem Mythos bereits erlegen und arbeitet an seiner Ausdehnung mit. D i e Grenze, die Devianz von Akzep- ln eigener Sache Das Projekt Forschungsjournal existiert mittlerweile seit zehn Jahren und gerade der Rubrikteil 'Pulsschlag' lebt zu großen Teilen von den Berichten über die Arbeit der Bewegungen vor Ort und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung damit. D a das Forschungsjournal in rein ehrenamtlicher Arbeit erstellt wird, können wir nicht alles 'Bewegte' und 'Bewegende' wahrnehmen oder recherchieren. D a wir aber stets an Beiträgen zu Fragen der Bewegungsforschung interessiert sind, möchten wir alle Leserinnen auffordern, aus Ihrer laufenden Forschungs- und Projektarbeit zu berichten. Aber auch Tagungsberichte, aktuelle Analysen und Kommentare aus dem weiteren Bewegungsumfeld sowie Selbstdarstellungen neuer(er) oder bislang vernachlässigter Bewegungsakteure sind willkommen. Ausdrücklich ermutigen möchten wir auch diejenigen Leserinnen, die im Rahmen von Magister- und Diplomarbeiten oder Dissertationen zu bewegungsaffinen Themen geforscht haben. Sicher können wir nicht alles berücksichtigen, da der Spielraum für die Rubrik auf wenige Seiten begrenzt ist: einiges wird aufgrund unserer vierteljährlichen Erscheinungsweise terminlich nicht passen, und anderes ist vielleicht einfach nicht mit dem Selbstverständnis des Journals vereinbar. Dennoch: Der Pulsschlag lebt auch von dem aktiven Engagement seiner Leserinnen. Kontakt: Michael Hasse, Dorotheenstr. 85, 53111 Bonn, Tel./PC-Fax: (0228) 696243, e M a i l : atze.dc@t-online.de. FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 tanz scheidet, ist nicht dauerhaft fixiert, sondern läßt sich verschieben. Ziel emanzipativer sozialer Bewegungen sollte es sein, gegen die hegemonialen Exklusionsbestrebungen inklusive Strategien zu entwickeln. Dafür ist die Wahrnehmung der Ausgegrenzten als handelnde Subjekte zentrale Voraussetzung, um paternalistische Überformungen und unreflektierte Vertretungsansprüche zu verhindern. Diese Wahrnehmung ist in der Bundesrepublik weiterhin unterentwickelt und birgt die Gefahr, die materielle und diskursive Marginalisierung noch auf einer dritten, analytischen Ebene zu reproduzieren. Jens Sambale und Dominik Veith, beide D i p l . Pol., sind wissenschaftliche Mitarbeiter des Forschungsprojekts 'Stadtentwicklung und Obdachlosigkeit' an der F U Berlin. Anmerkung 1 D a in weiten Teilen der bundesdeutschen (auch der progressiven) Literatur Marginalisierte vornehmlich als Opfer struktureller Prozesse außerhalb ihrer Kontrolle angesehen werden, greifen wir stärker auf die angelsächsische Literatur zurück: v.a. Liebow (1993), Ruddick (1996) sowie Wagner (1993), desweiteren Smith (1996), Snow/Anderson (1992) und Wright(1997). Literatur AG City e.V. o.J.: Selbstdarstellung. Eick, Volker 1995: 'Berlin wird Hauptstadt - aber sicher ...'. In: Sträter, Frank (Hg.): Stadt der Zukunft - Zukunft der Stadt. Los Angeles - Berlin. Context: Stuttgart, 129-142. Eick, Volker 1996: ' M e i n ist die Stadt'. Das Berliner Sicherheitskonzept und die Zugangsbedingungen der Stadt für ihre Bewohnerinnen. Unveröff. Diplomarbeit: F U Berlin. Friedmann, John 1995: Ein Jahrzehnt der World City-Forschung. In: Hitz, Hansruedi et al. (Hg.): Capitales Fatales. Urbanisierung und Politik in den Finanzmetropolen Frankfurt und Zürich. Rotpunkt: Zürich, 22-44. Freyberg, Thomas von 1995: ... im ganzen also sehr widerwaertig... Verleugnen, Verleumden, Ausgrenzen: V o m Umgang mit der Armut. In: Hengsbach, Friedhelm/Moehring-Hesse, Matthias (Hg.): Eure Armut kotzt uns an! Solidariät in der Krise. Fischer: Frankfurt/M., 23-37. Keil, Roger 1993: Weltstadt Stadt der Welt. Westfälisches Dampfboot: Münster. Lefebvre, Henri 1972: Die Revolution der Städte. Hain: Frankfurt/M. Liebow, Elliot 1993: Teil them who 1 am. The Lives of Homeless Women. Penguin: New York. Ruddick, Susan 1996: Young and Homeless in Hollywood. Mapping the Social Imaginary. Routledge: London. Smith, Neil 1996: The New Urban Frontier. Gentrification and the Revanchist City. Routledge: London. 107 Snow, David/Anderson, Leon 1992: Down on their Luck. Univ. of California: Berkeley. Wagner, David 1993: Checkerboard Square: Culture and Resistance in a Homeless Community. Westview: Boulder et al. Wilson, William J. 1987: The Truly Disadvantaged. The Inner City, the Underclass, and the Public Policy. Univ. of Chicago: Chicago. Wright, Talmadge 1997: Out of Place. Univ. of New York: New York. (i.E.) SF.IJM- fMKMI-l LU\w Arbeitslosenzeitung 'quer' Seit 12 Jahren erscheint - derzeit zweimonatlich - die älteste und einzige bundesweite A r beitslosenzeitung quer. Sie wird redaktionell von einer bunten Mischung von Erwerbslosen und deren (selbst-)organisierten politischen Zusammenhängen aus Ost und West getragen. Redaktioneller Grundkonsens ist dabei die unbedingte Parteilichkeit f ü r Erwerbslose und A n n e . Nach einigen Jahren der - inzwischen ersatzlos gestrichenen - Förderung durch die Stadt Frankfurt/M. und die Bundesanstalt für Arbeit ist das Projekt wieder 'back to the roots': nah an der 'Basis' - und trotz steigender Abonnentinnenzahlen nah an der Pleite. Durch Themenwahl und Art der Berichterstattung setzt sich quer FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 mit den rastlos umgetriebenen Globalisierungsgespenstern ebenso auseinander wie mit nationalistischer Standortlogik und begreift statt dessen Massenerwerbslosigkeit und Armut nach wie vor als Teil des alltäglichen kapitalistischen Normalvollzugs. quer w i l l Arbeitslosigkeit weder auf 'individuelles menschliches Versagen' noch auf Konzepte reduziert wissen, die mehr oder weniger offen 'Arbeit um jeden Preis' bis hin zu Zwangsarbeitsszenarien favorisieren. Diese Sichtweise bringt in schöner Regelmäßigkeit Konflikte - auch mit den Funktionären formal 'wohlmeinender' Organisationen und Parteien, die Erwerbslose bestenfalls ein wenig besser verwaltet bzw. 'betreut' sehen wollen - sei es, um das eigene K l i entel zu 'retten', zu beruhigen und letztlich bei der Stange zu halten, sei es, um sich als potentiell koalitions- und regierungsfähig (pardon, auf neudeutsch heißt das jetzt 'reform-' oder auch ' z u k u n f t s f ä h i g ' ) zu erweisen. also nicht verstanden werden als tabuisierter Lebensabschnitt, m l dem mensch sich am besten gai nicht bewußt auseinandersetzt bzw. dem man schleunigst - und selbst um den Preis nicht-existenzsichernder Arbeits- und Entlohnungsbedingungen - wieder entkommen m u ß . Dagegen setzt quer auf die (Selbst-)Organisationsansätze von Erwerbslosen, versucht, Kontakte zu vermitteln und berichtet über bzw. beteiligt sich an politischen Kampagnen wie z.B. den für A p r i l bis Juni diesen Jahres durchgeführten europäischen Arbeitslosenmarsch. Zudem unterstützen wir Positionen, die statt 'mehr Arbeit', 'mehr Wirtschaftswachstum' und 'mehr Konsum' eine gesellschaftlich gerechte Verteilung von Arbeit und Einkommen, radikale Arbeitszeitverkürzung, und last but not least eine vernünftige und menschenwürdige Absicherung von Erwerbslosen fordern. Britta Brenner, Freiberg. Gleichzeitig soll quer einen möglichst hohen Nutzwert f ü r ihre Leserinnen haben. Sie dient als 'Fachblatt' f ü r engagierte und selbstbewußte Erwerbslose bzw. Beratungsstellen; so informiert sie fortlaufend über die sozialrechtliche Gesetzgebungssintflut und deren