Die vaginale Untersuchung während der Geburt
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Die vaginale Untersuchung während der Geburt
fhg – Zentrum für Gesundheitsberufe Tirol GmbH FH-Master-Lehrgang zur Weiterbildung §14a FHStG Master of Science in Practice Midwifery Die vaginale Untersuchung während der Geburt Ein Eingriff zwischen Routinemaßnahme und Intimitätsverletzung Masterthesis Verfasserin: Elisabeth Rakos, Matrikelnummer 1030006015 Betreuerin: Dr. in Barbara Schildberger, M.A. Zweitbegutachterin: Martina König, MHPE Innsbruck, im September 2012 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Widmung Für meine Mutter, die mich auf natürlichem Wege zur Welt gebracht hat, obwohl die Umstände alles andere als natürlich waren. Für meine Schwiegermutter, die mich gelehrt hat, die Liebe über alles Trennende zu stellen und die im Juni 2012 gestorben ist. Titelbild: Georgia O´Keeffe (1924) Light Iris http://kip.kennesaw.edu/~smoultrie/Art/art-new-york.html 1 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Dank Immer wenn jemand ein zeit- und arbeitsintensives Vorhaben ausführt, gibt es Menschen hinter den Kulissen, ohne die diese Übung nicht gelingen würde. Ihnen allen möchte ich sagen: Auch wenn es vielleicht nicht spürbar war, ich bin euch zutiefst dankbar für eurer Verständnis, eure Geduld und eure Unterstützung. Zu allererst möchte ich mich bei den zehn Frauen bedanken, die mir in den Interviews Einblicke in ihre Geburtserlebnisse gewährt haben. Danke für euer Vertrauen und für eure Zeit. Ohne euch wäre die Arbeit nicht geworden was sie ist. Mary, thank you so much for your support, for your friendship, for the expert-interview we did and for the wonderful day we spent together at King`s College in London. Christian, es ist mir bewusst, dass diese zwei Jahre Studium auch für dich eine Herausforderung waren. Ich war viel weg und zu Hause oft reizbar und übermüdet. Danke für deine Unterstützung. Danke für den Kaffee am Morgen und den Rotwein am Abend. Danke, dass du für uns Essen eingekauft und gekocht hast. Danke für die vielen Wochenenden, die du ganz allein bestritten hast. Du hast selbst einen anspruchsvollen Job und ich weiß, dass das alles nicht leicht war für dich. Danke. Manuel, Valentin, Benjamin und Florian, euch danke ich für die vielen Tage, an denen ihr ohne mein Zutun den Laden geschupft, meine Unausgeglichenheit ignoriert, den Hund gefüttert und die Musik leise gedreht habt, wenn ich mit einem schweren Kopf nach Hause gekommen bin. Dir, Traude, möchte ich für deine Freundschaft und deine vielen praktischen Hilfsmaßnahmen danken, die mich einmal mehr haben spüren lassen, wie wichtig es ist, eine Freundin zu haben. Mela y Anamaria, gracias a la vida que nos puso en este camino.... 2 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Martina, deine erste Botschaft zu Beginn unseres Studiums war ein A4 Blatt mit dem Bild von einem großen, offen stehenden Tor. Darüber stand geschrieben: „ Bitte eintreten in eine Zeit der Fülle, der Herausforderung und der Freude.“ Oft hat mich dieser Satz inspiriert und motiviert. Bewusst bin ich durch dieses Tor geschritten und habe mich auf einen Weg gemacht, der tatsächlich gepflastert war mit einer Fülle an herausfordernden und inspirierenden Erfahrungen. Ich möchte mich bei dir bedanken für dein offenes Ohr und deine liebevolle, unkomplizierte Art, mit uns Studentinnen umzugehen. Du bist die beste Studiengangsleiterin der Welt. Besonders dankbar bin ich dir, Barbara, meiner Wegbegleiterin und Betreuerin in diesem Prozess des Erstellens einer Masterarbeit. Ganz im Sinne feinster Hebammenkunst hast du es immer wieder verstanden, mich zu ermutigen und mir das bewusst zu machen, was verborgen in meinem Innersten schon da war. Darüber hinaus haben mir deine praktischen Anregungen, deine Freude dabei, mich zu begleiten und deine prompten Antwortmails auf meine manchmal verzweifelten Fragen unglaublich gut getan. 3 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Inhaltsverzeichnis Widmung ................................................................................................. 1 Dank......................................................................................................... 2 Vorwort .................................................................................................... 7 Zusammenfassung................................................................................. 8 Abstract ................................................................................................... 9 1. Einleitung .......................................................................................... 10 1.1 Forschungsfragen ............................................................................................11 1.2 Aufbau der Arbeit .............................................................................................11 1.3 Ziel....................................................................................................................13 2. Grundlagen ....................................................................................... 14 2.1 Die deutschen Hebammenlehrbücher..............................................................15 2.1.1 Hebammenlehrbuch ..................................................................................15 2.1.2 Das Hebammenbuch .................................................................................17 2.1.3 Hebammenkunde ......................................................................................19 2.2 Midwifery-Textbooks aus England, Australien und Neuseeland ......................20 2.2.1 Myles Textbook for Midwives (UK) ............................................................20 2.2.2 Skills for Midwifery Practice (UK)...............................................................22 2.2.3 Midwifery Essentials (UK)..........................................................................23 2.2.4 Midwifery. Preparation for Practice (Australia, New Zealand) ...................25 2.3 Abseits der Lehrbücher ...................................................................................26 2.3.1 Die Eipolablösung......................................................................................26 2.3.2 Das Muttermund-Dehnen ..........................................................................27 2.3.3 Massieren und Dehnen von Damm und Labien ........................................27 2.3.4 Der quickie................................................................................................27 2.4 Conclusio..........................................................................................................28 3. Die vaginale Untersuchung im wissenschaftlichen Diskurs........ 30 3.1 Evidenzen als Handlungsgrundlage.................................................................30 3.2 Das Paradigma des Geburtsfortschritts ...........................................................31 3.3 Die vaginale Untersuchung als Routinemaßnahme .........................................37 3.4 Die vaginale Untersuchung als Stressor ..........................................................40 4 Die vaginale Untersuchung während der Geburt 3.5. Posttraumatische Belastungsstörungen..........................................................42 3.6 Die vaginale Untersuchung als Machtinstrument .............................................45 3.7 Die Akzeptanz der vaginalen Untersuchung durch die Gebärende .................46 3.8 Die Rolle der Zeit in der Geburtshilfe ...............................................................47 3.9 Alternativen zur vaginalen Untersuchung.........................................................51 4. Forschungsergebnisse aus den Interviews................................... 54 4.1 Methode ...........................................................................................................54 4.2 Rekrutierung.....................................................................................................55 4.3 Vorbereitung und Ablauf der Interviews ...........................................................56 4.4 Die interviewten Frauen: Zehn geburtshilfliche Kurzportraits...........................57 4.5. Die interviewte Expertin...................................................................................61 4.6 Auswertungsmethode.......................................................................................62 4.7 Ergebnisse .......................................................................................................63 4.7.1 Die vaginale Untersuchung als notwendige Maßnahme ...........................64 4.7.2 Die körperliche Wahrnehmung der vaginalen Untersuchung ....................68 4.7.3 Die Kommunikation der vaginalen Untersuchung......................................72 4.7.4 Die Bedeutung der Beziehung zur Hebamme ...........................................76 4.7.5 Die Zeit als bestimmender Faktor für die Untersuchungsfrequenz............82 4.7.6 Die psychische Komponente vaginaler Untersuchungen ..........................84 4.7.7 Die Bedeutung der Intimsphäre .................................................................88 4.7.8 Das subjektive Erleben der Geburt............................................................91 5. Schlussfolgerungen ......................................................................... 94 5.1 Die vaginale Untersuchung als Diagnoseinstrument in der Literatur ...............94 5.2 Die Rezeption der vaginalen Untersuchung durch die Gebärende ..................95 5.3 Die vaginale Untersuchung als Lernfeld in der Hebammenausbildung............97 5.4 Die vaginale Untersuchung in der praktischen Hebammenarbeit ....................98 Literaturverzeichnis ........................................................................... 101 Abbildungsverzeichnis ...................................................................... 106 Glossar ................................................................................................ 107 Abkürzungen....................................................................................... 109 Anhang 1 ............................................................................................. 110 5 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Anhang 2 ............................................................................................. 112 Anhang 3 ............................................................................................. 114 Anhang 4 ............................................................................................. 115 6 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Vorwort “Whereas all of us who are women have a vagina, we all have our own relationship with our own vagina, whatever that might be, whether we feel comfortable touching ourselves - never mind anyone else! And in a way - can we have this discussion, how do you feel touching your own body? Because if you can’t get your head around that, then you should not be touching somebody else’s body!” (aus dem Interview mit Mary Stewart) Manchmal ist mir mein Thema ein bisschen peinlich. Es lässt sich nicht so wie zum Beispiel Wunschkaiserschnitt oder Beckenendlage quer durch die Mensa oder über die Gasse diskutieren. Deswegen habe ich mich gelegentlich, wenn jemand mich so im Vorbeigehen gefragt hat, worüber ich denn eigentlich schreibe, vor der Antwort gedrückt. Mein Thema ist ein sehr intimes. Eines, das Frauen immer auch persönlich betrifft. Wenn es um vaginale Untersuchungen geht, geht es um die Vagina, um Sexualität, um das Frau-Sein, um unseren Körper und die Beziehung, die wir zu ihm haben; und auch um die Beziehungen, die wir zu anderen Menschen haben. Es geht um das, was wir erlebt haben und erleben und wie sehr wir uns auf das einlassen können, was wir spüren. Mein Thema ist ein emotionales. Ich habe Situationen erlebt, in denen das Nennen des Titels meiner Masterthese wie der Türöffner in eine verborgene Welt gewirkt und dazu geführt hat, dass mir Frauen ihre Geschichten erzählt haben. Ältere Frauen, sehr alte, aber auch ganz junge. Auch meine Mutter hat begonnen, zu erzählen... Bei meinem Thema geht es um Achtsamkeit. Um die Achtsamkeit, mit der wir uns selber und den Menschen in unserem Umfeld begegnen. Alles Aspekte, die sich nicht gut dafür eignen, in eine wissenschaftliche Arbeit eingebaut zu werden. Welche Quellen könnte ich nennen? Um der Intimität, Emotionalität und Achtsamkeit, die dieses Thema verlangt, Raum zu geben, habe ich dieses Vorwort geschrieben. Lisa Rakos Wolfsgraben, im September 2012 7 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Zusammenfassung Vaginale Untersuchungen während der Geburt sind ein wichtige Hebammenkompetenz und üblicher Bestandteil der geburtshilflichen Betreuung. Insbesondere durch die Einführung der Überwachung und Kontrolle des Geburtsfortschritts mittels Partogramm sind sie zur Routinemaßnahme geworden. Gleichzeitig sind diese auch Eingriffe in die Intimsphäre einer Frau, die unangenehm sind, Schmerzen auslösen oder sogar traumatisieren können. Unter diesem Aspekt ist jede vaginale Untersuchung als Intervention zu verstehen, die als solche einer dringenden Indikationsstellung bedarf und ein achtsames Vorgehen erfordert. Die vorliegene Arbeit ist von folgenden Forschungsfragen geleitet: Wie ist die vaginale Untersuchung als Diagnoseinstrument unter der Geburt in der Literatur begründet? Wie erleben Frauen vaginale Untersuchungen während der Geburt? Prägen diese das Geburtserlebnis? Im Rahmen einer Literaturrecherche wurden deutsche und englische Hebammenlehrbücher verglichen. In medizinischen und hebammenrelevanten Datenbanken wurde mit den Suchwörtern vaginal/pelvic/internal examination in Kombination mit birth oder labour, birth progress, und birth experience nach Studien gesucht. Diese wurden einander gegenüber gestellt. Mittels qualitativer Interviews wurden zehn Frauen nach der Geburt zu ihrem Geburtserlebnis und auch dazu befragt, wie sie vaginale Untersuchungen während der Geburt erlebt haben. Ergebnisse: Bei der Darstellung der vaginalen Untersuchung in den Hebammenlehrbüchern kommen der Intimitätscharakter der Untersuchung und die psychosozialen Fähigkeiten, die dieser Eingriff erfordert, zu kurz. In der englischsprachigen Forschungsliteratur mehren sich Arbeiten, die dem Paradigma des Geburtsfortschritts und seinen Auswirkungen auf das geburtshilfliche Handeln kritisch gegenüber stehen. Die Interviews ergaben, dass Frauen routinemäßige vaginale Untersuchungen generell als notwendige Maßnahmen akzeptieren, diese jedoch als unangenehm und manchmal schmerzhaft empfinden. Keine der Frauen wurde im Sinne eines shared decision making über die vaginale Untersuchung aufgeklärt. Weiters vermitteln diese ein Gefühl von Zeitdruck und wirken sich störend auf den Geburtsprozess aus. Vaginale Untersuchungen werden insofern als prägend für das Geburtserlebnis angesehen, als diese maßgeblich geburtshilfliche Entscheidungen beeinflussen. 8 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Abstract Vaginal examinations during birth are a common aspect of birth management and an essential skill in midwifery practice. Particularly since the implementation of the partogram as a basic means for the surveillance of the birth progress, vaginal examinations have become routine procedures. At the same time vaginal examination has an impact on the intimacy and privacy of a woman which can be aggravating, painful and even cause traumas. From this point of view any vaginal examination has to be considered as an intervention which requires a serious indication as well as careful practice. This research has been conducted to address the following questions: How is vaginal examination as a means of diagnosis during birth justified in literature? How do women experience vaginal examinations during birth? Do these examinations have an impact on their birth experiences? German and English textbooks for midwifery education were compared and a literature survey was conducted in several medicine- and midwifery-focused databases. The keywords were vaginal/pelvic/internal examination in combination with birth or labour, birth progress and birth experience. Relevant publications were compared. Qualitative interviews were conducted with 10 women regarding their birth experiences and the way they perceived vaginal examinations during birth. Results: The description of vaginal examination in textbooks do not address the intimate character of this measure adequately and fail to consider the psychosocial and communicative skills needed. An increasing number of scientific papers can be found in English literature that critically question the paradigm of birth progress and its impact on birth management. The interviews showed, that women generally accept routine vaginal examinations during birth as necessary interventions. They do consider them however as aggravating and in some cases painful. None of the women received adequate information regarding vaginal examination in the sense of shared decision making. Repeated vaginal examinations establish time pressure for women in labour and cause a disturbance of the labour process. Vaginal examinations leave their imprint on the birth experience as they have decisive influence on decisions regarding obstetric interventions. 9 Die vaginale Untersuchung während der Geburt 1. Einleitung „I definitely think that vaginal examination has its place.” (aus dem Interview mit Mary Stewart) Vaginale Untersuchungen während der Geburt sind ein wesentlicher Bestandteil der geburtshilflichen Betreuung. „Wir schauen jetzt mal nach“, lautet einer der häufigsten Sätze in den Gebärabteilungen österreichischer Krankenhäuser. Sobald eine Wehende dort eintrifft, wird die ganze Geburt hindurch in unterschiedlichen Abständen der Geburtsfortschritt durch vaginale Untersuchungen ermittelt und dokumentiert. Insbesondere die Einführung des Partogramms, welches ein Kontrollieren der Muttermundweite und des Höhenstandes des kindlichen Köpfchens in regelmäßigen Abständen1 erfordert, hat dazu geführt, dass diese Untersuchungen während der Geburt zur Routine gehören und zumindest in den mir bekannten Geburtshilfeabteilungen nicht hinterfragt werden. Für die Frauen ist es mitunter hilfreich zu wissen, wie weit ihre Geburt bereits fortgeschritten ist. Dann wollen sie selbst, dass eine vaginale Untersuchung gemacht wird. Das oben beschriebene Prozedere ist außerdem in unserem geburtshilflichen Setting so fest verankert, dass es auch für die Gebärende sebstverständlich dazugehört. Es gibt allerdings Situationen, in denen vaginale Untersuchungen als problematisch erlebt werden. Sie können körperliche Schmerzen verursachen, Ängste auslösen und zu einer Irritation, Anspannung und Abwehrhaltung der Gebärenden führen, die das Geburtsgeschehen verkomplizieren. Im schlimmsten Fall können vergangene Traumata wachgerufen oder neue gesetzt werden. Die Schwierigkeit der vaginalen Untersuchung liegt unter anderem darin begründet, dass sie eine für Hebammen und GeburtshelferInnen normale Routinemaßnahme, für die Gebärende hingegen ein Eingriff ist, der ihre Intimsphäre berührt. Sind Vulva und Vagina normalerweise intime Körperregionen, ist dieser Bereich im 1 Die Richtlinien hierzu sind in den einzelnen Gebärabteilungen sehr unterschiedlich. Meist sind Untersuchungen alle 1-2 Stunden vorgegeben. Längere Abstände als 4 Stunden werden meines Wissens nicht toleriert. 10 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt einer Kontrolle durch das medizinische Fachpersonal unterworfen. Es wird wenig darüber reflektiert, ob, wie, wie oft und von wem dieser Eingriff durchgeführt werden soll. Selten wird eine Wehende über die Gründe zur Durchführung einer vaginalen Untersuchung informiert und vor die Wahl gestellt, diese abzulehnen oder ihr zuzustimmen. Die vaginale Untersuchung ist ein Forschungsfeld, welches zumindest im deutschsprachigen Raum noch wenig bearbeitet ist. Die Frage, wie Frauen vaginale Untersuchungen unter der Geburt empfinden, und ob sie das Geburtserlebnis beeinflussen, wurde bislang noch kaum gestellt. Es fehlen, so Schönberner, „Untersuchungen zur psychologischen Bedeutung der vaginalen Untersuchung während der Geburt. Welche Bedeutung hat sie für die Wahrnehmung der eigenen Körperlichkeit, die Selbsteinschätzung und die ‚Rolle’ als Patientin“. (Schönberner in: Deutscher Hebammenverband 2010: 305). Das hat mich dazu inspiriert, mich diesem Thema zu widmen. 1.1 Forschungsfragen Folgende Forschungsfragen geben der Recherche und dem Design meiner Arbeit die Richtung: • Wie ist die vaginale Untersuchung als Diagnoseinstrument unter der Geburt in der Literatur begründet? • Wie erleben Frauen vaginale Untersuchungen während der Geburt? Prägen diese das Geburtserlebnis? 1.2 Aufbau der Arbeit Der erste Teil der Arbeit beschäftigt sich mit den Grundlagen. Es wird zu klären sein, was eine vaginale Untersuchung ist, wie und wann sie durchgeführt wird und ob sie ein geeignetes Instrument zur Feststellung des Geburtsfortschritts ist. Für die Definition des Grundbegriffs vaginale Untersuchung werden zunächst Hebammenlehrbücher aus dem deutschen und englischen Sprachraum herangezogen. Anschließend werden die gefundenen Beschreibungen einander gegenübergestellt. In der Praxis gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die in der 11 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Literatur nicht beschrieben sind, aber im Zusammenhang mit vaginalen Untersuchungen durchgeführt werden. Diesen ist der letzte Abschnitt des ersten Teils gewidmet. Die wissenschaftliche Forschungsliteratur ist Gegenstand des zweiten Teils. Im Rahmen einer unfangreichen Literaturrecherche habe ich in den Datenbanken Academic Search Elite, CINAHL, Cochrane, Maternity and Infant Care Database (MIDIRS), Medline, Medpilot, Pubmed, Science Direct und Springer Link nach Studien gesucht. Meine Suchwörter waren vaginal/pelvic/internal examination in Kombination mit birth oder labour, birth progress und birth experience. Weiters habe ich, ebenfalls in Kombination mit labour oder birth, mit den Begriffen diagnosis, distress, pain und satisfaction gesucht. Einige dieser Suchwörter habe ich auch direkt in die Suchmaschinen der folgenden Fachzeitschriften eingegeben: American College of Obstetricians and Gynecologists, Birth, British Journal of Midwifery, Die Hebamme, Journal of Advanced Nursing und Midwifery. Weiters bin ich über die Literaturverzeichnisse aktueller Studien, insbesondere in der umfangreichen Arbeit von Stewart (2008), auf weitere relevante Forschungsarbeiten gestoßen. Die Kernaussagen der in der Arbeit verwendeten Forschungsliteratur werden wiedergegeben und miteinander in Beziehung gesetzt. Um meine zweite Forschungsfrage beantworten zu können, habe ich im Rahmen einer qualitativen Studie Interviews mit Frauen nach der Geburt geführt. Diesen ist der dritte Teil meiner Masterthese gewidmet. Interview- und Auswertungsmethode werden zunächst detailliert beschrieben. Die gefundenen Kategorien werden vorgestellt und dann unter Verwendung von Originalzitaten aus den Interviews genauer charakterisiert. Querverweise auf die bei der Literaturrecherche gefundenen wissenschaftlichen Arbeiten setzen die eigenen Forschungsergebnisse mit diesen in Verbindung. Zur fachlichen Vertiefung der Diskussion wurde im Rahmen eines Interviews die Expertin Dr. Mary Stewart befragt. Sie gilt als profunde Kennerin der Materie und war eine der ersten Wissenschaftlerinnen, die umfassende Recherchen und Überlegungen zu einem bis dahin wenig beachteten Aspekt der Hebammenarbeit angestellt hat. Darüber hinaus ist sie als Lektorin auch mit den didaktischen 12 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Problemen die das Thema mit sich bringt, vertraut. Ihre Expertise fließt als ergänzende Perspektive in alle Kapitel dieser Arbeit mit ein. In den Schlussfolgerungen werden die wesentlichen Erkenntnisse dieser Arbeit zusammengefasst, die Grenzen derselben aufgezeigt und Anregungen für weitere Recherchen gegeben. Im Anhang befinden sich die Dokumente, die der Ethikkommission im Rahmen der Bewilligung meiner Studie vorgelegt wurden, ein Glossar, ein Abkürzungsverzeichnis und ein Abbildungsverzeichnis. 1.3 Ziel Als Lehrerin in der Hebammenausbildung ist es mir ein Anliegen, die Art und Weise, wie die Fertigkeit vaginale Untersuchung gelehrt und vermittelt wird – im Unterricht und in den Lehrbüchern – kritisch zu hinterfragen und möglicherweise Anstoß zu Veränderung zu geben. Als Hebamme ist es mir wichtig, Anregungen für die Praxis zugänglich zu machen, die einen sensibleren und differenzierteren Umgang mit dem Instrument vaginale Untersuchung ermöglichen. Dazu gilt es, neben der kritischen Betrachtung der Hebammenlehrbücher auch die aktuelle Forschungsliteratur aufzuarbeiten. Die wahren Expertinnen zum Thema vaginale Untersuchung sind Frauen, die ein Kind geboren haben und während der Geburt vaginal untersucht wurden. Deswegen erschien es mir notwendig, ihre Expertise mit einzubeziehen. In der Analyse von zehn Interviews kommen sie selbst zu Wort. Die komplexen Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Gebärende, die Beziehung zwischen Gebärender und Hebamme und auf das gesamte Erleben der Geburt kann niemand treffender formulieren als sie selbst. Ziel dieser Arbeit ist es, das Thema des vaginalen Untersuchens während der Geburt zur Sprache zu bringen, meine Forschungsfragen zu beantworten und unter Einbeziehung der mir verfügbaren Quellen eine differenziertere Betrachtungsweise und einen sensibleren Umgang mit dieser Maßnahme zu erreichen. 13 Die vaginale Untersuchung während der Geburt 2. Grundlagen „Wir waren, ah, also um acht, um acht in der Früh waren wir das erste Mal dort.(L: Mhm). Und dann bin ich eben untersucht worden und da hat sie mir gesagt, der Muttermund ist 2 cm offen.“ (aus dem Interview mit D) Die vaginale Untersuchung ist ein diagnostisches Instrument, das von Hebammen und GeburtshelferInnen im Rahmen der Betreuung und Überwachung der Geburt eingesetzt wird, um den Geburtsfortschritt, die Geburtswege und die Positionierung des Kindes im mütterlichen Becken zu beurteilen. Im Verlauf der Geburt wird die Gebärende in unterschiedlichen Abständen vaginal untersucht, um das Voranschreiten der Geburt oder eventuell auftretende Regelwidrigkeiten kontinuierlich beurteilen und dokumentieren zu können. Die vaginale Untersuchung begleitet somit Latenzphase, Eröffnungsphase, Übergangsphase und Austreibungsphase gleichermaßen. Dieses Kapitel widmet sich der Frage, wie die vaginale Untersuchung definiert ist, wie eine solche durchzuführen ist, was für Befunde konkret zu erheben sind, welche Indikationen und Kontraindikationen es gibt und was es im Zusammenhang mit einer vaginalen Untersuchung zu beachten gilt. Damit sind auch psychosoziale und kommunikative Fähigkeiten gemeint, die der Intimität dieses Eingriffs gerecht werden. „One of the most suprising aspects of vaginal examination is that, despite its routine nature, there is remarkably little literature, that explores the procedure. (Stewart 2008: 7) Um eine umfassende Definition zu erhalten, werden die Informationen zur vaginalen Untersuchung in aktuellen deutsch- und englischsprachigen Hebammenlehrbüchern zusammengefasst und anschließend verglichen. 14 Die vaginale Untersuchung während der Geburt 2.1 Die deutschen Hebammenlehrbücher Viele Jahre hindurch war das Hebammenlehrbuch, herausgegeben von Martius2, ein Grundlagenwerk der Hebammenausbildung im deutschsprachigen Raum. Zwischen 1962 und 1999 ist es in 7 Auflagen erschienen und hat einige Hebammengenerationen geprägt und begleitet. Im Jahr 1995 sind erstmals zwei Hebammenlehrbücher erschienen, die von Hebammen verfasst und herausgegeben wurden und seither die primäre Informationsquelle für Hebammenstudentinnen und ausgebildete Hebammen sind. Es sind dies Das Hebammenbuch, herausgegeben von Christine Mändle und Sonja Oppitz-Kreuter, 2007 in der 5. Auflage erschienen, und die Hebammenkunde, editiert von Christine Geist, Ulrike Harder und Andrea Stiefel. Es ist 2007 zum vierten Mal aktualisiert worden. Die Definitionen und näheren Beschreibungen der vaginalen Untersuchung in diesen drei Grundlagenwerken sollen im Folgenden verglichen werden. 2.1.1 Hebammenlehrbuch Die Aufgaben der Hebamme während einer Geburt sind bei Martius (1990;1995) unter dem Kapitelnamen Überwachung und Leitung der Geburt mit dem Unterkapitel Überwachung der Kreißenden dargestellt, innerhalb dessen sich unter Kontrolle des Geburtsfortschritts das Thema vaginale Untersuchung findet (vgl. Martius, Heidenreich in: Martius 1995: 263-266). In den von mir durchgesehenen Auflagen von 1990 und 1995 ist diese Maßnahme annähernd identisch beschrieben. Wichtiger als die in der Schwangerschaft übliche äußere Untersuchung ist unter der Geburt, so Martius, „ die innere Untersuchung, die von den meisten Kliniken [...] in Form der vaginalen Untersuchung vorgenommen wird.