zkm_gameplay
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zkm_gameplay start new game ! Bernhard Serexhe ZKM_Gameplay Die Game-Plattform im ZKM Eröffnung des ZKM im Jahr 1997 Der Bereich Welt der Spiele gehört seit jeher zum ZKM © ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Foto: ONUK Zu allen Zeiten haben Menschen gespielt, ja, man könnte sagen, dass die gesamte Entwicklung des Menschen, als Individuum wie als Gattung, sein Mensch-Werden, ganz wesentlich auf dem Spielen beruht, auf dem zweckfreien oder zielgerichteten, lustvollen und ungezwungenen Ausprobieren seiner Fähigkeiten, seiner sozialen Kompetenz und dem Austesten und beständigen Erweitern seiner Grenzen. Spielend erkunden Kinder ihre Umgebung, und ebenso spielend erlernen Jugendliche wie Erwachsene die materiellen und sozialen Bedingungen unserer komplexen Welt. Das Spiel als Medium stand daher schon in den frühesten Konzepten im Blickpunkt des ZKM. Seit Mitte der 1990er Jahre hat das ZKM | Medienmuseum gezielt Videound Computerspiele in seine Sammlung aufgenommen. Und bereits seit seiner Eröffnung 1997 widmete das Medienmuseum eine ganze Museumsabteilung der Welt der Spiele, in der Besucher aller Altersstufen in unzähligen Computerspielen die Mythen und Aktionsformen der aufkommenden digitalen Kultur erkunden konnten. Bereits 1999 verlinkten sich im Foyer des ZKM hunderte von Gamern zu nächtelangen LAN-Parties. Und immer wieder zeugten Computerspiele in Ausstellungen des ZKM vom zunehmenden Interesse der Kunstwelt an diesem Genre. Welt der Spiele – reloaded hieß dann auch die im Rahmen der wegweisenden Ausstellung Die algorithmische Revolution (2004) eingerichtete zweite Edition der Spieleabteilung des Medienmuseums. Waren schon vor der Jahrtausendwende Computer- und Videospiele längst zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor 3 geworden, so lässt sich heute an deren enormer Verbreitung nicht nur der rasante technische Fortschritt ablesen, sondern auch die gestiegene Bedeutung des Computerspiels als allgemeine Kulturtechnik. In der Jugendkultur sind Computerspiele eines der Leitmedien der digitalen Gesellschaft geworden. Deshalb haben weltweit Design- und Kunsthochschulen Studiengänge eingeführt, in denen die Produktion und Gestaltung von Computerspielen erlernt werden können. Durch ihre massive Verwendung in allen öffentlichen Medien sowie in der Werbung und der Filmindustrie im Besonderen, prägen Computerspiele zunehmend unsere Bilder von realen und virtuellen Welten. Der Einsatz digitaler Techniken in der Kunst lässt sich nicht von jenem im Computerspiel unterscheiden. Schon immer haben sich KünstlerInnen kreativ und lustvoll mit den Möglichkeiten des Spiels auseinandergesetzt und damit wesentlich zur Weiterentwicklung von Computerspielen beigetragen. Gleichzeitig haben sie sich in subversiv umgenutzten Game Engines und selbst programmierten Art Games die neuesten Techniken des Gameplay angeeignet, um einer differenzierten und kritischen Sicht Ausdruck zu verleihen. Hieraus haben sich in den letzten beiden Jahrzehnten mit den Art Games und den Serious Games neue Spiele-Genres entwickelt, die eher in Ausstellungen und auf Festivals zu entdecken als in den Game Conventions der Spieleindustrie zu finden sind. Wenn das ZKM im Juni 2013 mit ZKM_Gameplay seine dritte große Game-Plattform eröffnet, so möchte es hiermit seinem Publikum und vor allem der Fangemeinde seiner Gamer aller Altersstufen die Vielfalt neuer Strömungen und Genres im Computerspiel öffnen. Die neue Game-Plattform des ZKM eröffnet vielfältige Möglichkeiten, sowohl gängige, wie auch historische kommerzielle Computerspiele zu entdecken, als auch – unabhängig von deren Markterfolg – Spiele kennenzulernen, bei denen die kreativ-künstlerische Auseinander setzung im Mittelpunkt steht. 4 ZKM_Gameplay ist daher auch keineswegs die Kinderabteilung des Medien museums. Diese Plattform ist für alle unsere BesucherInnen konzipiert; sie bietet allen BesucherInnen spielerisch Zugang zu faszinierenden Welten des Spiels. Und sie ist eine Plattform im Fluss, die sich durch beständigen Wandel an aktuelle Spiele und Themen anpasst. Start New Game! Welt der Spiele 1997 Die obere Etage des ZKM | Medienmuseums bekommt 2013 ein neues Gesicht: ZKM_Gameplay – eine neue Plattform zu digitalen Spielen und experimentellen Spielformen © ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Stephan Schwingeler Start New Game! Kuratorische Bemerkungen zur Game-Plattform ZKM_Gameplay Feng Mengbo: Long March: Restart in der Installationsansicht des MoMA PS 1 im Jahr 2010 ZKM_Gameplay zeigt das Kunstwerk in einer 16 Meter langen Version Foto: courtesy of Feng Mengbo Das ZKM | Medienmuseum als Vorreiter Seit der Eröffnung des ZKM im Jahr 1997 sind Computer- und Videospiele im ZKM | Medienmuseum ausgestellt, da sie einen wesentlichen Teil einer durch Digitalisierung geprägten Lebenswelt repräsentieren. Damit nimmt das ZKM | Medien museum eine deutliche Vorreiterrolle z.B. gegenüber dem New Yorker Museum of Modern Art ein, das erst seit November 2012 Computer- und Videospiele unter dem Aspekt des Interaktionsdesigns in seine Sammlung aufgenommen hat./1 Das ZKM hat die Relevanz des Computerspiels früh entdeckt und die Wirkmacht des Mediums verstanden. Der Lehrer und Sozialpädagoge Friedemann Schindler und der Designer Frank den Oudsten beginnen schon 1995 mit der Konzeption einer Dauerausstellung, die die als vielschichtig identifizierten Ebenen des Mediums Computerspiel abbilden soll. Die bisherige Welt der Spiele ist durch Friedemann Schindler besonders aus der (medien)pädagogischen Warte geprägt. Schindler und den Oudsten haben verschiedene Problematiken in Form von Installationen adressiert (z.B. reflektiert die Arbeit Licence to Kill Gewaltdarstellungen in den Medien). Die Ausstellung Welt der Spiele bietet den Ausgangspunkt für die neue Plattform ZKM_Gameplay. Das digitale Spiel hat sich weiterentwickelt und stark verändert. Zwischen Klassikern wie Pong (1972), Pac-Man (1980) und aktuellen Titeln wie Heavy Rain (2012) liegen technische, ästhetische und nicht zuletzt wirtschaftliche Welten. Das Computerspiel hat sich in mannigfaltige Variationen, Genres, Facetten – und auch Kunstszenen – aufgefächert und ist damit 7 zu einer komplexen Mediengattung avanciert. Das Computerspiel hat im Laufe seiner Geschichte ein spezifisches Repertoire an Ausdrucksformen entwickelt. ZKM_Gameplay im ZKM | Medien museum zeigt diese Entwicklungen und präsentiert das Computerspiel als Medium, das ein eigenständiges Selbstbewusstsein ausprägen konnte und in eine Phase der Reflexion eintritt./2 Zwei Pole des Spiels: Game und Play Im Deutschen bezeichnet das Wort Spiel mindestens zwei Dinge, die im Englischen mit den Worten game und play bezeich net werden./3 Mit game ist meistens ein bestimmtes Spiel gemeint, während play auch das Spielen als Aktivität bezeich net. Das game folgt bestimmten Regeln, während das play eine freie Betätigung ist. Gameplay wiederum bezeichnet die Art und Weise, wie der Spieler mit einem Spiel interagiert. Es handelt sich also um eine rezeptionsästhetische Kategorie: Die Entfaltung der Spielerfahrung in der subjektiven Wahrnehmung des Spielenden. Ein gutes Gameplay ist das wichtigste Qualitätsmerkmal eines Spiels – egal ob analog oder digital. Dieser vielschichtige Begriff des Gameplay bezeichnet den neu gestalteten Bereich im ZKM | Medienmuseum, der das digitale Spiel und das Spielerische zum Thema hat. Medienreflexion als zentrale Aufgabe Das Medium des Computerspiels wird in ZKM_Gameplay hinterfragt. Dies geschieht, indem die Potenziale des Computerspiels in den Mittelpunkt rücken, anstatt seine Konventionen zu zementieren. Die Auswahl der Exponate hat einen starken Fokus auf experimentelle, unkonventionelle und künstlerische Formen des Computerspiels. Mit der Konzentration auf diese Potenziale des Mediums zeigt sich die Vielschichtigkeit des Gegenstands in aller Deutlichkeit und lässt seine Wesensmerkmale zu Tage treten. Der Begriff der Medienreflexion nimmt in der Neukonzeption der Plattform einen zentralen Stellenwert ein. Die Games werden mit einem kritischen Blick betrachtet. Die Präsentation von Computerspielen soll dazu beitragen, das Medium zu erforschen und seine Implikationen, Bedingtheiten und Wesensmerkmale zugänglich und verständlich zu machen. Damit trägt ZKM_Gameplay zu einem gesellschaftlichen Bewusstseinsbildungsprozess bei und vermittelt mannigfaltige Kompetenzen im Umgang mit dem Medium. Auf diese Weise nimmt das ZKM | Medien museum an öffentlichen Diskursen teil und kann diese mitprägen und gestalten. ZKM_Gameplay präsentiert die ausgestellten Computerspiele und Kunstwerke – wenn möglich – in interaktiver, spielbarer Form. Die BesucherInnen des ZKM sind dazu eingeladen, die Games miteinander zu spielen und sich auf die Werke der Game Art einzulassen. Ein Spiel, das nicht gespielt wird, befindet sich in einem seltsamen Zustand der Schwebe. Das ungespielte Computerspiel existitiert nur als statischer Code. Erst in der Verwendung des Spiels entfaltet das Medium sein Potenzial. Alexander Galloway hat dies auf dem Punkt gebracht – seine Einsicht zur Theorie des Computerspiels lautet: »video games are actions.«/4 Und genau dafür steht auch ZKM_Gameplay. Neue Entwicklungen seit der Konzeption der Welt der Spiele Seit der ursprünglichen Konzeption der Ausstellung Welt der Spiele (und einer Aktualisierung als reload im Jahr 2004) haben Entwicklungen in Wissenschaft, Kunst und Wirtschaft eingesetzt, die wesentliche Einflüsse auf die Konzeption von ZKM_Gameplay haben. 