4.PatchWerk
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Quartierszeitung für Pempelfort im August 2016 PaTCh r k WE 4. HKANTE LE FLAIR – DAS VIERTEL VOLLER LEBEN? LES HALLES, DU FEHLST GUTE ORTE IN PEMPELFORT Wenn Welten aufeinander stoßen Von Karin Nell und Philipp Schlee I nzwischen ist es nicht mehr zu übersehen: Pempel- Viertels geworfen. fort hat sich verändert. Gewaltige Baukörper ziehen Wir haben mit Alt- sich entlang der Bahnstrecke. Dort, wo noch vor und Neu-Pempel- Der eigentliche Ort der Entwicklung ist das Experiment an der Grenze einigen Jahren wildes Brachland einen Anziehungs- forter/innen disku- punkt für Kreative(s) bildete und sich als starkes Ge- tiert und versucht, gengewicht zum eher feinen Zooviertel behauptete, die Atmosphäre in erstrecken sich nun langweilige Häuserfassaden und den verschiedenen eintönige Grünflächen. Die Spannung ist verloren ge- Teilen unseres Quartiers einzufangen. Die Fülle des gangen. Der Punk fehlt. Der alte Güterbahnhof und das dabei zusammengetragenen Materials hat den zur wunderbare Les Halles sind Geschichte. Abgerissenes Verfügung stehenden Platz buchstäblich gesprengt. und Plattgemachtes haben Narben hinterlassen, die Deshalb haben wir uns entschlossen, uns von unserem nicht heilen wollen. Menschen mit vielen Hunden und liebgewonnenen Poster-Format (zumindest vorüberge- großen Autos gehören zum neuen Bild des Stadtteils. hend) zu verabschieden. Eine Änderung, die uns nicht leicht gefallen ist. Umso gespannter sind wir natürlich, wie das neue Format ankommen wird. Überall Designer-Balkonmöbel, betonierte Garageneinfahrten, wenig genutzte Fahrradwege: Das soll französisches Flair haben? Wo sind denn die kleinen, Apropos Veränderungen: Weil mit dem einschneiden- belebten Plätze, die Künstlerateliers, die verrückten den Wandel des Quartiers viele Ängste und Fragen kleinen Läden und Galerien, urigen Cafés? Wo findet aufgeworfen werden, hat der Keywork e.V. in der Ba- hier das bunte Quartiersleben statt? Ein Flaneur bekä- gelstraße 117 ein Zukunftslabor eingerichtet – einen me das kalte Grausen. Lern- und Experimentierraum geschaffen, der die Bewohnerschaft zu gemeinsamer Forschungsarbeit so- Und der andere Teil von Pempelfort – der Teil, der wie zu selbstorganisierten Aktionen in der Nachbar- über Jahre und Jahrhunderte gewachsen ist? Wie geht schaft inspirieren will (Bei Interesse bitte eine E-Mail es dem mit all den Neuen und dem Neuen? Empfinden an info@keywork.info). Hier sollen Ideen verknüpft, die Menschen in der Nachbarschaft die Veränderung Akteur/innen vernetzt und Projekte geplant und um- als Zumutung? Oder als Chance? Was passiert an den gesetzt werden. Neuzugezogene und Alteingesessene, Rändern, dort wo das alte und das neue Pempelfort Menschen aller Generationen, Kulturen und Milieus aneinander stoßen? Welche Kräfte wirken hier? Ab- sind eingeladen, gemeinsam mit Stadtplaner/innen, grenzung oder Anziehung? Künstler/innen und Bildungsexpert/innen die Zukunft des Quartiers (mit) zu gestalten. „Der eigentliche Ort Was passiert an den Rändern, dort wo das alte und das neue Pempelfort aneinander stoßen? Zur Klärung dieser Fragen haben wir für die neue der Entwicklung“, so ermutigt der berühmte Soziale- Welche Kräfte wirken hier? Abgrenzung oder Anziehung? PaTchWErk an den Bruchkanten zwischen