“ (Martius in: Martius1990: 330). Der Autor weist darauf hin, dass die vaginale der rektalen Untersuchung vorzuziehen ist, vor der Untersuchung eine ausreichende Händedesinfektion vorzunehmen ist, ein steriler Einmalhandschuh angezogen werden und die Frau sich im „im Längsbett3 bei 2 Gerhard Martius (1924-1998): Gynäkologe, Professor an der Universitätsfrauenklinik in München und Leiter der dortigen Hebammenschule 3 Anm.: Dabei geht der Autor von einer sich in Rückenlage befindenden Gebärenden aus 15 Die vaginale Untersuchung während der Geburt aufgestellten Beinen“ (Ebd.: 331) befinden muss. Dem Autor erscheint es „sinnvoll, die Untersuchung jeweils kurz vor Beginn der zu erwartende nächsten Wehe zu beginnen und sie über die Wehe hinaus fortzusetzen “ (Martius, Heidenreich in: Martius 1995: 266), um so die Effektivität der Wehen beurteilen zu können. Martius geht ausführlich auf die zu erhebenden Befunde ein. Diese sind: • Stand, Länge und Konsistenz der Portio. • Weite, Gewebereichtum und Gewebebeschaffenheit des Muttermundes, seine Beziehung zum vorangehenden Kindesteil und den Einfluss der Wehe auf die Beschaffenheit des Muttermundes. • Der vorangehende Kindesteil wird danach beurteilt, ob es sich um Steiß oder Kopf handelt, sein Höhenstand im kleinen Becken wird erfasst. • Durch die Beurteilung des Verlaufes der Pfeilnaht wird die Einstellung des kindlichen Köpfchens festgestellt. • Der Stand der Fontanellen lässt auf die Haltung schließen. • Es wird beurteilt, ob eine Geburtsgeschwulst vorhanden ist und wie ausgeprägt sich diese darstellt. • Es wird nach der Fruchtblase getastet um festzustellen, ob diese noch vorhanden ist, ob eine Vorblase zu tasten ist und wie sich diese in der Wehe verhält. Nach erfolgtem Blasensprung werden weiters Menge, Geruch und Farbe des Fruchtwassers beurteilt. • Zuletzt wird das kleine Becken der Gebärenden ausgetastet, um eventuell knöcherne Veränderungen erkennen zu können, die in weiterer Folge ein Geburtshindernis darstellen könnten (vgl. Martius, Heidenreich: in Martius 1995: 266-269). Der Autor betont, dass sich die Hebamme genügend Zeit lassen sollte, um alle prognostisch wichtigen Parameter genau erfassen zu können (vgl. ebd.: 266). Angaben über die Frequenz der vaginalen Untersuchungen fehlen. Allerdings ist in beiden Ausgaben die Abbildung eines Partoramms zu sehen, in dem vaginale Untersuchungen 1-2stündlich eingetragen sind (vgl. Martius in: Martius 1990: 331, Martius, Heidenreich in: Martius 1995: 264). Der intime Charakter der Untersuchung, die mögliche Schmerzhaftigkeit und die entsprechende Kommunikation mit der Gebärenden werden nicht erwähnt. Auflklärung über die geplante Maßnahme, 16 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Einholen des Einverständnisses und nachfolgendes Erklären der erhobenen Befunde werden ebenfalls nicht thematisiert. Auch alternative Möglichkeiten der Feststellung eines Geburtsfortschritts kommen nicht zur Sprache. Wie diese Untersuchung praktisch durchgeführt wird, beschreibt lediglich eine Skizze. Abbildung 1: Skizze der vaginalen Untersuchung aus dem Lehrbuch von Martius Indikationen und Kontraindikationen im Zusammenhang mit einer vaginalen Untersuchung sind nicht eigens ausgeführt. Somit kommt ihr bei Martius der Charakter einer routinemäßigen Kontrolle zu, die keiner weiteren Begründung bedarf. 2.1.2 Das Hebammenbuch Im Lehrbuch von Mändle und Oppitz-Kreuter (2007) ist laut Mändle die vaginale Untersuchung „[...] ein routinemäßiger Eingriff zur Kontrolle des Geburtsfortschritts. Trotz der Normalität, die der Untersuchung unter der Geburt zukommt, ist das Eingehen in die Scheide und das Betasten bei der vaginalen Untersuchung ein Vorgang, der intimen Charakter hat. “ (Mändle in: Mändle, Oppitz-Kreuter 2007: 329) In der Eröffnungsphase wird ein zweistündlicher Untersuchungsrhythmus empfohlen und betont, dass die Untersuchung nicht aus Ungeduld oder Neugierde, sondern nur dann erfolgen sollte, wenn der Befund Konsequenzen für das weitere Vorgehen hat Die vaginale Untersuchung darf nicht weh tun und ist „zart und mit leichter Hand“ (Mändle in: Mändle, Oppitz-Kreuter 2007: 329) durchzuführen. 17 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Laut Mändle ist der richtige Untersuchungszeitpunkt die Wehenpause. Nur wenn der Zustand der Vorblase nicht erfasst werden kann, rät die Autorin zu einer Untersuchung in der Wehe (vgl. Mändle, Oppitz-Kreuter 2007: 329, 331). Im Unterschied zu Martius nennt Mändle Indikationen für die vaginale Untersuchung und zwar: • Die Feststellung der geburtshilflichen Ausgangssituation bei der Aufnahme einer Gebärenden. • Die Kontrolle des Geburtsfortschritts. • Die Erfassung von Regelwidrigkeiten. • Nach Blasensprung bei pathologischem CTG und bei noch hoch stehendem kindlichen Kopf/Steiß zum Ausschluss eines Nabelschnurvorfalls. • Vor dem Setzen einer Periduralanästhesie, der Gabe von Medikamenten oder dem Platzieren einer Kopfschwartenelektrode. • Grundsätzlich in jeder Akutsituation, die rasches Handeln erfordert (vgl. Mändle, Oppitz-Kreuter 2007: 329). Kontraindikationen sind nicht angegeben. Es folgt eine Beschreibung der Durchführung einer vaginalen Untersuchung bei der auch die halbsitzende Position, die Seitenlage und der Vierfüßlerstand als Optionen genannt werden. • Befindet sich die Frau im Bett (in Rücken- oder Seitenlage), stellt sie ihre Beine auf und spreizt diese hüftbreit auseinander. • Die Hebamme setzt sich zu der Gebärenden. Als Erleichterungsmaßnahme wird angeregt, dass die Frau ihren rechten Fuß auf dem Oberschenkel der Hebamme abstellen kann. So kann auch besser in Führungslinie untersucht werden. • Dann wird der Scheideneingang auf eventuelle Auffälligkeiten hin betrachtet und der Damm auf seine Beschaffenheit hin angesehen. • Sodann spreizt die Hebamme mit ihrer linken Hand die großen Labien und desinfiziert mit der rechten Hand den Introitus. • Die Untersuchung selbst wird entweder mit Mittel- und Zeigefinger, von einer erfahrenen Untersucherin/einem erfahrenen Untersucher nur mit Zeigefinger durchgeführt. 18 Die vaginale Untersuchung während der Geburt • Dabei werden Ringfinger und kleiner Finger eingezogen und der Daumen weggestreckt, um nicht an der Klitoris anzukommen. • Um in Führungslinie untersuchen zu können, wird beim Enführen der Finger in die Scheide ein leichter Druck auf den Damm ausgeübt (vgl. Mändle, Oppitz-Kreuter 2007: 329) Die zu erhebenden Befunde finden sich ähnlich strukturiert und ebenso detailreich wie im Hebammenlehrbuch von Martius (vgl. Mändle, Oppitz-Kreuter 2007: 329-334). Mögliche äußere Zeichen, die das Fortschreiten der Geburt begleiten und die eine Hebamme beobachten lernen kann, kommen auch in diesem Buch nicht vor. Auf die Intimität der Untersuchung und deren mögliche Konsequenzen für die konkreten Handlungsablauf wird bei der Beschreibung derselben nicht mehr eingegangen. 2.1.3 Hebammenkunde Im Lehrbuch von Geist, Harder und Stiefel (2007) heißt das entsprechende Kapitel Vaginale und rektale Untersuchung (Rosenberger in: Geist etal. 2007: 238) Als Begründung für die Durchführung innerer Untersuchungen gibt die Autorin an, dass diese feinere geburtshilfliche Diagnosemöglichkeiten eröffnen als die äußere Untersuchung . Wie auch bei Martius werden sowohl vaginale als auch rektale Untersuchung beschrieben, auch wenn letzterer nur ein kleiner Abschnitt gewidmet ist und darauf hingewiesen wird, dass diese heute nur noch selten ausgeführt wird (vgl. Rosenberger in: Geist et al. 2007: 240-241). Die praktische Durchführung einer vaginalen Untersuchung wird knapper skizziert als im Werk von Mändle und Oppitz-Kreuter. Auch laut Rosenberger kann die Frau während der vaginalen Untersuchung eine ihr angenehme Position einnehmen. Ohne explizit zu erwähnen, wann eine vaginale Untersuchung normalerweise erfolgen sollte, meint die Autorin, dass in besonderen Situationen diese auch während einer Wehe durchgeführt werden kann, wobei dann darauf zu achten ist, dass der Gebärenden keine zusätzlichen Schmerzen zugefügt werden (vgl. Rosenberger in: Geist et al.: 238). Eine zwei- bis dreistündliche Untersuchungsfrequenz wird generell empfohlen, nur nach Blasensprung „sollte in der Eröffnungsperiode so selten wie möglich untersucht werden.“ (Harder in: Geist et al. 2007: 262) Die Parameter für die Befunderhebung sind analog zu Martius und Mändle, OppitzKreuter beschrieben, Indikationen und Kontraindikationen werden nicht angeführt. 19 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Für die Austreibungsphase werden Untersuchungen im Abstand von einer halben bis einer Stunde angeregt. (vgl. Geist et al.2007 :263). Harder weist darauf hin, dass der Geburtsfortschritt für eine erfahrene Hebamme auch anders als durch vaginale Untersuchungen erkennbar ist und nennt folgende äußere Zeichen, die das nahende Ende der Eröffnungsperiode begleiten: • „zunehmende Unruhe der Gebärenden • häufige Wehen, die als unerträglich empfunden werden • starkes Schwitzen, evtl. Erbrechen • zunehmendes Druckgefühl auf dem Damm“ (Geist et al. 2007: 263) In diesem Buch bleiben Indikationen unerwähnt. Auch Kontraidikationen sind nicht explizit beschrieben. Im Falle eines vorzeitigen Blasensprungs wird empfohlen, nur selten zu untersuchen bzw. Spekulaeinstellungen vorzunehmen (vgl. Harder, Hauser in: Geist er al. 2007: 326). 2.2 Midwifery-Textbooks aus England, Australien und Neuseeland Die Literaturrecherche in den fachspezifischen Datenbanken hat keine einzige deutschsprachige Forschungsarbeit erbracht, die sich dem Thema der vaginalen Untersuchung unter der Geburt widmet. Umso zahlreicher sind Studien aus England, Australien und Neuseeland. Das hat mich dazu veranlasst, mir auch einige englischsprachige Lehrbücher anzusehen und die Aussagen über die vaginale Untersuchung denen der deutschen Standardwerke gegenüberzustellen. 2.2.1 Myles Textbook for Midwives (UK) Im Jahr 1953 erstmals erschienen und 2009 in seine 15. Auflage gegangen ist dieses Buch (Fraser, Cooper 2009) wie mir Mary Stewart4 versichert hat, noch immer das Hebammenlehrbuch Nummer eins in England. Die Herausgeberinnen sind ebenfalls Hebammen. Das Kapitel über die vaginale Untersuchung beginnt wie folgt: „ Physical examination of the cervix is not the only way to assess labour; skills of listening, watching and communicating with the woman should be used in conjunction with vaginal examination. Generally the trend is away from routine four-hourly vaginal examinations“ (McCormick in: Fraser, Cooper 2009: 467) 4 Mary ist Senior Lecturer an der Florence Nightingale School of Nursing and Midwifery und Researcher am King´s College in London. 20 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Der vaginalen Untersuchung sollte neben der Beobachtung der Gebärenden auch eine abdominelle Untersuchung vorausgehen. Vor der Durchführung ist darauf zu achten, dass die Frau ihre Blase entleert hat. Fixer Bestandteil des Untersuchungsprozederes ist auch die Aufklärung der Gebärenden über die geplante Intervention. Nur mit ihrer auch schriftlich festgehaltenen Erlaubnis wird die Untersuchung tatsächlich gemacht. Generell meint Mc Cormick, dass die Hebamme anbieten sollte, alles zu erklären, was die Frau oder ihr Partner wissen möchte. Diese Aufklärungsgespräche werden ebenfalls dokumentiert (vgl. Fraser, Cooper 2009: 467). Indikationen für eine vaginale Untersuchung finden sich im Myles Textbook folgende: • Lagebestimmung des Fetus • Höhenstandsdiagnose bei Verdacht auf Schädel-Becken-Missverhältnis • Ausschluss eines Nabelschnurvorfalls nach Blasensprung, insbesondere bei hochstehendem vorangehendem Kindesteil oder pathologischem CTG • Zur Abschätzung des Geburtsfortschritts bzw. zur Diagnose einer protrahierten Geburt • Zur Diagnose des vollständig eröffneten Muttermunds • Bei Zwillingsgeburten, um zu überprüfen, wie sich der zweite Zwilling nach der Geburt des ersten im kleinen Becken einstellt und eventuell zur Amniotomie der 2. Fruchtblase (vgl. Fraser, Cooper 2009: 467-468) Abbildung 2: Darstellung der vaginalen Untersuchung in Myles Midwives 21 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Als Kontraindikation wird die frische vaginale Blutung genannt. In jedem Fall gilt es, sich bewusst zu machen, dass unnötige Untersuchungen vermieden werden sollten und die Gesamtzahl derselben auf ein Minimum zu beschränken ist (vgl. McCormick in: Fraser, Cooper 2009: 468). Bei der Darstellung des konkreten Ablaufs einer vaginalen Untersuchung führt die Autorin noch einmal an, dass die Hebamme zuerst das Prozedere erklären und der Frau Gelegenheit geben soll, Fragen zu stellen. Auch während der Untersuchung sind die Würde und die Intimsphäre der Frau zu wahren. Was die Befungerhebungen im Detail betrifft (vgl. McCormick in: Fraser, Cooper 2009: 468-471), finden sich auch hier ähnliche Beschreibungen wie in den deutschen Hebammenlehrbüchern. 2.2.2 Skills for Midwifery Practice (UK) Die beiden Hebammen Johnson und Taylor haben ebenfalls ein bereits in der zweiten Auflage erschienenes Lehrbuch geschrieben (2005), wo das Kapitel über die vaginale Untersuchung mit einem Sinnzitat aus der Studie von Mandaza und Nolan (Mandaza, Nolan: 2001) eröffnet wird: Die vaginale Untersuchung ist eine essentielle Fertigkeit für Hebammen in der Begleitung der Geburt, die dem intimen Charakter der Untersuchung entsprechend sensibel und gleichzeitig effizient ausgeführt werden soll, um alle für das Geburtsgeschehen relevanten Informationen herausfinden und die weitere Betreuung entsprechend gestalten zu können. Die Prozedur wird als invasiv bezeichnet und als medizinische Intervention betrachtet, die nur dann gemacht werden sollte, wenn sie notwendig ist (vgl. Johnson, Taylor 2005: 241) Indikationen sind laut Johnson und Taylor: • Die Bestätigung des Geburtsbeginns • Die Feststellung des Geburtsfortschritts • Die Bestimmung von Lage, Haltung und Einstellung des Fetus • Die Durchführung einer Amniotomie • Das Anlegen einer fetalen Skalpelektrode • Der Ausschluss eines Nabelschnurvorfalls • Zur Feststellung des Geburtsfortschritts in der Austreibungsperiode, besonders bei Beckenendlage (vgl. Johnson, Taylor 2005: 241) Als Kontraindikationen nennen die Autorinnen: 22 Die vaginale Untersuchung während der Geburt • Blutungen • Plazenta praevia • Vorzeitiger Blasensprung • Vorzeitige Wehentätigkeit - wobei in diesem Fall die erste Untersuchung durch die/den GeburtshelferIn erfolgen sollte (vgl. Johnson, Taylor: 242) Die Befunde, die mit Hilfe vaginaler Untersuchung erhoben werden können sind analog denen in anderen Lehrbüchern und wurden bereits in Kapitel 2.1.1 ausführlich beschrieben. 2.2.3 Midwifery Essentials (UK) Eine weitere weit verbreitete Fachlektüre unter englischen Hebammen sind die vier Bände Midwifery Essentials, die ebenfalls von zwei Hebammen, Baston und Hall verfasst und herausgegeben wurden (Baston et al.: 2009; Baston, Hall: 2009a; Baston, Hall: 2009b, Baston, Hall: 2009c); Fachwissen im Kleinformat, das in jede Kitteltasche passt und das Wichtigste auf einen Blick enthält. Band 3 (Baston, Hall 2009b) widmet sich der Geburt. Dieses Buch weist im Zusammenhang mit den hygienischen Vorkehrungen rund um eine vaginale Untersuchung auf die Studie von Mary Stewart (Stewart: 2005) hin, die aufzeigt, dass das Säubern einer Frau auch als Akt der Machtausübung und Kontrolle interpretiert werden kann. Eine Gebärende wäre, wenn nötig, auch durchaus in der Lage, sich selbst zu reinigen.(vgl. Baston, Hall 2009b: 15). Vor der Untersuchung muss die Erlaubnis der Frau eingeholt und sichergestellt werden, dass „it will stop, whenever she wishes“ (Baston, Hall 2009b: 15) Die wesentlichen Schritte der Durchführung einer vaginalen Untersuchung sind dort in einer Merkbox zusammengefasst. Auf einen Blick ist zu erkennen, wie eine Hebamme eine vaginale Untersuchung vornimmt, was es an vorbereitenden Maßnahmen zu tun gibt und worauf nach der Untersuchung zu achten ist. Für jeden Handlungsschritt wird eine Begründung formuliert, die es der Hebamme erleichtert, sich zurechzufinden und ihr die Möglichkeit gibt, der Frau zu erklären, warum etwas gemacht. Da in diesem Memo einige Parameter enthalten sind, die in den deuschen Lehrbüchern fehlen, ist dieses im Anschluss als Faksimile abgebildet. 23 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Abbildung 3: Kurzbeschreibung der vaginalen Untersuchung in den Midwifery Essentials I 24 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Abbildung 4: Kurzbeschreibung der vaginalen Untersuchung, in den Midwifery Essentials II Auch das Prozedere nach einer vaginalen Untersuchung wird beschrieben: Die Herztöne des Kindes werden kontrolliert, die Gebärende soll wieder eine angenehme Position einnehmen und die Möglichkeit haben, sich anzuziehen. Dann wird ein Feedback über die erhobenen Befunde und deren mögliche Konsequenzen gegeben. Wichtig dabei ist, dass dies in einer Sprache erfolgt, die von der Frau verstanden wird. 2.2.4 Midwifery. Preparation for Practice (Australia, New Zealand) Die Herausgeberinnen dieses Lehrbuches, Pairman, Pincombe, Thorogood und Tracy (2006) sind ebenfalls Hebammen und/oder Hebammenprofessorinnen. Routinemäßige vaginale Untersuchungen, so Thorpe und Anderson im entsprechenden Buchkapitel, sind üblich. Sie gelten als definitives Messinstrument für den Geburtsfortschritt, wiewohl die Literatur herausgefunden hat – hierbei beziehen sie sich auf eine Studie von Crowther et.al. (2000) - dass sie sublektiv und invasiv sind. Ihr Nutzen für die normale Geburt sei umstritten (vgl. Thorpe, Anderson in: Pairman, et al. 2006: 402). Gleichzeitig ist das vaginale Untersuchen eine wichtige Fertigkeit, die Hebammen beherrschen sollten um sie mit Bedacht, d.h. mit gutem 25 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Grund und einer klaren Vorstellung davon, was herausgefunden werden soll, einsetzen zu können. Darauf, dass vaginale Untersuchungen von gebärenden Frauen durchaus unterschiedlich empfunden werden können, geht nur dieses Buch ein. Es gibt Frauen, die finden, dass vaginale Untersuchungen unter der Geburt ihre Intimsphäre unnötig stören. Es gibt aber auch solche, die sie als wertvoll und hilfreich erleben, weil sie dadurch Informationen über ihren Geburtsfortschritt erhalten, an denen sie sich orientieren können. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Untersuchungen einfühlsam und mit dem Einverständnis der Gebärenden gemacht werden (vgl. Pairman et al. 2006: 403). Auch in diesem Buch gibt es eine Merktafel, auf der die wichtigsten Handlungsschritte beim vaginalen Untersuchen - ähnlich wie in den anderen englischsprachigen Lehrbüchern – zusammenfasst werden. 2.3 Abseits der Lehrbücher Hebammen in der Praxis durchaus geläufig, in der Literatur aber nicht zu finden, sind zusätzlichen Manipulationen in der Scheide, die im Zuge einer vaginalen Untersuchung ausgeführt werden können. Es sind dies Maßnahmen, die der Geburtserleichterung oder –beschleunigung dienen sollen und die auf der Basis des lernenden Beobachtens im Kreißsaal übernommen werden und zumindest in Österreich weit verbreitet sind. Vor dem Hintergrund der zu analysierenden Interviews, in denen gerade diese Eingriffe immer wieder zur Sprache kommen, ist es angebracht, sie hier näher auszuführen. Zur Wirksamkeit dieser Maßnahmen gibt es keinerlei Evidenzen. 2.3.1 Die Eipolablösung In keinem Lehrbuch als solche beschrieben kommt die manuelle Eipolablösung als geburtseinleitende Maßnahme in der Praxis immer wieder vor. Sowohl GynäkologInnen als auch Hebammen stimulieren im Rahmen einer vaginalen Untersuchung die Zervix so, dass sie mit ihrem Finger an der inneren Muttermund herankommen und dort den unteren Teil der Fruchtblase von der Innenwand der Gebärmutter ablösen. Diese Maßnahme ist oft mit Schmerzen verbunden, auch leichte Blutungen können danach auftreten. Evidenzen zur Wirksamkeit dieser 26 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Maßnahme gibt es keine. Mitunter wird diese Eipolablösung im Rahmen einer routinemäßigen Muttermund-Untersuchung durchgeführt, von der die Frauen dann berichten, dass sie besonders unangenehm war und es danach geblutet hat. 2.3.2 Das Muttermund-Dehnen In der Eröffnungsperiode werden manchmal im Rahmen diagnostischer Tastbefunde Manipulationen zur manuellen Muttermundserweiterung durchgeführt. Verbreitet sind das Dehnen des Muttermunds mit den Fingern und das Einmassieren von schmerzlindernden oder weichmachenden Ölen oder Zäpfchen. Diese Maßnahme wird oft in der Wehe, mitunter auch über mehrere Wehen hinweg ausgeführt und wird häufig als schmerzhaft erlebt5. 2.3.3 Massieren und Dehnen von Damm und Labien Auch für die Schiebephase existieren in der Praxis manuelle Techniken, die den Durchtritt des Kindes erleichtern und den Damm vor Einrissen schützen sollen. Es sind dies das Massieren und Dehnen und Einölen von Damm und Labien, das Aufdehnen der Scheideninnenwand und das Hinunterdrücken6 der Dammgewebes in Richtung After. 2.3.4 Der quickie Im Gespräch mit Mary Stewart ist noch eine Maßnahme aufgetaucht, die in England wie in Österreich7 gleichermaßen üblich zu sein scheint, ohne dass jemals darüber gesprochen wird. Im Deutschen gibt es keinen Namen dafür, im Englischen nennt man sie quickie oder auch midwifes VE8. In einer ihrer Beobachtungsnotizen aus dem Kreißsaal, wo Stewart Geburten aus dem Hintergrund beobachtete, ohne direkte Sicht auf das Geschehen zu haben, schildert sie diese Intervention in etwa so: Eine Gebärende in der Austreibungsphase kauert auf einer Matte am Boden, die Hebamme war hinter ihr, plötzlich schreit die 5 Vgl. dazu die Ergebnisse aus den Interviews in Kapitel 4.7.2 Anm.: Diese Richtungsbezeichnung geht von einer sich in Rückenlage befindenden Gebärenden aus. 7 ... und vielleicht auch in anderen Ländern 8 VE ist im Englischen die Abkürzung für vaginal examination 6 27 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Gebärende laut ‚Au!’ Die Hebamme sagt darauf ‚Ok, ich schau nur.’ (vgl. Stewart 2008: 144, 145) Es handelt sich dabei um eine kurze vaginale Untersuchung, meist in der Austreibungsperiode, die weder mit der Frau besprochen, noch dokumentiert wird und die von der Hebamme nur schnell mal zwischendurch zur Orientierung gemacht wird. Midwifes VE heißt sie deswegen, weil es eine ist, „that only the midwife knows about“ (Interview mit Mary Stewart). Dadurch, dass sie nicht dokumentiert wird, scheint sie auch in der offiziellen dokumentierten Version des Geburtsprozesses nicht auf und wird somit weder reflektiert noch diskutiert (vgl. Stewart 2008: 145). 2.4 Conclusio In allen angeführten Lehrbüchern gilt die vaginale Untersuchung unbestritten als wesentliche Hebammenfertigkeit. Die routinemäßige Durchführung derselben, auch bei völlig normal verlaufenden Geburten, steht außer Zweifel. Ein Unterschied zwischen englischer und deutscher Literatur liegt in den empfohlenen Abständen. Da in den deutschen Lehrbüchern nicht zwischen Latenzphase und aktiver Eröffnungsphase differenziert und pauschal für die Eröffnungsphase ein Abstand von etwa zwei Stunden empfohlen wird (vgl. Mändle, Oppitz-Kreuter 2007: 329; Geist et al. 2007: 262), ergibt sich eine im Vergleich zur englischen Literatur hohe Untersuchungsfrequenz. In England hat das National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE 2007) eine Richtlinie herausgegeben, die für die aktive Eröffnungsphase ein vierstündliches Untersuchungsintervall vorschlägt, aber nicht verbindlich vorgibt. „Every 4 hours: check BP9, temperature and offer vaginal exam“ (NICE 2007: 7) Was den Intimitätscharakter der vaginalen Untersuchung betrifft, sind die Ausführungen dazu in den deutschsprachigen Fachbüchern wesentlich undifferenzierter als in den englischen. Auch zum Thema Kommunikation vor, während und nach der Untersuchung, gehen diese mehr ins Detail. Bemerkenswert ist, dass als Position für die Untersuchung - wenn auch zum Teil auf andere mögliche Stellungen hingewiesen wird - ausschließlich die Rückenlage näher ausgeführt ist. Auch die Skizzen stellen Frauen dar, die sich in Rückenlage befinden. 9 BP ist im Englischen die Abkürzung für blood pressure 28 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Da gerade der Vierfüßlerstand eine Position ist, in der Haltung und Einstellung des Kindes genau umgekehrt erscheinen, könnte das Anlass für Verwirrung sein (vlg. Stewart 2008: 163). Auf die Frage, wie sie die Darstellung der vaginalen Untersuchung in ihren Lehrbüchern finde, meinte Stewart: „I would say badly. What is described is the practicality of how to do it [...], assuming that the woman is lying on her back on the bed. In some of the more recent chapters in books they do talk a little bit about consent, but that´s all.“ (Interview Mary Stewart) In weiterer Folge schilderte sie, dass die Hebammen, die sie für ihre Studie interviewte unisono meinten, sie wären, was das vaginale Untersuchen betrifft, schlecht ausgebildet. Diese sagten: „We didn´t talk about how to talk to the woman, about how to initiate a conversation, we didn´t talk about how the woman might feel about being touched.“ (Interview Mary Stewart) Dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema einige wesentliche Aspekte beleuchtet, die in den Lehrbüchern noch fehlen, wird im nächsten Kapitel deutlich. 29 Die vaginale Untersuchung während der Geburt 3. Die vaginale Untersuchung im wissenschaftlichen Diskurs “I was very interested in the fact, that there is an aspect of care that is so routine and us midwives we do it, we might do it every day of our working life and yet nobody writes about it” (aus dem Interview mit Mary Stewart) Der folgende Abschnitt widmet sich der Prüfung von Evidenzen zur vaginalen Untersuchung und der Darstellung von Ergebnissen wissenschaftlicher Publikationen rund um das Thema. Der Zusammenhang zwischen Partogramm und vaginaler Untersuchung wird ebenso angesprochen wie die Frage, ob diese nun als Routinemaßnahme oder als Intervention zu gelten hat. Auch vor dem Hintergrund möglicher Traumatisierungen wird die vaginale Untersuchung betrachtet. Was diese mit subtiler Machtausübung zu tun haben könnte und warum Frauen dies geschehen lassen, wird zur Sprache kommen. Auch der Faktor Zeit in der Geburtshilfe und mögliche Alternativen zur vaginalen Untersuchung werden thematisiert. 3.1 Evidenzen als Handlungsgrundlage Evidenzbasiertheit ist ein relativ neues Paradigma in der Medizin, in dem es darum geht, weg von rein auf Erfahrung gestützen Behandlungsschemata bzw. Therapieverfahren hin zu Behandlungsstrategien zu gelangen, welche sich auch auf die Ergebnisse kritisch gelesener Studien stützen, somit rational begründbar und für die zu behandelnde Person nachvollziehbar sind. Hierbei werden PatientInnen - im Fall der Geburtshilfe Schwangere, Gebärende oder Wöchnerinnen - in den Prozess der Entscheidungsfindung mit einbezogen und auf Basis der zur Verfügung gestellten Expertisen ermächtigt, diese Entscheidungsprozesse mitzugestalten. Das gilt gleichermaßen für die Akzeptanz und die Ablehnung vorgeschlagener Maßnahmen. War die evidenzbasierte Medizin in den 1990er Jahren noch unbekannt, sind heute in Großbritannien Ärzte, Pflegepersonal und andere medizinische Professionen dazu verpflichtet, sich in ihrer Arbeit an qualitativ hochwertigen wissenschaftlichen Forschungsergebnissen zu orientieren (vgl. Greenhalg 2003: 17). Auch in der Geburtshilfe ist evidenzbasiertes Handeln mittlerweile unabdingbar. Neuere geburtshilfliche Lehrbücher binden aktuelle Forschungsergebnisse mit ein 30 Die vaginale Untersuchung während der Geburt und tragen so dazu bei, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Wissen im Wandel begriffen und immer wieder kritisch zu hinterfragen ist. In ihrem Buch Grundlagen evidenzbasierter Betreuung widmen sich die Hebammen Schwarz und Stahl eingehend diesem Thema (Schwarz, Stahl: 2011) und definieren evidenzbasierte Betreuung so: Es gehe darum „angemessen zu beraten, angemessen zeitlichen Raum zu erlauben, um dann einen maßgeschneiderten Plan zu entwickeln – für die Frau und vor allem mit ihr.“ (Schwarz, Stahl 2011: 8) Damit sind nicht nur große Interventionen, wie etwa die Entscheidung für oder gegen eine Sectio gemeint. Gerade in der Hebammenarbeit gibt es unzählige kleine Betreuungs-, Pflege- und Beratungshandlungen, die weder einer kritischen Evidenzprüfung, noch einer gezielten Zustimmung oder Ablehnung durch die Frau unterzogen werden. Das Prinzip der evidenzbasierten Entscheidung und Betreuung gilt aber, so Schwarz und Stahl, für „ jede einzelne Maßnahme, Empfehlung und jeden Handgriff und damit auch für Dinge, sie so unscheinbar sind oder uns so selbstverständlich von der Hand gehen, dass uns gar nicht mehr klar ist, dass es sich dabei um eine Intervention mit Wirkungen und Nebenwirkungen handelt.“ (Schwarz, Stahl 2011: 8) Folgt man dieser Definition, bedarf die Maßnahme der vaginalen Untersuchung, ebenso wie auch andere, vielleicht aufwendigere oder kostspieligere Eingriffe, gesicherter Evidenzen und der informierten Entscheidung der Gebärenden. 