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Jahrbuch 2009/2010 | Dobler, Ralph-Miklas | Hitler in Rom 1938
Hitler in Rom 1938
Hitler in Rome, 1938
Dobler, Ralph-Miklas
Bibliotheca Hertziana - Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, Rom, Italy
Korrespondierender Autor
E-Mail: dobler@biblhertz.it
Zusammenfassung
Ein Forschungsprojekt der Bibliotheca Hertziana beschäftigt sich mit der offiziellen Kunst und Architektur im
faschistischen Italien 1936 bis 1943, das heißt w ährend der von Mussolini verkündeten „Achse Berlin – Rom“.
Besonders
interessiert die
Selbstdarstellung des
Regimes
und die
gegenseitige
Wahrnehmung und
Beeinflussung der beiden totalitären Staaten. Im Zentrum der Untersuchung steht der Besuch Adolf Hitlers in
Rom im Jahr 1938, seine Vorgeschichte und die Folgen.
Summary
A Bibliotheca Hertziana research project looks at the official art and architecture in Fascist Italy betw een 1936
and 1943, during the period of the ‘Rome-Berlin Axis’ proclaimed by Mussolini. The w ay in w hich the regime
presented itself and the w ay in w hich the tw o totalitarian states perceived and influenced each other is of
particular interest. The study focuses on Adolf Hitler’s visit to Rome in 1938, the events leading up to it and its
consequences.
Vom 3. bis 9. Mai 1938 besuchte Adolf Hitler den Duce des italienischen Faschismus Benito Mussolini in Italien.
Es handelte sich hierbei um den einzigen offiziellen Staatsbesuch, den der Führer und Reichskanzler w ährend
seiner Herrschaft antrat, daher hatte der Aufenthalt eine außerordentlich hohe symbolische Bedeutung.
Tatsächlich w aren keinerlei diplomatische Verhandlungen vorgesehen, allein die Eintracht und Verbrüderung
der beiden totalitären Systeme, die sich innerhalb der Weltpolitik zunehmend isoliert sahen, sollten
demonstrativ zur Schau gestellt w erden. Entsprechend umfangreich kamen visuelle Medien zum Einsatz. Hatte
Hitler bereits im Vorjahr Mussolini durch einen mehrtägigen Empfang im Reich geehrt, so oblag es nun dem
Duce, seinem Verbündeten sow ie dem italienischen und deutschen Volk die Errungenschaften, Traditionen und
das Selbstverständnis seines faschistischen Imperiums vorzustellen, das er nach dem siegreichen Feldzug
gegen Abessinien (3. Oktober 1935–9. Mai 1936) ausgerufen hatte. W ie noch nie zuvor w urde der Besuch in
Text, Bild und Film dokumentiert. Fast zeitgleich konnte die gesamte W elt das Geschehen verfolgen.
Die kunstw issenschaftliche Analyse der Bilder, die dem Gast, den Delegationen und den Zuschauern vor Ort
präsentiert w urden, bietet neue Erkenntnisse zum Selbstverständnis der faschistischen Diktatur sow ie zu
deren Einschätzung des Führers und seiner Herrschaft. Dabei ist der Begriff „Bild“ w eit gefasst und bezeichnet
nicht nur im traditionellen Sinn die bemalte Tafel, sondern auch den inszenierten Blick auf die Stadt und auf die
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antiken Monumente sow ie die Lichtinstallationen, Propagandaausstellungen, Militärparaden und vieles mehr,
die dem Betrachter dargeboten und in Fotografien und Druckmedien verbreitet w urden. Alle visuellen
Botschaften w erden in ihrer Bedeutung als historisches Dokument ernst genommen.
Hitlers Ankunft in Rom zwischen Moderne und Antike
Ba hnhofspa villon in R om für die Ank unft Adolf Hitle rs im Ma i
1938.