8 Wissenschaft: Entwicklung der Game Studies Ausgehend von der großen kulturellen und wirtschaftlichen Wirkmacht der Games hat sich eine kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand des Computerspiels entwickelt, der über eine pädagogische Perspektive hinausgeht und nach ›Bedeutungen‹ der Games fragt. Die sich ab ca. 1999 formierenden Game Studies nehmen Computer spiele als vielschichtige Gegenstände und ausdrucksstarke Artefakte wahr./5 Die aus den Game Studies stammenden theoretischen Einflüsse stellen ein wichtiges wissenschaftliches Fundament für ZKM_Gameplay dar. Im Zuge der Theore tisierung des Spiels ist – wenn auch in Ausnahmen – die Kunstgeschichte / Kunstwissenschaft auf den Gegenstand aufmerksam geworden und hat begonnen, diesen kritisch zu bearbeiten./6 Wichtiges Ergebnis: Die enge Verwandtschaft von interaktiver Medienkunst und Computerspielen ist heute anerkannt. /7 Heinrich Klotz, Gründungsdirektor des ZKM, bescheinigt schon 1997 der gesamten Gattung der interaktiven Medienkunst spielerischen Charakter. Klotz betrachtet das spielerische Moment der interaktiven Medienkunstwerke als Besonderheit und verweist indirekt auf die strukturellen Gemeinsamkeiten von Kunst und Spiel, die sich durch Freiheit bei gleichzeitiger Regelgerichtetheit auszeichnen. So schreibt er Bezug nehmend auf Johan Huizingas Publikation Homo ludens /8 über Jeffrey Shaws Kunstwerk The Legible City (1988—1991): »Und das Ganze hat etwas Spielerisches. Das Kunstwerk ist wieder Spiel geworden, der Mensch ein Homo ludens.«/9 Klotz unterscheidet deutlich zwei Modi des Kunstwerks, die eine jeweils spezifische Form der Rezeption erfordern: Sehen statischer Bilder und Handeln mit bewegten Bildern: »Das bewundernde Verstummen angesichts reinen Sehens tritt zurück gegenüber der Entdecker- und Handlungsfreude interaktiver Aufforderung: Die Grenze zum Spiel wird überschritten. Die Freiheit des intellektuell sinnlichen Spiels kann genossen werden. Interaktion ist niemals Ruhe der Anschauung, sondern immer bewegtes Bild, Handeln, spielendes Verändern der Vorgaben innerhalb begrenzter Möglichkeiten.«/10 Kunst: Computerspiele als künstlerisches Material Ab ca. 1995 beginnen KünstlerInnen mit dem Medium Computerspiel als Material umzugehen und/oder die von Games ausgehenden kulturellen Einflüsse aufzugreifen und mittels anderer Medien zu verarbeiten./11 Als erstes Beispiel einer künstlerischen Auseinandersetzung mit Computerspielen kann Orhan Kipcaks und Reinhard Urbans Computerspiel modifikation Arsdoom (1995) gelten. Unter dem Etikett der Game Art ist seitdem ein reicher Fundus an künstlerischen Arbeiten entstanden. Zahlreiche Ausstellungen, die sich seit 1999 Computerspielen und künstlerischen Auseinandersetzungen mit Computerspielen gewidmet haben, können dies untermauern./12 Es lassen sich Kunstwerke international bedeutsamer KünstlerInnen mit Bezug zu Computerspielen anführen – darunter z.B. Feng Mengbos Long March: Restart (2008) oder auch Bill Violas The Night Journey (2010). Diese künstlerischen Positionen abzubilden, zu dokumentieren und zu begleiten ist eine zentrale Aufgabe von ZKM_Gameplay. Wirtschaft: Indie Games als Alternative zum Mainstream-Computerspiel Natürlich haben auch kommerzielle Computerspiele in ZKM_Gameplay ihren prominenten Platz, da das Computerspiel seine größte Ausprägung im unterhaltungsindustriellen Bereich hat. Digitale Spiele sind – eingespannt in eine global agierende Unterhaltungsindustrie – wirtschaftlich bedeutsame Produkte, die in ihrer Beliebtheit mit dem Hollywood-Kino konkurrieren und dessen Bild- und Klangwelten gleichzeitig ästhetisch beeinflussen – sowie von diesen beinflusst werden. Computerspiele sind darüber hinaus eine Triebfeder innovativer technischer Entwicklungen und sind ein Grund 9 für die stetige Leistungssteigerung von Hardware, die selbstverständlich ebenfalls im Rahmen von Marktinteressen zu verstehen ist. Parallel zur künstlerischen Entwicklung und Kunstgeschichte des Mediums zeigt sich, dass auch kommerzielle Spiele die Charakteristika und die Konventionen des Mediums auszuloten und zu hinterfragen beginnen. Computerspiele befinden sich zurzeit in einer Phase der Selbstbeobachtung und Selbstreflexivität, in der sie sich für allerlei Experimente zu öffnen beginnen. Diese Tendenzen lassen sich vor allem in einer ›unabhängigen‹ aber dennoch auf Marktinteressen ausgerichteten Independent Games-Szene ausmachen. Diese sogenannten Indie Games halten Alternativen zu Mainstream Computerspielen bereit. Ein Fokus von ZKM_Gameplay liegt auf diesen Spielen, die teilweise von einzelnen oder wenigen Autoren stammen und individuelle Positionen darstellen. Dazu gehören Games wie Jason Rohrers Passage (2007), Krystian Majewskis Trauma (2010) oder Ed Keys und David Kanagas Proteus (2009—12). Als Beispiele – auch für finanziell erfolgreiche Alternativtitel sei auf Markus »Notch« Perssons Minecraft (ab 2009) sowie Journey (Jenova Chen, thatgamecompany, 2012) verwiesen. Die Indie Games verfügen heute über eigene Festivals, Infrastrukturen, finanzielle Mittel usw. Indie Games loten das Medium oft in einer stärkeren Qualität aus als es die sogenannten AAA-Titel der großen Publisher tun. Hier zeichnet sich eine ähnliche Struktur ab, die auch im Verhältnis des Studiosystems in Hollywood zu seinem kleineren Pendant des scheinbar unabhängigen Independent Films zu beobachten ist. In ZKM_Gameplay werden kommerzielle Spiele ausgestellt, die sich z.B. auszeichnen durch eine besonders kreative Spiel idee, einen interessanten experimentellen Anspruch, große kulturelle Wirkmacht oder ein besonderes Bewusstsein der eigenen Mittel und Ausdrucksformen. Ernste Spiele – Serious Games Daneben zeigen so genannte Serious Games wie z.B. Jens M. Stobers 1378(km), das die Situation von Flüchtlingen an der deutsch-deutschen Grenze thematisiert, sowohl die politischen Implikationen als auch didaktischen Potenziale des Computerspiels. Computerspiele transportieren Inhalte, Bedeutungen und Ideologien und können demnach ein politisches Medium sein, im positiven, aufklärerischen wie im verführenden, propagandistischen Sinne./13 Sie fungieren zudem als Sozialisationsagenten und bieten SpielerInnen Angebote zur Identifikation an. Computer spiele stellen eine populäre Form dar, durch die sich gesellschaftlich relevante Prozesse von Medienumbrüchen und Digitalisierung anschaulich präsentieren lassen. All dies wird In ZKM_Gameplay aufgezeigt. selbstreflexive Phase einsetzen oder sich vorbereiten kann.« (Hensel 2011a, S. 56. Lorenz Engell zitiert nach: Engell 2001, S. 52 und 54). Lorenz Engell unterscheidet vier Phasen medialer Entwicklung: 1. Spektakuläre Phase. 2.Phase des Selbstentzugs und Fremdorientierung: Fotografie orientiert sich an Malerei, Film orientiert sich am Theater, das Computerspiel orientiert sich am Film. 3.Phase der Selbstverständlichkeit: Das Medium verschwindet aus dem Medium und verzichtet darauf, sich selbst zur Sprache zu bringen, indem es in »Transparenz« aufzugehen gedenkt. 4.Phase der verstärkten Selbstbeobachtung und Selbstreflexivität, Selbstthematisierung, Selbstkritik, Avantgardebildung und Öffnung des Mediums für die Kunst. Vgl. Engell 2001. — Anmerkungen /1 Vgl. http://www.moma.org/explore/ inside_out/2012/11/29/video-games14-in-the-collection-for-starters/ [04.05.2013]. /2 »Tatsächlich befindet sich das Computerspiel gemäß der Diktion von Lorenz Engell, der Medien in vier Phasen sich entwickeln sieht, in seiner vierten Phase, derjenigen der ›verstärkten Selbstbeobachtung und Selbstreflexivität‹. Das Medium entwickelt›Zugriff auf sich selbst, auf seine vergangenen Entwicklungsphasen, auf das in ihrem Verlauf entwickelte Regelwerk etwa, und setzt sich selbst damit auseinander. In vielen Fällen kommt es dabei z. B. zu einer Zeit der experimentellen Erprobung und Erweiterung der eigenen technischen, ästhetischen und pragmatischen Möglichkeiten. [ … ] ein Ästhetisierungsvorgang, der häufig als Avantgardebildung formalisiert wird. Die Öffnung des Mediums für die Kunst [ … ] ist etwa eine typische Verlaufsform, mit der die 10 /3 In Les Jeux et les Hommes (1958) prägt der französische Soziologe und Philosoph Roger Caillois die Begriffe ludus und paidia für die beiden Pole des regelgerichteten und freien Spiels, die wiederum mit game und play korrespondieren. Vgl. die deutsche Ausgabe Caillois 1982, S. 20. /4 Galloway, Alexander R.: Gaming. Essays on algorithmic culture, Minneapolis, 2006, S. 2. /5 Zur interdisziplinären Entwicklung der Game Studies vgl. Kücklich, Julian: Invaded Spaces. Anmerkungen zur interdisziplinären Entwicklung der Game Studies, in: Siegener Periodicum zur internationalen empirischen Literaturwissenschaft - SPIEL, Bd. 23: Nr. 22004, S. 285—304. Vgl. zudem Aarseth 2001, Perron/Wolf 2003, Raessens/Goldstein 2005, Mäyrä 2008, Perron/Wolf 2009. /6 Hier sind insbesondere bildwissenschaftliche Arbeiten hervorzuheben: Vgl. Schwingeler 2008, Hensel 2008, Schwingeler/ Gehring 2009, Lohoff/Schwingeler 2009, Hensel 2011, Hensel 2011a, Beil 2012. /7 Der Australier Jason Wilson verfolgt eine gemeinsame medienarchäologische Linie von Nam June Paiks (1932—2006) TV-Arbeiten und frühen Computerspielen wie Pong, die sich nicht nur eine gemeinsame Entstehungszeit teilen, sondern die auch vor einem Zeitgeist und den Verheißungen des »technological uto pianism« im Kontext der 1960er und 70er Jahre gelesen werden können. Damit ist eine Gemeinsamkeit zwischen digitalen Spielen und interaktiver Medienkunst auch historisch belegt. Vgl. Wilson 2007, S. 123—185; Wilson 2006. In einem Aufsatz von 2009 bringt Söke Dinkla Computer spiele und interaktive Medienkunst deutlich in Verbindung, ordnet sie unterschiedlichen Kontexten (Unterhaltungsindustrie vs. Kunstwelt) zu und bezeichnet sie als »(un)gleiches Geschwisterpaar«. Interaktive Medienkunst ist deutlich dem Kunstkontext zuzuordnen, während Computerspiele im Kontext der Unterhaltungsindustrie stattfinden (Dinkla 2009). KünstlerInnen überführen aber Computerspiele in den Kontext des Kunstsystems und machen sich dazu verschiedene Strategien zu Nutze. Heute gibt es künstlerische Computerspiele, die sowohl dem Kontext der interaktiven Medienkunst als auch dem Kontext des Computerspiels zuzuordnen sind. Damit ist eine konstruierte Trennung zwischen interaktiver Medienkunst und Computerspielen prinzipiell obsolet. Inge Hinterwaldner bemerkt in Das systemische Bild: »Diese Trennung in Computerspiele einerseits und interaktive Kunst andererseits lässt sich heute nicht mehr aufrechterhalten, da es künstlerische Computerspiele gibt« (Hinterwaldner 2010, S. 80). /8 Die Erstausgabe von Homo ludens stammt aus dem Jahr 1938. Vgl. Huizinga, Johan: Homo ludens: vom Ursprung der Kultur im Spiel, Reinbek bei Hamburg, 1987. 