3.2 Das Paradigma des Geburtsfortschritts Im Buch Evidenzbasierte Geburtsmedizin von James et al. (2006) findet sich zur vaginalen Untersuchung selbst kein Eintrag, wohl aber zum Problem des protrahierten Geburtsverlaufs. Hier sind zwei Studien aus den Jahren 1972 und 1994 angeführt, die dem routinemäßigen Einsatz des Partogramms zuschreiben, schleppende Geburtsverläufe rechtzeitig erkennen und durch gezielten Interventionen Pathologien verhindern zu können. Die eine wurde von Philpott und Castle (1972) in Afrika durchgeführt und mit der Evidenzqualität IIb bedacht. Beunruhigt über die hohe Sectiorate unter Frauen, die 31 Die vaginale Untersuchung während der Geburt aus abgelegenen Gebieten in die lokalen Krankenhäuser transferiert wurden, konstatierten die Forscher, dass ein zu langes interventionsloses Zuwarten bei protrahierten Geburtsverläufen dafür verantwortlich war. Bei rechtzeitigem Eingreifen hätten, so die Hypothese der Forscher, Kaiserschnitte verhindert werden könnten. Sie entwickelten das von Friedman (1954) entworfene Grundkonzept des Partogramms weiter und setzten auf einem Koordinatensystem die Muttermunderöffnung (y-Achse) in Relation zur Zeit (x-Achse). Zwei markante Linien wurden eingeführt: Die alert-line bei einer Muttermunderöffnung von < 1cm/h, sie signalisierte erhöhte Aufmerksamkeit, und die action-line, vier Stunden später, die den akuten Handlungsbedarf markierte. Philpott und Castle erprobten eine Transferierung bei Überschreitung der alert-line und konnten damit die Sectiorate und die Rate an vaginal operativen Geburten deutlich senken (vgl. Walsh 2000: 450). Studd (1973) übernahm das Schema und brachte es nach England. Walsh meint dazu, dass dieses für Afrika konzipierte Partogramm relativ unreflektiert in Europa übernommen wurde und die Debatte über das korrekte Setzen einer alert-line und einer action-line bis heute andauert (vgl. Walsh 2000: 450). Setzt man diese Linien zu knapp an, steigert das die Interventionsrate unnötig. Es ist anzumerken, dass sich diese Problematik in Ländern des globalen Südens völlig anders darstellt als in den Industrieländern und dort ein Problem ist, dem anders begegnet werden muss, als bei uns. Ein Umstand, der sicherlich dazu beigetragen hat, dass sich Philpott und Castle darum bemüht haben, eine effiziente Methode zur Vermeidung der protrahierten Geburt zu implementieren. Ausgehend von der Tatsache, dass weltweit mehr als 500.000 Frauen jährlich auf Grund von Komplikationen im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt sterben und ein Teil dieser Todesfälle auf das Problem der protrahierten Geburt zurückzuführen ist, hat die WHO (2008) ein Lernmodul zum Thema prolonged and obstructed labour herausgegeben, das sich an Hebammen und andere geburtshilflich tätige Personen richtet und sie befähigen soll, die nötigen diagnostischen und therapeutischen Fähigkeiten zu erwerben, um dem Problem adäquat begegnen zu können (WHO 2008: 3). In diesem Lehrbuch wird die protrahierte Latenzphase mit schmerzvollen, nicht zervixwirksamen Kontraktionen >8 Stunden definiert, die prolongierte aktive Eröffnungsphase mit schmerzvollen 32 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Kontraktionen >12 Stunden, wenn der Muttermund dann nicht eröffnet ist. Die Maßnahme, die dann zu setzen ist, ist die - oft langwierige - Transferierung der Frau in ein medizinisches Zentrum (vgl. WHO 2008: 17). Die Diagnose schließt den Allgemeinzustand der Wehenden, die abdominelle und die vaginale Untersuchung, sowie die Aufzeichnungen des Partogramms und die Symptomatik einer Uterussuptur mit ein (vgl. WHO 2008: 45-52). Die andere in James et al. (2006) beschriebene Arbeit ist eine in Asien durchgeführte Mulitcenter-Studie der World Health Organization (WHO: 1994) mit der Evidenzstufe III (vgl. James et al.: 434-435). Auch in dieser Studie konnten protrahierte Geburten und Kaiserschnitte durch Interventionen, die nach dem Partogramm-Schema von Philpott und Castle eingesetzt wurden, vermindert werden (vgl.Walsh 2000: 451). Da das Aufzeichnen eines Partogramms notwendigerweise mit regelmäßigen vaginalen Untersuchungen einhergeht, könnte man argumentieren, dass diese dazu beitragen, die Komplikation der protrahierten Geburt, wie eine gesteigerten Rate an vaginal operativen Geburten, Sectiones oder schlechtem neonatalen Outcome zu reduzieren. Diese Komplikationen sind es laut Schneider et al. (2006), die generell mit der protrahierten Geburt assoziiert sind (vgl. Drack und Schneider in: Schneider et al. 2006: 705-708). Lavender et al. (2009) widerlegen in ihrem Review über fünf Studien diese Ergebnisse und kommen zu dem Schluss, dass es keinerlei Evidenzen dafür gibt, dass die Verwendung von Partogrammen die Sectiorate oder andere geburtshilflich relevante Parameter wie Geburtsdauer, Oxytocingabe, Amniotomie, Apgar-Score positiv oder negativ beeinflusst. Auch die Betrachtung verschiedener PartogrammModelle ergab, dass sie sich in ihrer Qualität nicht unterscheiden. Der generelle Einsatz von Partogrammen bei normalen Geburten kann somit von den AutorInnen nicht empfohlen werden, wiewohl einige Kliniken Vorteile davon haben, insbesondere die Zeitersparnis durch effizienteres Dokumentieren. Die WHO (Soni 2009) hat auf Grund der Arbeit von Lavender et al. (2008) ihre eigenen Empfehlungen (WHO 1994) relativiert. 33 Die vaginale Untersuchung während der Geburt „The partogram is widely used in under-resourced settings as a simple and affordable tool to monitor labour. However, the Cochrane Review did not find sufficient evidence to show that use of the partogram improves clinical outcomes for the mother.“ (Soni 2009: keine Seitenangabe) Es wird nötig sein, weitere große randomisierte Mulitcenter-Studien mit einheitlichen Geburtsprotokollen durchzuführen um insbesondere in unterentwickelten Regionen die Effektivität des Partogramms näher zu erforschen. Weitere Studien sollten auch die Zufriedenheit der Frauen mit der Geburtsbetreuung und die Erfahrenheit von Hebammen bzw. Geburtshelfern mit der Verwendung des Partogramms mit einbeziehen (vgl. Soni 2009) Ebenfalls in James et al. angeführt ist ein systematischer Review über 14 Studien von Hodnett et al. (2001) mit einer Evidenzqualität von 1a. Die AutorInnen kommen zu dem Schluss, dass es vor allem die soziale Unterstützung während der Geburt ist, die einen mangelhaften Geburtsfortschritt und damit verbundene operative Geburtsbeendigungen verhindern kann. Die ForscherInnengruppe hat diese Metaanalyse mittlerweile mehrmals aktualisiert. Auch die neueste Version (Hodnett et al. 2011), die 21 Studien, an denen insgesamt über 15000 Frauen teilgenommen haben, zusammenfasst, zeigt, dass Frauen mit einer kontinuierlichen Betreuung unter der Geburt häufiger Spontangeburten haben, weniger Schmerzmedikation benötigen und mit der Geburt zufriedener sind. Die Geburtsdauer ist kürzer, die Raten an vaginal operativen Entbindungen und die Kaiserschnittrate sind geringer, und auch das neonatale Outcome, gemessen an den Apgar-Werten, verbessert sich. Hofmeyr (2005) hat in seiner Metaanalyse Evidence-based intrapartum care nach klaren Evidenzen für bei der normalen Geburt routinemäßig durchgeführte Maßnahmen gesucht und kommt zu dem Schluss, dass es diese beispielsweise für routinemäßiges Rasieren der Schamhaare, Einläufe und Nahrungskarenz nicht gibt. Die kontinuierliche Betreuung der Gebärenden durch eine Hebamme und die Anwesenheit einer vertrauten Person bei der Geburt stützen sich auf starke Evidenzen. Weiteren Forschungsbedarf gibt es - und da decken sich seine Aussagen mit denen von Schönberger und Stewart (vgl. Schönberger 2010: 305; Stewart 2008: 7) - hinsichtlich der möglichen emotionalen Konsequenzen von Interventionen während der Geburt. (vgl. Hofmeyr 2005: 103). 34 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Was die Verwendung des Partogramms betrifft meint Hofmeyr, dass, obzwar das Partogramm gemeinhin als hochwertige Methode zur Kontrolle des Geburtsfortschritts angesehen wird, dessen Vorteile eher begrenzt sind. „ A limiting factor in the use of the partograph is the clinical difficulty of diagnosing the onset of labour, and the active phase of labour with accuracy. Overdiagnosis of labour results in unnecessary intervention when the ´labour´ fails to progress.“ (Hofmeyr 2005: 109) Weiters ist auch die Diagnose des vollständigen Muttermundes eine, die durch die vaginale Untersuchung zu einem undefinierten Zeitpunkt nach dem Ereignis gestellt wird, sodass die Festlegung der Maximaldauer der Austreibungsperiode mit zwei Stunden problematisch ist. Zwar gehen kürzere Austreibungsperioden mit besseren neonatalen pH-Werten einher, gleichzeitig erhöht sich die Rate an operativen Entbindungen (vgl. Hofmeyr 2005: 110). „Assessing the cervix routinely at regular intervals in labour did not occur until after Friedman´s studies in the 1950´s.“ (Duff 2005: 13) So ist das vaginale Untersuchen fast unauflöslich verquickt mit der Dokumentation der Geburt mittels Partogramm. Von Friedman (1954) entworfen, Philpott und Castle (1972) weiterentwickelt und von Studd (1973) nach Europa gebracht ist es heute weltweit auf geburtshilflichen Stationen implementiert (vgl. Groeschel, Glover 2001: 22-23). Groeschel und Clover (2001), die in ihrer Arbeit die historische Entwicklung dieses Instruments nachzeichnen, kommen zu dem Schluss, dass weitere Forschung nötig sein wird, um festzustellen, ob bei der Diagnose der protrahierten Geburt das Partogramm tatsächlich effizienter ist als eine klinisch gestellte Diagnose. Der aktuellste Vorstoß in diese Richtung kommt von Neal und Lowe (2012), zwei amerikanischen Hebammen, die als Hauptindikation für Interventionen wie Oxytocingabe und sekundäre Sectio, bei low-risk Erstgebärenden am Geburtstermin die Dystokie10 beschreiben; eine Diagnose, die ihrer Meinung nach durch die ungenaue Definition des Beginns der aktiven Eröffnungsphase zu oft gestellt wird und dadurch unnötige Interventionen nach sich zieht (vgl. Neal, Lowe 2012: 319). Das hat sie veranlasst, das Partogramm stärker an der Physiologie zu orientieren und in modifizierter Form neu aufzulegen. Der wesentliche Unterschied ist in vier 10 Dystokie meint in diesem Fall die protrahierte Geburt 35 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Prinzipien zusammengefasst. Der Beginn der aktiven Eröffnungsphase muss genau erfasst werden, in der Latenzphase wird die Zevixdilatation nicht gemessen. Zur Diagnose der aktiven Eröffnungsphase braucht es, abgesehen von einer Muttermundsweite von 3-5cm, auch regelmäßige mittelstarke bis starke Wehen. Die regelrechte Dauer der Muttermunderweiterung in cm/h wird am Anfang der aktiven Eröffnungsphase flexibler und großzügiger gehandhabt als gegen Ende. Neal und Lowe nehmen in ihr Partogramm die Erkenntnisse neuerster Studien mit auf und setzen die sogenannte alert-line, welche die minimale Muttermundseröffnung pro Stunde definiert, nicht mit 1cm/h sondern mit 0,5 cm/h fest. Weiters berücksichtigen sie die Tatsache, dass der Muttermund sich nicht wie bisher beschrieben linear, sondern entlang einer hyperbolischen Kurve öffnet. Das heißt, die Dilatation beginnt meist langsam, beschleunigt sich aber gegen Ende der Eröffnungsphase. Ein Umstand, der Hebammen aus der Praxis sehr wohl bekannt ist. Beim Setzen der action-line, der Linie, ab der Interventionen zur Geburtsbeschleunigung getätigt werden, wurde dieser hyperbolische Verlauf berücksichtigt. Ob dieses Partogramm einen Beitrag dazu leisten kann, die Interventionsrate zu senken, wird zu zeigen sein. Abbildung 5: Partogramm von Neal, und Lowe (2012) In allen zum Partogramm gefundenen Studien wird davon ausgegangen, dass die vaginale Untersuchung - ohne jemals explizit als Maßnahme genannt zu werden das routinemäßig eingesetzte Diagnoseinstrument für die zu erhebenden Befunde ist. 36 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Für Hildebrandt (2010) ist das Thema des Geburtsstillstandes ein sehr komplexes. „Eine Reduktion des Problems auf geburtsmechanische oder wehendynamische Faktoren würde in keiner Weise dieser Komplexität gerecht werden.“ ( Hildebrandt 2010: 9) Es stellt sich die Frage, ob nicht die wiederholten vaginalen Untersuchungen auch als geburtshemmende Faktoren wirken und so das Problem, dem sie entgegenwirken sollen, erst erzeugen könnten. Eine weitere Frage ist, ob das in Relation setzen von Zeit auf der x-Achse und Geburtsfortschritt auf der y-Achse tatsächlich auf der Basis vaginaler Untersuchungen geschehen muss, oder ob es auch andere Indizes für das regelrechte Voranschreiten der Geburt gibt, die auf der Längsachse eingetragen werden könnten. 3.3 Die vaginale Untersuchung als Routinemaßnahme Der Moment, in dem eine Frau den Kreißsaal betritt ist, so Enkin et al. (Enkin et al.: 2006) einer, in dem sie „sich sehr verletztlich fühlt und es auch ist.“ (Enkin et al. 2006: 232) Vom ersten Augenblick an sollte sie sich in dieser fremden Welt sicher und geborgen fühlen. Wenn ihr die betreuende Hebamme unbekannt ist, fällt das nicht leicht. Konzentriert sich diese auf die Erhebung und Dokumentation der für sie wichtigen Daten wie die fetale Herzfrequenz, den Blutdruck und den Muttermundbefund, kann das zur Verunsicherung der Gebärenden beitragen. Beispielsweise wird die Gebärende bei der Aufnahme in den Kreißsaal meist aufgefordert, „sich zu entkleiden. Geschieht dies in wenig einfühlsamer Form, kann es für die Frau sehr entwürdigend sein.“ (Enkin et al. 2006: 232) Umgekehrt kommen Institutionen wie Krankenhäuser nicht ohne fixe Strukturen und ein festgelegtes Prozedere aus, weil es die dort arbeitenden Menschen überfordern würde, sich alle Maßnahmen von Fall zu Fall neu zu überlegen. Dennoch gilt, dass im Rahmen vorgesehener Routinemaßnahmen „die Würde der Frau [...] geachtet, ihre Privatsphäre gewahrt und sie [...] als erwachsene Person behandelt “ werden muss. (Enkin et al. 2006: 238) Das impliziert, dass sie in Entscheidungen über ihre 37 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Betreuung mit einbezogen wird und geplante Maßnahmen erklärt und begründet werden (vgl. Enkin et al. 2006: 232). Zwar gilt der Verlauf der Muttermundseröffnung noch immer als genauester Indikator für den Geburtsfortschritt und wird bei der vaginalen Untersuchung in Zentimetern gemessen, die „Beurteilung der Muttermundsweite ist jedoch nicht so präzise, wie gerne angenommen wird.“ (Enkin et al. 2006: 255) Was die Abstände zwischen den einzelnen Untersuchungen betrifft, gibt es ebenfalls keine einheitlichen Empfehlungen. Enkin et al. empfehlen, die Abstände individuell zu wählen und und keinem fixen Schema zu folgen (vgl. Enkin et al. 2006: 256). Auch Stewart meint in diesem Zusammenhang: „There is currently no evidence to indicate what the average number of vaginal examinations is, or should be, in the course of a normal labour.“ (Stewart 2008: 12) Die Frage, wie oft und aus welchen Gründen vaginale Untersuchungen durchgeführt werden, haben Sheperd und Cheyne (2011) gestellt. In einer retrospektiven Studie wurden 144 Geburtsverläufe von low-risk Gebärenden in Schottland analysiert. Das Ergebnis: „Almost 70% of women had more VEs11 than expected when the criteria of 4 hourly VEs was applied. The most common reason given by midwives for performing a VE was to assess labour progress and to assess the commencement of labour.“ (Sheperd, Cheyne 2011: 1). Die Autorinnen vermuten, dass die Zahl der tatsächlich durchgeführten vaginalen Untersuchungen sogar noch etwas darüber hinausgehen könnte. Unmittelbar ist man an die von Stewart beschriebenen quickies erinnert, die nicht dokumentiert werden12 (vgl. Stewart 2008: 144-152). Dass eine Vielzahl der Frauen mehr vaginale Untersuchungen erhielt, als die Leitlinien vorsehen, ist ein Umstand, der es dringend erforderlich macht, nach anderen, den Geburtsfortschritt messenden Kriterien zu forschen, wie es etwa Duff (2005)13 in ihrer Arbeit getan hat. Solange, so Sheperd und Cheyne, Interventionen bei normalen Geburten nicht durch geburtshilfliche Richtlinien strenger limitiert werden, wird sich die Anzahl der vaginalen Untersuchungen wohl kaum reduzieren lassen. (Vgl. Sheperd, Cheyne 2011: 5-6) 11 VEs ist im Englischen die Abkürzung für vagial examinations Vgl. auch Kapitel 2.3: Abseits der Lehrbücher 13 Siehe Kapitel 3.9: Alternativen zur vaginalen Untersuchung 12 38 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Ganz klar definieren diese beiden Autorinnen die vaginale Untersuchung als Intervention, und folgen damit der Argumentationslinie von Dixon und Foureur (2010) die sich fragen, ob vaginale Untersuchungen unter der Geburt mehr Nutzen oder Schaden mit sich bringen. Auch für sie fällt die vaginale Untersuchung neben Amniotomie, Wehentropf, Epiduralanästhesie etc. klar in die Kategorie der Interventionen weil sie mit Kitzinger die physiologische Geburt wie folgt definieren: „If we consider a physiological birth to be one in which the woman is able to labour and give birth in her own space and time, with no interference to her physiological rhythms, then any care practice that hinders or modifies this could also be considered an intervention.“ (Kitzinger 2005, zit. nach Dixon & Foureur 2010: 21) Wenn eine Hebamme eine vaginale Untersuchung durchführt, muss sie die Konzentration der Wehenden auf die Geburtsarbeit stören, die Frau muss gebeten werden, sich in eine günstige Position zu begeben, dann erst kann diese „intrusive and very intimate examination“ ( Dixon, Foureur 2010: 21) vorgenommen werden. Dass diese Stress auf körperlicher und auf psychischer Ebene auslösen kann, liegt auf der Hand. Den unbestrittenen Vorteilen dieser Untersuchung stellt sie somit den Nachteil der Invasivität gegenüber. Die Betrachtung der vaginalen Untersuchung als Intervention impliziert deren Einsatz nur nach streng gestellter Indikation. So kommen Dixon und Foureur zu dem Schluss, dass sie dann indiziert und auch hilfreich ist, wenn die für die Geburtsbetreuung erforderliche Information nicht dadurch gewonnen werden kann, dass die Gebärende kontinuierlich begleitet und gut beobachtet wird. Schon 2005 haben die beiden Forscherinnen dazu in einer qualitativen Studie freipraktizierende Hebammen in Neuseeland befragt, die eine kontinuierliche Begleitung durch Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett anbieten (vgl. Dixon, Foureur 2005). Bereits in der Schwangerschaft wird eine Beziehung zwischen Hebamme und Klientin aufgebaut, die auf beiden Seiten die Vorstellungen von der Geburt und die diesbezügliche Erwartungen zu klären hilft. Das Diagnoseinstrument vaginale Untersuchung wird individuell in Abhängigkeit von der wehenden Frau und ihrer Geburtsarbeit, nicht aber routinemäßig eingesetzt. Manche Frauen werden nicht vaginal untersucht. Die Anzahl der Untersuchungen wird jedenfalls auf ein Minimum beschränkt, weil andere aus Beobachtung gewonnene Indikatoren zur Beurteilung des Geburtsfortschritts herangezogen werden können. Die befragten Hebammen 39 Die vaginale Untersuchung während der Geburt geben an, dass für sie die Begleitung einer Geburt eine Art Vertrag zwischen Hebamme und zu betreuender Frau ist. „The key element to this negotiation is the continuity of care because, by knowing the woman well, the midwives are able to fully utilise their knowledge, experience and judgement along with senisitvity towards the woman´s beliefs, expectations and wishes regarding assessment of labout“ (Dixon, Foureur 2005: 26) In diese Richtung gehen auch die praktischen Empfehlungen von Walsh (2000): Von wiederholten routinemäßigen vaginalen Untersuchungen sollte man absehen und es muss klinische Indikationen mit klaren rationalen Begründungen dafür geben. Außerdem sollte diese Untersuchung nur nach der informierten Entscheidung der Gebärenden und unter Bedingungen stattfinden, die ihre Intimsphäre wahren (vgl. Walsh 2000: 454). Warren (1999) sagt klar, dass ihrer Meinung nach vaginale Untersuchungen Interventionen sind, deren Wert bis heute nicht evaluiert ist. Einen weiteren Denkanstoß gibt sie mit der Aussage, dass Hebammen und GeburtshelferInnen damit einen Mangel an Vertrauen in die gebärende Frau signalisieren und damit ihre Fähigkeit, ein Kind normal zur Welt bringen zu können, anzweifeln. Abgesehen davon mögen es die meisten Frauen nicht, vaginal untersucht zu werden. Es löst Stress aus und sollte vermieden werden. Sie hat Frauen kennengelernt, die sagten, dass die vaginalen Untersuchungen das Schlimmste an der Geburt waren (vgl. Warren 1999: 13). Auch Stewart hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Women who have had babies have often replied by telling me, unprompted, their experiences of vaginal examination and these were, without exception, unhappy.“ (Stewart 2008: 1) 3.4 Die vaginale Untersuchung als Stressor Der Geburtsvorgang wird von unserem Gehirn gesteuert. Der Hirnstamm, der primitive Teil des Gehirns, den Säugetiere in gleicher Weise haben, produziert die Hormone, die für geburtswirksame Wehen nötig sind und schaltet zugleich den neueren, menschenspezifischen Teil des Gehirns, den Neokortex auf Sparflamme. Deswegen ziehen sich Frauen physiologischer Weise im Verlauf der Geburt zurück, wollen nicht mehr in Kontakt mit ihrer Umwelt treten und sind ganz auf das 40 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Geschehen in ihrem Körper konzentriert. Wird durch äußere Reize der Neokortex stimuliert, hemmt er diesen vom Hirnstamm gesteuerten instinktiven Prozess (vgl. Odent 1992: 33). Jede Art von Eingreifen in das Geburtsgeschehen bedeutet eine Aktivierung des Neokortex und stellt somit potentiell eine geburtsbremsende Maßnahme dar. Das beginnt mit einfachen scheinbar belanglosen Fragen, die eine wehende Frau beim Eintreffen im Krankenhaus gestellt bekommt und die sie zum Nachdenken veranlassen und setzt sich damit fort, dass in unseren Kreißzimmern die Gebärende von fremden Menschen umgeben ist, welche die Geburt beobachten und überwachen. Betrachtet man die vaginale Untersuchung vor diesem Hintergrund leuchtet ein, dass diese über die Aktivierung des Neokortex und das gleichzeitige Irritieren des durch den Hirnstamm gesteuerte hormonellen Gleichgewichts, den Geburtsverlauf stören, bremsen oder sogar zum Stillstand bringen kann. Wirkt Stress am Ende der Geburt - über die Aktivierung des Fetus-AusscheideReflexes – geburtsbeschleunigend (vgl. Odent 1992: 43-48), so hat er davor geburtshemmende Wirkung. Das dafür verantwortliche Hormon ist das Adrenalin. In der Eröffnungsphase erleichtert ein niedriger Adrenlinspiegel die Geburt, wohingegen alles was diesen hebt, also jede Art von körperlichem oder physischem Stress zu einer Wehenschwäche führen kann (vgl. Odent 1992: 44). Mittels Fragebogen erhoben Lewin et al. (2004) in ihrer retrospektiven MulitcenterStudie an drei Geburtskliniken in England, wie die Frauen die vaginalen Untersuchungen während der Geburt empfanden. Ausgangspunkt war, dass trotz einer generellen Empfehlung des Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG 1997), die zur Achtsamkeit bei intimen Untersuchungen aufruft, diese noch immer häufig in einem 3-4 Stunden-Rhythmus durchgeführt wurden. Explizit weist das RCOG darauf hin, dass vaginale Untersuchungen nur nach sorgfältiger Abschätzung der Notwendigkeit, nach ausführlicher Erklärung und dem Einverständnis der Frau unter Wahrung ihrer Intimsphäre und Berücksichtigung entstehender Stress- oder Schmerzäußerungen getätigt werden sollten (vgl. Lewin et al 2004: 268). Die Autorinnen berufen sich auf die Ergebnisse älterer Forschungsarbeiten, die zeigten, dass Frauen trotz dieser Untersuchungsrichtlinie vaginale Untersuchungen unangenehm oder schmerzvoll empfanden. (vgl. lt. Lewin: 41 Die vaginale Untersuchung während der Geburt McKay and Barrows 1991; Clement 1994) In anderen Studien wurden empfindliche Verletzungen der Intimsphäre und posttraumatische Belastungsstörungen beobachtet (Bergstrom et al. 1992; Menage 1996) O´Driscoll (1994) zeigte auf, dass ungeachtet dieser Forschungeergebnisse in englischen Krankenhäusern vaginale Untersuchungen nach wie vor routinemäßig durchgeführt werden (vgl. Lewin et al. 2004: 268). Lewin et al. fanden heraus, dass, obzwar in ihrer Studie die Zufriedenheit mit der Geburtsbetreuung generell gegeben war, gerade das vaginale Untersuchen dennoch Stress ausgelöste. „Painfull and distressing vaginal examinations were reported at some stage by almost half the women. Two fifths felt, on balance, that they could not refuse an examination even if they whished to do so, and about one third wished the staff had provided additional information about vaginal examination.“ (Lewin et al 2004: 276) Die Autorinnen empfehlen, dass Hebammen mit den Gebärenden grundsätzlich andere Möglichkeiten zur Feststellung des Geburtsfortschritts besprechen sollten. Dadurch würden die Frauen ermutigt, ihren eigenen Empfindungen zu vertrauen und vaginale Untersuchungen auch abzulehnen. Die Gesamtzahl derselben würde sich damit zumindest reduzieren. Weiterer Forschungsbedarf ist ebenfalls gegeben (vgl. Lewin et al. 2004: 276). 3.5. Posttraumatische Belastungsstörungen Mit dem Betasten der Vagina einer Frau berührt man über ihre intimsten Körperregionen auch ihr sexuelles Empfinden. Das kann verletzend und sogar traumatisch sein, je nachdem, was die Frau diesbezüglich schon erlebt hat (vgl. Warren 1999: 13). Menage (1993) ging in ihrer Studie der Frage nach, ob gynäkologische und geburtshilfliche Untersuchungen posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) auslösen können. Aus einem Sample von freiwilligen Studienteilnehmerinnen filterte sie zunächst die heraus, die im Zusammenhang mit gynäkologischen und geburtshilflichen Untersuchungen Stress erlebt hatten. Diese bekamen einen weiteren Fragebogen zugesandt, der die Kriterien zur Identifikation einer 42 Die vaginale Untersuchung während der Geburt ‚posttraumatic stress disorder’ (PTSD) beinhaltete. Ein Drittel der Frauen, die gynäkologische Untersuchungen traumatisch erlebt hatten, wiesen auch eine PTSD –Symptomatik auf. In weiterer Folge fand sie heraus, dass 30% dieser Frauen in ihrer Anamnese auch Missbrauchserfahrungen hatten. 70% der Frauen mit PTSD nach gynäkologischen oder geburtshilflichen Untersuchungen hatten keinerlei sexuelle Gewalt erlebt, die als Ursache für die Stressreaktion angesehen werden könnte. Bei diesen Frauen war die alleinige Ursache für die PTSD der gynäkologische oder geburtshilfliche Eingriff gewesen (vgl. Menage 1993). „The findings of this research have implications for all women but particulatly for those who have been sexually abused“ (Menage 1993: 227). Vaginale Untersuchungen können unterdrückte Erinnerungen an vergangene Traumatisierungen an die Oberfläche rufen. Auslösende Faktoren können beispielsweise der Schmerz, die Ohnmacht oder Mangel an Empathie sein (vgl. Menage 1993: 227). Auch wenn die Untersuchung keinen Anspruch auf Repräsentativität erhebt, ist dennoch bemerkenswert, dass es durchaus möglich ist, allein durch geburtshilfliche oder gynäkologische Interventionen Traumen hervorzurufen. Swahnberg et al. (2011) bestätigen, dass starke Schmerzen oder flashbacks14 bei vaginalen Untersuchungen auf vergangene Missbrauchs- und/oder Gewalterfahrungen zurückzuführen sind. Laut zusammenfassendem Bericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2004) hat in Deutschland „jede zweite bis dritte Frau körperliche Übergriffe in ihrem Erwachsenenleben und etwa jede siebte Frau sexuelle Gewalt durch bekannte oder unbekannte Personen erlitten“ (Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2004: 10). Ausgehend davon, dass die Zahlen in Österreich ähnlich liegen kann man sagen, dass jede fünfte Frau, die zur Geburt ins Krankenhaus kommt, Gewalterfahrungen in ihrer Geschichte hat. Diese Tatsache ist zu berücksichtigen und vor jeder geburtshilflichen Untersuchung bei jeder Frau zu bedenken. 14 Das Wieder-Erleben vergangener traumatischer Szenen, ausgelöst durch einen Schlüsselreiz (z.B. die vaginale Untersuchung), der die Person augenblicklich in diese Situation zurückversetzt. 43 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Wurden Frauen in ihrer Kindheit missbraucht, liegen Verletzungen noch tiefer. „Childhood sexual abuse survivors experienced pain, dissociation, fear, blame,helplessness and guilt in their encounters with health care practitioners.“ (Coles, Jones 2009: 230) Im Rahmen qualitativer Interviews haben Coles und Jones (2009) betroffene Frauen befragt um herauszufinden, was ihnen dabei helfen würde, die Untersuchungen, die im Zusammenhang mit der Geburt durchgeführt werden, besser zu bewältigen. Mit den Teilnehmerinnen wurde eine Liste an ‚universal precautions’15 erstellt, die von Hebammen und GeburtshelferInnen beachtet werden müssen, um den Stress der Frauen zu verringern. • Einverständnis darf nie vorausgesetzt werden. • Die informierte Entscheidung muss immer abgewartet werden. • Jede einzelne geplante Maßnahme muss im Detail erklärt werden. • Es sollte immer nach weniger invasiven Alternativen gesucht werden. • Keine Maßnahme oder Untersuchung sollte routinemäßig ablaufen. • Auch während der Untersuchung sollte nachgefragt werden, ob diese für die Frau noch akzeptabel ist. • Die Untersuchung muss jederzeit auf Bitte der Frau oder wenn sie Stressreaktionen zeigt, gestoppt werden. (vgl. Coles, Jones 2009: 235). Kitzinger (2006) ergänzt diesen noch um weitere Handlungsempfehlungen: • Achtsamer Umgang mit Sprache ist essentiell: Gerade Aufforderungen wie entspanne dich, alles ist gut, vertraue mir, lass es kommen, gib dich hin etc. können Erinnerungen an vergangene traumatische Situationen auslösen. • Frauen sollte möglichst zu aufrechten Positionen ermutigt und in ihrer Bewegungsfreiheit keinesfalls eingeschränkt werden. • Mit der körperlichen Berührung der Frau ist achtsam und zurückhaltend umzugehen: Für die Betreuung und die Geburt selbst sind hands off Varianten zu bevorzugen (vgl. Kitzinger 2006). Gewalterfahrungen von Frauen sind dem geburtshilflichen Personal in den seltensten Fällen bekannt. Darüber hinaus können Ohnmacht, Hilflosigkeit und Unterdrückung in der Kindheit auch dann erlebt werden, wenn sie nicht mit sexuellem Missbrauch 15 Universal precautions: Englischer Ausdruck für „umfassende Schutzmaßnahmen“, ein stehender Begriff, der normalerweise im Krankenhaus im Zusammenhang mit Hygienemaßmahmen zum Schutze des Personals verwendet wird. 44 Die vaginale Untersuchung während der Geburt einhergehen. Potentiell kann jede Situation des Ausgeliefert-Seins starke Reaktionen hervorrufen. „Caregivers may not be able to understand why a woman seems especially fearful, timid, passive, naive and withdrawn or, in contrast, stubborn, controlling and hostlie.“ (Kitzinger 2006: 54) So sind Frauen, die Gewalt erfahren haben, keine Sonderfälle, die einer speziellen Behandlung bedürfen. Unabhängig von ihrer Geschichte sollten alle Frauen in geburtshilflichen Abteilungen mit größtem Respekt und unter Berücksichtigung ihrer individuellen Bedürfnisse behandelt werden. Maßnahmenkataloge wie dieser wären als generelles Zeichen von Achtsamkeit in das geburtshilfliche Handeln zu integrieren. 3.6 Die vaginale Untersuchung als Machtinstrument Eine viel beachtetes qualitatives Forschungsprojekt, im Zuge dessen bei über 20 Geburten in der Austreibungsphase Videotapes aufgenommen und anschließend analysiert wurden, haben Bergstom et al. (1992) in den USA durchgeführt. Ziel war, herauszufinden, wie Hebammen und GeburtshelferInnen vaginale Untersuchungen durchführen. „Results showed that the examinations were performed in a ritualistic manner by all caregivers, and the way the ritual was enacted repeatedly demonstrated the power of caregivers over the women.