Komplementäre und alternative Methoden in der
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Komplementäre und alternative Methoden in der
FORTBILDUNG + KONGRESS THERAPIEOPTIONEN Komplementäre und alternative Methoden in der Geburtshilfe K. Münstedt1, D. Brüggmann1, R. von Georgi2,3 Situationen, in denen die konventionelle Medizin nur begrenzte therapeutische Optionen anbietet, sind in der Geburtshilfe häufig. Manch eine Patientin fragt direkt nach Verfahren aus dem Bereich der komplementären oder alternativen Medizin. Was muss der Arzt berücksichtigen, um solche Methoden sinnvoll in die Betreuung seiner Patientinnen integrieren zu können? Der Zeitraum einer Schwangerschaft ist für eine Frau meist mit Freude und positiven Erwartungen verknüpft. Dennoch erleben viele Schwangere Ängste bezüglich ihrer eigenen Gesundheit, der Ent- bzw. Fehlentwicklung ihres ungeborenen Kindes und der anstehenden Geburt. Sie fühlen sich von der Veränderung der eigenen Rolle in Partnerschaft und Freundeskreis beunruhigt und beschäftigen sich mit Fragen ihrer finanziellen und beruflichen Zukunft. Je nach Persönlichkeit der Schwangeren und Unterstützung durch das soziale Umfeld erzeugen diese physischen Anpassungen und psychosozialen Anforderungen Stress, der Schwangerschaftskomplikationen hervorrufen oder verstärken kann (1, 2). Diese auf die Zukunft gerichteten Ängste, die eine Schwangere durchlebt, sind zum Teil mit denen chronisch kranker Patienten vergleichbar, die z.B. an Autoimmunerkrankungen oder Krebs leiden. Vor diesem Hintergrund erscheint es 1 Universitätsfrauenklinik, JustusLiebig-Universität, Gießen 2 Institut für Medizinische Psychologie und Soziologie, Justus-Liebig Universität, Gießen 3 Institut für Musikwissenschaften, Justus-Liebig-Universität, Gießen 1124 FRAUENARZT n 47 (2006) n Nr. 12 nicht verwunderlich, dass Schwangere – wie auch die genannten Personengruppen – häufiger komplementäre und alternative Behandlungsmethoden (CAM) anwenden. Gründe für die Entscheidung für CAM Studien ergaben, dass höhere Stresslevels und schlechte Lebensqualität Tumorpatienten zur CAM motivieren (3, 4). Daraus kann man schließen, dass aus der Perspektive der Schwangeren auch im Bereich der Geburtshilfe komplementäre und alternative Therapien zur Stressreduktion beitragen (2). Diese schaffen oftmals eine Anbindung an die Hebamme, deren Zuwendung als Wohltat empfunden wird. Besonders Patientinnen mit Schwangerschaftskomplikationen fühlen sich hilflos in einen schulmedizinsch-technischen Vorgang der Diagnostik und Therapiefindung eingebunden und glauben sich und ihr ungeborenes Kind durch Chemie und deren Nebenwirkungen bedroht. Mit dem bewussten Entschluss zur Anwendung alternativer Therapiemethoden empfindet sich die Patientin als aktiv im Sinne ihres Kindes mitentscheidend. Die Wirkweisen der CAM-Methoden sind laienätiologisch leicht verständlich (5), gelten im Allgemeinen als sanft, natürlich und frei von Nebenwirkungen und er- scheinen somit als beste Therapie für das ungeborene Leben. Vorbehalte gegenüber der Schulmedizin Ebenfalls vergleichbar mit der Onkologie ist für die Geburtshilfe in Deutschland die nicht seltene Ablehnung schulmedizinischer Methoden, sodass Hausgeburten und die natürliche und alternative Geburtshilfe propagiert werden. Entsprechend diesem Trend haben geburtshilfliche Kliniken Elemente komplementärer und alternativer Medizin in das Management