11 /9 Klotz, Heinrich [Hrsg.]: Kunst der Gegenwart, München, New York, 1997, S. 27. /10 Klotz, Heinrich [Hrsg.]: Kunst der Gegenwart, ebd., S. 23. /11 Zu künstlerischen Strategien vgl. Schwingeler, Stephan: Kunst mit Computerspielen: Künstlerische Strate gien und kunsthistorische Bezüge, in: Wimmer, Jeffrey, Mitgutsch, Konstantin und Rosenstingl, Herbert [Hrsg.]: Applied Playfulness. Proceedings of the Vienna Games Conference 2011: Future and Reality of Gaming, Wien, 2012, S. 219—235. /12 Eine exemplarische Auswahl von Ausstellungen, die künstlerische Computerspiele und Computerspielmodifikationen gezeigt haben sind z.B. Synreal in Wien (1999), Cracking the Maze (online, 1999), The Game Show (Mass MoCA, North Adams, 2001-2002), Games – Computer spiele von KünstlerInnen (Phoenix Halle, Dortmund, 2003), GameArt (Völklinger Hütte, Völklingen, 2003) oder Artgames (Ludwigforum, Aachen, 2005). Folgende miteinander verwandte Ausstellungen fanden als Ausstellungstrilogie im LABoral Centro im spanischen Gijón statt: Gameworld (2007), Playware (2007—2008) und Homo Ludens Ludens (2008). Schon 1989 werden Computerspiele ausgestellt. Die von Rochelle Slovin kuratierte nicht-künstlerische, technik-historische Ausstellung Hot Circuits: A Video Arcade (06. Juni 1989 bis 20. Mai 1990) zeigte frühe münzbetriebene Spielautomaten im Museum of the Moving Image in New York. /13 Vgl. Schrape, Niklas: Die Rhetorik von Computerspielen: Wie politische Spiele überzeugen, Frankfurt am Main, 2012. Adam Rafinski Are you ready for Gameplay? Eine Ausstellungsplattform für die Kultur des zeitgenössischen Spiels Amanita Design: Botanicula Charakterstudien, 2012, courtesy of Amanita Design Und doch beginnt sich herumzusprechen, daß Kunst eine Art von Spiel ist, daß man an die Malerei oder das Fotografieren mit den gleichen Kategorien herangehen kann wie ans Kegeln oder an Poker, und daß diese Kategorien in Form von Algorithmen ausgedrückt werden können. Das beginnt sich herumzusprechen, weil Computerspiele immer deutlicher ins allgemeine Bewusstsein drängen. /1 vilém flusser Spielraum ebenso für ein breites wie für ein fachspezifisches Publikum und geht der Frage nach der historischen, kulturellen und künstlerischen Bedeutung des algorithmischen Massenmediums und der Spielkultur nach. Die Plattform bietet ein bislang einzigartiges Forum, um die kultu relle Bedeutung dieses Mediums in all seinen Facetten gemeinsam im Dialog mit dem Besucher zu beleuchten. Während im 20. Jahrhundert Film und Kino das bewegte Bild zur dominierenden Medienform avancieren ließen, machen heute Computerspiele als ein Leitmedium des 21. Jahrhunderts zentrale Errungenschaften der Medienkünste einem breiten Publikum zugänglich. Unsere Erfahrung des Spiels ist nicht nur durch technologische Entwicklungen in der Computer-, Informations- und Kommunikationstechnologie gezeichnet, sondern auch in der Entwicklung künstlerischer Fragestellungen seit den 1960 er Jahren begründet. Performance, Konzept- und Kontextkunst, sowie die Frage nach dem erweiterten Kunst- und Medienbegriff sind eng verbunden mit der Entwicklung des Mediums Computerspiel. So lässt sich eine zunehmende gesellschaftliche Aufwertung von spielerischen Aktivitäten in der Unterhaltungs- und Kulturindustrie beobachten. Der Freiraum für Spielentwicklung wächst mit der kulturellen Popularität und den ökonomischen Erfolgen der Games. Entsprechend verändert sich auch unser generelles Verständnis vom Spiel. Das ZKM | Medienmuseum in Karlsruhe widmet seit 1997 dieser Entwicklung als erste Kulturinstitution weltweit eine eigene Plattform. ZKM_Gameplay ist ein Das Spiel als Kunstform Games repräsentieren eine neue lebendige Kunstform, welche genauso angemessen für das Digitale Zeitalter ist wie es frühere Medienformen für das Industriezeitalter waren. Sie eröffnen neue ästhetische Erfahrungen und verwandeln den Computerbildschirm in ein Reich des Experimentierens und der Innovation, das einer breiten Masse zugänglich ist. Und Games wurden von einer Öffentlichkeit angenommen, die sich von Vielem u nbeeindruckt zeigte, was als Digitale Kunst gilt./2 henry jenkins Übersetzung des Verfassers 13 Ein zentraler Fokus von ZKM_Gameplay ist die künstlerische Verwendung der Computerspiele als Material und dessen inhaltliche Behandlung in zeitgenössi schen Kunstpraktiken. In letzter Zeit lässt sich eine stärkere Überlagerung von unabhängigen aber kommerziellen Indie Games und künstlerischen Art Games beobachten. Die Popularität von Indie Games hat die kommerzielle Verfügbarkeit von Art Games bestärkt. Seit dem enormen Einfluss von Marcel Duchamps Kunstverständnis und spätestens seit dem Aufkommen avantgardistischer Bewegungen wie dem Futurismus, Dadaismus und Fluxus wurde der Produktionshergang von Kunst unter strikten Regelsetzungen prominent eingeführt. Der Frage, ob Computerspiele mit großen Werken des Theaters, des Films, usw. vergleichbar sind, kann nur nachgegangen werden, wenn ihnen ein Platz in Museen eingeräumt wird. Erst eine solche Verortung macht diesen Vergleich überhaupt erst möglich. Die große Herausforderung zeigt sich im Moment der genuinen Sinnlosigkeit des Spielens, welche durch die gesteigerte Erfahrung elektronischer, virtueller Welten im 21. Jahrhundert radikal erweitert wird. ZKM_Gameplay offenbart jedoch, dass Spiele einerseits den freien Fluss der Fantasie und der Improvisation beflügeln (play) und andererseits systemund kulturgebende Mechanismen hervorbringen, die es uns erlauben, gemeinsam unser Realitätsbild zu formen (game). Die große Stärke der Plattform ist es, den Besucher für beide Extreme zu sensibilisieren und mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass Spiele nicht Spaß machen und zugleich ein kritisches Potenzial haben können. Spieldesign ist Erfahrungdesign. Entsprechend muss ein Ausstellungsdesign, das Spiele zum Gegenstand hat, selbst zu einem Ort werden, in dem Spiele gespielt und zugleich reflektiert werden können. Wird der Raum zu sehr determiniert, so läuft man Gefahr den Reflexionsraum des Museums zu hintergehen. Bleibt er zu vage, dann geht man das Risiko ein, dem ästhetischen Potenzial der Werke nicht gerecht zu werden. ZKM_Gameplay hält jedoch die notwendige Balance und erlaubt es, uns eine Brücke zwischen der Geschichte, der Kultur und dem künstlerischen Potenzial des Spiels mit dem Medium zu schlagen. Johan Huizinga hat in seinen Werk Homo Ludens: Vom Ursprung der Kultur im Spiel aufgezeigt, inwiefern der Reiz, ein Experiment einzugehen, dessen Ausgang ungewiss ist, mit der Generierung von Kulturgütern zusammenhängt. Konsequenterweise muss das Museum zu einem hochkonzentrierten Spielfeld und Experimentierlabor werden, 14 für welches das ZKM in Karlsruhe seiner Ausrichtung und Beschaffenheit nach prädestiniert ist. Spiele müssen gespielt werden, um die Möglichkeit zu haben, ihre Argumentation zu entfalten. Zu Spielen bedeutet, sich zu öffnen für den ungewissen Ausgang des Spiels oder, wie man so schön sagt: etwas auf’s Spiel zu setzen. In ihnen finden wir jene Magie, welche wir in dem Staunen des ›Ersten-Mals‹ ausdrücken. Um mit Huizinga zu sprechen: »Um wirklich zu spielen, muß der Mensch, solange er spielt, wieder Kind sein.«/3 Spiele leben von der prozedualen Rhetorik,/4 die sich erst in der Ausführung ihres Regelwerks ausdrückt, und implizieren damit als Medium eine Unabgeschlossenheit. Dies kann nur unter der Prämisse eines Wir-tun-soals-ob sinnstiftend sein./5 Daher stellt die Präsentation von Spielen das Museum vor ähnliche Herausforderungen, wie man sie z.B. bei Ausstellungen von Fluxus-Objekten oder der Land Art vorfindet: Sobald sie in den abgesicherten und abgeklärten Raum des Museums überführt werden, verlieren diese nur zu oft die Möglichkeit, sich überhaupt noch zu entfalten. Künstlerische Spielformen sind unausstellbar, wenn sie nicht die Möglichkeit haben, ausgeführt zu werden und damit ganz den Raum und ihre Zeit für sich zu beanspruchen. Aus diesem Grund passt sich ZKM_Gameplay auch dem offenen, unabgeschlossenen, unsicheren Charakter seiner Exponate an. Mit anderen Worten: Der Museumsbesucher und die Institution müssen gemeinsam zu Spielern werden, um Zugang zum Werk zu erlangen. Das Museum als Spielwiese Wenn Fotografien Bilder sind und Filme bewegte Bilder, dann sind Videospiele Handlungen. Soviel zur Videospieltheorie. Ohne Handlungen bleiben Spiele in den Seiten eines abstrakten Regelbuchs verhaftet. Ohne die aktive Teilnahme der Spieler und der Apparate existieren Videospiele nur als statischer Computercode. Videospiele entstehen erst, wenn der Apparat eingeschaltet und Software ausgeführt wird; sie existieren, wenn sie ausgeführt werden./6 alexander galloway Übersetzung des Verfassers Im 19. Jahrhundert wurde noch ange nommen, dass Menschen durch die bloße Ausstellung von Objekten Zugang zu Wissen gewinnen könnten. Heute wissen wir jedoch, dass Lernen ein aktiver Prozess ist. Viele Museen neigen dennoch auch heute noch dazu, dieser Vorstellung der didaktischen Informationsvermittlung nachzugehen. Das ZKM jedoch lädt seine BesucherInnen dazu ein, am Prozess der Sinngenerierung im gemeinsamen Spiel teilzunehmen. »Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.«/7 Das museale Schauspiel kann der Kultur des Spiels nur gerecht werden, wenn sie dieser Einsicht Friedrich Schillers Raum gibt. Hier wird die Ausstellung zu einer lebendigen Bühne und der Besucher zum Interpreten und Performer. Kuratoren, Künstler und Besucher dieser Kunst- und Diskursform geben sich nicht einfach damit zufrieden, mit einer Konstellation von Werken konfrontiert zu werden, die prinzipiell vorhersehbar sind. Das Anliegen von ZKM_Gameplay ist es daher, eine Balance zwischen dem spiel immanenten Staunen des Ersten-Mals (play) und dem diskursgebenden, kulturellen Wert der Spiele mit dem Medium zu finden (game). In diesem Sinne sind Besucher dazu eingeladen, nicht nur passiv zu sein, sondern verschiedene Rollen in dem Museumsritual, z.B. des Gelehrten, des Touristen, des Experten, der kulturinteressierten Person, des Romantikers, des Führers einer Gruppe, etc. auszuführen. 