diesen thiker Paul Tillich, „ist das Experiment an der Grenze“. beiden Welten geforscht. Wir haben uns von unter- Wir sind gespannt. schiedlichen Ansätzen zum Umgang mit Brüchen und Umbrüchen inspirieren lassen, aber auch den einen Viel Spaß beim Lesen wünscht die oder anderen Blick zurück in die Vergangenheit des PaTchWErk-Redaktion 3 Inhalt 6 12 Le Flair – das Viertel voller Leben? Nachbarschaftspicknick 18 Besuchen Sie uns auf www.keywork.info und bei Facebook! „Flairliebte“ Investorenträume www PaTchWErk freut sich über neue Redaktionsmitglieder und über Ihr Feedback! Kontakt zur Redaktion: Claudia Sander sander@keywork.info oder via Facebook 14 IMPRESSUM Gute Orte im Viertel Herausgeber: KEYWORK e.V., Bagelstraße 117, 40479 Düsseldorf V. i. S. d. P. : Claudia Sander Redaktion: Catrin Boss, Alexander Flohé, Marion Kornau, Ingrid Landau, Renate Madry, Karin Nell, Tanja Ockler, Claudia Sander, Philipp Schlee Layout: Claudia Sander Fotos: Catrin Boss, Anna Konietzko, Renate Madry, Claudia Sander 10 16 Les Halles, Du fehlst 4 Pempelforter Geschichtsserie 20 Zeichnungen: Carsten Tiemessen Pempelforter Urban Sketches Mit freundlicher Unterstützung der Bezirksvertretung 1 Düsseldorf. 5 Le Flair – das Viertel voller Leben? Seit 1990 wird das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs zu einem modernen Wohnkomplex mit erhöhtem Wohnwertgefühl umgebaut. Unsere Redakteurinnen Renate, Marion und Ingrid haben nach einem Spaziergang unterschiedliche Eindrücke aus dem Wohnareal mitgebracht. Zweifellos verleihen die Hochhäuser und die klassizistisch anmutende Architektur dem natürlich gewachsenen Pempelfort ein neues und ungewohntes Stadtbild. Gleichzeitig bieten der neu entstandene Grünstreifen und die angrenzenden Spielplätze Raum für Aktivitäten im Freien. Hält der Komplex, was der Werbeslogan der Immobilien-Investoren verspricht? Ist Le Flair ein Viertel voller Leben? Oder ein Quartier des Horrors mit übertriebenen Mietpreisen und einem fehlenden nachbarschaftlichen Miteinander? Schreiben Sie uns Ihre Meinung per E-Mail an sander@keywork.info oder bei facebook (facebook.com/patchwerkduesseldorf). Wir sind gespannt! 6 7 Fotos: Renate Madry und Anna Konietzko 8 9 Du fehlst Seit dem 1. Januar 2015 sind die Türen zum „Wohnzimmer Pempelforts“ geschlossen. Von Tanja Ockler W enn mich jemand fragt, wo ich wohne, ist merk auf kristallene Lüster, Ziegelsteinwände, eine in Düsseldorf gibt, in denen Funky Music geboten wird, meine Antwort bis vor kurzem immer so große Theke sowie gemütliche Polstermöbel zwischen sondern auch wegen seines funkigen Saxophonisten, ausgefallen: In Pempelfort, in der Nähe einfachen Holztischen und Stühlen … und wenn der der zu späterer Stunde mit seinen exzentrischen Soli Gesprächspartner einmal langweilig wurde, ließ man auf der Theke agierte, um es aber wirklich auch richtig einfach den Blick auf das Muster der Retro-Tapete funky klingen zu lassen! des Güterbahnhofs, da, wo das „Les Halles“ ist. Aber seit dem 1.1.2015 gibt es das beliebte Café Les schweifen oder bestaunte die Fische im Aquarium. Halles nicht mehr. Nach knapp 14 Jahren muss die Bar Aber Düsseldorf, insbesondere Pempelfort wächst, Olio nun einsam die Stellung auf dem einstigen Güter- Genauso schön war es aber auch vor dem Les Halles, bahnhofgelände behaupten und es klafft