Frage nach der Dominanz des Klanges bei Georg Trakl am Beispiel
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Frage nach der Dominanz des Klanges bei Georg Trakl am Beispiel
Universität Augsburg Philologisch-Historische Fakultät Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft Prof. Dr. Mathias Mayer Sommersemester 2014 Dozent: Prof. Dr. Mathias Mayer Hauptseminar: Georg Trakl. Blockseminar mit Exkursion Frage nach der Dominanz des Klanges bei Georg Trakl am Beispiel der Gedichte Kleines Konzert und Nachtergebung Verfasserin: Stefanie Ries Am Anger 7 86706 Weichering Frage nach der Dominanz des Klanges bei Georg Trakl am Beispiel der Gedichte Kleines Konzert und Nachtergebung Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ............................................................................................................................ 3 2. Stellenwert der Musik im Leben Georg Trakls .......................................................................... 5 3. Unterordnung oder Dominanz des Klangs? .............................................................................. 7 3.1. Kleines Konzert.............................................................................................................. 7 3.1.1 Musikalische Elemente in der formalen Gedichtstruktur der Druckfassung ....................... 8 3.1.2 Wortmaterial als musikalischer Akzent ........................................................................ 9 3.1.3 Das Spiel mit den Lauten.......................................................................................... 10 3.2. Nachtergebung ............................................................................................................. 11 3.2.1 Musikalische Elemente in der formalen Struktur ......................................................... 12 3.2.2 Musikalische Elemente im Wortmaterial .................................................................... 12 3.2.3 Vokalität und Konsonanz ......................................................................................... 13 4. Musikalität in Trakls Lyrik................................................................................................... 15 4.1. Zuordnung Klang – Wort – Motiv................................................................................... 15 4.2 Klänge als strukturierende Elemente ................................................................................ 16 4.3 Klangliches Überschreiten der Sprache ............................................................................ 17 5. Die Dominanz des Klangs bei Georg Trakl ............................................................................ 19 6. Anhang .............................................................................................................................. 20 6.1 Nachtergebung .............................................................................................................. 20 6.2 Kleines Konzert............................................................................................................. 21 7. Literaturverzeichnis ............................................................................................................ 22 8. Eidstattliche Erklärung ........................................................................................................ 22 2 1. Einleitung Vorbei! Heute ist diese Vision der Wirklichkeit wieder im Nichts versunken, ferner sind mir die Dinge, ferner noch ihre Stimme und ich lausche, ganz beseeltes Ohr, wieder auf die Melodien, die in mir sind, und mein beschwingtes Auge träumt wieder seine Bilder, die schöner sind als alle Wirklichkeit! Ich bin bei mir, bin meine Welt! Meine ganze, schöne Welt, voll unendlichen Wohllauts.1 Auf die Weise, wie Georg Trakl den Bildern und Melodien in seinem Innersten verbunden ist, so empfindet er auch die Nähe zu seiner Schwester, Hermine (Minna) von Rauterberg, wie er selbst in einem Brief an Minna im Jahr 1908 schreibt. Diese Worte sind wesentlich tiefer, wie es ein erstes Lesen vielleicht erahnen lässt, denn sie lassen sich als Zusammenfassung wesentlicher Züge des Dichters selbst lesen. Georg Trakl wird am 3. Februar 1887 in Salzburg als viertes Kind der Eheleute Tobias und Maria Catharina Trakl geboren. Die Familie ist durch die Eisenwarenhandlung des Vaters frei von finanzieller Not, sodass die Kinder eine „sorgenfreie“ Kindheit mit guter Ausbildung erhalten können. Wie in bürgerlichen Familien üblich, so erzog im Wesentlichen die aus dem Elsass stammende Gouvernante Marie Boring die Trakl-Kinder. So harmonisch die Familienverhältnisse nach außen wirken, die Beziehungsverhältnisse innerhalb ihrer sind dennoch problematisch. Der Vater und Geschäftsmann nimmt an der Kindererziehung nicht teil, wird aber zumindest als die ausgeglichene Person der Familie beschrieben. Das vordergründige Interesse der Mutter gilt mehr ihrer Antiquitätensammlung als ihren Mutterpflichten. Sie ist offensichtlich mit der Alltagssituation überfordert und flüchtet aus diesen Gründen – so scheint es – in den Drogenkonsum. Innere Zerrissenheit, Existenzbewältigungsprobleme, Introvertiertheit und die Tendenz zur Isolation begleiten das Leben Georg Trakls von Kinderbeinen an, wie sich seine Wegbegleiter erinnern. Sein eigenwilliges Verhältnis zur Realität ist eine weiterer Charakterzug des Dichters, welcher im einleitenden Zitat hervortritt: ein in sich Versunken-Sein, Weltabgewandtheit, Bilder und Melodien in einer eigenen mentalen Welt2. Die Hin- und Her-Gerissenheit zwischen den Welten wird an seinem Lebenslauf deutlich: So verlässt Georg Trakl nach der Obersekunda vorzeitig die Schule und beginnt ein Praktikum als Apotheker mit anschließendem Pharmaziestudium, welches er als Magister der Pharmazie abschließt. Nach anschließender einjähriger Tätigkeit beim Militär versucht sich Georg Trakl 1 Trakl, Georg: Brief an Hermine von Rauterberg. In: Kemper, Hans-Georg/Max, Frank Rainer: Georg Trakl. Werke. Entwürfe. Briefe. