Sonderheft des PNJ-Magazins Connecting Youth Media - NRW

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Sonderheft des PNJ-Magazins Connecting Youth Media - NRW
Ausgabe 3 (2008) Dezember
Connecting
Foto: Robert Fishman, Bielefeld
Youth Media
Schwerpunkt: Israel
Wenn deutsche und israelische Journalisten das Partnerland besuchen und zum Thema »Jugend« recherchieren, entstehen daraus
Alltagsgeschichten, die – jenseits oft klischeehafter Vorstellungen –
einen anderen und individuellen Blick auf das jeweils andere Land
ermöglichen. Unser Sonderheft fasst Reportagen aus sieben Jahren Journalistenaustausch zusammen.
Seite 3
Operation F
rieden
Frieden
Ein israelischer
Arzt rettet palästinensischen
Kindern das LeSeite 9
ben.
Nur die Musik zählt
Die junge Generation in Israel hat ein unbefangeneres Verhältnis zu Deutschland. Und
nicht nur das. Sie will auch noch Deutsch
lernen. Schuld daran ist hauptsächlich eine
Seite 10
Band aus Magdeburg.
Inhalt
Intro
Chaim Ador  Seite 3
 Deutschland
Liebe Kolleginnen & Kollegen,
aus einem
anderen Blickwinkel
die dritte Ausgabe unseres Magazins »Connecting Youth Media« widmet sich einem
Land, mit dem das Pressenetzwerk für Jugendthemen seit nunmehr fast acht Jahren
einen regelmäßigen Austausch durchführt:
Israel. Das besondere Verhältniss unserer
beiden Länder bietet dazu Anlässe und Gelegenheiten genug.
Moshe Perelman  Seite 4 bis 5
 Trennung aufheben
Marco Heuer  Seite 6 bis 7
 Ein friedlic
her Or
friedlicher
Ortt
in
einem unfriedlichen Land
Beate Seel  Seite 8
 Zwillinge für
Die Beiträge unserer Autorinnen und Autoren
entstanden nach den Recherchereisen in den
vergangenen Jahren. Sie spiegeln die Vielfalt
der Themen, Gespräche und Begegnungen
wider, die diese Programme ermöglichen.
Ihnen vorangestellt sind die persönlichen
Anmerkungen zweier israelischer Kollegen,
die an den Besuchen in Deutschland teilgenommen haben.
90 Minuten
Dirk Förstner  Seite 9
 Operation F
rieden
Frieden
Dem Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch ConAct danken wir
für die Unterstützung bei der Erstellung dieser Ausgabe.
Nicholas Brautlecht Seite 10 bis 11
 Nur die Musik zählt

Sabrina Steiger  Seite 12
 Der fremde Planet
Impressum
»Connecting Youth Media« wird herausgegeben
vom Pressenetzwerk für Jugendthemen.
Verantwortlich: Jörg Wild.
Anschrift: Beethovenstraße 38a, 53115 Bonn,
E-Mail: buero@pressenetzwerk.de, Internet:
ww.pressenetzwerk.de. Fotos: Photocase, Privat.
Druck: Vario Druck, Frankfurt/Main - siehe auch
Anzeige auf Seite 15. Auflage: 800 Exemplare.
Nicole Markwald  Seite 13
 Radio in Uniform
Laura Koppenhöfer  Seite 14
 Pseudo-F
reiheit und
Pseudo-Freiheit
Chaos
Ja, ich will...
✁
auch künftig»Connecting Youth Media« erhalten, und
zwar an folgende Adresse:
Redaktion, Verband oder Institution
Pressenetzwerk für Jugendthemen
Redaktion »Connecting Youth Media«
Beethovenstr. 38a
53115 Bonn
Funktion
Name, Vorname
Straße
PLZ, Ort
2
Datum,Connecting
Unterschrift
Youth Media
Chaim Ador  Israel
Es fällt mir schwer als israelischer
Bürger, unmöglich als Jude, »objektiv«
über Deutschland zu denken. Als Nachkommen »dieser Generation« ist das kollektive Gedächtnis in meinen Genen eingebrannt und ermöglicht es mir nicht,
über Deutschland zu schreiben, als wäre
hier nichts geschehen. Es gibt eine drükkende, belastende und empörende Vergangenheit.
Als ich zum ersten mal als Mitglied
einer Journalistendelegation nach
Deutschland eingeladen wurde, war ich
mir bewusst, dass ich auch bereit bin,
Deutschland aus einem Blickwinkel zu
sehen, der mir bis dahin nicht bekannt
war, ohne dabei selbstverständlich zu
vergessen, was ich wusste, gelernt und
gekannt hatte.
Dreimal war ich so in Deutschland –
einmal in Bonn, einmal in Berlin und einmal in München. Die Zusammenkünfte
mit den Kollegen aus Presse Radio und
Fernsehen waren erwartungsgemäß
professionell und freundlich. Besonders
aber fesselten und bewegten mich die
persönlichen Zusammenkünfte mit Jugendlichen, Lehrern, Organisationen,
Vereinen und Institutionen, die wenig mit
Fremdenverkehr zu tun hatten. Warum?
Weil wir deutsche Menschen kennen
lernten, die damit beschäftigt waren,
das tägliche Leben zu meistern. Die sich
um die einfachen Lebensbedingungen
Sorgen machten. Jugendliche, die sich
selbst suchen, manchmal auf den Straßen und nicht immer beim Studium oder
am Arbeitsplatz.
Plötzlich verstand ich, dass unter diesem Glanz vom neuen, modernen und
intellektuellen Deutschland Menschen
leben, die hier geboren wurden oder
nach hier gezogen sind. Die um Bildung,
Lebensräume und Anerkennung als Individuen ringen. Die nicht mit einem goldenen Löffel im Mund zur Welt kamen.
Nachdem ich mir bis dahin unbekannte Orte besuchte und kennen lernte, frage ich mich: Was hat sich bei mir verändert? Gerade durch die neue Kenntnis
eines grauen Deutschland, welches
nicht extrovertiert und weit vom Fremdenverkehr ist?
Die Antwort darauf ist komplex und
nicht selbstverständlich, wegen dem
Mitgefühl, das ich mit dem Leid für diejenigen empfinde, die um ihren Platz und
ihr Auskommen im heutigen Deutschland ringen, sich mit dem anderen ganz
scheinbar unlogischen Gedanken verband, was diese Leute über mich, über
Israel und das jüdische Volk, in den vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts in
Europa wissen.
Das war kompliziert und gab Anlass
zum Nachdenken und ließ mir keine Ruhe.
Es beschäftigte mich die Frage, warum
man kein Mitgefühl für einen deutschen
Jungen empfinden kann, der in Spandau
oder Kreuzberg in einem Erziehungsheim
untergebracht ist, ohne zu wissen, ob
sein Vater oder Großvater auf Juden
geschossen hat, oder nur schwieg, weil
es damals im zweiten Weltkrieg opportun war zu schweigen, um das eigene
Leben zu retten?
Es gibt Fragen, auf die es keine Antwort gibt, aber die Tatsache, dass sie
zur Sprache kommen zeigt bereits eine
Richtungsveränderung in der Denkwei-
Foto: Jörg Wild
Deutschland aus
einem anderen
Blickwinkel
se: den Willen sich zu nähern und einen
Weg für eine neue Zukunft zu gewinnen.
Den Versuch zu machen, das Gemeinsame in den täglichen trivialen Dingen
zu finden und die Gegenwart vor Ort
kennen zu lernen. Unmittelbar durch Zusammenkünfte, gegenseitigen Besuche,
mit aufgeschlossenem Herzen.