eine Wunde. im Biergarten. Man fand immer ein Plätzchen, traf auf nette Leute, saß geschützt „im Grünen“ und konnte Das Les Halles, über dessen Aussprache stets Uneinig- dort lange den Sonnenschein genießen. Und Letzteres keit herrschte, war für mich wie die Rochuskirche oder ist hier in Pempelfort gar nicht so selbstverständlich, das Goethe-Museum ein Wahrzeichen Pempelforts denn nicht wenige Sitzmöglichkeiten unserer Bars und bot mit seinen vielseitig kulturellen Aktivitäten je- und Restaurants liegen im Schatten. Kurzum das Wo- dem etwas. Und nicht nur für Pempelforter war dieses chenende konnte man mit einem erfrischenden Kalt- Café eine erste Adresse, sondern auch andere Stadt- getränk im Biergarten einläuten, später mit einem teiler zog es oft dorthin. schmackhaften Abendessen im „Wohnzimmer“ fortführen, dann übergehen zu leckeren Cocktails und ab … ob Trödelmarkt, Public-Viewing eines Fußballspiels, Tanz ca. 23 Uhr interessiert beobachten, wie hinter, neben in den Mai, Halloween, Weihnachten, Silvester, eine Nacht und vor einem allmählich Tische und Stühle zur Seite mit Sternekoch Frank Rosin oder ein Comedy-Dinner … die geschoben wurden, Hallen waren immer voll und die Stimmung super! um das Les Halles für die „Tanze“ vorzube- Dies lag nicht zuletzt an ihrer schnieken Einrichtung. reiten. Unvergessen „Das Wohnzimmer“, wie es liebevoll genannt wurde, bleibt hier der Fun- bestach durch seinen Vintage-Charme. Betrat man ky Friday – nicht nur die dunkel-schummrige Lagerhalle, fiel das Augen- weil es wenige Clubs 10 Les Halles musste 18-geschossigem Hochhaus weichen und trotz vieler Unterschriften als auch Klagen musste das Les Halles einem neuen Bauprojekt weichen. Ge- Was hat es eigentlich mit dem Schwert-Denkmal auf dem Gelände des Güterbahnhofs auf sich? plant ist ein 18-geschossiges Hochhaus, vermutlich mit Hotelnutzung, und damit wird uns Pempelfortern noch ein weiterer Hochhausklotz vor die Nase gesetzt. Der Stadthistoriker Dr. Ulrich Brzosa, der durch Abtasten des Denkmals eine Inschrift entzifferte, vermutet, dass es sich hierbei um ein Mahnmal für die toten Bahnmitarbeiter des Ersten Weltkrieges handele. Im Dritten Reich allerdings, so Brzosa, sei diese Erinnerung womöglich von der Gewerkschaft „Deutsche Arbeitsfront“ zu Propagandazwecken missbraucht worden, was dem Schwert-Denkmal einen fragwürdigen Stellenwert verleiht, da vom Derendorfer Güterbahnhof in den Jahren 1941-1944 über 7000 Juden in KZ deportiert wurden. Das städtische Institut für Denkmalpflege hat jedoch keine Angaben über Herkunft, Erbauung sowie Errichtung dieses Denkmals. Lange wird das Schwert aber nicht mehr an diesem Ort stehen. Laut Aurelis, einstige Immobilientochter der Bahn, soll das Schwert in den geplanten Stadtgärten Pempelforts seinen neuen Platz finden. (Quelle: NRZ 28.09.2007) Es ist also dreifach tragisch, dass das Les Halles weichen musste: Erstens weil uns damit ein szeniger Ausgehtreff genommen worden, zweitens weil damit die Erinnerung an den alten Güterbahnhof verloren geht und drittens weil sich das Bild dieses alten Stadtteils zu seinem Nachteil wandelt. Ich wünsche dem Café Les Halles natürlich sehr, dass es im Düsseldorfer Hafen seinen neuen Standort findet, und eine geplante integrierte Destille für Bierbrand und Whiskey klingt traumhaft! Doch noch viel mehr wünsche ich mir beziehungsweise uns wieder solch eine vielseitig nutzbare „Eventlocation“, die in unserem Stadtteil insbesondere das Nachtleben bunter macht. 