Dietrich oder Schlüsselbund: Was ein Protein und ein

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Dietrich oder Schlüsselbund: Was ein Protein und ein
Jahrbuch 2009/2010 | Griesinger, Christian | Dietrich oder Schlüsselbund: W as ein Protein und ein
Panzerknacker gemeinsam haben
Dietrich oder Schlüsselbund: Was ein Protein und ein Panzerknacker
gemeinsam haben
Lock pick or bunch of keys: what proteins and safecrackers have in
common
Griesinger, Christian
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen
Korrespondierender Autor
E-Mail: cigr@nmr.mpibpc.mpg.de
Zusammenfassung
Mittels eines neuen NMR-spektroskopischen Verfahrens gelang es, nicht nur die Durchschnittsstruktur des
Proteins Ubiquitin zu bestimmen, sondern ein Strukturensemble des gelösten Proteins, das die Fluktuationen
insbesondere in dem bisher unzugänglichen Zeitbereich zw ischen 5 milliardstel und 50 millionstel Sekunden
zugänglich macht. Dieses Ensemble erlaubt w ichtige Rückschlüsse auf den Mechanismus der Protein/ProteinErkennung mit potenziellen Konsequenzen für die Beeinflussung von Protein/Protein-Komplexen, w as letztlich
eine neue Dimension in der Pharmakaentw icklung bedeuten könnte.
Summary
Novel NMR spectroscopic parameters allow ed to determine not only the average structure of the protein
ubiquitin but in addition the description of a faithful ensemble of the protein in solution. The ensemble
reflected especially the previously inaccessible time w indow betw een 5 ns and 50 µs. The ensemble revealed
the mechanism of protein protein recognition for this protein. If this w as general new strategies for modulation
of protein protein recognition w ould open up that could be used for more efficient drug development.
Proteine stellen neben DNA, RNA, Zuckern und Lipiden eine große Klasse von biologisch w ichtigen Molekülen
dar. Es sind Makromoleküle, die aus einer begrenzten Zahl von Bausteinen, den Aminosäuren, aufgebaut sind.
W ichtig für die Funktion ist ihre Struktur, die sich grob unterteilen lässt in die Primärstruktur (Sequenz der
Aminosäuren, jedes Protein ist aus den 20 sogenannten proteinogenen Aminosäuren aufgebaut) und die
dreidimensionale Anordnung der Atome im Raum. W ährend die Primärstruktur relativ leicht zu ermitteln ist, w ar
es erst ab Mitte des letzten Jahrhunderts mittels der Röntgenkristallographie möglich, die räumlichen
Proteinstrukturen zu bestimmen. In den 80er- Jahren kam die Kernresonanzspektroskopie (NMR) als w eitere
Methode hinzu. Heute sind etw a 15 Prozent der in der Protein-Datenbank (pdb) deponierten Strukturen mittels
NMR, der Rest mittels Röntgenkristallographie bestimmt. Bei der NMR-Spektroskopie w ird die notw endige
Auflösung
von
w eniger
als
einem hundertmillionstel Millimeter
(0.1
Å) dadurch
erreicht, dass
die
Resonanzfrequenz eines jeden Atomkerns im Molekül von seiner chemischen Umgebung beeinflusst w ird und
d i e chemische Verschiebung erzeugt. Das Ausmaß der Beeinflussung hängt vom äußeren Magnetfeld ab,
sodass immer stärkere und teurere Magneten für diese Untersuchungen notw endig sind. Die mehreren
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sodass immer stärkere und teurere Magneten für diese Untersuchungen notw endig sind. Die mehreren
tausend
Atome
eines
Moleküls
w erden
aufgrund
der
unterschiedlichen
chemischen
Verschiebungen
unterscheidbar und aus der Messung der Distanzen zw ischen diesen unterscheidbaren Atomkernen kann die
dreidimensionale Anordnung aller Atome im Raum (Struktur des Proteins) abgeleitet w erden. Für dieses
Verfahren haben Richard R. Ernst 1991 und Kurt W üthrich 2002 den Nobelpreis erhalten.