Konsequenzen. Die Zeitung quer gibt entsprechend Tips über verbliebene Spielräume, z . B . an welchen Punkten Widersprüche gegen Amtsentscheidungen erfolgversprechend sind etc. Erwerbslosigkeit soll Kontakt: quer, Postfach 14 12, 09581 Freiberg. E i n Abonnement kostet jährlich 21,60 D M für Erwerbslose/Einzelpersonen mit geringem Einkommen und 50 D M für Organisationen/Förderer. Probehefte sind gegen 3 D M in Briefmarken erhältlich. Das 'Archiv der Sozialen Bewegungen' Hamburg Das Hamburger 'Archiv der sozialen Bewegungen' mußte i m Herbst 1995 einen empfindlichen Rückschlag hinnehmen: In der Nacht vom 27. zum 28. November brannte das Obergeschoß des autonomen Kulturzentrums 'Rote Flora' im Hamburger Szene-Stadtteil Schanzenviertel aus. Über 90 Prozent des Bestandes des dort seit 1993 untergebrachten Archivs wurde vernichtet. In der nachfolgenden Solidaritätswelle gegenüber der Roten Flora und dem Archiv konnte der finanzielle Grundstock f ü r die Renovierung des Stadtteilzentrums und auch f ü r die Weiterführung des Archivs (in Ersatzräumen) gelegt werden. Zudem kam und kommt es bis heute nicht weniger wichtig - zu einer V i e l z a h l von Materialspenden von Einzelpersonen, politischen Gruppen und anderen Archiven. Der Umzug in die dann wiederaufgebauten und renovierten R ä u m e in der 'Roten Flora' soll noch in diesem Jahr erfolgen. Geschichte Das Archiv entstand 1989 aus einer Privatinitiative. Es ist zusammen mit dem 'Archiv Soziale Bewegungen in Baden' (Freiburg) und dem 'Papiertiger' 109 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 (Berlin) eines der drei größten selbstorganisierten Archive mit linksalternativer und linksradikaler Ausrichtung. Den größten Bestand i m Bereich alternative bzw. neue soziale und linke Bewegungen dürfte das ID-Archiv aufweisen, das aber seit seinem Umzug nach Amsterdam 1988 zum Internationalen Institut f ü r Sozialgeschichte (IISG) relativ schlecht vor Ort nutzbar ist. W e i tere Archive, die dem Hamburger von den inhaltlichen Schwerpunkten her vergleichbar sind, gibt es unter anderem in München (Gruppe 2), Nürnberg (Metroproletan-Archiv im K O M M ) , in Münster (Umweltzentrum), in Berlin (Umwelt-Bibliothek) und in Duisburg (Archiv f ü r alternatives Schrifttum). Das Archiv der Sozialen Bewegungen versteht sich als Ted der sozialen Bewegungen und hat per Selbstdefinition einen engen Bezug zu diesen in Hamburg und darüber hinaus. D i e Resonanz aus der (linksradikalen) Szene vor Ort ist aber gering. Nur ein kleinerer Teil der Nutzerinnen wird durch die eigene politische Aktivität zu einem Besuch i m Archiv angestoßen, so einer der Mitarbeiter: 'Die meisten Nutzerinnen kommen von der Hamburger U n i . Sie interessieren sich erst f ü r die eigene Geschichte, wenn dies an der U n i Thema ist'. Sammelschwerpunkte In der 33 Bereiche umfassenden Archivsystematik finden sich in unvollständiger Aufzählung die Gebiete: Geschichte, außerparlamentarische Opposition, Antire- pression, Antifaschismus, Antirassismus, Frauen-'Lesbenbewegung, Stadtentwicklung, Antimilitarismus, Internationalismus, A n t i - A K W - B e w e g u n g , Ökologie, Medien und Zensur, Jugend, Kunst und Kultur. E i n Großteil des Bestandes besteht aus Periodika, zumeist Zeitschriften. Zur Zeit werden 170 Zeitschriften regelmäßig bezogen. im Bedarfsfall werden dann A b züge gefertigt. Beim Fundus nicht mehr erscheinender Titel ist aufgrund der vielen Spenden der paradoxe U m stand eingetreten, daß heute der Bestand umfangreicher als vor dem Brand ist. Bei Broschüren und Dokumentationen ist der ehemalige Stand zu 70 Prozent wieder erreicht. Die Flugblattund Presseartikelsammlung des Archivs war umfangreich und wurde durch den Brand völlig zerstört. Dieser Teil des Archives, der auch eine Unmenge von politischen Papieren, Protokollen und ähnlichem enthielt, ist vermutlich so nicht wiederherstellbar, da die Wiederbeschaffung und Aufarbeitung der M a terialien sehr zeitaufwendig, wenn nicht gar unmöglich ist. Desweiteren werden noch Plakate, Aufkleber, Postkarten und Revolutionsdevotionalien gesammelt. Der Bestand ist komplett i m Freihandsystem organisiert und schriftlich i m Bestandsverzeichnis erfaßt (aktuell erscheinende Zeitschriften auch per E D V ) . Fotokopien können vor Ort persönlich angefertigt werden, K o pien auf postalische Anforderung werden in geringer Stückzahl kostenlos gegen Rückporto angefertigt, größere Stückzahlen oder Recherchen sind Verhandlungs- und Absprachesache, ebenso wie die Abgabemodalitäten des Foto-Archiv-Kollektives. In den Räumen des Archives arbeitet auch das Foto-Archiv-Kollektiv, das die verschiedenen Aspekte sozialen Protestes fotographisch dokumentiert und der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Die Fotoarbeiten können in Form von K o n taktabzügen eingesehen werden, Nutzungsmöglichkeiten Das Archiv, das immer noch Materialien sucht, ist für jeden zugänglich und bis zu seiner Rückkehr in die Rote Flora donnerstags von 16 bis 19 Uhr sowie nach telefonischer Anmeldung geöffnet. Bernd Hüttner, Bremen. Kontakt: Archiv der sozialen Bewegungen, c/o Rote Flora, Schulterblatt 71, 20357 H a m burg, Tel.: (040) 433007. 110 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1 9 9 7 Statistik nach Maß Anarchistischer Herbst Mit seinem Zeitreihenservice 'Time Series' öffnet das Statistische Bundesamt den Nutzerinnen des Internet die statistische Datenbank STATIS-BUND mit über einer Million Zeitreihen. Der neue Service umfaßt ein kostenloses Dokumentations- und Recherchesystem sowie einen kostenpflichtigen Bestell- und Abholdienst per Datentransfer. Vom 10. bis 12. Oktober 1997 feiert die 'graswurzelrevolution' ihr 25jähriges Bestehen mit einer Tagung in der Alten Feuerwache in Köln. In der Datenbank sind Daten aus 21 Sachgebieten der amtlichen Statistik gespeichert, die teilweise bis 1950 zurückreichen. Kontakt: Statistisches Bundesamt, Gustav-Stresemann-Ring 11, 65180 Wiesbaden, http://www.statistikbund.de. SS ISS Wä WS WS W&l WS WS SS3 Studie zum Kirchenasyl Eine neue Befragung der 'Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche' über 'Erfolg und Mißerfolg von Kirchenasyl' liefert neues Zahlenmaterial. 124 Fälle von Kirchenasyl mit 560 Betroffenen wurden in der Studie erfaßt, das sind etwa 60 Prozent aller Fälle bis 1996 und 90 Prozent der Fälle seit der Asylrechtsänderung 1993. Kontakt: BAG Asyl in der Kirche, Kartäusergasse 911, 50678 Köln, Tel.: (0221) 3382281. H Ein Referat zu 'Herausforderungen an den gewaltfreien Anarchismus am Ende des 20sten Jahrhunderts' eröffnet die Veranstaltung. Am Samstag sind Arbeitsgruppen zu folgenden Themen vorgesehen: Anarchismus und soziale Frage, Weltmacht Deutschland, Feminismus und Staat, Anarchismus - Kunst und Popkultur, Macht der Medien sowie Herausforderungen durch neue Technologien. Die Veranstaltung schließt am Sonntag mit einer Plenumsdiskussion über die Herausforderungen und Antworten gewaltfreier und anarchistischer Bewegungen. Kontakt: graswurzelrevolution, Kaiserstr. 