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 1984, S. 214. 2 Vgl.: Weichselbaum, Hans: Georg Trakl. Eine Biographie mit Bildern, Texten und Dokumenten. Salzburg: Otto Müller 1994, S. 32-34. 3 in verschiedenen beruflichen Anstellungen, die er jedoch entweder abbricht oder gar nicht erst antritt. Obwohl währenddessen das Werk des Dichters stetig wächst und er mehr oder weniger regelmäßig, unter anderem im „Brenner“, publiziert, so ist er doch auf die Unterstützung seiner Freunde und Gönner, vor allem Erhard Buschbeck oder Ludwig Ficker, angewiesen. Nach Kriegsausbruch 1914 meldet sich Georg Trakl freiwillig als Militärapotheker zum Dienst. Nach dem Einsatz bei der Schlacht von Grodek in Galizien nimmt der „geistige“ Gesundheitszustand des Dichters stetig ab, ein erster Selbstmordversuch nach der Schlacht bei Grodek scheitert, sodass er zur Beobachtung ins Krakauer Garnisonsspital eingewiesen wird. Auch ein Besuch Ludwig Fickers kann nicht verhindern, dass sich Georg Trakl am 3. November 1914 mit einer Überdosis Kokain das Leben nimmt. Das Genie des Dichters lebt in seinem literarischen Nachlass weiter und fordert seine Leser beständig heraus. Besonders durch die Gratwanderung zwischen Sinn-und Sinnlosigkeit, bilderreicher Sprache und Sprachmusik, die sich dem Rezipienten wie ein dichtes Flechtwerk in den Gedichten präsentiert, macht sich Georg Trakl zu einem Faszinosum, das greifbar scheint und doch nicht greifbar wird. In dieser Arbeit soll das Netz aus Sprache und musikalischen Elementen exemplarisch an den Gedichten Kleines Konzert und Nachtergebung näher untersucht werden. Dabei steht die Frage im Zentrum, inwieweit das Musikalische in der Lyrik Georg Trakls über die Sprache dominiert. In einem ersten Schritt wird die Beziehung Georg Trakls zu Musik aufgezeigt, um im Anschluss herauszuarbeiten, welche Rolle musikalische Elemente in der Lyrik Trakls übernehmen. 4 2. Stellenwert der Musik im Leben Georg Trakls Wie in den meisten bürgerlichen Familien um die Jahrhundertwende, so wird auch bei Familie Trakl dem Interesse für Kunst und Kultur ein hoher Stellenwert beigemessen. Es werden gemeinsam Konzerte im Mozarteum und im Stadttheater besucht und die TraklKinder, mit Ausnahme von Wilhelm, gehen u.a. bei August Brunetti-Pisano, einem Salzburger Komponisten, in den Klavierunterricht. Die Erinnerungen der Geschwister bescheinigen nicht nur Margarete, die Konzertpianisten wird, besonderes musikalisches Talent, sondern berichten auch, dass es Georg zu hoher Kunstfertigkeit im Klavierspiel brachte.3 Die Gegebenheiten lassen deshalb annehmen, dass Georg Trakl mit der Musikszene gut vertraut war und Musik oft ein Gesprächsthema im Kreis der Familie und Freunden gewesen sein wird. Vor allem die Vertrautheit zu seiner Schwester Margarete und der Aspekt, dass sowohl Grete als auch Georg sich offensichtlich im Komponieren versuchten, legen nahe, dass hier ein reger (musikalischer) Austausch zwischen den beiden Künstlern bestand. Einen wesentlichen Einfluss auf musikalische Elemente in Trakls Lyrik haben gewiss auch seine Kompositionskenntnisse genommen, wobei hier jedoch unklar ist, wie ausgeprägt sein Wissen darin war und wie stark die Rückwirkungen auf das Dichten sind. Dass Georg Trakl einen besonderen Zugang zu Musik und Klang besaß, lässt sich zudem aus Aussagen von Ludwig Uhlmann und Anton Moritz schlussfolgern, die sich erinnern, dass Musik oder Melodien, die er hörte, seine ganze Aufmerksamkeit beanspruchten, sodass er sich auf nichts anderes mehr konzentrieren konnte4 und dass er meinte, nur „mehrere Takte grosser Musik auf einmal hoeren zu koennen.“5 Zusätzlich bezeugen Briefe des Dichters an Freunde und Geschwister wie eng das Musikalische zur Persönlichkeit Georg Trakls gehört. So spricht er immer wieder von Melodien und Rhythmen, die das Chaos seiner Gefühle durchschneiden oder beherrschen, aber auch von Stille, nach der er sich sehnt. Dort heißt es zum Beispiel: 3 Vgl.: Hellmich, Albert: Klang und Erlösung. Da Problem musikalischer Strukturen in der Lyrik Georg Trakls. Trakl-Studien Bd. VIII. Salzburg: Otto Müller 1971 S. 19. und Weichselbaum, Hans: Georg Trakl. Eine Biographie mit Bildern, Texten und Dokumenten. Salzburg: Otto Müller 1994, S. 32. 4 Vgl.: Weichselbaum, Hans: Georg Trakl. Eine Biographie mit Bildern, Texten und Dokumenten. Salzburg: Otto Müller 1994, S. 34. 5 Ebd.: S. 34. 5 ich lausche, ganz beseeltes Ohr, wieder auf die Melodien, die in mir sind[…]6 ; Das Glockenspiel spielt »die letzte Rose« […] Und der Brunnen singt so melodisch hin […] Und die Stille steigt über alle Plätze und Straßen. Könnt‘ ich doch inmitten all‘ dieser Herrlichkeit bei euch weilen, mir wäre besser.7 oder auch: Aber ich bin derzeit allzu viel (was für ein infernalisches Chaos von Rythmen und Bildern) bedrängt…8 Diese Aussagen Georg Trakls aus seinen Briefen lassen annehmen, dass er das, was er mit Melodie, oder Rhythmus beschreibt, gleichsetzt mit seinen innersten Gedanken, Stimmungen und Gefühlen. Im Zusammenhang mit einem nicht datierbaren Brief an Buschbeck, ließe sich sogar erwägen, dass Georg Trakl Worte und Rhythmus synonym verwendet: Indem ich Dir diese wenigen Rythmen aus meinem Inferno übermittle teile ich dir mit, dass ich Eueren Brief erhalten habe.9 Ein andere Querverbindung, die Rückschlüsse auf die Rolle der Musik und auf das künstlerische Selbstverständnis Trakls zulässt, ist seine Freundschaft zu Erhard Buschbeck, dem Leiter des „Akademischen Verbandes für Literatur und Musik“ und Mitherausgeber der Zeitschrift Der Ruf , in der Georg Trakl seine ersten Werke veröffentlicht.10 Hierbei kann man erahnen, dass sich der Dichter Trakl insbesondere über seine Leidenschaft zu Musik definiert, wenn er für die Erstpublikation explizit diese Zeitschrift wählt, in der auch andere Musiker veröffentlichen.11 Abschließend kann man festhalten, dass sich die Verbindung Georg Trakls zu Musik wie ein roter Faden durch das Leben des Künstlers zieht. So ist seinen Haltung zu Musik und seine Auffassung von Sprache charakteristisch für seine Art und Weise Lyrik zu betreiben. 