Die Bestimmung der Struktur von Proteinen, oder genauer gesagt, die Bestimmung einer gemittelten Struktur
des Proteins lieferte w ichtige Informationen über die Funktion des Proteins. Zum Beispiel bei Protein/ProteinErkennung kann man von der dreidimensionalen Struktur ableiten, w elche Aminosäurereste für die Bildung
einer Oberfläche mit einer spezifischen Signatur aus positiv oder negativ geladenen und fettliebenden
(lipophilen) Resten verantw ortlich sind. Oder bei Enzymen, also den natürlichen Katalysatoren, w elche
Aminosäuren für die Katalyse verantw ortlich sind.
Es stellte sich allerdings heraus, dass häufig die für die Katalyse verantw ortlichen Aminosäurereste in der
einen Struktur nicht an Positionen saßen, die die Katalyse erklären w ürde. Also w ar Proteinbew eglichkeit für
die Katalyse unverzichtbar. Auch bei der Bildung von Komplexen zw ischen zw ei Proteinen zeigte sich, dass ein
Protein je nach Bindungspartner im Komplex unterschiedliche Konformationen annahm. Nach dem alten EmilFischer’schen Modell von dem Schlüssel und dem Schloss, in dem das betrachtete Protein der Schlüssel, der
Bindungspartner das Schloss darstellt, passte sich der Schlüssel offenbar dem Schloss an. Wenn ein Protein
eine Vielzahl von Bindungspartnern erkennen muss, und derartige Proteine findet man in großer Zahl, so sollte
es sich entw eder w ie ein Dietrich (passt sich also dem Schloss an) verhalten oder das Protein sollte eher
einem Schlüsselbund vergleichbar sein, w ählt also für jedes Schloss den passenden Schlüssel aus.
Der erste Fall eines adaptiven Schlüssels für alle denkbaren Schlösser w urde von Koshland [1] 1958 als
induced fit (Abb. 1) bezeichnet, w ährend der Schlüsselbund und die Ausw ahl des passenden Schlüssels für das
Knacken eines Schlosses 1965 von Monod [2] als conformational selection (Abb. 2) bezeichnet w urde.
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(1) Mode ll de s "induce d fits": Die Konform a tion de s P rote ins
(rot) in Abwe se nhe it de s Erk e nnungspa rtne rs (ga nz link s) ist
ve rschie de n von de r im Kom ple x . Erst durch de n Konta k t m it
de m Erk e nnungspa rtne r (ge lbe Sym bole , Mitte ) wird da nn die
e ndgültige Konform a tion induzie rt (Kom ple x ga nz re chts). (2)
Mode ll de r "conform a tiona l se le ction": Alle Konform a tione n
de s P rote ins (rot, ga nz link s), die m a n in de n Kom ple x e n m it
Erk e nnungspa rtne rn (ge lb, re chts) finde t, sind in Abwe se nhe it
de s Erk e nnungspa rtne rs schon vorha nde n. De r
Erk e nnungspa rtne r (ge lb) wä hlt die richtige Konform a tion a us.
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e t a l.
Diese Frage w ar für viele Jahrzehnte sehr schw er zu untersuchen, da es nicht möglich w ar, neben der
gemittelten Struktur, die über Röntgenkristallographie oder NMR bestimmt w erden konnte, auch ein getreues
Abbild der Fluktuationen der Strukturen zu gew innen. Hier haben zw ei neue, in den letzten zehn Jahren
entw ickelte Messverfahren Abhilfe geschaffen, die beide die kernmagnetische Resonanzspektroskopie (NMR)
nutzen. Im ersten Verfahren, das Fluktuationen auf einer im Folgenden als langsam bezeichneten Zeitskala
von etw a 50 millionstel (50 µs) bis ein hundertstel Sekunden (10 ms) misst, nutzt man die Tatsache aus, dass
sich die chemische Umgebung und damit die Resonanzfrequenz des mit dem Atomkern verknüpften Spins
ändert. Diese
Änderung schlägt sich als
Linienverbreiterung nieder, ist aber strukturell schw er zu
interpretieren. Man erfährt, dass sich etw as tut, aber man kann nicht auf das Ausmaß der Bew egung schließen
[3].