15 Dadurch erlaubt es die Ausstellungsplattform, den Museumsbesuch mit anderen Augen wahrzunehmen und durch die Konfrontation mit der Kultur des Spiel zu erweitern. Die BesucherInnen sind daher aufgefordert, sich gemeinsam mit dem ZKM | Medienmuseum in ihren mannig faltigen Rollen als Koproduzenten von ZKM_Gameplay zu verstehen und gemeinsam mit uns zu spielen. — Anmerkungen /1 Flusser, Vilém: Gesellschaftsspiele, in: Hartwagner et al. [Hrsg.]: Künstliche Spiele, München, 1993, S. 114. /2 Jenkins, Henry: Games, The New Lively Art, in: Hartley, John [Hrsg.]: Creative industries, Malden, Mass., 2005, S. 313. URL: http://web.mit.edu/cms/People/ henry3/GamesNewLively.html [11.06.2013]. /3 Johan Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, 1987, S. 215. /4 Vgl. Bogost, Ian: Persuasive games: the expressive power of videogames, Cambridge, Mass., 2007. /5 Vgl. Bateson, Gregory: Eine Theorie des Spiels und der Phantasie, in: Pias, Claus und Holtorf, Christian [Hrsg.]: Escape! Computerspiele als Kulturtechnik, Köln, 2007, S. 193—208. /6 Galloway, Alexander R.: Gaming. Essays on algorithmic culture, Minneapolis, 2006, S. 2. /7 Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung des Menschen, Stuttgart, 1986 (1795/96), S. 63. /1 /2 Jodi (Joan Heemskerk, *1968 und Dirk Paesmans, *1965) SOD 1999 — Computerspielmodifikation basierend auf Wolfenstein 3D (id Software, 1992), PC — Die Computerspielmodifikation SOD des niederländisch-belgischen Künstler paares Jodi basiert auf dem berüchtigten und in Deutschland indizierten EgoShooter Wolfenstein 3D. In Wolfenstein 3D müssen die SpielerInnen aus einer Burg fliehen und sich gegen Nazis zur Wehr setzen. Der Endgegner ist Adolf Hitler persönlich, der als Abziehbild eines »Superschurken« im martialischen Kampfanzug auftritt. Ego-Shooter wie Wolfenstein 3D sind darauf angelegt, den Eindruck zu er wecken, dass sich die SpielerInnen in die perspektivisch dargebotene Räumlichkeit des Bildes hineinbewegen. Bei SOD handelt es sich um eine Dekonstruktion dieses Illusionsraums, der durch die Bildlichkeit von Wolfenstein 3D aufgeworfen wird. Die visuelle Oberfläche des Spiels ist in Ungegenständlichkeit überführt. Jodi haben jedes Bildelement des Originalspiels durch einfache geometrische Formen oder Buchstaben ersetzt. Das Szenario des Actionspiels, das die Handlung dramatisch auskleidet und narrativ unterfüttert, wird auf diese Weise vollständig negiert und das Spielgefüge empfindlich gestört. — Foto: courtesy of Jodi Jodi (Joan Heemskerk, *1968 und Dirk Paesmans, *1965) Max Payne Cheats Only 2005 — Machinima basierend auf Max Payne (Remedy, 2001), digitales Video — Max Payne Cheats Only zeigt als Video wie die KünstlerInnen das Actionspiel Max Payne steuern. Anstatt das Game in der intendierten Weise zu spielen, d.h. der Geschichte zu folgen, die Gegner abzuschießen und sich von Abschnitt zu Abschnitt durch die Räume des Spiels zu bewegen, verwenden Jodi die Software in einer der Spielidee entgegen gesetzten Weise. Jodi versetzen durch ihre Handlungen das Spiel in funktionslose Schwebezustände und Endlosschleifen. Es entstehen durch ihre Performance absurde Perspektiven, Bildfehler und Wiederholungen, die den Eindruck erwecken können, das Programm habe einen Absturz erfahren und verharre in einem Zustand des Error. Das Spiel Max Payne befindet sich zudem in einer Art offenem Modus, der ursprünglich nur für die Entwickler gedacht war. In diesem Modus lässt sich in die Programmstruktur eingreifen und das Spiel auf bestimmte Weise verändern und beugen: So wird beispielsweise möglich, die Spielfigur durch scheinbar massive Wände zu steuern. Die SpielerInnen von Computerspielen machen sich solche Eingriffe in die Games zu Nutze, um sich Vorteile im Spiel zu verschaffen (z.B. Unverwundbarkeit, unendliche Leben etc.). Dieses Mogeln hat als sogenanntes ›Cheating‹ eine eigene Tradition und reichhaltige Kultur in der Computerspielgeschichte. — Foto: courtesy of Jodi 16 /1 /2 /3 /4 /3 Jodi (Joan Heemskerk, *1968 und Dirk Paesmans, *1965) Untitled Game: CTRL-Space und Untitled Game: Arena 1998—2001 — Computerspielmodifikationen basierend auf Quake (id Software, 1996), PC — Jodis Serie Untitled Game besteht aus verschiedenen Levels für den EgoShooter Quake. Bei den in ZKM_Gameplay präsentierten Levels handelt es sich um Ctrl-Space und Arena. Ctrl-Space ist der erste Versuch der KünstlerInnen KünstlerInnen Heemskerk und Paesmans, Computerspiele als Material zu verwenden. Ein Prototyp entsteht schon 1998 für das Budapester Medienkunstzentrum C3. Die Arbeit überführt den Spielraum des Ego-Shooters Quake in ungegenständliche Formen, die von den SpielerInnen verändert werden können. Der Level Arena stellt die weitreichendste Behandlung des Originalspiels Quake dar: Den SpielerInnen wird nur eine weiße Fläche dargeboten, die von den Bildelementen gerahmt ist. Arena repräsentiert die Veränderung eines Spiels hin zu einem gänzlich unspielbaren Spiel und steht für den radikalsten Eingriff in die Strukturen des Gameplay, der überhaupt möglich ist. Der Grad der Abstraktion geht hier bis zur vollständigen Auslöschung gegenständlicher Bilder, die durch die Löschung von Codezeilen bewerkstelligt worden ist. Die angewandte künstlerische Strategie der Löschung weckt Assoziationen an monochrome Bilder der Kunstgeschichte wie z.B. Robert Rauschenbergs White /4 19 Paintings (1951) sowie seine ausradierte Zeichnung: Das Erased De Kooning Drawing (1953). Nam June Paik lässt 1963 mit Zen for Film einen unbelichteten, ›leeren‹ Filmstreifen durch einen Projektor laufen. Bei Arena handelt es sich um ein widersprüchliches Gebilde, das Hand lungsangebote an den Nutzer bereit hält, sich einer sinnvollen Verwendung aber vollständig entzieht. Damit wird die Handlung mit einem Computerspiel ins Absurde übersteigert und auf diese Weise ausgestellt. Die radikale Widersprüch lichkeit von Arena bringt die Bedingtheiten des Mediums Computerspiel zur Anschauung, obwohl und gerade weil die Steuerung ins Leere läuft und es nichts mehr zu sehen gibt. — Fotos: courtesy of Jodi /5 /6 Mary Flanagan (*1969) Pile of Secrets 2011 — digitales Video — Die amerikanische Künstlerin Mary Flanagan hat für ihre Videoarbeit Pile of Secrets mehrere Terabyte an Video material aus populären Computerspielen gesammelt, das sie zu thematischen Videos montiert. In ZKM_Gameplay sind Videos mit den Titeln Jump, Ascend, Corridor und Treasure zu sehen. Computerspielfiguren aus etlichen Computerspielen führen immer wieder dieselbe Handlung aus, die von Spiel zu Spiel auffällig ähnlich ist: Die Figuren springen, bewegen sich Steigungen hinauf, gehen Korridore entlang und sammeln Dinge ein. Das Found-Footage-Material der Computerspiele wird von der Künstlerin einer Analyse unterzogen, indem sie es zu Kategorien zusammenfügt. Auf diese Weise werden grundsätzliche strukturelle Elemente von Computerspielen in aller Deutlichkeit aufgezeigt. Die Präsentation als Endlosschleife verstärkt diesen Eindruck zusätzlich. Flanagans Videos zeigen in der Wiederholung formbildende Handlungen in Computerspielen. — Foto: courtesy of Mary Flanagan Bill Viola (*1951) The Night Journey work in progress — Computerspiel, PC — Seit 2005 arbeitet der Videokünstler Bill Viola mit einem Team des Game Innovation Lab der University of Southern California an einem Computerspiel mit dem Titel The Night Journey. Die Spieler Innen bewegen sich in einer dreidimensionalen Umgebung, die sie aus der Ersten-Person-Perspektive wie in einem Ego-Shooter erleben. Die Umgebung passt sich ständig auf subtile Weise daran an, wie die SpielerInnen mit der Umgebung umgehen, wie sie sie erkunden und kennenlernen. Der X-Knopf des Controllers löst nicht wie üblich einen Schuß aus, sondern bringt ›Gedanken‹ in Gang. Reflexion löst ›Traumsequenzen‹ aus, die in Abhängigkeit zur Handlung der SpielerInnen berechnet werden. The Night Journey ist audiovisuell mit Violas Videoarbeiten vergleichbar. Die an dem Projekt beteiligten Grafiker haben die Bildzeilen des Videobildes computergrafisch nachempfunden und das körnige, beinahe unscharfe Aussehen der Viola’schen Videobilder übersetzt. Das Spiel bedient sich der gesamten Bandbreite der Videoästhetik und überträgt diese in computergrafische, interaktive Form. — Foto: courtesy of USC Game Innovation Lab /5 /6 /5 /7 Feng Mengbo (*1966) Long March: Restart 2008 — Computerspiel, PC — Seit den 1990er Jahren ist zu beobachten, dass sich KünstlerInnen Computerspielen zuwenden. Der chinesische Künstler Feng Mengbo ist einer der Pioniere dieser neuen, künstlerischen Zuwendung zu digitalen Spielen. Im Jahr 2002 kommt durch Feng Mengbo erstmals ein internationales Publikum mit künstlerischen Computerspielmodifikationen in Berührung. Der Künstler stellt seine Arbeit Q4U (2000/02) auf der Documenta11 in Kassel aus. Die in ZKM_Gameplay präsentierte spektakuläre Arbeit Long March: Restart ist ästhetisch angelehnt an zweidimensionale Computerspiele der 16-Bit-Ära. In Feng Mengbos Computerspiel vermischt sich die Symbolwelt kommunistischer Propaganda mit Versatzstücken der westlichen Konsumwelt sowie AsienStereotypen in Computerspielen wie bspw. Street Fighter II (der aus diesem Spiel bekannte Sumoringer E. Honda und die chinesische Kämpferin Chun Li haben ihre Auftritte). Die über kabellose Controller spielbare Installation verfügt über eine 16 Meter lange Projektion, die das Spielgeschehen in extrem querrechteckigem Format zur Anschauung bringt. So persifliert die dezidiert politische Arbeit in Form und Inhalt den Heldenmythos des Langen Marschs der kommunistischen Partei in den Jahren 1934 und 35. — Foto: courtesy of Feng Mengbo /6 /7 22 /8 /8 /9 Alan Kwan (*1990) Bad Trip 2012 — Computerspiel, PC — Seit November 