6 Brief An Hermine von Rauterberg. In: Kemper, Hans-Georg/Max, Frank Rainer: Georg Trakl. Werke. Entwürfe. Briefe. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 1984, S. 214. 7 Brief An Maria Geipl; Oktober 1908 In: Ebd.: S. 215. 8 An Erhard Buschbeck: In: Ebd.: S. 221. 9 An Erhard Buschbeck: In: Ebd.: S. 253. 10 Vgl.: Doppler, Alfred: Die Musikalisierung der Sprache in der Lyrik Georg Trakls. In: Colombat, Rémy/Stieg, Gerald: Frühling der Seele. Pariser Trakl-Symposion. Berliner Studien Band XIV. Innsbruck: Haymon-Verlag, S. 182. 11 Die enge Freundschaft zu E. Buschbeck mag hier zugegebenermaßen der entscheidendere Faktor gewesen sein, dennoch hätte Georg Trakl eine andere Zeitschrift, mit der er sich enger verbunden fühlt, wählen können. 6 3. Unterordnung oder Dominanz des Klangs? An dieser Stelle sei der Gedanke, dass Georg Trakl Rhythmus und Sprache auf Augenhöhe bzw. sogar austauschbar sieht12, aufgegriffen. Unter dieser Prämisse eröffnen sich zahlreiche Anschlussfragen : Dominiert in den Gedichten Trakls die Sprache oder wird diese vielmehr von den musikalischen Aspekten bestimmt? Kann ein fehlender sprachlicher oder logischer Sinn durch musikalische Elemente ersetzt werden? In der folgenden Untersuchung an den Gedichten Kleines Konzert und Nachtergebung stehen musikalische Bauelemente und der Klang in den Werken im Zentrum. So legt vor allem das für die Lyrik Trakls grundsätzliche Phänomen, „die Deutungsproblematik an sich, die von der Trakl- Philologie bis heut nicht zureichend gelöst ist“13, nahe, dass eine andere Art von Vernetzung zwischen den Strophen, Versen oder Bildern der Gedichte besteht. Um die wechselseitige Beziehung zwischen Sprache und musikalischen Strukturen herauszuarbeiten, werden bewusst zwei Gedichte aus verschiedenen Schaffensphasen des Künstlers gegenübergestellt, um eine etwaige Genese zu berücksichtigen. 3.1. Kleines Konzert In der Lyrik können verschiedenste musikalische Elemente auftreten. Vordergründig verbindet man mit Musik oder musikalischen Elementen etwas Akustisches, einen einzelnen Klang oder die Abfolge bestimmter Töne, die eine Melodie bilden. Sprache ist zwar keine Musik im eigentlichen Sinn, dennoch verfügt sie über einen ihr eigenen Klang, der insbesondere durch den Einsatz und die Kombination der Vokale und Konsonanten bestimmt wird. Durch die Art und Weise der Betonung der einzelnen Wörter oder der Satzbetonung werden ebenfalls eine Art Rhythmus und Melodie erzeugt. Musikalische Elemente in der Lyrik können also in verschiedenen Ebenen der Sprache des Gedichts auftreten und wirken. 12 An Erhard Buschbeck: In: Kemper, Hans-Georg/Max, Frank Rainer: Georg Trakl. Werke. Entwürfe. Briefe. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 1984, S. 253. 13 Thauerer, Eva: Ästhetik des Verlusts. Erinnerung und Gegenwart in Georg Trakls Lyrik. Studium Litterarum. Studien und Texte zur deutschen Literaturgeschichte. Bd. 14. Berlin: Weidler 2007, S. 63. 7 3.1.1 Musikalische Elemente in der formalen Gedichtstruktur der Druckfassung Dem aktuellen Forschungsstand14 gemäß, ordnet man die Entstehung des Gedichts Kleines Konzert (Textstufe H1) in das erste Quartal des Jahres 1912 ein - womöglich stellt auch die maschinenschriftliche Abschrift (2T) das Original dar. Aufgrund der Herausgabe des ersten Gedichtbands Gedichte treten mehrere Abschriften auf (3T und 4T). Als Druckvorlage (5T) für den Gedichtband wird dann jedoch die ursprüngliche Fassung verwendet. Betrachtet man die Textgenese des Kleinen Konzerts, zeigt sich zwar, dass Georg Trakl an dem Gedicht Abänderungen vornimmt, die aber meist die Orthographie der Wörter, wie scheusslich – scheußlich (V. 17) oder Narziss – Narziß (V.20), betreffen, bei denen ein Buchstabe getilgt wird. Einzig bei goldne (H1, V. 8) findet zu den folgenden Textstufen eine Erweiterung um eine Silbe zu goldene (3-5T) statt. Zudem nimmt Trakl wenige Satzzeichenänderungen vor, beispielsweise in Vers 1 wird ein Punkt (H1) zum Binde-bzw. Gedankenstrich (2T) oder der Strichpunkt (V. 5) durch ein Komma (3/4T) ersetzt. Welche Auswirkungen diese Veränderungen auf musikalischer Ebene haben zeigt sich in der Analyse des Reims und des Rhythmus. Das Kleine Konzert gestaltet sich in fünf Strophen zu je vier Versen, die durch einen umarmenden Reim zusammengehalten werden, der mit Ausnahme der Assonanzen der Verspaare Eins und Vier bzw. 17 und 20, ein reiner Reim ist. Der übereinstimmende Klang der Reime zum Ende der Verse bildet ein strukturierendes Element im Gedicht, das für Stabilität sorgt, insbesondere innerhalb der einzelnen Strophen rahmengebend ist. Für das Kleine Konzert verwendet Georg Trakl einen vierhebigen Jambus, der am Versende mit einer weiblichen Kadenz versehen ist. In Kombination mit dem Satzbau und der Zeichensetzung gewinnt das Kleine Konzert dadurch einen pulsierenden Rhythmus, der nur durch wenige Ausnahmen unterbrochen wird; zunächst in Vers Acht, und Zehn. So verzögern einfältig und goldene (V. 8) den rhythmischen Fluss, der sich aus drei Silben zusammensetzten, von denen jeweils nur die erste betont wird: v-- v-- Ein-fäl-tig gol-de-ne Durch eine Synkopierung in Vers Zehn kommt es zu einem rhythmischen Stillstand, welcher außerdem den Mittelpunkt des Gedichts darstellt. Mit Synkopierung ist dabei gemeint, „daß 14 Trakl, Georg: Kleines Konzert. In: Sauermann, Eberhard/Zwerschina, Hermann: Sämtliche Werke und Briefwechsel. Historisch-Kritische Ausgabe mit Faksimiles der handschriftlichen Texte Trakls. Bd. I Innsbrucker Ausgabe. Frankfurt am Main: Stroemfeld 2007, S. 523-539. 