Stephan Günzel

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Stephan Günzel
Stephan Günzel
Raum, Karte und Weg im Computerspiel
Elephant…
Herbst – rotbraune Blätter rahmen die Straßen einer Kleinstadt, durch die ein weißer Mercedes fährt, der wie ein Autoskooter mal rechts, mal links an die Bordsteinkante stößt, um von dort wieder in seine Bahn zu gleiten. Nichts scheint den
Fahrer zu drängen. Der Wagen ist in Rückansicht zu sehen, aus einem Blickwinkel,
der nicht bodenständig und doch nicht entrückt ist. Geduldig bleibt die Kamera
hinter dem Auto und folgt seinem Weg.
Das Auto schiebt sich auf den Gehweg, streift einen anderen Wagen und
bleibt am Straßenrand liegen. Es ist der
Morgen am Tag eines Schulmassakers.
Der Ort hat keinen Namen. Das Ereignis ist fiktiv und findet doch statt. Die
Kamera begleitet sie alle: Den Jungen,
dessen angetrunkener Vater ihn wieder
einmal zu spät zur Schule fährt. Das
Abb. 1: Screenshot aus Elephant
Mädchen, das sich nicht traut, nach
dem Sportunterricht vor den Augen der Cheerleader die Kleidung zu wechseln.
Den Freund des Jungen, der seine Mitschüler für ein Schulprojekt mit der Kamera portraitiert. Dann ein Junge in der
letzten Reihe des Klassenzimmers, der
von seinen Mitschülern mit Papierkugeln beworfen wird und dies geduldig
erträgt. Zusammen mit seinem Freund
hat er sich Waffen besorgt und wird die
Schule nach einem vorher angefertigten Plan Raum um Raum absuchen,
Flur um Flur durchlaufen, Mensch um
Abb. 2: Screenshot aus Elephant
Mensch töten.
Die Kamera bleibt die ganze Zeit hinter jedem der Opfer, hinter jedem der Täter, so wie sie schon hinter dem Wagen blieb. Auch zu Opfer und Täter wird der
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Abstand gewahrt, der wie durch ein nicht allzu elastisches Gummiband definiert
scheint. Gezeigt werden die letzten Minuten vor dem Attentat. Immer wieder
springt das Bild zurück und setzt zu einem anderen Zeitpunkt, bei einer anderen
Person, an einem anderen Ort im Wegesystem der Schule ein. Der Film, dessen
erzählte Zeit kaum eine Viertelstunde beträgt, vermittelt die Geschichte nichtlinear: Stabilisiert wird die Handlung
einzig durch das Kontinuum der Korridore. – Ohne führende Dialoge und
fast ohne Musikuntermalung, nur mit
Gesprächsfetzen und Umgebungs­ge­
räuschen, sind es allein diese Gänge,
welche einen Zusammenhang aufzufassen ermöglichen.
Abb. 3: Screenshot aus Elephant
…und die Phänomenologie des Computerspiels
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Der Film Elephant (USA 2003) von Gus Van Sant verläuft entlang des schmalsten Grates, auf dem ein Schulattentat thematisiert werden kann: Denkbare Motive wie Rassismus, Homophobie, Frustration werden angerissen, aber stets durch
eine Szene konterkariert, welche die jeweilige Erklärung ins Leere laufen lässt. Statt
die Ursachen eines Verhaltens zu deuten, wird es durch Van Sants Film beschrieben: Elephant beschreibt aber weniger den Tathergang, als in erster Linie selbst
wiederum einen besonderen Typ des
Bildes: Der Film zeigt das Geschehen
wie ein Videospiel. Dies jedoch nicht,
indem die Bluttat als Spiel dargestellt
würde, sondern indem durch die Darstellungsweise vorgeführt wird, wodurch sich ein Com­pu­terspiel als Bild
auszeichnet. – Mit dem schnittfreien
Bewegungsbild des cinema verité führt
Abb. 4: Screenshot aus Elephant
Van Sant eine Bildansicht vor, wie sie
ansonsten in 3D-Simulationen eines
besonderen Typs gegeben ist: Das Geschehen wird als ein kontinuierlicher
Ablauf in Echtzeit und aus Augenhöhe
präsentiert. Nur an einer Stelle demonstriert der Film ganz offenkundig seine
Verwandtschaft mit dem Computerspielbild: Für einen Moment ist am unteren Bildrand der vordere Lauf einer
Maschinenpistole zu sehen, die in den
Abb. 5: Screenshot aus Counterstrike
Raum hineinzielt.
Raum, Karte und Weg im Computerspiel
Es ist eine Ansicht, die in fast allen Com­pu­terspielen vom Typ »First Person
Shooter« anzutreffen ist und deren Spielprinzip darin besteht, den Fluchtpunkt des
Bildes entsprechend auftauchender Objekte im Bild zu manipulieren. Der Fluchtpunkt ist zugleich der Zielpunkt einer virtuellen Waffe, der auf sie ausgerichtet
werden muss. Kommen Objekt und Ziel- bzw. Fluchtpunkt zur Deckung, muss
dies durch den Spieler mittels Mausklick bestätigt werden, woraufhin die Visualisierung eines Schusses aus der Waffe in Richtung Bildmittelpunkt erfolgt.