der Geburt integriert, möglicherweise um ein Abwandern in die häusliche Geburtshilfe zu verhindern. Begriffsdefinitionen Um der im Augenblick doch allzu häufig oberflächlichen Diskussion um die Bedeutung von CAM-Behandlungskonzepten zu entgehen und im Sinne des „Wohles des Patienten“ zu einer objektiven Beurteilung zu gelangen, bedarf es zunächst einer genauen Systematisierung der Begriffe. Das jedoch wirft häufig Probleme auf, da offizielle Definitionen nicht existieren und sich die Methoden von konventioneller Medizin und CAM, z.B. im Fall der Kräutermedizin oder der Ernährungsverfahren, vielfach überschneiden. n Alternativ und komplementär Unter einer komplementären Therapie werden Methoden verstanden, die gleichzeitig ergänzend zu einer konventionellen (schulmedizinischen) Behandlung erfolgen und diese potenzieren oder Therapienebenwirkungen verhindern. Entsprechend versteht man unter alternativer Therapie n Quacksalberei, Scharlatanerie, Außenseitermethoden In der Literatur finden sich weitere Ausdrücke zu CAM wie empirisch, unkonventionell, integrativ und holistisch oder pejorative Ausdrücke wie unwissenschaftlich, unbegründet oder quacksalberisch. Als Quacksalberei und Scharlatanerie werden jedoch Methoden bezeichnet, die weniger zur Förderung des Patientenwohls, sondern eher aus Profitstreben angewendet werden und auf bewusster Irreführung oder Täuschung beruhen. Ferner findet man noch den Begriff Außenseitermethoden. Darunter versteht man Verfahren, deren Anwendung in der Regel nicht plausibel erscheint, die auf unbeweisbaren Behauptungen basieren und die sich aufgrund fehlender wissenschaftlicher Standardisierbarkeit, Unzumutbarkeit oder ethischer Bedenken nicht überprüfen lassen. Mancher mag glauben, dass Scharlatanerie einfach zu erkennen sei. Die Realität widerlegt jedoch diese Annahme. Scharlatane übernehmen gerne die aktuellen Trends der wissenschaftlichen Medizin (z.B. Immuntherapien) und verbrämen ihre Konzepte pseudowissenschaftlich. Neuerdings publizieren sie ihre Methoden auch in wissenschaftlichen Medien und nutzen dabei gezielt die Schwachstellen des Systems evidenzbasierter Medizin aus. Als typische Hinweise auf Scharlatanerie oder Quacksalberei gelten folgende Behauptungen und Hinweise: – Hinweis auf exotische Herkunft (Regenwald, Himalaya u.a.); – Behauptung von umfangreichen Erfahrungen, ohne dass Daten aus kontrollierten klinischen Studien vorgelegt werden; – Verwendung seit Jahren oder Jahrzehnten ohne offizielle Anerkennung; – Wirksamkeit gegen eine Vielzahl verschiedener Erkrankungen, die nichts miteinander zu tun haben; – regelmäßige Erfolge, wobei Misserfolge der Schulmedizin angelastet werden; – Heilung, auch wenn die Schulmedizin versagt; – angeblich fehlende Nebenwirkungen oder Reduktion von Nebenwirkungen von schulmedizinischen Verfahren; – Bindung an einzelne Personen, Institutionen oder Hersteller, die die Therapie entwickelt haben und daran verdienen; – komplizierte strenge Vorschriften und schwierige Anwendungen – Misserfolge werden dann auf Anwendungsfehler zurückgeführt; – Unverständnis, dass keine Zulassung als Arzneimittel existiert. CAM-Methoden in der Geburtshilfe Untersuchungen zur Prävalenz von CAM in der Schwangerschaft und unter der Geburt gibt es für Deutschland wenige und auch weltweit nur in mäßigem Umfang. Problem dieser Studien ist häufig die weit gefasste und unsaubere Definition von