Ein zw eites Verfahren, das die Gruppe um Christian Griesinger in den letzten zehn Jahren entw ickelt hat,
beruht auf der Präzisionsmessung der scheinbaren Länge und Richtung von internuklearen Vektoren in Bezug
auf das Molekül. Internukleare Vektoren verbinden zw ei Atomkerne, bei den Messungen bevorzugt das
Stickstoffatom (N) der Aminogruppe der Aminosäure und das daran gebundene Wasserstoffatom (H), also die
NH-Vektoren. Die scheinbare Länge und Richtung w ird über sogenannte dipolare Kopplungen gemessen, die
durch flüssigkristalline Medien, Alignmentmedien, erzeugt w erden und letztlich eine Projektion des Vektors auf
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eine bestimmte Raumrichtung vorgeben. Für eine Messung der scheinbaren Länge eines Vektors reichen n
Messungen aus, w obei n die Dimension des Vektors ist. Nun zeigt sich, dass die aus den Projektionen
zusammengesetzte
Richtung dem Mittelw ert der von diesem Vektor eingenommenen Orientierungen
entspricht. Die scheinbare Länge dagegen ist bei Fluktuationen des Vektors erhöht. Das Ausmaß der Erhöhung
ist ein Maß für die Amplitude der Fluktuationen des Vektors, die auf allen Zeitskalen von etw as einer billionstel
Sekunde bis etw a einer hundertstel Sekunde auftreten. Die Forscher um Christian Griesinger unterw arfen
Ubiquitin, dessen biologische Funktion übrigens ist, sich an andere Proteine anzuheften w ie eine Briefmarke
an einen Brief und dadurch das Schicksal des Proteins in der Zelle zu bestimmen, diesen Messungen und
fanden erhebliche Fluktuationen, die nicht durch die oben erw ähnten langsamen Fluktuationen zu erklären
sind, aber auch nicht durch sehr schnelle. Diese sehr schnellen Fluktuationen passieren in einem Zeitfenster
zw ischen einer billionstel Sekunde (1ps) und etw a fünf milliardstel Sekunden (5 ns) und können ebenfalls mit
einem nochmals anderen NMR-spektroskopischen Messverfahren eruiert w erden.
Da, w ie erw ähnt, erhebliche Fluktuationen übrigblieben, die w eder sehr schnell noch langsam w aren, mussten
sie in einem Zeitfenster zw ischen etw a fünf milliardstel (5 ns) und 50 millionstel Sekunden (50 µs) stattfinden.
Dieses Zeitfenster w ar in physiologischer Umgebung bisher messtechnisch nicht zugänglich.
Ense m ble de s Ubiquitin in Lösung vor e ine r Bice lle , m ithilfe
de re r die im Te x t e rwä hnte n dipola re n Kopplunge n zwische n
Am idstick stoff und W a sse rstoff e rze ugt we rde n. Eine Bice lle ist
e in a us zwe i Lipide n a ufge ba ute s "Me m bra nsche ibche n", da s
sich im ä uße re n Ma gne tfe ld orie ntie rt und so zu de r
e rwä hnte n, nicht gle ichm ä ßige n Ve rte ilung de r O rie ntie runge n
de s Mole k üls führt. Tä usche nd e cht: De r Schlüsse lbund de s
P a nze rk na ck e rs ze ichne t sich a ls Silhoue tte a b.