© Doble r
Im Zentrum der Reise stand ein mehrtägiger Aufenthalt in Rom. Da Adolf Hitler mit dem Zug nach Italien fuhr,
konnten die Massen bereits die Fahrt miterleben und feiern. W ie sehr man dabei den antiken Einzug eines
Triumphators mit modernen Mitteln zu imitieren suchte, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass man den Diktator
außerhalb der antiken Mauern empfing. Ein extra errichteter Pavillon, dessen kalte und ornamentlose
Formensprache die Faszination für die nationalsozialistischen Bauten nördlich der Alpen kaum verleugnen
kann, w urde mit neuester Beleuchtungstechnik bestückt, um die Architektur hell vor der dunklen Nacht
erstrahlen zu lassen (Abb. 1). Nur w enige Hundert Meter entfernt katapultierte man Hitler jedoch zurück in die
Vergangenheit: Der Platz vor der antiken Porta Ostiense w urde nur von hohen Fackeln auf dem Stadttor und
den anschließenden Mauern beleuchtet. Da Hitler offiziell Gast des italienischen Staatsoberhauptes und damit
des italienischen Königs und Kaisers von Abessinien Vittorio Emanuele III. w ar, bestieg er mit diesem eine
vierspännige Kutsche, die ihn durch die Stadt zum Quirinalspalast brachte. Die beiden Pole Antike und
Modernität, zw ischen denen sich das Selbstverständnis des italienischen Faschismus bew egte, sollten den
ersten Eindruck des Gastes bestimmen.
Hitler als Opernheld
Da man Adolf Hitler in den Süden der Stadt geleitet hatte, musste die Einzugsroute durch nur spärlich
bebautes Gebiet und dann vor allem durch das antike Zentrum der Stadt um den Palatin, das Kolosseum, das
Forum Romanum sow ie die Kaiserforen führen. Man erachtete es für w eniger w ichtig, auf der nächtlichen Fahrt
w eitere Bauprojekte Mussolinis darzubieten.
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Entwurf für de n Schm uck de r Via de i Trionfi in R om a nlä sslich
de s Be suchs von Adolf Hitle r.
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Tatsächlich beabsichtigte man, einen synästhetischen, überw ältigenden ersten Eindruck beim Betrachter zu
erzeugen. Man beauftragte einen Bühnenbildner, der zuvor an der römischen Oper tätig w ar, mit dem Schmuck
der Stadt. Dessen Entw ürfe zeigen in ihrer zentralperspektivischen Anlage mit dramatischen Tiefenzügen und
Beleuchtungseffekten (Abb. 2), dass er die urbanistischen Gegebenheiten als eine Abfolge von Bildern
verstand, in denen Rom dem Gast in einzelnen Akten vor Augen geführt w urde. Jede Skizze konnte ebenso
gut als Bühnenszene umgesetzt w erden, w odurch eine komplexe Situation von Bild und Raum entstand. Denn
Hitler blieb nicht Zuschauer, er w ar der Protagonist einer performativen Aufführung, der das Dargebotene im
Erleben aktiv mitgestalten sollte. Man reagierte mit dieser ins Fiktive tendierenden Darstellung bew usst auf
die Persönlichkeit Adolf Hitlers, dessen W unsch, ein Staatsmann zu sein, bereits in jungen Jahren durch die
Opern Richard Wagners gefördert w urde. Sein noch im Geburtsort Linz geäußertes Verlangen, ein neuer
Rienzi, ein Tribun, zu w erden, ging in Rom suggestiv in Erfüllung.
Die Inszenierung der Antike
Die Kulissen für den Einzug bot dort, w o nicht Fahnenw ände das unregelmäßig bebaute Land verschleierten,
die Antike. Dabei manifestieren sich mehrere spezifische Arten des Umgangs mit den Relikten der Kaiserzeit.
Flankiert von kolossalen Kandelabern, an denen mehrere Gasflammen leuchteten, fluchtete die 1936 nach der
Ausrufung des faschistischen Imperiums angelegte Via dei Trionfi im hell angestrahlten Konstantinsbogen. Im
19. Jahrhundert hatte man das Monument infolge des aufkommenden Denkmalkultus durch eine Umfriedung
von der Umgebung abgesetzt, um es als historisches Zeugnis dem Blick des gebildeten Betrachters
auszusetzen. Jetzt band man es gemeinsam mit dem Kolosseum in die Gestaltung eines größeren Platzes ein
(Abb. 3). Dieser w urde komplett gepflastert, störende antike Monumente in der Nähe des Bogens entfernt und
das Niveau angeglichen, bis ein Durchmarsch möglich w ar. Mit der Monumentalisierung des Konstantinsbogens
w urde also das Monument reaktiviert. Man machte das antike Siegeszeichen zum Bestandteil der Gegenw art
und nutzte es in althergebrachter Weise als Auszeichnung für den Durchschreitenden. Dadurch erw eckte man
den Anschein einer ungebrochenen Kontinuität von der Kaiserzeit bis in die faschistische Zeitrechnung.
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Militä rpa ra de a uf de m a b 1936 ne u ge scha ffe ne n P la tz
zwische n Kolosse um und Konsta ntinsboge n.