“ (Bergstrom et al. 1992: 10) Diese vaginalen Untersuchungen wurden hauptsächlich so begündet, dass damit den Frauen geholfen werden sollte, besser mitschieben zu können. Eine Indikation, die in der Literatur nicht zu finden ist. Bergstrom et al. beschreiben das aufgezeichnete Prozedere so: Wurde die Untersuchung verbal angekündigt, geschah das meist mit einer verharmlosenden Formulierung wie ‚Ich schau mal nach’, Worte wie Vagina, Zervix oder vaginale Untersuchung wurden vermieden. Manchmal wurde eine bevorstehende Untersuchung auch nur durch das ritualartige Anziehen steriler Handschuhe angekündigt. Der Grund für die Untersuchung wurde nur selten genannt. Hauptmotivation war aber, dass der Frau gezeigt werden sollte, wie das Baby richtig herausgeschoben werden musste. Keine einzige Frau auf dem Video fragte genauer nach oder wehrte sich gegen die Untersuchung. Repräsentative Untersuchungen dauerten vier bis fünf Minuten bzw. über zwei Wehen an. 45 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Schmerzenslaute der Frauen und die Bitte, aufzuhören wurden ignoriert. Das rituelle Ausziehen der Handschuhe - das Innere derselben wurde dabei nach langsam außen gekehrt, dann wurden sie weggeworfen - signalsierte das Ende der Untersuchung. Selten wurden verbal das Ende angekündigt oder nachher ein Befund besprochen. Die Forscherinnen beobachteten bei den GeburtshelferInnen eine gewisse Entpersönlichung, über die sie sich von ihren Handlungen zu distanzieren versuchten. Diese äußerte sich so, dass sie die Frauen nicht ansahen, keinen Kommentar zu den während der Untersuchung empfundenen Schmerzen machten und diese, auch wenn die Frau darum bat, nicht abbrachen. Nach Vollendung der Prozedur wurde der normale Kontakt wieder hergestellt (vgl. Bergstom 1992: 10-17). Aus feministischer Perspektive betrachtet meint Stewart (2004) dazu, dass Frauenkörper ohnehin das Subjekt fortwährender Kontrolle sind. Offen oder versteckt bekommen Frauen Botschaften darüber wie sie sich kleiden oder ihren Körper einsetzen und präsentieren sollen. „This scrutiny is extraordinarily powerful and pervasive and is particulatly evident in the ways in which women´s bodies are observed and controlled during pregnancy, labour and birth.“ (Stewart 2004: 38) Weil Kontrolle so normal geworden ist, wurde es normal, sie zu akzeptieren. 3.7 Die Akzeptanz der vaginalen Untersuchung durch die Gebärende In unserer Gesellschaft wird, wenn man sich in die Hände einer Gesundheitseinrichtung begibt, die Verantwortung für den eigenen Körper ein Stück weit abgegeben. Die Grenzen dessen, was man mit ihm machen lässt, ändern sich, er wird sozusagen Terrain der MedizinerInnen. Das kann insofern schwierig sein, als gerade im Krankenhaus von PatientInnen einerseits Selbstbeherrschung verlangt wird, andererseits aber die Konrolle über den eigenen Körper an die Fachleute abgegeben werden soll (vgl. Stewart 2008: 51). So gerät der Körper unter ständige medizinische Beobachtung. Weder von PatientInnen, noch von MedizinerInnen wird das hinterfragt. „It becomes `normal` to health professionals, such as midwives and obstetricians to gaze at women´s bodies, both, externally and internally, and both, health professionals and women accept this“ (Stewart 2008: 51). 46 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Green und Baston (2007) beobachteten, dass in den letzten 20 Jahren der Trend in die Richtung geht, dass Frauen immer bereitwilliger Interventionen unter der Geburt akzeptieren. Die steigenden Sectioraten brachten sie zunächst hypothetisch damit in Verbindung, dass die Akzeptanz des Kaiserschnitts und auch anderer Eingriffe unter der Geburt eine bessere geworden ist. Um das zu prüfen, führten sie eine retrospektive Fragebogenuntersuchung durch, die in ihrem Aufbau einer solchen aus den 1980erJahren glich. Anschließend wurden die Studienergebnisse verglichen. Tatsächlich ist die Bereitschaft der Frauen, Interventionen unter der Geburt zuzustimmen, gestiegen, das betrifft besonders auch die Periduralanästhesie. Gleichzeitig ist die Rate an Spontangeburten ohne medizinische Eingriffe drastisch gesunken. Das bestätigen auch Schwarz und Schücking (2004), wenn sie feststellen: „Eine Geburt ist routinemäßig mit viel Einsatz von Technik und Medikamenten verbunden, auch wenn die Geburt normal verläuft [...]. CTG, geburtseinleitende Maßnahmen, Wehenmittel, Periduralanästhesie, Dammschnitt und Kaiserschnitt werden zunehmend häufiger eingesetzt“ (Schwarz, Schgücking 2004: 2). Die vaginale Untersuchung als Eingrff kommt in beiden Studien nicht zur Sprache, wiewohl man davon ausgehen kann, dass sie jeder einzelnen obgenannten Intervention vorausgeht, das Einverständnis der Frau mit dieser Untersuchung also gleichfalls gegeben sein muss. Möglicherweise ist ein Argument dafür, dass Frauen diese Eingriffe immer eher akzeptieren auch der Zeitfaktor. Das verlockende Angebot, dass die Geburt durch bestimmte Maßnahmen verkürzt werden könnte, mag so manche Frau von der Notwendigkeit derselben überzeugen. 3.8 Die Rolle der Zeit in der Geburtshilfe Kann die Häufigkeit vaginaler Untersuchungen die Geburtsdauer beeinflussen? In einer prospektiven randomisierten Studie fragen Abukhalil et al. (1996) nach der Effizienz derselben und meinen mit beeinflussen selbstverständlich verkürzen. Über 100 low-risk Frauen am Geburtstermin wurden per Zufallsprinzip in zwei Gruppen geteilt, von denen die eine vierstündlich, die andere zweistündlich vaginal untersucht 47 Die vaginale Untersuchung während der Geburt wurde. Die Studie konnte nicht zeigen, dass das routinemäßige zweistündliche Untersuchen einen verkürzenden Einfluss auf die Geburtsdauer hatte (vgl. Abukhalil et al. 1996: 24). Das Spannende daran ist, dass, wenn es um die Geburtsdauer geht, immer der Fokus darauf liegt, sie zu verkürzen. Das Paradigma des Schneller, Weiter und Höher macht auch vor dem Gebären nicht halt. Eine schnelle Geburt gilt als gute Geburt und oft sind es die Frauen selbst, die ihre Geburt im Nachhinein danach beurteilen, wie lang sie gedauert hat. Der Geburtsstillstand oder die protrahierte Geburt, Motor für viele in der vorliegenden Arbeit beschriebenen Forschungsinitiativen, wird generell über die Zeit, die das Geburtsgeschehen dauert, definiert. Hildebrandt sieht das Problem nicht aus einer quantitativen, sondern aus einer qualitativen Perspektive und differenziert zwischen konstruktivem und destruktivem Geburtsstillstand (vgl. Hildebrandt 2010: 10). Geht eine Geburt nicht voran, muss man sich die Frage nach der Bedeutung dieser Stagnation stellen. Nimmt man die Zeichen und Signale, die eine Gebärende sendet, ernst, löst sich das Problem manchmal von selbst. Ist eine Frau zum Beispiel müde, macht es wesentlich mehr Sinn, ihr Zeit zu lassen, als mit Wehenmittel die Geburt zu beschleunigen. Der „konstruktive Geburtsstillstand sollte unser Freund sein und bleiben“ (Hildebrandt 2010: 10), er lehrt uns, die Sprache der Geburt zu verstehen. Davon zu unterscheiden ist der destruktive Geburtsstillstand, der aus einer für Mutter und Kind bedrohlichen Situation heraus entsteht und bei dem interveniert werden muss. Das gilt auch, wenn die Zeitschiene noch längst nicht bei einer action-line angekommen ist. Körperliche wie seelische Blockaden sind manchmal unüberwindliche Geburtshindernisse. Dann müssen Hebammen und Geburtshelferinnen aktiv dazu beitragen, im Einvernehmen mit Mutter und Kind das Problem zu lösen (vgl. Hildebrandt 2010). Seit vielen Jahren beschäftigt sich auch Walsh mit dem durch die Implementierung des Partogramms entstanden Paradigma des Geburtsforschritts und plädiert immer wieder dafür, dem Konzept des „labour progress“ das der „labour rhythms“ entgegenzusetzen (vgl. Walsh 2010). „The ubiquity of VE as a practice in labour is inextricably linked to the progress paradigm. It deserves some appraisal as a 48 Die vaginale Untersuchung während der Geburt common childbirth intervention to see if its widespread use is justifiable. (Walsh in: Walsh, Down 2010: 69) Er betont, dass das engmaschige Kontrollieren und Dokumentieren des Geburtsfortschritts uns in die Sackgasse einer Geburtshilfe gebracht hat, die sich weder an den Bedürfnissen von Frauen noch an denen von Hebammen orientiert. „Once the flexibility of the labour rhythms paradigm is adopted, practitioners are released from the bondage of repeated vaginal examinations (VE) as the marker of normal labour pattern.“ (Walsh in: Walsh, Down 2010: 67) Wehen- und Geburtsrhythmen sind so individuell wie die Frauen selbst, meint Walsh, und schon wenn wir zwischen Latenzphase und aktiver Eöffnungsphase zu differenzieren versuchen, werden wir der Situation, in der sich die Wehende befindet, kaum gerecht. Weil wir keine längeren Wehenphasen als 24 Stunden akzeptieren, erfinden wir Euphemismen, um das was die Frauen erzählen mit unseren Vorstellungen in Einklang zu bringen und sprechen von falschen Wehen, Vorbereitungswehen oder wir sagen, dass das was die Frau spürt, keine Wehen sind. Auch die aktive Eröffnungsphase ist gekennzeichnet von Zeiten des Fortschritts und Zeiten der Stagnation. (vgl. Walsh in: Walsh, Down 2010: 67). Eine retrospektive Auswertung von einigen tausend Hausgeburten ergab Folgendes: „[...] some had periods when the cervix stopped dilating temporarely in active labour. This was not interpreted as pathology by their birth attendants, and after variable periods of time, cervical progression began again. Some women even had two ‚plateaus’ in their labours.“ (Walsh in: Walsh, Down 2010: 68) Dieser Paradigmenwechsel von der Geburt nach Partogramm-Schema hin zu einem universellen Verständnis der vielen Spielarten des Normalen ist eine Herausforderung die uns nötigt, unserer eigenes geburtshilfliches Denken und Handeln radikal zu überdenken. Vo einem ‚Mit der Gebärenden etwas tun’ bringt es uns hin zu einem ‚Mit der Gebärenden sein’ (vgl. Walsh in: Walsh, Down 2010: 71). Das erfordert eine gewisse Langsamkeit. Slow midwifery ist der Titel eines Artikels von Browne und Chandra (2009), in dem sie unser Zeitkonzept unter die Lupe nehmen. Analog zum slow food, das als Kontrapunkt zum fastfood von sich reden macht, haben die Autorinnen diesen Begriff für eine neue Sicht der Hebammenarbeit gewählt. Schnellsein hat einen hohen Stellenwert. Autos, Computer und Informationsfluss werden immer flotter, auch die Ansprüche an uns Menschen steigen und man will ihnen gerecht werden. Dieser 49 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Zeitgeist hat auch in der Geburtshilfe die Idee des Prozess-Verkürzens sehr mächtig werden lassen; ein Umstand, der nach Ansicht der Autorinnen kontraproduktiv sein könnte. „We suggest, that timekeeping and counting potentially disrupt the midwifewoman relationship and, further, timekeeping and counting contribute to us valuing particular qualities in women and in the health system, including the idea, that fast is better than slow.“ (Browne, Chandra 2009: 29) In der Schwangerschaft bestimmen wir den Geburtstermin, messen Blutdruck, Gewicht, Bauchumfang, Fundus, Herztöne etc. und haben darüber kaum Zeit, mit der Frau zu sein. Während der Geburt zählen wir die Wehen, erfassen die Abstände dazwischen, schätzen und messen die Zervixdilatation und den Höhenstand des kindlichen Köpfchens. Wir kontrollieren seine Herzfrequenz und notieren die Zeit, die seit der letzten vaginalen Untersuchung vergangen ist. Die Dauer der einzelnen Geburtsphasen wird zu der dafür vorgesehenen Zeitspanne in Beziehung gesetzt, im Zweifelsfall wird beschleunigend interveniert. Unbestritten gibt es Situationen, in denen es essentiell ist, schnell zu reagieren und zu handeln. In der normalen Geburtssituation verstellt uns die Uhr jedoch des öfteren den Blick auf das Wesentliche, auf Mutter und Kind. Entschleunigen ist auch in der Hebammenarbeit angesagt. Wenn Hebammen sich in ihrer Arbeit nicht mehr von der Zeit unter Druck setzen lassen, und sich darauf einlassen, Frauen und Kinder in ihrem Tempo durch die Geburt zu begleiten, könnte das „powerful beyond imagination“ (Browne, Chandra 2009: 32) sein und unsere Geburtshilfe nachhaltig verändern. Eine Möglichkeit, dem Messen weniger Raum einzuräumen, wäre, die Beobachtung an seine Stelle zu setzen. Wird das Paradigma des Geburtsfortschritts und mit ihm die Notwendigkeit regelmäßiger vaginaler Untersuchungen relativiert, würde das den Raum öffnen, andere Fähigkeiten zum Abschätzen des Zustands einer Gebärenden zu entwickeln. „A variety of skills can come into play that arguably had been lost from earlier birth attendants as the VE became the monitor of progress par excellence.“ (Walsh, Down 2010: 63) Das braucht nicht nur Erfahrung, sondern auch die Zeit und die Ruhe, sich auf eine Gebärende einzulassen, sie kontinuierlich zu begleiten und so die Veränderungen, die sie in körperlicher und psychischer Hinsicht während einer Geburt durchläuft, wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren. Es gibt Hebammen, die um 50 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Alternativen zur vaginalen Untersuchung wissen, und es ist an der Zeit, dieses Wissen weiterzugeben. 3.9 Alternativen zur vaginalen Untersuchung „Wird einer Frau erlaubt, nach der Säuger-Methode zu gebären, wird der Finger nicht gebraucht“, so Odent (Odent 1992: 50). Das Verhalten der Gebärenden, ihre Atmung, die Töne die sie macht, die Art wie sie sich bewegt und die Positionen die sie einnimmt, geben der Hebamme die nötigen Hinweise. So unterscheiden sich Eröffnungs- und Austreibungsphase nicht mehr in Hinblick auf den Muttermundbefund, sondern danach, „wie das Verhalten und der Bewusstseinszustand der gebärenden Frau ist, d.h. nach ihrem Hormonspiegel.“ (Odent 1992: 50). Der Finger kann irren, so Odent weiter, weil manchmal der Muttermund schon vor dem ersten spürbaren Pressdrang offen ist und manchmal der Drang, das Baby hinauszuschieben, dieser Muttermunderöffnung vorausgeht. Vaginale Untersuchungen als Teil einer ganzheitlichen Einschätzung der Gebärenden haben auch laut Davies (2011) ihren Platz in der Geburtsbereuung. Darüber hinaus gibt es eine Reihe zusätzliche, weit weniger invasive Möglichkeiten, den Geburtsfortschritt zu beurteilen. In einer Diskussionplattform befragte Davies Hebammen nach ihren diesbezüglichen Erfahrungen und fasste diese zusammen. Unter anderem sind dies: • Die abdominale Palpation. • Die Beobachtung des Wehenmusters. • Die Beobachtung, dass die Gebärende in ihren Rhythmus kommt. • Veränderungen in den Lauten der Gebärenden und in ihrer Stimme. • Der Geruch der Gebärenden. • Die Art, wie sie auf Stimuli von außen reagiert. • Die Art, wie ihr Partner auf sie reagiert. • Die Dehnung des Anus (vgl. Davies 2011: 41). Alle befragten Hebammen drückten aus, dass sie grundsätzlich vaginale Untersuchungen wegen deren invasiven Charakters eher ungern und bei einer normalen Geburt nur dann durchführten, wenn es eine deutliche klinische Indikation dafür gab. 51 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Um herauszufinden, wie Hebammen den Beginn der aktiven Eröffnungsphase ohne vaginale Untersuchung diagnostizieren, bereitete Burvill (2002) in einer qualitativen Untersuchung zunächst mit einigen qualifizierten Hebammen das Thema auf, um dann ein Tiefeninterview mit einer sehr erfahrenen Hebamme anzuschließen. Das Ergebnis: Weder mit der vaginale Untersuchung, noch mit anderen Methoden ist es möglich, den Beginn der aktiven Eröffnungsphase genau zu bestimmen. „All midwives in the study felt the medical diagnosis of labour, as defined by cervical dilatation and contractions alone, did not represent the experience and reality of all women.“ (Burvill 2002: 603) Indikatoren für den Übergang in eine aktivere Phase waren Veränderungen der Gebärenden, die ihre Atmung, ihre Kommunikation, ihre Stimmung, ihre Energie und die Art, wie sie sich bewegte, betrafen. So wie für den Anfang der Geburt, gibt es auch für das Einsetzen der aktiven Austreibungsphase Indikationen, die Odent (1992) mit der vermehrten Adrenalinausschüttung in Zusammenhang bringt. „Ein plötzliches Bedürfnis etwas zu ergreifen und die Knie zu beugen ist so typisch, dass sich jede vaginale Untersuchung erübrigt. Dies ist der Zeitpunkt, an dem sich viele Frauen ohne zu zögern ihrer Kleider entledigen“ (Odent 1992: 47). Weiters haben die Frauen einen trockenen Mund und verlangen nach Wasser. Die Atmung wird flach, die Pupillen sind vollständig erweitert. Manchmal ist diese letzte Phase auch von Zornesausbrüchen begleitet, eventuell schlagen die Frauen gegen Wand oder Unterlage. Auch Euphorie ist zu beobachten. All dies sind physiologische, mit dem Adrenalinschub einhergehende Reaktionen, die klar das nahende Ende der Geburt ankündigen (vgl. Odent 1992: 47). In ihrer Dissertation widmet sich Duff (2005) eingehend den unterschiedlichen Möglichkeiten, den Geburtsprozess zu beobachten. Sie ist der Frage nachgegangen, „why did some midwives ‚know’ when a woman would give birth“ (Duff 2005: xv). Sowohl aus der Literatur, als auch aus ihrer eigenen Praxis wusste sie, dass der Geburtsfortschritt durch die reine Beobachtung des Verhaltens einer Gebärenden abgeschätzt werden konnte. Ihre Frage war, ob sich diese Beobachtungen verallgemeinern ließen. Sie entwickelte ein System, mit dem sie umfangreiche 52 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Expertinnenbefragungen von erfahrenen Hebammen durchführen und anschließend die gewonnenen Daten ordnen und kategorisieren konnte. Das Resultat: Die Verhaltensmuster der Frauen in den unterschiedlichen Phasen der Geburt konnten tatsächlich in ein Schema gebracht und verallgemeinert werden. Wesentliche Ergebisse sind, dass „specific behavioural descriptors associated with progress were observed before dilatation increased. Descriptors´ indicating cervical dilation was occuring, or had occured, and descriptors indicating impending second stage as well as second stage itself, were identified. Differences were observed between the labours of mulitparous and nulliparous women and induced labours and non induced labours.“ (Duff 2005: xxiii) So ist es die Beobachtung von wehenden und gebärenden Frauen, die Hebammen lehrt, die unterschiedlichen Zeichen des Voranschreitens einer Geburt zu erkennen. Duffs Forschungsansatz ist einer, den aufzugreifen auch für die Hebammenwissenschaft im deutschsprachigen Raum interessant sein könnte. Würde dieses Wissen - gesammelt und auf seine Evidenz geprüft - seinen Platz in der Geburtshilfe bekommen, wären in den Lehrbüchern die Abhandlungen über die Diagnose des Geburtsfortschritts umfangreicher und in der Praxis die vaginalen Untersuchungen seltener. 53 Die vaginale Untersuchung während der Geburt 4. Forschungsergebnisse aus den Interviews „Und wenn die einfach ein bissl, ich meine, sie hätte auch mich fragen können, ich weiß nicht, wie es mir geht oder so...“ (aus dem Interview mit K) Meine zweite Forschungsfrage lautet: Wie erleben Frauen vaginale Untersuchungen während der Geburt? Prägen diese das Geburterlebnis? In diesem Kapitel geht es darum, den wissenschaftlichen Diskurs mit den konkreten Erfahrungen, die Frauen unter der Geburt mit vaginalen Untersuchungen gemacht haben, anzureichern. Evidenzbasierte Betreuung bedeutet laut Schwarz und Stahl ursprünglich „das Zusammenwirken der drei Eckpfeiler Erfahrungswissen, theoretisches Wissen und individuelle Wünsche der betroffenen Person.“ (Schwarz/Stahl 2011: 8) Um die Wünsche und Erlebnisse der Betroffenen in meine Expertise miteinbeziehen zu können, habe ich Interviews mit Frauen nach der Geburt gemacht. Wie diese zustande gekommen sind und welche Erkenntnisse sich ergaben, ist in diesem Kapitel dargestellt. 4.1 Methode Als Forschungsansatz wurde das qualitative Verfahren des Interviews gewählt, weil diese Methode „differenzierte Einblicke in die subjektive Weltsicht der untersuchten Personen“ (Bortz, Döring 2006: 307) ermöglicht. Die Datenerhebung durch Interviews und die Auswertung derselben mittels qualitativer Inhaltsanalyse folgt einem induktiven Forschungsansatz, der es ermöglichen soll, das Besondere der einzelnen Gespräche so weit zu verallgemeinern, dass es Orientierungshilfe für konkretes geburtshilfliches Handeln sein kann. Der Interviewphase ging eine inhaltliche Vorbereitung voraus, in der - basierend auf der bereits gelesenen Fachliteratur und geleitet vom eigenen Forschungsinteresse die Fragen festgelegt und formuliert wurden. Als Befragungstechnik wurden leitfadengestützte Interviews eingesetzt. Ein Interviewleitfaden diente als Wegweiser durch das Gespräch und „enthält die Fragen, die in jedem Interview beantwortet 54 Die vaginale Untersuchung während der Geburt werden müssen. Allerdings sind weder die Frageformulierungen, noch die Reihenfolge der Fragen verbindlich.“ (Gläser, Laudel 2010: 42) Angesichts der Intimität des Themas und der Achtsamkeit, die es erfordert, wurde bei der Erstellung des Interviewleitfadens darauf geachtet, dass die Fragen nicht nur die vaginalen Untersuchungen, sondern das gesamte Erleben von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett umfassen. Für die Durchführung des Forschungsprojektes war die Zustimmung einer Ethikkommission erforderlich. Ein entsprechender Antrag wurde an die für Forschungsarbeiten an der Fachhochschule Gesundheit Tirol zuständige Ethikkommission RCSEQ (Research Committee for Scientific and Ethic Questions) gestellt. Dieser enthielt Exposé, Aufklärungsblatt,16 Einwilligungserklärung17 und Interviewleitfaden.18 Das Forschungsvorhaben wurde im April 2012 von der RCSEQ in der vorliegenden Form genehmigt. 4.2 Rekrutierung Interviewpartnerinnen wurden so gewonnen, dass zunächst eine Email an 13 mir persönlich bekannte freiberufliche Hebammen und niedergelassene GynäkologInnen in meiner näheren Umgebung, d.h. in Wien und den Bezirken Wien-Umgebung, Tulln und Baden geschickt wurde. Die Email enthielt eine kurze Vorstellung meines Forschungsvorhabens,19 ein Aufklärungsblatt für Interessentinnen und die Bitte, Klientinnen auf die Möglichkeit dieses Interviews aufmerksam zu machen und ihnen bei Interesse das Aufklärungsblatt auszuhändigen. Kontaktaufnahme erfolgte durch die Interviewpartnerinnen selbst und zwar in allen Fällen per Email. Voraussetzungen für Teilnahme am Interview waren folgende: Die letzte Geburt sollte nicht länger als zwei Jahre zurückliegen, es sollte keine primäre Sectio vorgenommen worden sein, die Geburt sollte mindestens zwei Stunden gedauert haben. 16 Aufklärungsblatt siehe Anhang 2 17 Einwilligungserklärung siehe Anhang 3 18 Interviewleitfaden siehe Anhang 4 19 Email siehe Anhang 1 55 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Zwischen März und Juli 2012 fanden sich insgesamt 23 Frauen, die sich für ein Interview zur Verfügung stellten, zehn Frauen interviewte ich tatsächlich. Ich wählte diese zunächst nach dem zeitlichen Eintreffen ihrer Interessensbekundung aus. Um Geburtsberichte aus unterschiedlichen geburtshilflichen Abteilungen und auch von Hausgeburten zu bekommen und so ein heterogeneres Bild zu erhalten, zog ich in weiterer Folge auch den Geburtsort als Entscheidungskriterium für ein Interview heran. In diesem Zusammenhang bevorzugte ich dann Frauen, die in einer noch nicht genannten Einrichtung geboren hatten. Neun Interviews fanden in der Wohnung der jeweiligen Interviewpartnerin statt, eines in meiner Hebammenpraxis. Die Interviews dauerten zwischen 20 Minuten und 1,5 Stunden. 4.3 Vorbereitung und Ablauf der Interviews Die Interviews wurden durch Emailkontakte eingeleitet. Darauf folgten Telefonate zur näheren Kontaktaufnahme und Terminvereinbarung. Wichtig war, dass alle Frauen den Aufklärungbogen schon einige Tage vor dem Interview erhielten und so die Möglichkeit hatten, sich auf das Gespräch einzustellen. Bei dem Treffen selbst ging dem Interview eine Phase des Sich-Kennenlernens und Einstimmens voraus, wo sozusagen ‚off records’ informelle Gespräche geführt und Erfahrungen ausgetauscht wurden. Das „Ziel des Forschungsprojektes und der Zweck des Interviews“ (Gläser, Laudel 2010: 54) wurden an dieser Stelle noch einmal besprochen. Um der Transparenz willen wurden Anfang und Ende der Tonaufzeichnung verbal deutlich gemacht. Die Interviews wurden freiwillig und nach vorheriger Aufklärung und Unterfertigung einer Einwilligungserklärung gegeben. Alle interviewten Frauen waren bei guter körperlicher und geistiger Gesundheit. Die Entscheidung, bei dem Interview mitzumachen, fiel aus unterschiedlichen Gründen. Eine Motivation dabei war, dass dies die Chance darstellte, ihre Geburt in einem geschützten und gleichzeitig unverbindichen Rahmen erzählen und reflektieren zu können. 56 Die vaginale Untersuchung während der Geburt So war es in den konkreten Situationen immer wieder angebracht, die Frauen einfach erzählen zu lassen und sie nicht durch Zwischenfragen in ihrem Redefluss zu stören. Die als leitfadengestütze Interviews geplanten Gespräche bewegten sich auf diese Weise eher in Richtung narrative Interviews und dauerten zum Teil sehr lange. Aus Gründen des Respekts wurden die Prozesse nicht unterbrochen und den Frauen der nötige Raum für ihre Erzählungen gegeben. Dadurch sind auch Aspekte aus dem weiteren Umfeld der Geburt zur Sprache gekommen, die sich im Nachhinein als sehr wichtig für das Gesamterleben herausstellten. Beispielsweise wurde ein Kind nach der Geburt wegen eines Amnioninfektionssyndroms auf eine Neonatologie transferiert. In diesem Fall sind die Erinnerungen an die Geburt weniger deutlich, als an die unmittelbare Zeit danach. 4.4 Die interviewten Frauen: Zehn geburtshilfliche Kurzportraits Die Interviews sind anonymisiert. Alle interviewten Frauen sind Österreicherinnen. Sie sind zwischen 1968 und 1987 geboren. Drei von ihnen sind Unternehmerinnen, zwei sind Angestellte, eine ist Kindergärtnerin. Vier meiner Interviewpartnerinnen sind selbst in Gesundheitsberufen tätig. Es sind dies eine Physiotherapeutin, eine Hebamme, eine Ärztin und eine fertige Medizinstudentin. Acht Frauen sind verheiratet, eine verlobt, eine lebt in einer fixen Partnerschaft. Von den befragten Frauen waren fünf erstgebärend, drei zweitgebärend und zwei drittgebärend. Da Mehrgebärende nicht nur von der letzten, sondern auch von vorangegangenen Geburten berichteten, erhielt ich insgesamt Berichte über 17 Geburten. Folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die in den Interviews berichteten Geburtsgeschichten. Diese Skizzen wurden anhand der Interviewprotokolle ohne Einsicht in offizielle Geburtsdokumentationen erstellt. Sie geben somit die subjektive Sicht der interviewten Frauen wieder und erheben nicht den Anspruch, formal korrekt und vollständig zu sein. 57 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Interviewpartnerin Skizze des Geburtsverlaufs Interviewpartnerin A Erstgravida, Erstpara Spontangeburt Hausgeburt Geburtsdauer: 15h ab Blasensprung Zeitpunkt des Interviews: 9 Monate nach der Geburt A hatte vor der Geburt Stress wegen Terminüberschreitung und geplanter Hausgeburt, ihre Hebamme machte dann eine Eipolablösung zur Geburtseinleitung. Die Geburt begann in der Nacht mit Blasensprung. A hatte bald darauf Wehen in relativ langen Abständen. Die Hebamme begleitete die Geburt eher aktiv und bestimmend. A fand sie fachlich kompetent, meinte aber, dass ihr etwas mehr emotionale Unterstützung gut getan hätte. A hatte das Gefühl, langsam zu sein. Auch wollte sie den Prozess unter Kontrolle behalten. Die Geburt verlief komplikationslos und auch zur Zufriedenheit von A. Im Wochenbett brauchte sie ein paar Tage, um mit der neuen Situation vertraut zu werden. Interviewpartnerin B Erstgravida, Erstpara Beckenendlage Sekundäre Sectio wegen protrahiertem Geburtsverlauf Periduralanästhesie Oxyticoninfusion KH>1000Geb. Geburtsdauer: 24h ab Blasensprung Zeitpunkt des Interviews: 7 Wochen nach der Geburt Trotz einer BEL plante B eine Spontangeburt. Die Geburt begann in den frühen Morgenstunden mit einem vorzeitigen Blasensprung. Einige Stunden nach der Aufnahme im Krankenhaus setzten etwas zögerlich die ersten Wehen ein. Auch im weiteren Verlauf öffnete sich der Muttermund nur langsam und der Steiß kam kaum tiefer. Nach einem ganzen Tag Wehenarbeit machte sich in der Nacht Erschöpfung breit. Da der Geburtsfortschritt trotz Wehenmittel noch immer unzureichend war, wurde gegen Morgen bei einer Muttermunderöffnung von 8 cm und einem immer wieder suspekten CTG entschieden, einen Kaiserschnitt zu machen. B war damit einverstanden. Nach der Sectio erholte sie sich rasch und wurde am 4. Tag p.p entlassen und ab dann zu Hause von einer Hebamme weiter betreut. Nach einer anfänglichen Umstellungsphase kam sie gut mit ihrer neuen Lebenssituation zurecht. Insgesamt war B mit der ganzen Situation zufrieden. Interviewpartnerin C Erstgravida, Erstpara Vakuumextraktion mit Kristeller-Handgriff und Episiotomie wegen protrahiertem Geburtsverlauf Oxytocininfusion KH >1000G Geburtsdauer: Mit Latenzphase >2d ohne Latenzphase 15h Zeitpunkt des Interviews: 8 Monate nach der Geburt C plante eine Hausgeburt. Die Tage vor der Geburt waren wegen einer Terminüberschreitung stressig. C machte einen Einleitungsversuch mit Rhizinuscocktail und hatte daraufhin zwei Tage lang leichte Wehen. Am zehnten Tag nach dem Geburtstermin hatte sie eine CTG Kontrolle im Krankenhaus, die sie wahrnahm, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt schon stärkere Wehen hatte. Das CTG war bei dieser Kontrolle suspekt, der Muttermund 5-6 cm offen. C fuhr mit ihrer Hebamme wieder nach Hause und diese begleitete die Geburt zu Haue weiter. Nach der Eröffnung der Fruchtblase durch die Hebamme hatte diese den Verdacht auf eine dorsoposteriore Schädellage. Da der Muttermundbefund sich in weiterer Folge kaum änderte und auch das Fruchtwasser missfärbig wurde, entschlossen sie sich dazu, ins Krankenhaus zurückzufahren. Dort wurde das Kind per Vakuumextraktion aus einer regelrechten Hinterhauptshaltung geboren. Für C war diese Geburt und die ihr vorausgegangene vaginale Untersuchung im Krankenhaus traumatisch. 