24, 26122 Oldenburg, Tel.: (0441) 2489-663, Fax: -661, eMail: wriag.foega@oln.comlink.apc.org. Durchblicken In der Reihe 'Durchblicke' hat das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz eine Neuauflage der Broschüre 'Rechtsextremistische Bestrebungen in Berlin' vorgelegt. Das 220seitige Heft bietet informative Details über verschiedene Organisationen und Gruppierungen der rechtsextremistischen Szene. Kontakt: Landesamt für Verfassungsschutz, Auf dem Grat 2,14195 Berlin. Freispruch Ein Atomkraftgegner, der im März 1996 zur Schienendemontage vor dem Atomkraftwerk in Gundremmingen aufgerufen hatte, ist vom Dortmunder Amtsgericht freigesprochen worden. In der 30seitigen Urteilsbegründung heißt es, daß die Aufforderung zur friedlichen Demontage der Schienen durch das Grundgesetz geschützt ist. Der Richter begründet dies mit dem Recht auf Meinungs- und Gewissensfreiheit. Zudem betont er, daß der Staat die Pflicht habe, unbequeme Gewissensäußerungen nicht nur zu dulden, sondern auch zu schützen. Einmischen statt Zusehen! Im März hat der Landesverband Rheinland-Pfalz von Bündnis 90/Die Grünen ein Handbuch gegen Rechtsextremismus und Ausländerinnenfeindlichkeit herausgegeben. Auf fast 120 Seiten werden Studien und Expertisen, Projekte sowie Kampagnen und Aktionen vorge- .ja FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 stellt. Ausführlich werden zudem Reader, Broschüren und weiterführende Literatur besprochen und kommentiert. Im Anhang sind die Kontaktadressen zu den wichtigsten Institutionen, Organisationen und Gruppen gesammelt. Kontakt: Bündnis 90/Die Grünen Landesverband Rheinland-Pfalz, Holzstr. 39, 55116 Mainz, Tel.: (06131) 2318-46, Fax: -49, eMail: gruene_lv@link-mz.rheinmain.de (Schutzgebühr: 5 DM). Erinnerungen Das Hamburger Archiv Aktiv für gewaltfreie Bewegungen' hat einen gut 80seitigen Neudruck der Erinnerungen von Theodor Michaltscheff herausgegeben. Der Bulgare gründete 1947 den deutschen Zweig der 'War Resisters International' und die 'Internationale der Kriegsdienstgegner' (IdK). Die Broschüre beinhaltet Michaltscheffs Bilanz von 20 dahren Arbeit der Zeitschrift 'Friedensrundschau' (1947 bis 1966) sowie einen Text, den er zum Abschied aus Deutschland verfaßte. Kontakt: Archiv Aktiv für gewaltfreie Bewegungen, Sternschanze 1, 20357 Hamburg, Tel.: (040) 4302046, Preis: 8 DM. Menschenrechte und Demokratie Ziviler Friedensdienst Im Herbst 1995 lud das Komitee für Grundrechte und Demokratie in Zusammenarbeit mit dem Bildungswerk 'weiterdenken' zu der Tagung 'Menschenrechte in ost-westdeutscher Perspektive' nach Chemnitz ein. Die nun vorliegende Dokumentation (DinA4, 130 Seiten, 12 DM) gibt einen Überblick über die diskutierten Themen: Demokratisierung, Teilhabe an gesellschaftlich sinnvoller Arbeit und sozialer Sicherung sowie die Migrantinnen- und Flüchtlingspolitik als 'wiedervereinigte Menschenrechtsverletzung'. Das 'Forum Ziviler Friedensdienst' in Minden hat am 23. Mai den diesjährigen 'Gustav-Heinemann-Bürgerpreis' erhalten. Damit werden dessen Bemühungen gewürdigt, in einer Zeit zunehmender internationaler Spannungen Wege zu einer gewaltfreien Konfliktbearbeitung aufzuzeigen. Kontakt: Komitee für Grundrechte und Demokratie, Bismarckstr. 40, 50672 Köln. Prison Watch International In Hannover ist Anfang Februar der Verein 'Prison Watch International' gegründet worden, der die Situation von Gefangenen beobachten will. Erster regionaler Schwerpunkt des auf Initiative der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen gegründeten Vereins ist die Türkei und die kurdischen Gebiete. Erste Vorsitzende ist die grüne Landtagsabgeordnete Heidi LippmannKasten; Sitz des Vereins ist Göttingen. Arbeitstreffen NGOs Am 4. Juli findet in Frankfurt/ M. im Institut für Sozialforschung (Senckenberganlage 26) das 3. Arbeitstreffen zu Nicht-Regierungsorganisationen statt. Zugesagt haben Titus Bahner, Alex Demirovic und Thomas Jahn. Dazu wird es noch einen vierten Beitrag geben. Kontakt: Ulrich Brand/Christoph Görg, Uni Frankfurt/ M., NGO-Forschungsprojekt, FB Geisteswissenschaften, Robert-Mayer-Str. 5, 60054 Frankfurt/M. Rechte im Umweltschutz Das Unabhängige Institut für Umweltfragen in Berlin hat eine Broschüre zum Recht im Umweltschutz herausgegeben. 'Einmischen - Rechtliche Wege der Bürgerbeteiligung im Umweltschutz' beleuchtet u.a. Auskunftsan- 112 sprüche nach dem Umweltinformationsgesetz, die Bürgerbeteiligung in der Bauleitplanung, das Umweltstraf- und Zivilrecht und nennt Ansprechpartnerinnen von Umweltinitiativen. Das Freiburger Öko-Institut hat eine Studie 'Bürgerrecht im Umweltschutz' veröffentlicht. Darin wird die erweiterte Informationspflicht der Behörden empfohlen, um vorhandene Daten über Gesetzentwürfe, Genehmigungsanträge, behördliche Entscheidungen und den Zustand der Umwelt leichter zugänglich zu machen. 'Ökologische Bürgerrechte' ermöglichen es der Bevölkerung, bei allen wichtigen Planungs- und Genehmigungsverfahren beteiligt zu sein. Außderdem wird ein Einwendungsrecht für alle Interessierten und die Umweltklage als 'JedermannKlage' gefordert. Zudem wird vorgeschlagen, einen Bundesbeauftragten für Verfahrensrecht im Umweltschutz zu ernennen. Nicht Neo und Nicht Neu Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat eine Materialsammlung über ihre Aktivitäten der vergangenen zwei Jahre zum Thema Rechtsextremismus herausgegeben. Darin sind die parlamentarischen Initiativen und Pressemitteilungen FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 der Bündnisgrünen zu verschiedenen Aspekten des Rechtsextremismus sowie die Antworten der Bundesregierung dokumentiert. Die 120seitige Broschüre mit dem Titel 'Nicht Neo und Nicht Neu' kann gegen eine Schutzgebühr von 5 DM (zzgl. 1,50 DM Porto) bestellt werden. Kontakt: Bündnis 90/Die Grünen, Bundestagsfraktion, Deutscher Bundestag, 10870 Berlin. KDV in der Türkei Die Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär initiiert ein Projekt mit dem Ziel, auch in der Türkei ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung (KDV) zu erreichen. Es richtet sich zunächst an Menschen mit deutscher und türkischer Staatsbürgerschaft sowie an türkische Staatsbürger, die in Deutschland leben. Anknüpfungspunkt ist das Abkommen zwischen Deutschland und der Türkei, demzufolge jemand, der in Deutschland Zivildienst geleistet hat, damit auch seiner Wehrpflicht in der Türkei nachgekommen ist. Die Kampagne will dies als 'Recht auf K D V durch die Hintertür bekannter machen. Trotz internationaler Abkommen gewährt die Türkei bisher ihren Bürgern noch kein Recht auf KDV. Im Rahmen des Projekts hat die Kampagne eine zweisprachige Broschüre herausgegeben. Kontakt: Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär, Oranienstr. 25, 10999 Berlin, Tel.: (030) 61500-530, Fax: 529. G. Fälscht Das Bremer 'Archiv für ungewöhnliche Maßnahmen' ist umgezogen. Das kurz 'G.Fälscht' genannte Archiv sammelt seit 1991 politische Fälschungen von unten. Kontakt: G.Fälscht, 'Archiv für ungewöhnliche Maßnahmen', Lagerhaus Schildstr. 