Der Autor ist Redakteur beim Rundfunksender KOL-Israel. Er wurde in Israel
geboren, ist verheiratet und Vater von
drei erwachsenen Töchtern.
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Einladung
Informationsreisen
Erstes Halbjahr 2009
Berufswahl in Israel
Was tun nach dem Wehrdienst?
Termin: 17. bis 23. April 2009  Teilnehmer: Fünf Journalisten  Schwer
Schwer-punkt: Wie wählen junge Israelis ihren
zukünftigen Beruf aus, wie führt ihr
Weg in den Job, und wo liegen die
Stolpersteine nach jahrelangem Wehrdienst? In Tel Aviv gehen wir mit unseren Kolleginnen und Kollegen von der
Gewerkschaft Histadrut diesen und
vielen anderen Fragen rund um das
Thema »Jugend und Beruf« nach.
Partizipation in Finnland
Informationsreise ins PISAMusterland nach Helsinki
Termin: Mai 2009  Teilnehmer:
Fünf Journalisten  Schwerpunkt:
Wie beteiligen sich finnische Jugendliche am politischen und sozialen System ihres Landes, wie bringen sie
ihre Ideen und Ideale in den Alltag der
Gesellschaft ein – und wie reagiert die
Welt der Erwachsenen darauf?
Jugend in der Diktatur
Informationsreise nach Belarus
Termin: Mai 2009  Teilnehmer:
Fünf Journalisten  Wie verbringen
junge Menschen ihre Freizeit unter der
Fuchtel eines autoritären Herrschers?
Wir recherchieren im Weißrussland
von Alexander Lukaschenko. Staatlich
gelenkte Jugendfreizeiten versus freiheitliche Jugendkultur? Die Suche
verspricht spannend zu werden...
Für die Teilnahme wird jeweils ein Beitrag erhoben. Bitte informieren Sie
sich dazu auf unserer Website unter
www.pressenetzwerk.de
Moshe Perelman  Israel
Lieber Opa
Ein Abend in München. Wir kehren
mit einer Gruppe Journalisten in unser
Hotel im Stadtteil Pasing zurück. Meine Gedanken fliegen, und ich erkenne
dieses Wunder. Die Anzeige an der Bushaltestelle zeigt die Abfahrt für 22.47
Uhr an – und so ist es auch. Pünktlich.
Ich denke an eine andere Haltestelle.
Ein kleiner Bahnhof ohne Schalter. Es
gibt keine Rückfahrkarten. Für Millionen
Menschen nicht. Ich sehe ein Schild
»Willkommen in Treblinka.« – »Willkommen in Treblinka.« Die Vorstellung, dass
beide Schilder von Menschen der gleichen Nation erstellt wurden ist unvorstellbar.
Begegnungen deutscher und
israelischer Journalisten
Meine gesamte Familie wurde während des Holocaust an Europas Juden
ermordet. Meine Eltern waren die einzigen Überlebenden. Ich wuchs im Schatten des Holocaust auf. Deutschland war
für mich ein Tabu. Meine Eltern wollten
nichts von Deutschland hören, und ganz
sicher wollten sie das Land nicht besuchen und nichts kaufen, das in Deutschland produziert worden war.
Mit der offiziellen Befreiung des Staates Israel kaufte ich mir gleichzeitig ein
deutsches Auto, und ich reiste nach
Deutschland. Meiner alten Mutter fiel es
schwer, diese Entscheidungen zu akzeptieren. Und mit jeder neuen Reise kehrte die Frage zurück, warum ich nach
Deutschland zurückkehre. Sie konnte
meine Reisen nicht akzeptieren, denn
jede Fahrt galt für sie auch als eine Art
Beleidigung ihres eigenen Schicksals.
Ich selbst habe mich mit dem
Holocaust in diese Form nie auseinander gesetzt – weder in Form von Angst
noch durch die Repressionen von
zuhause. Das Thema wurde einfach
nicht berührt und nicht diskutiert. Erst
kürzlich, nach dem Tod meiner Eltern, besuchte ich mit einer Gruppenreise Polen,
um den Spuren meines Vaters und meiner Mutter zu folgen. Ich spazierte durch
die Straßen von Krakau, der Stadt, in der
die Familie meines Vaters gelebt hatte.
Und plötzlich fühlte ich das Bedürfnis,
meinen Großvater – nach dem ich benannt wurde – einen Brief zu schreiben.
Diesen Brief las ich meiner Gruppe laut
vor, und zwar am Krematorium des Vernichtungslagers Birkenau:
Lieber Großvater Moshe,
was würde wohl passieren, wenn wir
uns heute treffen könnten? Würden
wir miteinander sprechen wie Opa
Moshe zu Opa Moshe? Ich habe mein
ganzes Leben lang zu Dir aufgeblickt,
aber Du konntest mich nicht sehen.
Du warst ein Bild für mich, durch das
ich Dich spüren konnte, und durch das
ich Dir nahe sein konnte.
Nach dem Foto zu urteilen, sind wir
beide ziemlich unterschiedlich. Du
machst einen sehr klugen, eleganten
und würdevollen Eindruck. Das
Schlimme ist, dass Du all diese Weisheit für Dich behalten hast. Du lebst
nur in der Vergangenheit und hattest
keine Zukunft.
Ich weiß nicht, wie ich Dich ansprechen soll, und ich weiß nicht, was ich
für Dich empfinde. Was hätten wir uns
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Foto: Privat
gegenseitig erzählen können, welche
Beziehung hätten wir aufgebaut?
Dein Zuhause war hier in Krakau. Hier
hast Du in der Synagoge gebetet.
Dies sind die Straßen, in denen Du
gegangen bist. Und dies ist vermutlich der Ort, an dem wir uns am
nahesten sein können.
Ich möchte Dir erzählen, dass Dein
Sohn Shmuel und seine Frau Aviva
nicht mehr leben. Ich bin jetzt selbst
Großvater und Du hast wunderbare
Enkel- und Großenkel. Ich habe einen
Bruder, und auch er hat eine Familie.
Vielleicht hätte ich Dir von meinem Verhältnis zu ihnen erzählt – nicht um
Dich aufzuregen, sondern um Dir ein
Gefühl für das Leben zu geben, das
Du niemals hattest.
Ich bin verärgert, verärgert darüber,
dass wir in der Armee dienen mussten.
Als ich noch ein Kind war, habe ich
mir selbst Onkels zurecht gelegt.
Onkel Yanek, Onkel Shayek, aber sie
waren nur Freunde meiner Eltern. Ich
hätte Dir gerne erzählt von Tante Haya
oder Hayouta und von meinem jungen Onkel Shmariya. Von Oma Kaila
und davon, wie das Leben wohl gewesen wäre, wenn wir es miteinander hätten verbringen können.
Aber diesen Punkt erreichen wir nie,
denn Du bist tot und lebst nur in einem Foto. Und Du bist dort, unverändert, denn Du bist schon hinter dem
Ende.
So lange wir leben bleiben wir in Kontakt für die Generationen, die noch
kommen.
Dein Enkelsohn Moshe
Der Ärger, der in mir eingeschlossen
ist, und den ich in dem Brief ausdrücke,
richtet sich gegen die Millionen Deutschen, die dem Nazi-Regime gefolgt sind,
und gegen diejenigen, die den Holocaust
nicht verhindert haben. Mit diesem Ärger bin ich auch zum dritten Mal nach
Deutschland gereist. Ich nahm an Treffen mit Kollegen teil, ich erlebte den
Reichtum künstlerischer und kultureller
Veranstaltungen. Ich hört mir Geschichten über existenzielle Nöte an und mit
all diesen Menschen sprachen wir Auge
in Auge über unsere Probleme. Es entstand eine Form von Dialog. Vielleicht hat
sich sogar bei einem Glas Wein und einem gemeinsamen Essen so etwas wie
Freundschaft entwickelt. Wir trafen unsere Familien, wir lernten uns gegenseitig kennen, und es begann ein Dialog auf
der Basis von Gefühlen. Wir haben uns
nicht gegenseitig Vorhaltungen gemacht
und die Schuldgefühle aus der Vergangenheit mitgebracht. Zwischen Freunden müssen wir nicht mehr der Frage
nachgehen, was ein Treffen mit Deutschen in dir bewegt.