11 Nachbarschaftspicknick mit WinterBlues Von Philipp Schlee G rünanlagen und Plätze sind keine Hundeklos“, Werbung in den sozialen Medien und nicht zuletzt mit so steht es auf einem Schild auf der kleinen den auch durch die umliegenden Straßenzüge schal- Wiese an der Schinkelstraße/ Ecke Düsseltha- lenden Blues-Klängen von Carsten Tiemessen, der das ler Straße, die man im Viertel vor allem als Standort für Treffen mit seiner E-Gitarre begleitete und begeisterte. die neuen unterirdischen Glascontainer der AWISTA kennt. Ein solcher Hinweis lässt bereits erahnen, dass Bei trockenem Wetter und milden Temperaturen konn- sein Aufstellungsort eher bei Vier- als bei Zweibeinern ten sich die Anwesenden mit Kaffee, Tee, Fingerfood beliebt ist. Die Macher und Freunde von PaTchWErk und Kuchen stärken. Dabei wurden die drängenden wollten das zumindest für einen Samstagvormittag im Themen des Stadtteils auch mal kontrovers diskutiert, Februar ändern. Sie über Gott und die Welt philosophiert und in den bishe- luden kurzerhand rigen PaTchWErk-Ausgaben geblättert. Bei so viel Tru- zum zweiten Pick- bel an einem ansonsten eher vergessen geglaubten Ort nick im Winter auf ließ es sich auch das Ordnungsamt der Stadt Düsseldorf jenen kleinen Platz, nicht nehmen, die Veranstaltung gründlich unter die an dem der alte, noch Lupe zu nehmen. Nach Vorlage der behördlichen Ge- so gar nicht gentri- nehmigung wurden die Beamten dann etwas entspann- fiziert wirkende Teil ter, auf einen angebotenen Kaffee und ein überreichtes Pempelforts auf die PaTchWErk-Exemplar verzichtete man aber doch lieber. Belebt den Stadtteil und macht mehr Picknick auf Pempelforter Grünflächen! nüchtern-modernen Wohntürme des neuen Quartiers Und so waren alle Beteiligten sehr zufrieden mit der Les Halles trifft. Fortsetzung der einst unter dem Motto „Geht DOCH!“ Winterlicher Samstagsbrunch mit Live-Musik auf der Wiese Schinkelstraße/ Ecke Düsselthaler Straße 12 Während das erste winterliche Picknick im letzten Jahr initiierten Aktion. Und vielleicht wird sie ja ein ähnlich auf der lauten und stark frequentierten Verkehrsin- gutes Omen für den Ort des Geschehens sein wie be- sel nahe der Franklinbrücke eher von vorbeischlen- reits für den Austragungsort des ersten Winter-Pick- dernden Passanten für eine Verschnaufpause genutzt nicks. Auf dem bislang wenig einladenden Platz zwi- wurde, machten sich beim zweiten Anlauf auch rüs- schen Bagel-, Moltke- und Franklinstraße wurden nun tige Rentner, junge Familien und frisch zugezogene endlich Sitzbänke aufgestellt. Und ein Antrag auf schö- Singles aus den anderen, alten wie neuen Ecken des nere Begrünung der Insel und Verkehrsberuhigung der Stadtteils eigens auf den Weg zum Treffpunkt. Ange- Abbiegespur ist von der Bezirksvertretung beschlossen lockt wurden sie durch auffällige lilafarbene Plakate, worden. Also, geht doch... ! 