12-19, 28203 Bremen, http:// www.underground.de/ gjaelscht/. Parteienfinanzierung Rechtsextremistische Parteien erhalten für das dahr 1996 fast fünfeinhalb Millionen Mark an staatlichen Zuschüssen. Der Löwenanteil von rund viereinhalb Millionen geht an die 'Republikaner', und die 'Deutsche Volksunion' erhält gut 920.000 DM. Für 1995 hatten die 'Republikaner' Anspruch auf vier Millionen Mark, davon wurden aber 1,9 Millionen Abschlagszahlung abgezogen, da sie die Auszahlung der Gelder 113 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 durch verspätete Antragsstellung verpaßt hatten. Totale Kriegsdienstverweigerung Die Totalverweigerer-Initiative hat die fünfte, vollständig übearbeitete und aktualisierte Auflage des Grundlagenreaders herausgegeben. Sie enthält eine fundierte Einführung in das Thema mit vielen Originaltexten. Kontakt: TotalverweigererInitiative Braunschweig, c/o Detlev Beutner, Helmstedter Str. 21, 38102 Braunschweig, Tel./Fax: (0531) 794688. Nation Europa? Vom 27. bis 29. Oktober findet in der Gustav-Heinemann-Akademie in Freudenberg ein Tagung zum Thema 'Nation Europa?' statt. Rechtsextremistische Parteien und Bewegungen gibt es in nahezu allen Ländern der EU, Vernetzungen mit Hilfe moderner Kommunikationstechnologien nehmen zu. Eine 'Neue Rechte' bemüht sich um Respekt im neokonservativen Lager zur Erringung kultureller Hegemonie. Mit Expertinnen aus den Nachbarländern sollen Gegenstrategien bilanziert und entwickelt werden. Tagungssprachen sind deutsch und englisch (Simultanübersetzung). Kontakt: Gustav-Heinemann-Akademie, Postfach 1145, 57251 Freudenberg, Tel.: (02734) 4980, Fax: 2473. Pax Christi in Ex-Jugoslawien Der Einsatz für Kriegsflüchtlinge im ehemaligen Jugoslawien ist zu einem Schwerpunkt der Friedensarbeit von Pax Christi geworden. In der Broschüre 'Bei den Opfern des Krieges. Aus der Arbeit mit Kriegsflüchtlingen' berichten Freiwillige über ihr Zusammenleben mit vom Krieg traumatisierten Menschen in kroatischen und bosnischen Flüchtlingslagern. Mehr als 600 freiwillige Helferinnen hat Pax Christi seit Herbst 1992 entsandt. Ihr mehrwöchiger Einsatz ist ehrenamtlich, die Kosten müssen aus eigener Tasche bezahlt werden. Die dokumentierten Erfahrungsberichte sind 'ein Zeugnis gegen das verbreitete Vorurteil, gegen Krieg und Gewalt könne man doch nichts tun und die Friedensbewegung sei angesichts des Kriegs im ehemaligen Jugoslawien verstummt'. Kontakt: Pax Christi Sekretariat, Postfach 1345, 61103 Bad Vilbel, Fax: (06101) 65165 (6 DM zzgl. Versandkosten). links Im 29sten Jahrgang hat die Zeitschrift links mit der Ausgabe 320/321 ihr Erscheinen eingestellt. In der letzten Nummer werden die Gründe - die politisch, organisatorisch und ökonomisch ausweglose Situation - ausführlich dokumentiert und diskutiert. Schade, die Red. Tor des Monats 'Ich erkenne an, daß Christus, als er einzig Männer zu seinen Aposteln berief, nicht von soziologischen oder kulturellen Motiven seiner Zeit geleitet wurde, sondern frei und souverän handelte.' ( Papst Johannes Paul II. an den srilankischen Pater Balasuriya, Januar 1997) FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 kl./r NMONfcN Volker Hielscher u.a. Im Streit für die Umwelt biographischen G r ü n d e n Inter- in zahllosen anderen Fällen vor esse und eine Buchbespre- Ort auch funktionierte, in zahl- chung beanspruchen. (Nur die losen anderen Fällen ebenso A k t i v e n in der „ Ö k o p a x " - B e - aber auch an den „vested i n - wegung werden i m A u f s t i e g terests" des p o l i t i s c h - ö k o n o m i - und „ F a l l " von Jo L e i n e n mit schen Systems und seiner Gre- viel rückerinnernder Anteilnah- mienvertreter scheitert(e). me auch ein S t ü c k i h r e r e i g e n e n A n h a n d vergleichsweise harm- politischen Biographie des letz- loser B e i s p i e l e zeigt der A u t o r Jo Leinen, Basis-Aktivist und Minister ten Vierteljahrhunderts erken- plastisch den D s c h u n g e l des nen und von daher auch „per- sozio-politischen Interessenge- Bilanz und Ausblick s ö n l i c h " interessiert sein.) Z u m flechts, innerhalb dessen der K i r k e l : E d i t i o n A p o l l 1995 hochinteressanten gesellschaft- Umweltminister lich-politischen L e h r s t ü c k „ a m Ö k o b e w e g u n g s - A k t i v i s t als- lebenden O b j e k t " w i r d bald zahllose Barrieren und das gewordene B u c h , weil darin exemplarisch eben auch bittere Niederlagen Sattler g e h ö r t zu den seltenen der Z u s a m m e n p r a l l z w e i e r erleben m u ß t e , sicher nicht Politikwissenschaftlern, die - grundverschiedener politischer zuletzt deshalb, w e i l er dieTak- als Journalisten - Texte schrei- Kulturen Darstellung tiken des s t a a t s b ü r o k r a t i s c h e n ben bzw. herausbringen, w e l - kommt: D i e K u l t u r der Neuen Politikstils, sich rechtzeitig che solide Information mit e i - Sozialen Bewegungen ( N S B ) r ü c k z u v e r s i c h e r n und Bundes- nem hohen Unterhaltungswert und die der traditionalen Partei- genossen i m Entscheidungs- verbinden. So ist i h m auch mit politik und Staatsverwaltung. vorfeld z u verschaffen ( i m Ver- seinem B u c h ü b e r Jo L e i n e n A u s den Interviews und Texten b ä n d e - , Parteien- und Regie- eine E d i t i o n gelungen, die weit von und ü b e r L e i n e n w i r d deut- rungssystem), nicht in langer mehr z u bieten hat als eine ein- lich, w i e der politische Stil der ( p a r t e i - ) b ü r o k r a t i s c h e r Dienst- fache „ p o l i t i s c h e B i o g r a p h i e " : N S B - hier der U m w e l t b e w e - erfahrung gelernt hatte. zur Indem er nicht nur selbst den gung - g e p r ä g t war (und noch Schließlich waren (fast) alle mit bisherigen, e i n i g e r m a ß e n dra- ist?) durch zielgerecht m a x i - ihm unzufrieden: Lafontaine, weil matischen politischen Lebens- male Forderungen ohne R ü c k - er zu oft auf dem staatsbürokrati- weg des Exministers beschrie- sicht auf ö k o n o m i s c h e Sonder- schen Parkett ausrutschte und ben hat, sondern auch L e i n e n interessen und (partei-)politi- aneckte, und die Umweltaktivi- i m O r i g i n a l t o n z u Wort k o m - sche M e h r h e i t s b e s c h a f f u n g , sten, weil er Versprechungen nicht men läßt und vor a l l e m zehn getragen v o n der Ü b e r z e u g u n g , einlöste. D a ß er zahlreiche Vor- B e i t r ä g e v o n Mitstreitern und d a ß der massierte D r u c k der haben auch angeschoben und K r i t i k e r n gesammelt hat, ge- „ S t r a ß e " , also die direkte M o - durchgesetzt hat, wollten beide lang i h m ein nahezu „ o b j e k t i - bilisierung der B ü r g e r / i n n e n , Seiten nicht w ü r d i g e n . ( D e m ves", n ä m l i c h facettenreiches, irgendwo und -wann auch schon Rezensenten erscheint es nicht seinen „ H e l d e n " mit seinen auf den traditionalen politisch- als Ruhmesblatt Oskar Lafontai- L i c h t - und Schattenseiten, sei- parlamentarischen E n t s c h e i - nes, daß dieser seinem idealisti- nen Leistungen und F e h l l e i - dungsprozeß durchschlagen schen Jung-Minister nicht hier stungen zeigendes B i l d . werde. Was j a i m F a l l W y h l und und da besser den Rücken stärk- D a b e i k ö n n e n diese L i c h t - und der riesigen Wiederaufberei- te, und daß er f ü r ihn keine andere Schattenseiten nicht p r i m ä r aus tungsanlage hinter Passau wie Aufgabe suchte, wenn er denn 115 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 glaubte, ihn aus dem Umweltres- eine V i e l f a l t an Orientierungs- S t a n d b e i n « zu e r g ä n z e n " - das sort z u r ü c k n e h m e n zu müssen). angeboten Ansetzen an individueller B e - Wer i m m e r aus der K u l t u r der Überkommene N S B - der Frauen- oder U m - s t ä n d l i c h k e i t e n ' - w i e die G e - sung des Interesses aus der weltbewegung, der Friedens- werkschaften - verlieren ihre Zweckrationalität betrieblichen oder S e l b s t h i l f e b e w e g u n g Handelns - , soll die theoreti- zur V e r f ü g u n g . 