Van Sant setzt die subjektive Kamera jedoch nur an dieser einen Stelle ein. Zumeist werden die Figuren in der Rückansicht gezeigt. – Es handelt sich dabei um
die in Computerspielen sogenannte ›Dritte Person Perspektive‹. Sie ist dem Spielprinzip nach keine wirklich eigenständige Perspektive, sondern eine Ableitung der
Ersten Person Perspektive: In ihrem Erscheinungsbild divergieren beide zwar,
insofern die im Spiel gesteuerte (virtuelle) Figur nicht mehr vor dem Bild auf
Seiten des Spielers platziert ist, sondern
nun selbst im Bild erscheint – die Tätigkeit des Anvisierens mittels Manipulation der Bildperspektive bleibt jedoch bestehen. Einzig der Aktionsmittelpunkt Abb. 6: Screenshot aus Elephant
wird vom Augpunkt der Bildkonstruktion im First Person Shooter in das Bild
hineinverlegt, so dass die Manipulation
der Blickperspektive nun wie die Bewegung eines Auslegearms anmutet, auf
dem eine Kamera montiert ist und dessen Aufhängung sich in der handelnden
Figur befände.
In der Perspektive der dritten Person
filmt Van Sant das System der Korridore des Schulgebäudes, die den Rahmen
der Filmhandlung abgeben. Hierin be- Abb. 7: Screenshot aus Max Payne 2
steht nun eine weitere strukturelle Verwandtschaft des Films mit einem Computerspiel: Wegesysteme dieser Art liegen vielen Shooterspielen zugrunde und sind
ebenso spielnotwendig wie die perspektivische Bildansicht, da das Wegesystem
zugleich für die Übersichtlichkeit des einzelnen Raumabschnitts sowie für die Unübersichtlichkeit der Gesamtanlage eines Spiellevels sorgt. – Darüber wird es möglich, den Weg, den der Spieler mit seiner Figur zurücklegt, zu ›kanalisieren‹ und
Begegnung mit anderen Spielfiguren vorzugeben.
Van Sants Film kann selbst als theoretischer Zugang zum Computerspiel eingestuft werden, insofern er mit bildlichen Mitteln das Bild reflektiert. Genauer gesagt,
ist Van Sants Film eine Phänomenologie des Computerspiels: Elephant erkundet
die Struktur eines Phänomens unter Einklammerung der Bedeutungsebene. (Mit
dem klassischen Methodenbegriff der Phänomenologie gesprochen, ›übt‹ der Film
epoché.) – Und ebenso wie Van Sant zur Beschreibung des Computerspielbildes
kein digital generiertes Bild einsetzt, sondern vor allem die Erscheinungsweise
thematisiert, so geht auch der phänomenologische Ansatz davon aus, dass die Be-
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sonderheit von Bildern nicht allein in der zugrunde liegenden Technik zu suchen
ist, sondern vielmehr in der durch sie ermöglichten Bilderscheinung und ihrer
Struktur. Wenn im Folgenden vom Bild des Computerspiels die Rede ist, so wird
darunter also das erscheinende Aktionsbild und des Weiteren das Interaktionsbild
im Ganzen verstanden: Ebenso wie das Tafelbild oder die Fotografie ein Bild ist, ist
auch der Film ein Bild: Gesehen und technisch zur Verfügung gestellt werden zwar
vierundzwanzig Einzelbilder pro Sekunde, wahrgenommen aber wird ein bewegtes Bild.1 Gleiches gilt für das Simulationsbild: Auch dieses besteht aus einzelnen
frames, die in der Betrachtung jedoch als ein kontinuierliches Bild wahrgenommen
werden. Im Unterschied zum Film ist das Bild des Computerspiels aber nicht nur
ein Bild, welches eine Bewegung wiedergibt, sondern es ist ein interaktives Bild,
das selbst bewegt werden kann.
I. Raum: Egoshooter als Bildform
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Eine an der Bilderscheinung orientierte Reflexion von Computerspielen unterscheidet sich von medienhistorischen und auch soziologisch-psychologischen
oder kommunikationswissenschaftlichen Untersuchungen: Im Vordergrund der
vorliegenden Analyse steht mit dem Phänomenologen Edmund Husserl gesprochen das Bild als sichtbares Bildobjekt (Husserl 1904/05). Während medienhistorische Arbeiten oftmals die programmiertechnischen und kybernetischen Grundlagen der Spiele in den Blick nehmen (vgl. Pias 2002), also das materielle Bild oder
den Bildträger, interessiert in verhaltens- wie auch kommunikationswissenschaftlicher Hinsicht (vgl. Klimmt 2006) zumeist das Thema des Computerspiels oder das
nach Husserl sogenannte Bildsujet. Da sehr viele Spiele explizite Gewaltdarstellungen enthalten, ist die Forschung hier besonders auf den Verweisaspekt des Bildes
konzentriert: Das Bild wird als eine eineindeutige Darstellung von Gewalt verstanden. Diese sozialen sowie auch die technischen Aspekte sind wichtig, müssen aber
um eine Reflexion des sichtbaren Bildes ergänzt werden,2 ohne die Computerspiele
nicht vollständig beschrieben wären.3 Dass der Fokus hierbei auf dem im Deutschen mit dem Scheinanglizismus »Egoshooter« bezeichneten Spielgenre liegt, hat
seinen Grund darin, dass an diesem die Essenz des Computerspielbildes besonders
1Für die Unterscheidung von Sehbild und Bildwahrnehmung siehe skizzenhaft
Gombrich 1988 sowie ausführlich Rehkämper 2002.