Ich denke über die finstere Vergangenheit nach, die unsere beiden Völker
verbindet. Ich denke nicht aus der Warte eines Opfers. Aber weil wir mehr oder
weniger das gleiche Alter haben, kennen
wir diese finstere Vergangenheit, die
unsere beiden Staaten verbindet. Und
wenn wir uns unterhalten, dann haben
wir manchmal gemeinsame Meinungen
und manchmal unterschiedliche. Wir lieben das Leben, und wir wissen schon,
was man verlieren kann. Als Kollegen gehen wir mit Kommunikation um, durch
sprechen und durch zuhören. Unsere
Verantwortung reicht weit und wiegt
schwer. Sobald wir zusammen sitzen und
uns über Kultur, Kunst, Schutz der Umwelt, Nutzen von Wissenschaften, Industrie und Medizin unterhalten – solange
uns dies gelingt, gibt es keinen Grund,
warum es nicht auch irgendwo sonst auf
der Welt möglich sein sollte.
Es geht um nichts anderes als um
diese menschlichen Werte.
Einen Wandel bekommen wir nicht
nur durch ein jüdisches Festival, eine Ausstellung oder einen Film. Die wichtigsten
Veränderungen erreichen wir durch Treffen wie unsere. Treffen auf der Basis von
Freundschaft und Akzeptanz von Menschen. Durch Gespräche und nicht
durch Gedenkstätten. All dies wird eine
Wiederholung der dunklen Geschichte
verhindern.
Moshe Perelman ist Radioproduzent beim
Sender KOL Israel und international renommierter Bildhauer. In seinen Radiosendungen, Kunstwerken und Ausstellungen setzt sich Moshe unter anderem
vehement für eine Verständigung
zwischen Israelis und Palästinensern ein.
Moshe nahm an drei Journalistenaustauschprogrammen des PNJ in Berlin,
Bonn und München teil. Jede deutsche
PNJ-Gruppe, die Haifa besuchte, hat er
fachlich als Journalist und als Künstler
begleitet.
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Die israelische Künstlerkolonie »Ein Hod« wurde 50 Jahre alt
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Ein friedlicher Ort in einem unfri
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sich seit Ausbruch der zweiten Intifada im Herbst
2000 noch verstärkt hat. Im Norden des Landes
hat die politische Kunst ein wichtiges Zuhause –
in einer kleinen Künstlerkolonie nahe der Stadt
Haifa.
»Strahlend schön bei Tage und funkelnd in der Nacht« –so wirbt die 500.000
Einwohner zählende Hafenstadt in
Hochglanzbroschüren nicht ganz zu unrecht. Schließlich wird Haifa zu den
schönsten Städten der Welt gerechnet.
Ihr Wahrzeichen ist der Bahai-Tempel mit
der weithin sichtbar goldenen Kuppel,
und im israelisch-palästinensischen Konflikt gilt die Stadt als Musterbeispiel der
friedlichen Koexistenz zwischen Arabern
und Juden. Doch die letzten Terrorakte
haben das Bild erschüttert. Anfang März
kamen bei einem Anschlag auf einen Linienbus 15 Menschen ums Leben. Im
Oktober 2003 sprengte sich eine
Selbstmordattentäterin in einem Restaurant in die Luft – 18 Menschen starben. In Haifa ist das Leben zunehmend
unkalkulierbar geworden. Auch in »Ein
Hod«, der 20 Kilometer weiter südlich
gelegenen renommierten Künstlerkolonie, gehört die Auseinandersetzung mit
dem Terror inzwischen zum Berufsalltag
vieler Menschen. Der Designer Ari Ofir
erzählt:
»Manchmal frage ich mich schon, was
ich in diesen Tagen hier eigentlich mache. Dann denke ich: Ja, ich mache schöne Dinge oder möchte zumindest, dass
sie schön sind. Aber gleichzeitig frage
ich mich auch, ob ich in dieser Zeit das
Recht dazu habe und ob ich mich nicht
mehr für politische Kunst engagieren
sollte. Na ja, letztlich mache ich dann
doch mein Ding.«
Seit zehn Jahren lebt der in Tel Aviv
geborene Künstler Arie Ofir in »Ein Hod«.
Im Moment werkelt er an filigranen Antennen für Solartelefonen. Seine letzte
intensive Auseinandersetzung mit der
Politik liegt schon einige Jahre zurück.
Damals kam der frühere US-Präsident
Clinton zu Besuch. Ofir schenkte ihm
eine Menora. Seitdem findet die Politik
für ihn irgendwo außerhalb der Ateliers
statt. Doch die meisten seiner Kollegen
sehen das anders. Für sie ist die Künstlerkolonie »Ein Hod« ein wichtiger Ort des
politischen Protests. So auch für den
Skulpteur Dan Chamijez:
»Natürlich hat die politische Situation in diesem Land meine Arbeit
beeinflusst. Schauen Sie sich diese
Skulptur an der Dorfmauer an, eine große Landkarte Israels. Das ist meine persönliche road map: ein Israel ohne die
besetzen Gebiete. Ich habe sie aus ganz
altem Stein gehauen – vielleicht auch
eine Art Vision.«
Wie Dan Chamijez leben und arbeiten heute noch die Hälfte der 200 Einwohner »Ein Hods« von und für die Kunst.
Ob es sich um Malerei, Skulpturen, Architektur, Tanz oder Photographie handelt, hier oben – auf einem kleinen Hügel nahe der berühmten Karmel-Berge –
gibt es viele Formen, der politischen Vision Ausdruck zu verleihen. Jüdische,
arabische und drusische Künstler suchen
den Dialog. Insgesamt sind mehr als 50
Nationen in »Ein Hod« vertreten. 2003
feierten sie das 50-jährige Bestehen ihres Dorfes. 1953 hatte Marcel Janko, der
Mitbegründer der avantgardistischen
Dada-Bewegung, die Künstlerkolonie aus
den Ruinen eines arabischen Dorfes aufgebaut. Janko selbst war es, der festlegte, welche Künstler nach »Ein Hod«
kommen durften. Heute sind die Regeln
ein wenig gelockert. Eine fünfköpfige
Jury entscheidet über die Aufnahme eines neuen Künstlers. Geblieben ist das
internationale Renommée, das Menschen aus aller Welt nach »Ein Hod« lockt
– sei es für immer oder – wie für die
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edlichen Land
Amerikanerin Lisa Jacobson vom Arma
theatre – nur für ein befristetes Projekt.