CAM. Grundsätzlich muss man unterscheiden, ob CAM-Methoden wegen anderer Probleme bereits vor der Schwangerschaft angewendet oder erst gezielt zur Prophylaxe und Therapie von Problemen in der Schwangerschaft eingesetzt wurden. Manche Autoren zählen bereits eine Vitaminsupplementation als komplementäre und alternative Therapie. So fand man in Australien eine 40%ige Rate von CAM-Anwendern unter den Schwangeren, wobei in 24% Vitamine und in 12% Kräuter verabreicht wurden (6). Eine jüngere Studie aus den USA berichtet über eine hohe Einnahmerate nicht verschreibungspflichtiger Medikamente (96,9%), wobei nur in 4,1% Kräuter und alternativmedizinische Methoden angewendet wurden (7). Zur Situation in Deutschland findet sich in der Literatur lediglich die Studie von Beer und Ostermann (8). Sie zeigte, dass – Akupunktur (94,1%), – Homöopathie (83,0%), – Physiotherapie (42,8%), – Phytotherapie (36,0%), – Elektrotherapie (27,5%) und – Ernährungstherapie (23,4%) die wichtigsten durch Ärzte angewendeten Therapien in der deutschen Frauenheilkunde sind (Anwendungshäufigkeiten in Klammern). Diese Studie differenziert leider nicht zwischen der Anwendung im Bereich der Geburtshilfe und der in der Gynäkologie. Ebenso wenig unterschieden werden CAM-Methoden und Methoden, die auch Teil der konventionellen Therapie sind (z.B. Physiotherapie). Um eine Vorstellung zur Prävalenz der Methoden allein im Bereich Geburtshilfe zu erhalten, sind wahrscheinlich die Angaben der befragten Hebammen von größerem Interesse. Abbildung 1 (S. 1126) vergleicht die Anwendungshäufigkeit der wichtigsten CAM-Methoden bei Ärzten und Hebammen. Sie zeigt, dass in Deutschland insbesondere die Homöopathie eine Domäne der Hebammen zu sein scheint, was eine länderspezifische Besonderheit darstellt, so zählt z.B. in Australien diese Methode keineswegs zum Betätigungsfeld der Hebammen (9). FORTBILDUNG + KONGRESS meist eine Behandlung anstelle einer konventionellen Therapie. Kurze Stellungnahmen zu den verbreiteten CAM-Methoden Entsprechend der Anwendungshäufigkeit von CAM durch Hebammen werden die häufigsten Methoden im Folgenden kurz diskutiert. n Homöopathie Die Homöopathie („ähnliches Leiden“, von griech. όµοιον, hómoion, „das Gleiche, Gleichartige“ und πάθοσ, páthos, „das Leid, die Krankheit“) ist eine kontrovers diskutierte alternative Heilmethode, deren Prinzipien um 1800 von Samuel Hahnemann formuliert wurden. Nach dem Grundsatz: „Ähnliches werde durch Ähnliches geheilt“ werden Substanzen, von denen bekannt ist oder angenommen wird, FRAUENARZT n 47 (2006) n Nr. 12 1125 FORTBILDUNG + KONGRESS Anwendungshäufigkeit der wichtigsten CAM-Methoden Akupunktur Homöopathie Phytotherapie Ernährungstherapie 0 20 Anwendung durch n Ärzte n Hebammen 60 80 100 Relative Häufigkeit (%) Abb. 1: Häufigkeit der Anwendung verschiedener komplementärer Methoden bei Ärzten und Hebammen im Bereich der Gynäkologie und Geburtshilfe (nach Beer und Ostermann 2003). sie könnten bei gesunden Menschen der Krankheit ähnelnde Symptome hervorrufen, in „potenzierter“ Form (starker Verdünnung) verabreicht. Dabei glauben Homöopathen, dass die Wirkung durch Verdünnen nicht abgeschwächt, sondern verstärkt wird. In keinem Bereich der Medizin konnte die Homöopathie bisher einen wissenschaftlichen Beweis der Gültigkeit ihrer Gesetze antreten. Verschiedene Meta-Analysen kommen zu dem Schluss, dass die Homöopathie keine Wirkung bzw. nur einen