2Für einen chronologischen Überblick über die Ästhetik von Computerspielen
siehe etwa Lischka 2002 und zur Medientechnik Korn 2005.
3Eine Diskussion der Debatte in den jüngeren Game Studies soll hier nicht
erfolgen. Gegenüber film- und literaturwissenschaftlich informierten, narratologischen Ansät­zen, die vor allem die Diegese des Spiels in den Blick nehmen,
fordern die sogenannten ›Ludologen‹ eine originär spieletheoretische Analyse
ein. Für einen Einblick in die Debatte siehe Wardrip-Fruin/Harrigan 2004. – Für
einen umfassenden, deutschsprachigen Entwurf seitens der Narratologie siehe
Neitzel 2005; und für einen aufschlussreichen Beitrag des Namensgebers der
Ludology siehe Frasca 2003.
Raum, Karte und Weg im Computerspiel
deutlich vor Augen geführt werden kann:4 Denn die Form der Bilddarstellung ist
hier nicht allein eine Möglichkeit der Bilddarstellung, zu der es Alternativen gäbe,
sondern unabdingbare Voraussetzung für die Interaktion.5 Hierbei können drei
Ebenen der Bildbeschreibung differenziert werden: Die Ebene der Bildlichkeit (1.)
als solche, die Ebene unterschiedlicher Bildarten und ihrer Beziehung untereinander (2.) sowie schließlich die interne Ausdifferenzierung des Bildes (3.). – Diese
drei Ebenen lassen sich zusammenfassen in einer strukturellen Bestimmungen der
besonderen Bildform (4.).
1. Die Grundlage der Bildinteraktion im Egoshooter ist das (zentralperspektivisch organisierte) Erscheinungsbild: Computerspiele diesen Typs nutzen damit
eine Eigenschaft, welche Bilder erst von anderen Dingen unterscheidbar macht:
mittels eines zweidimensionalen Bildträgers ein räumliches Bildobjekt zu präsentieren. Dieser Zusammenhang kann als »ikonische Differenz« (Boehm 1994) des
Bildes oder als bildkonstitutiver Widerstreit von gesehenem Träger und wahrgenommenem Objekt (Wiesing 2000) bezeichnet werden: Bilder geben demnach etwas zu sehen, das über ihre Materialität hinausgeht. – Nirgends ist dies so augenfällig wie bei Simulationsbildern: Denn diese zeigen nicht nur Bildobjekte, sondern
der Betrachter kann die erscheinenden Objekte selbst bewegen.
2. Das interaktive Bild unterscheidet sich dabei vom Tafelbild, dem Film und
auch der Fotografie (Wiesing 2005), weist aber zugleich Gemeinsamkeiten mit diesen Bildarten auf: Mit dem zentralperspektivischen Tafelbild teilt das Computerspielbild vom Typ Egoshooter die Gemeinsamkeit, einen geometrischen Raum zur
Erscheinung zu bringen. Vom Film wiederum übernimmt das Computerspiel die
Bewegtheit der Bilderscheinung, die in ihrem Ablauf vorgegeben ist, und wandelt
sie in eine freie Bewegung um. Mit der Fotografie schließlich verbindet das interaktive Computerspielbild (wie schon der Film) der Eindruck einer Teilhabe am
dargestellten Geschehen: Denn aufgrund der fotorealistischen Präsentationsweise
kann der Benutzer eines Simulationsbildes wie der Betrachter einer Fotografie der
Auffassung sein, ein Ereignis zu betrachten, das tatsächlich stattgefunden hat (Bazin 1945);6 der Benutzer einer Simulation kann jedoch zudem der Auffassung sein,
das Geschehen ereigne sich momentan und am gezeigten Ort (Steuer 1992).
Marginalie: Neben der Übernahme anderer Bildformen oder ihrer besonderen Eigenschaften sind auch Hybridbildungen in Computerspielen anzutreffen:
Wie etwa die sogenannten In-Game-Movies, die in Egoshooterspielen häufig
anzutreffen sind. Dabei handelt es sich um vorgefertigte Filmsequenzen, durch
die das Simulationsbild kurzfristig seiner Interaktivität beraubt wird und durch
4Siehe
5Auch
hierfür auch die Vorstudie vom Verf. (Günzel 2006).
andere Spielgenres können bestimmte Ansichten zur Voraussetzung der
Interaktion haben, nur wird dort meist eine Figur innerhalb des Bildes bewegt
und nur selten das Bild selbst. – Zur Bildräumlichkeit in Computerspielen sowie
besonders im First Person Shooter siehe die Arbeiten von Poole 2000, Wolf
2001, Aarseth 2001, Funken/Löw 2002 oder Rumbke 2005.
6Mit Peirce gesprochen, ist das Bildobjekt einer Fotografie nicht nur ein ikonisches Zeichen, das wie ein realistisches Gemälde Ähnlichkeit mit seinem Bild­
sujet hat, sondern auch ein Index: Die Spur eines äußeren Ereignisses, durch
welches das Bildobjekt verursacht wurde.
