In den Nachmittag geflüstert
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In den Nachmittag geflüstert
Georg Trakl In den Nachmittag geflüstert Gedichte 1909 – 1914 Mit einer Einleitung von Katharina Maier Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten Es ist nicht gestattet, Abbildungen dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder mit Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Bildvorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlages. Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2009 Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH Bildnachweis: ÖNB/Wien, Bildarchiv, Pf 7728C1 Redaktion: Katharina Maier, Augsburg Satz und Bearbeitung: Medienservice Feiß, Burgwitz Der Text wurde in der Minion gesetzt Gesamtherstellung: CPI books GmbH, Ulm Printed in Germany ISBN: 978-3-86539-206-0 www.marixverlag.de 5 Inhalt Georg Trakl, Gedichte 1909-1911 Verfall . . . . . . . . . . . Melusine . . . . . . . . . St.-Peters-Friedhof . . . . Musik im Mirabell . . . . Das dunkle Tal . . . . . . In einem alten Garten . . Leuchtende Stunde . . . . Sommersonate . . . . . . Kindheitserinnerung . . . Jahreszeit . . . . . . . . . Im Weinland . . . . . . . Frauensegen . . . . . . . Die schöne Stadt . . . . . Der Gewitterabend . . . . Zeitalter . . . . . . . . . . Sommerdämmerung . . . Der Schatten . . . . . . . 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 41 42 43 44 Abendlicher Reigen . . . Der Traum eines Nachmittags . . . . . . In einem verlassenen Zimmer . . . . . . . . Am Friedhof . . . . . . . Märchen . . . . . . . . . Im Mondschein . . . . . Melancholie des Abends . Heiterer Frühling . . . . . Romanze zur Nacht . . . Geistliches Lied . . . . . . Westliche Dämmerung . Im roten Laubwerk voll Guitarren . . . . . . . Frühling der Seele . . . . Seele des Lebens . . . . . 45 46 47 48 49 50 51 52 54 55 56 57 58 60 1912 Die Kirche . . . . . . . . Wintergang in a-Moll . . Kleines Konzert . . . . . Träumerei am Abend . . An Angela . . . . . . . . . Immer dunkler . . . . . . Dezembersonett . . . . . Abendmuse . . . . . . . . 61 62 63 64 65 67 68 69 Verklärter Herbst . . . . . Im Park . . . . . . . . . . De profundis . . . . . . . Beim jungen Wein . . . . Beim jungen Wein . . . . Im Winter . . . . . . . . . Die Bauern . . . . . . . . Die Ratten . . . . . . . . 70 71 72 73 74 76 77 78 6 Im Herbst . . . . . . . . . Der Spaziergang . . . . . Winkel am Wald . . . . . Rondel . . . . . . . . . . Winterdämmerung . . . Traum des Bösen . . . . . Melancholie . . . . . . . In den Nachmittag geflüstert . . . . . . . . 79 80 82 83 84 85 86 In ein altes Stammbuch . Vorstadt im Föhn . . . . Menschliche Trauer . . . Psalm . . . . . . . . . . . Dämmerung . . . . . . . Verwandlung . . . . . . . Zu Abend mein Herz . . Klagelied . . . . . . . . . 88 89 91 92 96 97 98 99 87 1913 Delirium . . . . . . . . . 101 Am Rand eines alten Wassers . . . . . . . . 102 Untergang . . . . . . . . 103 Helian . . . . . . . . . . . 104 Ein Herbstabend . . . . . 108 Abendlied . . . . . . . . . 109 Nachtlied . . . . . . . . . 110 Im Dorf . . . . . . . . . . 111 Die Raben . . . . . . . . . 113 Die junge Magd . . . . . 114 Allerseelen . . . . . . . . 118 Trübsinn . . . . . . . . . 119 Trompeten . . . . . . . . 120 Menschheit . . . . . . . . 121 Rosenkranzlieder An die Schwester . . . . 122 Nähe des Todes . . . . 123 Amen . . . . . . . . . . 