8 eine Betonung früher fällt als vorauserwartet“15, also vom Grundtakt abweicht. So prallen im Zentrum des Gedichts zwei Betonungen, nämlich der Begriffe still und Gottes zusammen, die einen Stopp im Vortragsfluss erzwingen. Die Pause wird auf der Ebene der Satzzeichen zusätzlich durch einen Punkt unterstützt, der ein Abfallen der Satzintonation im Vortrag fordert und den Rhythmusbruch in eine Atempause umwandelt: - v-v-v//v-vDie Fi-sche ste-hen still. Go-ttes O-dem (V. 10) 3.1.2 Wortmaterial als musikalischer Akzent In seiner Untersuchung zum Sprachgebrauch Georg Trakls, die die Worte und die Wortfrequenz analysiert, konstatiert Josef Leitgeb: In Trakls Dichtungen herrschen Wortarten vor, die das reine Bild vermitteln. Das Hauptwort, das die Erscheinung vor uns hinstellt, indem es sie nennt, und das Eigenschaftswort, das an ihr Form, Farbe, Klang und Geruch kennzeichnet.16 Diese Beobachtung stellt eines der dominierenden Grundprinzipien der Gedichte dar, welches sich auch im Kleinen Konzert widerspiegelt. Zuerst fallen die kurzen, aneinandergereihten Sätze auf, die Eindrücke beschreiben oder hintereinander schalten. Sie stehen teilweise noch semantisch in Verbindung, erscheinen zumeist aber völlig beziehungslos, wie es nachstehende Beispiele exemplarisch verdeutlichen. Das Sonnenlicht taucht die Hände in einen warmen Rotton, denn „Durch deine Hände scheint die Sonne.“ (V. 2); das Herz ist voll Zufriedenheit und Freude und stellt sich innerlich auf einen neue Tat ein (V. 4). Mit dem Strophenwechsel ändert sich auch das Bild: es „strömen gelbe Felder“ (V. 5), man nimmt das Zirpen der Grillen wahr und den Takt, in dem die Mäher mit den Sensen auf dem Feld schwingen (V. 4f), der Wald „schweigt“. Lässt sich zwischen den ersten beiden Strophen noch eine Verbindung erkennen, sind die weiteren Strophen mehr oder weniger für sich ein unverbundenes Nebeneinander. Die Substantive, wie „Tümpel, Verwesung, Fische, Odem, Saitenspiel, Aussätziger, Genesung, usw“. semantisch in Beziehung zueinander zu bringen, führt ins Leere. Die serialisierten Bilder werden zwar in Strophen gegliedert, aber sie über die Worte des Dichters hinaus zu beschreiben, ist dem Rezipienten durch zunehmende Sinnentleerung schwer möglich. 15 Hellmich, Albert: Klang und Erlösung. Da Problem musikalischer Strukturen in der Lyrik Georg Trakls. Trakl-Studien Bd. VIII. Salzburg: Otto Müller 1971, S. 116. 16 Josef Leitgeb, zitiert nach: Schier, Rudolf Dirk: Die Sprache Georg Trakls. Heidelberg: Carl Winter 1970, S. 26. 9 Dennoch: die das Gedicht durchwebenden Worte und Bilder, die einen Klang ausdrücken, stellen strophen- und versübergreifende Verbindungen her: Grillen singen (V.6), …Sensenschwingen (V. 7)…Einfältig schweigen goldene Wälder (V. 8); Fische stehen still (V. 10); Wecket sacht ein Saitenspiel (V. 11), Man hört […] den Lehrer geigen (V. 15) …den Schrei der Ratten (V. 16); dunkle Stimmen starben (V. 19), Narziß im Endakkord von Flöten (V. 20) Alle diese Worte sind dem Sprachbereich der Musik zuzuordnen und beschreiben entweder Klänge, Geräusche im weitesten Sinne oder stellen eine Lautquelle bzw. Instrument dar. Durch ihr Auftreten bewirken sie, dass sich der Rezipient allem akustisch Wahrnehmbarem im Gedicht öffnet und aufmerksam in das Gedicht hineinhorcht. Charakteristisch für die Traklsche Lyrik ist die Verwendung synästhetischer Bausteine, die in Form von Attribut-Verb- und Adjektiv- Substantivkombinationen den Sinneseindruck steigern. Die Nähe zwischen Gefühlsausdruck, Motiven und Klängen konstatiert auch die Beobachtung in der Forschung: Besonders bei Georg Trakls ist, dass „hier der Klang, die Musik, als Ausdruck des Lebens und der Freude [fungiert]“17. Umgekehrt rückt die Stille, Ton- bzw. Sprachlosigkeit in die Nähe des Todes oder negativ konnotierter Motive. Dieses Phänomen findet sich auch in der Gedichtmitte des Kleinen Konzerts: Am Tümpel der Verwesung, in dem die Fische still stehen und eine Todesstimmung heraufbeschworen wird, bringt Trakl den Atem Gottes ins Spiel. Gottes Odem wirkt hier lebensspendend, wie in der Genesiserzählung, insofern durch das Erwecken des Saitenspiels Töne assoziiert werden, als Sinnbild für das Lebendige.18 3.1.3 Das Spiel mit den Lauten Auf der Ebene der Worte dienen sowohl Konsonanten als auch Vokale als Klangtransporteure und tragen durch ihren spezifischen Einsatz zur Klangfarbe des Gedichts bei. Bei den Vokalen differenziert man hierbei zwischen hellen Vokalen, /e/ /i/ /ü/ und /ei/ /eu/ und dunklen Vokalen /a/ /u/ /o/ und /au/. Bei diesen stellt Albert Hellmich fest, dass bei Georg Trakl die dunklen Vokale überwiegen, die zumeist den Grundton des Gedichts bestimmten. Ihnen sind die hellen, positiv konnotierten Klänge entgegengestellt.19 Jedoch lässt sich diese Feststellung nur bedingt auf das Gedicht Kleines Konzert übertragen. So halten sich in den Strophen zumeist helle und dunkle Vokale die Waage. In den Versen Elf, Zwölf, oder beispielsweise auch Sechzehn, wechseln sich helle und dunkle Vokalen ab. Tendenziell lässt sich eine Tendenz zu hellen Vokalen in betonter Stellung in der ersten Strophe feststellen, die 17 Hellmich, Albert: Klang und Erlösung. Da Problem musikalischer Strukturen in der Lyrik Georg Trakls. Trakl-Studien Bd. VIII. Salzburg: Otto Müller 1971, S. 125. 18 Vgl.: Ebd., S. 117, 42. 19 Vgl.: Ebd., S. 134. 