'Selbstver- troffenheit und die H e r a u s l ö - - Bindewirkung. Die Gewerk- kommt, u m i m ( p a r t e i p o l i t i - schaften in Deutschland m ü s - sche Debatte fruchtbar machen. schen Institutionensystem et- sen sich auf unterschiedliche Dies ist hervorzuheben, da hier was z u bewirken, dem sei drin- Weise umstrukturieren. G e r a - ein W e c h s e l der Perspektive gend e m p f o h l e n , den l e i d v o l - de der g r o ß e n M e n g e der M i t - stattfindet: Nicht mehr die be- len H ü r d e n l a u f eines Frieden s- glieder ohne 'besondere F u n k - triebliche Gewerkschaftsarbeit und tion' fehlt das Mandat. steht i m Vordergrund, sondern merksam nachzuvollziehen. D i e in diesem Band präsentier- die soziale Integration. D e n A k t e u r e n und Theoreti- ten und analysierten Ergebnisse D i e A u t o r e n zeichnen die je- kern des politischen Systems basieren auf der wissenschaftli- weiligen I n i t i i e r u n g s b e m ü h u n - aber bietet der exemplarische chen Begleitung eines Versuchs gen i n den Verwaltungsstellen, F a l l wichtigen S t o f f z u m N a c h - innerhalb der I G Metall, lebens- deren E r f o l g e und M i ß e r f o l g e , denken, w i e die dynamischen weltliche Gewerkschaftsarbeit in p r ä z i s e nach, K r ä f t e aus den N S B f ü r das je zwei Verwaltungsstellen in dazu immer wieder, w o die E i n - Gesamt unserer K u l t u r kreativ Ost- und Westdeutschland vor- g r i f f s m ö g l i c h k e i t e n der P r o - geworden sind - aber auch, w i e anzutreiben. Dies in der H o f f - jektbetreuer endeten und wes- man sie instrumentalisieren und nung, eine umfassendere E r - halb die E r f o l g e begrenzt wa- kaputtmachen kann. reichbarkeit der Mitglieder her- ren. D i e Initiierung der W o h n - zustellen und durch die Vielfalt bereichsarbeit ( W B A ) w i r d als und Kreativität der Lebenswelt erteilte Aufgabenstellung von U m w e l t a k t i v i s t e n auf- Fritz Vilmar, Berlin. verdeutlichen Impulse f ü r neue Politikfelder 'oben' begriffen, weshalb k e i - zu erhalten. D i e Analyse führt ne Identifikation mit der Idee die bisherigen Diskussionen zu durch die Beteiligungskultur und Gewerk- hergestellt werden kann, son- schaft fort und setzt i m Kontext dern W B A eher als „ R e t t u n g s - Gewerkschaftsarbeit im Wohnbereich der praxisrelevanten Ergebnisse r i n g " i n Mobilisierungsphasen Schriftenreihe der HansBöckler-Stiftung Münster: m Volker Hielscher u.a. 'Hauptamtlichen' an den Schattenseiten der A n - (z. B . A r b e i t s k ä m p f e ) betrach- nahme eines verstärkten Beteili- tet w i r d . B i s l a n g ist bei den gungsinteresses und d e r Ö f f n u n g M i t g l i e d e r n ein fehlendes oder gewerkschaftlicher Arbeit an. partielles B e t e i l i g u n g s b e d ü r f - A l s theoretischer Bezugsrah- nis auszumachen, das bezogen men w i r d unter dem S c h l a g - auf die Handlungsethik R ü c k - wort der Beteiligungsgewerk- griffe auf b e w ä h r t e Delegati- schaft ein M o d e l l nach van der onsmechanismen statt E i g e n - L o o und v a n R e i j e n (1992) initiative nahelegt. So ergibt unterbreitet. D i e Idee, die prio- sich f ü r die A u t o r e n schon i n D i e heutige westliche Indu- ritäre Betriebsarbeit durch ein der K o n z e p t i o n der W B A ein striegesellschaft p r ä g e n Indi- „in der Lebenswelt der M i t - S p a n n u n g s g e f ü g e . D a der W e g vidualisierung und Pluralisie- glieder f u ß e n d e s als Z i e l definiert w i r d , erhalten Westfälisches D a m p f b o o t 1996 rung. F ü r das Individuum steht »zweites 116 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 die Interessierten keine A n t wort auf die konkret gestellte Ansatz einer politischen E t h i k ANNOf".''\Ht'>N?uN „ S i n n f r a g e " . A l s notwendige die A s y l - und M i g r a t i o n s p o l i - A n a l y s e derartiger Verhaltensweisen fassen die Autoren in einem gesonderten K a p i t e l zur K u l t u r der Organisation der I G M e t a l l zusammen, welche sozialen und kulturellen P r a k t i - und macht diesen A n s a t z f ü r tik fruchtbar. V o n besonderem Albert-Peter Rethmann Interesse sind seine Ü b e r l e g u n gen zur B e d e u t u n g Asyl und Migration sozialer Bewegungen als Akteure sozialen Wandels und bei der gesellschaftlichen Erzeugung von W B A in ihrer Entstehung eher Ethik für eine neue Politik in Deutschland gestellungen der Bewegungs- behindern als f ö r d e r n . M ü n s t e r : L i t 1996 forschung werden M ö g l i c h k e i - ken eine erfolgversprechende Konsens. Im A n s c h l u ß an F r a - K u r z : Im Mittelpunkt des E r - ten v o n Christen als B e w e g u n g kenntnisinteresses und als Ver- und i n Bewegungen erörtert, einzelnen D e r A u t o r diskutiert a u s f ü h r - K a p i t e l steht die Fragestellung, l i c h die Ursachen von M i g r a t i - welche A s p e k t e und B e f u n d e on und Flucht (Teil 1) und die klammerung der aus der vielschichtigen lebens- Konturen w i e gesellschaftli- weltlichen Gewerkschaftsar- chen F o l g e n der M i g r a t i o n f ü r beit als erster Versuch relevant die Bundesrepublik. Diese ist sind und gegebenenfalls im trotz politischer Dementis, wie weiteren G e s t a l t u n g s p r o z e ß f ü r sie etwa die Bundesregierung die A k t e u r e bedacht werden noch heute formuliert, als E i n - können bzw müssen. Dem wanderungsland z u betrachten B u c h ist breite A u f m e r k s a m - (Teil 2). S c h o n die eher e i n f ü h - keit z u w ü n s c h e n . renden Teile sind - f ü r Disser- Regina tationen eher untypisch - we- Kröplin, Bremen. gen ihrer Systematik und Ü b e r sicht einer breiten Leserschaft zu empfehlen. Im Schwerpunkt steht f r e i l i c h die bemerkens- werte K o n z e p t i o n einer „politischen E t h i k in der pluralistischen Einwanderungsgesell- schaft" (Teil 3), an die sich Ü b e r l e g u n g e n f ü r eine „ P r o - zu einer P r o - M i g r a n t e n - B e w e gung beizutragen. D i e s e F r a gestellung w i r d ergänzt u m eine A n a l y s e der M i g r a t i o n i n der j ü d i s c h - c h r i s t l i c h e n Tradition. A u s ihr ergeben sich i n einer liberal-kommunitaristischen P e r s p e k t i v e A n s c h l ü s s e f ü r eine ethisch verantwortete A s y l - und M i g r a t i o n s p o l i t i k , etwa b z g l . ethisch unhintergehbarer M i n deststandards des A s y l r e c h t s , aber auch hinsichtlich v o n K i r chenasyl und K i r c h e als A s y l bewegung. Diese Ü b e r l e g u n gen werden a b s c h l i e ß e n d an die D i s k u s s i o n e n ü b e r m u l t i kulturelle Gesellschaft und ü b e r die notwendige A u s g e staltung des Staatsbürger- schaftsrechtes r ü c k g e k o p p e l t . A. K. M i g r a n t e n - B e w e g u n g in C h r i stentum und K i r c h e " (Teil 4) u n d die „ K o n z e p t i o n einer ethisch verantworteten Asyl- und M i g r a t i o n s p o l i t i k " (Teil 5) a n s c h l i e ß e n . D e r A u t o r rezipiert die kommunitaristische Gesellschaftskritik als neueren m 117 FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 Pollack, Dieter / Rink, Dieter (Hrsg.) debates w h i c h have most cha- den sich soziale Bewegungen racterized feminist theory to i n Ost- und Westdeutschland, date. Including articles as 'Por- und welche Sonderstellung hat nography and Fantasy', 'The dabei B e r l i n ? Solche und ä h n - B o d y and C i n e m a " , 'Nature as liche Fragen untersucht dieser F e m a l e ' , 'and A M a n i f e s t o f o r B a n d anhand C y b o r g s ' , F e m i n i s m s explores theoretischer Konzepte, e m p i - Politischer Protest in der DDR 1970-1989 thougths on sexuality as a do- rischer Untersuchungen main of exploration, the Visual innerdeutscher Vergleiche. D a - representation of women, what bei ist festzustellen: D e r Insti- F r a n k f u r t / M . : C a m p u s 1997 being a feminist means, and t u t i o n a l i s i e r u n g s p r o z e ß hat die Zwischen Verweigerung und Opposition D i e A u t o r e n geben einen E i n b l i c k i n die verschiedenen Formen des politischen Protests i n der D D R , die sich in den O p p o sitionsströmungen innerhalb der evangelischen K i r c h e n , der Kunst- und Literaturszene und der S E D herausgebildet haben. Sie zeigen, w i e es zur Entstehung v o n Protest und K r i t i k und z u m Ü b e r g a n g von vereinzelten Protestgruppen zum Massenprotest 1989 k a m . Insgesamt ist es e i n R e s ü m e e der j ü n g s t e n politikwissenschaftlichen und soziologischen F o r schung z u Protestformen der 70er und 80er Jahre in der D D R . Iii Squires, Judith / Kemp, Sandra (Eds.) Feminisms An Oxford Reader Spanning nearly two decades (1980-1996), the six sections of this reader investigate the und what feminists are increasin- 'alternativen' G r u p p e n beson- gly involved in political strug- ders i n Ostdeutschland i n sehr gles to negotiate the context kurzer Z e i t v e r ä n d e r t ; dennoch and meaning o f technological wurden sie nicht z u konventio- development. W i t h writing by nellen I n t e r e s s e n v e r b ä n d e n . bell hooks, A l i c e Jardine, and Andea Dworkin, Feminisms reflects the dynamic nature o f feminist debates and the genuine diversity within current f e minist theory. m Rucht, Dieter / Blättert, Barbara / Rink, Dieter (Hrsg.) Soziale Bewegungen auf dem Weg zur Institutionalisierung Zum Strukturwandel 'alternativer' Gruppen in beiden Teilen Deutschlands m Rainer Benthin Die Neue Rechte in Deutschland und ihr Einfluß auf den politischen Diskurs der Gegenwart F r a n k f u r t / M . u.a. L a n g 1996. D e r A u t o r analysiert die Neue Rechte mit M i t t e l n der B e w e gungsforschung und der D i s kursanalyse. A l s empirische Oxford: Oxford University Press 1997 verschiedener F r a n k f u r t / M . : Campus 1997 Grundlage dieser eher explorativen Studien dienen ausge- Was macht eine G r u p p e zur w ä h l t e B e i t r ä g e aus den ein- Bewegung und eine B e w e g u n g schlägigen Publikationen. zur Institution? W i e unterschei- F e i n d b i l d der N e u e n Rechten FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 sind die 68er und die N e u e n examine environmental issues Sozialen Bewegungen, als de- f r o m acultural perspective, this ple w i t h Disabilities? In: T h e ren Gegenbewegung sie sich innovative book adopts a c u l - A n n a i s , N o . 549, 10-23. verstehen lassen. „ M i t d e r N e u - tural studies approach to reach en Rechten konstituiert sich a deeper understanding of the Bearman, rechts v o m significance o f ecological is- oung eine intellektuelle Teilbewe- sues i n our lives. Jagtenberg D y n a m i c s o f M o v e m e n t Parti- gung, die zusammen mit ande- and M c K i e bring a body o f cipation. In: A m e r i c a n S o c i o - ren eine rechtsradikale 'Gegen- relevant literature into the de- logical Review, V o l . 62, N o . 1, bewegung' begründet. 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T h e author analyses protest using the concept of relative deprivation and arrives at the conclusion that usually those w h o have the most reasons to protest, are the least l i k e l y to articulate it. R e p l a c i n g the c o m m o n distinction between centre and periphery by that between i n c l u s i o n and exclusion enables one to see marginalisation both as a process and as a State o f exclusion. F r o m this one can further derive a differentiation between structural marginalisation, w h i c h is neither intended nor attributable, and Strategie marginalisation, w h i c h results f r o m the decisions o f other actors. Structural marginalisation may inhibit successful protest mobilisation as a result o f insufficient resources, a lack of generally acceptable frames of meaning, or unfavourable political opportunity structures. E v e n i f movements sueeeed in passing these barriers, Strategie marginalisation may prevent them f r o m realising their mobilisation potential. A s a result, H e l l m a n n arrives at a pessimistic conclusion regarding the future chances o f mobilisation. Roland Roth: The Return of the Social. New Social Movement, Poor People's Movements, and the Struggle for Civil Rights, FJ NSB, 2/97, pp. 38-50 In his article "The return o f the social", Roland Roth combines three theoretical Strands: social movements, poor people's movements, and the struggle f o r c i v i l rights. A c c o r d i n g to Roth, the c o m m o n conceptualisations of "new social movements" f a i l to take into account resource-poor groups and their social problems and demands. D r a w i n g on the A m e r i c a n discussion on poor people's movements he Sketches the success chances of spontaneous, disruptive, and radical protest f o r m s . Through them, access can be gained to resourceful actors and established organisations and to the moral, material, informational and integrative support that these may offer. In the Federal R e p u b l i c , as w e l l , R o t h sees new actors arising that may bring some "movement" into the stifling corporatist traditions of the social-political arena. T h e concept o f citizenship, that has become prominent i n recent debates, offers itself as a leading principle to guide political mobilisation f o r the recognition o f the demands o f marginalised groups. T h e struggle f o r social citizenship rights has Substantive, normative, and theoretical implications: research on social movements that incorporates marginalised groups and neglected demands may provide a counterweight against the increasing exclusiveness o f social citizenship rights and democratic participation. Stefan Pabst: Interest Mediation through Social Advocacy. Empirical Analyses of the Coverage of Poverty in the Journals of Private Welfare Organisations. FJ NSB, 2/97, pp. 51-62 Stefan Pabst investigates actors, aims, and strategies of "interest mediation through social advocacy" on the basis of an empirical analyses of the coverage of poverty in thejournals o f private welfare organisations (particularly the " P a r t i t ä t i s c h e r Wohlfahrtsverband" and "Caritas"). T h i s coverage is a funetion o f Strategie and political considerations. F r o m the internal perspective of the FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 123 organisations, its f u n c t i o n is to take the edge o f f the criticism o f member organisations and Professionals. A t the same time, the coverage in thejournals should improve the organisation's public image and secure f u n d i n g revenues. Political considerations lead to relatively moderate demands, not least in order not to endanger co-operative relations with the State. Recent (personnel) developments, however, show that the welfare organisations tend to develop a more conflictoriented approach towards the federal government, w h i c h among other things is expressed in public c r i t i c i s m o f the dismantling