124 In der Heimat . . . . . . 125 Drei Blicke in einen Opal 126 An den Knaben Elis . . . 128 Elis . . . . . . . . . . . . 129 Die Verfluchten . . . . . . 131 Nachts . . . . . . . . . . . 133 Stundenlied . . . . . . . . 134 Karl Kraus . . . . . . . . 135 Unterwegs . . . . . . . . 136 Kindheit . . . . . . . . . . 138 Der Herbst des Einsamen 139 Sonja . . . . . . . . . . . 140 Entlang . . . . . . . . . . 141 Herbstseele . . . . . . . . 142 Afra . . . . . . . . . . . . 143 Sebastian im Traum . . . 144 Landschaft . . . . . . . . 147 Ruh und Schweigen . . . 148 Im Frühling . . . . . . . . 149 Abend in Lans . . . . . . 150 Am Mönchsberg . . . . . 151 Hohenburg . . . . . . . . 152 Kaspar Hauser Lied . . . 153 Winternacht . . . . . . . 155 Der Wanderer . . . . . . 157 Verklärung . . . . . . . . 158 Die Sonne . . . . . . . . . 159 An die Verstummten . . . 160 Anif . . . . . . . . . . . . 161 Geburt . . . . . . . . . . 162 Geistliche Dämmerung . 163 Ein Winterabend . . . . . 164 Abendländisches Lied . . 165 An einen Frühverstorbenen . . . 167 7 An Novalis . . . . . . . . 169 An Novalis 2a . . . . . . . 169 An Novalis 2b . . . . . . 170 1914 Traum und Umnachtung 171 Siebengesang des Todes . 178 Föhn . . . . . . . . . . . 180 Verwandlung des Bösen . 181 Am Moor . . . . . . . . . 184 Frühling der Seele . . . . 185 Im Dunkel . . . . . . . . 187 Gesang des Abgeschiedenen . . . . 188 Passion . . . . . . . . . . 190 In Hellbrunn . . . . . . . 192 In Venedig . . . . . . . . 193 Sommer . . . . . . . . . . 194 Jahr . . . . . . . . . . . . 195 Abendland . . . . . . . . 196 Gesang einer gefangenen Amsel . . . . . . . . . 199 Offenbarung und Untergang . . . . . . . 200 Das Gewitter . . . . . . . 204 Vorhölle . . . . . . . . . . 206 Das Herz . . . . . . . . . 208 Die Heimkehr . . . . . . 210 Die Schwermut . . . . . . 211 Sommersneige . . . . . . 212 Der Abend . . . . . . . . 213 Die Nacht . . . . . . . . . 214 Der Schlaf . . . . . . . . . 216 Klage . . . . . . . . . . . 217 Nachtergebung . . . . . . 218 Im Osten . . . . . . . . . 219 Klage . . . . . . . . . . . 220 Grodek . . . . . . . . . . 221 9 „Der Raum im Spiegel“ Ein Vorwort zu Trakls Dichtung „Inzwischen habe ich den Sebastian im Traum bekommen und viel darin gelesen; ergriffen, staunend, ahnend und ratlos; denn man begreift bald, daß die Bedingungen dieses Auftönens und Hinklingens unwiederbringlich einzige waren, wie die Umstände, aus denen eben ein Traum kommen mag. Ich denke mir, daß selbst der Nahestehende immer noch wie an Scheiben gepreßt diese Aussichten und Einblicke erfährt, als ein Ausgeschlossener: denn Trakl’s Erleben geht wie in Spiegelbildern und füllt seinen ganzen Raum, der unbetretbar ist, wie der Raum im Spiegel. (Wer mag er gewesen sein?)“ – So schreibt Rainer Maria Rilke 1915 nach seiner Lektüre von Georg Trakls zweitem Gedichtband, dem posthum erschienenen Sebastian im Traum, den Trakl nicht lange vor seinem Tod im Alter von 27 Jahren noch selbst zusammengestellt hatte. „Unbetretbar“ nennt Rilke den Raum dieser Dichtung und scheint so zu derselben Ansicht zu tendieren wie so viele nach ihm; immer noch heißt es von Trakls Werk, es sei ‚hermetisch‘, ‚dunkel‘, ‚unzugänglich‘. Aber Rilke spricht auch von Scheiben und von Spiegeln, 10 Der Raum im Spiegel gegen die sich der Leser presst, von der unwiderstehlichen Anziehungskraft getrieben, die diese Dichtung auf ihn ausübt; das