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die der Spieler gezwungen ist, einer Narration oder einem vorgefertigten Ablauf
beizuwohnen. – Bedeutet dies zunächst einen Entwicklungsschritt zurück vor
die Stufe des manipulierbaren Bildes, so werden bei jüngeren Spielen wieder
Freiheitsgrade eingebracht: So etwa im Spiel Call of Duty (2003, Activision),
das Gefechte des Zweiten Weltkriegs aus Sicht alliierter Soldaten nachspielbar
werden lässt. Die Filmsequenzen dieses Spiels sind in doppelter Hinwicht bemerkenswert: Zum einen, da sie auf Schauplätze und Abläufe rekurrieren, wie
Abb. 8: Screenshot aus Enemy at the Gates
120
sie in Kriegsfilmen dargestellt wurden;
besonders einschlägig ist die Adaption
der Eingangsequenz von Enemy at the
Gates (USA/E/D 2001, Jean-Jacques
Annaud) im Spiellevel »Stalingrad«:
Zum anderen, da sie dem Spieler die
Möglichkeit geben, seinen Blick innerhalb der Szene zu variieren, ohne jedoch den Körper bewegen zu können.
Erst sukzessive, mit dem Auslaufen der
filmischen Narration werden der Figur
Abb. 9: Screenshot aus Call of Duty
die Interaktionsmöglichkeiten mit den
Objekten im Bildraum zurückgegeben und diese sodann in den filmisch etablierten Ort des vermeintlich historischen Bildraumes hinein entlassen.7
3. Neben der Interaktion mit der Bildperspektive besteht die auffälligste stilistische Besonderheit klassischer Egoshooter darin, dass jede Tiefenebene des Bildes
deutlich fokussiert ist: Anders als im optisch generierten Film und der Fotografie
ist die Simulation (wie wiederum schon das Tafelbild) nicht darauf festgelegt, einige Bildbereiche zwangsläufig unscharf darzustellen. Stattdessen weist der Bildraum eine durchgängige Tiefenschärfe auf. Dies wirkt sich bei Egoshootern inso
7Dies
ist jedoch nur eine Möglichkeit, die in Egoshootern anzutreffen ist. – Sie ist
für die Bestimmung des Bildtyps jedoch nicht hinreichend und wird vor allem
dort interessant werden, wo die gleichzeitige Vermarktung von Film und Spiel
zum Film oder auch Spiel und Film zum Spiel eine Rolle spielt (siehe hierzu
etwa Hartmann 2004).
Raum, Karte und Weg im Computerspiel
fern spielunterstützend aus, als jeder Bereich gleichermaßen gewichtet ist und vom
Spieler abgesucht werden muss.8 Nicht nur tastet sich also der Schütze durch den
Raum des Spiels, sondern bereits der Spieler tastet die Oberfläche der gegebenen
Bildansicht des perspektivisch konstruierten Raumes ab. Waren es zu Anfang der
Egoshooterentwicklung noch Kapazitätsgründe, welche eine Umsetzung dynamischer Unschärfe auf Heimrechnern verhinderte, so liegt der Vorzug nichtfokussierter Darstellung auf der Hand: Eine solche Ansicht erzeugt Angst, nicht nur
weil in ihm feindselige Monster und
militante Gegner auftauchen, sondern:
weil der Bildtyp unter rein formalen
Gesichtspunkten beurteilt einem ›paranoischen‹ Eindruck Vorschub leistet.
Um perspektivische Randverzerrungen zu vermeiden, vor allem aber, um
die potentielle Bedrohung der eigenen
Position im virtuellen Bildraum herauszukehren, ist der Sehwinkel zudem
auf etwa 90° begrenzt. Ungeachtet der
Szenerie, die vor allem von düsteren Abb. 10: Screenshot aus Counterstrike
Lichtverhältnissen bestimmt sind und durch eine dumpfe Klangkulisse unterstützt
werden, ist die Situation also bereits in formaler Hinsicht bedrohlich: Der Bildausschnitt erfordert die permanente Bewegung des Schützen, um jeden Winkel des
Raumes, in dem er sich befindet, einsehen zu können.
Marginalie: Weitere Elemente, die Egoshooterspiele auszeichnen, sind Symbolismen und Stilelemente, die ein Erleben bzw. Erleiden exemplifizieren: Sowohl das Bildformat als auch die innerbildliche Organisation variieren etwa
mit dem Atemrhythmus oder wenn die Spielfigur vom Gegner angeschossen
wird. Wenn die Figur schließlich stirbt oder dem Tod nahe ist, färbt sich die
Bilderscheinung rot ein. Bombeneinschläge werden dadurch indiziert, dass die
Darstellung sich vom Linearen ins Malerische wandelt und die Flächenbegrenzungen verschwimmen. Diese Darstellungsaspekte sind allenfalls indirekt spielnotwendig, insofern sie die Spielbarkeit hierdurch beeinträchtigen und damit
den Schwierigkeitsgrad erhöhen. Als Einschränkungen zeigen sie solcherart
wiederum auf, worin die Besonderheit des Spielbildes besteht.9
8Hingegen
ist im Filmbild oder Foto durch den Schärfenbereich ein Aufmerksamkeitsschwerpunkt vorgegeben. – Dieses Spannungsverhältnis zwischen Simulationsbild und fotografischem Bild findet sich ebenfalls in Elephant thematisiert:
Van Sant muss nicht nur aufgrund der Medieneigenschaften des Films darauf
verzichten, jede Bildebene deutlich darzustellen, sondern er überbetont diese
Unschärfe noch, indem er vor allem die Figuren im Vordergrund fokussiert und
den Hintergrund verschwimmen lässt. Das fällt insbesondere bei den Szenen
ins Gewicht, welche das Töten zeigen oder vielmehr: es gerade nicht mehr
zeigen.