Plazebo-Effekt besitzt (10, 11). Auch gesonderte Betrachtungen im Bereich der Geburtshilfe, z.B. zur Weheninduktion, ergaben keinen überzeugend positiven Effekt (12). Da in den einzelnen Studien oftmals keine Randomisation oder adäquate Plazebomedikation erfolgte, lassen sich die beschriebenen positiven Wirkungen wahrscheinlich auf einen Suggestionseffekt zurückführen. n Akupunktur Nach Meinung der Anhänger der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) fließt die Lebensenergie Qi auf zwölf Hauptmeridianen, die jeweils spiegelverkehrt auf beiden Körperseiten paarig angelegt sind, sowie auf acht Extrameridianen und einer Reihe von so genannten Extrapunkten. Durch das Einstechen der Nadeln 1126 40 FRAUENARZT n 47 (2006) n Nr. 12 an mehreren der insgesamt 361 Akupunkturpunkte wird der Fluss des Qi beeinflusst, was die Zugehörigkeit der Akupunktur zu den Umsteuerungs- und Regulationstherapien begründet. Abgewandelte Formen ihrer Anwendung sind – das Erwärmen (Moxibustion) der Punkte, – die Akupressur, – die Elektroakupunktur sowie – Ohrakupunktur, Fußakupunktur und koreanische Handakupunktur, wobei Letztere nicht Teil der TCM sind. akupunktur als auch eine Sham (Schein-) Akupunktur wirksamer als eine leitlinienorientierte Standardtherapie waren. Es ergab sich kein signifikanter Unterschied zwischen Verumund Sham-Akupunktur, was annehmen lässt, dass eine Stimulation von Hautnerven – möglicherweise auch unabhängig von den klassischen Akupunkturpunkten – zu einer Besserung von Beschwerden führte oder dass auch hier Plazebo- und Suggestionseffekte eine wichtige Rolle spielten. n Moxabehandlung, Moxibustion Die Moxabehandlung wird in der Geburtshilfe zur Induktion einer kindlichen Lageänderung bei Beckenendlage eingesetzt. Der Therapeut entzündet eine Moxazigarre (in dünnes Papier gerollte Stangen aus Beifußpulver) und nähert die glühende Spitze dem entsprechenden Akupunkturpunkt auf ungefähr einen halben Zentimeter. Nachdem die Patientin ein deutliches Hitzegefühl verspürt, wird die Moxazigarre wieder entfernt. Diese Prozedur wird mehrfach an diesem und weiteren Punkten wiederholt, bis die entsprechenden Hautstellen deutlich gerötet sind. Verschiedene Studien im Gebiet der Geburtshilfe deuten auf eine Wirksamkeit der Akupunktur und Akupressur hin, wobei das Design der Kontrollgruppen ein wesentliches Problem dieser Untersuchungen darstellt. Die möglicherweise sinnvollen Einsatzgebiete sind (13–19) – Rückenschmerzen, Schmerzen im Beckengürtel, – Schlafstörungen, – Verkürzung der Wehenphase, – Schwangerschaftsdepression und – Übelkeit und Erbrechen. Eine Meta-Analyse hat drei Studien ungleicher Datenqualität mit 597 Frauen bewertet und keine ausreichende Evidenz dafür gefunden, dass die Moxibustion zur Korrektur einer Beckenendlage führen kann (20). In einer prospektiv-randomisierten Studie von Cardini et al. (21), bei der die Moxabehandlung in der 32.