impliziert, dass, so ‚abgeschlossen‘ Trakls Raum sein mag, doch ein Fenster existiert, durch das der Leser hineinblicken kann und aus dem ihm sowohl das Andere als auch das eigene Selbst entgegenschauen mag – ewig Getrennt, doch ewig Angesehen. Es ist eine Art Verbundenheit, die gerade durch dieses getrennte Anschauen entsteht, kein wahrhaftes Ausschließen: der Leser ahnt, staunt, wird ergriffen, so Rilke, wenn er auch letzten Endes „ratlos“ bleibt. Doch es ist eben eine ergriffene, eine staunende, eine ahnende Ratlosigkeit, welche den Blick in eine andere Wirklichkeit lenkt, die hinter dem Spiegel liegt – die wir vielleicht nicht betreten können, die uns aber etwas zeigt und erahnen lässt. Man fühlt sich fast an Paulus’ Wort vom „Spiegel in einem dunklen Wort“ erinnert, mit dem der späte Apostel die einzige Form der Erkenntnis beschreibt, die uns im diesseitigen Leben offensteht. Und Trakls Lyrik tut nicht zuletzt das: uns die Dunkelheit unserer eigenen Erkenntnisfähigkeit bewusst machen, dieses Schauen durch Spiegel über Spiegel, aus denen uns etwas grauenhaft Wunderbares und herrlich Fürchterliches entgegenblicken mag – oder, in Trakls Worten aus dem Nachtlied: „O! ihr stillen Spiegel der Wahrheit. / An des Einsamen elfenbeinerner Schläfe / Erscheint der Abglanz gefallener Engel.“ Georg Trakl wurde am 3. Februar 1887 in Salzburg geboren. Sein Geburtsjahr fällt also in jenen engen Zeitraum, innerhalb dessen auch die Mehrheit der übrigen 27 1909-1911 Verfall Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten, Folg ich der Vögel wundervollen Flügen, Die lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen, Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten. Hinwandelnd durch den dämmervollen Garten Träum ich nach ihren helleren Geschicken Und fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken. So folg ich über Wolken ihren Fahrten. Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern. Die Amsel klagt in den entlaubten Zweigen. Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern, Indes wie blasser Kinder Todesreigen Um dunkle Brunnenränder, die verwittern, Im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen. 28 Georg Trakl, Gedichte Melusine Wovon bin ich nur aufgewacht? Mein Kind, es fielen Blüten zur Nacht! Wer flüstert so traurig, als wie im Traum? Mein Kind, der Frühling geht durch den Raum. O sieh! Sein Gesicht ist tränenbleich! Mein Kind, er blühte wohl allzu reich. Wie brennt sein Mund! Warum weine ich? Mein Kind, ich küsse mein Leben in dich! Wer fasst mich so hart, wer beugt sich zu mir? Mein Kind, ich falte die Hände dir. Wo geh’ ich nur hin? Ich träumte so schön! Mein Kind, wir wollen in Himmel gehn. Wie gut, wie gut! Wer lächelt so leis’ Da wurden ihre Augen weiß - Da löschten alle Lichter aus Und tiefe Nacht durchwehte das Haus. 1909-1911 St.-Peters-Friedhof Ringsum ist Felseneinsamkeit. Des Todes bleiche Blumen schauern Auf Gräbern, die im Dunkel trauern – Doch diese Trauer hat kein Leid. Der Himmel lächelt still herab In diesen traumverschlossenen Garten, Wo stille Pilger seiner warten. Es wacht das Kreuz auf jedem Grab. Die Kirche ragt wie ein Gebet Vor einem Bilde ewiger Gnaden, Manch Licht brennt unter den Arkaden, Das stumm für arme Seelen fleht – Indes die Bäume blüh’n zur Nacht, Dass sich des Todes Antlitz hülle In ihrer Schönheit schimmernde Fülle, Die Tote tiefer träumen macht. 29