Musik ist zu hören – aus der letzten
Szene des Stücks »Point of departure« –
dem Punkt, von dem es losgeht – eine
Hommage an die Expressionistin Gertrude Stein. Es geht um die Sehnsucht nach
Frieden, die Frage, warum Menschen
überhaupt Kriege anfangen, den Traum
von der Reinheit. Tag für Tag probt das
dreiköpfige Ensemble in den Hinterräumen der »Ein Hod«-Galerie. Im nächsten Jahr sind Aufführungen in Jerusalem und Düsseldorf geplant. Mit der
deutschen Stadt gibt es bereits einen
Künstler-Austausch. Letztlich sei es aber
egal, wo sie zur Aufführung gelangten,
so die Tänzerin Lisa Jacobson, wichtig
sei allein die Botschaft:
»Ich denke, wir müssen den Menschen klar machen, dass wir ihnen etwas zu sagen haben, dass es eine politische Botschaft gibt. Wichtig ist mir, dass
auch Leute, die kein Geld haben, solche
Stücke sehen können. Und die, die Geld
haben, sollten die ideelle Arbeit unterstützen. Ich glaube, die Menschen müssen mit Kunst konfrontiert werden, die
etwas in ihnen bewegt, die ihre Herzen
öffnet und die Einstellungen verändert.
Menschen sollten ihre Beziehungen zueinander überdenken. Nur das kann etwas bewirken.«
Eine Ansicht, die der Journalist und
Künstler Moshe Perelman teilt. Seine von
Brancusi inspirierten Skulpturen haben
es bis nach Spanien, China und Korea geschafft. Doch Hunderte von Skizzen in
Perelman`s Atelier zeigen, mit welcher
Frage sich der »Ein Hod«-Künstler zur Zeit
am meisten beschäftigt. Wie können Israelis und Palästinenser endlich wieder
einen Schritt aufeinander zu bewegen?
Seit einem viertel Jahr hämmert der
Künstler an einem zehnteiligen Skulpturen-Zyklus, der im April im Theater von
Haifa ausgestellt wird. Große Körbe mir
getrockneten Früchten sind da in Stein
gehauen. Und wie selbstverständlich
erklärt Perelman, dass man die faulen
Früchte nur herausnehmen muss, dann
werden die anderen auch nicht schlecht.
In seiner Arbeit als Journalist hat er die
Orte der Terroranschläge aufgesucht. Er
hat das Leid mit seinen eigenen Augen
gesehen und dann das Ventil gesucht:
»Ich hätte schreien können, aber ich
wusste auch nicht recht wie. Dann habe
ich dieses Gefühl in Stein gemeißelt.
Daraus ist meine Ausstellung entstanden. Nun hoffe ich , dass die Menschen
verstehen, was mir am Herzen liegt. Ich
möchte gerne einen kleinen Teil zu einem zukünftigen Frieden beitragen.«
So wird »Ein Hod« mit Sicherheit
auch weiterhin eine wichtige Rolle im
kulturellen Leben Israels spielen. Ob die
allgemeine Tendenz im Land damit widergespiegelt wird, bleibt fraglich. Denn
seit der Gründung des Staates Israel im
Jahre1948 pendelt die Kultur des Landes immer wieder hin und her: Auf der
einen Seite intensives politisches Engagement, auf der anderen Seit der Rückzug ins Private.
Der Autor hat 2003 an einer Informationsreise des PNJ nach Israel teilgenommen.
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Beate Seel  tageszeitung
Zwillinge für 90 Minuten
Palästinensische und israelische Jugendliche trefh auf »neutralem« TTerrain
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Der Fußballplatz bietet einen traurigen Anblick. Die ehemals weiß gestrichenen Metalltore rosten vor sich hin,
die Netze sind zerrissen. Das Gras
wächst spärlich. Auf der einen Hälfte
des Platzes steht das Wasser knöchelhoch, weil ein Wasserrohr gebrochen
ist. Doch die etwa fünfzig palästinensischen und israelischen Jungen, die während des Schuljahres regelmäßig gemeinsam und in gemischten Mannschaften Fußball spielen, ficht das nicht
weiter an. Das Spielfeld liegt jeweils auf
»neutralem« Gebiet – also nicht in den
Wohnorten der Kinder; die Israelis können nicht ins Westjordanland fahren.
Heute liegt das neutrale Terrain vor dem
Kibbuz Ramat Rachel bei Jerusalem.
Die Idee für dieses grenzübergreifende Projekt stammt vom Peres Center for
Peace in Tel Aviv, das 1996 von dem israelischen Politiker und Träger des Friedensnobelpreises, Schimon Peres, gegründet wurde. Gal Peleg, der das Sportprogramm des Zentrums leitet, geht es
darum, dem »Feind« ein Gesicht zu geben. »Für die Palästinenser sind die Israelis Soldaten und für die Israelis sind
die Palästinenser Terroristen«, sagt er.
»Aber beide können Fans der gleichen
Fußballspieler sein. Das Fußballspielen
ist auch ein Instrument, eine andere Sprache zur Verständigung.« Palästinensischer
Projektpartner ist das Al-Quds-Zentrum
für Demokratie in Ostjerusalem.
An diesem kühlen Spätnachmittag
versammeln sich die palästinensischen
und israelischen Jungen an getrennten
Ecken des Spielfeldes, um sich umzuziehen. Die 25 Palästinenser aus Jaba
und Al Khadr bei Bethlehem sind heute
ohne ihren Trainer angereist, der am
Checkpoint nicht durchgelassen wurde.
Untereinander sprechen die Kinder
meist Hebräisch, weil die meisten Israelis kein Arabisch können. »Beim Fußball
können wir uns auch ohne Worte mit
Gesten verständigen«, sagt der 12-jährige Chanan mit einer grünen Kippa, der
Kopfbedeckung der religiösen Juden,
die beim Kicken manchmal runterfällt.
Selbstbewusst und redegewandt erläutert er, warum er die »Zwillingsteams«,
wie das Projekt heißt, für eine gute Idee
hält: »Wenn man sich nicht anders verständigen kann, kann man es über den
Sport versuchen.« Mit den Palästinensern habe er keine Probleme, »höch-
stens auf der Straße«. Selbstverständlich will Chanan Fußballspieler werden,
auch wenn das mit Problemen verbunden ist, weil viele Spiele am Samstag,
dem jüdischen Feiertag stattfinden.
Der gleichaltrige Ahmad zögert bei der
Beantwortung der Frage, ob er einen israelischen Freund habe. Sein jüngerer
Cousin Mahmud mischt sich ein und sagt:
»Doch, du hast einen!« Die Kontakte sind
jedoch auf die sportlichen Begegnungen
beschränkt. Alles andere sei zu kompliziert. Für Ahmad, der im Tor steht, sind
die Fahrten zu den Spielplätzen auf den
neutralen Gebieten ein Erlebnis. Israel
gefällt ihm. »Aber Palästina ist sehr
schön«, fügt er schnell hinzu.
Inzwischen haben die jüngeren Kinder mit ihrem Spiel begonnen. Obwohl
sie alle zu Hause regelmäßig trainieren
und feste Positionen in der Mannschaft
einnehmen, stürzen alle dem Ball hinterher. Das Spiel endet unentschieden, 1:1.
Doch ganz ohne Probleme geht es
auch bei den Zwillingsteams nicht ab.
Und da landet man trotz gutem Willen
schnell wieder bei der großen Politik,
etwa den zahllosen Reisebeschränkungen, denen die Palästinenser unterliegen. Wenn die jungen Fußballspieler am
Checkpoint sagen, dass sie im Rahmen
des Peres-Zentrums unterwegs sind,
berichtet Wael Salameh vom Al-QudsZentrum, werden die israelischen Soldaten ganz freundlich. Aber die Jungen
wissen genau, dass das bei der nächsten Fahrt mit ihren Eltern wieder anders sein kann.
Und an manchen Tagen haben einige der Palästinenser keine Lust, mit den
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Dirk Förstner  Redaktion und Alltag
Operation Frieden
Israelis zu spielen. Vor allem dann, wenn
sie im Fernsehen Bilder einer israelischen Militäraktion im Gaza-Streifen mit
Toten sehen. »Dann müssen wir sie
schon überzeugen«, sagt Salameh. »Wir
erklären ihnen, worum es geht und dass
es auch gewaltfreie Wege gibt, sich für
seine Ziele einzusetzen.« Aber oft genug, sagt er, hören sie zu Hause oder
auf der Straße etwas anderes.