–33. Schwangerschaftswoche (SSW) begonnen wurde, kam es gehäuft zu Behandlungsabbrüchen, sodass sie nach 123 Studienteilnehmerinnen endete. Die Rate der Schädellagen in der 36. SSW betrug in der Studiengruppe 34% und in der Kontrollgruppe 36%, sodass sich auch hier kein Hinweis für eine Wirksamkeit fand. Insbesondere die gut geplante und durchgeführte Gerac-Studie zum Einsatz der Akupunktur im Bereich Rückenschmerzen und Gonarthrose hat gezeigt, dass sowohl eine Verum- n Weitere Therapien Eine sinnvolle Auseinandersetzung mit dem Thema Phytotherapie ist nicht möglich, da dieser Bereich in der oben genannten Umfrage nicht FORTBILDUNG + KONGRESS weiter aufgeschlüsselt wurde. Da insbesondere phytotherapeutische Maßnahmen nicht hinsichtlich ihrer Sicherheit in der Schwangerschaft geprüft wurden, wird von verschiedenen Seiten dazu geraten, entsprechende Therapien – besonders bei hoch dosierter oder längerfristiger Anwendung – zu meiden (22). Ferner ergab ein systematisches Review zur Einsatz chinesischer Kräuter in der Präeklampsiebehandlung keinen Hinweis auf deren Wirksamkeit (23). Möglicherweise sinnvolle CAM-Therapien in der Schwangerschaft Bei der Durchsicht der Literatur zu CAM fällt auf, dass Studien zu einigen Methoden auch positive Ergebnisse erbracht haben. n Entspannungsübungen Omer (24) verglich 70 Frauen, die bei vorzeitiger Wehentätigkeit rein schulmedizinisch behandelt wurden, mit 39 Patientinnen, die zusätzlich zu dieser konventionellen, pharmakologischen Behandlung hypnotische Entspannungsübungen erhielten. Er fand eine signifikant verlängerte Schwangerschaftsdauer und konsekutiv höhere Geburtsgewichte. Allerdings konnte er mit derselben Methode keine Induktion von Wehentätigkeit bei Übertragung erreichen (25). n Chanlibao Interessant erscheint auch das chinesische Kräutermedikament Chanlibao. In einer dreiarmigen Studie führte es zu einer signifikanten Verkürzung der Austreibungsperiode (38,4 min vs. 53,1 min), wobei sein Einsatz keine höhere Wirksamkeit als intravenöses Verabreichen einer Oxytozininfusion zeigte (26). Eine klinische Anwendung von Chanlibao erscheint verfrüht, doch erscheinen weitere Studien dazu sinnvoll. n Ingwer Borelli und Mitarbeiter (27) haben die Wirkungen von Ingwer (Tee und 1128 FRAUENARZT n 47 (2006) n Nr. 12 Tabletten) auf Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft systematisch analysiert. Sie werteten dazu sechs Doppelblindstudien (RCT) mit 675 Teilnehmerinnen und eine prospektive Kohortenstudie (n=187) aus. Dabei ergaben sich in vier der sechs RCTs (n=246) Vorteile von Ingwer. Die anderen beiden Studien (n=429) zeigten gleiche Effektivität von Ingwer und einer Vitamin-B6-Therapie. Man fand keine negativen Auswirkungen auf die Schwangerschaft und kam zu dem Schluss, dass Ingwer eine wirkungsvolle Möglichkeit der Behandlung von Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft darstellt (Level of Evidence 1). n Intrakutane Wasserinjektion In einem systematischen Review bezüglich komplementärer Möglichkeiten zur Behandlung von Wehenschmerzen analysierten Huntley und Mitarbeiter (28) 18 Studien und prüften dabei die Wirksamkeit von Akupunktur, Biofeedback, Hypnose, intrakutanen Wasserinjektionen, Massage und Atemübungen. Vier Studien erbrachten einen Hinweis für einen positiven Effekt intrakutaner Wasserinjektionen. Da die Methode zumindest nach der vorliegenden Erhebung von Beer und Ostermann (8) keinen größeren Stellenwert in Deutschland zu haben scheint, soll sie kurz erklärt werden: 0,1 ml steriles Wasser (keine isotonische Kochsalzlösung) werden intrakutan etwa 2 cm unterhalb und 1 cm medial der Spina iliaca anterior superior injiziert. Es wird angenommen, dass Nozizeptoren und Mechanorezeptoren durch diese Maßnahme stimuliert werden, die Sinne einer Gegenirritation von den Wehenschmerzen ablenken. Gefährdungen durch CAM Obwohl CAM als nebenwirkungsfrei betrachtet und propagiert wird, gab