13 G O Gute Orte im Viertel Für Ne nebenan.de Für Bas t-Nach barn Generationen-Werkstatt tler Das Online-Netzwerk möchte Nachbarn unter- Ab September arbeiten an der Matthias Claudius einander vernetzen, damit diese sich gegenseitig Grundschule in der Bongardstraße in Pempelfort helfen, eine Bohrmaschine tauschen, einen Lauf- Menschen, die ihr Berufsleben hinter sich gelassen partner finden oder Tipps geben für Neuhinzuge- haben, mit Kindern und Künstlern in Werkstätten. zogene. Eine Nachbarschaftsgruppe in dem Netz- In der Offenen Kunstwerkstatt und der Holzwerk- werk umfasst nur einige Straßen in einem Stadtteil. statt geht man gemeinsam spannenden Fragen Es haben lediglich Menschen Zugang, die auch nach. Im Mittelpunkt stehen dabei die Wünsche wirklich in der Nachbarschaft leben. Das wird mit und Ideen der Kinder. Die Erwachsenen reagieren einer Bestätigung der Adresse bei der Registrie- auf diese Wünsche und Ideen, gemeinsam werden rung sichergestellt. Die Beiträge, die innerhalb der die Werkstätten ständig weiterentwickelt. Es wer- Nachbarschaft geschrieben werden, können nur den noch Unterstützer gesucht! von registrierten Mitgliedern gelesen werden. Die Mitgliedschaft ist für Privatpersonen kostenlos. Kontakt: Jörg-Thomas Alvermann E-Mail: alvermann@keywork.info Kontakt: www.nebenan.de Für Bau www.generationen-werkstatt.de mliebh PRO Franklinstraße aber Für J ederm zentrum plus Derendorf-Golzheim ann Die Bürgerinitiative für die Franklinstraße in Pempelfort möchte, dass die grüne „Oase“ in Im zentrum plus treffen Sie nicht nur nette Men- der Stadt als Ausgleichsfläche für die dichte schen aus Derendorf und Golzheim, die ihr Leben Hinterhofbebauung erhalten bleibt. Nicht wenige nach dem Arbeitsleben aktiv gestalten wollen. Hier Anwohner haben sich für die Franklinstraße ent- können Sie sich auch sportlich betätigen, zusam- schieden, weil sie den Charme der Franklinstraße men kreativ sein, gemeinsam Sprachen erlernen, schätzen, der von der historischen Bebauung – ge- Computer-Kenntnisse erwerben und kulturelle rade im Bereich der Schule – ausgeht. Angebote genießen. In der Bürgerinitiative haben sich Anwohner der Wie kann ich mich in Pempelfort engagieren? Welche Institutionen, Vereine Franklinstraße und benachbarter Straßen zusam- Kontakt: Klever Straße 75, 40477 Düsseldorf, mengetan. Mieter, Eigentümer, Vermieter und Ge- zentrum-plus.derendorf@diakonie-duesseldorf.de und Gruppen gibt es? Wir stellen in jeder Ausgabe interessante Nachbarn vor. schäftsleute sind aktiv in der Initiative tätig. Mo. bis Fr. von 10 - 12 Uhr und Di von 10 - 17 Uhr stehen telefonisch und persönlich ehrenamtliche Kontakt: E-Mail: info@pro-franklinstrasse.de Mitarbeiterinnen als Ansprechpartner zur www.pro-franklinstrasse.de Verfügung und nehmen Anmeldungen zu Veranstaltungen entgegen. 14 15 Pempelforter Geschichte Teil 4 | Serie von Ingrid Landau Ich entnehme diese erstaunliche Geschichte im Wesentlichen einer Festschrift, die 1873 zum 25jährigen Jubiläum des Künstlervereins „Malkasten“ von E.v. Schaumburg verfasst wurde. W ir befinden uns in der Mitte des Der oben erwähnte älteste Sohn aus erster Ehe, Jo- 18. Jahrhunderts in Pempelfort. Die Kur- hann Georg Jacobi, geht als Theologe, Professor und fürsten Jan Wellem und der regierende Poet nach Mitteldeutschland. Der für Düsseldorf aber abwesende Carl Theodor mit seinem sehr befä- bedeutendere Friedrich Heinrich, genannt Fritz, ein higten Statthalter Graf Goltstein haben Düsseldorf „schöner junger Mann“, erwirbt in Genf Weltbildung eine gewisse kulturelle Bedeutung in Deutschland be- in Philosophie, Juristerei