Die Autorin hat 2006 an einer Informationsreise des PNJ nach Israel teilgenommen.
Ein israelischer Arzt rettet palästinensischen
Kindern das Leben.
erklärt Sion Houri. Spendengelder aus aller Welt finanzieren das Projekt. Auch die
für Igad’s Operation benötigten 10.000
US-Dollar kamen so zusammen.
Ein geheimes Projekt
Igad El Beit hat seinen bisher größten
Kampf gewonnen. Er hat überlebt. Als er
im Februar 2004 mit einem schweren
Herzfehler geboren wurde, hing sein Leben an einem seidenen Faden. Er konnte
nur durch eine baldige und komplizierte
Operation gerettet werden. Das ist nicht
einfach, wenn man im Gaza-Streifen das
Licht der Welt erblickt und die Familie kein
Geld für diesen kostspieligen Eingriff hat.
Ganz zu Schweigen von der Tatsache,
dass es im Gaza-Streifen kein Krankenhaus gibt, in dem eine solche Operation
durchgeführt werden kann.
Ein Herz für Kinder
Aber Igad’s Arzt wusste ihm zu helfen. Er setzte sich mit dem Projekt »Save
a child’s heart« (SACH) in Holon bei Tel
Aviv in Verbindung. Ein paar Monate später machten sich Igad und seine Mutter
Kifah auf die Reise nach Israel. Im Edith
Wolfson Krankenhaus, wo das SACHTeam arbeitet, wurden sie von Sion Houri
erwartet. Er ist Chefarzt der Kinderintensivstation und Leiter des Projekts.
Rund 70 israelische Ärzte und Krankenpfleger engagieren sich ehrenamtlich bei
SACH, um das Leben herzkranker Kinder
zu retten. »Seit 1995 haben wir mehr als
1000 Kinder aus der ganzen Welt operiert. Jedes Dritte von ihnen kommt aus
den von Israel besetzten Gebieten im
Gaza-Streifen und dem Westjordanland«,
»Unsere Arbeit ist eines der bestgehüteten Geheimnisse in Israel«, stellt
Sion Houri mit verständnislosem Blick
fest. Warum die israelischen Medien
kaum über das Projekt berichten, kann
er sich nicht erklären. In Zeiten von palästinensischen Selbstmordanschlägen
und israelischen Armeeeinsätzen ist anscheinend kein Platz für Menschen und
Organisationen, die sich für das friedliche Zusammenleben von Juden und Arabern einsetzen. Sion Houri hat als Kind
einer jüdischen Familie selbst erfahren,
was es heißt, ausgegrenzt zu werden und
seine Heimat verlassen zu müssen. Seine Familie lebte seit Generationen in
Tunesien. Als im Juni 1967 Israel den
Sechs-Tage-Krieg gegen mehrere arabische Länder gewonnen hatte, wurde das
Leben für die meisten Juden in den vorwiegend muslimischen Ländern Nordafrikas immer schwieriger. Deshalb emigrierte Sion’s Familie nach Israel. Nach seinem dort abgeschlossenen Medizinstudium ging er für mehrere Jahre in die
USA. Mitte der 1990er Jahre kehrte er
nach Israel zurück und begann im Edith
Wolfson Krankenhaus zu arbeiten. Als
kurz darauf das SACH-Projekt ins Leben
gerufen wurde, war er sofort mit dabei.
Hoffnung auf Frieden
Igad’s Operation ist sehr gut verlaufen. Die bläuliche Hautfarbe, die er seit
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Nicholas Brautlecht  Hannoversche Allgemeine
Generation Tokio Hot
seiner Geburt hatte, ist verschwunden.
Seine Mutter Kifah wacht Tag und Nacht
an seinem Bett. Sie freut sich auf ihre
Heimkehr und auf den Moment, in dem
Igad seine sieben größeren Geschwister
wieder sieht. Wenn Sion Houri Igad’s
Krankenzimmer betritt, begrüßt Kifah ihn
mit einem strahlenden Lachen. Vom israelisch-palästinensischen Konflikt, der
nur wenige Kilometer entfernt im GazaStreifen tobt, ist hier nichts zu spüren.
Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft
haben Hass und Misstrauen verdrängt.
Sion Houri geht es darum, Menschenleben zu retten. Doch gleichzeitig hält er
auch die Hoffnung auf Frieden im Nahen
Osten am Leben.
Die Website des SACH-Projekts
www.saveachildsheart.com
Der Autor hat 2004 an einer Informationsreise des PNJ nach Israel teilgenommen.
60 Jahre nach der Staatsgründung lebt eine
junge Generation in Israel, deren V
Ver
erhältnis
er
hältnis zu
Deutschland gänzlich unbefangen ist. Und
nicht nur das. Sie will auch noch Deutsch lernen. Schuld daran ist hauptsächlich eine Band
aus Magdeburg.
60 Jahre nach der Staatsgründung
lebt eine junge Generation in Israel, deren Verhältnis zu Deutschland gänzlich
unbefangen ist. Und nicht nur das. Sie
will auch noch Deutsch lernen. Schuld
daran ist hauptsächlich eine Band aus
Magdeburg.
Gaby Goldberg bekommt in letzter
Zeit häufiger Anrufe von verzweifelten
Müttern. Sie alle haben das gleiche Problem. Aber darauf kommen sie oft erst
gegen Ende der Unterhaltung zu sprechen. Zuerst erregen sich die Mütter
über den jüngsten Lehrerstreik, erzählen, wie sie sich zwei Monate lang zuhause mit ihren pubertierenden Kindern
herumschlagen mussten. Dann erst
beichten die Anruferinnen der Dozentin
den wahren Grund ihrer Verzweiflung:
Ihre Kinder würden gern Deutsch lernen.
Wegen Tokio Hotel. Dieser Band aus
Magdeburg. »Das ist denen hochgradig
peinlich«, sagt Gaby Goldberg und lacht.
Die 47-jährige mit dem Kurzhaarschnitt ist seit 13 Jahren Deutschlehrerin am Goethe-Institut in Jerusalem und
profitiert von einem Musiktrend: Israelische Mädchen lieben Tokio Hotel. Sie lie-
ben sie so sehr, dass sie mit einer Leserbrief-Kampagne das populäre Jugendmagazin »Rosch Echad« dazu bewegten,
zum ersten Mal in seiner Geschichte eine
deutsche Band auf den Titel zu heben.
Dem sei jedoch eine gründliche Recherche vorausgegangen, versichert Avi
Morgenstern, Chefredakteur der Zeitschrift bei einem Gespräch in Tel Aviv.
Man habe bei der Band jegliche Nazi-Verbindungen ausschließen wollen. Seither
landeten die vier Deutschen sogar ein
zweites Mal auf dem Cover der »israelischen Bravo«. Aber damit nicht genug:
6.000 Fans unterschrieben eine Petition
und lockten so die vier Jungs ins Heilige
Land.
Auch Naomi Lubinetzki aus Haifa
wäre bei dem Konzert im Oktober gerne dabei gewesen. Doch scheiterte sie
am Widerstand der Eltern. Schließlich
war Sabbat, der jüdische Feiertag. Da
sind Ausflüge nach Tel Aviv nicht drin.