9Mit zunehmender ›Filmisierung‹ der Computerspiele wird in der jüngsten Generation von Egoshootern auch ein dynamisches Schärfe/Unschärfe-Verhältnis
zur Anwendung gebracht, wodurch es zu einer weiteren Einschränkung des
Spielprinzips und einer Erhöhung des Schwierigkeitsgrades kommt.
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4. Für Johann Gottlieb Fichte gründete
sich die Struktur von Bewusstsein da­
rauf, dass der »menschliche Geist« sich
»seine eigene Existenz« schafft: »Setzet, das Ich sei der höchste Begriff, und
dem Ich werde ein Nicht-Ich entgegen
gesetzt, so ist klar, daß das letztere nicht
entgegengesetzt werden könne, ohne
gesetzt zu seyn«; und zwar im »Ich«
(Fichte 1784). – Was in diesem ›egologischen‹ Modell zum Ausdruck kommt, Abb. 11: Screenshot aus Call of Duty
ist die Beschreibung einer Konfiguration, welche als die vielleicht wichtigste
Folge der Etablierung zentralperspektivischer Bilddarstellung als objektivierende Präsentation von Welt aus einem
Standpunkt heraus anzusehen ist. Wenn
Fichte dazu bemüht werden kann, so
deshalb, weil er gut 350 Jahre nach Brunelleschi und Alberti die Konsequenz
zieht, dass der Ort, von dem aus die
Welt gesehen und gewusst wird, zugleich der Grund ihres Erscheinens ist.10 Abb. 12: Screenshot aus Doom 3
Die von Fichte beschriebene Situation findet sich radikalisiert im Simulationsbild des Egoshooters: Die Waffe des Schützen, welche am unteren Bildrand zu sehen ist, steht in den Bildraum hinein und wird auf Objekte im Fokus gerichtet. Die
intentio ist damit unmittelbar gekoppelt an die jeweilige Konstruktion des sichtbaren Raumes gemäß dem Fluchtpunkt: Mittels eines Interface (zumeist der Computermaus) wird in ein und dem selben Moment der Blick- und der Zielpunkt verändert.11 Raumsehen ist die unmittelbare Voraussetzung des virtuellen Tötens, und
umgekehrt: Das Töten – oder neutral gesprochen das ›Erkennen‹ – ist der Zweck
dieser Raumansicht. Es ist letztlich dieser Umstand, an dem festgemacht werden kann, dass Egoshooterspiele die Essenz von Computerspielen zum Ausdruck
bringen und worin auch deren Eigenständigkeit als eigenes Medium besteht: Auch
wenn heute nahezu alle Spiele als 3D-Grafik programmiert sind, kommt jeder andere Spieltyp ohne die tiefenräumliche Darstellung aus – nur der Egoshooter nicht:
Denn das Interaktionsprinzip leitet sich aus der besonderen Erscheinungsweise ab.12
sei dahingestellt, ob Fichte, der die Blütezeit der Guckkästen miterlebte, dabei an die ›Prospects‹ und ›Peepshows‹ dachte, die den Blick in »neue Welten«
ermöglichten; fest steht, dass seine Beschreibung eine strukturelle ist, welche
angewendet werden kann auf einen Beobachter, der vor dem Bild im Bild ist
– oder auch: im Bild vor dem Bild.
11In manchen Spielen fallen beide Punkte direkt zusammen, oft sind Seh- und
Ziel­punkt als Zugeständnis an die Rechtshändigkeit der virtuellen Spielfigur
leicht versetzt zueinander. Stets werden sie aber parallel verändert.
12Hieran kann letztlich festgemacht werden, dass Computerspiele trotz der Verwandtschaft zu anderen Bildarten ein eigenständiges Medium sind oder sein können.
10Es
Raum, Karte und Weg im Computerspiel
Marginalie: Die Diagnose, dass die perspektivische Raumkonstruktion im
Bild konstitutiv für das vorliegende Computerspielgenre ist, ist keineswegs
gleichbedeutend mit dem Immersionsbefund:13 Immersion liegt dann vor, wenn
es über die optische Illusion hinaus auch zu einer Verwechslung des Bildes mit
der außerbildlichen Wirklichkeit kommt, also die ikonische Differenz selbst
nicht wahrgenommen werden kann.14 Computerspiele sind jedoch nur bedingt
mir Panoramen oder begehbare Cyberspacesimulationen zu vergleichen, bei
denen es in Ermangelung einer Bildbegrenzung zur Immersion kommen kann.
Immersivität im Computerspiel kann allenfalls dann vorliegen, wenn mit Unterstützung eines Head Mounted Displays gespielt würde, welches die Wahrnehmung der Bildbegrenzung verhindert. Die Präsentation von Computerspielen
erfolgt jedoch vorrangig auf Bildschirmen.