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In einer Kooperation mit Oliver Lange, Helmut Grubmüller und Bert de Groot von der Nachbar-Abteilung für
Theoretische und Computergestützte Biophysik gelang es dann, die experimentell bestimmten Fluktuationen
durch ein Ensemble von Strukturen des Ubiquitins in Abw esenheit irgendeines Bindungspartners darzustellen
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und damit zw ischen den beiden von Monod und Koshland skizzierten Extremsituationen zu unterscheiden. In
der Tat deckt das freie Lösungs-Ensemble alle 46 bekannten Strukturen ab, die Ubiquitin im Komplex mit
Bindungspartnern einnimmt. Diese Komplexe fanden sich in der Protein-Datenbank. In der oben eingeführten
Schlüssel-Schloss-Analogie w ird Ubiquitin daher nicht durch einen Dietrich, sondern durch einen Schlüsselbund
repräsentiert. Ein Bindungspartner findet so immer schon die richtige Struktur in Lösung vor und muss aus
dem Schlüsselbund nur den richtigen Schlüssel ausw ählen. In diesem Sinn kommt der Panzerknacker
(Ubiquitin) mit dem Schlüsselbund, um das Safeschloss zu knacken, und nicht mit dem adaptiven Dietrich.
Interessant ist es jetzt herauszufinden, mit w elcher Geschw indigkeit die verschiedenen Konformationen
ineinander übergehen, da diese Umw andlung die Geschw indigkeit der Bindungsbildung nach oben hin
limitieren sollte.
Dass Moleküle sich eher w ie ein Schlüsselbund als w ie ein Dietrich verhalten, w enn sie Bindungspartner
erkennen, dafür gibt es ein w eiteres, ähnlich gelagertes Beispiel. So fanden Hashim al Hashimi und Kollegen
für die Ribonukleinsäure TAR-RNA, die bei der Infektion durch den HI-Virus eine entscheidende Rolle spielt,
heraus, dass sie eine Bew egung um ein Scharnier herum ausübt, vergleichbar mit dem Knie eines Beins. Diese
Bew eglichkeit ist in physiologischer Umgebung voll ausgeprägt. Bindet die RNA allerdings kleine Moleküle, die
man für die Abw ehr von HIV-Infektionen verw enden könnte, so nimmt sie eine Konformation an, die je nach
Bindungspartner gestreckt oder leicht oder stärker gew inkelt ist.
Sollte sich die Erw artung bestätigen, dass es sich hier um ein allgemeines Phänomen handelt, so kann man
langfristig neben dem Erkenntnisgew inn über grundlegende biophysikalische Eigenschaften von Proteinen
erhoffen, Interaktionen zw ischen Proteinen besser zu modulieren, w as neue Perspektiven bei der Entw icklung
von Medikamenten eröffnen w ürde.
Originalveröffentlichungen
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[1] D. E. Koshland Jr.:
Application of a theory of enzyme specificity to protein synthesis:
Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA 44, 98-104 (1958).
[2] J. Monod, J. Wyman and J.-P. Changeux:
On the nature of allosteric transitions: A plausible model.
Journal of Molecular Biology 12, 88-118 (1965).
[3] L. C. Wang, Y . X. Pang, T. Holder, J. R: Brender, A. V. Kurochkin, E. R. P. Zuiderweg:
Functional dynamics in the active site of the ribonuclease binase.
Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA 98, 7684-7689 (2001).
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[4] O. Lange, N. A. Lakomek, C. Farès, G. Schröder, S. Becker, J. Meiler, H. Grubmüller, C. Griesinger, B.
de Groot:
Recognition dynamics up to microseconds revealed from an RDC-derived ubiquitin ensemble in solution.
Science 320, 1471-1475 (2008).
[5] Q. Zhang, A. C. Stelzer, C. K. Fisher, H. M. Al-Hashimi:
Visualizing spatially correlated dynamics that directs RNA conformational transitions.
Nature 450, 1263-1267 (2007).
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