»Ich habe viel geweint an dem Tag«, sagt
Naomi. Trost fand die 13-jährige in den
Tokio-Hotel-Texten. Zudem ist sie in ihrer Clique jetzt selbst ein Star. Denn sie
spricht Deutsch und das ist »in«. »FrüConnecting
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Die Fotos auf
dieser und allen
anderen Seiten
stammen von
Robert Fishman
vom Journalistenbüro ecomedia
(Bielefeld).
el: Nur die Musik zählt
her behaupteten hier alle, Deutsch sei
hässlich, die Sprache der Nazis und des
Zweiten Weltkriegs«, sagt Naomi, die
bis ins Grundschulalter in Düsseldorf
lebte. Auch jetzt werde sie im Streit mit
anderen Jugendlichen gelegentlich noch
als Nazi beschimpft. Doch seitdem Israels Teenager aus dem Internet Lieder
wie »Durch den Monsun«, »Schrei«,
»Spring nicht« herunterladen und mit
dem Konterfeit von Sänger Bill bedruckte Mappen in die Schule tragen, gilt es
nicht mehr als die »Sprache der Täter«.
Unter Jugendlichen steht Deutsch nun
für die großen Gefühle – für Liebe, Verzweiflung und Freundschaft. »Für viele
ist es jetzt die beste Sprache der Welt«,
sagt Naomi.
Dabei steht Deutsch an israelischen
Schulen gar nicht auf dem Stundenplan.
Hier haben Englisch und Französisch Vorrang. Nur einige Dutzend Gymnasiasten
nutzen jedes Jahr eine Sonderregelung
und lassen sich ihre Deutsch-Kenntnisse beim Bagrut, dem israelischen Abitur,
anrechnen. Abgenommen wird die Prüfung vom Goethe-Institut, das auch Vorbereitungskurse anbietet. In Haifa und
Tel Aviv gibt es zudem einige wenige
Schulen, in denen Schüler freiwillig an
einer Art Deutsch-AG teilnehmen können. Auch Naomis Freundinnen Avishag
und Avital wollen die Sprache von Tokio
Hotel lernen. Bislang muss Naomi die
Songtexte für sie noch ins Hebräische
übersetzen. Aber das soll sich bald ändern, sagen sie. »Denn die Texte sind
nicht oberflächlich, sondern haben Tiefgang«, schwärmt die 16-jährige Avishag.
Dass sich Deutsch nun in Israel zur
neuen Trendsprache entwickelt hat,
kommt für viele überraschend. Lange
Zeit wurde hier alles Deutsche tabuisiert.
2000 hatte der damalige Bundespräsident Johannes Rau mit seiner auf
Deutsch gehaltenen Rede in der Knesset noch für großen Aufruhr gesorgt.
Manch Abgeordneter blieb der Sitzung
fern, weil er es nicht ertragen konnte,
im eigenen Parlament die deutsche Sprache zu hören.
Gibt es also 60 Jahre nach der Staatsgründung eine »Generation Tokio Hotel«
in Israel, die mit Deutschland und der
deutschen Sprache gänzlich unbelastet
umgeht? Durchaus, meint Gaby Goldberg. Die Jugend, so die Deutschlehrerin, schaffe durch ihre Neugier eine Art
Nische im deutsch-israelischen Verhältnis. Früher hätten älteren Menschen
beim Einstufungstest für Kurse am Goethe-Institut die Hände gezittert. Heute
kämen die Mädchen in die Jerusalemer
Sokolov Straße 15 und könnten es kaum
abwarten, die Worte des neuesten Tokio-Hotel-Hits zu lernen. Nur eine Masche? Nein, sagt Gaby Goldberg. Sie glaube, dass dieser Trend länger anhalten
werde. Es sei nicht wie 2006, als die Fußballweltmeisterschaft die Zahl der männlichen Teilnehmer bei den Sprachkursen
nach oben schnellen ließ. »Die waren
nach der WM auch wieder weg«, sagt
sie. Nein, Tokio Hotel sei anders. Deren
Musik gehe durch den Bauch und alles
was durch den Bauch gehe, dränge anderes zurück.
Auch Adam Reiter staunt schon lange nicht mehr über den Imagewandel.
Der 22 Jahre alte Lockenkopf jobbt in
einem Plattenladen in Haifas Oberstadt,
Central Carmel. Fast täglich führt er junge Kundinnen in den hinteren Teil des
Geschäfts, dorthin, wo die vier bislang
erschienenen Tokio-Hotel-CDs im Fach
liegen. Auch seine elfjährige Schwester
Yael fahre voll auf die deutsche Band ab,
erzählt der Verkäufer. Sie habe sich alle
Tokio-Hotel-Alben zum Geburtstag gewünscht. Einmal habe er seine Schwester gefragt, wie sie sich denn all die Lieder anhören könne, wenn sie doch die
Worte nicht verstehe. »Da hat mir Yael
die ersten beiden Strophen von ‚Durch
den Monsun’ vorgesungen – auswendig!«
Die Nazi-Zeit sei zwar weiterhin Unterrichtsthema in den Schulen. Aber sobald
die Jugendlichen durch das Schultor wieder raus seien, spiele die Geschichte
keine Rolle mehr, sagt Reiter. »Das ist
einfach zu lange her.«
Die Autorin hat 2006 an einer Informationsreise des PNJ nach Israel teilgenommen.
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Der fremde Planet
Äthiopische Schülerinnen, die in Israel ankommen, brauchen Hilfe bei der Integration
Die Tattoos gefallen Erisit gar nicht.
Sobald sie 18 ist, kommen sie weg: Zwei
Kreuze, eines auf der Stirn und eins am
Kinn, die sich fast schwarz auf ihrer dunklen Haut abzeichnen. Sie bekam sie in
Äthiopien – als Zeichen des unfreiwilligen Übertritts ihrer Familie zum Christentum. In Israel wird sie nun oft gefragt:
»Bist du denn wirklich Jüdin?«
Seit fünf Jahren geht Erisit auf das
religiöse Mädchengymnasium Ironi Waw
in Haifa. Sie gehört zu den Falash Mura,
einer Gruppe äthiopischer Juden, die vor
allem in den 90er Jahren nach Israel geflohen sind. Ihre Freundinnen Bosena und
Amelnal tragen keine Kreuze im Gesicht.
Ihre Familien nennen sich Beita Israel und
haben immer nach jüdischer Tradition
gelebt. Die kannte in Äthiopien aber zum
Beispiel den Talmud nicht, die schriftlichen
Gebote Gottes und ihre Auslegung. Von
orthodoxen Rabbinern werden sie deshalb bis heute nicht als Juden anerkannt.
Die Beita Israel lebten bis ins 19. Jahrhundert völlig isoliert von der Außenwelt
in den äthiopischen Bergen. Sie glaubten,
die einzigen noch lebenden Juden auf der
ganzen Welt zu sein. Wie sie dorthin kamen, ist nicht sicher – sie selbst sehen
sich als Abkömmlinge von König Salomos
Sohn und der Königin von Saba.
Im Äthiopien des 20. Jahrhunderts
durften sie kein Land besitzen und galten als Verursacher von Krankheit und
Tod. Bürgerkrieg und Hungersnot unter
Diktator Mengistu ließen die ersten
äthiopischen Juden Anfang der 80er Jahre nach Jerusalem aufbrechen, der gelobten Stadt, in deren Richtung sie beteten. Die Flucht führte durch die Wüste in den Sudan. In einer ersten großen Rettungsaktion, der »Operation Moses«, flog Israel 7000 Menschen aus.
1991 brachte die »Operation Salomon«
16.000 äthiopische Juden nach Israel.
Die Einwanderung hält an. Ingesamt leben jetzt zwischen 80.000 und 100.000
Juden aus Äthiopien in Israel.