58 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Dem Kind ging es nach der Geburt sehr gut und C wurde in die ambulante Nachsorge entlassen. Interviewpartnerin D Zweitgravida, Zweitpara 1. Geburt: Spontangeburt KH>1000G 2. Geburt: Spontangeburt KH>1000G Geburtsdauer 1. Kind: 12h Geburtsdauer 2. Kind: 3h Zeitpunkt des Interviews: 2 Monate nach der 2. Geburt D hatte zwei zügige und komplikationslose Geburten. Beide Male war sie mit der Betreuung sehr zufrieden. Schon beim ersten Kind hatte sie eine ambulante Geburt geplant, blieb dann aber wegen einer Kreislaufschwäche noch eine Nacht im Krankenhaus. Bei der zweiten Geburt wurde sie, als sie mit beginnenden Wehen ins Krankenhaus kam, noch einmal nach Hause geschickt. Zu Hause ging sie in die Badewanne und bekam kurz darauf sehr starke Wehen. Schnellstens fuhr sie mit ihrem Mann ins Krankenhaus zurück, verspürte aber bereits im Auto die ersten Presswehen, was sie sehr stresste. Kaum angekommen, gebar sie im Ambulanzraum ihr Kind. Diesmal konnte D in die ambulante Nachsorge entlassen werden. Das Wochenbett verlief gut. Interviewpartnerin E Erstgravida, Erstpara Spontangeburt in Vacuumbereitschaft Spascupreel-Infusion Periduralanästhesie KH>1000G Geburtsdauer; 18h Zeitpunkt des Interviews: 5 Monate nach der Geburt Eine sehr enge Freundin von E ist Hebamme. E hatte mit dieser Freundin ausgemacht, dass sie bei Geburtsbeginn zu ihr nach Hause kommen und sie so lange zu Hause betreuen würde bis es Zeit war, ins Krankenhaus zu fahren. Dorthin ging sie als Begleitperson mit. Die Geburt begann mit Wehen, kurz bevor die Freundin bei E eintraf, hatte diese einen Blasensprung, das Fruchtwasser war missfärbig. Deswegen entschieden sie sich, gleich ins Krankenhaus zu fahren. Dort etablierte sich bald ein gute Zusammenarbeit zwischen der Freundin und der diensthabenden Hebamme. E hatte ein großes Bedürfnis, nur mit vertrauten Menschen zu sein. Da das CTG am Ende suspekt, war, stand eine Vakuumextraktion im Raum. E nahm, als sie das realisierte, alle ihre Kräfte zusammen und gebar ihr Kind spontan. Bald nach der Geburt wurde bemerkt, dass sich das Neugeborene mit dem Atmen plagte. Deswegen wurde es mit Verdacht auf Amnioninfektionssyndrom auf eine Neonatologie transferiert. Diese Zeit hat E in schlechter Erinnerung. Nach 3 Tagen wurden sie und ihr Kind, ohne dass sich die Diagnose bestätigte, nach Hause entlassen. Danach verlief das Wochenbett komplikationslos. Interviewpartnerin F Erstgravida, Erstpara Vakuumextraktion in Sectiobereitschaft mit Kristelller-Handgriff und fraglicher Episiotomie wegen protrahiertem Geburtsverlauf Analgetika, Periduralanästhesie Oxytocininfusion Zeitpunkt des Interviews: 9 Monate nach der Geburt F war vor der Geburt wegen erhöhten Blutdrucks und Eiweiß im Harn bereits zwei Mal stationär im Krankenhaus. Die GynäkologInnen rieten zur Geburtseinleitung. F wollte das nicht und fühlte sich bedrängt. Umso größer war die Freude, als die Geburt von selbst losging. Im Krankenhaus kam bald dieses Gefühl zurück, dass man ihr dauernd etwas aufdrängen wollte. Schmerzmittel, Periduralanästhesie, Wehentropf etc. F hatte auch damit zu kämpfen, dass die sie betreuenden ÄrztInnen und Hebammen sich gegenseitig widersprachen und keine klaren Botschaften sendeten. Zunehmend hatte F das Gefühl, sich alle vom Leib halten und sich schützen zu müssen. Die Geburt endete fast mit einer Sectio, letztendlich aber mit einer Vakuumextraktion. Das Kind wurde F sehr lange nicht 59 Die vaginale Untersuchung während der Geburt gebracht, was sie sehr schmerzte. F hatte sich eine ganz normale Geburt gewünscht und vorgestellt und war vom gesamten Geburtsmanagement enttäuscht. Auch das Wochenbett verbrachte sie stationär.Beim nächsten Kind wird sie nicht mehr in dieses Krankenhaus gehen. Interviewpartnerin G Viertgravida, Drittpara Status post Fehlgeburt in der 14. Schwangerschaftswoche 1. Geburt : Sekundäre Sectio wegen protrahiertem Geburtsverlauf, Periduralanästhesie KH<1000G 2. Geburt: Spontangeburt KH<1000G 3. Geburt: Spontangeburt KH<1000G Geburtsdauer 1. Kind: 26h Geburtsdauer 2. Kind: 6h Geburtsdauer 3. Kind: 6h Zeitpunkt des Interviews: 15 Monate nach der letzten Geburt G plante für ihr erstes Kind eine Hausgeburt. Wegen Terminüberschreitung machte sie einen Einleitungsversuch mit Nelkenöltampons, der prompt mitten in der Nacht Wehen auslöste. Gegen Morgen rief sie die Hebamme. Schon bald stellte sich heraus, dass G mit ihrer Hebamme nicht gut zurecht kam. G hatte den Eindruck, dass ihre Hebamme wenig Fachkompetenz zeigte. Auch verletzten einige Maßnahmen und Interaktionen ihre Intimsphäre und verunsicherten G nachhaltig. Als bei Blasensprung das Fruchwasser missfärbig war, wurde die Geburt am Nachmittag ins Krankenhaus verlegt. Dort bekam G nach einigem Zuwarten einen Kaiserschnitt. Im Aufwachraum konnte sie ihr Kind noch nicht selbständig halten, deswegen wurde es weggetragen, was G noch immer sehr traurig in Erinnerung hat. Insgesamt war diese Geburt für G schrecklich und mit vielen Ängsten und auch Enttäuschungen verbunden. Für die zweite Geburt wählte G eine andere Klinik und suchte sich eine Wahlhebamme. Ihre Betreuung hat sie als sehr kompetent erlebt und war mit dieser Geburt rundum zufrieden. Das dritte Kind kam in derselben Klinik, aber mit der diensthabenden Hebamme zur Welt. Auch diese Geburt hat G in angenehmer Erinnerung. Interviewpartnerin H Drittgravida, Drittpara 1. Geburt: Spontangeburt KH>1000G 2. Geburt: Spontangeburt KH<1000G 3. Geburt: Spontangeburt KH<1000G Geburtsdauer 1. Kind: 6h, Geburtsdauer 2. Kind: 4h Geburtsdauer 3. Kind:5,5h Zeitpunkt des Interviews: 1,5 Jahre nach der letzten Geburt Die erste Geburt von H verlief zügig und komplikationslos. Wegen Übersiedlung ging sie für die zweite Geburt in ein anderes Krankenhaus. Diese Geburt war gekennzeichnet von massiven Einmischungen des diensthabenden Gynäkologen, der sie häufig vaginal untersuchte und ihr auch ohne Ankündigung die Fruchtblase öffnete, was H bis heute in schmerzhafter und sehr unangenehmer Erinnerung hat. Nach dieser Geburt wechselte H für ihr drittes Kind, diesmal wegen Unzufriedenheit, erneut die Kinik. Durch Geburtsvorbereitung und Akupunktur lernte sie eine Hebamme kennen, mit der sie dann im Krankenhaus ihr Kind zur Welt brachte. Nach der Geburt ging sie ambulant nach Hause und die Hebamme betreute sie nach. Diese Geburt war für H sehr schön. Auch das häusliche Wochenbett entsprach genau ihren Vorstellungen. Interviewpartnerin J Zweitgravida, Zweitpara 1. Geburt: Spontangeburt in Sectiobereitschaft mit Kristeller-Handgriff und fraglicher Episiotomie wegen protrahierter Aus Sicherheitsgründen wählte J für ihre erste Geburt ein Krankenhaus mit angeschlossener Neonatologie. Der dortige Primararzt war ihr Gynäkologe, zu dem sie großes Vertrauen hatte. Auch während der Geburt fühlte sie sich gut und kompetent durch ihn betreut. Da die Geburt eher lang dauerte und J von Anfang an starke Schmerzen hatte, ließ sie sich eine Periduralanästhesie geben. Um den Zustand des Kindes unter 60 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Geburt Perinatalzentrum Periduralanästhesie, Oxytocininfusion, 2x Mikroblutgasuntersuchung 2. Geburt: Spontangeburt KH>1000G Periduralanästhesie Geburtsdauer 1. Kind: 22h Geburtsdauer 2. Kind: 5h Zeitpunkt des Interviews: 20 Monate nach der letzten Geburt der Geburt beurteilen zu können wurde zwei Mal eine Mikroblutgasuntersuchung durchgeführt, auf Grund deren Ergebnisses man sich dazu entschied, mit dem Kaiserschnitt, der bereits im Raum stand, noch zuzuwarten. Das Kind kam spontan zur Welt, es ging ihm gut. Die gesamte Geburt verlief für J zufriedenstellend. Aus organisatorischen Gründen entschied sich J in der zweiten Schwangerschaft dennoch für eine andere Klinik. Auch hier kam sie als Privatpatientin in den Genuss netter und freundlicher Behandlung. Die zweite Geburt verlief rasch, kurz nach der gesetzten Periduralanästhesie, die nicht wirkte, kam J´s zweites Kind spontan und komplikationslos zur Welt. Das Wochenbett verbrachte J in beiden Fällen Im Krankenhaus. Interviewpartnerin K Zweitgravida, Zweitpara 1. Geburt: Spontangeburt KH>1000G Kürettage 14 Tage post partum wegen verstärkter Nachblutungen 2. Geburt: Spontangeburt nach Geburtseinleitung mit Prostaglandinen KH>1000G Geburtsdauer 1. Kind: 6h Geburtsdauer 2. Kind: 2h Zeitpunkt des Interviews: 21 Monate nach der letzten Geburt K hatte schon vor der ersten Geburt, bedingt durch einen erhöhten Blutdruck, engmaschige Kontrollen im Krankenhaus. Ein für K sehr unangenehmens Erlebnis vor der Geburt war ein Analabstrich, der in einem Pilzlabor unangekündigt und grob durchgeführt wurde. Als sie zur Geburt ins Krankenhaus kam, erlebte sie zunächst, dass die Hebamme sie relativ viel alleine ließ. Dann folgte eine unangekündigte vaginale Untersuchung, die ihr ebenfalls bis heute in schrecklicher Erinnerung ist. Danach arrangierte sie sich mit ihrer Hebamme und kam dann gut mit ihr zurecht. Die Betreuung im stationären Wochenbett erlebte sie als wenig fachkompetent. 14 Tage nach der Geburt hatte sie zu Hause einen Blutsturz und musste zurück in die Klinik, wo eine Kürettage gemacht wurde, die sie als sehr traumatisch erlebt hat. Wegen Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation wechstelte K für ihre zweite Geburt die Klinik. Beim zweiten Kind war sie, ebenfalls wegen hohem Blutdruck, vier Tage stationär aufgenommen. Das war für sie sehr angenehm, weil sie in dieser Zeit das Geburtshilfeteam kennenlernen und Vertrauen aufbauen konnte. Bei der Geburt wurde sie dann von einer Hebamme begleitet, die sie in dieser Zeit ebenfalls kennenund schätzen gelernt hatte. K war mit der gesamten Betreuung bei der zweiten Geburt zufrieden. Das Wochenbett verbrachte sie diesmal zu Hause. 4.5. Die interviewte Expertin Im Zuge der Literaturrecherche wurde eine Forschungsarbeit gefunden, die sich mit der vaginalen Untersuchung aus der Perspektive der Hebammen beschäftigt (Stewart 2008). Die Autorin dieser Dissertation, Dr. Mary Stewart ist ausgebildete Hebamme, Krankenschwester und Senior Lecturer in der Hebammenausbildung an der Florence Nightingale School of Nursing and Midwifery am King´s College in London. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Epidemiologie und qualitative Forschung. Führend ist sie für die Studie Birthplace in England verantwortlich, die 61 Die vaginale Untersuchung während der Geburt zwischen 2007 und 2010 durchgeführt wurde und in der es darum geht, geplante Hausgeburten, Geburtshausgeburten und unterschiedliche Formen von Klinikgeburten zu vergleichen. Ihre Dissertation basiert auf der Literatur Foucaults über Macht und Kontolle und geht der Frage nach, inwiefern Hebammen vaginale Untersuchungen kraft ihrer Autorität und ihres Expertinnenstatus als Machtinstrument einsetzen, wie weit ihnen das bewusst ist und wie es ihnen damit geht. Als Methode wurden qualitative Interviews mit Hebammen, Schwangeren und Frauen nach der Geburt gemacht. „The findings from this PhD confirm, that vaginal examination is problematic. In addition, the research demonstrates that midwives experience vaginal examination as a form of surveillance and modify and monitor their behaviour in response to this scrutiny. (Stewart 2008: x) Da sich meine Masterthese unter anderem mit der Darstellung der vaginalen Untersuchung in Hebammenlehrbüchern beschäftigt, ist auch folgendes Ergebnis aus der Arbeit von Stewart von Interesse: „Midwives in this study stated, that during their training they did not feel equipped to the physical and emotional realities of vaginal examination.“ (Stewart 2008: x) Das Interview mit der Expertin wurde im Juli 2012 am King´s College in London geführt. 4.6 Auswertungsmethode Alle Interviews wurden auf Tonträger gespeichert und dieses Ausgangsmaterial transkribiert. Anschließend wurde der gewonnene Text in mehreren Arbeitsschritten analysiert. Mayring (2010) definiert die qualitative Inhaltsanayse als „Auswertungsmethode, d.h. sie hat es mit bereits fertigem sprachlichem Material zu tun. Um zu entscheiden, was überhaupt aus dem Material heraus interpretierbar ist, muss am Anfang eine genaue Analyse des Ausgangsmaterials stattfinden. (Mayring 2010: 52). Dieser von ihm als Quellenkritik (vgl. Mayring 2010: 52) bezeichnete Arbeitsschritt leitete eine erste Auseinandersetzung mit dem gewonnenen Datenmaterial ein. Dann wurden thematisch zusammenhängende Aspekte zu Kategorien zusammengefasst. Die Kategorien wurden „in einem Wechselverhältnis zwischen Theorie (der 62 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Fragestellung) und dem konkreten Material entwickelt (...) und während der Analyse überarbeitet und rücküberprüft.“ (Mayring 2010: 59) Das bedeutet, dass vorab angestellte Überlegungen, basierend auf der Forschungsliteratur, ebenso in das Kategoriensystem aufgenommen wurden, wie sich aus den Interviewtexten neu ergebende Aspekte. Die Kategorien wurden somit deduktiv, also theoriegeleitet, und induktiv, also sich aus dem Textmaterial ergebend, gewonnen. (Vgl. Bortz, Döring 2006: 330) 4.7 Ergebnisse Die Kategorien, welche die wesentlichen Aussagen aus den Interviews in Sinnzusammenhänge bündeln, sind als Überbegriffe zu sehen, die sich weiter differenzieren lassen. Die acht gefundenen Hauptaspekte stehen miteinander in Wechselwirkung und sind nicht klar voneinander abzugrenzen. Beispielsweise korrellieren die Kategorien Kommunikation, Beziehung und Intimsphäre sehr deutlich miteinander verwoben. Die Summe der in den einzelnen Kategorien beschriebenenTeilaspekte wirkt sich wiederum auf das Geburtserlebnis aus. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die definierten Kategorien. Im Anschluss werden die einzelnen Ergebnisse näher erläutert und mit Zitaten aus den Interviews dem Expertinneninterview und der Fachliteratur hinterlegt. Nr. Kategorie 1 Die unbestrittene Notwendigkeit der vaginalen Untersuchung als Routinemaßnahme während der Geburt. 2 Die körperliche Wahrnehmung von vaginalen Untersuchungen und ähnlichen Maßnahmen unter der Geburt. 3 Die Kommunikation rund um die vaginale Untersuchung und ähnliche Maßnahmen unter der Geburt. 4 Die Beziehungsebene und ihr Einfluss auf die Wahrnehmung von vaginalen Untersuchungen und anderen Maßnahmen unter der Geburt. 5 Der Faktor Zeit im Kontext von Schwangerschaft und Geburt und seine Dominanz über das geburtshilfliche Handeln. 6 Psychische Konstitution und Grundbedürfnisse von Gebärenden und ihr Einfluss auf die Wahrnehmung geburthilflicher Maßnahmen. 63 Die vaginale Untersuchung während der Geburt 7 Die Intimsphäre unter der Geburt und die Einflussfaktoren, die auf diese wirken. 8 Das Geburtserlebnis als Ergebnis des multifaktoriell beeinflussten Prozesses des Gebärens und der Zeit rund um die Geburt. 4.7.1 Die vaginale Untersuchung als notwendige Maßnahme In Lehrbüchern und Forschungsliteratur gleichermaßen ist die vaginale Untersuchung der Geburtsüberwachungsparameter par excellence und als solcher in unserer Geburtskultur fest verankert. „Vaginal examinations [...] in labour are a routine part of intrapartum care“ (Sheperd, Cheyne 2011: 1). Aus allen Interviews geht hervor, dass die Frauen wiederholte vaginale Untersuchungen unter der Geburt als normal und notwendig ansehen. Diese Notwendigkeit wird einerseits vom geburtshilflichen Personal vermittelt, andererseits auch von den Gebärenden antizipiert und in keinem Interview prinzipiell hinterfragt. Multiparae sind durch die vorhergegangene(n) Geburt(en) bereits damit vertraut. Durch vielfach in der Schwangerenvorsorge stattfindende vaginale Kontrolluntersuchungen sind auch Primiparae prinzipiell darauf vorbereitet und kommen mit der Erwartung in die Klinik, dass sie wiederholt vaginal untersucht werden. Eine Primipara war von der ersten Untersuchung zwar überrascht, adaptierte sich aber rasch und kam mit allen weiteren Untersuchungen gut zurecht. „Beim ersten Mal hab ich mir noch gedacht ups, und beim zweiten und dritten Mal wars dann ok.“ (Interview mit J) Begründet wird die Routinemäßigkeit von den Frauen und von den geburtshilflichen Einrichtungen damit, dass der regelrechte Geburtsfortschritt zur Vermeidung von Komplikationen bei Mutter und Kind überwacht werden muss. „Ich weiß, dass es notwenig ist, eine vaginale Untersuchung, um einfach zu schauen.“ (Interview mit H) „Wenn der Arzt sagt, es muss sein, dann, dann muss es halt sein, das ist halt meine Einstellung. Weil besser, wir machen eine Untersuchung zu viel als eine zu wenig.“ (Interview mit J) 64 Die vaginale Untersuchung während der Geburt L: „Ja und dann hat er [Anm.: der Primararzt] dich untersucht. War das unangenehm, war das angenehm, war das wurscht, war das wichtig für dich?“ J: „Es war wichtig, weil´s wichtig für die Geburt war. War nicht unangenehm, war´s jetzt nicht.“ (Interview mit J) Dahinter steckt auf beiden Seiten das Bedürfnis nach Sicherheit. In einem Fall wurden geburtshilfliche Maßnahmen vom behandelnden Arzt explizit forensisch begründet, was bei der Frau großen Ärger ausgelöst hat. „Die ärgste Aussage, die der Arzt während der Geburt zu mir gemacht hat, während ich mit ihm diskutiert hab, so quasi, dass man in dieser Klinik offensichtlich nicht normal gebären kann, da hat er zu mir gesagt: ‚Wissen Sie, Frau F., diese Gutachter liegen einem im Genick’, und da habe ich gedacht, ok, wir sind nicht auf derselben Wellenlänge.[...] Wir sind eigentlich auf zwei verschiedenen Planeten. Und ich kann es verstehen, weil es ist ein Risiko, jede Geburt ist ein Risiko [...], aber es kann halt nicht sein, dass man irgendwie Kaiserschnitte Ende nie macht, um normale Risiken auszuschließen.“ (Interview mit F)20 Odent (1999) verwendet den selben Ausdruck wie F, wenn er die normale Geburt so beschreibt „Im Verlauf der Entbindung gibt es eine Phase, in der die Mutter sich verhält, als sei sie ‚auf einem anderen Planeten’. Sie kapselt sich von unserer Alltagswelt ab und begibt sich auf eine Art innere Reise. Dieser Wechsel des Bewußtseinszustands läßt sich als eine Drosselung der neokortikalen Aktivität deuten.“ (Odent 1999: 51) Stewart ortet hinter dem routinemäßigen Überprüfen des Muttermundbefundes seitens der ProfessionistInnen auch das Bedürfnis nach Macht und Kontrolle über das Geschehen. L21: „One woman I interviewed she said, she had the feeling, that the midwife didn´t trust her and didn´t trust the process of labour, the work she did [...]. Stewart: „I think that´s very common. You know, it´s about professional power. I am the professional and I know, and you might think you are in labour but only I can tell you (laughs). „Women are so disempowered by the health care they receive, they think they just have to put out their things, they don´t have a choice.“ (Interview Stewart) 20 Anmerkung: In dieser Nacht wurden in der angesprochenen Klinik 6 Kaiserschnitte durchgeführt, F hatte letztendlich eine Vakuumextraktion in Sectiobereitschaft. 21 L steht für die Interviewerin und ist die Initiale ihres Vornamens. 65 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Das korrekte Untersuchen ist weiters eine Fachkompetenz, die von Hebammen und GeburtshelferInnen erwartet wird. Unbefriedigende Geburtsverläufe werden auch mit mangelnder Untersuchungskompetenz in Zusammenhang gebracht. „Und dann war es zwei Stunden später noch immer auf 2 cm und nach drei Stunden auf 2,5 und so weiter. Und eigentlich hätte ich mir so im Nachhinein erwartet dass sie sagt, da läuft was nicht ganz ordentlich’ [...]. Ich sag da einfach, ich bin mir sicher, hätte sie ordentlich untersucht [...], alles wäre gut gegangen.“ (Interview mit G) „Und sie hat es auch nicht geschafft, die Fontanelle zu ertasten, also war es sehr hoch, beziehungsweise sie hat es nicht können. Wie, wie wir dann im Krankenhaus waren, haben sie es schon können. Die hat es einfach nicht können.“ (Interview mit G) „Im Nachhinein haben sie beide dann nimmer, also die Ärztin und die Hebamme nimmer sagen können wie er jetzt genau gelegen ist (..)22. Also das ist für mich dann auch komisch.“ (Interview mit C) Ein weiterer Grund für die Toleranz gegenüber den vaginalen Untersuchungen ist, dass die Gebärende ein Feedback über ihren Geburtsfortschritt bekommen will, an dem sie sich orientieren kann. „Untersuchungen in dem Sinn habe ich nur eine gehabt [...] und das war dann eigentlich total ok weil, dann will man eh einmal wissen, wie es dann schon ist.“ (Interview mit D) Besonders die erste Untersuchung kristallisiert sich immer wieder als wichtig zur Bestimmung der Ausgangssituation heraus. [Am Anfang], „da hab ich ja wissen wollen, ist was weitergangen oder nicht. Das hat gepasst. Auch dann beim zweiten Mal daheim, hat es gepasst.“ (Interview mit C) „Also die Untersuchung wollte ich selbst auch voll gern. Ich wollte einfach wissen, wie das jetzt mit den Wehen ist, was sich tut.“ (Interview mit A) Wenn der Geburt eine belastende Zeit vorausgeht, wie im Fall von F, der eine Geburtseinleitung immer wieder nahe gelegt wurde, und die dann spontan Wehen bekam, wird diese nicht als unangenehm sondern als positiv empfunden. „Und ich weiß nicht, diese Untersuchungen zum Beispiel, die habe ich, ich habe mich innerlich so gefreut, nachdem ich so gekämpft habe, dass es von 22 (..) bedeutet, dass in dem Interview von der Interviewpartnerin eine Pause gemacht wurde, deren Länge der Anzahl der Punkte innerhalb der Klammer entspricht. In diesem Fall war das eine Pause von zwei Sekunden 66 Die vaginale Untersuchung während der Geburt alleine losgegangen ist, dass ich mich eigentlich über die Untersuchungen nicht beschwert hätte, im Gegenteil, weiß ich nicht, das war mir sehr recht, weil ich mir gedacht hab, ok, es geht los, ja.“ (Interview mit F) Die positive Rezeption ist etwas, das sich im Laufe der Geburt ändern kann und die Untersuchungen, die am Anfang motivierend waren, werden im weiteren Verlauf als störend bzw. unwichtig erlebt. „ Sie [Anm: die Hebamme] hat irgendwann zu mir gesagt, sie wird jetzt wieder untersuchen und, also, da hab ich zu ihr gesagt ‚wieso schon wieder’, und da hat sie gesagt, ‚naja, es sind schon wieder drei Stunden um. [...] Ich hab es unnötig gefunden.“ (Interview mit A) „Man hat es dann eh irgendwie im Gefühl und ob ich jetzt da weiß, ob das 7 oder 8 cm sind, war mir wurscht, vor allem weil ich also eh schon einmal gewusst hab, es sind jetzt so 5 bis 6 und was dann jetzt genau ist, war mir eigentlich dann wurscht.“ (Interview mit C) Unterschiedlich wird die Frequenz der Untersuchungen wahrgenommen. Hier lassen sich verschiedene Muster erkennen. An eine reale Untersuchungsfrequenz können sich die interviewten Frauen zumindest phasenweise nicht erinnern. Vielfach werden die vaginalen Untersuchungen überhaupt nicht mehr erinnert. „Also bei der ersten Geburt hab ich fast keine Erinnerungen mehr an die vaginalen Untersuchungen, das heißt, es war nicht unangenehm.“ (Interview mit H) „Ich glaub, die Hebamme hat geschaut, aber ich glaub, er [Anm.: der Arzt] hat auch einmal geschaut, ich weiß nicht, das vergisst man so schnell.“ (Interview mit B) Immer wieder wird die Untersuchungefrequenz mit oft angegeben. Das wird mitunter als störend, manchmal aber auch positiv angesehen, manche Frauen haben es nicht bewertet. A: „Also das hat mich recht zurückgehaut (lacht) von der guten Stimmung, wieder (.) und dann hat sie eigentlich stündlich untersucht, teilweise sogar öfter.“ [...] L: „Das heißt, die können schon frustig sein, die vaginalen Untersuchungen?“ A: „Die voll, die wirklich voll.“ „Alle Stund´, schätze ich, ist sie mal reingekommen und hat halt gefragt und geschaut und so und hat auch relativ oft untersucht [...] also nur vom Gefühl, ja so alle eineinhalb bis zwei Stunden, glaube ich, also sie hat mich sicher alle zwei Stunden, glaube ich. [...] Es war ok, es war für mich immer auch so (.) 67 Die vaginale Untersuchung während der Geburt jetzt weiß ich wieder was, also, es ist wieder ein bissl messbar, wo stehen wir und so. Es war für mich eigentlich positiv.“ (Interview mit E) „Im Vergleich haben sie mich im ersten Spital oft untersucht.“ (Interview mit J) Durch die Priorisierung notwendiger Maßnahmen werden persönliche Bedürfnisse in den Hintergrund gestellt. Dann wird nichts gesagt und das was gemacht wird, als gegeben hingenommen. „Was sein muss, muss sein. Wenn´s fürs Kind ist, muss es sein, aus.“ (Interview mit J) Andererseits gibt es eine Toleranzgrenze, wenn diese überschritten wird, reagiert die Gebärende: Das kann entweder in Form von innerem Rückzug oder massiver Abwehr sein. „ Die nächste Stunde hat sie mich dann wieder untersucht, da waren es dann 6 cm und (.) und dann war ich echt so, dass ich gesagt habe, tu was du willst (lacht), du kannst jetzt alles machen mit mir.“ (Interview mit A) „Sie hat nicht gesagt, dass sie mir in die Scheide reingreift [...] und ich war einfach gerade so in Seitenlage, ja (.), ja und dann, da habe ich sie so ange– (lacht), also halt, das geht irgendwie nicht (lacht), aber dann sind wir super zurechtgekommen.“ (Interview mit K) Keine der befragten Frauen hatte eine Geburt ohne vaginale Untersuchung. Als Hauptgrund für die Untersuchungen wurde angegeben, dass es wieder an der Zeit wäre, oder die Untersuchung wurde ohne Angabe von Gründen durchgeführt. Bei keiner der befragten Frauen wurde ausdrücklich eine Indikation, wie zum Beipiel Verdacht auf Einstellungsanomalie als Begründung für die Untersuchung genannt. 4.7.2 Die körperliche Wahrnehmung der vaginalen Untersuchung Vaginale Untersuchungen werden eher selten als schmerzhaft erlebt. Dominiert dieses Gefühl, dass es wichtig ist, über den Geburtsfortschritt Bescheid zu wissen, werden sie gut toleriert, auch wenn sie durchgehend als nicht angenehm bezeichnet werden. „Angenehm war es für mich nie, muss ich schon sagen. Ich habe das nicht gern, also, ich geh auch nicht gern zum Gynäkologen. Das ist für mich total unangenehm. Aber es hat gepasst, ich mein, ich habe gewusst, das ist jetzt eine Geburt, es ist meine Geburt, also das muss jetzt sein, das gehört dazu und ich möchte auch wissen, ist was weitergangen.“ (Interview mit C) 68 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Auch die Toleranz dem Wehenschmerz gegenüber steht direkt mit dem Untersuchungsbefund in Zusammenhang. Ein enttäuschendes Ergebnis wirkt sich negativ aus und die Wehen werden schlechter ausgehalten, ist ein guter Geburtsfortschritt festgestellt worden, ist das Gegenteil der Fall. „I remember in my PHD talking to a woman. She was having the first baby.[...] I can´t remember how many vaginal examinations she had, not very many, but she said, there was one, the midwife did a vaginal examination and told her the cervix was 7cm dilated and the woman said, that was so good to hear because she hadn´t any pain relief and at that point she was thinking perhaps I´ll have. [...] And then she had a cervix of 7cm dilation and so she thought I can do it, and so gave birth without any pain relief and found it fantastic as a result.“ (Interview mit Stewart) Weiters besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem inneren Einverständnis der Frau mit einer Intervention und ihrem Schmerzempfinden. „Es hat wehgetan auch, weil´s mich gestört hat.“ (Interview mit H) Will die Frau eine Maßnahme selbst oder ist sie ausreichend darauf vorbereitet, verursacht diese eher keine Schmerzen und selbst, wenn sie schmerzhaft ist, wird sie akzeptiert. G: „Unangenehm ist das [vaginale Untersuchen] immer.“ L: „Und wenn du gesagt hättest, es passt jetzt nicht, ich mag jetzt nicht?“ G: „Nein, ich wollt ja wissen was, also ich war schon sehr ungeduldig. Das Problem ist, es hat schon sehr weh getan, weil ja der Kopf so hoch oben war.“ Kommt eine Maßnahme unangekündigt oder überraschend, wird sie mitunter sogar als traumatisch erlebt. „Also was sie [Anm.: die Hebamme] gemacht hat in Richtung vaginalem Eingriff, sie hat mir plötzlich reingegriffen und damit den Muttermund aufgedehnt mit den Fingern und (.) das also, hat schon einen Sinn, aber sie hat mir nichts gesagt, also da habe ich gesagt, au, das, das kann sie nicht machen. Ich habe mich total verkrampft. Bei ihr war nämlich dann, die haben mir das nämlich nicht gesagt und wenn ich da auf der Seite liege – ich seh ja nichts, also das finde ich, also das (.) (lacht) das war kontraproduktiv. Das war einfach schmerzhaft und wenn du dich verkrampfst, dann noch mehr, na und das, ah (.), wurscht (lacht) (.), da kommt mir jetzt noch heiß auf, irgendwie.“ (interview mit K) H hatte bei zwei Geburten eine Amniotomie, die sie äußerst unterschiedlich empfunden hat. 69 Die vaginale Untersuchung während der Geburt „Also mit dem Arzt, das war furchtbar, nein, ich hätte ihm am liebsten eine reingehauen, wie er mir die Blase gesprengt hat, weil das tut ja weh, auch. Ist einfach reingefahren, hat die Blase gesprengt und das wars.“ (Interview mit H) H: „Bei ihr [Anm.: deutet auf ihr Baby] ist´s auch gesprengt worden, da hat aber die Hebamme gesagt, ‚pass auf, ich mach jetzt die Blase auf, weil der Muttermund ist schon so weit offen und das geht dann schon los’.“ L: „Und du warst einverstanden?“ H: “Das war in Ordnung, ja. Da war´s auch angenehm, da ist der Druck dann ein bissl weg.“ Auch wenn vaginale Untersuchungen den Frauen nicht angenehm sind, gibt es durchaus Situationen, wo diese im Vergleich zu anderen Maßnahmen als harmlos erlebt werden. Im Fall von B war das Unangenehmste eine Bauchmassage die sie nicht wollte. B: „Also die [Anm: Studentin] hat mir dann einmal eine Bauchmassage gemacht, eine brutale und also, pfff, das war nicht fein. Die hat so ekelhaft massiert, dass die Wehen stärker werden, ich hab gedacht, ich spring sie an, das war fürchterlich.“ L: „Hast du es gesagt?