es in der Vergangenheit immer wieder Berichte über Nebenwirkungen dieser Methoden, sodass deren Gefährdungspotenzial hier kurz skizziert werden soll. Die größte Gefahr bei Anwendung unkonventioneller Heilmethoden in der Geburthilfe stellt die Ablehnung sinnvoller, auf schulmedizinischen Standards basierender Therapien dar, was beispielsweise in einer für Mutter und Kind fatalen Erkrankungsprogression – Entwicklung einer Eklampsie bei fehlender Behandlung der Frühsymptome – münden kann. Ferner wurden bei Präparaten, die pharmakologisch aktive Substanzen beinhalten, allgemeine und unspezifische Nebenwirkungen in Form von vorübergehendem Schwächegefühl, Übelkeit, Erbrechen, Fieber, Schüttelfrost, Irritationen an der Einstichstelle, Kopfschmerzen, Sodbrennen, lokal begrenztem Erythem, Ödemen, Pruritus und allergischen Reaktionen beschrieben. Für die meisten CAM-Methoden sind spezifische unerwünschte Nebenwirkungen infolge mangelnder oder methodisch schlecht ausgeführter Studien nicht bekannt. Meist fehlen sogar Angaben zu Pharmakodynamik, Pharmakokinetik sowie akuter und chronischer Toxizität. Folgende spezifische Gefährdungen sind beschrieben oder möglich: – Arsenbelastung in der Homöopathie; – Verletzungen und Infektionen durch Akupunktur; – allergischer Schock (z.T. mit Todesfolge) bei Zelltherapien, Misteltherapie und vereinzelte Todesfälle bei der Ozontherapie; – Hypervitaminosen nach hoch dosierter Vitamintherapie; – Übertragung von Viren (Hepatitis B, HIV) durch unsauberes Arbeiten bei Eigenbluttherapien; – Übertragung von BSE bei Anwendung von Produkten tierischen Ursprungs (Thymus- und Milzextrakte vom Kalb); – pharmakologische Interaktionen zwischen dem komplementärmedizinischen Therapeutikum und konventioneller Therapie; – teratogene Schädigungen des Kindes (z.B. durch Phytotherapie); – Induktion von Schwangerschaftskomplikationen, z.B. Übelkeit und Erbrechen, vorzeitiger Wehentätigkeit. Die Förderung der Gesundheit, die Hilfe für Kranke, das Lindern von Leiden, das Heilen von Krankheiten und die Begleitung von Sterbenden zählen zu den wichtigsten ärztlichen Aufgaben. Eine ebenso wichtige Aufgabe ist die Betreuung von Schwangeren in den verschiedenen Phasen der Schwangerschaft. Die Patientin hat das Recht, mit effektiven Methoden behandelt zu werden, und der Arzt hat die Pflicht, wirksame Therapien anzuwenden. Grundsätzlich hat man sich zwischen Vertretern der Schulmedizin und Alternativmedizin geeinigt, dass ein Wirksamkeitsnachweis erfolgen muss (29). Der Arzt hat zwar einen Spielraum bei der Wahl der Behandlungsmethode, wobei nach Lehre und Rechtsprechung diese nur dann besteht, wenn die Methoden gleichwertig sind und sich wissenschaftlich vertreten lassen. Er hat unter Berücksichtigung der Risiken die angemessenste Heilmethode zu wählen. Behandlungsmethoden ohne jede therapeutische Wirkung liegen außerhalb der Methodenfreiheit des Arztes. Dies gilt auch, wenn der Arzt auf Drängen des Patienten eine unwirksame, unsinnige oder gar gefährdende Behandlungsmethode anwendet. Es liegt ein Verstoß gegen das ethische Prinzip der Wahrhaftigkeit vor, besonders wenn es durch unkonventionelle Verfahren zu Verzögerungen bei Diagnostik und Therapie kommt. Dennoch zeigen die oben dargestellten Ergebnisse, dass sich verschiedene, in der Schwangerschaft angewendete Methoden großer Beliebtheit erfreuen, die keine oder nur geringe eigene Wirksamkeit haben, möglicherweise nur durch Suggestions- oder Plazeboeffekt gute Wirkungen erzielen und deren Nebenwirkungspotenzial weitgehend unbekannt ist. Leider wird in der Schulmedizin gerade die Thematik der Verwendung von Plazebomedikamenten und möglichen Suggestionseffekten nur zu selten dis- kutiert. Schuld hieran ist wohl der allgemeine Kanon, dass es sich bei derartigen Effekten um so genannte systematische Messfehler handelt, die ausgeschaltet werden müssen. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass Plazebos sowie Suggestivmethoden (Hypnose, Entspannungstrainings etc.) eine empirisch nachweisbare sekundäre Wirkung entfalten (z.B. bei Angst-, Spannungs- oder Schmerzzuständen). Diese Tatsache sollte eine genauere empirische Abklärung erfahren, um sie nicht nur für den Patienten, sondern auch für die Therapie gezielt nutzbar zu machen (30). Bei problematischen Schwangerschaftsverläufen, bei denen derzeit weder konventionelle noch komplementäre Methoden einen nachweisbaren Effekt haben und aufgrund von unbekannten Medikamenteneinflüssen Zurückhaltung bei der Pharmakotherapie angebracht ist, scheint der Einsatz von Plazebos durchaus interessant. Hier sollte man die Erkenntnisse der Plazeboforschung nicht unberücksichtigt lassen, die zeigten, dass die Beschaffenheit des Plazebos einen Einfluss auf seine therapeutische Wirkung hat. So weiß man, dass – Injektionen Tabletten im Allgemeinen überlegen sind, – ein subjektives Wärmegefühl bei Injektionen oder Einreibungsmitteln für deren Wirkung von Bedeutung zu sein scheint, – Dragees oder Tabletten in warmen Rottönen, gelben oder bräunlichen Färbungen besser wirken; – besonders kleine oder besonders große Pillen wirksamer sind als solche von durchschnittlichem Format, – bittere Arzneien wirksamer sind als geschmacklose, – blaue und grüne Präparate bei äußerlicher Anwendung vorteilhaft sind und – bei Schlafstörungen leuchtend rote Gelatinekapseln besser sind als ein Schlaftrunk bzw. Tabletten. Von ärztlicher Seite sollte man sich jedoch bewusst sein, dass die diver- sen Methoden wie Homöopathie und Akupunktur in erheblichem Maß über Suggestion wirken bzw. in ihrem eigentlichen Anspruch unwirksam sind. Aufgrund der allgemeinen Wertschätzung der Methoden in der Bevölkerung eignen sie sich ganz besonders für das Erreichen von therapeutischen Zielen, da bei den Patientinnen bereits eine positive Erwartungshaltung besteht. Die Einflussfaktoren sind in Abbildung 2 dargestellt. Schlussfolgerungen CAM-Methoden sind auch aus dem Bereich der Geburtshilfe nicht mehr wegzudenken. Sie vermitteln der Schwangeren Sicherheit in Situationen, in denen die konventionelle Medizin keine oder nur begrenzte therapeutische Optionen anbietet (Korrektur von Lageanomalien, Beschleunigung der Muttermunderöffnung etc.). Ferner sind sie leicht verständlich und gelten als sanfte und natürliche Medizin, die mit keiner Gefahr für das ungeborene Leben verbunden sein soll. Obwohl für die populärsten CAMMethoden kaum Hinweise für eine Wirksamkeit und Nebenwirkungsfreiheit bestehen, sind sie weit verbreitet und erfreuen sich großer Beliebtheit. Der Grund dafür liegt aller Wahrscheinlichkeit nach in der positiven Erwartungshaltung, die mit diesen Verfahren assoziiert ist. Diese führt über einen Suggestionseffekt zur Mobilisierung der Selbstheilungskräfte. FORTBILDUNG + KONGRESS Diskussion Doch kaum jemand ist heute bereit, diesen Suggestionseffekt