10 letzte Strophe verfügt hingegen über verhältnismäßig mehr dunkle Vokale. Als Mittel, um den Gleichklang bestimmter Vokale zu steigern, verwendet Georg Trakl oft Vokalhäufungen oder Klangwiederholungen. Zum Beispiel: Kaum hörst du noch (V. 6) oder „Im grünen Tümpel glüht Verwesung (V. 9) Tritt im ersten Beispiel nur eine Wiederholung der dunklen Vokalfarbe auf, so erfährt die Wiederholung der hellen Vokale im zweiten Beispiel eine Steigerung, insofern hier ein dreifaches /ü/ aufeinanderfolgend steht. Auf diese Weise rückt der Klang gegenüber der Sprache in den Vordergrund. Auffällig für den Bereich der Konsonanz sind s-, sch- bzw. sch(w)- Laute, die sich durch das ganze „Konzert“ ziehen und zumeist als Alliteration auftreten. Beispielsweise in der Kombination Sensen-schwingen, schweigen“ (V. 7f.); „Die Fische stehen still. […] sacht ein Saitenspiel“ (V. 10f) oder „Stimmen starben (V. 19). Das Schwingende des Rhythmus‘ wird zum Einen nachdrücklich durch das Auftreten in Form von Alliterationen unterstützt, zum Andern verbinden die Alliterationen der Zisch-Laute, indem sie durchgängig im Gedicht ertönen, die einzelnen Gedichtpassagen, wenn rationaldialogische Komponenten zurücktreten. 3.2. Nachtergebung Das Gedicht Nachtergebung, dessen Entstehungszeitraum um Juli 1914 angesetzt wird, fällt in die letzte Schaffensperiode des Künstlers und soll als zweites Untersuchungsobjekt Aufschluss über musikalische Aspekte der Lyrik Georg Trakls geben. Im Gegensatz zum Kleinen Konzert, bei dem von der ersten Handschrift bis zur Druckvorlage nur wenige Änderungen in Orthographie, Zeichensetzung und Wortwahl geschehen, wird der Prozess des Dichtens an diesem Werk besonders deutlich. Nachtergebung verfasste Georg Trakl in mehreren Arbeitsphasen, wie die mehrteilige Handschrift G 40-44 belegt. Alle Entwürfe 1 H- 7 H befinden sich auf einem fünfseitigen Konvolut, in dem alle Varianten und Notizen mit enthalten sind. Obwohl der Grundstock der Verse bereits inhaltlich in 1 H auftritt, bestehen innerhalb der einzelnen Textstufen oft enorme Unterschiede. Ob auf dem 11 Entscheidungsweg hin zur Druckfassung musikalische Argumente beteiligt sind, soll im Folgenden näher betrachtet werden.20 3.2.1 Musikalische Elemente in der formalen Struktur Trakl teilt sein Gedicht Nachtergebung in drei Strophen zu je vier Versen ein. Dabei wird analog zu Kleines Konzert ein umarmender Reim verwendet, bei dem in jeder Strophe mit den Kadenzen gespielt wird. So werden für die äußeren Reimpaare jeweils die weiblichen Kadenzen verwendet, die die inneren männlichen Kadenzen umschließen. Getragen wird das Gedicht (7 H) von einem vierhebigen, alternierenden Trochäus. Vergleicht man die Druckfassung mit anderen Entwürfen, so stellt man fest, dass dieser eingängige Rhythmus bereits ab der ersten Fassung (1 H) vorhanden ist. Sind Alternativen für manche Wörter angeführt, so passen diese ebenfalls zum Grundrhythmus des Gedichts. Einzig in der vierten Handschrift taucht das Wort „Fremdlingin“ auf, das durch seine drei Silben aus diesem Muster fällt. Es wäre durchaus möglich, dass es aus rhythmischen Gründen nicht für die Druckfassung ausgewählt wurde. 3.2.2 Musikalische Elemente im Wortmaterial Werden im Kleinen Konzert innerhalb einer Strophe gleich mehrere Klänge oder Geräusche benannt, so findet sich in diesem Gedicht nur ein konkret genanntes Geräusch, nämlich das Lachen, und ein Instrument, die Glocke, die mit Musik in Verbindung steht. Hellmich beschreibt die Glocke in der Lyrik Trakls wie folgt: An dritter Stelle in bezug auf die Häufigkeit der Verwendung musikalischer Motive steht das ‚Glocke‘ mit 25 (47) mal. Es ist ein ebenfalls charakteristisches Motiv und hat die Grundstimmung des Friedlichen, der Stille, Tröstung, Ruhe […]21 „Einer Glocke letzte Züge“ (V. 9) heißt es im Gedicht, sodass der Eindruck vom Verklingen einer Glocke entsteht, deren regelmäßiger Schlag aufhört und diese nur noch langsam nachschwingt. Vermutlich steht das Lachen - als Ausruf der Freude und Heiterkeit - das „noch scheint“ (Vgl. V.8), in Verbindung zu dieser Glocke. An beiden Bildern haftet das Verstummen des Tones, welches bei Georg Trakl oft als Chiffre für den Untergang bzw. den Tod auftritt. 20 Trakl, Georg:. Nachtergebung. In: Sauermann, Eberhard/Zwerschina, Hermann: Sämtliche Werke und Briefwechsel. Historisch-Kritische Ausgabe mit Faksimiles der handschriftlichen Texte Trakls. Bd. IV. 2 . Innsbrucker Ausgabe. Frankfurt am Main: Stroemfeld 2007, S. 289. 21 Hellmich, Albert: Klang und Erlösung. Da Problem musikalischer Strukturen in der Lyrik Georg Trakls. Trakl-Studien Bd. VIII. Salzburg: Otto Müller 1971, S. 35. 12 3.2.3 Vokalität und Konsonanz Wie bereits angesprochen, haben Vokale und Konsonanten in der Lyrik Georg Trakls ihre je spezifische Funktion und tragen wesentlich zur Strukturbildung der Gedichte bei. 22 Am auffälligsten gestaltet Trakl hierbei den Gleichklang - so auch in Nachtergebung. Erneut stehen sich die die hellen /i/ /ü/ und /ei/ -Klänge und die dunklen /a/ /u/ /o/ und /au/-Klänge gegenüber. Vergleicht man die Häufigkeit dieser anhand des Gedichts, ergibt sich eine Dominanz der dunklen Vokale in betonter Stellung. Der Effekt wird insbesondere in der ersten und der letzten Strophe des Gedichts verstärkt, weil dort der Reim ausschließlich aus dunklen Vokalen gebildet wird: …Dunkel, „…Lüge „…fallen …blau! …kühl23; …Baum …Tau …Spiel; …Raum …Sterngefunkel“ (V. 1-4) …Züge“ (V.5-8) …Erdenwallen. (V. 9-12) Entgegengesetzt verhält es sich in der zweiten Strophe, denn hier stehen im Reim die hellen Vokale. Durch diese Art der Reimzusammenstellung gelingt Georg Trakl eine Spiegelung der umarmenden Reime in den Laut der Reime hinein, wenn die mollig-klingenden Strophen mit ihrem Klang den hellen Reim der zweiten Strophe rahmen. Der verbindende Ton wird in Nachtergebung zusätzlich durch die Konsonanten intensiviert. Die ersten beiden Strophen sind durch k-Laute miteinander vernetzt. So hebt zunächst die Alliteration „Kammer kühl“ (V. 7) den Knacklaut markant hervor, der bei genauerer Beobachtung, bereits von Beginn an die Verse durchzieht. Er ist Teil des ersten Reimpaares Dunkel-Sterngefunkel, und auch in den Wörtern kühl (V. 2), dunkler (V. 3) und Kreuz (V. 4) enthalten. Die Kombination in der vierten Verszeile ist jedoch besonders zu erwähnen, denn auch hier tritt das umschlingende bzw. umarmende Element der Reime in der Konsonanzverteilung auf: So werden die beiden st-Laute „steil im Stern-„ durch die k-Laute in Anfangs- und Endposition umfangen. Dass Georg Trakl Meister der Klangkombination ist, beweisen auch die letzten beiden Verse des Nachtergebung-Gedichts: „Und zum Grabe wird der Raum Und zum Traum dies Erdenwallen.