o f the welfare State and in the organisations' participation i n the " S o c i a l and E m p l o y m e n t S u m m i t " . Pabst draws the conclusion that private welfare organisations may succeed in m a k i n g poverty a topic of attention among the wider public. However, in doing so they also instrumentalise the poor f o r organisational interests and reduce them to the Status o f a clientele that is deemed incapable of independent political action. Friedhelm Wolski-Prenger: Marginality and Resistance. Protest by the Unemployed, FJ NSB, 2/97, pp. 63-69 F r i e d h e l m Wolski-Prenger and H a r a l d R e i n discuss current developments and future perspectives of protest by the unemployed. Friedhelm Wolski-Prenger Sketches the mobilisation problems of u n e m p l o y e d people's movements. O n l y a small part of the mass of unemployed participate i n the movement's activities. W o l s k i - P r e n g e r investigates the contextual constraints and the internal organisational, ideological, and Strategie differences among the various (religious, independent, unionist, and welfare-corporatist) "currents" within the movement of the unemployed. These actors share a commitment to alleviate the material, psychological, and social burdens of the unemployed. However, inadequate co-ordination, demarcation tendencies, as well as insufficient mutual interest, have resulted in the present lack of influence o f the movement. The author therefore draws a pessimistic conclusion f o r the future: the movement o f the unemployed can only gain more influence i f it sueeeeds in developing practicable Strategie concepts. These should include renewed attempts at co-ordination, a rapprochement among the various currents as well as a new alliance politics. Harald Rein: 'We are fighting for what we need'. Current developments and Future Perspectives of the Unemployed People's Movement, FJ NSB 2/97, pp. 70-75 H a r a l d Rein, on the contrary, arrives at a more positive assessment o f the potential of the unemployed people's movement. A l t h o u g h he acknowledges that a broad movement of the unemployed has thus far not developed, the author emphasises the underlying mobilisation potential and dismisses forms of social worker paternalism in m o b i l i s i n g the unemployed. T h e history of the emergence of the "Bundes arbeitsgemeinschaft der Initiativen gegen Arbeitslosigkeit und A r m u t " (National Association of Initiatives against U n e m p l o y m e n t and Poverty) shows that the political action of the unemployed conforms neither to the model of organised political lobbying, nor to the illusionary imagery of mass protest. Instead, one sees a multitude o f patterns of resistance, rooted in the practices o f daily l i f e and e v o l v i n g along social, economic and historical lines. T h e c o m m o n fixation on the spectacular has thus far obscured these developments f r o m view. f3§&&ESi FORSCHUNGSJOURNAL N S B , JG. 10, HEFT 2, 1997 Eric Hammann: For a Culture of Equality-in-Diversity. Self-organised Outpatient Services - The Association for the Integration of Disabled People', FJ NSB, 2/97, pp. 7689 D r a w i n g o n the example o f the "Verein zur F ö r d e r u n g der Integration Behinderter" ( A s s o c i a t i o n for the Integration o f D i s a b l e d People) E r i c Hammann argues f o r a "culture o f equality-indiversity". Self-organised outpatient Services, which have to strike a balance among the sectoral logics o f market, State, and private sphere, can be seen as institutional components o f c i v i l society. Traditional Services f o r the disabled are characterised by problem partitioning according to the logic o f bureaucratic rationality. Self-organised outpatient Services, on the contrary, o f f e r a democratic and humane alternative, w h i c h creates room f o r individual development as w e l l as f o r new forms o f (family) independent solidarity. T h e i r aim is to enable disabled people to make their own decisions on the aims, actors and t i m i n g o f the Service relation. However, to achieve this aim a changed understanding o f institutionalised care and a democratic perspective o n care relations are necessary. O n l y then can the social construct of "disability" and the concomitant marginalisation of those involved be transgressed. In eigener Sache: Förderverein ist als gemeinnützig anerkannt! D i e R e d a k t i o n des Forschungsjournals Neue Soziale Bewegungen arbeitet seit G r ü n d u n g der Zeitschrift auf rein ehrenamtlicher Basis. D a w i r ü b e r keine institutionelle A n b i n d u n g v e r f ü g e n , sind w i r gezwungen, uns aus eigener K r a f t die notwendigen Ressourcen f ü r die redaktionelle Arbeit zu verschaffen. Daher m ö c h t e n w i r Sie als Leserinnen und L e s e r einladen, unsere A r b e i t durch eine M i t g l i e d s c h a f t i n unserem F ö r d e r v e r e i n oder durch Spenden z u unterstützen. Der Verein h e i ß t Soziale Bewegungen - Verein der Freunde und Förderer politikwissenschaftlicher Publizistik und demokratischer Partizipation e. V. D e r Mitgliedsbeitrag b e t r ä g t j ä h r l i c h D M 120,-. In diesem B e i t r a g ist ein Jahresabo enthalten. Seit F r ü h j a h r 1997 ist unser Verein als g e m e i n n ü t z i g anerkannt, und so besteht die M ö g l i c h keit, M i t g l i e d s b e i t r ä g e und Spenden v o n der Steuer abzusetzen. Leserinnen und L e s e r des Journals, die dem Verein als M i t g l i e d e r beitreten, aber bereits ein Jahresabo besitzen, entstehen hierdurch i n Z u k u n f t keine doppelten Kosten. D e r Verein w i r d i n enger Kooperation mit der Redaktion und dem Westdeutschen Verlag f ü r eine u n b ü r o k r a t i s c h e A b w i c k l u n g sorgen. A u f Mitgliederversammlungen und A k t i v i t ä t e n des Vereins w i r d z u k ü n f t i g i m Forschungsjournal hingewiesen. Weitere Informationen (Vereinssatzung etc.) k ö n n e n bei der R e d a k t i o n angefordert werden. W i r hoffen, d a ß dieser W e g der F ö r d e r u n g v o n unseren L e s e r i n n e n und Lesern lebhaft genutzt w i r d . D i e Herausgeber und die R e d a k t i o n des Forschungsjournals Neue Soziale Bewegungen Kontakt: L u d g e r K l e i n , Im Erlengrund 1, 53757 St. A u g u s t i n , T e l : 02241/ 330583 Aus dem Programm Sozialwissenschaften Sludien zur Soziataissenschali Rodrigojokisch LOGIK DER DISTINKTIONEN ZURPROTOLOGIK EINER THEORIE DER GESELLSCHAFT Andreas Diekmann / C a r l o C . Jaeger (Hrsg.] Umweltsoziologie 1996. 5 8 4 S. (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 36) Kart. D M 7 9 , 5 0 ISBN 3-531-12688-1 Dieser Band gibt einen Uberblick über den aktuellen Forschungsstand der Umweltsoziologie im internationalen Rahmen und unter Einschluß von Nachbardisziplinen. Michael Schwab-Trapp Wesldeutscher Verlag Rodrigojokisch Logik der Dlstinktionen Zur Protologik einer Theorie der Gesellschaft 1 9 9 6 . 4 2 3 S. (Studien zur Sozialwissenschaft, Bd. 171) Kart. D M 7 6 ISBN 3-531-12804-3 Der Autor schlägt vor, Gesellschaft mil Hilfe des Begriffes der Distinktion zu beobachten. Dieses Konzept wird an so grundlegenden Sachverhalten wie „Form", „Komplexität", „Selbstreferenz" und „Beobachtung" erprobt, sowie an den Theoriearchitektoniken der Theorie sozialer Systeme (N. Luhmann), der Theorie des allgemeinen Handlungssystems (T. Parsons) und der Theorie kommunikativen Handelns (]. Habermas). O b wohl ihr Ausgangspunkt in der soziologischen Thematik liegt, läßt sich die bewußt allgemein angelegte Theorie nicht ausschließlich auf soziologische Themen beziehen. Konflikt, Kultur und Interpretation Eine Diskursanalyse des öffentlichen Umgangs mit dem Nationalsozialismus 1996. 