“ B: „Ja, (lacht), aber das hat mir nichts genutzt. Sie hat immer wieder Pausen dazwischen gemacht. Es war wirklich, wirklich unangenehm. [...] Es war grausig, das war so richtig krampfartig dann, nein das war wirklich schiach.“ Ab einem bestimmten Schmerzpegel, den die Untersuchung auslöst, helfen weder Aufklärung noch Angebote zur Kompensation. Dann wird die vaginale Untersuchung, auch nach vorheriger Information, zum Trauma. C: „Also, das mit der Ärztin, ich meine, das war dann wirklich Horror, also, aber da war ich dann sowieso schon im Krankenhaus das war, ja, weil die hat da wirklich, also überhaupt mit voller Gewalt rein und – L: „Hat dich die Ärztin informiert?“ C: „Ja schon, sie hat gesagt, sie muss jetzt schauen, das wird jetzt weh tun, sie muss jetzt schauen, wie er da richtig liegt, das geht nicht anders und ich kann sie eh beschimpfen, wenn ich will (lacht).“ Auch Bergstrom (1992) stellt fest, dass auf Schmerzäußerungen nur manchmal reagiert wird. Ist das der Fall, geschieht dies nicht direkt über das Ansprechen des Schmerzes, sondern indirekt über den Vorschlag, etwa die Hand des Partners zu drücken oder Ähnliches. Maßnahmen, die sich meist als ineffektiv und frustrierend herausstellen. In einigen Fällen wird auch auf die Bitte der Frau hin, die Untersuchung zu unterbrechen, nicht entsprechend reagiert (vgl. Bergstrom 1992: 15). 70 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Manipulationen, wie das Ablösen des Eipols vor der Geburt, das MuttermundDehnen und das Aufmassieren des Muttermundes gehen zwar nicht immer, aber tendentiell mit Schmerzen einher und zwar auch dann, wenn die Frau grundsätzlich damit einverstanden ist. „Da hat er nur einmal [...] gemeint, ob er den Muttermund dehnen kann, das würde mir eine Stunde ersparen, hab ich gemeint, ja. [...] Also, das hab ich als überhaupt nicht schlimm empfunden. Weil er hat gemeint, das könnt ein bissl weh tun, hab ich gemeint, ja, probieren wir es. Das war überhaupt nicht schlimm.“ (Interview mit J) A: „Ich wollte gern die Eipolablösung einfach weil ich Angst gehabt habe [...], also für mich war es auch so, ich wollte bald Wehen [...], das war mir nicht unrecht.“ L: „Hat es weh getan?“ A: „Die Eipolablösung hat ziemlich weh getan [...]. Aber das hat gepasst für mich.“ L: „Und hat sie [Anm: die Hebamme] während einer Wehe auch einmal untersucht?“ C: „Ja. Das war ungut. Ja, das war schon schmerzhaft.“ Die Geburten von C und F, die mit Vakuumextraktion und Kristeller-Handgriff endeten werden von beiden Frauen als gewaltsam und schmerzhaft geschildert. Informationen über das was getan wird haben ebenfalls beide Frauen erhalten. „Du hast das Gefühl gehabt, dass sieben Leute auf meinen Bauch rauf und drücken da mit. [...] Das haben sie mir schon gesagt, dass sie mithelfen aber es war trotzdem arg in dem Moment dann, es war sowieso arg in dem Moment.“ (Interview mit F) Auch Maßnahmen nach der Geburt werden von den Frauen häufig als schmerzhaft geschildert. Die Gewinnnung der Plazenta, die Inspektion des Introitus, das Ausmassieren von Blutkoageln aus der Gebärmutter und das Nähen einer Geburtsverletzung waren bei einigen Frauen mit großen Schmerzen verbunden, die kaum zu tolerieren waren. „Und diese Assistentärztin [...] hat voll viele Nähte gemacht [...] dann hat sie schon zwei Mal die Nerven weggeschmissen [...] das war ungut. Und vor allem auch dieses Untersuchen, ob alles draußen ist oder sowas, kann das sein? Ja, ich weiß nur, die Hebamme hat mich dann untersucht und das hat furchtbar weh getan. Was sie da genau geschaut hat?“ (interview mit E) „Und immer wieder dieses Reingreifen und dieses, dieses, na das Nähen.“ (Interview mit K) 71 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Bei den aufgenommenen Interviews lässt sich allgemein die Tendenz ablesen, dass die Nachgeburtsphase von weniger Empathie begleitet wird als die Geburt des Kindes und die Achtsamkeit gegenüber der Gebärenden und ihrem Neugeborenen nachlässt. Insgesamt hat sich herauskristallisiert, dass das Geburtserlebnis mitgeprägt ist von der Summe an körperlichen Schmerzen, die eine Frau unter der Geburt erfahren hat. 4.7.3 Die Kommunikation der vaginalen Untersuchung Ein entscheidender Faktor, wie vaginale Untersuchungen, aber auch andere Maßnahmen während der Geburt erlebt werden, ist die Art, wie sie kommuniziert werden. Dass in der Praxis kaum darüber gesprochen wird, hängt laut Stewart damit zusammen, dass Hebammen und GynäkologInnen nicht gelernt haben, ein so heikles Thema wie die vaginale Untersuchung angemessen anzusprechen. „We didn´t talk about how to talk to the woman, about how to initiate a conversation, we didn´t talk about how a woman might feel about being touched. We didn´t talk about how we as midwives might feel about touching a woman like that.“ (Interview Stewart) Weder in der Ausbildung der MedizinerInnen, noch in der Hebammenausbildung gibt es geeignete Lernsettings, wo Studierende in einem geschützten Rahmen lernen und ausprobieren können, wie man intime Untersuchungen achtsam kommuniziert und ebenso durchführt. „And ist´s huge, it´s huge to touch another woman´s vagina. You know it could bring up all sorts of feelings. How do I feel about myself as a woman. It´s enormous and we never talk about it. There is so much around vaginal examination that is completely tabu and just never ever discussed. It´s amazing.“ (Interview Stewart) Die Frauen werden in den meisten Fällen nicht real vor die Wahl gestellt, einer vaginalen Untersuchung zuzustimmen oder diese abzulehnen. Rhetorisch wird manchmal gefragt, ob die Wehende mit dieser einverstanden ist, de facto existiert die Möglichkeit, diese abzulehnen kaum. Stewart beschreibt diesen Umstand mit einem Fallbeispiel aus ihrer Forschungsarbeit: „It was another primiparous woman and she took the opportunity to ask me a few questions and asked how often they [Anm: the vaginal examinations] would be done and I said usually they are three or four hourly, but you have to agree to it. And she, I really can recall so clearly the amazement in her voice, 72 Die vaginale Untersuchung während der Geburt when she said ‚you mean I have a choice?’ And this was a well educated, a middle class woman who had been to classes and she thought, that she didn´t have any choice about someone, she didn´t know sticking two fingers in her vagina and I was just so, I found that such a sad comment [...], she didn´t think it was, but I thought.“ (Interview mit Stewart) „Bei der ersten Geburt hätte ich mir, glaub ich alles gefallen lassen, weil da war ich unerfahren.“ (Interview mit H) Selbst wenn eine Frau eine vorgeschlagene Maßnahme ablehnt ist nicht gesichert, dass diese nicht stattfindet. Bei A wollte die Hebamme eine Muttermundmassage mit Belldonna-Zäpfchen23 durchführen. A lehnte das ab. Eine Stunde später, nach der nächsten vaginalen Untersuchung, die einen nur wenig veränderten Befund ergab, der A sehr enttäuschte, führte die Hebamme die Muttermundmassage durch. „Da hat sie mir dann Belladonna einmassiert und das war echt, also das war einfach ganz schiach. Also die hat zwei Wehen lang massiert und ich bin am Rücken gelegen (..) und das habe ich gar nicht ausgehalten.“ (Interview mit A) „The midwife wanted to do a vaginal examination and the woman did consent but as the midwife started to do it, the woman became very distressed and said ‚please stop’ and the midwife carried on. She said ‚I will just be quick, I will just be quick`“. (Interview mit Stewart) Der Umstand, dass vaginale Untersuchungen als routinemäßige Konrtollmaßnahmen durchgeführt werden, kann auch damit in Zusammenhang stehen, dass gerade Hebammen ihrerseits unter Druck stehen, ihre Dokumentation korrekt machen zu müssen und schon aus forensischen Gründen nicht die reale Möglichkeit haben, eine Geburt ohne vaginale Untersuchungen zu begleiten. Stewart meint, dass, wenn eine Hebamme nicht regelmäßig vaginal untersucht, eine andere kommen und die Untersuchung machen würde. In Österreich wären dies unter Umständen die GeburtshelferInnen, die dann eingreifen und untersuchen würden. And some of the midwives are very, very bullying so that they say, ‚why haven´t you done a vaginal examination and if you don´t do I´ll come in and do it’. And you have to be such a strong midwife to say no. Because always in the 23 Belladonna-Suppositorien sind mit dem Wirkstoff der Tollkirsche versehene Vaginal-Zäpfchen, die an die Zervix gelegt werden, um den Muttermund weicher zu machen. Da diese Zäpfchen in der Scheide schnell cremig werden, eignen sie sich auch für eine entsprechende Massage des Muttermundes. 73 Die vaginale Untersuchung während der Geburt back of your mind you are thinking ‚what if something goes wrong, what if something goes wrong, this is the end of my career` and so [the midwife] pulls off the vaginal examination because it´s safer.“ (Interview mit Stewart) Sprachlich äußert sich das pro forma Einholen eines Einverständnisses in Formulierungen wie „Jetzt würde ich gern wieder einmal nachschauen, passt das?“ (Interview mit E) Stewart meint dazu, dass in England häufig mit einem langgezogenen o k a y am Ende des Satzes, der eine vaginale Untersuchung vorschlägt, das Einverständnis der Frau auf eine Weise eingeholt wird, die es ihr schwer macht, zu widersprechen. Auch die Phrase ‚I´m just’ wird in ähnlicher Weise eingesetzt und dieses ‚ich tue nur gerade mal eben schnell’, das in dem ‚just’ enthalten ist macht es schwierig, abzulehnen (vgl. Stewart in: Simkin et al 2012: 158) Stewart sagt ganz klar: „It really is not OK, to ask a question this way – it assumes that the woman will acquiesce to whatever is beeing requested, rather than giving her the opportunity to make a choice, free from any coercion or expectation. „ (Stewart in: Simkin et al. 2012: 158) Dass über eine vaginale Untersuchung ausführlich aufgeklärt wird, dass diese begründet wird, und dass im Anschluss an die Untersuchung ein Befund mitgeteilt wird, ist für manche Frauen sehr wichtig, für andere weniger. „Die Untersuchungen haben mich eigentlich nie gestört, ah, was mich gestört hat war, dass wir grad bei der ersten Geburt nicht besprochen haben, was jetzt daraus folgt.“ (Interview mit G) L: „Haben sie dir auch das Ergebnis mitgeteilt?“ J: „Ja, hab zwar meistens nichts damit anfangen können, hab nur gefragt, ist das ok oder nicht ok.“ Die Tatsache, dass Maßnahmen durchgeführt werden ohne explizites Einverständnis der Frau, betrifft in den Interviews auch andere Eingriffe, wie beispielsweise den Einlauf oder das Setzen einer Venenverweilkanüle. L: „Und gibt´s außer den vaginalen Untersuchungen, wenn du dich jetzt zurückerinnerst Sachen, oder Maßnahmen, wo du das Gefühl hast, dass dich das in deiner Intimsphäre gestört hat? [...] H: „Ja, bei den ersten zwei Kindern ist jeweils noch ein Einlauf gemacht worden. Das ist bei ihr schon nicht mehr gemacht worden weil da hat´s geheißen, das macht man nicht mehr.“ L: „Und bist du gefragt worden, hast du dir das aussuchen können?“ 74 Die vaginale Untersuchung während der Geburt H: „ Das weiß ich jetzt nicht, nein, eigentlich hat es geheißen, es wäre gut, wenn man Einlauf macht, damit es schneller geht, und dann sagst eh nicht mehr nein.“ „Dann ist so eine Assistenzärztin dahergekommen, die hat mir dann zwischen den Presswehen den Venflon24 gemacht und das war supergeschissen, also das war so deppert und so unnötig, weil das war gefühlt fünf Minuten bevor er da war.“ (Interview mit E) Im Nachhinein wissen Frauen eventuell gar nicht mehr, was sie selber wollten und was einfach gemacht wurde. L: „Aber den Einlauf wolltest du?“ A: „Ich kann das gar nicht sagen ob ich das wollte oder nicht. [...] Ich habe jetzt nicht gebeten drum. Mhm (...), es war generell so, dass ich, ich will das jetzt überhaupt nicht schlecht reden, aber dass so recht eine Selbstverständlichkeit von ihr ausgegangen ist, so jetzt tun wir das, jetzt tun wir das, was recht eine Sicherheit einerseits gibt, aber ich habe einfach nicht nachgedacht, will ich das oder will ich das nicht.“ Frauen schätzen es sehr, wenn sie gefragt werden. Ein Faktor, der sich deutlich positiv auf das Geburtserlebnis insgesamt auswirkt. „Also, ich bin immer gefragt worden. Es war eben nicht so, dass man eben gesagt hätte, das ist immer nach so einem gewissen Schema abgelaufen sondern [...] sie war immer, sie hat mich einfach genau beobachtet, das war nicht so, dass sie eine Minute im Zimmer war und dann gesagt hat, jetzt tun wir das und das, sondern sie ist wirklich dann einmal, zehn Minuten ist sie einmal da gewesen und hat dann geschaut, und ist einfach da geblieben.“ (Interview mit D)25 Je klarer geplante Eingriffe kommuniziert werden, desto besser werden sie toleriert. Sehr geschätzt wird es, wenn eine bevorstehende Maßnahme so angkündigt wird, dass die Frau die Zeit hat, sich darauf einzustellen. „Meistens haben sie gesagt, wir kommen dann und dann wieder, so in einer halben Stunde oder so, dann tun wir noch einmal tasten. Und dann sind sie halt immer gekommen.“ (Interview mit B) „Also, sie haben überhaupt immer, finde ich, relativ klar immer gesagt, was wir jetzt als nächstes machen oder wie lange wir wieder mal Zeit haben.“ (Interview mit B) 24 Anm: der Venflon wurde zum 2.Mal gelegt, weil der erste sich gelöst hatte Anmerkung: Die Hebamme hat D auch angeboten, den Muttermund aufzudehnen, D hat abgelehnt und die Dehnung wurde nicht durchgeführt. 25 75 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Selbst bei operativen Geburtsbeendigungen sind Aufklärung und Einholen eines Einverständnisses nicht Standard. Die zwei Frauen, die eine sekundäre Sectio hatten wurden zumindest aufgeklärt und um ihr schriftliches Einverständnis gebeten. Bei den Frauen, die mit Hilfe einer Vakuumextraktion ihr Kind zur Welt gebracht haben, wurde nur informiert, aber keine Einwilligung abgewartet. Zwei der befragten Frauen wissen auch nicht, ob bei ihnen eine Episiotomie geschnitten wurde, sie wissen nur, dass sie nach der Geburt genäht wurden. Dem Standard der evidenzbaiserten Medizin entspricht ein Entscheidungsfindungsmodell, das als shared decision making (partizipative Entscheidungsfindung) bezeichnet wird. (vgl. Schönberner et al. in: Deutscher Hebammenverband 2010). „In diesem Modell sind „Informations- und Entscheidungsmacht auf Hebamme und Schwangere gleichermaßen verteilt.“ (Schönberner et al. in: Deutscher Hebammenverband 2010: 27) Information fließt in beide Richtungen, Entscheidungsfindungeprozesse werden auf Augenhöhe gemeinsam gestaltet. Beide sind für den Prozess verantwortlich und mit der getroffenen Entscheidung einverstanden. „Dies bedeutet einen Abschied vom bisher weitgehend üblichen paternalistischen Modell, in dem Professionelle über die Art der Behandlung/Betreuung der Schwangeren bzw. der Information hierüber entscheiden.“ (Schönberner et al. in: Deutscher Hebammenverband 2010: 27) Die Kommunikation in den aufgenommenen Interviews, die Art und Weise wie Entscheidungen herbeigeführt werden und wie mit informationen umgegangen wird, entspricht weitgehend einem solchen paternalistischen Schema. Auch wenn die Frauen mitunter um ihre Zustimmung zu einer bestimmten Maßnahme gefragt werden, liegen Informationsmacht und die Entscheidungsgewalt eindeutig in der Hand des medizinischen Pesonals. 4.7.4 Die Bedeutung der Beziehung zur Hebamme Noch immer dominiert bei uns die „physische Ausrichtung der Geburtsmedizin“ (Schönberner et al. in: Deutscher Hebammenverband 2010: 20). Wie wichtig die Berücksichtigung der psychosozialen Bedürfnisse einer Gebärenden und ihres Umfelds für die Geburtsarbeit ist, wird, so der Tenor der Interviews, manchmal nicht ausreichend ernst genommen. Es gibt eine Fülle von Aspekten, die beim Aufbau einer tragfähigen Beziehung zwischen Gebärender und Hebamme zu 76 Die vaginale Untersuchung während der Geburt berücksichtigen sind. Die physische und psychische Anwesenheit der Hebamme, eine kontinuierliche Betreuung, die offene, ehrliche Kommunikation und die Wahrung der Intimsphäre der Gebärenden sind zentrale Elemente dieses Beziehungsaufbaus. Weiters geht es darum, die Frau in ihrer Einzigartigkeit anzuerkennen, ihre individuellen Bedürfnisse zu respektieren und ihr den Raum und die Zeit zur Verfügung zu stellen, die sie persönlich braucht (vgl. Schönberner et al. in: Deutscher Hebammenverband 2010: 22, 23). Die Autorinnen fassen diese „Aspekte der Beziehungsarbeit im Hebammenhandeln“ (Schönberner et al. in: Deutscher Hebammenverband 2010: 22) in einer anschaulichen Skizze zusammen: Abbildung 6: Aspekte der Beziehungsarbeit im Hebammenhandeln (vgl. Schönberner a.a.O.) Hildebrandt (2010) verwendet hierfür den Begriff der ‚beziehungsgeleiteten Geburtshilfe’ und geht davon aus, dass alle Beziehungen und Beziehungskonstellationen im Umfeld einer Gebärenden die Geburt beeinflussen. Das gilt für die Beziehung der Mutter zu ihrem Kind, zu ihrem Partner und zu Hebammen und GeburtshelferInnen. Die Rolle des Partners, wie auch die der GynäkologInnen, wird als mitunter problematisch bezeichnet, die Hebamme hingegen „gehört seit Menschengedenken zum System der Geburt.“ (Hildebrandt 2010: 72) Seine Zukunftsvision einer neuen Geburtshilfe ist die einer „beziehungsgeleiteten Geburtskultur“ (Hildebrandt 2012: 109). Da die meisten Geburtskomplikationen in 77 Die vaginale Untersuchung während der Geburt den Industrieländern durch „eine Störung der Beziehungswelt im Umfeld der Schwangeren“ (Hildebrandt 2012: 112) ausgelöst werden, ist der wichtigste Sicherheitsfaktor für eine komplikationsfreie Geburt die „Stabilität des psychosozialen Bindungs- und Beziehungssystems.“ (Hildebrandt 2012: 112) Wie die Gebärende das wiederholte vaginale Untersuchen oder andere geburtshilfliche Maßnahmen empfindet, hängt also von der Beziehung und dem Vertrauensverhältnis ab, das sie mit ihrer Hebamme bzw. ihrer/ihrem GeburtshelferIn aufgebaut hat. Ein gutes Einvernehmen mit den sie betreuenden Menschen, aber auch ein gutes Verhältnis dieser Personen untereinander ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass Frauen sich auf das Geburtsgeschehen einlassen und sich in die Hände ihrer GeburtsbegleiterInnen begeben können. In acht Interviews war die Beziehung zur betreuenden Hebamme entscheidend für das Erleben der vaginalen Untersuchungen und anderer Maßnahmen unter der Geburt. In zweien war die Beziehung zur/zum GeburtshelferIn ausschlaggebend. Wenn die Gebärende im Krankenhaus von einer ihr unbekannten Person in Empfang genommen wird, ist der erste und wesentliche Schritt, dass ein Beziehungsaufbau zustande kommt. Gelingt dieser, weicht eine natürliche Zurückhaltung und Skepsis einem Vertrauen, welches in weiterer Folge eine gute Zusammenarbeit ermöglicht. „Also bei der ersten Tochter hab ich eine extrem liebe Hebamme gehabt, das war die G., das weiß ich heute noch. Also die war wirklich, da war ich am Anfang auch immer skeptisch weil sie halt, sie war sehr jung [...] und sie war einfach so, auf der einen Seite so zurückhaltend, weil sie hat immer gesagt, ihr machts das so super und wenn irgendwas ist, dass holts mich halt und sonst will sie sich gar nicht viel einmischen. Auf der anderen Seite [war sie] so bestimmend auch, was man halt bei der ersten Geburt schon braucht. Genau, genau, das hat mir echt gut gefallen.“ (Interview mit D) „Und dann ist die Hebamme gekommen, die hat das dann gemacht [Anm.: die vaginale Untersuchung], war ok. Die war sehr nett, und kleine zierliche Finger (lacht). [...] Dann hat sie uns gleich das Kreißzimmer gegeben und da haben wir uns dann gleich häuslich eingerichtet. (Interview mit B) K hatte in der zweiten Schwangerschaft, bedingt durch ihre Hypertonie, mit Ängsten zu kämpfen und konnte diese über ein vertrauensvolles Gespräch am Telefon deutlich reduzieren. „In der Schwangerschaft, da habe ich dann schon ein paar mal so richtige Ängste gehabt [...] dann waren wir mal auf Urlaub, da habe ich so eine Angst 78 Die vaginale Untersuchung während der Geburt gekriegt irgendwie und da hab ich mitten in der Nacht dann angerufen in der Ambulanz, sie haben gesagt, ich kann rund um die Uhr anrufen (lacht), habe ich gleich um elf angerufen. Da war eine Ärztin, die hat mir richtig, mit mir gesprochen, mich beruhigt und mich gefragt und so und so. Das war so eine Blutdruckangst irgendwie. Aber das war auch gut dort.“ (Interview mit K) Vor der Geburt war sie mehrere Tage stationär und hat das ebenfalls sehr positiv erlebt, weil es ihr die Möglichkeit gab, Beziehungen aufzubauen, was für sie, die von sich selbst sagt, dass sie ein bisschen schüchtern ist, besonders wichtig war. „Da war ich zirka vier Tage damals dort, genau, auf der Geburtenstation. Das war total super, das war total super weil ich hab das Ganze, das ist total super, dass die Geburtenstation und der Kreißsaal [...], ich habe die dann alle schon gekannt, ja, ja das ganze Team [...] Einfach wie der ganze Ablauf ist, die Zimmer und das Essen und die Nachtschwestern einfach, ich habe alles schon gekannt, alle Hebammen, alle Ärzte. [...] Ja es hätte mir nicht besser [passieren können].Ich habe dann, ja so wie eine Wahlhebamme habe ich dann gehabt.“ (Interview mit K) Sehr hilfreich ist es, wenn die Frau ihre Hebamme schon kennt, wie es in der Hausgeburtshilfe oder bei der Wahlhebammengeburt der Fall ist. E nahm zur Geburt ihre enge Freundin, die Hebamme ist, als Begleitperson ins Krankenhaus mit. „Und die Hebamme, die war auch da, die ist wirklich eine sehr enge Freundin von mir.“(Interview mit E) Ich muss sagen, ich war in den ersten Stunden auch ein bissl gereizt, ein bissl unnahbar. Also ich wollt nur den S [Anm.: Partner] und die M [Anm.:Freundin von E die Hebamme ist] und sonst niemanden.“ (Interview mit E) Auch wenn eine Gebärende ihre/n GynäkologIn zur Geburt mitnimmt, kann das die Geburtssituation erleichtern. J ging ganz bewusst in das Krankenhaus, wo ihr Gynäkologe Primararzt war. „Weil mein Arzt war der Primar vom Krankenhaus.“ (Interview mit J) „Ich war die ganze Schwangerschaft bei ihm [...], den hab ich schon gekannt, hab seine Macken gekannt, hab gewusst ich muss ihn erinnern, dass er die latexfreien Handschuhe braucht und so.“ (Interview mit J) „Dann ist um halb neun mein Arzt gekommen, im dunklen Anzug, mit weißem Hemd und stellt sich neben mich und meint ‚Frau Magister, wir schaffen das’.“ (Interview mit J) 79 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Dadurch, dass sie den Arzt gut kannte, waren die Hebammen nicht so wichtig. „Aber sie [Anm.: die Hebammen] haben eh, sie waren eh total nett nur, ich hab die Hebamme eigentlich nicht gebraucht.“ (Interview mit J) Vaginale Untersuchungen sind, wenn die Beziehungsebene stimmt, Maßnahmen, die gut toleriert werden und die den Frauen nach der Geburt kaum erinnerlich sind. Beispielsweise kann sich D, die bei beiden Kindern eine Hebamme hatte, mit der sie gut zurechtkam, an keine einzige vaginale Untersuchung erinnern, die sie nachhaltig gestört hätte. „Und sie [Anm.: die Hebamme] hat mich schon ein paar Mal untersucht, aber das war jetzt nicht irgendwie, nicht so, und auch nicht so jede Stunde, nein. Also ich glaub, alle drei Stunden vielleicht oder so, also, wie es mir halt gegangen ist. Sie hat einmal gesagt, sollen wir nachschauen und, ja genau sie hat immer nachgefragt. Sie hat nie untersucht ohne dass sie es angekündigt hat, nein, überhaupt nicht, also sie war wirklich - “ (Interview mit D) Hebamme oder GeburtshelferIn schon zu kennen ist jedoch keine Garantie für ein gutes Zusammenwirken unter der Geburt. F wählte die Geburtsklinik, weil ihre Gynäkologin, zu der sie einen guten Kontakt hatte, dort Oberärztin war. Zum Zeitpunkt der Geburt war die Oberärztin auf Urlaub. Sie konnte zu den dortigen Hebammen und FachärztInnen keine gute Beziehung aufbauen und hatte die ganze Geburt hindurch das Gefühl, sich gegen geplante Interventionen wehren zu müssen. Diese Störungen waren so massiv, das F die vaginalen Untersuchungen als - im Vergleich zu anderen Aktionen - harmlos erlebt hat. „Ich habe nicht das Gefühl gehabt, ich bin so oft untersucht worden, eben, weil die mir so zuwi´gstiegen sind und ich sie eher immer weggestoßen habe.“ (Interview mit F) „Ich habe da dann während der Geburt ständig diskutieren müssen, dass sie mir keine weheneneinleitenden Mittel geben und so. Also ich habe ständig irgendwie schauen müssen, dass die das Zeug von mir wegtun.“ (Interview mit F) Hinzu kam, dass das geburtshilfliche Personal sich in seinen Ansichten gegenseitig widersprach, was zu einem Vertrauensverlust und dem Gefühl, die Situation kontrollieren zu müssen, führte. „Vor Mitternacht irgendwie, die [Anm.: Hebamme] war lieb und alles und die, da habe ich mich schon betreut gefühlt, ja, aber nachdem dann die nächste 80 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Hebamme irgendwie gesagt hat nein, das ist ein Blödsinn quasi, was die gesagt hat (.). Die eine Hebamme, die hat ja so gemeint, es passt schon, es passt mit dem Fortschritt irgendwie. Es geht halt langsam, das ist die Geburt, aber es passt alles. Ich habe mich erleichtert gefühlt. Und die nächste hat dann, nein es geht überhaupt nichts, wir müssen etwas geben, und hat mir dann quasi verdeutlicht, ok, was die erste gesagt hat, das ist ein Vollblödsinn, ja (lacht) und irgendwie, wieder das: der eine sagt das, und der nächste sagt das und such es dir aus, ja, was jetzt passt und was richtig sein soll.“ (Interview mit F) Das heißt, dass auch alle anderen Beziehungen zwischen den Menschen, die in eine Geburt involviert sind, von Bedeutung sind. Wenn Hebammen sich untereinander oder mit den ÄrztInnen nicht einig sind - das kann zum Beispiel auch erhobene Befunde bei einer vaginalen Untersuchung betreffen - bekommt die Gebärende das zu spüren. „Und was wahrscheinlich auch ein bissl ein Problem war, finde ich, das war vorher schon die ganze Zeit für mich ein Problem, dass man eigentlich bei den ganzen Untersuchungen, die ich da ständig gehabt habe, dass jeder etwas Anderes gesagt hat, [...] teilweise waren es widersprüchliche Aussagen, so dass ich mich total überfordert gefühlt habe. Ich habe mir gedacht, was tu ich jetzt, irgendwie?“ (Interview mit F) „Es ist einfach alles insgesamt ein bissl blöd gelaufen und so die Vertrauensperson, die ich eigentlich, die so mein Anker war, die Frauenärztin, die war zu der Zeit auf Urlaub.“ (Interview mit F) Frauen, die ihre Hebamme schon kennen, sei es, weil sie eine Hausgeburt planen oder mit Wahlhebamme ins Krankenhaus gehen, verlassen sich oft selbstverständlich auf das, was sie ihnen sagt .„Und doch birgt die Qualität der Beziehung zwischen der Gebärenden und ihrer Hebamme jede Menge Potential, den Geburtsverlauf zu blockieren.“ (Hildebrandt 2010: 72) Unter der Geburt wird diese Beziehung auf die Probe gestellt, und nicht immer passen die Erwartungen von Hebamme und Gebärender zusammen. „Sie hat aber dann, aber, was mich im Nachhinein oder, ich habe auch schon während der Geburt kein gutes Gefühl dabei gehabt, sie hat die Fruchtblase dann geöffnet. Und das war, glaube ich, ein Fehler. [...] Man weiß es nicht, man weiß es nicht aber ich habe auch während der Geburt irgendwie kein gutes Gefühl gehabt, aber ich habe mir gedacht, ich vertraue ihr, sie ist meine Hebamme.“ (Interview mit C) Ist diese Beziehungsebene von Anfang an labil oder kommt es im Lauf der Geburt Verunsicherung, löst das Stress aus. Die Gebärende hat das Bedürfnis, den 81 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Überblick zu bewahren, sie ist misstrauisch, besorgt oder ängstlich. Diese Emotionen bewirken eine vermehrte Ausschüttung von Andrenalin und erschweren damit einen physiologischen Geburtsverlauf. „Es ist bewiesen [...] daß ein niedriger Adrenalinspiegel die Eröffnungsphase der Geburt oft erleichtert und beschleunigt. Allgemein gesagt, jede Hebamme weiß, daß eine Situation, die den Adrenalinspiegel heben kann – Furcht, Kälte und so weiter – die Eröffnungsphase erschwert.“ (Odent 1992: 44) Stewart weist darauf hin, dass es für die Hebamme meistens unangenehmer ist, eine Frau vaginal zu untersuchen, wenn sie mit ihr in einem Vertrauensverhältnis steht, weil sie sich der Invasivität ihrer Handlung dann bewusster ist und die Beziehung nicht gefährden möchte. Das könnte den positiven Effekt haben, dass sie, um diese Untersuchung möglichst zu vermeiden, sich mehr auf ihre anderen Möglichkeiten zur Beobachtung des Geburtsverlaufs konzentriert. Auch sie selbst hat das so erlebt. „Because I was providing care to the women that I knew, that I got to know through pregnancy, I think I was just more conscious of how invasive a vaginal examination is and so I didn´t want to do it. Yes, it seemed harder to do that unless I had really good reason to do that. I didn´t want to do it, just because there was a timetable that said I should do it.“ (Interview mit Stewart) So ist es doch immer wieder die Uhr, die für eine Viezahl an vaginalen Untersuchungen verantwortlich ist. 4.7.5 Die Zeit als bestimmender Faktor für die Untersuchungsfrequenz Wie bereits dargestellt26, hat die Zeit in der Geburtshilfe eine besondere Bedeutung. „Ich weiß nicht, sie haben mir irgendwie dieses Gefühl vermittelt, dass es irgendwie zu langsam geht.