Sie stellen den Staat vor eines seiner
größten Integrationsprobleme, weil sie
mehr noch als russische und arabische
Einwanderer eine fremde Kultur mitbringen. Mädchen wie Erisit kommen aus einer einfachen Agrarwirtschaft in das hoch
entwickelte Israel, sie müssen nicht nur
hebräisch lernen, sondern auch offiziell
vom Christentum zum Judentum konvertieren. Am Anfang, sagt Erisit, »war es hier
wie auf einem anderen Planeten.«
Doch mittlerweile fühle sie sich als
Israelin, besonders die Schule sei wie eine
zweite Heimat. Das hat sie Lehrern wie
Jacob Königsberg zu verdanken. Er betreut
sie, seit sie in der siebten Klasse an die
Schule kam. Das Ironi Waw Gymnasium
ist beliebt bei den äthiopischen Einwanderern, weil es sich große Mühe gibt, ihren Kindern Chancen in der israelischen
Gesellschaft zu verschaffen: Zwischen 70
und 80 Prozent seiner äthiopischen Schülerinnen machen das Abitur, im nationalen
Durchschnitt gelingt das nur 30 Prozent.
»Sie sind sehr motiviert«, lobt Jacob
Königsberg seine Schülerinnen. Dafür
bekommen sie viel Unterstützung: Im
ersten Jahr lernen sie gemeinsam in einer Klasse Hebräisch. Dann werden sie
in kleinen Gruppen auf die regulären Klassen verteilt, Tutoren helfen ihnen weiterhin. Am Nachmittag können sie Schülerclubs besuchen, wo sie neben einer warmen Mahlzeit immer ein offenes Ohr für
Probleme finden. Außerdem schließen
Ferienkurse Wissensrückstände zu den
Klassenkameradinnen.
Trotz aller Bemühungen sind die meisten Äthiopier auch beim Abitur noch
nicht auf dem gleichen Stand wie ihre
Mitschüler. Der Staat erlaubt ihnen deshalb, in den Prüfungen 10 bis 15 Prozent
weniger Leistung zu bringen. Haben sie
bestanden, ist ihr Abitur aber an allen Universitäten voll anerkannt. Als größten Erfolg verbucht Direktor Jakob Zitrin, dass
zwei der Mädchen zum Studium der
Zahnmedizin zugelassen worden sind.
So stolz er auf die Leistungen seiner
Schülerinnen ist, die soziale Integration
stellt den Schulleiter noch nicht zufrieden:
»Die anderen Mädchen laden sie nicht
nach Hause ein.« In der Schule feiern sie
immerhin gemeinsam das »Seged«, ein
Fest, das die äthiopischen Juden mitgebracht haben. Und als Erisit und ihre
Freundinnen unbedingt mit auf Klassenfahrt nach Polen wollten, sammelten ihre
Mitschülerinnen für die Reisekosten.
Die Fahrt zu den Stätten des Holocaust ist fester Bestandteil eines israelischen Schülerlebens. Und so stand auch
Erisit, die selbst aus Afrika nach Israel
geflohen ist, staunend in der Vernichtungsstätte Auschwitz: Schon die Großmutter hatte ihr erzählt, wie dort Juden
umgebracht worden sind. Doch bis sie
die Anlagen selbst gesehen hat, »konnte ich es nicht glauben.«
Die Autorin hat 2005 an einer Informationsreise nach Israel teilgenommen.
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Radio in Uniform
Es ist unser erster Morgen in Israel. Wir sind in einem Bus vvon
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Aviv
suchen Galei Zahal: Der Armeeradiosender ist einer der beliebtesten Jugendradiosender im Land.
Wir stehen in der Musikredaktion. CDStapel auf dem Schreibtisch, CD-Regale
im Rücken und davor der 21-jährige Asaf
Charnilas, der versucht uns zu erklären,
wie Musik ins Programm von Galei Zahal
kommt. Plattenfirmen, Künstler selbst
oder kleine Vertriebe schicken Songs ein.
Manchmal kommen die Tipps auch von
Hörern. Einmal wöchentlich setzen sich
die Musikredakteure zusammen, streiten
und entscheiden, setzen Geschmäcker
durch und heben musikalische Trends ins
Programm. Wenn es gut läuft, wird ein
Song drei Mal am Tag gespielt. So weit,
so normal.
Doch da haben wir schon mehrere
Aha-Momente hinter uns. Vor dem Eingang des Senders: Soldaten in Uniform,
Hand am Gewehr. Der Weg in die Musikredaktion führt durch einen bunkerartigen
Raum. Fest verschließbare Türen, die aus
dem Raum einen Safe machen können,
über kleine Abzugsöffnungen kann saubere Luft hineinströmen – diese 10 Quadratmeter haben eine besondere Funktion: Im Falle eines Giftangriffs können sich
die Mitarbeiter hier erstmal aufhalten. Da
ist uns Israel-Novizen schon längst aufgegangen: Normal ist hier nichts.
Galei Zahal ist ein Radiosender in Jaffa, der zum großen Teil von Soldaten gemacht wird. Rund 2.000 Bewerbungen
gibt es pro Jahr. Die Armeezeit ist lang
– drei Jahre steigen junge Israelis aus
dem zivilen Leben aus, um ihrem Heimatland zu dienen. Das ist eben auch
bei Galei Zahal möglich. Aber von den
2.000 Bewerbern pro Jahr werden lediglich 20 bis 25 Soldaten genommen. Nach
einem zweimonatigen Basistraining werden die jungen Erwachsenen auf die verschiedenen Redaktionen aufgeteilt. Und
für viele ist eine Armeezeit bei Galei Zahal
das Ticket in eine journalistische Karriere. Auch Asaf hat hier seine Armeezeit
abgeleistet und ist nun Musikredakteur
und -moderator.
Wie auch bei vielen deutschen Radiosendern üblich, bringt Galei Zahal am
Abend Musikspezialsendungen. So wird
jeden Mittwoch in der Zeit zwischen 20
und 22 Uhr »Hebrew music« gespielt. Hebräische Musik hat hier allerdings keinen
Exotenstatus, als dass es dafür eine gesonderte Spezialsendung braucht. Es
gibt eine selbst auferlegte Quote für heimische Musik: 6 Songs pro Stunde. Asaf
erklärt uns, dass man damit den Wünschen der Hörer nachkommt.
Nur für arabische Musik gibt es keine Spezialsendung. Obwohl die es vielleicht am ehesten nötig hätte. Rund 18
Prozent aller Israelis sind arabisch. Ihre
Musik wird bei Galei Zahal aber gar nicht
gespielt. Wie es eine Ausnahmeregelung
für die Musik im Sender gibt, gibt es
auch eine Ausnahmeregelung für israelische Araber bei der Armee. Sie sind von
der Wehrpflicht ausgeschlossen. Es
wird immer komplizierter.
Reklame sendet Galei Zahal nicht. Finanziert wird der Sender von verschiedenen NGOs, Lottogeld und gelegentlichen Finanzspritzen von Universitäten.
Das Gehalt kommt von der Armee. Der
Inhalt nicht – sagt uns Tunik Izhak, der
Chefredakteur. Ein Armeesender, der von
der Armee gemacht und vom ganzen
Volk gehört wird. Radio spiele eine größere Rolle als in anderen Gesellschaften,
fügt Tunik Ishak hinzu. Der Sender funktioniert als verbindendes Element zwischen Soldaten und daheim gebliebenen
Familien, seine Inhalte sind Gesprächs-
stoff, seine Musikauswahl ist geschmacksbildend.