“ (V. 11f.) 22 Vgl. Doppler Alfred: Die Musikalisierung der Sprache in der Lyrik Georg Trakls. In: Colombat, Rémy/Stieg, Gerald: Frühling der Seele. Pariser Trakl-Symposion. Berliner Studien Band XIV. Innsbruck: Haymon-Verlag 1995, S. 198. 23 Hier lediglich Assonanz. 13 Beide Verse beginnen mit einer Wiederholung in Form einer Anapher – ein Trakl-Stilmittel schlechthin. Diese bewirkt durch den Parallelismus den identischen Klang zu Beginn der Verse. Im folgenden Vers baut Georg Trakl zudem eine chiastische Verschränkung der a- und au-Töne ein. So steht Grabe in Verbindung zu – wallen und Raum wiederum dem Traum gegenüber, wobei letztere an sich noch ein Reim ist. Augenfällig an dieser Beispielstelle ist zudem, dass, in dem Moment, in dem der inhaltliche Zusammenhang der Verse besonders schwer bis nicht greifbar ist, die Verse durch ihre Lautgestaltung umso verwobener sind. Die Klangfarbe trägt den Leser hierbei über die Verse hinweg.24 24 Vgl. Bolli, Eric: Georg Trakls «dunkler Wohllaut». Ein Beitrag zum Verständnis seines dichterischen Sprechens. Zürich u.a.: Artemis 1978, S.75. 14 4. Musikalität in Trakls Lyrik Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass Georg Trakl auf außergewöhnliche Weise mit Klängen und Tönen in seinen lyrischen Darbietungen arbeitet. Doch erhärteten sich bei den Untersuchungen die Dominanz des Klanges gegenüber der Sprache und ersetzt der Klang die inhaltlich, nicht rational fassbaren Elemente des Gedichts? Lässt sich tatsächlich mit Albert Hellmich am Ende behaupten „Trakls Lyrik ist Wortmusik, autonom gewordene Sprache in Vollendung.“25? 4.1. Zuordnung Klang – Wort – Motiv Aus dem Ergebnis der Untersuchungen von Kleines Konzert und Nachtergebung ist festzuhalten, dass sich eine Tendenz dahingehend erkennen lässt, dass der Dichter den Klang heller und dunkler Vokale in spezifischer Verbindung zu den Motiven in den Versen wählt. Als stellvertretendes Beispiel soll folgender Vers aus Kleines Konzert dienen: Ein Hader dunkle Stimmen starben, (V. 19) Hierbei wird, in etwa, vom Ersticken einer dunkel oder tief klingenden Stimme gesprochen. Durch das Verb sterben in Kombination mit dem Adjektiv dunkel schwingt neben dem Klang, für den die Stimmen symbolisch stehen, eine negative Konnotation mit. Gleichzeitig dominieren dunkle Vokale a- u –(i)-a die Zeile und sorgen durch dumpfen Charakter für eine traurige, moll-Ton-artige Grundstimmung. Das heißt, dass der Einsatz dunkler Vokale deckungsgleich zur Grundstimmung ist, welche durch die Worte und Motive ausgedrückt wird. Klang fungiert in der Lyrik Trakls als Chiffre für das Leben, für die Lebensfreude und Glückseligkeit26. Durch die oft antithetische Gestaltungsweise, tritt der Gegensatz Klang – Stille bzw. Leben – Tod in besonders markanter Weise in Augenschein. Der Mittelpunkt des Kleinen Konzerts, bei dem die Fische im Tümpel der Verwesung still stehen, kein Geräusch die Szenerie begleitet und dann ganz sachte die Töne des Saitenspiels erklingen, zeigt dies beispielhalft.(Vgl.: V. 10) Zudem kann zusätzlich in Hinblick auf die Genese des dichterischen Werks Trakls 25 Hellmich, Albert: Klang und Erlösung. Da Problem musikalischer Strukturen in der Lyrik Georg Trakls. Trakl-Studien Bd. VIII. Salzburg: Otto Müller 1971, S. 131. 26 Vgl. Ebd., S. 125. 15 festgehalten werden, dass die im Kleinem Konzert reichlich auftretenden Geräusche und benannten Klanggeber im Gedicht Nachtergebung auf zwei klangliche Aspekte, nämlich das Lachen und die Glocke reduziert werden. Dies bestätigt wiederum die Beobachtung Albert Hellmichs, der die Veränderung von vielfältigen musikalischen Bilder und Metapher hin zu stabilen Chiffren bemerkt. Dies erklärt sich vielleicht vor dem Hintergrund, dass sich Georg Trakl zu Beginn seiner Schaffensphase noch an Dichtervorbildern, wie den französischen Symbolisten orientiert, und erst mit zunehmender Erfahrung seine eigene autonome Sprache findet.27 Möglicherweise hat auch das biographische Argument des Kompositionswissens hier Einfluss auf den Einsatz und zur Ausarbeitung der Gedichte beigetragen. 4.2 Klänge als strukturierende Elemente Was bei den Untersuchungen sehr deutlich zum Vorschein kommt, ist die strukturgebende Funktion musikalischer Elemente. Ein Grundpfeiler, von dem beide untersuchten Gedichte getragen werden, ist der Rhythmus. In beiden Gedichten ist dieser gleichförmig mit vier Hebungen gestaltet, beim Kleinen Konzert bildet der Jambus den Versfuß, bei Nachergebung ein Trochäus. So weicht Trakl in Nachergebung nicht von der regelmäßigen Alternation der Hebungen ab, wodurch der Gleichklang durch die dunklen Vokale verstärkt wird. Betrachtet man hingegen die Gedichtmitte des Kleinen Konzerts, so kann man sagen, dass an dieser Stelle durch die Synkope ein rhythmischer Stillstand entsteht. Der Rhythmus setzt parallel zum Auftreten Gottes Odems, den man an dieser Stelle durchaus als ein säuselndes Geräusch interpretieren kann, ein und nimmt sein fortschreitendes Pulsieren auf.28 Ein weiter Aspekt, der den beiden Traklschen Gedichten besondere Stabilität verleiht, ist der oftmals spielerisch anmutende Reim. Beide Gedichte sind durch einen umarmenden Reim gekennzeichnet, der, bis auf wenige Ausnahmen in denen nur Assonanz besteht, ein reiner Reim ist. Durch diese übergreifende Formgebung wird der Zusammenhalt innerhalb der einzelnen Strophen intensiviert. Als Beispiel für die außergewöhnliche Komposition von Klang und der Form des Gedichts kann die Anordnung von Reimen und Klängen in Nachergebung gelten. Hierbei verwendet Georg Trakl das Prinzip der Umarmung sogar strophenübergreifend, indem die dunklen Endreime der ersten und dritten Strophe die hellen 27 Vgl. Hellmich, Albert: Klang und Erlösung. Da Problem musikalischer Strukturen in der Lyrik Georg Trakls. Trakl-Studien Bd. VIII. Salzburg: Otto Müller 1971, S. 124f. 28 Vgl. Bolli, Eric: Georg Trakls «dunkler Wohllaut». Ein Beitrag zum Verständnis seines dichterischen Sprechens. Zürich u.a.: Artemis 1978, S. 99. 