2011 nimmt der Künstler Alan Kwan aus Hong Kong jeden seiner Schritte mit einer an einer Brille befestigten Videokamera auf. Allabendlich lädt der Künstler das Videomaterial in das von ihm programmierte und gestaltete Computerspiel Bad Trip. Die SpielerInnen können auf diese Weise die Bilder als Erinnerungsfetzen in der dreidimensionalen Umgebung des Spiels erfahren und metaphorisch das Gedächtnis des Künstlers begehen. In der Arbeit Bad Trip treffen sich aktuelle Themen, die unter dem Schlagwort der Selbstvermessung (Lifelogging / Quantified Self) nicht zuletzt durch die bevorstehende Markteinführung des tragbaren Computers in Brillenform – Google Glass – höchste Relevanz und Aktualität besitzen. — Foto: courtesy of Alan Kwan Mary Flanagan (*1969) [giantJoystick] 2006 — skulpturales Interface, Computerspiel (emuliertes Atari 2600) — Mary Flanagans skulpturale Arbeit [giantJoystick] besteht aus einem funktionsfähigen Joystick, mit dem die BesucherInnen von ZKM_Gameplay klassische Spiele für die historische Konsole Atari 2600 steuern können. Der Joystick ist knapp drei Meter hoch und erfordert, – bedingt durch seine schiere Größe – dass ihn die SpielerInnen zusammen bewegen und das Spiel gemeinsam spielen. Die auf Monumentalität angelegte Skulptur lenkt den Blick auf die räum lichen, performativen und sozialen Aspekte des Computerspiels. Die Arbeit zeigt, dass Computerspiele nicht nur aus Bildern, Tönen und Geschichten bestehen, sondern sich im Wesentlichen dadurch entfalten, dass die SpielerInnen in ihnen und mit ihnen aktiv handeln. Die riesenhafte Übersteigerung des Interface lässt seine Funktionsweise, die wir im Kleinen eventuell übersehen könnten, deutlich zu Tage treten. [giantJoystick] wurde von Furtherfield (ehemals HTTP Gallery) 2006 in London in Auftrag gegeben — Foto: Installation während einer Ausstellung im LABoral, courtesy of Mary Flanagan /9 25 /10 /11 /10 /11 Orhan Kipcak (*1957) Reinhard Urban (*1963) Arsdoom 1995 — Computerspielmodifikation basierend auf Doom II (id Software, 1994), PC — 1995 wurde der Architekt Orhan Kipcak von Peter Weibel, dem damaligen künstlerischem Leiter der Ars Electronica und heutigem Leiter des ZKM, dazu aufgefordert, ein Kunstwerk für das Medienkunstfestival Ars Electronica zu produzieren. Orhan Kipcak konzipierte gemeinsam mit dem Architekten und Mathematiker Reinhard Urban eine interaktive Arbeit. Das Ergebnis war eine Computerspielmodifikation auf Basis der Engine, auf der die Spiele Doom und Doom II laufen – id Tech 1 (id Software, 1993). Die Modifikation Arsdoom ist mittels verschiedener LevelEditoren und der Software AutoCAD hergestellt worden. Arsdoom markiert den Einzug des Computerspiels als künstlerisches Material in die Kunstgeschichte. In Arsdoom ist die audiovisuelle Oberfläche des brutalen Ego-Shooters Doom vollständig verändert. Diese Neudekoration stellt die navigablen Räume des Originalspiels als eine Kunstausstellung dar: Als Texturen an den Wänden befinden sich digitalisierte Abbildungen von Kunstwerken. Die räumlichen Strukturen der Computerspielmodifikation bilden ein Modell des Brucknerhauses in Linz, dem damaligen Veranstaltungsort der Ars Electronica. Arsdoom ist im Brucknerhaus ausgestellt worden und verdoppelt auf diese Weise die räumliche Ausstellungssituation. — Foto: courtesy of Orhan Kipcak Orhan Kipcak (*1957) Arsdoom II 2004 — Computerspiel, PC — Bei Arsdoom II handelt es sich um den Nachfolger der Computerspielmodifi kation Arsdoom, die 1995 im Rahmen des Medienkunstfestivals Ars Electronica entstanden ist. Arsdoom bildete den Ausstellungsort der Ars Electronica – das Brucknerhaus in Linz – als Modell innerhalb des Spiels ab. An den ersten Teil knüpft sich der Einzug des Computerspiels als Material in die Kunst. Es hat das Genre der künstlerischen Computerspielmodifikationen mitbegründet. Arsdoom II ist eine Fortsetzung mit aktuelleren technischen Mitteln, die das ursprüngliche Konzept nach zehn Jahren auffrischt. Schauplatz des Shooters ist das ZKM. Die BesucherInnen von ZKM _ Gameplay können durch Arsdoom II den Hallenbau des ZKM im Computerspiel begehen. Auf diese Weise verdoppelt sich die räumliche Situation: Die SpielerInnen befinden sich tatsächlich in dem Raum, den sie im Computerspiel durchqueren. — Foto: courtesy of Orhan Kipcak 27 /12 /13 Thatgamecompany Journey 2012 — Computerspiel, PlayStation 3 — Journey ist ein preisgekröntes Independent Game für die Spielkonsole PlayStation 3. Die SpielerInnen steuern eine namenlose Figur durch eine nicht näher bestimmte Wüstenlandschaft. Das Ziel wird offensichtlich von einem Berg gebildet, der sich geheimnisvoll am Horizont abzeichnet. Während der Reise durch die Wüste treffen die SpielerInnen auf eine zweite Figur in der Spielumgebung. Es handelt sich dabei um die Repräsentation einer anderen, realen aber anonymen Person, die über das Internet ins gemeinsame Spiel gebracht wird. Die Figuren können nicht miteinander reden, sondern sich nur durch wortlose Rufe miteinander verständigen. Durch Teamwork gelangen schließlich beide Figuren ans Ziel. Eine musikalische Randnotiz: Der Komponist Austin Wintory wurde für seinen Soundtrack zu Journey für einen Grammy in der Kategorie »Visuelle Medien« nominiert. Eine solche Nominierung wurde zuvor nur Filmen zuteil. Mit Journey kam zum ersten Mal ein Computerspiel in die engere Auswahl für den wichtigsten Musikpreis der Welt. — Foto: courtesy of thatgamecompany, © Sony Computer Entertainment Thatgamecompany Flower 2009 — Computerspiel, PlayStation 3 — In Flower schlüpfen die SpielerInnen in eine besondere Rolle: Sie steuern den Wind, der Blütenblätter über üppige Wiesen trägt. Blumen geben weitere Blätter preis. So interagieren die Spieler Innen mit der Umwelt und lassen graue Gebiete in Farbigkeit aufblühen. In Erster-Person-Perspektive entsteht ein rasanter Flug durch die Landschaften des Spiels. In Flower rückt auf diese Weise die Spielwelt in den Vordergrund. Das Spiel zeigt auf eindrucksvolle Weise, dass die Ego-Perspektive in Computerspielen als Form nicht nur für Shooter oder Rennspiele reserviert ist, sondern auch das Gefühl des Fliegens über eine Blumen wiese evozieren kann. — Foto: © Sony Computer Entertainment 28 /13 /12 /14 /15 Niklas Roy (*1974) PING! Augmented Pixel 2011 — Interaktive Videoinstallation, Videokamera, ATmega 8 Microcontroller — PING! ist eine interaktive Videoinstallation, in der die BetrachterInnen durch Techniken der erweiterten Realität (Augmented Reality) selbst Teil des Bildes werdenund mit dem Bild in Interaktion treten können. Das Werk des Berliner Künstlers Niklas Roy ist eine Hommage an den Computerspielklassiker Pong aus dem Jahr 1972 und übersetzt dessen Funktionsweise in den Kontext der Medien kunst. Zu sehen ist ein quadratisches Pixel, das sich über den Bildschirm bewegt. Aufgenommen von einer Videokamera können sich die BetrachterInnen ins Bild setzen und den Bildpunkt scheinbar berühren. Eine ›Berührung‹ beeinflusst die Richtung des Pixels. Auf diese Weise entfaltet sich ein Spiel mit dem Bildpunkt, der dadurch zu einem Spielball und Spielzeug wird. — Foto: © Niklas Roy Institut für Angewandte und Numerische Mathematik (IANM), KIT und Liegenschaftsamt, Stadt Karlsruhe Virtueller Flug durch Karlsruhe 2011 — Interaktive Installation, PC, Kinect — Der virtuelle Flug durch Karlsruhe lässt die BetrachterInnen die Fächerstadt aus der Vogelperspektive erkunden. Um virtuell durch Karlsruhe zu fliegen, stellt man sich vor den Bildschirm. Eine Kinect Kamera der Spielkonsole Xbox 360 erfasst die Person und ihre räumliche Verortung vor dem Bildschirm. Mit ausgestreckten Armen navigiert der User den Flug durch die dreidimensionale Stadtumgebung. Die Bewegung der rechten Hand verändert die Perspektive, die Bewegung der linken Hand ändert die Richtung. Das Projekt ist in Zusammenarbeit mit dem Liegenschaftsamt der Stadt Karlsruhe, dem Institut für Angewandte und Numerische Mathematik (IANM) des Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und dem ZKM entstanden. — Foto: © Liegenschaftsamt Karlsruhe /14 30 /15 /16 /16 /17 Quantic Dream Heavy Rain 2010 — Computerspiel, PlayStation 3 — Heavy Rain ist ein Adventure, in dem sich die SpielerInnen auf die Jagd nach einem Serienkiller machen. Das Spiel beeindruckt durch seine nahezu fotorealistische grafische Gestaltung und eine dichte, düstere Atmosphäre, die Erinnerungen an Detektivfilme des Film Noir wachruft. Ein besonderer Fokus liegt bei diesem Thriller in der Form eines Games auf der Geschichte, die durch etliche Zwischensequenzen erzählt wird. Anhand des Spiels, das dem Genre des interaktiven Films zuordnen lässt, werden die Unterschiede der beiden Medien formenComputerspiel und Film besonders deutlich: Heavy Rain ist ein Hybrid zwischen Film und Spiel, das stets zwischen Narration und Interaktion, passiver Betrachtung und aktiver Handlung hinund herwechselt. Das Spiel zeigt zudem zweierlei: Zum einen verdeutlicht es den aktuellen Stand in Echtzeit berechneter, interaktiver 3D-Grafik. Zum anderen wird deutlich wie manche Computerspiele dem ›alten‹ Medium Film nacheifern. Empfohlen ab 16 Jahren. — Foto: © Sony Computer Entertainment Team ICO Shadow of the Colossus 2005 — Computerspiel, PlayStation 2, PlayStation 3 — In Shadow of the Colossus ziehen die SpielerInnen in den Kampf gegen riesenhafte Kreaturen. Die von den SpielerInnen gesteuerte Figur sieht sich haushohen Riesen gegenüber, die sich groß wie ein mehrstöckiges Gebäude dem Protagonisten entgegenstellen. Man muss an den titelgebenden Kolossen hinauf klettern, um sie zu bezwingen. Es scheint als sei Architektur auf spektakuläre Weise zum Leben erweckt: Die Beine der Kolosse sind mit Basis und Gesimsen ausgestattet. Auf ihren Rücken sind Galerien und Balkone auszumachen. Ihre steinernen Glied maßen sind reich durchschmückt. Die Riesenwüten und toben und versuchen, die SpielerInnen abzuschütteln. Das Spielgeschehen ist in eine geheimnisvolle Geschichte eingebettet, die oft im Vagen bleibt. Der Protagonist kämpft gegen die Kolosse, um das Leben eines