als Ursache eines Therapieerfolges anzuerkennen. So versuchen Protagonisten der Homöopathie ein Therapieversagen in Studien mit Hinweis auf nicht sachgemäße Untersuchungsbedingungen zu erklären. Doch haben sie es bis heute unterlassen, eigene Untersuchungen vorzulegen, die Suggestionseffekte widerlegen und die Zweifel der Kritiker zerstreuen könnten. FRAUENARZT n 47 (2006) n Nr. 12 1129 FORTBILDUNG + KONGRESS Wie mobilisiert CAM die Selbstheilungskräfte? Erwartungen an das Behandlungsverfahren persönliche Vorerfahrungen nachvollziehbare Wirktheorie Wissen, dass eine Behandlung stattfindet Erwartung einer Besserung – Reduktion von Angstund Stresseffekten Autorität und Glaubwürdigkeit von Berichten und Pressemeldungen über das Verfahren Mobilisierung von Selbstheilungskräften Abb. 2: Einflussfaktoren auf die Erwartung einer Besserung und damit der Wahrscheinlichkeit einer Mobilisierung der Selbstheilungskräfte (nach www.neuro24.de). Umgekehrt finden sich im Bereich CAM in der Geburtshilfe einige Methoden, die trotz des Nachweises ihrer Wirksamkeit kaum angewendet werden. Dazu zählen die Therapie von schwangerschaftsinduziertem Erbrechen mit Ingwer wie auch die Wehenschmerzreduktion durch subkutane Wasserinjektionen. Es scheint sinnvoll, diesen Methoden den Vorzug zu geben, ebenso wie die Diskussion um Plazebos wieder aufzugreifen und ggf. Ärzte in die Lage zu versetzen, diese in bestimmten Situationen beim Fehlen von Alternativen gezielt therapeutisch einzusetzen. Die Geburtshilfe umfasst Bereiche, die sich therapeutisch kaum beherrschen lassen (z.B. protrahierte, schmerzhafte Geburt). Daraus erwächst eine besondere Herausforderung für die behandelnden Ärzte und Hebammen, da sie sich in diesen Situationen eingestehen müssen, nicht wirklich helfen zu können. Dennoch sollte man sich bemühen, auch dann eine Behand- 1130 Empfehlungen von Freunden FRAUENARZT n 47 (2006) n Nr. 12 lung mit wissenschaftlich erwiesener Wirksamkeit anhand rationaler Überlegungen auszuwählen und nie zu vergessen, dass der Einsatz von alternativen Heilmethoden – obwohl als natürlich und nebenwirkungsfrei propagiert – mit erheblichen, für Mutter und Kind gefährlichen Nebenwirkungen verbunden sein kann. Um zukünftig eine Aussage über die Wirksamkeit und Nebenwirkungen dieser Methoden zu formulieren, sollte gefordert werden, die Anwendung der Methoden auch im Rahmen der Qualitätssicherung und der Perinatalerhebungen zu erfassen. Literatur 1. Hofberg K, Ward MR: Fear of pregnancy and childbirth. Postgrad Med J 79 (2003) 505–510. 2. Tiran D, Chummun H: Complementary therapies to reduce physiological stress in pregnancy. Complement Ther Nurs Midwifery 10 (2004) 162–167. 3. Risberg T, Kolstad A, Cassileth BR: Use of alternative medicine among Norwegian cancer patients is associated with mental distress – a follow-up study. Acta Oncol 41 (2002) 646–651. 4. Risberg T, Vickers A, Bremnes RM et al.: Does use of alternative medicine predict survival from cancer? Eur J Cancer 39 (2003) 372–377. 5. Munstedt K, Kirsch K, Milch W et al.: Unconventional cancer therapy – survey of patients with gynaecological malignancy. Arch Gynecol Obstet 258 (1996) 81–88. 6. 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Für die Autoren Prof. Dr. Karsten Münstedt Universitätsfrauenklinik Gießen Klinikstraße 32 35392 Gießen karsten.muenstedt @gyn.med.uni-giessen.de FRAUENARZT n 47 (2006) n Nr. 12 1131