Dass die exzeptionelle Stellung der Egoshooter zunächst von Spielern und Programmierern bemerkt wurde, macht die Arbeit des Theoretikers und Softwareentwicklers Julian Oliver (2006) deutlich: Er hat sich die Aufgabe gestellt, von der
zunächst nur denkbaren grammatischen Möglichkeit der Zweiten Person aus ein
Shooterspiel zu entwickeln. Sein ›Second Person Shooter‹ funktioniert derart, dass
der Punkt, von dem aus gesehen wird, das Auge des Gegners ist (dessen Waffe mit
»YOU« gekennzeichnet wird). Der Spieler sieht also, wie sein Gegner versucht, ihn
zu töten. Gleichzeitig sieht der Spieler (gekennzeichnet durch »ME«), wie er auf
seinen Gegner schießt, aber: aus dessen Perspektive. Wendet sich der Gegner ab,
kann der Spieler nurmehr blind operieren: Er sieht sich selbst nicht mehr.
Oliver hat damit die Funktion eines
Egoshooters herausgestellt, in dem er
sein Grundprinzip umkehrt.
Die Struktur der primären Bild­
ansicht im Computerspiel in der Per­
spektive der Ersten Person kann von
daher zusammenfassend wie folgt beschrieben werden: Was im Bild zu sehen
ist, ist das, was man sehen könnte, wenn
Abb. 13: Screenshot aus 2ndPS-Missingman sich innerhalb der simulierten Welt
Inaction
an eben derjenigen Stelle befände, an welcher die zumeist selbst nicht sichtbare Spielfigur lokalisiert ist, deren Blick der Spieler
steuert, um zu schießen. – Und eben genau das ist zu sehen; mit Fichte gesprochen:
Im Bildraum des Computerspiels wird dem Ego ein Anderes gesetzt,15 das als Verdazu allgemein bildgeschichtlich Grau 2001 sowie bezüglich 3D-Computerspielen McMahan 2003.
14Es ist mithin auch nicht auszumachen, wann ein Spieler tatsächlich in das
Bildgeschehen dermaßen eintaucht, so dass er oder sie den Kontakt mit der
außerbildlichen Umwelt verliert oder gar völlig verdrängt hat.
15In philosophischer Hinsicht kommt dem die aufschlussreiche Schilderung
Sartres (1939) nahe, der den Intentionalitätsgedanken Husserls als Transzendenz
des Egos dekliniert, also als das Auftreten oder ›Hineinstehen‹ des Subjektes in
das Feld des Erlebens.
13Vgl.
123
Stephan Günzel
hältnis wiederum für einen Beobachter gegeben ist (in diesem Fall: der Spieler, der
das Interface bedient) – das Ego im Bild und das (reflexive) Selbst vor dem Bild.16
II. Karte: Topographie des Spielraums
Die Prämisse, dass ein Computerspiel als ein Bild aufzufassen ist, bezieht sich zunächst auf die durch das Bild präsentierte Bewegung. Über deren Wahrnehmung
hinaus, kommt beim Simulationsbild jedoch noch ein weiterer Aspekt hinzu, der
eng mit der Bildinteraktion verbunden ist: Eine Interaktion findet in Computerspielen nämlich nicht nur mit der Bilderscheinung statt, sondern kann auch zwischen Bildansichten erfolgen. – So ist es dem Benutzer eines Egoshooters oftmals
möglich, mittels einer einfachen Tastenkombination beliebig oft zwischen zwei
Bildansichten hin- und herwechseln; und zwar zwischen der zentralperspektivischen Subjektsicht und der Draufsicht auf die Gesamtspielfläche (map). Diese Ansicht kann entweder ein festes Element innerhalb der Primäransicht sein, womit
diese dann zum Display wird: Eine solche Ansicht gab es erstmals bereits in dem
Egoshooter-Vorläuferspiel Battlezone (1980, Atari), wo die Karte in Form eines
Radars am oberen Bildrand zu sehen war. Die Karte kann aber auch als transparen-
Abb. 14: Screenshot aus Battlezone
124
Abb. 15: Screenshot aus Doom
ter Overlay in das Bild eingeblendet werden oder als ganz eigenständige Ansicht
umgesetzt sein: Als solche wurde sie in einem Egoshooter erstmals in Doom (1993,
id) realisiert. Alle Fälle sind jedoch graduelle Abstufungen ein- und desselben Teilphänomens des Computerspielbildes vom Typ Egoshooter, dem die Kartenansicht
als Modus zugehört.
Der Betrachterstandpunkt in einer topographischen Darstellung ist dabei demjenigen der zentralperspektivischen Bildansicht direkt entgegengesetzt: Der Platz,
den die Karte ihrem Benutzer als Bild zuweist, ist gerade nicht der Ort, von dem aus
in der Primäransicht gesehen wird. Beide Ansichten bedienen daher unterschiedliche Aktionsmodi: Ist die Bildansicht in der Ichperspektive auf die Objekterken-
16Lacan
(1964) hat für diese Zwiefalt eine begriffliche Unterscheidung von image
und tableau vorgeschlagen: Während image das auf der Oberfläche des Bildträgers erscheinende Bild bezeichnet, meint tableau den durch das (perspektivische) Bild eröffneten Raum. In diesem wird der Betrachter eines Bildes – weitgehend unabhängig von seiner Position vor dem Bild – durch das Bild verortet.