2 4 6 S. (Studien zur Sozialwissenschaft, Bd. 168) Kart. D M 4 8 ISBN 3-531-12842-6 Die Legitimität des politischen Systems der Bundesrepublik bedarf einer beständig aufs Neue zu leistenden symbolischen Abgrenzung zum N a tionalsozialismus. W o frühere oder gegenwärtige Verfehlungen einzelner Repräsentanten des politischen Systems öffentlich bekannt werden, entbrennen Konflikte um die normative Angemessenheit ihrer Handlungsweisen. Die Akteure solcher Konflikte ringen in ihrem Bezug auf die Vergangenheit um Macht, Legitimität und Anerkennung in der Gegenwart. In diesen Auseinandersetzungen wird eine „legitime Sichlweise der Vergangenheit" erzeugt, die dem politischen Handeln der Gegenwart Optionen eröffnet und Restriktionen auferlegt. Die Erzeugung solcher Sichtweisen ist Gegenstand dieser Untersuchung. WESTDEUTSCHER VERLAG Abraham-L'ncoin-Slr. 46 6 5 1 8 ° Wiesbaden Fax [06 111 78 78 - 420 I Aktuelle Neuerscheinungen Alexander Siedschlag Neorealismus, Neoliberalismus und postinternationale Politik Beispiel internationale Sicherheit Theoretische Bestandsaufnahme und Evaluation 1997. 4 9 8 S. (Studien zur Sozialwissenschaft, Bd. 169] Kart. D M 9 8 ISBN 3-531-12916-3 Das Ende des Kalten Kriegs hat in der Politikwissenschaft zwei Generaldebatten ausgelöst: diejenige um die Zukunft internationaler Sicherheil und Sicherheitspolitik sowie die um die entsprechende Theorie und Methode. Diese Studie will beides verbinden. Die drei großen Paradigmen Neorealismus, Neoliberalismus und Postinternationalismus werden dabei systematisch auf Aspekte der globalen, regionalen und nationalen Dimension internationaler Sicherheit nach dem Ende der bipolaren Welt angewandt. Gerhard Göhler (Hrsg.) Institutionenwandel 1997. 2 8 5 S. (Levialhan-Sonderheft 1 6 / 9 6 ) Kart. D M 5 4 ISBN 3-531-12936-8 Unsere Zeit ist in besonderem Maße durch Institutionenwandel geprägt. Im Blickpunkt stehen die vielfältigen und häufig schwer durchschaubaren Prozesse des Institutionenwandels in Mittel- und Osteuropa. Die Beiträge machen in vergleichender Perspektive deutlich, welche Formen des Institutionenwandels unsere Gesellschaften am Ende des 2 0 . Jahrhunderts kennzeichnen und wie die Sozialwissenschaften sie begreifen. V O N DER BLOCKPARTEI Z U R VOLKSPARTEI? Ute Schmidt Von der Blockpartei zur Volkspartei? Die OstGDU im Umbruch 1989 - 1 9 9 4 1997. 4 0 6 S. (Schriften des Zentralinstituts für sozialwiss. Forschung der FU Berlin, Bd. 81) Kart. D M 7 2 ISBN 3-531-12931-7 Fünf Jahre nach der deutschen Vereinigung brechen in der ostdeutschen C D U Konflikte auf, die zeigen, daß der Wandel von der Blockpartei zur Volkspartei westdeutschen Zuschnitts noch keineswegs abgeschlossen ist. Die Arbeit von Ute Schmidt liefert eine anschauliche und quellenfundierte Analyse des Umbruchs und der Strukturierungsprozesse in der ostdeutschen C D U . Ausgangspunkt ist die Frage, wie aus der heterogenen Gemengelage politischer Kräfte eine politikfähige Partei entstehen kann. WESTDEUTSCHER VERLAG Abraham-tmcoln-Str 46 65189 Wiesbader. Fox {06 11J 73 7 8 - 4 2 0 JKKP- Alternative Kommunal Politik - Bin Muß für alle, die In der Kommunalpolitik akfk sind! Die grün-alternative Fachzeitschrift AKP - Alternative Kommunalpolitik ist die Top-Adresse für Menschen, die in diesem Bereich politisch oder beruflich tätig sind. K e i n aufgeregtes Materialiensuchen mehr - alles ist schon einmal i n der A K P oder unserem "Handbuch für alternative Kommunalpolitik" oder unserem Buch "Politik mit leeren Kassen" behandelt worden. Jede Ausgabe der Zeitschrift enthält auf 68 Seiten ein Schwerpunkt-Thema, zahlreiche Fachbeiträge, einen M a g a z i n - und Nachrichtenteil, eine Materialienbörse, Rezensionen und Stellenanzeigen. Die A K P erscheint 6 x pro Jahr; das Abo kostet 66.- D M . Kostenloses Probeheft und Katalog anfordern bei: AKP- Redaktion und Vertrieb, Luisenstr. 40, 33602 Bielefeld, 0) 0521/177517 • 0521/177568 Denken und Handeln Gerhard de Haan / U d o Kuckartz Umweltbewußtsein Denken und Handeln in Umweltkrisen 1996. 3 0 3 S. Kart. D M 4 8 , — ISBN 3 - 5 3 l - l 2 8 0 8 - 6 Die Bevölkerung ist in hohem Maße umweltbewußt. Dennoch zeigt der Einzelne kaum ein umweltverträgliches Verhalten. W i e kommt es zu diesem Mißverhältnis? W a s wissen wir über das Denken und Handeln in der Umweltkrise? Um hier zu genaueren Einsichten zu gelangen, wurden mehrere hundert empirische Studien zum Umweltbewußtsein und -verhalten verglichen und analysiert. Die Autoren haben das Knäuel der oft widersprüchlichen Resultate entwirrt und systematisiert. Das Ergebnis: Zu wenig wurde bisher berücksichtigt, daß die Gewohnheiten des einzelnen, sein Lebensstil, sein Risikobewußtsein und sein Bedürfnis nach Wohlbefinden ihn am umweltgerechten Verhalten hindern. Der Band bietet neue Perspektiven zur Entwicklung eines nachhaltigen Umweltbewußtseins. in Aktuelle Neuerscheinungen Dieter Ohr NATIONAL. SOZIALISTISCH! PROPAGAN DA UND WEIMARER WAHLiN EMPIRISCHE ANALYSEN ZUR WIRKUNG V O N NSDAP-VERSAAAMLUNGEN Wesldeulscher Verlag Ludger Helms Wettbewerb und Kooperation Zum Verhältnis von Regierungsmehrheit und Opposition im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren in der BRD, Großbritannien und Österreich 1997. 238 S. (Studien zur Sozialwissenschaft, Bd. 191) Kart. D M 5 2 ISBN 3-531-13053-6 Die Akteure Regierungsmehrheit und Opposition besitzen nicht nur eine wichtige Orienlierungsfunktion für den politischen Meinungsbildungsprozeß der Bürger, sondern stehen zugleich im Zentrum des politischen Entscheidungssystems parlamentarischer Demokratien. Die Studie bietet einen systematischen Überblick über die Ansätze und Ergebnisse der einschlägigen Forschung. Dieter Ohr Nationalsozialistische Propaganda und Weimarer Wahlen Empirische Analysen zur Wirkung von NSDAP-Versammlungen 1997. 2 7 8 S. (Studien zur Sozialwissenschaft, Bd. 180) Kart. D M 5 8 ISBN 3-531-13006-4 Welche Rolle die nationalsozialistische Propaganda für den Aufstieg der NSDAP in den Weimarer Wahlen spielte, ist nach wie vor umstritten. Systematische empirische Untersuchungen zur Wirkung der NSDAP-Propaganda auf das WählerverhaTten liegen bislang kaum vor - eine Lücke, die diese Untersuchung zu schließen versucht. Sie geht der Frage nach, welchen Anteil die nationalsozialistischen Propagandaversammlungen an den Wahlerfolgen der NSDAP hatten. Harold Hurwitz, unter Mifarb. von Ursula Böhme und Andreas Malycha Die Stabilisierung der SED Zum Verlust von Freiräumen und sozialdemokratischer Identität in den Vorständen 1946 - 1 9 4 9 1997. 5 1 4 S. (Schriften des Zentralinstituts für sozialwiss. Forschung der FU Berlin, Bd. 79) Kart. D M 9 4 ISBN 3-531-12772-1 Die Sfalinisierung der SED begann nicht, wie oft angenommen, im Jahre 1948 als Reaktion auf den Kalten Krieg. Freiräume zum relativ offenen Diskurs in den paritätisch besetzten Führungsgremien wurden in einem komplexen VierPhasen-Prozeß zuerst eingeschränkt, dann schrittweise eliminiert. WESTDEUTSCHER VERLAG Abraham-Lincoln-Str 46 65189 Wiesbaden Fat {Ob 11)78 7 8 - 4 2 0