16 Endreime der zweiten Strophe umschließen. Für Formstabilität in der Lyrik Trakls sorgt der wiederholende Stil29. Dies beginnt mit der Wiederholung einzelner Worte, wie Dunkel (V. 1/3) oder kühl (V.3/6) in Nachtergebung, und setzt sich über die Wiederkehr der tongleichen Vokale in den Endreim hinein fort. Wie weit dieses Spiel der Klangvariation und –kombination ausgereizt werden kann, zeigt stellvertretend die bereits zitierte Stelle, die das Gedicht Nachtergebung beschließt (vgl.: V.11f.). Verbindend sind hier die Anapher zu Versbeginn und die kreuzweise Gegenüberstellung der Vokale, welche bis in einen Reim gesteigert ist, und gerade nicht der Endreim. 4.3 Klangliches Überschreiten der Sprache Die Sprache des Dichters ist dunkel. Man hat ihn, in sehr vordergründigem Verständnis, zu den Impressionisten gerechnet, weil sich Eindruck an Eindruck in scheinbar losem Gefüge reiht. Man kann dem sinnlichen Klang der Worte, der vielen Farben und Schatten sich öffnen, aber es ist nicht leicht, dahinter mehr zu gewahren, das, was wir heute (vielleicht zu Unrecht) von Dichtung zu erwarten uns gewöhnt haben: Hilfe in der Ortlosigkeit unserer Welt, Antwort auf Fragen nach unserem Dasein, ordnende Bilder in den Verwirrungen der Seele und der Zeit.30 Die vorangehenden Untersuchungen an Worten und Rhythmus des Gedichts haben zum Ergebnis, dass die Eindrücke, wie auch Walther Killy es wahrnimmt, aus semantischer Perspektive zumeist wie das Hintereinander von Perlen auf einer Kette erscheinen. Man erachtet das Gelesene oft als sehr konfus, sodass in den Gedichten Kleines Konzert und Nachtergebung die Strukturierung durch musikalische Elemente - bis zum einem gewissen Grad - einen roten Faden erkennen lässt. So bilden vor allem der Rhythmus und die Klänge der Vokale und Konsonanten ein Grundgerüst, die einzelne Strophen und Eindrücke zusammenhalten. Albert Hellmich geht in seiner Studie Klang und Erlösung sogar soweit, dass er annimmt, dass der Klang mathematischen Gesetzen unterworfen sei und dass seine Werke sogar „auf einen rational erfaßbaren Inhalt verzichten“31. Die hier durchgeführte Analyse ergibt jedoch, dass die Sprache noch ihren spezifischen Anteil an der Vernetzung hat. Betrachtet man die zweite Strophe des Kleinen Konzerts, so gewinnt der Leser durchaus den Eindruck eines heißen Erntetags, geleitet durch die Worte „Sonne (V. 2), Mittag, gelbe Felder (V. 5), Mäher, Sensenschwingen (V. 7), schweigen, goldene Wälder 29 Vgl.: Bolli, Eric: Georg Trakls «dunkler Wohllaut». Ein Beitrag zum Verständnis seines dichterischen Sprechens. Zürich u.a.: Artemis 1978; S. 72. 30 Killy, Walther: Über Georg Trakl. 3. Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht 1967, S. 5. 31 Hellmich, Albert: Klang und Erlösung. Da Problem musikalischer Strukturen in der Lyrik Georg Trakls. Trakl-Studien Bd. VIII. Salzburg: Otto Müller 1971, S. 131. 17 (V.8)“. Die Assoziationen, welche die Worte mit freisetzen, werden jedoch durch das „musikalische Grundgerüst“ getragen und durch die suggestive Wirkung der Klänge unterstützt. Damit ist gemeint, dass man einen Erntetag nicht nur mit dem „strömen gelber Felder“ (V. 5) und den Bauern, die mit Sensen das Getreide mähen, verknüpft, sondern, dass zu einem Erntetag spezifische Geräusche und Stimmungen gehören, die bei Georg Trakl besonders stark in Erscheinung treten. Einzelnen Passagen in den Gedichten kann man daher sehr wohl semantischen Inhalt zusprechen. Andererseits verhält es sich, vor allem im späten Gedicht Nachtergebung durchaus so, dass die Sprachbedeutung auseinanderfällt und nur noch „Correspondances“ innerhalb des Gedichts bestehen.32 Dies geschieht, indem einige Wörter, aber vor allem Klänge, wiederholt auftreten und somit die musikalischen Aspekte mehr Bedeutung im Vergleich zur Semantik innehaben. Auf der Suche nach einem gemeinsamen Nenner des Gedichts kann man festhalten, dass an dieser Stelle dieser in musikalischen Elementen auffindbar ist. Einhergehend mit Alfred Doppler lässt sich somit konstatieren, das in der Lyrik Georg Trakls „ein Sprechen, das das System der sprachlichen Mitteilung überschreitet.“33stattfindet. Durch das Zusammenspiel der Worte, Bilder und Klänge und ihren jeweiligen Assoziationen werden spezifische Gefühlswahrnehmungen bei den Rezipienten erzeugt - quasi eine magische Resonanz34, die sich in den Augen Georg Trakls wahrscheinlich nur auf diese Weise ausdrücken lässt und nicht adäquater in Worte passt. Abschließend kann man festhalten daß seine Musik stets gebunden bleibt an eine Sprache, die zwar mitunter mehrdeutig ist, ihre Funktion als Bedeutungsträger eines Außersprachlichen keineswegs eingebüßt hat, sondern diese gerade kraft ihrer Offenheit in gesteigerter Weise erfüllt.35 32 Vgl. Bolli, Eric: Georg Trakls «dunkler Wohllaut». Ein Beitrag zum Verständnis seines dichterischen Sprechens. Zürich u.a.: Artemis 1978, S.74. 33 Doppler Alfred: Die Musikalisierung der Sprache in der Lyrik Georg Trakls. In: Colombat, Rémy/Stieg, Gerald: Frühling der Seele. Pariser Trakl-Symposion. Berliner Studien Band XIV. Innsbruck: Haymon-Verlag 1995, S. 186. 34 Bolli, Eric: Georg Trakls «dunkler Wohllaut». Ein Beitrag zum Verständnis seines dichterischen Sprechens. Zürich u.a.: Artemis 1978, S. 75. 35 Ebd., S. 75. 