Mädchens zu retten. Woher die myste riösen, gewaltigen Wesen stammen, oder ob sie in der konventionellen Logik eines Computerspiels gut oder böse sind, bleibt unklar. — Foto: © Sony Computer Entertainment /17 33 /18 /19 Lieven van Velthoven (*1984) Room Racers 2010 — interaktive Installation — Das Rennspiel Room Racers verbindet die virtuelle Welt mittels einer interaktiven Spieloberfläche mit der realen Welt. Die Spielerinnen und Spieler können die Rennstrecke anhand von willkürlich ausgewählten Gegenständen individuell gestalten. Mithilfe einer Infrarotkamera an der Decke, die die Umrisse der auf der Spielfläche liegenden Gegenstände erkennt, wird die Rennstrecke definiert. Die Software des Spiels ist in der Lage, jederzeit Änderungen an der Streckenbegrenzung zu erkennen und in den Streckenverlauf zu integrieren, ohne das Spiel zu unterbrechen. Ein Projektor projiziert virtuelle Rennwagen auf die Strecke, die nun von den Spielerinnen und Spielern gesteuert werden können. Verschiedene Spielmodi lassen beispielsweise auch Rennen mit mehreren Fahrern zu. Der niederländische Spieleentwickler Lieven van Velthoven hat das Videospiel während seines Studiums der Medientechnik an der Hochschule in Leiden entwickelt. (Moritz Pflüger) . — Foto: courtesy of Lieven van Velthoven Giant Sparrow The Unfinished Swan 2012 — Computerspiel, PlayStation 3 — In The Unfinished Swan verfolgen die SpielerInnen einen Schwan, der aus einem Gemälde entsprungen ist. Die Spielwelt besteht zunächst aus einem vollständig weißen, unbestimmten Raum, der keinerlei Orientierung ermöglicht. Auf Knopfdruck lässt sich schwarze Farbe verschießen, die auf den Wänden und Objekten großflächig Farbkleckse hinterlässt und die Umgebung durch die Einfärbung sichtbar macht. Auf diese Weise lassen sich der Raum definieren und mögliche Wege durch die Räume des Spiels erkennen. Die strenge schwarz-weiße Ästhetik wird hin und wieder durch die gelben Fußspuren des entlaufenen Schwans durchbrochen. The Unfinished Swan ist ein Ego-Shooter, der vollständig gewaltfrei funktioniert und sein Spielgeschehen ausschließlich aus der Erkundung der räumlichen Strukturen der Spielwelt speist. — Foto: © Sony Computer Entertainment /18 34 /19 /20 /20 /21 Krystian Majewski (*1981) Trauma 2011 — Computerspiel, Version für iPad — Trauma erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die einen schweren Auto unfall überlebt. Während sie im Krankenhaus wieder zu Kräften kommt, setzt sie in ihren Träumen die Bruchstücke ihrer Erinnerungen zusammen. Wer ist sie? Was hat sie vor dem Unfall getan? Was ist mit ihren Eltern passiert? Trauma lässt die SpielerInnen diese Träume als Adventure nachvollziehen. Die Reise durch das Unbewusste der Erzählerin führt zu einsamen Orten, die eine gespenstische Atmosphäre verströmen. Das klassische Point-and-Click-Prinzip wird durch ein gestengesteuertes Interface und eine surreal anmutende foto grafische Ästhetik neu interpretiert. — Foto: courtesy of Krystian Majewski Adam Saltsman (*1982) Canabalt 2009 — Computerspiel, Version für iPad — Adam Saltsman hat Canabalt im Rahmen eines Game Design-Wettbewerbs in nur fünf Tagen entwickelt. In der Architektur würde man in diesem Zusammenhang von einem Stegreif sprechen. Die Spielidee ist einfach aber elegant: die Spielfigur rennt automatisch von links nach rechts und wird dabei immer schneller; den Spieler Innen steht nur eine Handlung zur Verfügung nämlich, die Figur auf Knopfdruck in die Höhe springen zu lassen. So springt man von Dach zu Dach, weicht Hindernissen aus und flieht vor einer unsichtbaren Gefahr. Die Einfachheit und Überzeugungskraft der Spielmechanik hat dazu geführt, dass Canabalt ein neues Subgenre des Jump’n’Run begründen konnte. Heute gibt es unzählige dieser ›Endless Running‹Games, die auf Smartphones und Tablets besonders beliebt sind. Die Tatsache, dass Saltsman innerhalb von kürzester Zeit ein neues Genre erfunden hat, diente auch als Argument, Canabalt jüngst in die Computerspielsammlung des New Yorker Museum of Modern Art aufzunehmen. — Foto: courtesy of Adam Saltsman /21 37 /22 /23 Mary Flanagan (*1969) [domestic] 2003 — Computerspielmodifikation basierend auf Unreal Tournament (2003), PC — Die Computerspielmodifikation [domestic] der amerikanischen Künstlerin Mary Flanagan ist ein Beispiel dafür wie Computerspiele als künstlerische, persönliche Ausdrucksform verwendet werden. [domestic] basiert auf dem Ego-Shooter Unreal Tournament, der von der Künstlerin neu eingerichtet und zu einem Environment umgestaltet worden ist. In [domestic] verarbeitet die Künstlerin eine traumatische Kindheitserinnerung: Als Flanagan sieben Jahre alt war, bemerkte sie auf dem Heimweg von der Kirche, dass ihr Elternhaus brannte. Da sich ihr Vater darin befand, rannte sie, ohne über die Konsequenzen nachzudenken, auf das brennende Haus zu. Die SpielerInnen betreten stellvertretend das Haus innerhalb der Game Engine, dessen Architektur einen Erinnerungsraum darstellt. An den Wänden sind Bilder zu sehen und Texte zu lesen, die sich als Bruchstücke zu der autobiografischen Geschichte zusammenfügen. Das Ziel des Spiels ist es, das Feuer zu löschen und das Haus zu retten. — Foto: courtesy of Mary Flanagan Mario von Rickenbach (*1987), Michael Burgdorfer (*1987) Krautscape 2013 — Computerspiel, Version für Mac — Krautscape ist ein Rennspiel für zwei SpielerInnen, die über das Internet verbunden gegeneinander antreten. Die Rennstrecke, auf der die fahrenden und fliegenden Fahrzeuge umherrasen, ist nicht festgelegt. Das führende Fahrzeug ›baut‹ die Strecke, während des Spiels, was dem Geschehen eine zusätzliche taktische Note verleiht. Game Design, Visual Design, Entwicklung: Mario von Rickenbach, Game Design, Entwicklung: Michael Burgdorfer, Sound Design, Musik: Phil McCammon. — Foto: courtesy of Mario von Rickenbach, Michael Burgdorfer /23 /22 38 /24 /25 Ed Key, David Kanaga Proteus 2009—2012 — Computerspiel, Version für Mac — In Proteus betreten die SpielerInnen eine Insel mit magischen Eigenschaften. Es geht in dem Spiel darum, die Insel frei zu erkunden und ihr Verhalten in Form einer ästhetischen Erfahrung zu genießen. Die Landschaften in Proteus werden zufällig generiert; auch die Musik und die Soundkulisse passen sich an die Handlungen der SpielerInnen in der Spielwelt an. Die Insel in Proteus ist ein geheimnisvoller Ort. Die symbolische Geschichte vollzieht metaphorisch den Kreislauf des Lebens nach. Das Spiel wurde 2012 mit dem Most Amazing Game Award des Berliner Indie Games-Festival A MAZE. Indie Connect ausgezeichnet. — Foto: courtesy of Ed Key and David Kanaga Playdead Studios Limbo 2010 — Computerspiel, PlayStation 3 — Im preisgekrönten Independent Game Limbo steuern die SpielerInnen einen namenlosen Jungen, der auf der Suche nach seiner Schwester ist. Das Jump’n’Run ist in einem düsteren, gespenstischen Szenario angesiedelt. Es wirkt, als blicke man durch Nebel in eine fremdartige, alptraumhafte Zwischenwelt. Der Titel spielt auf den Limbus an. Dabei handelt sich innerhalb der mittelalterlichen Theologie um die Vorhölle, in der sich Seelen befinden, die ohne eigenes Verschulden vom Himmel ausgeschlossen sind. Der Junge sieht sich mit zahlreichen Gefahren und Hindernissen konfrontiert. Tappt er beispielsweise in eine Falle, stirbt er auf grausame, spektakuläre Weise. Empfohlen ab 16 Jahren. — Foto: courtesy of Playdead Studios /25 /24 41 /26 /27 Thechineseroom Dear Esther 2012 — Computerspiel, PC — Dear Esther ist ein Computerspiel, das in der Bildanlage eines Ego-Shooters auf experimentelle Weise eine atmosphä rische Geschichte erzählt. Die SpielerInnen finden sich in der Ersten-Person-Perspektive auf einer verlassenen Insel wieder. Das Spiel besticht durch intelligentes Leveldesign und anspruchsvolle Landschafts- und Naturdarstellungen. Während die SpielerInnen den einsamen Ort erkunden, hören sie einem Off-Erzähler zu, der Fragmente aus Briefen vorliest. Die Briefe sind an eine Frau namens Esther adressiert. Es werden Andeutungen gemacht, dass Esther nicht mehr lebt und sich der namenlose Protagonist auf eine Reise durch seine Erinnerungen begibt. — Foto: courtesy of thechineseroom Jonathan Blow (*1971) Braid 2008 — Computerspiel, PC, Xbox — Jonathan Blows Independent Game Braid ist auf den ersten Blick ein an klassische Spiele wie Super Mario Bros. angelehntes Jump’n’Run. Es spielt mit dem Motiv der entführten Prinzessin, das in etlichen Computerspielen den Dreh- und Angelpunkt der rudimentären Handlung ausmacht. In der Narration des Spiels werden auf einer Metaebene aber auch ernste Themen wie Bedauern, Vergebung und der Wunsch, Fehler zu korrigieren, angesprochen. Der Protagonist Tim kann auf seiner Heldenreise die Zeit beeinflussen: Auf Knopfdruck spult das Spielgeschehen zurück. Mit dieser Spielmechanik ergeben sich spannende Rätsel, die in das Geschicklichkeitsspiel eingebaut sind. — Foto: courtesy of Jonathan Blow /26 /27 42 /29 /28 /29 Jason Rohrer (*1977) Passage 2005 — PC — Passage ist ein kleines Spiel mit einem großen Thema. Es kann als digitales, interaktives Memento Mori beschrieben werden, das dem Spieler existenzielle Fragen vor Augen führen kann. Passage ist genau fünf Minuten lang. Der Spieler steuert sein pixeliges Alter Ego von links nach rechts durch die Spielwelt. Bald trifft er eine Frau und steht vor der ersten großen Entscheidung: Soll er sich verlieben oder lieber alleine weiterziehen? Gemeinsam mit einer Partnerin kann der Spieler mehr Punkte erzielen, er ist aber auch nicht mehr so beweglich – muss also Rücksicht nehmen. Auf dem Weg nach rechts und im Laufe der Zeit beginnen die Figuren sichtlich zu altern – sie werden grau und krumm. Nach exakt fünf Minuten endet das Vanitas-Spiel. Rohrer experimentiert mit dem Kern element des Computerspiels, nämlich Interaktion, um damit Aussagen zu treffen, die abseits davon stehen, was die Computerspielindustrie heute ausmacht: Gefühle und Gedanken vs. Spektakel und Illusion. — Foto: courtesy of Jason Rohrer Studierende der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe Produced@GameLab — verschiedene Computerspiele — ZKM_Gameplay zeigt Projekte, Arbeiten und Kunstwerke, die am GameLab der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe entstanden sind. Das GameLab des Instituts für Post digitale Narrativität der HfG Karlsruhe ist ein Label und ein Produktionsort für Medienkunst. Die Studierenden setzen sich mit Spielen, dem Medium Computerspiel und der zeitgenössischen Spielkultur auseinander. Das Profil des GameLab zeichnet sich aus durch künstlerische Produktion und Forschung u.a. an Game Art, Retro Games, Serious Games, Indie Games, Machinima u.v.m. Das GameLab präsentiert spiele rische Kunstwerke und interaktive Experimente. Im Mittelpunkt steht ein erweiterter Spielbegriff, der die Grenzen dessen auslotet, was als »Zauberkreis« den Raum eines Spiels konstituiert. — Foto: © W. Fox /28 45 /30 /30 /31 Gold Extra Frontiers 2006—2012 — Computerspielmodifikation basierend auf Half-Life 2 (2004), PC — Frontiers hat einen ernsten politischen Hintergrund: Das Thema des Ego-Shooters ist die Flüchtlingssituation an den Grenzen Europas. Das Spiel zeigt die Brennpunkte einer Flüchtlingsroute, die von Subsahara- Afrika nach Europa führt: Die SpielerInnen erleben vier verschiedene Grenzsitua tionen und einen (alp)traumhaften Raum mit dokumentarischen Materialien, die die KünstlerInnen während ihrer Recherchen vor Ort zusammengetragen haben. Die SpielerInnen können verschiedene Perspektiven wählen: Sie können sich zwischen der Rolle des Flüchtlings oder jener der Grenzwache entscheiden. Für Frontiers modifiziert die österreichische Gruppe Gold Extra eine bestehende Spielsoftware, nämlich Half-Life 2, und deutet auf diese Weise herkömmliche Spielstrategien von Ego-Shooter-Spielen um. Frontiers ist ein sogenanntes Serious Game – ein ernstes Spiel –, das eine deut liche aufklärerische Haltung transportiert. Gold Extra: Tobias Hammerle, Georg Hobmeier, Sonja Prlić und Karl Zechenter. — Foto: courtesy of Gold Extra Jens M. Stober (*1986) 1378(km) 2010 — Computerspielmodifikation basierend auf Half-Life 2 (2004), PC — Der Spieler wird in dem Serious Game 1378(km) an unterschiedliche innerdeutsche Grenzabschnitte in das Jahr 1976 versetzt. Dabei ist es dem Spieler möglich, die Rolle eines Grenzsoldaten der DDR oder die eines Republikflüchtlings einzunehmen. In detailliert nachgebauten Szenarien an den jeweiligen Grenzabschnitten zwischen der Bundesrepublik Deutschlands und der Deutschen Demokratischen Republik, kann die Situation an der deutsch-deutschen Grenze in der Form eines Ego-Shooters nachempfunden werden. Gewinnen kann man das Spiel nur, wenn man nicht schießt. Erschießt man in der Rolle eines Grenzsoldaten einen Flüchtling, finden sich die SpielerInnen in einem Gerichtssaal wieder. In einem Mauer schützenprozess werden sie zur Verantwortung für ihre Handlungen gezogen. 1378(km) ist als studentisches Kunstprojekt mit aufklärerischem Charakter an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe im GameLab entstanden. 1378(km) sollte zum Tag der Deutschen Einheit 2010 veröffentlicht werden. Das Kunstprojekt löste eines Skandal aus, der insbesondere durch die negative Berichterstattung der BILD-Zeitung angestoßen worden ist, die das Spiel als »widerwärtig« bezeichnete. Die Angehörigen der Opfer der Todesgrenze fühlten sich teilweise verletzt, was zu einer Anzeige gegen den Autor Jens M. Stober wegen Volksverhetzung führte. Die Anzeige gegen den Studenten wurde fallen gelassen und die Berichterstattung der BILD-Zeitung vom deutschen Presserat in der Folge missbilligt. — Foto: courtesy of Jens M. Stober 46 /31 /32 /33 Amanita Design Machinarium 2009 — Computerspiel, Version für iPad — Der Game Designer Jakub Dvorský (*1978) erweckt mit Machinarium eine fantastische Welt zum Leben. Das Point-andClick-Adventure erzählt die Geschichte des Roboters Josef, der sich in Einzelteilen auf einem Schrottplatz wiederfindet. Machinarium zeichnet sich durch intui tives Gameplay, liebevolle Gestaltung und eine eigenwillige Ästhetik aus. Der visuelle Stil der Spiele von Amanita Design steht deutlich in der Tradition des tschechischen Animationsfilms. — Foto: courtesy of Amanita Design Amanita Design Botanicula 2012 — Computerspiel, Mac — Amanita Design lenkt mit Botanicula den Blick auf den Mikrokosmos eines Baumes. In dem Point-and-Click-Adventure steuern die SpielerInnen verschiedene Bewohner dieses Biotops, beispielsweise einen Ast oder einen weiblichen Pilz names Mrs. Mushroom. Die SpielerInnen müssen sich die verschiedenen Fähigkeiten der Baumbewohner zu Nutze machen, um ihren Lebensraum vor Parasiten zu verteidigen. Traditionen des tschechischen Trickfilms standen Pate für den audiovisuellen Stil von Botanicula. — Foto: courtesy of Amanita Design /32 /33 49 /34 /35 And-or Laichenberg 2010 — Computerspiel, PC, Mac — Der Ego-Shooter Laichenberg ist als kritischer Kommentar auf Gewalt im Computerspiel zu verstehen. Die Künstler gruppe and-or aus der Schweiz präsentiert einen Ego-Shooter mit unkonventioneller Spielmechanik. Das Schweizer Kunstprojekt kritisiert die Brutalität vieler Computerspiele, indem es die Brutalität des Spielgeschehens ins Extreme überhöht: In vielen Ego-Shootern ist es üblich, dass eine abgeschossene Figur nach dem Abschuss wie von Geisterhand aus dem Spiel verschwindet und daraufhin unversehrt an einer anderen Stelle des Spielfelds wieder erscheint. In Laichenberg geschieht dies nicht. Die abgeschossenen Figuren beginnen daher nach und nach das Spielfeld zu verstopfen. Die Konsequenz dieses Designs ist, dass die Korridore nicht mehr zugänglich sind und das Game schließlich einen Infarkt erleidet. In einer Animation sieht man schließlich die abgeschossenen Figuren auf einem Berg wie auf einer Müllkippe aufgetürmt. Dieses Bild macht in seiner drastischen Brutalität deutlich, wie gewalttätig die ausgeführten Spielhandlungen sind, indem sie symbolisch die Konsequenzen vor Augen führen. Auf diese Weise reflektiert das Spiel auch das Verhältnis von medialer und realer Gewalt. Empfohlen ab 16 Jahren. — Foto: courtesy of And-or Paidia Institute Paidia Laboratory : feedback #2 und #6 2011 — modifizierte Software und Hardware — Das Kölner Künstlerkollektiv Paidia Institutesetzt sich mit der Frage auseinander wie Interaktivität und Steuerung in Computerspielen funktionieren. Beim Spielen eines Computerspiels sind die User in Regelkreise eingebunden: beispielsweise agieren sie mittels Knopfdruck oder durch die Bewegung der Maus und als Reaktiondarauf passiert etwas in der Welt des Spiels. Dies wiederum hat eine erneute Reaktion der SpielerInnen zur Folge. Im Sinne der Kybernetik – der Lehre der Steuerung – kann man den Computer als handelnde Instanz innerhalb eines Regelkreises verstehen. In der skulpturalen Serie Paidia Laboratory: feedback kehren die KünstlerInnen das scheinbare Eigenleben der Apparate hervor und schließen es kurz. Paidia Laboratory: feedback #2 ist ein sich selbst spielendes Karaoke-Spiel. Die kinetische Skulptur Paidia Laboratory: feedback #6 besteht aus zwei Play Station 2-Konsolen, die im Wechsel ihre Schubladen öffnen und wieder schließen. Damit rekurriert das Werk auf die Ultimate Machine des Informationstheoretikers Claude Shannon: eine sinnlose Maschine, deren einziger Zweck darin besteht, sich selbst auszuschalten. Paidia Institute: Jonas Hansen, Thomas Hawranke, Karin Lingnau, Lasse Scherffig — Foto: courtesy of Paidia Institute /34 /35 50 /36 /37 Polytron FEZ 2012 — Xbox 360 — FEZ ist ein Jump’n’Run mit PuzzleElementen. Der Held Gomez lebt in einer flachen, zweidimensionalen Welt, bis ihm eine magische Kopfbedeckung die Fähigkeit verleiht, in die dritte Dimension vorzustoßen. Die SpielerInnen können die Perspektive der Spielwelt verändern und auf diese Weise Rätsel lösen, indem beispielsweise Durchgänge sichtbar werden oder sich neue Wege öffnen. Das Spiel wurde auf dem Independent Games Festival 2012 mit dem Seamus McNally Grand Prize ausgezeichnet. Die lange andauernde Entwicklungszeit des Spiels seit 2007 ist in dem preis gekrönten Film Indie Game: The Movie dokumentiert. — Foto: courtesy of Polytron Margarete Jahrmann (*1967), Max Moswitzer (*1968) LinX3D 1999 — Computerspiel, Arcade-Kabinett, PC — LinX3D inszeniert ein Spielkabinett wie man es aus Spielsalons (»Arcades«) kennt, an dem die SpielerInnen von einer Überwachungskamera aufgenommen und als ASCII Video (Zeichensatz-Video) in die Spielumgebung integriert werden. Der Besucher kann allein oder gemeinsam mit den Avataren anderer Mitspieler unterschiedliche Ebenen der Zeichen-Umgebung erkunden. Datenprotokolle und Überwachungsbilder aus der realen Welt sind die Grundkomponenten dieses scheinbar harmlosen Computerspiels. LinX3D ist eines der ersten Kunstwerke des in den 1990er Jahren aufgekommenen Genres der Game Art und wurde schon 1999 zur Ausstellung net.condition im ZKM präsentiert. — Foto: courtesy of Margarete Jahrmann, Max Moswitzer /37 /36 /38 /39 Olaf Val (*1968) Verstärker 2001 — interaktive Skulptur, PC — Das Zusammenspiel von Licht und der gestalteten Interaktion tritt in der Arbeit Verstärker in den Vordergrund. Es wird der alltägliche Umgang mit dem elektrischen Licht thematisiert. Die Glühbirne stand zur Jahrhundertwende 1900 für den Glauben an den Fortschritt durch Technik. Die Glühbirne steht aber auch ganz einfach für Licht, für Geist und Idee. In der Arbeit Verstärker wird die Glühbirne als Feedbackmedium verwendet. Die Idee des Displays wird reduziert auf eine einfache Lampe. Der Controller der PlayStation wird durch ihre haptischen Reize und skulpturalen Qualitäten zur eigentlichen Attraktion des Werks. Beim Spiel mit der Arbeit Verstärker wird deutlich, dass es sich beim Computerspielen um ein Spielen mit leuchtenden Punkten handelt. Gleich zeitig werden Computerspiele als inhaltslose Lichtspiele kritisiert. — Foto: courtesy of Olaf Val Frank den Oudsten (*1949), Friedemann Schindler (*1954) Licence To Kill 1997 — Videoskulptur — Die Videoskulptur Licence To Kill hat mediale Gewalt zum Thema. Der monumentale