“ (Interview mit F) Nichts scheint Entscheidungen mehr zu beeinflussen als die tickende Uhr. Dadurch fühlen sich auch die Gebärenden unter einem Zeitdruck, der nicht von ihnen selbst kommt, sondern von Seiten der Hebammen oder GeburtshelferInnen. Die allgegenwärtige Angst vor dem protrahierten Geburtsverlauf verleitet sie zu aktivem Intervenieren in Situationen, in denen es nicht indiziert ist. Immer wieder wird die vaginale Untersuchung damit begündet, dass es wieder Zeit ist und Maßnahmen wie Einlauf oder Muttermund-Dehnen, Massagen mit Wehenöl etc. werden gemacht, damit es schneller geht. 26 Vgl. Kapitel 3.2 und 3.8 82 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Steht das Tempo einer Geburt im Vordergrund, erzeugt das auch in physiologischen Geburtssituationen einen unterschwelligen Druck, der sich kontraproduktiv auf den weiteren Verlauf auswirkt. „Wehenschwäche und rigider Muttermund sind meistens die Folge des Gefühls, vernachlässigt zu sein“ (Rockenschaub 2001: 377), so Rockenschaubs Erklärung für das weit verbreitete Phänomen der protrahierten Geburt. Von den berichteten zehn Erstgeburten hatten fünf laut Aussagen der Frauen protrahierte Geburtsverläufe. In allen diesen Fällen wurden die Wehen mit Oxytocin verstärkt, zwei dieser Frauen hatten eine sekundäre Sectio, zwei eine Vakuumextraktion mit Kristeller-Handgriff und eine gebar nach zweimaliger Fetalblutanalyse spontan in Sectiobereitschaft. Sogar in dem Interview mit der Frau, die ihr Kind zu Hause auf die Welt brachte und wo keine Krankenhausrichtlinien mit ihren Zeitvorgaben den Geburtsprozess steuerten, ist Zeitdruck spürbar. Diese Primipara hatte zwar keinen protrahierten Geburtsverlauf27, aber das deutliche Gefühl, zu langsam zu sein. Die Hebamme war in diesem Fall sehr aktiv und hat die Gebärende mit einer Vielzahl von Maßnahmen durch die Geburt geführt. „Grundsätzlich bin ich mir einfach ein bissl (.) getrieben vorgekommen, oder nein, getrieben ist vielleicht auch falsch, eher so (...) ich habe das Gefühl gehabt, es sind alle Beteiligten, nein alle Beteiligten auch nicht, eher (.) eher die Hebamme (lacht ein wenig) ein bissl genervt, dass es so lang dauert (.) also weil halt ständig, es ist halt, sie hat mir voll oft den Bauch mit Wehenöl eingerieben...“ (Interview mit A) „Und dann habe ich, ja und dann habe ich so nachgerechnet. Eigentlich war eh alles komplett normal. Ich habe das immer so im Kopf gehabt, da tut sich nichts, da geht nichts weiter.“ (Interview mit A) „So das ein bisschen getrieben werden und das Gefühl, dass ich zu langsam bin, das ist ein bisschen geblieben.“ (Interview mit A) Arbeitet eine Hebamme nach der Uhr und richtet sie ihre Maßnahmen primär an dieser aus, muss sie sich eine fachliche Kritik von Stewart gefallen lassen: 27 Die Geburt dauerte 15 Stunden 83 Die vaginale Untersuchung während der Geburt „The midwives who follow a timetable and don´t talk to the woman and say‚ I just need to do this o k a y?’ They are not bad people, you know, but equally they are not showing best practice at all.“ (Interview mit Stewart) Einige Frauen erzählen von ungestörten Wehenphasen, in denen sie das Gefühl für die Zeit völlig verlieren. „Das Zeitgefühl ist dann, ich hab nämlich, ich hab nämlich meinem Mann nach der Geburt gesagt, der Primar war doch maximal fünf Minuten jetzt da. Und er hat gesagt, nein, er war jetzt eineinhalb Stunden da.“ (Interview mit J) Das sind Phasen, in denen sie die Wehen zwar stark und teilweise schmerzhaft spüren, in denen es aber „voll gemütlich“ (Interview mit A) ist und sie nichts und niemanden brauchen. Unterbrochen werden diese Phasen dann in der Regel von Maßnahmen, wie der vaginalen Untersuchung oder dem Herausholen der Frau aus der Badewanne, um zu „sehen, ob was weitergeht.“ (Interview mit G). Vielfach kommen die Frauen dann nicht mehr in ihren Rhythmus und es fängt an, schwierig zu werden. Die Wehenschmerzen werden stärker und insbesondere nach einem Vaginalbefund, der den Erwartungen nicht entspricht, drängt sich dieses Gefühl auf, zu langsam zu sein. „Also, das war sehr gemütlich. Genau, und da ist die Zeit voll schnell vergangen weil also, sie hat dann irgendwann zu mir gesagt, sie wird jetzt wieder untersuchen. [...] Also, das war halt das einzige Mal, dass ich ein voll gutes Gespür (lacht) für mich gehabt hab.“ (Interview mit A) Die schönsten Erinnerungen im Zusammenhang mit Geburt sind bei allen interviewten Frauen die Phasen, wo man ihnen einfach Zeit gelassen hatte. „Da haben sie uns voll Zeit gelassen. Meinem Mann und mir und unserer großen Tochter, wir waren eben, wir waren da mehr als zwei Stunden im Kreißsaal im Bett und alles, sie haben uns halt irgendwie Zeit gelassen, ja, miteinander. [...] Es war schön.“ (interview mit K) 4.7.6 Die psychische Komponente vaginaler Untersuchungen Psychische Konstitution und Grundbedürfnisse dominieren unsichtbar, wie die Kettfäden eines gewebten Stoffes, das Geburtsgeschehen und das Geburtserleben. Jede Frau ist in ihrer Geschichte und Persönlichkeit einzigartig. Dadurch ist es nicht möglich, Betreuungsmodelle objektiv zu bewerten. Passen Grundbedürfnisse und gewählte Betreuungsform zusammen und entspricht diese den Erwartungen der Gebärenden, werden Maßnahmen und Interventionen gut angenommen. Dabei 84 Die vaginale Untersuchung während der Geburt zeigen die zehn Interviews deutlich, dass das was für die eine gut ist, für die andere nicht unbedingt gut sein muss. So stellt J, die großes Vertrauen in die Schulmedizin hat, als oberstes Grundbedürfnis die Sicherheit in den Vordergrund und wählt Geburtsort und Versorgungsmodell so, dass sie ihrem Anspruch, höchstmögliche Sicherheit zu garantieren, gerecht werden. „Ich vertrau meinen Ärzten.“ (Interview mit J) In ihrem Fall passten ihre Erwartungen mit der tatsächlichen Situation gut zusammen. Sie fühlte sich sicher und kam mit allen Maßnahmen und Interventionen, auch mit den vaginalen Untersuchungen, gut klar. Die vertraute Umgebung war für sie zweitrangig. „Man weiß es nicht und ich hab gesagt, ich will lieber das Krankenhaus mit allem daneben haben, ja, falls irgend etwas passiert.“ (Interview mit J) „Dann hab ich mir gedacht, Kreißsaal, wozu schau ich mir den Kreißsaal an, dann ist er vielleicht besetzt oder hin oder her, ist mir wurscht. Hebamme im Krankenhaus hab ich jetzt auch nicht kennengelernt, weil ich hab mir gedacht, was ist, wenn die dann keinen Dienst hat, dann hab ich erst recht wieder eine andere. Die Hebamme, die mit mir dann bis zum Ende der Geburt gegangen ist, war super.[...] Die im anderen Krankenhaus war auch nett. Die waren alle nett; einfach dadurch, dass ich die einzige Privatpatientin war. Die waren bemüht und alles.“ (Interview mit J) G hatte das Gefühl, ihre Hebamme mache zu wenig. Das hat massive Ängste ausgelöst. „Sie [Anm.: die Hebamme] hat es einfach laufen lassen.“ (Interview mit G) „Sie [Anm.: die Hebamme] hat das Leben von meinem Kind aufs Spiel gesetzt.“ (Interview mit G) A hatte das Gefühl, ihre Hebamme mache eher zu viel. Das betraf auch die Zahl an vaginalen Untersuchungen. Das hat bei ihr, trotz einer insgesamt positiven Erinnerung an die Geburt, doch den Eindruck hinterlassen, dass die Geburt eher von außen gesteuert wurde als von ihr selbst. „Eine recht selbstbestimmte Geburt war es nicht, aber vielleicht hätte ich das eh nicht anders geschafft“ (Interview mit A) 85 Die vaginale Untersuchung während der Geburt „Ich habe mich nämlich auch ganz oft entschuldigt, ich hab voll oft gesagt, ‚es tut mit leid, es tut mir leid. Also dass ich zu viel rede tut mir leid und dass es so lang dauert tut mit leid. Also es hat mir alles leid getan (seufzt). Und ich glaube, das habe ich alles nur gesagt, damit endlich einmal wer sagt, das macht nichts, es passt schon so.“ (Interview mit A) Sehr deutlich spiegelt das einerseits das Bedürfnis einer Gebärenden wieder, dass alles so sein darf, wie es ist. Andererseits steckt auch eine Sehnsucht nach Zuwendung, Lob und Empathie dahinter. „Was ich glaube, was ich auch noch mehr gebraucht hätte ist einfach so (..) ein bisschen emotionale Hilfe noch (.) Mhm. (Interview mit A) Für jemanden, der sensibel oder schüchtern ist, ist das Wesentliche eine Atmosphäre des Vertrauens, weil es in diesem Fall das ist, was gleichzeitig Sicherheit vermittelt. Fühlt eine Frau sich in der vertrauten Umgebung sicherer, wählt sie ein Betreuungsmodell, das möglichst viele vertraute Komponenten enthält wie die Hausgeburt oder die Geburt mit Wahlhebamme. „Es ist alles gut gegangen, ah, also da hat sie schon eingegriffen aber ich habe es eigentlich unterstützend gefunden. Also, ich habe immer gewusst, warum sie es tut. Und das, sie hat auch gespürt, was ich brauche. Das war eigentlich sehr gut. [...] Ja, ich muss sagen, diese Hebamme ist sehr gut. Die hat das, die hat das Gefühl und da war auch immer die Kommunikation da, [...] also ich habe dann, obwohl ich nie ins Krankenhaus wollte, nicht das Gefühl gehabt, ich bin im Krankenhaus.“ (Interview mit G) Auch Gaskin (2009) meint, dass die Qualität der Hebammenarbeit primär durch das Vertrauen bestimmt wird, welches Hebamme und Gebärende einander entgegenbringen. „ Weil Vertrauen ein so wertvolles und großartiges Gefühl ist, müssen Schwangere von Menschen betreut werden, denen sie vertauen. (...) Ich glaube, die besten Hebammen sind diejenigen, die den Frauen, die sie betreuen mit Zuneigung und Herzlichkeit begegnen. Das bedeutet, dass sie die Frauen nicht kritisieren (...). Stattdessen erkennen sie sie so an, wie sie sind.“ (Gaskin 2009: 184) So wichtig es ist, dass eine Gebärende ihrem Umfeld vertrauen kann, so wichtig ist es auch, dass ihr Vertrauen entgegengebracht wird. Psychisch destabilisierend wirkt sich hingegen das schon wiederholt angesprochene Kontrollbedürfnis seitens des geburtshilflichen Personals aus. „Das war dann so ein bissl das Gefühl, so, vertrau mir doch bitte.“ (Interview mit A) 86 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Dieser Wunsch nach einem grundlegenden Vertrauen der GeburtshelferInnen und Hebammen in die Fähigkeit der Frau, aus eigender Kraft gebären zu können, ist aus den Interviews deutlich herauszulesen. Eine weitere psychische Komponente, die es bei der Betreuung einer Gebärenden zu beachten gilt, ist das physiologische Bedürfnis nach Regression. In keinem der deutschen Hebammenlehrbücher erwähnt und in der Praxis eher belächelt, ist es doch so, dass Frauen unter der Geburt sich manchmal wie Kinder verhalten, nach ihrer Mutter rufen oder zumindest das deutliche Bedürfnis nach Zuwendung, Gehalten-werden, Trost und Bemuttert-Werden zeigen. „In unsicheren Situationen flüchten wir in Sicherheitsräume, die denen unserer frühesten Kindheit gleichen.“ (Hildebrandt, Göbel 2008: 162) Unter der Geburt befindet sich die Gebärende, so Hildebrandt, „in einer für sie bedrohlichen Sondersituation, in der sie den begleitenden Berufsgruppen einen klaren Auftrag erteilt. Dieser Auftrag geht weit über die jeweiligen Berufsbilder hinaus und lässt sich mit dem psychodynamischen Phänomen der Regression erklären. Dabei entsteht durch Übertragung ein klassisches Rollenmuster.“ (Hildebrandt, Göbel 2008: 12) Der Hebamme kommt in diesem System die Mutterrolle zu. A spürte das besonders deutlich. „Ich habe ganz viel Nähe gebraucht und das hat mich auch sehr überrascht, weil ich eigentlich so nicht bin.“ (Interview mit A) „Also, ich habe viel gehalten werden müssen und so das Bemuttern hab ich voll genossen, also das schon. Ich bin ständig abgewischt worden und trinken und gut zureden. Das hab ich voll genossen.“ (Interview mit A) „Und was ich, was schon auch als Gefühl geblieben ist, dass ich mich (.) recht hilflos teilweise gefühlt habe (.). Aber (.) ja. Das ist wahrscheinlich eh normal, so ein bissl wie ein Kind habe ich mich gefühlt.“ (Interview mit A) Im Krankenhaus übernimmt die/der GeburtshelferIn die Rolle des Vaters. Gemeinsam werden die beiden Berufsgruppen für die kurze Zeit der Geburt gleichsam zu den Eltern der Gebärenden und tragen als solche gemeinsam die Verantwortung für den Geburtsprozess. Vor diesem Hintergrund wird einerseits deutlich wie wichtig es als Hebamme ist, die Bereitschaft mitzubringen, vorübergehend den Part einer fürsorglichen, liebevollen 87 Die vaginale Untersuchung während der Geburt empathischen Mutter zu übernehmen. Aber auch die Koopeartion der beiden Berufsgruppen ist entscheidend dafür, dass eine Geburt gelingen kann. Keinesfalls, so Hildebrandt, dürfen sie „als Konkurrenten um Kompetenz und Macht auftreten.“ (Hildebrandt, Gönbel 2008: 13) 4.7.7 Die Bedeutung der Intimsphäre Eine geschützte Intimsphäre oder wie Odent es nennt, ‚Privacy’ (Odent 1992: 9) ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die für die Geburt notwendigen Hormone im Gleichgewicht sind und sich die Gebärende sicher und geborgen fühlen kann. „Um gebären zu können, muss die Schwangere einen bestimmten Cocktail von Hormonen ausschütten. [...] Wesentlich für uns ist, daß sie alle in derselben Drüse gebildet werden – dem Gehirn. [...] Wir könnten sagen, daß während der Wehen die aktivste Körperregion der Frau ihr archaisches Gehirn ist – jene sehr alten Hirnstrukturen (Hypothalamus, Hirnanhangdrüse usw.), die wir mit allen anderen Säugtieren gemeinsam haben.“ (Odent 1999: 51) Die Sinne einer Gebärenden sind hellwach und ihre Sensibilität gegenüber Störungen sehr hoch. Entsprechend leicht kann dieses System durch Irritationen aus dem Gleichgewicht gebracht werden. In den Interviews wird immer wieder von nachhaltigen Störungen der Intimsphäre berichtet. K: “Das war am Vortag und das war dann wieder so bezüglich Vaginaluntersuchung, also ich finde, sie greifen dann schon sehr gedankenlos und leichtfertig in eine Frau hinein [...] irgendwie, ich weiß nicht, ich würde mir da schon einen (...)“ L: „Was würdest du dir wünschen, K?“ K: „Ein Bewusstsein, dass es einfach etwas Intimes ist.“ Beispielsweise musste sich C, die während der Wehen immer in Bewegung war, für die vaginalen Untersuchungen auf den Rücken legen. Das war für sie sehr unangenehm und brachte sie aus dem Rhythmus. In den Interviews kommen auch Situationen zur Sprache, in denen einzelne Interaktionen, die nicht in Zusammenhang mit vaginalen Untersuchungen standen, die Intimsphäre der Gebärenden störten. Diese betreffen zwar Nebenschauplätze, werden aber gut erinnert und sehr emotional berichtet. 88 Die vaginale Untersuchung während der Geburt „Und die Hebammen waren auch super, also da hat mich nur gestört, dass ich einmal aufs Klo gegangen bin und die Hebamme war vorher am Klo und hat am Klo geraucht gehabt (lacht) und dann hat sie das Fenster aufgerissen und es war saukalt und es hat gestunken.“ (Interview mit H) Im Fall von G verletzten die im Folgenden beschriebenen Szenen so nachhaltig ihre Intimsphäre, dass sie sich mit der Hebamme und auch zu Hause nicht mehr geborgen fühlte. „Weil du die Intimität ansprichst, das was mich massiv gestört hat ist, mein Mann und ich haben gesagt, ok, wir wollen es gemütlich haben zu Hause. Wir haben einen Teppich gehabt wo ich gesagt habe, da ist es wurscht, ob Flecken drauf sind, ist eine schöne Erinnerung, soll so sein. Und da hat sie gesagt, nein, das macht Flecken, wir legen jetzt alles mit Plastik aus. Und da habe ich mir immer gedacht, ich habe nicht die Kraft gehabt, mit ihr zu streiten. Aber das ist meine Wohnung, mein Teppich [...] Es war einfach nur grauslich, überall diese Müllsäcke, ich habe mich nicht mehr wohlgefühlt.“ (Interview mit G) „Oder, ich hab eine Hühnersuppe aufgewärmt, die ich selbst gekocht hab und da ist halt eigenes Gemüse drin, Pastinaken und Sellerie und so, und sie macht mir das warm und ich esse ein paar Löffel und sie sagt, willst du das wirklich essen, das riecht so komisch’. Weißt, solche Sachen sind passiert und das ist schon ein Eingriff in die Intimität.“ (Interview mit G) „Naja, um zwei Uhr ist die Fruchtblase geplatzt. Der Komentar von ihr war ‚Gott sei Dank, endlich’. Das habe ich alles gehört (lacht), das (.) das sind Sachen, wo ich sehr sensibel bin. Das geht wieder in die Intimität. So was darf man einfach nicht sagen neben einer verzweifelten Gebärenden.“ (Interview mit G) Alles in allem ist während der Geburt bei den von mir interviewten Frauen wenig Raum für Intimität und Privacy zu spüren gewesen. D fasst ihre diesbezüglichen Eindrücke so zusammen: „Aber ich muss ganz ehrlich sagen, dass das Geburtserlebnis für sich schon einem nicht wirklich viel Privatsphäre lässt. Das ist am Anfang etwas irritierend, aber man wächst mit jeder Wehe hinein und am Schluss will man eh nur mehr das Kind aus sich rauspressen“ (Interview mit D) Bei F war es so, dass sie sich durch die wiederholten Verletzungen ihrer Intimsphäre während der Aufenthalte im Krankenhaus schon damit abgefunden hatte, dass das so ist. „Ich denke, hätte ich nicht diese Vorgeschichte gehabt, mit zwei Mal stationärem Aufenthalt vor der Geburt, wo mich gefühlt über einen Monat jeden zweiten Tag jemand untersucht hat, wäre mein Schamgefühl während 89 Die vaginale Untersuchung während der Geburt der Geburt sicher mehr geweckt worden. Ich habe das Gefühl, ich bin davor schon ein wenig abgestumpft, was diese Untersuchungen anbelangt. Aber, ja ich hatte schon ein Schamgefühl, aber halt schon früher - was das Ganze aber nicht besser macht. Natürlich möchte man, dass die Geburt beginnt und so und weiß auch dass es notwendig ist, aber es wird oft ein wenig sorglos mit unserer Intimsphäre umgesprungen - mehrere unterschiedliche Leute, die einen untersuchen, mehrere Leute im Zimmer, fremde Leute im Zimmer, mehrere Untersuchungen gleichzeitig.“ (Interview mit F) Wie schon erwähnt28, können vaginale Untersuchungen während der Geburt Traumen auslösen. Gerade nach der Geburt sind Frauen besonders verletzlich und feinfühlig. Gebärmutter, Vagina und Vulva sind in den ersten Tagen und Wochen post partum empfindlich auf Druck und Berührung. Eine Wöchnerin befindet sich auch hormonell gesehen in einer sensiblen Lebenssituation. Bei K war es ein vaginaler Eingriff nach der ersten Geburt, eine Kürettage, der sie traumatisiert hat. „Und das war sehr unangenehm, also viele Frauen sagen, eine Kürettage, das ist doch nichts. Aber das war sehr unangenehm, finde ich, da war ich so, das war wieder so in dem Bereich, bist eh noch so blutig, und das Baby da, und alles noch so frisch und dann, wirst du angeschnallt an Armen und Beinen, so, die Ärzte gehen herum, und alles ist so blutig und so, also das war schon irrsinnig, also (.) also, ja also mir fällt jetzt nichts anderes also wirklich, das war, ich habe mich gefühlt wie vergewaltigt (weint). Es ist mir noch nie so wieder gekommen, aber wenn ich das erzähle pfff, ich meine vorher ist es irgendwie ok, das Kind und so, aber dann ist es draußen und alles so offen und verletzlich, und das war, dieses gefesselt werden und ah, ich meine, die Narkose hat auch erst später gewirkt.“ (Interview mit K) Nicht nur unter der Geburt, sondern ganz allgemein sind gynäkologische Untersuchungen Eingriffe in die Intimsphäre einer Frau, die sie nachhaltig verletzen können, auch in der Schwangerschaft. K hatte in ihrer zweiten Schwangerschaft wieder ein ähnlich traumatisierendes Erlebnis. Aber dann hatte ich auch noch so ein Erlebnis. Da war auch noch irgendwie die Frage wegen Bakterien in der Scheide. Das war so ca. zwei Wochen vor der Geburt, da haben sie mich in ein Pilzlabor geschickt und die waren irgendwie sehr, ja, mit solchen Stäbchen in meinen After, ohne mir was zu sagen. Wieder einmal. Das ist ja, das ist wrklich ein Unding. Das war wieder, da habe ich mich wieder so vergewaltigt gefühlt (lacht) komisch.“ (Interview mit K) Hildebrandt und Göbel (2008) bezeichnen vaginale Untersuchungen als massive Grenzüberschreitungen, die immer auch eine hochsexuelle Komponente haben. Das 28 Vgl. Kapitel 3.5 und Kapitel 4.7.2 90 Die vaginale Untersuchung während der Geburt mag zwar unter ProfessionistInnen weitegehend verdrängt worden sein, auch aus Gründen des Selbstschutzes, dennoch gilt: „Die Selbstverständlichkeit und Gedankenlosigkeit, mit der wir die Scheide29der Frau mit der Rechtfertigung unserer Berufsausübung penetrieren, sollte uns sehr zu denken geben.“ (Hildebrandt, Göbel 2008: 107) Höchster Respekt vor der Intimpshäre der Frau ist dringend erforderlich. „Diesen Respekt darf jede Gebärende beanspruchen. Für sexuell traumatisierte Frauen ist er sogar geburtsrettend!“ (Hildebrandt, Göbel 2008: 107) 4.7.8 Das subjektive Erleben der Geburt Beziehungen und Interventionen beeinflussen den Geburtsablauf und das Erleben der Geburt gleichermaßen. Ein subjektives Zuviel an Interventionen wirkt sich ebenso negativ auf das Geburtserlebnis aus wie ein subjektives Zuwenig. Das Maß des Vertrauens zwischen Hebamme und Gebärender beeinflusst die Interventionsrate ebenso wie die Akzeptanz dieser Interventionen. Der Grundtenor aus den Interview-Geburtsberichten ist, dass insgesamt sehr viele Maßnahmen gesetzt wurden, die sich die Frauen nicht ausgesucht hätten, und dass sie sich dadurch manchmal unter Druck, oder getrieben vorkamen oder das Gefühl hatten, die Kontrolle behalten zu müssen. Auch bei grundsätzlich zufriedenstellenden Geburtsverläufen wird angemerkt, dass viel getan wurde und wenig Platz für Selbstbestimmung und Intimität war. Es ist nicht möglich, das optimale Maß an Einmischungen in das Geburtsgeschehen generell festzulegen und in eine standardisierte Form zu bringen. Jede Frau und jede Geburt erfordern ein der konkreten Situation und den individuellen Bedürfnissen angepasstes Vorgehen. Das Geburtserlebnis setzt sich zusammen aus einer Fülle an subjektiv gewonnenen Eindrücken von der Geburt und der unmittelbaren Zeit danach und davor. Entscheidend ist, in welcher Rolle sich die Frau selbst erlebt hat und ob es gelungen ist, ihren Bedürfnissen gerecht zu werden. Positiv wirkt sich alles aus, was die Frau in ihrem Selbstvertrauen stärkt, ihr Sicherheit gibt und ihr die Ruhe, die Zeit und den Raum lässt, den sie und ihr Kind brauchen, um zu gebären und geboren zu werden. 29 und in vorliegendem Fall auch den Anus 91 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Negativ auf das Geburtserlebnis wirken sich körperlich unangenehme Maßnahmen, wie etwa vaginale Untersuchungen ebenso aus, wie psychischer Druck, Stress oder Angst. Je dominanter vaginale Untersuchungen in Erinnerung sind, desto prägender wirken sie sich direkt auf das Geburtserleben aus. L. „Und glaubst du, dass die vaginalen Untersuchungen dein Geburtserlebnis in irgendeiner Weise beeinflusst haben?“ C:“Ein bissl schon, also weil grad diese Untersuchung da von der Ärztin dann, also das ist mir schon sehr in Erinnerung; negativ in Erinnerung und ja, und so von meiner Hebamme, bis zu dem Punkt dann.“ Bei F waren es nicht die vaginalen Untersuchungen, die das Geburtserlebnis geprägt haben sondern einfach alles zusammen. „Es war überhaupt nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe. Das war mein Hauptproblem, glaube ich, dass ich da rein gegangen bin und mir gedacht habe, ja ok, ich werde eine stinknormale Geburt haben.“ (interview mit F) „Ja ich habe die ganze Zeit diskutieren müssen dass sie mir nicht so viel geben. Ja, ich habe mich in diesem Krankenhaus wirklich einfach von vorne bis hinten bedrängt gefühlt.“ (Interview mit F) Über eine Störung des hormonellen Gleichgewichts können Geburtsprozesse sehr leicht und manchmal unwiderruflich aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Das kann durch mannigfaltige Arten von Einmischung, Störung, Interventionen, diagnostische oder geburtsbeschleunigende Maßnahmen geschehen. Die vaginale Untersuchung ist eine davon. L. Do you think vaginal examinations can lead to instrumental births or csections in some cases? [...] Stewart: Yeah, I mean, certainly it´s so easy to disrupt the normal hormones of labour and the physiology. And you need to think the production of oxytocin is so sensitive. You know, it´s so sensitive to environment and it´s very very easy to block that. If a woman is feeling afraid then she is producing more adrenalin and less oxytocin, so I think I can really see, how that could happen and how a traumatic vaginal examination can definitely have a negative impact on the production of oxytocin.“ (Interview Stewart) Die vaginale Untersuchung prägt das Geburtserlebnis auch deswegen, weil sie als dominante Maßnahme unter der Geburt den medizinischen Fachkräften ein 92 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Feedback über den Geburtsfortschritt gibt und somit maßgeblich geburtshilfliche Entscheidungen beeinflusst. Nicht selten ist der Grund für nachfolgende Interventionen, wie auch in den Interviews deutlich zu sehen ist, eine protrahierte Geburt. 93 Die vaginale Untersuchung während der Geburt 5. Schlussfolgerungen „Das war dann so ein bissl ein Gefühl, so, vertrau mir bitte.“ (Aus dem Interview mit A) Das letzte Kapitel widmet sich der Beantwortung der Forschungsfragen und der Zusammenfassung der damit verbundenen Erkenntnisse. Die aus der Literatur und aus den Interviews gewonnenen Informationen sind praxisrelevant. Aus diesem Grund stehen am Ende der Arbeit Anregungen für eine umfassendere Darstellung der Maßnahme vaginale Untersuchung in Hebammenlehrbüchern und im Unterricht. Darüber hinaus werden Impulse für einen sensibleren und differenzierteren Umgang mit dem Kontrollieren des Geburtsfortschritts mittels vaginaler Untersuchung in der praktischen Hebammenarbeit gegeben. 5.1 Die vaginale Untersuchung als Diagnoseinstrument in der Literatur Die vaginale Untersuchung unter der Geburt muss sich in der Forschungsliteratur einiges an Kritik gefallen lassen. Unter dem Paradigma des Geburtsfortschritts zur Routinemaßnahme geworden hat sie, ohne über ausreichend Evidenzen zu verfügen, Einzug in unsere Kreißzimmer gehalten. Durch die Einführung des Partogramms und die damit verbundenen zeitlichen Limits für jede Phase der Geburt, ist man von der Beobachtung des Geburtsverlaufs zu dessen Kontrolle übergegangen. Die Zeit ist zum wichtigsten Indikator für das geburtshilfliche Handeln geworden. Die Angst vor der protrahierten Geburt hat den ganzheitlichen Blick auf die Individualität des Gebärens und Geboren-Werdens nachhaltig verstellt und zu einer Geburtshilfe geführt, die interventionsreicher ist denn je. In diese Ära fallen Studien, die glaubhaft vermitteln, dass die wesentliche Voraussetzung für die unkomplizierte Geburt nicht deren engmaschige Überwachung ist, sondern: • Die Kontinuität in der Betreuung einer Gebärenden und die physiche und psychische Anwesenheit ihrer Hebamme unter der Geburt. • Der Aufbau einer tragfähigen Beziehung zwischer der Gebärenden und ihrer Hebamme, die eine offene Kommunikation und einen vertrauensvollen Umgang miteinander ermöglicht. 94 Die vaginale Untersuchung während der Geburt • Die individuelle und achtsam zurückhaltende Begleitung einer Gebärenden, die sie und das Kind in den Vordergrund stellt und Interventionen wohlüberlegt und nur mit dem Einverständnis der Gebärenden durchführt. • Das Respektieren und Wahren der Intimsphäre einer gebärenden Frau in jeder Situation. • Das wohlwollende Respektieren der Entscheidungsfreiheit einer Gebärenden. • Das konkrete problemorientierte Herangehen an geburtshilfliche Komplikationen unabhängig von zeitlichen Schemata. Das relativiert die Notwendigkeit regelmäßiger vaginaler Untersuchungen und stellt sie dort, wo ein Geburtsprozess gestört oder die Intimsphäre einer Gebärenden verletzt wird, eindeutig in Frage. Insbesondere das Untersuchen nach zeitlichen Kriterien ist nicht sinnvoll. Darüber hinaus sind auch Vaginalbefunde nicht immer eindeutig und es gibt andere, nicht invasive Möglichkeiten, eine Geburt beobachtend zu begleiten. Ihre Aufgabe erfüllt die vaginale Untersuchung dort, wo es gilt, ein konkretes geburtshilfliches Problem zu diagnostizieren, um entsprechend darauf reagieren zu können. Ist man sich dessen bewusst, dass jede vaginale Untersuchung eine Intervention ist, die nur in indizierenden Situationen und nach Einholung des deutlichen Einverständnisses der Frau durchgeführt werden kann, so spielt diese als besonderes geburtshilfliches Diagnoseinstrument nach wie vor eine wichtige Rolle bei der Vermeidung von Komplikationen. 5.2 Die Rezeption der vaginalen Untersuchung durch die Gebärende Auch die interviewten Frauen akzeptieren die vaginale Untersuchung als notwendige Maßnahme unter der Geburt. Gleichzeitig wird diese als unangenehm, manchmal als störend und in einzelnen Fällen sogar als traumatisch empfunden. Weiters ist festzustellen, dass vaginale Untersuchungen am Anfang der Geburt besser toleriert werden als im weiteren Verlauf, was mit dem hormonell bedingten, zunehmenden Rückzug der Gebärenden in ihre eigene Welt erklärbar wäre. In keinem Interview wurde die Frau de facto vor die Wahl gestellt, einer vaginalen Untersuchung zuzustimmen oder diese abzulehnen. Mit vaginalen Untersuchungen einhergehende 95 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Maßnahmen wie das Muttermund-Dehnen werden überwiegend als schmerzhaft erlebt. Die Beziehung zur Hebamme beeinflusst die Toleranz vaginalen Untersuchungen gegenüber ebenso wie die psychische Konstitution der Gebärenden. Hat sich ein Vertrauensverhältnis entwickelt, werden vaginale Untersuchungen und auch andere Maßnahmen leichter angenommen, als wenn das nicht der Fall ist. Vor dem Hintergrund einer guten Beziehung zu ihrer Hebamme bzw. ihrer/m GeburtshelferIn kommen Frauen mit den vaginalen Untersuchungen und anderen geburtshilflichen Maßnahmen gut zurecht. Traumatisierend hingegen wirken sehr schmerzhafte Untersuchungen und solche, die unangekündigt durchgeführt werden. In manchen Fällen ist das Geburtserlebnis direkt geprägt von den vaginalen Untersuchungen, insbesondere dann, wenn diese sehr schmerzhaft waren oder sehr häufig durchgeführt wurden. Indirekt wirkt sich auch der über wiederholte vaginale Untersuchungen entstehende Zeitdruck auf das Erleben der Geburt aus und hinterlässt ein Gefühl des Getrieben-Worden-Seins oder des Zu-Langsam-GewesenSeins. Eine weitere Auswirkung der vaginalen Untersuchung auf das Geburtserlebnis ist über die Interventionen, die diese häufig nach sich ziehen, feststellbar. Jeder geburtshilflichen Intervention geht eine vaginale Untersuchung voraus, die als Entscheidungsgrundlage für das weitere Vorgehen herangezogen wird. Das betrifft geburtsbeschleunigende Maßnahmen ebenso wie die Schmerzmedikation. So kann die vaginale Untersuchung als Wegbereiter für Amniotomie, Oxytocingabe, Periduralanästhesie, Vakuumextraktion, Kristeller-Handgriff, Episiotomie oder Sectio angesehen werden. Von den zehn interviewten Frauen wurde bei fünf Erstgeburten ein protrahierter Geburtsverlauf diagnostiziert, ebenfalls fünf hatten bei ihrem ersten Kind eine Periduralanästhesie, bei vier Frauen wurde die Geburt mittels Oxytocin beschleunigt. Zwei Primiparae hatten eine sekundäre Sectio, zwei eine Vakuumextraktion, bei einer wurde die Spontangeburt in Sectiobereitschaft und bei einer weiteren in 96 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Vakuumbereitschaft durchgeführt. Dass diese Maßnahmen wenig Raum lassen für Intimität und das Geburtserlebnis maßgeblich beeinflussen, ist leicht nachvollziehbar. „After all, ‚failure to progress’ might be called ‚failure to wait’.