und Literatur, spricht fließend Französisch, und macht in- schert. Die Bildergalerie Jan Wellems und die im Aufbau befindliche Bibliothek bilden offenbar einen Anziehungspunkt für Künstler und für das aufkommende Bildungsbürgertum, sich hier aufzuhalten und anzusiedeln. Der preußische Beamtenstaat und die Militärs tun Jacobis Garten war eine deutschlandweit bekannte Adresse der Intellektuellen dieser Zeit. tensive Bekanntschaften mit der Geisteswelt des Sturm und Drang. Er führt nach seiner Rückkehr das Geschäft seines Vaters und ein sehr gastfreundliches Haus in der Stadt. Er heiratet Betty v. Clermont, „eine Frau zum Segen das Ihrige dazu. Und so kommt es des Mannes geschaffen“, hübsch, zu dem Glücksfall für die Stadt, reich und intelligent. Fritz Jacobi dass auch ein Herr J. C. Jacobi aus dem Hannover- steht zeitlebens in lebhaftem Briefwechsel mit den schen hier angekommen ist. führenden Geistesgrößen seiner Zeit und fast alle sind sie auch immer wieder in seinem Haus und im Pempel- Friedrich Heinrich Jacobi, auch Fritz Jacobi, (1743 – 1819) war ein deutscher Philosoph, Jurist, Kaufmann und Schriftsteller. Fortpempeln durch das 18. bis in das 19. Jahrhundert 16 Er heiratet in eine Manufakturwarenhandlung in der forter Garten zu Gast: Wieland, Goethe, Jung-Stilling, Stadt ein, die offenbar recht lukrativ ist. 1740 und Heinse, Herder, Lessing und viele andere. Fritz Jacobi 1743 werden seine Söhne Johann Georg und Friedrich verfasst zahlreiche philosophische Schriften, die hohe Heinrich geboren. In der Folge der Totgeburt einer Anerkennung gefunden haben, er übersetzt deutsche zweiten Tochter stirbt die junge Mutter schon 1746, Philosophen ins Französische und auch die Gedichte eine zu der Zeit noch fast alltägliche Tragik. seines Bruders Georg. Er wechselt 1772 in den Staatsdienst, wo er sich um das Zollwesen verdient machte. Jacobi kann 1747 ein großes von der Düssel umflosse- Nach dem Scheitern der Zuckerraffinerie und dem Tod nes Areal vor der Stadt in Pempelfort erwerben, wo es seiner geliebten Frau siedelt er ganz nach Pempelfort für Wohlhabende schick gewesen ist, einen Garten zu über und lässt später das Haus für die vielen Gäste besitzen. Das Grundstück hat sehr privilegiert neben vergrößern und den Garten, offenbar im englischen dem noch im Bau befindlichen fürstlichen „Schloss“ Jä- Stil, umgestalten. gerhof gelegen, also etwa dort, wo sich heute an der Jacobistraße der Malkasten mit angrenzendem Park Jacobis Garten ist eine deutschlandweit bekannte befindet. An dieser Stelle hat er neben einem Wohn- Adresse der Intellektuellen dieser Zeit gewesen. Mit haus mit Nebengebäuden und großem Garten sogar Wehmut verlässt Fritz 1794 Pempelfort, weil die krie- eine Zuckerfabrik errichtet. 1748 heiratet er noch ein- gerischen Ereignisse, die auf die Französische Revoluti- mal eine junge Frau, die mit 40 Jahren stirbt, nachdem on gefolgt sind, das Leben in Düsseldorf sehr ungemüt- sie acht Kinder auf die Welt gebracht hatte, von denen lich machten. Was aus seinen Hinterlassenschaften in nur vier sie überlebten. Das zeigt die gesellschaftli- Pempelfort geworden ist, werde ich in der nächsten chen Strukturen dieser Zeit der berühmten Männer. Ausgabe berichten. 