Der Chef des Hauses sagt auch, man
berichte über alles, ausnahmslos. Ausnahmslos? Vielleicht ist es nur ein Zufall,
dass Tunik Izhak unsere Gesprächsrunde
verlässt, als eine Frage zum Thema
Armeeverweigerung gestellt wird. Im
Hinausgehen sagt er, wir würden uns
nach einer Woche ein ganz eigenes Bild
machen können. Aber dass junge Israelis, die sich gegen die Armee entscheiden, es bedeutend schwerer haben, ihren Platz in der israelischen Gesellschaft
zu finden, wird uns hier schon deutlich.
Unsere Fragen nehmen zu, statt ab.
Uns erstaunt die Geschäftigkeit im
Sender. Es sind ungewöhnlich viele Mitarbeiter. Und die wollen alle beschäftigt
werden. Um kurz vor 2 Uhr am Nachmittag ist es Zeit für Kultur: Die zehnminütige
tägliche Sendung ist mit »Entertainment
Today« etwas flapsig betitelt. Dabei geht
es in den zehn Minuten nicht um den
neuesten Promi-Klatsch, sondern um
Theater, Konzerte, neue Filme, Hochund Popkultur. Die Philosophie hinter
‚Entertainment Today’ ist einfach, wie
der verantwortliche Redakteur Effy
Benavraham erklärt: »Give us ten
minutes and we’ll tell you everything you
can do today.« Man will nicht erziehen,
sondern auf das hinweisen, was es zu
erleben gibt. Für Effy Benavraham bedeutet die Arbeit mit jungen Soldaten auch
eine ständige Suche nach neuen Radiotalenten. Abhängig davon, wie viel Erfahrung sie mitbringen, ist seine Arbeit mal
mehr oder weniger erklärungsintensiv.
Nach der Kultur folgen die Nachrichten. Während der Nachrichtensprecher
an einem kleinen Tisch sitzt und seine
Nachrichten liest, schleicht auch ein uns
bekanntes Gesicht ins Studio: Es ist Asaf
in Jeans, Shirt und Sneakers. In der Hand
jede Menge Zettel, im Gesicht ein Lächeln.
Mit 21 liegt die Armeezeit hinter ihm. Dem
Sender bleibt er trotzdem treu, schließlich hat er eine eigene Musiksendung
bekommen. Asaf steckt mittendrin, im
Leben in diesem kleinen, besonderen,
merkwürdigen Land – das wir gerade
erst beginnen kennenzulernen.
Die Autorin hat 2007 an einer Recherchereise des PNJ nach Israel teilgenommen.
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Laura K
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Pseudo-Freiheit und Chaos
Zoof ist im Kibbuz »Ramat Y
ohanan« nahe Haifa
Yohanan«
geboren. Jetzt ist sie 25 und will den Neuanfang.
Draußen.
Der Kibbuz-Kindergarten, in dem Zoof
arbeitet, ist – gelinde ausgedrückt – ein
Chaos. Spielsachen liegen wild verstreut
im Matsch, darunter umgeworfene Klettergerüste, Wackersteine, ein zum Trampolin umfunktioniertes Sofa. Die vielen
Kaninchen und Hühner, die sich wie
selbstverständlich unter die Kinder mischen, hinterlassen im Minutentakt frische Spuren. Zäune gibt es nicht.
Auch Zoof konnte sich als Kind frei
auf dem Kibbuz-Gelände bewegen. Halbnackt und barfuß kletterte sie auf Bäume und auf Felsen herum, »alles war weit
und offen«.
Einmal lief sie mit einer Freundin weit
hinaus, bis zu den Fruchtplantagen. Erst
nach Stunden wurde das Verschwinden
der beiden fünfjährigen Mädchen bemerkt. »Das ganze Kibbuz suchte nach
uns.« Zoof mag diese Geschichte sehr.
Wären doch alle ihre Kindheitserinnerungen so schön.
Brotloser Sabbat
Heute weiß Zoof, dass auch die Freiheit im Chaos-Kindergarten trotz Trampolin-Sofa und freilaufender Karnickel
eine Illusion ist. »Tiere gibt es aus einem
Grund – weil die Lehrerin Tiere mag.«
Seit 17 Jahren habe sie hier das Sagen,
sie schreibe alle Abläufe und Regeln vor.
Mitarbeiter haben kein Mitspracherecht.
Bald wolle die Lehrerin das Kindergarten-
gelände zwei Meter hoch einzäunen lassen. Wenn es nach Zoof ginge, würden
hier bestimmt keine Zäune aufgestellt.
Zu gut erinnert sie sich an die Zwänge,
denen sie selbst im Kindergarten ausgesetzt war.
Lange Zeit verbrachte Zoof jeden Mittag im Badezimmer. Eingesperrt musste
sie abwarten, bis die anderen Kinder fertig gegessen hatten. »Meine Lehrerin
hatte eine sehr gemeine Vorstellung von
Erziehung.« Freitags durften die Kinder
traditionelle jüdische Brote backen und
für die Sabbat-Feier mit nach Hause nehmen. Alle außer Zoof. »Ich kann mich
beim besten Willen nicht erinnern, für
was ich eigentlich bestraft wurde.« Ihre
damalige Lehrerin würde sagen, Strenge habe noch keinem Kind geschadet.
Zoof sagt, sie ist traumatisiert.
Ein Kilometer Abstand
Zoof glaubt, dass ihr »Problem mit
Autoritäten« mit ihren Kindheitserinnerungen zusammen hängt. Sie verweigerte den Kriegsdienst, weil sie nicht Teil
eines Systems werden wollte, »in dem
einige wenige Menschen über das Leben vieler anderer bestimmen.«. Sie verabscheut die »Kibbuz News«, in denen
Bewohner gemeldet werden, wenn sie
sich nicht prinzipienkonform verhalten.
»Wenn du dort liest, dass du vollgepumpt
mit Alkohol und Drogen auf einer Party
gesehen wurdest, in Wahrheit aber
stocknüchtern warst, dann ist das ziemlich ärgerlich.« Wie gerne würde Zoof in
ihrem eigenen Haus im Grünen leben.
Abstand zum nächsten Haus: »Mindestens ein Kilometer.«
Die Enge im Kibbuz erträgt sie trotzdem weiter. Der Komfort hält sie hier. Das
Kibbuz zahlt die Gebühren ihrer Schule,
wo sie Edelsteinhandwerk lernt. Sie genießt Mietfreiheit, im Tausch gegen ihre
Arbeit im Kindergarten. »Ich muss mir hier
über nichts Sorgen machen.« All das will
sie noch nicht aufgeben. Ein paar Jährchen Bequemlichkeit will sie sich noch
gönnen. Aber für immer hier bleiben?
»Niemals.«
Raus aus dem Kibbuz
Bald wird sich Zoof offiziell entscheiden müssen: In or out. Mit 28 Jahren
muss sich jeder Kibbuz-Bewohner festlegen: Lebenslange Mitgliedschaft mit allen dazugehörigen Privilegien oder Degradierung zum Gast, der keine Pflichten, aber auch keine besonderen Rechte hat. Im Grunde ist Zoofs Entscheidung längst gefallen. Aber noch ist sie
nicht bereit, Abschied zu nehmen. Sie hat
ein wenig Angst vor dem Sprung nach
draußen. »Wir Kibbuz-Leute sind so anders. Wir passen einfach nicht dazu.«
Doch spätestens beim nächsten Eintrag
in den »Kibbuz-News« ist sie wieder da:
Die Sehnsucht nach mehr Selbstbestimmung, nach mehr Freiheit – und nach
dem eigenen einsamen Haus im Grünen.
Die Autorin hat 2007 an einer Informationsreise nach Israel teilgenommen.
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Weißrussland, Russland und Kasachstan.
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