18 5. Die Dominanz des Klangs bei Georg Trakl Die Untersuchungen der Gedichte Kleines Konzert und Nachergebung bestätigen die Musikalisierung der lyrischen Werke Georg Trakls 36 großenteils. Die Verwendung musikalischer Strukturen in dem besonders künstlerischen Ausmaß ist sicherlich zu einem großen Teil der Biographie Trakls geschuldet. Seine musikalische Karriere wird schon in seiner Kindheit durch professionellen Klavierunterricht und musikalischen Veranstaltungen gefördert. Die Musik scheint neben seinem dichterischen Schaffen, einen besondere Position eingenommen zu haben, die die Fortentwicklung musikalischer Aspekte in seinen Dichtungen begünstigt hat. So bezeugen Auszüge aus den Briefen, dass Musik ein integraler Bestandteil Georg Trakls ist. Der Forschungsstand bezüglich der Auffassung des Verhältnisses Musik und Dichtung, der eine Nähe Trakls zu Arthur Rimbaud oder Schiller nachweist37, lässt annehmen, dass die Dichter gerade zu Beginn seiner Schaffenszeit eine Vorbildfunktion für Georg Trakl inne hatten, bis er selbst seine charakteristische Nutzung musikalischer Prinzipien für seine Lyrik entwickelt hat. Der Vergleich der Gedichte hat gezeigt, dass beide Gedichte auf musikalischen Grundmustern entfaltet werden, dies jedoch auf verschiedene Weise gelingt. So wird der Semantik im Kleinen Konzert allein durch das häufige Auftreten musikalischer Begriffe mehr Gewicht verliehen als im Gedicht Nachtergebung, bei dem nur noch zwei Worte auftreten, die im weitesten Sinne in Beziehung zum Wortfeld der Musik stehen. Die musikalischen Elemente gewinnen an Anteil, „denn je weniger das im Wort Bezeichnete (signifié) syntaktische oder lexikalisch determiniert ist, desto größer ist der Spielraum des Lautkörpers (signifiant).38 Jedoch von reiner Wortmusik bei Georg Trakl zu sprechen, wird nicht allen Gedichten gerecht, sodass man zwar von einer Musikalisierung der Lyrik Trakls sprechen kann, jedoch unter dem Vorbehalt, dass immer eine Rückverbindung zur Sprache mitzudenken ist.39 36 Vgl. Hellmich, Albert: Klang und Erlösung. Da Problem musikalischer Strukturen in der Lyrik Georg Trakls. Trakl-Studien Bd. VIII. Salzburg: Otto Müller 1971, S. 132. 37 Bolli, Eric: Georg Trakls «dunkler Wohllaut». Ein Beitrag zum Verständnis seines dichterischen Sprechens. Zürich u.a.: Artemis 1978., S.74; und Vgl. Doppler Alfred: Die Musikalisierung der Sprache in der Lyrik Georg Trakls. In: Colombat, Rémy/Stieg, Gerald: Frühling der Seele. Pariser Trakl-Symposion. Berliner Studien Band XIV. Innsbruck: Haymon-Verlag 1995, S. 193 (siehe Anmerkung). 38 Bolli, Eric: Georg Trakls «dunkler Wohllaut». Ein Beitrag zum Verständnis seines dichterischen Sprechens. Zürich u.a.: Artemis 1978, S. 72. 39 Vgl. Ebd. S. 75. 19 6. Anhang Legende: v = betonte Silbe; Hebung - = unbetonte Silbe 6.1 Nachtergebung v-v-v-vMönchin! schließ mich in dein Dunkel, v-v-v-v Ihr Gebirge kühl und blau! v-v-v-v Niederblutet dunkler Tau; v-v-v-vKreuz rag steil im Sterngefunkel v-v-v-vPurpurn brachen Mund und Lüge v-v-v-v In verfallner Kammer kühl; v-v-v-v Scheint noch Lachen, golden Spiel; v-v-v-vEiner Glocke letzte Züge. v-v-v-vMondeswolke! schwärzlich fallen v-v-v-v Wilde Früchte nachts vom Baum v-v-v-v Und zum Grabe wird der Raum v-v-v-vUnd zum Traum dies Erdenwallen. 20 6.2 Kleines Konzert -v-v-v-vEin Rot, das traumhaft dich erschüttert-v-v-v-vDurch deine Hände scheint die Sonne. -v-v-v-vDu fühlst dein Herz verrückt vor Wonne -v-v-v-vSich still z einer Tat bereiten. -v-v-v-vIn Mittag strömen gelbe Felder. -v-v-v-vKaum hörst du noch der Grillen Singen, -v-v-v-vDer Mäher hartes Sensenschwingen. voo v-voo vEinfältig schweigen goldene Wälder. -v-v-v-vIm grünen Tümpel glüht Verwesung: -v-v-v//v-vDie Fische stehen still. Gottes Odem -v-v-v-vWeckt sacht ein Saitenspiel im Brodem. -vo-v-v-vAussätzigen winkt die Flut Genesung. -v-v-v-vGeist Dädals schwebt in blauen Schatten, -v-v-v-vEin Duft von Milch in Haselzweigen. -v-v-v-vMan hört noch lang den Lehrer geigen, -v-v-v-vIm leeren Hof den Schrei der Ratten. -v-v-v-vIm Krug an scheußliche Tapeten -v-v-v-vBlühn kühlere Violenfarben, -v-v-v-vEin Hader dunkle Stimmen starben, -v-v-v-vNarziß im Endakkord von Flöten. 21 7. Literaturverzeichnis Primärliteratur: TRAKL, Georg: Kleines Konzert. In: Sauermann, Eberhard/Zwerschina, Hermann: Sämtliche Werke und Briefwechsel. Historisch-Kritische Ausgabe mit Faksimiles der handschriftlichen Texte Trakls. Bd. I Innsbrucker Ausgabe. Frankfurt am Main: Stroemfeld 2007. TRAKL, Georg:. Nachtergebung. In: Sauermann, Eberhard/Zwerschina, Hermann: Sämtliche Werke und Briefwechsel. Historisch-Kritische Ausgabe mit Faksimiles der handschriftlichen Texte Trakls. Bd. IV.2 . Innsbrucker Ausgabe. Frankfurt am Main: Stroemfeld 2007. Sekundärliteratur: BOLLI, Eric: Georg Trakls «dunkler Wohllaut». Ein Beitrag zum Verständnis seines dichterischen Sprechens. Zürich u.a.: Artemis 1978. DOPPLER, Alfred: Die Musikalisierung der Sprache in der Lyrik Georg Trakls. In: COLOMBAT, Rémy/STIEG, Gerald: Frühling der Seele. Pariser Trakl-Symposion. Berliner Studien Band XIV. Innsbruck: Haymon-Verlag 1995, S.181-196. HELLMICH, Albert: Klang und Erlösung. Da Problem musikalischer Strukturen in der Lyrik Georg Trakls. Trakl-Studien Bd. VIII. Salzburg: Otto Müller 1971. KEMPER, Hans-Georg/Max, Frank Rainer: Georg Trakl. Werke. Entwürfe. Briefe. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 1984. KILLY, Walther: Über Georg Trakl. 3. Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1967. SCHIER, Rudolf Dirk: Die Sprache Georg Trakls. Heidelberg: Carl Winter 1970. THAUERER, Eva: Ästhetik des Verlusts. Erinnerung und Gegenwart in Georg Trakls Lyrik. Studium Litterarum. Studien und Texte zur deutschen Literaturgeschichte. Bd. 14. Berlin: Weidler 2007. WEICHSELBAUM, Hans: Georg Trakl. Eine Biographie mit Bildern, Texten und Dokumenten. Salzburg: Otto Müller 1994. 8. Eidstattliche Versicherung 22