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Mit dem Kolosseum verfuhr man anlässlich des Einzugs von Adolf Hitler ganz anders. W ährend der
Konstantinsbogen Bestandteil des Weges w ar, griff man hier auf eine theatralische, geradezu irreale Szenerie
zurück. Im Inneren des Amphitheaters w urden Bengalische Feuer entzündet, w obei die Außenfassade im
Dunkeln blieb. In einer Umkehr der architektonischen Struktur, die extrem geschw ächt w urde, w aren nur die
Fensteröffnungen und durch sie treibende Nebelschw aden sichtbar. Man legte keinen Wert darauf, Hitler bei
seiner Ankunft den Inbegriff römischer Antike in dokumentarischer W eise zu präsentieren.
Ähnlich kulissenhaft w urde der Höhepunkt des Einzuges über die Via del Impero gestaltet. Mittels kolossaler
Dreifüße, die Feuerschalen trugen, steigerte man das Vokabular ins Sakrale. Eine Ausw ahl antiker Gebäude,
die man von der „Straße des Imperiums“ entw eder von oben oder von unten betrachten konnte, w urde
zusätzlich durch helle Spots gegen den dunklen Nachthimmel hervorgehoben. Fassadenhaft und unzugänglich
erschienen sie als verehrungsw ürdige Reliquien, deren Erkundung und Berührung nicht vorgesehen w ar. Ihre
bildhafte Inszenierung zeigt, dass man bereits beim Schmuck der Stadt daran dachte, das Geschehen im
Medium der Fotografie zu verbreiten.
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Hitle r, Mussolini und die De le ga tion de r NSDAP vor de m P flug
de s R om ulus in de r röm ische n Augustusa usste llung 1938.
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Dem Führer w urden neben Militärparaden, Manövern und italienischem Brauchtum Teile der antiken Ara pacis,
das Museum der Villa Borghese und vor allem die Mostra Augustea della Romanità gezeigt. Ohne originale
Fundstücke dokumentierte und systematisierte die Ausstellung die Antike anhand von Modellen und Abgüssen.
Zugleich verknüpfte und überblendete man die Leistungen der Cäsaren mit den Errungenschaften des
Faschismus als legitimem Erben. Auch hier nutzte man visuelle Strategien und Bilder zur Vermittlung und
Identitätsstiftung. Der Höhepunkt dürfte w ohl die Rekonstruktion der Pflugschar gew esen sein, mit der
Romulus 753 v. Chr. den Umriss der späteren Stadt Rom zog ( Abb. 4). Hitler w ünschte, die Ausstellung ein
zw eites Mal zu sehen.
Die Wirkung des Besuches
Die vielfältige Sprache der Bilder spielte für die Propaganda der Diktatur eine außerordentlich bedeutende
Rolle. Kein anderes Medium konnte den Betrachter so direkt fesseln und subtil überw ältigen. Hitlers spätere
Äußerungen und Taten zeigen, w ie sehr ihn sein erster und letzter Besuch in der Ew igen Stadt beeindruckt
hat. Die Idee, den Führer durch eine Vielzahl ästhetischer Eindrücke zu übermannen und zu begeistern, die
teilw eise tief in der italienischen Kunst und Kultur w urzelten, aber auch auf nationalsozialistische Theatralik
rekurrierten, entfaltete eine verheerende W irkung. Die megalomane Planung von Berlin als Welthauptstadt
„Germania“ und das Museum in Linz sow ie die dafür veranlassten Raubzüge sind vor dem Hintergrund des
Staatsbesuches zu sehen. Auch der fatale W unsch nach einem großdeutschen Reich und die Bereitschaft,
durch einen bedingungslosen Krieg den Siedlungsraum zu vergrößern, dürften von der in Rom demonstrierten
Verschmelzung antiker Größe mit faschistischer Modernität genährt w orden sein.
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[1] F. Mastrigli:
Roma pavesata.
Capitolium 13, 219–234 (1938).
[2] H. Hansen:
Der Schlüssel zum Frieden. Führertage in Italien.
Klieber, Berlin 1938.
[3] A. Scobie:
Hitler’s State Architecture.
Pennsylvania State University Press, University Park 1990.
[4] R. Bianchi Bandinelli:
Hitler e Mussolini 1938. Il viaggio del Führer in Italia.
Rom, E/o 1995.
[5] W. Schieder:
Faschistische Diktaturen. Studien zu Italien und Deutschland.
W allstein Verlag, Göttingen 2008.
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