Raum, Karte und Weg im Computerspiel
nung festgelegt, so dient die Erkundung
des Bildraumes aus der Vogelperspektive zu Zwecken der Orientierung.17
Marginalie: Eine unmittelbare
Mischform der beiden Ansichten ist
in Strategiespielen anzutreffen, die
sich der Militärperspektive bedient:
Bei dieser Form einer schrägen Parallelenprojektion bleibt der Grundriss unverzerrt und alle Seiten sind
zueinander maßstäblich. Dem Operationsraum wird darüber eine Pla- Abb. 16: Screenshot aus Ghost Recon
stizität gegeben, welche ansonsten die zentralperspektivische Ansicht besitzt.
Bisweilen ist die Militärprojektion, wie in Warcraft III (2002, Blizzard Entertainment), auch leicht ›subjektiviert‹.
125
Abb. 17: Screenshot aus WarCraft III
17Historisch sind Perspektivpräsentation und kartographische Repräsentation
dennoch verwandt, insofern beide auf dem Projektionsverfahren des Ptolemäus
beruhen (Edgerton 1975): Wie in der perspektivischen Raumdarstellung ist das
wichtige Kennzeichen der planemetrischen Konstruktion die Bestimmung der
Verhältnisse im Bild aus einem Augenpunkt. – Nur geht in der Kartendarstellung die Entfernung zwischen Augpunkt und Bildfläche gegen ›unendlich‹, so
dass die Zentralprojektion in eine Parallelprojektion übergeht.
Stephan Günzel
III. Weg: Hodologie des Computerspiels
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Wie oder vielmehr wo erfolgt nun der Übergang angesichts dieser diametralen
Entgegensetzung? Hierfür gibt es wiederum zwei Möglichkeiten. – Einmal als kontinuierliche Bildbewegung: Wie Christine Buci-Glucksmann herausgearbeitet hat,
ist der Übergang zwischen den beiden disjunkten Betrachterstandpunkten selbst
Thema der bildenden Kunst gewesen. Vor allem das Ikarus-Motiv scheint ihr hierfür einschlägig, wenn auch negativ: als Inszenierung eines Scheiterns, die Position des kartographischen Blicks durchzuhalten. Wie sie in Der kartographische
Blick der Kunst (1997) über diese Sichtweise schreibt, wird im Sturz des Ikarus
(1558, Pieter Bruegel der Ältere) die Ikarusfigur vor allem deshalb in ein Landschaftsbild eingebracht, weil jene Unmöglichkeit dargestellt werden soll, den Ort
erreichen zu können, von dem aus der
Blick über die Welt erfolgen kann. Die
Ikone eines modernen Ikarus, dem die
Verbindung zu gelingen scheint, hat
dagegen der italienische Futurist Tullio Crali mit dem ›Aeropittura‹ Sturzflug auf die Stadt (1939) geschaffen:
Die Distanz zwischen den beiden Betrachtungspunkten wird im Bild überbrückt durch den Sturzflug in das zuvor überflogene Territorium. Die plane
Topographie bäumt sich darin auf und
Abb. 18: Sturzflug auf die Stadt (Crali 1939) erscheint nicht nur wieder tiefenräumlich, sondern umfängt in geradezu hyperbolischer Weise den Flieger.
Egoshooter sind spielgeschichtlich
unmittelbare Nachfolger von Flug­­­­si­
mula­tionen und zudem mit Autorennspielen verwandt, welche eine Cockpitsituation zeigen. In wenigen Egoshootern wie Black Hawk Down (2003,
Nova Logic) ist der Wechsel zwischen
Flug- und Bodensituation als kontinuierlichen Übergang realisiert. – Doch
Abb. 19: Screenshot aus Black Hawk Down bleibt dies ein Sonderfall; der Regelfall
ist vielmehr die Wech­sel­beziehung beider Bildmodi: Perspektivische und topographische Raumansicht sind im Computerspiel nicht nur aufeinander bezogen, insofern die Karte den Zusammenhang der Einzelräume des Spielverlaufs darstellt,
sondern spieltechnisch miteinander verschränkt, insofern der Spieler beliebig zwischen den beiden Bildansichten je nach Erfordernis wechseln kann.
Durchaus vergleichbar ist dies mit dem Szenenwechsel oder auch einem Schnitt
im Filmbild: Auch hierbei erfolgt eine Synthese der einzelnen Einstellungen auf
Raum, Karte und Weg im Computerspiel
Seiten des Zuschauers.18 Ebenso wie dieser nicht eine Abfolge einzelner Standbilder sieht, sieht er trotz unterschiedlicher Einstellungen nicht mehrere Filme. Entgegen dem Film, bei dem diese Wechsel ebenso vorgegeben sind wie der Ablauf
als solcher, kann der Wechsel zwischen den Bildansichten im Computerspiel vom
›aktiven Betrachter‹ selbst vollzogen werden – und nicht nur der Wechsel kann aktiv vollzogen werden, oftmals ist auch eine Selbststeuerung der Spielfigur im Kartenmodus möglich.