“ (Shearer in: Simkin et al. 2012: 158) 5.3 Die vaginale Untersuchung als Lernfeld in der Hebammenausbildung Die Beschreibung der vaginalen Untersuchung ist - besonders in den deutschen Hebammenlehrbüchern - verkürzt. Das betrifft die Begründung der vaginalen Untersuchung ebenso wie deren Positionierung im Prozess der Begleitung einer Geburt. Auch die konkrete Durchführung von vaginalen Untersuchungen und die Dinge, die es in deren Umfeld zu beachten gilt, werden meiner Meinung nach nicht ausführlich genug behandelt. Ein Aspekt, der in keinem Lehrbuch erwähnt wird, ist die auch von Stewart betonte innere Barriere, die Hebammen haben können, wenn es darum geht, einen so intimen Eingriff vorzunehmen. Da es keine Evidenzen für die Sinnhaftigkeit einer routinemäßigen Durchführung von vaginalen Untersuchungen – in welchen Abständen auch immer - gibt, sollten alle diebezüglichen Empfehlungen in den Hebammenlehrbüchern einer differenzierteren Betrachtungsweise weichen. Die vaginale Untersuchung wäre somit nicht mehr als Routinemaßnahme, sondern als Intervention darzustellen, für die es klare Indikationen braucht und ebensolche Kontraindikationen gibt. Sowohl Indikationen als auch Kontraindikationen wären nicht nur aus medizinischer, sondern auch aus individueller und psychosozialer Perspektive zu stellen. Beispielsweise wäre die Tatsache, dass eine Frau eine vaginale Untersuchung möchte genauso eine Indikation dafür, wie es eine Kontraindikation wäre, wenn sie eine solche ablehnte. Was die konkrete Durchführung von vaginalen Untersuchungen betrifft, ist es angebracht, diese aus unterschiedlichen Perspektiven darzustellen und darauf einzugehen, dass es manchmal sinnvoll ist, von der vaginalen Untersuchung in Rückenlage Abstand zu nehmen und diese auf einem Gebärhocker oder im Vierfüßlerstand durchzuführen. Dass sich in letztgenannter Position alle wesentlichen Parameter zur Bestimmung der kindlichen Haltung und Einstellung aus genau entgegengesetzter Perspektive präsentieren, sollte sowohl im Text als auch in Zeichnungen berücksichtigt werden. 97 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Was zur Darstellung der vaginalen Untersuchung in einem Lehrbuch dazugehören sollte, ist auch die detaillierte Beschreibung dessen, was in deren Umfeld zu beachten ist. Kommunikative Fähigkeiten, die der Gebärenden eine freie Entscheidung für oder gegen diese Intervention erlauben, sind damit ebenso gemeint wie der professionelle Beziehungsaufbau, der einem solchen Eingriff in jedem Fall vorausgehen müsste. Der praktische Unterricht zur Durchführung einer vaginalen Untersuchung sollte gezielt den Erwerb und das Üben dieser Fähigkeiten mit einbeziehen. Dabei braucht es auch den Raum zur Selbstreflexion. Betastet man als Fachperson die Vagina einer fremden Frau, bedarf es einer Strategie, um diesen Tabubruch vor sich selbst zu rechtfertigen. In Ermangelung ausreichender Lern- und Reflexionsmöglichkeiten entwickelt vermutlich jede Hebamme und auch jede/r GeburtshelferIn, je nach Persönlichkeitsstruktur ihre/seine eigenen diesbezüglichen Schutzmechanismen. Über Strategien wie Verdrängung oder Entpersönlichung geht dabei mitunter der Blick auf die Gesamtsituation verloren. Es gilt, schon in der Ausbildung eine Atmosphäre des Vertrauens aufzubauen, die es ermöglicht, über alle im Zusammenhang mit vaginalen Untersuchungen auftretenden Gefühle, Bedürfnisse, Widerstände und Probleme zu sprechen und das eigene Handeln in geschütztem Rahmen zu reflektieren. Wenn man das regelmäßige vaginale Untersuchen unter der Geburt in Frage stellt, geht eine essentielle Diagnosemöglichkeit des Geburtsfortschritts verloren. Umso wichtiger ist es, andere Zeichen, die über den Geburtsverlauf Auskunft geben können, in die Lehrbücher mit aufzunehmen und dem Kapitel über die vaginalen Untersuchungen, eines über andere Möglichkeiten zur Beobachtung des Geburtsfortschritts an die Seite zu stellen. 5.4 Die vaginale Untersuchung in der praktischen Hebammenarbeit In unserer Geburtshilfe ist das regelmäßige vaginale Untersuchen als fixer Bestandteil der Betreuung einer Gebärenden fest verankert. Gleichzeitig legen die Studien von Stewart nahe, dass es auch den Hebammen nicht angenehm ist, Frauen unter der Geburt wiederholt vaginal zu untersuchen. Zunächst fehlt es an psychosozialen und kommunikativen Werkzeugen, die den professionellen und 98 Die vaginale Untersuchung während der Geburt gleichzeitig empathischen Umgang mit intimen Eingriffen generell erleichtern. Darüber hinaus stehen Hebammen im Krankenhaus unter dem Druck eines hierarchiegeleiteten Systems, das sie kontrolliert und von ihnen die Kontrolle der Gebärenden einfordert. So schließt diese Arbeit, inspiriert von Anregungen aus der Literatur und aus den Interviews, mit einigen Impulsen für die Praxis, die es Hebammen und Gebärenden erleichtern könnte, mit vaginalen Untersuchungen zurechtzukommen: • Bevor eine vaginale Untersuchung durchgeführt werden kann, muss ein Beziehungsaufbau stattgefunden haben, der es beiden, der Hebamme und der Gebärenden erleichtert, mit diesem intimen Eingriff zurechzukommen. • Weiters bedarf es vor der Durchführung einer vaginalen Untersuchung einer ausführlichen Aufklärung der Frau. Ihr Einverständnis oder ihre Ablehnung werden abgewartet. Ohne Einverständnis wird keine vaginale Untersuchung durchgeführt. • Auch während der Untersuchung wird mit der Frau gesprochen, nach der Untersuchung werden ihr die Egebnisse mitgeteilt. • Eine Unterbrechung der Untersuchung durch die Frau muss, auch nach gegebenem Einverständnis, jederzeit möglich sein. • Zusätzliche Maßnahmen wie das Dehnen des Muttermundes sind äußerst schmerzhaft, und nicht evidenzbasiert. Sie sollten daher nicht gemacht werden. • Die Intimsphäre der Frau ist in jedem Fall zu wahren. • Vaginale Untersuchungen sind keine routinemäßigen Maßnahmen sondern Interventionen, die nur durchgeführt werden, wenn es dafür eine konkrete Indikation gibt. Die Zeit alleine stellt keine Indikation für eine vaginale Untersuchung dar. • Indikationen und Kontraindikationen auf medizinischer und psychosozialer Ebene sind gleich wichtig. • Jede Intervention hat Wirkungen und mögliche Nebenwirkungen. Auch dieser muss man sich vor der Durchführung einer vaginalen Untersuchung bewusst sein. 99 Die vaginale Untersuchung während der Geburt • Vaginale Untersuchungen sollten sich an den Bedürfnissen der Gebärenden orientieren. Sie sollten in der für sie angenehmsten Position durchgeführt werden und sie nicht in ihrer Geburtsarbeit stören. • Hebammen brauchen die Möglichkeit, sich in geschütztem Rahmen über ihre Erfahrungen mit vaginalen Untersuchungen auszutauschen, voneinander zu lernen und ihre praktischen und kommunikativen Kompetenzen immer wieder zu verbessern. • Es gibt auch andere Möglichkeiten, den Geburtsfortschritt zu beobachten. Das Verhalten der Gebärenden, ihr Kontakt zu ihrem Umfeld, die Art wie sie atmet, tönt und auf Stimuli von außen reagiert, ihr Hunger- oder Durstgefühl, ihr Rhythmus, ihre Bewegungsmuster, die Form und Frequenz ihrer Wehen alles das lässt drauf schließen, in welchem Stadium der Geburt sich eine Wehende befindet. Die Beobachtung dieser Merkmale sollte anerkannter Bestandteil der Hebammenarbeit sein, damit Hebammen mit zunehmender Erfahrung immer mehr auf vaginalen Untersuchungen verzichten können. • In die Darstellung des Geburtsverlaufes mittels Partogramm sollten auch oben genannte Merkmale zur Einschätzung des Geburtsfortschritts aufgenommen werden. Hebammen dürfen nicht dazu genötigt werden, regelmäßige vaginale Untersuchungen durchzuführen, nur um diese in ein Partogramm eintragen zu können. Die vaginale Untersuchung hat, wie auch Stewart anmerkt, ihren wichtigen Platz in der Hebammenarbeit. Analog zu dem von Hildebrandt geprägten Begriff des konstruktiven und des destruktiven Geburtsstillstandes, könnte man auch von der konstruktiven und der destruktiven vaginalen Untersuchung sprechen. Dort, wo eine vaginale Untersuchung dazu beiträgt, ein geburtshilfliches Problem zu beheben, ist sie konstruktiv und daher angezeigt. Überall anders wirkt sie störend, bzw. destruktiv und ist daher zu vermeiden. 100 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Literaturverzeichnis Abukhalil, I.H.; Kilby, M.D.; Aiken, J.; Persad, V.; Sinclair, D.; Johanson, R.B.; Redman, C.W.E. (1996): Can the frequency of vaginal examinations influence the duration of birth? A prospective randomised study. Journal of Obstetrics ans Gynaecology, 01443615, 16(1), S.22-25 Baston, H.; Hall J. (2009a): Midwifery Essentials. Antenatal. Volume 2. Edinburgh. Churchill Livingstone, Elsevier Baston, H.; Hall J. (2009b): Midwifery Essentials. Labour. Volume 3. Edinburgh. Churchill Livingstone, Elsevier Baston, H.; Hall J. (2009c): Midwifery Essentials. Postnatal. Volume 4. Edinburgh. Churchill Livingstone, Elsevier Baston, H.; Hall J.; Henley-Einion, A. (2009): Midwifery Essentials. Basics. Volume 1. Edinburgh. Churchill Livingstone, Elsevier Bergstrom, L.; Roberts, J.; Skillman, L.; Seidel, J. 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Amniotomie: Manuelles Öffnen der Fruchtblase zur Geburtseinleitung oder Geburtsbeschleunigung. Blutkoagel: Gestocktes Blut, das in Klumpen zusammenhält. Cardiotokogramm/Kardiotokogramm (CTG): Herzton-Wehenaufzeichnung Dystokie: Allgemeiner Begriff für unphysiologische Wehen, meist wird eine verzögerte Wehentätigkeit darunter verstanden. Eipolablösung: Im Rahmen einer vaginalen Untersuchung getätigte Ablösung des am inneren Muttermund anliegenden unteren Teils der Fruchtblase. Wird am Ende der Schwangerschaft oder bei Terminüberschreitung gemacht, um die Geburt in Gang zu setzen. Episiotomie: Dammschnitt Erstgravida: Frau in ihrer ersten Schwangerschaft. Erstpara: Erstgebärende Fetale Skalpelektrode/Kopfschwartenelektrode: Unter der Geburt verwendete Schraubelektrode, die man in der Kopfhaut des Kindes anbringt, um so die Herztöne direkt ableiten zu können. Fetus: Name für das Kind intrauterin nach Abschluss der Organentwicklung, ab der 13. Schwangerschaftswoche. Hypertonie: Bluthochdruck Introitus: Scheideneingang Kristeller-Handgriff: Handgriff zur Unterstützung der Expression des Kindes am Ende der Geburt. Mit Kraft wird auf dem Bauch der Mutter, vom oberen Rand der Gebärmutter her, gleichzeitig mit einer Wehe das Kind in Richtung Scheidenausgang geschoben. Labien: Schamlippen Latenzphase: Erste Phase der Geburt, geht mit deutlich spürbaren Wehen einher, die jedoch noch nicht öffnend auf den Muttermund wirken.. 107 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Mikroblutgasuntersuchung (MBU): Mittels eines Lanzettenstichs wird dem Kind unter der Geburt vom Kopf Blut abgenommen. Anschließend wird der pH Wert analysiert. Dieser lässt Rückschlüsse darauf zu, wie es dem Kind intrauterin geht. Multipara: Mehrgebärende; Frau die mehr als ein Kind geboren hat. Neonatales Outcome: Vitalzustand und Gesundheitszustand des Neugeborenen. Partogramm: Graphische Darstellung des Geburtsfortschritts mittels Koordinatensystem. Auf der x-Achse wird die Zeit eingetragen, auf der y-Achse das Ergebnis der jeweiligen vaginalen Untersuchung. Periduralanästhesie (PDA): „Kreuzstich“; Lokale, über eine Anästhesie des Wirbelkanals laufende Betäubung der Region ab dem Brustbein zur Schmerzausschaltung unter der Geburt. Plazenta praevia: Plazenta, die im unteren Segment der Gebärmutter so angelegt ist, dass sie zumindest teilweise dem Muttermund vorliegt. Portio: Muttermund Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS): Psychische Ekrankung, die als Folge einer schweren Belastung bzw. eines Traumas auftritt und mit einer tiefen Erschütterung der Persönlichkeit einhergeht. Primigravida: Frau in ihrer ersten Schwangerschaft. Primipara: Erstgebärende Proteinurie: Eiweiß im Harn Protrahierte Geburt: Verzögerte, zu lange dauernde Geburt. Sectio: Kaiserschnitt Sekundäre Sectio: Ein Kaiserschnitt, der im Unterschied zu einer primären Sectio nicht von vornherein geplant ist, sondern zu dem man sich im Verlauf einer Geburt auf Grund bestimmter Indikationen entscheidet. Spekulaeinstellung: Bei der gynäkologischen Untersuchung übliches Auseinanderhalten der Vaginalwände mittels eines gynäkologischen Spiegels, der die Sicht auf den Muttermund frei gibt. Vaginal operative Entbindung: Geburt, die zwar vaginal aber mit Hilfe geburtshilflicher Instrumente wie Geburtszange oder Saugglocke stattfindet. Vakuumextraktion (VE): Geburt mit Saugglocke. Venflon: Venenverweilkanüle Zervix: Gebärmutterhals Zweitpara: Zweitgebärende (analog: Drittpara etc.) 108 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Abkürzungen Abkürzungen im Deutschen: AB: CTG: MBU: p.p.: PDA: PTBS: VE: VKT: VU: Abortus Cardiotokogramm Mikroblutgasuntersuchung post partum, d.h. nach der Geburt Periduralanästhesie Posttraumatische Belastungsstörung Vakuumextraktion Vorangehender Kindesteil Vaginale Untersuchung Abkürzungen im Englischen: BP: PTSD: VE: Blood Pressure Posttraumatic stress desease Vaginal examination 109 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Anhang 1 Email an KollegInnen zur Rekrutierung von Interviewpartnerinnen: Liebe Hebammenkollegin, liebe Gynäkologin, lieber Gynäkologe, mein Studium an der Fachhochschule für Gesundheit in Innsbruck geht dem Ende zu und ich schreibe bereits an meiner Masterthese mit dem Titel: Die vaginale Untersuchung während der Geburt. Ein Eingriff zwischen Routinemaßnahme und Intimitätsverletzung. In diesem Zusammenhang geht es mir darum, herauszufinden, ob die in unseren geburtshilflichen Einrichtungen übliche Praxis des vaginalen Untersuchens unter der Geburt das Geburtserlebnis von Frauen prägt oder nicht. Um diese Frage beantworten zu können, werde ich im Rahmen einer qualitativen Studie Frauen nach der Geburt interviewen. Ich möchte sie zu ihrem Geburtserlebnis und dem Erleben der vaginalen Untersuchung befragen. Die so entstandenen Interviews werden anonymisiert und mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet. Es ist mir bewusst, dass ich einen sehr intimen Bereich anspreche und dass das ein hohes Maß an Achtsamkeit erfordert. Diese bin ich bereit, mitzubringen. Dass alle Aussagen nur in anonymisierter Form verwendet werden mag die Bereitschaft, an meiner Studie teilzunehmen, erleichtern. Nun der aktuelle Anlass, warum ich dir schreibe und gleich meine Bitte: Ich bin auf der Suche nach Frauen, die bereit wären, mit mir ein Interview zu diesem Thema zu machen. Im Anhang findest du ein Aufklärungsblatt, das sich an potentiell interessierte Frauen richtet und Thema, Gegenstand und Ziel meiner Studie formuliert. Ich wäre sehr dankbar, wenn du dieses Aufklärungsblatt an Frauen, die für so ein Interview in Frage kommen, weitergeben könntest. Wenn ich dir ausgedruckte Exemplare per Post zuschicken soll, sag mir bitte Bescheid – das mache ich natürlich gerne! Auf dem Infoblatt sind meine Kontaktdaten enthalten, so dass sich interessierte Frauen selbständig mit mir in Verbindung setzen können. Natürlich werden sie das eher tun, wenn sie dazu motiviert werden - vielleicht sogar mit der Empfehlung, die Gelegenheit, ihre Geburt noch einmal reflektieren zu können, doch zu nützen… Die wichtigsten Details in Kürze: 1.) Zeitplan Dieser Teil meiner Arbeit muss bis Mitte Juni abgeschlossen sein - das heißt, je eher sich Frauen bei mir melden desto besser - am liebsten wäre es mir, wenn ich im April und im Mai alle Interviews machen könnte. Insgesamt strebe ich 10 Interviews an. 2.) Zielgruppe Meine Zielgruppe sind Frauen nach der Geburt • Geburtsmodus: alles außer primäre Sectio 110 Die vaginale Untersuchung während der Geburt • • • • • Geburtsdauer: alles über 2 Stunden Geburtstort: Krankenhaus, Geburtshaus, Hausgeburt Parität: spielt keine Rolle Wie lange sollte die letzte Geburt zurückliegen? Je weniger weit die Geburt zurückliegt umso besser - maximal 2 Jahre Wohnort der Frauen: Wien und Niederösterreich, vorzugsweise in der näheren Umgebung von Wien Ja, so bedanke ich mich gleich einmal im Voraus für die Unterstützung und hoffe darauf, dass sich Frauen finden, die bereit sind, ihre Erfahrungen mit mir zu teilen. Wenn du meine Mail und das Infoblatt auch an andere Kolleginnen/Kollegen weiterleiten möchtest, freut mich das! Wenn du an den Ergebnissen meiner Arbeit interessiert bist - gerne kann ich dich nach deren Fertigstellung wieder kontaktieren… Herzliche Frühlingsgrüße Lisa Rakos 111 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Anhang 2 Aufklärungsbogen für Probandinnen: Aufklärungsblatt zur Studie im Rahmen der Masterarbeit von Lisa Rakos, Hebamme 3012 Wolfsgraben Tel: 0676/5001962 Email: lisa.rakos@kabsi.at Studiendesign: Interviews mit Frauen nach der Geburt Thema der Masterarbeit: Die vaginale Untersuchung während der Geburt. Georgia O´Keeffe: Light Iris Mein Name ist Lisa Rakos , ich bin seit 17 Jahren Hebamme und arbeite derzeit hauptberuflich als Lehrende in der Hebammenausbildung auf der FH Campus Wien. Daneben bin ich freiberuflich als Wahlhebamme, in der Hausgeburtshilfe und in der Vor- und Nachsorge tätig. Bis 2009 war ich in Teilzeit als Hebamme im Krankenhaus angestellt. Derzeit absolviere ich an der Fachhochschule Gesundheit Tirol ein vertiefendes Hebammen-Masterstudium. Dieses Semester möchte ich im Rahmen meiner Abschlussarbeit eine qualitative Studie durchführen, in der es darum geht herauszufinden, ob die in österreichischen Krankenhäusern übliche Maßnahme der vaginalen Muttermundskontrolle das Geburtserlebnis beeinflusst oder nicht. Der Titel meiner Masterarbeit lautet „Die vaginale Untersuchung während der Geburt. Ein Eingriff zwischen Routinemaßnahme und Intimitätsverletzung“. Zum Hintergrund: In unseren geburtshilflichen Einrichtungen (Krankenhaus, Geburtshaus, aber auch in der Hausgeburtshilfe) wird der Geburtsfortschritt meist so kontrolliert, dass die Hebamme oder die Frauenärztin/der Frauenarzt in regelmäßigen Abständen den Muttermund ertastet. Sowohl die Weite der Muttermundes, (0 bis 10 cm) als auch dessen Konistenz (weich – straff) können ermittelt werden. Auch wie das Köpfchen des Babys im Becken postioniert ist und wie hoch es im Becken steht, kann man mit der vaginalen Tastuntersuchung herausfinden. Je nach Situation wird diese Untersuchung ab dem Aufnahmezeitpunkt alle 2-4 Stunden wiederholt, manchmal 112 Die vaginale Untersuchung während der Geburt besonders in der letzten Phase der Geburt, also wenn das Baby schon fast da ist auch häufiger. Für manche Frauen sind vaginale Untersuchungen unter der Geburt hilfreich, weil sie dann über ihren Geburtsfortschritt Bescheid wissen. Ich habe als Hebamme aber auch erlebt, dass für die gebärende Frau diese Untersuchung unangenehm sein kann. Ich möchte nun durch eine Befragung von Frauen nach der Geburt herausfinden, wie sie die Geburt ihres Kindes erlebt haben, wie das übliche vaginale Untersuchen bei den von mir interviewten Frauen gehandhabt wurde und wie es ihnen damit gegangen ist. Es ist mir bewusst, dass ich einen sehr intimen Bereich anspreche, und dass das ein hohes Maß an Sensibilität und Achtsamkeit erfordert, die ich mitzubringen bereit bin. Alle Angaben und Äußerungen im Interview und auch davor und danach werden vertraulich behandelt und nur in anonymisierter Form für diese Studie verwendet. Wenn Sie damit einverstanden sind, bei einem Interview mitzumachen, bitte ich Sie, die unten angeführte schriftliche Einwilligungserklärung zu lesen und zu unterschreiben. Ich bin gerne bereit, Ihnen meine Studie nach deren Fertigstellung zukommen zu lassen. 113 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Anhang 3 Einwilligungserklärung Ich, ........................................................... (Name) erkläre mich bereit, an der Studie Zum Thema „Die vaginale Untersuchung während der Geburt“ teilzunehmen. Diese Studie wird von Frau Elisabeth Rakos im Zuge der Erstellung ihrer Masterthese mit dem vollständigen Titel „Die vaginale Untersuchung während der Geburt. Ein Eingriff zwischen Routinemaßnahme und Intimitätsverletzung“ an der Fachhochschule Gesundheit Tirol durchgeführt. Genauere Informationen über Ziel und Inhalt der Studie habe ich schriftlich in Form des oben angeführten Aufklärungsblattes erhalten. Ich habe das Aufklärungsblatt und die Einwilligungserklärung gelesen und verstanden. Ich bin darüber hinaus ausführlich und in einer für mich verständlichen Art und Weise über die Studie informiert und aufgeklärt worden. Offene Fragen wurden eingehend mit mir erörtert, sodass ich derzeit keine offenen Fragen habe. Sollten sich Fragen ergeben, kann ich mich jederzeit an Frau Rakos wenden. (Tel.: 0676/5001962, Email: lisa.rakos@kabsi.at ) Eine Kopie von Aufklärungsblatt und Einwilligungserklärung habe ich erhalten. Mir wurde erklärt, dass die Studie zu wissenschaftlichen Zwecken durchgeführt wird und alle meine Angaben vertraulich behandelt werden. Ich bin damit einverstanden, dass Angaben zu meiner Person zu Studienzwecken aufgezeichnet sowie in anonymisierter Form gespeichert, verwendet bzw. wissenschaftlich ausgewertet und veröffentlicht werden. Ich wurde darüber aufgeklärt, dass ich meine freiwillige Mitwirkung an der Studie auch nach Beginn der Befragung jederzeit beenden kann, ohne dass mir daraus Nachteile entstehen. Ich hatte ausreichend Zeit, mich aus freiem Willen für eine Teilnahme zu entscheiden. Mit meiner Unterschrift erkläre ich meine freiwillige Zustimmung zur Teilnahme an der Studie „Die vaginale Untersuchung während der Geburt“. _____________________________________________ Ort, Datum _____________________________________________ Unterschrift der Probandin _____________________________________________ Unterschrift Elisabeth Rakos 114 Die vaginale Untersuchung während der Geburt Anhang 4 Interviewleitfaden für Probandinnen (Frauen nach der Geburt) im Rahmen der Studie „Die vaginale Untersuchung während der Geburt“ Methodische Anmerkung Der Interviewleitfaden in einer qualitativen Studie versteht sich im Gegensatz zu einem standardisierten Fragebogen als „Gerüst, das heißt, er belässt dem Interviewer weitgehende Entscheidungsfreiheit darüber, welche Frage wann in welcher Form gestellt wird. Mit dem Fragebogen des standardisierten Interviews hat der Leitfaden gemeinsam, dass er Ergebnis einer Operationalisierung ist. Im Falle des Leitfadens besteht die Operationalisierung darin, die Leitfragen in Interviewfragen zu übersetzen, die an den Alltag des Interviewpartners anschließen.“30 Letztendlich geht es mir darum, aus den Antworten der Interviewpartnerinnen das situative Erleben der Maßnahme31, die mich im Rahmen meines Forschungsprojektes interessiert, zu rekonstruieren, um so Antworten auf meine Forschungsfrage zu finden. Einleitung des Interviews Ich möchte mich sehr herzlich dafür bedanken, dass du dich für dieses Interview zur Verfügung gestellt hast. Die Dauer des Interviews wird eine gute Stunde betragen, ich nehme mir aber so viel Zeit, wie wir benötigen, um unser Gespräch in Ruhe führen zu können. Wenn dir nach dem Interview Dinge einfallen, die du noch gerne gesagt hättest, kannst du mich gerne telefonisch kontaktieren, um diese einzubringen. Ziel dieser Befragung ist es, herauszufinden, wie du die Geburt deines Kindes im Krankenhaus/zu Hause/im Geburtshaus erlebt hast. Es interessiert mich, wie du dort die Betreuung und Begleitung durch Hebammen und ÄrztInnen wahrgenommen hast. Ich möchte gerne wissen, was für Maßnahmen und Eingriffe durchgeführt wurden, ob du dich dabei wohl und sicher gefühlt hast, oder ob es auch Dinge gab, die du als störend oder unangenehm empfunden hast. Insbesondere ist mir wichtig zu erfahren, wie die üblichen vaginalen Untersuchungen, die der Feststellung des Geburtsfortschritts dienen, bei dir angewendet wurden und wie es dir damit ergangen ist. Es ist mir bewusst, dass ich einen sehr intimen Bereich anspreche, und dass das ein hohes Maß an Sensibilität und Achtsamkeit erfordert, die ich bereit bin, mitzubringen. Deine Angaben werden vertraulich behandelt, nur in anonymisierter Form und nur für diese Studie verwendet. Ich bin gerne bereit, dir meine Studie nach deren Fertigstellung zukommen zu lassen. Leitfaden für die Fragestellung 1. Zu Beginn ein paar allgemeine Fragen: 1.1 Wie lange ist die (letzte) Geburt nun her? 30 Gläser, J. & Laudel, G. (2010). Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse. Wiesbaden: Verlag für Sozialwisssenschaften, S.142 31 Die vaginale Untersuchung während der Geburt 115 Die vaginale Untersuchung während der Geburt 1.2 Wie geht es dir mit eurem Baby und mit der neuen Familienkonstellation? 2. Fragen, die Schwangerschaft, besonders die Zeit vor der Geburt betreffen: 2.1 Wie hast du euren Schwangerschaftsverlauf in Erinnerung? 2.2 Wie/von wem wurdest du in der Schwangerschaft betreut? Wie sah die Betreuung im Krankenhaus aus? • Was waren deine Auswahlkriterien für das Krankenhaus, was war dir ganz besonders wichtig? • Welche Untersuchungen und Termine hast du dort wahrgenommen? (Schwangerenambulanz, Geburtsvorbereitungskurse, Kreißsaalführungen) • Hattest du die Möglichkeit, das Personal (Hebammen, ÄrztInnen) schon vor der Geburt kennenzulernen? 3. Fragen zur Geburt im Allgemeinen: 3.1 Wann und wie ging die Geburt los? • Wer hat dich im Krankenhaus aufgenommen, was für Maßnahmen wurden gesetzt und von wem? (Anamnese, CTG, VU, Venflon...) • Wie wurdest du nach der Aufnahme weiter betreut? • 3.2 Wie war der weitere Verlauf der Geburt? (Dauer, Schmerzen, Maßnahmen...) • Was für Maßnahmen wurden in den einzelnen Phasen der Geburt gesetzt? • Wie wurde dein Kind geboren? (Geburtsmodus, Geburtsposition...) • Wie hast du die Plazentageburt und die ersten 2-3 Stunden nach der Geburt in Erinnerung? 4. Fragen zur vaginalen Untersuchung im Besonderen 4.1 Wie wurde das vaginale Untersuchen zur Kontrolle des Geburtsfortschrittes in deinem Fall gehandhabt? • Von wem wurdest du untersucht (Hebamme, ÄrztIn, Studentin, abwechselnd) • Wie oft / in welchem Abstand wurdest du vaginal untersucht? Hast du den Eindruck, dass es oft war oder eher selten? 4.2 Wie gingen diese Untersuchungen vonstatten? • Hat man dir vor der Untersuchung erklärt, warum diese gemacht werden sollte? • Wurdest du vor der vaginalen Untersuchung gefragt, ob du damit einverstanden bist? • Hattest du die Möglichleit, diese abzulehnen? (immer, manchmal, nie, von ... schon, von ... nicht) • Hat man dich vor jeder vaginalen Untersuchung informiert, oder hast du auch erlebt, dass unangekündigt vaginal untersucht wurde? • Wurde dir nach den Untersuchungen das Ergebnis mitgeteilt (immer, manchmal, nie, von ... schon, von ... nicht) • Was hast du für einen Eindruck, wie lange so eine vaginale Untersuchung gedauert hat? Eher lang, eher kurz? • Wurden diese Untersuchungen immer außerhalb der Wehe oder auch während einer Wehe durchgeführt? Wenn ja, wurde dies begründet? 116 Die vaginale Untersuchung während der Geburt • Wurde bei dir im Zusammenhang mit einer vaginalen Untersuchung auch der Muttermund aufgedehnt um die Geburt zu beschleunigen? Wie hast du das erlebt? (angenehm - weil dann etwas weiterging, neutral, unangenehm schmerzhaft) 4.3 Wie hast du die vaginalen Untersuchungen während der Geburt insgesamt wahrgenommen? • Würdest du sagen, dass die vaginalen Untersuchungen gut tolerierbar waren? • Haben die vaginalen Untersuchungen wehgetan, dh Schmerzen verursacht? • Haben die vaginalen Untersuchungen deine Intimsphäre gestört oder dein Schamgefühl verletzt? • Hast du das Gefühl von Kontrollverlust gehabt oder von Ohnmacht? • Haben die vaginalen Untersuchungen dein Geburtserlebnis beeinträchtigt? (haben diese gestört, irritiert, verunsichert, geschmerzt, erschreckt... ) 5. Resümee 5.1 Hat die Geburtsleitung und Geburtsbetreuung im Krankenhaus/ zu Hause/im Geburtshaus deinen Erwartungen entsprochen? • Was hast du in guter Erinnerung? Welche Maßnmahmen und Interventionen hast du als positiv, unterstützend, angenehm, geburtserleichternd ... empfunden? • Welche Maßnahmen und Eingriffe haben dich irritiert, was war störend, unangenehm, schmerzhaft. Was hast du in schlechter Erinnerung? • Gab es Dinge, die du nicht erwartet hattest? 5.2 Was würdest du dir, für den Fall, dass du noch ein Kind bekämest, wieder so wünschen, was würdest du anders machen bzw. anders wollen? 6. Alllgemeine Daten Alter: Familienstand: Herkunftsland: Beruf: G/P: Alter des jüngsten Kindes: Geburtsdauer in Stunden: Geburtskomplikationen: Geburtsmodus + Indikation: Geburtsort: Bei Krankenhaus (< 1000 Geburten / > 1000 Geburten / Perinatalzentrum): Vielen Dank für das Gespräch! 117 Eidesstattliche Erklärung Master-Thesis Daten Studierende Nachname Vorname Titel Personenkennzeichen Studiengang/Lehrgang Jahrgang, Klasse Rakos Elisabeth Matrikelnummer 1030006015 Master of Science in Advanced Practice Midwifery 2010-2012 Ich erkläre hiermit, dass ich die Master-Thesis zum Thema Die vaginale Untersuchung während der Geburt. Ein Eingriff zwischen Routinemaßnahme und Intimitätsverletzung selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt sowie alle wörtlich oder dem Sinn nach aus anderen Texten entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Dies gilt für gedruckte Texte ebenso wie für dem Internet entnommene Texte, audiovisuelle Medien, Hörbücher und Bildnachweise. Wolfsgraben, 3. Sept. 2012 Ort, Datum Unterschrift der/des Studierenden