Scheinwerfer einer Flugabwehrkanone bildet den Rahmen für Videomonitore, auf denen sich den BetrachterInnen gewalttätige Szenen darbieten. Der Scheinwerfer spendet als Kriegsgerät nicht nur Licht sondern erweckt durch seine Form selbst den Eindruck einer riesigen Kanone. Die BetrachterInnen müssen sich metaphorisch dem martialischen Gerät entgegenstellen und tief in den Lauf der Kanone hineinsehen, um sich die abschreckenden Bilder zu erschließen. Frank den Oudsten und Friedemann Schindler haben Licence To Kill schon 1997 für die ursprüngliche Computerspiel ausstellung Welt der Spiele im ZKM konzipiert. — Foto: © ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie /39 54 /38 /40 56 /40 /41 //////////fur//// art entertainment interfaces PainStation 2001 — interaktive Skulptur — Die interaktive Skulptur PainStation der Kölner Künstlergruppe //////////fur//// ist auf den ersten Blick ein Pong-Spiel, das seit 1972 zu den großen Klassikern des Computerspiels gehört und als harmloses Telespiel die Anfänge des Mediums repräsentiert. Die PainStation hat allerdings eine besondere Funktion: Verlieren die SpielerInnen in dem einfachen Tennisspiel einen Ball, werden sie durch die PainStation ›bestraft‹: In die Hand fährt ein Elektroschock oder eine Peitsche schlägt zu. Die Arbeit ist eine der bekanntesten Arbeiten des Genres der Game Art. Sie thematisiert die manchmal fragilen Grenzen von Realität und Virtualität sowie von Ernst und Spiel. Es wird deutlich, dass Spiele auf Ihre SpielerInnen wirken – die PainStation überhöht diese Wirkung, indem sie den SpielerInnen echten Schmerz zufügt. Damit entlarvt sie die Idee einer virtuellen Sphäre, die von der Realität der Menschen abgekoppelt ist und losgelöst im luftleeren Raum existiert, als Mythos. Der martialische Unterton des Kunstwerks wirft Fragen über die gewalttätige Natur mancher Computerspiele auf, die das Medium des Computerspiels verallgemeinernd seit Langem begleiten. Das Kunstwerk wurde 2003 mit dem Medienkunstpreis des ZKM ausgezeichnet und wurde daraufhin international in zahlreichen Ausstellungen unter anderem im MoMA und im Computerspielemuseum Berlin präsentiert. Benutzung auf eigene Gefahr. — Foto: courtesy of fur Frank den Oudsten (*1949), Friedemann Schindler (*1954) Ahnengalerie 1996 — historische Computer- und Konsolenspiele — Die Ahnengalerie wurde von Frank den Oudsten und Friedemann Schindler für die Eröffnung der Welt der Spiele im Jahr 1997 gestaltet. Präsentiert werden sechs historische Spielcomputer und Spielkonsolen: eine Magnavox Odyssey (1972), ein Atari VCS (1977/80), ein Commodore 64 (1982), ein Amiga (ab 1987), ein Gameboy (1989) und ein Super Nintendo Entertainment System (1990). — Foto: courtesy of ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie 57 /41 /42 /42 /43 Game Oven Fingle 2011 — Computerspiel, iPad — Fingle ist ein Spiel für zwei SpielerInnen, die das iPad gemeinsam als Spielbrett verwenden. Auf dem iPad erscheinen Symbole, die per Berührung auf ihre Zielpositionen gezogen werden müssen. Körperkontakt ist erwünscht und unvermeidlich, die Hände verknoten und verschlingen sich. Das Game ist ein Beispiel für die Tendenz aktueller Computerspiele, ihr Geschehen in den realen Raum der SpielerInnen zu erweitern. Fingle geht über den Bildschirm hinaus und regt insbesondere die soziale Interaktion zwischen den SpielerInnen an. — Foto: courtesy of Game Oven Susigames EdgeBomber 2003—2012 — Computerspiel, PC — EdgeBomber ist eine interaktive Installation und ein Mixed-Media-Videospiel. Die SpielerInnen sind in den Prozess der Spielweltgenerierung eingebunden, indem sie mit Klebeband und Schere auf einer Wand eine Spielfläche für ein klassisches Jump’n’Run Videospiel erstellen. Über ein Kamerasystem wird die Spielfläche aufgenommen und im Computer zu einem Level verarbeitet. Die erweiterte Spielfläche wird auf die Szenerie des Spiels projiziert, so dass die reale Spielfläche mit der Abbildung zu einer Kombination verschmilzt. Die SpielerInnen müssen nun mit dem Helden Ozkar die Angriffe der teuflischen Wurst und von Hubert dem Stuhl abwehren, um die schöne Eisprinzessin Susi zu retten. Durch die Möglichkeiten, das Spielfeld zu erstellen, kann der Spieler das Spielgeschehen auf verschiedenste Weisen beeinflussen. EdgeBomber wurde im Rahmen eines Gastkünstlerstipendiums am ZKM entwickelt. Konzept und Realisierung: susigames (Ole Ciliox, Richard Gutleber, Thomas Hawranke, Nikolaus Vahrenkamp, Kai Welke); Code: Kai Welke, Niko Vahrenkamp, Ole Ciliox; Grafik: Richard Gutleber Anima- tion: Richard Gutleber, Thomas Hawranke; Produktion: susigames mit Unterstützung des ZKM | Institut für Bildmedien. — Foto: courtesy Susigames /43 59 /44 /44 /45 Die Gute Fabrik, Copenhagen Game Collective B.U.T.T.O.N. 2010 — Computerspiel, PC — B.U.T.T.O.N. steht als Abkürzung für »Brutally Unfair Tactics Totally OK Now«. Das Multiplayerspiel setzt nahezu vollständig auf das Geschehen, das sich nicht auf sondern vor dem Bildschirm oder der Projektionsfläche abspielt. Eine typische Runde geht folgendermaßen vonstatten: Vier SpielerInnen bauen sich in reichlich Abstand zu den Controllern auf und müssen die Instruktionen befolgen, die das Spiel vorgibt. Beispielsweise sollen die SpielerInnen Liegestützen machen, sich in Zeitlupe oder wie Ninjas bewegen. Die Regeln ändern sich dabei ständig. Manchmal verliert derjenige, auf dessenCon troller ein Knopf gedrückt wird. Danach heisst es wieder: Wer es schafft, den Knopf am Controller für sieben Sekunden gedrückt zu halten, gewinnt eine Runde. — Foto: courtesy of Die Gute Fabrik Fabian Schaub, Franziska Remmele & Thomas Krüger GbR Globosome FREE 2012 — Computerspiel, iPad — Bei Globosome FREE geht es um Balance, Verantwortung und Geschicklichkeit. Mit einer intuitiv bedienbaren Gyrosteuerung können die SpielerInnen eine pflanzenfressende Kugel steuern, die von ihrem Schwarm getrennt wurde und nun versucht, zu ihm zurück zu gelangen bzw. einen eigenen Schwarm zu gründen. Frisst die Kugel genug, erhält sie ausreichend Lebensenergie, um sich durch Teilung zu vermehren. Doch verfällt die Kugel der Völlerei, werden die Ressourcen knapp und das Leben des wachsenden Schwarms gerät in Gefahr. Das Spiel ist ein Projekt des Studien schwerpunktes Animation und Inter aktive Medien am Animationsinstitut der Filmakademie Baden Württemberg. Globosome FREE hat im Jahr 2012 den mit 10 000 € dotierten AppArtAward des ZKM in der Kategorie Game Art gewonnen. Producer: Anna-Katharina Brinkschulte, Franziska Remmele, Game Director: Sascha Geddert, Game Design: Fabian Schaub, Programming: Thomas Krüger, Graphics: Tonio Freitag, GUI Design: Max Jung, Sound Design: Namralata Strack, Concept Design: Jin-Ho Jeon, Music: Maryna Aksenov, Support Game Design: Oliver Witzki. — Foto: © Fabian Schaub, Franziska Remmele & Thomas Krüger GbR entstanden am Animationsinstitut der Filmakademie BW /45 61 /46 /47 Thatgamecompany flOw 2007 — Computerspiel, PlayStation 3 — Bei flOw handelt es sich ursprünglich um die Abschlussarbeit des Game Designers Jenova Chen an der University of Southern California. Das als studentisches Projekt begonnene Game wurde daraufhin für die Spielkonsole PlayStation 3 neu aufgelegt und technisch verbessert. Die SpielerInnen bewegen einen einfachen Organismus durch eine Unterwasserlandschaft von bizarrer Schönheit. Das Ziel besteht darin, sich andere Organismen einzuverleiben, um sich zu einer komplexeren Kreatur weiterzuentwickeln und dabei stets im Spielfluss zu bleiben. Das Spiel passt seinen Schwierigkeitsgrad automatisch an die Fähigkeiten der SpielerInnen an, so dass eine im Flow fliessende Spielhandlung stets gewährleistet ist. — Foto: © Sony Computer Entertainment Amanita Design Samorost 2004 — Computerspiel, Mac — Mit Samorost hat der Game Designer Jakub Dvorský (*1978) erstmals sein Gespür für Interaktionsdesign unter Beweis gestellt. Auf der visuellen Ebene mischt Dvorský organische Strukturen wie Holz und Moos mit seinen eigenen comichaften Erfindungen. Einflüsse des traditionsreichen tschechischen Animationsfilms treffen auf das Genre des Pointand-Click-Adventures. — Foto: courtesy of Amanita Design /47 /46 Literatur in Auswahl Aarseth, Espen: Computer Game Studies, Year One, www.gamestudies.org, Vol. 1: Nr. 1, 2001, http://gamestudies.org/0101/ editorial.html [06.06.2013]. 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Impressum / Ausstellung / Broschüre Kuratoren Stephan Schwingeler, Bernhard Serexhe Redaktion / Lektorat Bernhard Serexhe, Stephan Schwingeler Projektleitung Bernhard Serexhe, Stephan Schwingeler Werktexte Stephan Schwingeler Registrarin Regina Linder Layout nodesign.com Technische Leitung Stefan Wessels Druck E&B engelhardt und bauer ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe Lorenzstraße 19 76135 Karlsruhe Aufbau Volker Becker, Claudius Böhm, Mirco Frass, www.zkm.de Rainer Gabler, Gregor Gaissmaier, Ronald Vorstand Haas, Werner Hutzenlaub, Christof HierPeter Weibel holzer, Alexandra Kempf, Gisbert Laaber, Marco Preitschopf Geschäftsführerin Christiane Riedel Softwareaufbereitung / IT Dirk Heesakker, Daniel Heiss Verwaltungsleitung Boris Kirchner IT-Support Uwe Faber, Elena Lorenz, Joachim Schütze Aufbauleitung Thomas Schwab, Werner Hutzenlaub Presse und Marketing Dominika Szope, Julia Wicky, Linda Mann, Verena Noack, Constanze Heidt Museumskommunikation Janine Burger, Banu Beyer, Eva Lusch, Marianne Spencer, Stephanie Syring Restauratorinnen Verena Bolz, Wibke Ottweiler, Nahid Matin Pour, beteiligte Firmen Gerriets, DNH Art Solutions, Concern Art, Hermann und Kutscher, Weide Pulverbeschichtung, Glas Schmid, Atelier Haustein, AVE Audio Visual Equipment Olaf Val: Digigripper Rückansicht, 2007, courtesy of Olaf Val Stifter des ZKM Partner des ZKM Feng Mengbo: «Long March: Restart», 2008, Computerspiel, Detail, Courtesy of Feng Mengbo ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe Lorenzstraße 19 76135 Karlsruhe 0049 (0) 721 8100-1200 info@zkm.de www.zkm.de Öffnungszeiten Mi—Fr 10—18 Uhr Sa/So 11—18 Uhr Mo/Digeschlossen