Abb. 20: Screenshot aus Ghost Recon
Abb. 21: Screenshot aus Ghost Recon
Das Simulationsbild kann in seiner Gesamtkonfiguration als ›topologisch‹ charakterisiert werden: Der Unterschied zwischen dem Kartenmodus als Option und
dem interaktiv erlebten Gesamtbild ist dabei der gleiche, der sachlich zwischen
›Topographie‹ und ›Topologie‹ besteht: Eine Topographie bildet idealtypisch alle
örtlich vorhandenen physischen Gegebenheiten, seien sie natürlichen oder kulturellen Ursprungs, in planer Ansicht ab: also Flüsse, Berge, Täler, Straßen, Grenzen,
ohne Rücksicht auf deren tatsächliche Verwendung durch einen Benutzer. Eine
Topologie oder die topologische Beschreibung räumlicher Gegebenheiten
hingegen besteht in den wesentlichen
Merkmalen und Relationen, deren Relevanz nicht von der Topographie determiniert sein muss. Was in der Interaktion mit dem Computerspielbild
erlebt wird, ist jedoch nicht die reine
topologische Struktur, sondern immer
eine Konkretion derselben. Der Psychologe Kurt Lewin hat diesbezüglich
von einem »hodologischen Raum« (Lewin 1934) besprochen: einem ›Wege­
raum‹, der sich in der Benutzung konstituiert. Bildgeschichtlich finden sich
bereits früh Annäherungen an den hoAbb. 22: Jericho, Farhi-Bibel
dologischen Raum, wie etwa eine Bibel­
18Sobchack (1992) führt diese Syntheseleistung in der Filmwahrnehmung auf die
Leiberfahrung zurück.
127
Stephan Günzel
illustration der Stadt Jericho aus dem 14. Jahrhundert, als Einwege-Labyrinth
zeigt.19
Viele Egoshooter beruhen genau auf jener Topologie des Einwege-Labyrinths.
Sie existiert jedoch – und das ist entscheidend – selbst nicht als Bildansicht im
Spiel. Eine Ansicht, die selbst wieder topologische Strukturen ins Bild setzt, ist in
Computerspielen nur sehr selten zu finden und wird nur dann eingesetzt, um den
Spielverlauf zu resümieren. Das heißt, diese Ansicht ist erst nach Ende des Spiels
zu sehen und gehört bereits nicht mehr zum interaktiven Bild. Ein seltenes Beispiel
für eine derartige Darstellung findet sich etwa im Bereich der Automatenspiele bei
The House of the Dead (1997, Sega).
Abb. 23: Screenshot aus The House of the Dead
128
Aber die zusätzliche Visualisierung der Topologie respektive des hodologischen
Raums ist auch gar nicht nötig: Denn zwischen zwei Bildansichten wird die Räumlichkeit des Spielbildes erlebt – in der Reziprozität zwischen Kartenansicht und
tiefenräumlichem Sehen. Der Spieler muss nicht nur jeden Moment damit rechnen, dass sich etwas in seinem Sichtfeld ereignet, er kann jeder Zeit die Lage im
Ganzen betrachten und seinen Weg in die eine oder andere Richtung fortsetzen.
Dies geschieht aber nicht wie beim herkömmlichen Kartengebrauch in Beziehung
auf einen existierenden Ort, sondern bildimmanent – in der Simulation.
19Bis ins Mittelalter hinein waren Labyrinthe ein Weg der Besinnung; erst im
Barock kamen verzweigte Systeme als ›Irrgärten‹ auf (siehe hierfür Kern 1982).
Raum, Karte und Weg im Computerspiel
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1-4 und 6: Standbild aus Elephant (USA 2003, Gus Van Sant)
Abb. 5 und 10: Screenshot aus Counterstrike (1999, EA Games)
Abb. 7: Screenshot aus Max Payne 2: The Fall of Max Payne (2003, Remedy
Entertainment)
Abb. 8: Standbild aus Enemy at the Gates (USA/E/D 2001, Jean-Jacques
Annaud)
Abb. 9 und 11: Screenshot aus Call of Duty (2003, Infinity Ward/Activision)
Abb. 12: Screenshot aus Doom 3 (2004, id)
Abb. 13: Screenshot aus 2ndPS-Missing-Inaction (2005, http://www.selectparks.net/modules.php?name=Downloads&d_op=getit&lid=47)
Abb. 14: Screenshot aus Battlezone (1980, Atari)
Abb. 15: Screenshot aus Doom (1993, id)
Abb. 16, 20 und 21: Screenshot aus Tom Clancy’s Ghost Recon (2001, Red
Storm Entertainment/Ubisoft)
Abb. 17: Screenshot aus WarCraft III: Reign of Chaos (2002, Blizzard Entertainment)
Abb. 18: Im Sturz auf die Stadt (1939, Tullio Crali) (aus: Prometheus Bilddatenbank. http://www.prometheus-bildarchiv.de/)
Abb. 19: Screenshot aus Delta Force: Black Hawk Down (2003, Nova Logic)
Abb. 22: Jericho, Farhi-Bibel (aus: Virilio 1984, 148)
Abb. 23: Screenshot aus The House of the Dead (1996, AM1/Sega)
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The House of the Dead (1996, AM1/Sega)
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Warcraft III: Reign of Chaos (2002, Blizzard Entertainment)
Filme
Elephant (USA 2003, Gus Van Sant)
Enemy at the Gates (USA/E/D 2001, Jean-Jacques Annaud)
Gemälde
Sturz des Ikarus (1558, Pieter Bruegel der Ältere)
Sturzflug auf die Stadt (1939, Tullio Crali)
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