17 „F l In air ve lie st b or te en “ tr äu m e Von Alexander Flohé W ie Pilze schießen sie aus dem Boden und Es fehlt eine Mischung, eine Mischung von sozialen und ethnischen Schichten, von jung und alt, von reichen und armen Haushalten, von alt und neu. schon die Namen versprechen Großartiges: „Heinrich-Heine-Gärten“, „Papillon“, „Le Quartier Central“ oder „Le Flair“. Namen, die Exklusivität versprechen wollen, Namen, die Marken sein sollen. Und die Anpreisungen gehen weiter: Es geht um „Vorzeigeobjekte mit Charakter“, um ein „neues Wohn- und Loft-Feeling“, um „exklusive Lebenswelten“ und natürlich werden „auf höchstem Niveau die Ansprüche unserer Kunden vom zeitgemäßen und stilvollem Wohnen umgesetzt“. Na, „Flairlieben“(!) sie sich schon? Investorenträume als gesäuselten Werbebotschaften, Bauprojekte als Lifestyle-Markenprodukte. Doch die Botschaften kommen an: Die besten Viertel, in denen all das fehlt, was ein lebendiges Stadt- Stücke von der Zuckerguss-Torte sind schon weg – da viertel grundsätzlich auszeichnet: Eine Mischung, eine will man hin. Aber, komisch, wer will denn da hin? Mischung von sozialen und ethnischen Schichten, von jung und alt, von reichen und armen Haushalten, von Früher zogen einkommensstärkere, junge Familien alt und neu. raus aus der Stadt, hinein in die vorstädtische Ruhe und Abgeschiedenheit. Nun kommen sie zusammen Es ist widersprüchlich: Städtische (Lebens)Qualitä- mit gelangweilten Rentnern – man spricht von der ten stehen für die Investoren ganz oben auf der Wer- „Renaissance der Städte“ – zurück, um in der Stadt die te- und Werbeskala. Sie sprechen von „Lebens- oder Nahversorgung, die Ärzte, Kitas, aber auch Kultur und Erlebniswelten“ in ihren Wohnkomplexen, die Stadt- nettes Shoppen zu suchen und zu finden. Darauf re- soziologen als sogenannte „Lifestyle Community“ be- agieren die Investoren: Die Ware Wohnung wird die- zeichnen: Bewohner, die sich durch Lebensstandard sen Menschen nun mit emotionalen Versprechungen und Konsumwerte miteinander verbunden fühlen. Der nach Sicherheit und Geborgenheit unter ihresgleichen Autor Klaus Englert konstatiert dazu: „Diese Bewoh- angeboten. ner mögen sich noch so sehr zur Stadt bekennen – die neuen Quartiere sind selten im städtischen Umfeld Die abgeschirmten Wohnungen und Wohnkomplexe, verankert, sie sind Produkte eines rein ökonomischen diese „urban villages“ und „gated communities“, ga- Kalküls.“ rantieren in der Stadt den Rückzug vor der Stadt. Man will in der Stadt leben, aber nicht all Ihre Facetten Es bleibt nur noch die Hoffnung, dass man lebendiges, abbekommen. Getreu dem Motto: „Wasch mir den heterogenes Stadt(teil)leben, das man also Urbanität Pelz, aber mach mich nicht naß“. Mit solch gewollter „nicht bauen“ kann. Denn die Urbanität – so die Stadt- architektonischer und sozialer Abgrenzung entstehen soziologen Häußermann & Siebel – „widersetzt sich der zweckvollen Inszenierung und sie entsteht nicht von heute auf morgen. Aber doch hat sie ihre Orte, an denen sie gleichsam materielle Gestalt gewinnt und erlebbar wird. Solche Orte sind oft Ergebnis des Alterns der Stadt, des Zerfalls, der Lücken hinterlässt, in denen urbanes Leben sich breit machen kann.“ 18 19 Pempelforter Urban Sketches von Carsten Tiemessen | facebook.com/guteaussichten 20 21 22 23 BRUCH Blick von der Brücke Jülicher Straße auf den stillgelegten Güterbahnhof vor der Überplanung des Geländes 1999.