Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala
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Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala
Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Fallstudie über die internationale Begleitarbeit von Menschenrechtsaktivisten im Konfliktkontext von Megaprojekten in Guatemala Masterarbeit Zur Erlangung des Mastergrades der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern vorgelegt von Spetzler, Julia Von Zürich / ZH Eingereicht am: 2. September 2009 Erstgutachter: Ph. D. Boris Holzer Zweitgutachterin: Prof. Dr. Sandra Lavenex Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Abstract In dieser Arbeit wird aufgezeigt, dass in einem fragilen Staat wie Guatemala Megaprojekte von transnationalen Unternehmen zu einem eskalationsträchtigen Konflikt beitragen. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Megaprojekte, insbesondere extraktive Ressourcenprojekte, führen zu sozialen, ökologischen und ökonomischen Auswirkungen für die lokal betroffene Bevölkerung. Die lokal betroffene Bevölkerung opponiert Megaprojekte, weil sich die Bevölkerung ungenügend konsultiert und informiert fühlt, was auf die soziale und politische Exklusion zurückzuführen ist. Der Widerstand rührt auch daher, dass sich die lokal betroffene Bevölkerung als Verlierer solcher Projekte sieht. Die Planung und Umsetzung von Megaprojekten spaltet die Lokalbevölkerung weil unterschiedliche Visionen zu Entwicklung existieren. Megaprojekte in Guatemala bergen auch aufgrund historisch begründeter Konfliktmuster ein gewaltgeladenes Konfliktpotenzial. In Guatemala verstärken Megaprojekte das vorhandene Ungleichgewicht zwischen Staat/Unternehmen und der Zivilbevölkerung. Die internationale Begleitarbeit von CAIGAcoguate ist ein mögliches Instrument diese ungleichen Machtverhältnisse auszugleichen und einen Beitrag zur Verminderung oder Verhinderung von Gewaltkonflikten im Kontext von Megaprojekten zu leisten. Die Berücksichtigung der Prinzipien Nicht-Einmischung und Unparteilichkeit, die Professionalisierung der Begleitpersonen und eine intensiviertere Informationsverbreitung sollten dabei berücksichtigt werden, weil ansonsten der Konflikt verstärkt werden kann. So kann die internationale Begleitarbeit einen Beitrag zur Umsetzung der Friedensabkommen leisten, indem für die Bevölkerung ein politischer Raum geschaffen wird, um sich selber organisieren und an der Wirtschaftsentwicklung des Landes teilnehmen zu können. Der Mechanismus von CAIG-Acoguate zur Druckerzeugung auf transnationale Unternehmen basiert auf dem Bumerang-Modell von Margaret Keck und Kathryn Sikkink. Die aus der internationalen Begleitarbeit erhaltene Information wird auf lokaler, nationaler, internationaler Ebene verbreitet, um auf Regierungen und transnationale Unternehmen Druck auszuüben. Dabei wird auch die Strategie verfolgt, Konsumenten und Investoren in den Herkunftsländern der freiwilligen Begleitpersonen über Menschenrechtsverletzungen im Kontext von Megaprojekten zu informieren, damit die Regierung und das transnationale Unternehmen ihre Politik verändern. I Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Inhaltsverzeichnis Abstract.......................................................................................................... I Inhaltsverzeichnis ......................................................................................... II Abbildungsverzeichnis.................................................................................IV Tabellenverzeichnis .....................................................................................IV Abkürzungsverzeichnis ...............................................................................IV Synonym verwendete Begriffe................................................................... VII 1 Einleitung ................................................................................................. 1 1.1 Forschungsstand ..................................................................................... 3 1.2 Methodisches Vorgehen.......................................................................... 4 1.3 Methodische Einschränkungen.............................................................. 10 1.4 Klärung zentraler Begriffe .................................................................... 11 1.4.1 “Transnational Advocacy Network”................................................... 11 1.4.2 Menschenrechtsaktivist ...................................................................... 12 1.4.3 Menschenrechtsbeobachter/Menschenrechtsbegleiter ......................... 12 1.4.4 Megaprojekte ..................................................................................... 13 1.4.5 Konfliktbegriff und Konflikttheorien.................................................. 14 2 Konfliktkontext von Megaprojekten..................................................... 16 2.1 Megaprojekte und ihr Konfliktpotenzial................................................ 17 2.2 Megaprojekte in Guatemala .................................................................. 20 2.2.1 Neoliberale Wirtschaftsentwicklung und Widerstand in Guatemala.... 21 2.3 Indigene, neoliberale Wirtschaftsentwicklung und Megaprojekte .......... 27 2.4 Bürgerkrieg und Friedensprozess in Guatemala – historischer Rückblick29 2.5 Die Fragilität des Staates Guatemala ..................................................... 32 2.5.1 Schwacher Rechtsstaat und Straflosigkeit........................................... 33 2.5.2 Illegale Gruppierungen einer „verborgenen“ Macht............................ 34 2.5.3 Korruption und fehlende Transparenz ................................................ 35 2.6 Indigene Bevölkerung in Guatemala .................................................... 37 2.6.1 Armut ................................................................................................ 37 2.6.2 Soziale und politische Exklusion........................................................ 39 2.7 Gewalt in Guatemala............................................................................. 41 2.8 Guatemalas Menschenrechtssituation.................................................... 43 3 Rolle von NGOs im internationalen System ......................................... 48 II Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala 3.1 Erfolgsbedingungen von NGOs im internationalen System ................... 50 3.2 Einfluss mit Hilfe von Öffentlichkeits- und Überwachungsstrategien .... 52 3.3 Die internationale Begleitarbeit für Menschenrechte in Guatemala........ 54 3.3.1 PBI in Guatemala............................................................................... 56 3.3.2 Nonviolent Peaceforce ....................................................................... 57 3.3.3 CAIG-Acoguate ................................................................................. 58 4 4.1 Resultate und Analyse der empirischen Forschungsdaten................... 64 Konfliktfaktoren im Kontext des Megaprojektes Mine Marlin............... 65 4.1.1 Landkonflikte..................................................................................... 65 4.1.2 Partizipation und Mitbestimmung versus Exklusion ........................... 67 4.1.3 Rolle des Staates und der (transnationalen) Wirtschaftsunternehmen.. 71 4.1.4 Unterschiedliche Visionen zu Entwicklung ........................................ 76 4.2 Begleitarbeit von CAIG-Acoguate im Kontext von Megaprojekten....... 78 4.2.1 Rollendefinition einer internationalen Begleitperson .......................... 80 4.2.2 Prinzip der Unparteilichkeit und der Nicht-Einmischung.................... 81 4.2.3 Abschreckung .................................................................................... 87 4.2.4 Erzeugung nationalen und internationalen Drucks.............................. 92 4.2.5 Schaffung eines politischen Raumes................................................. 104 4.2.6 Moralische Unterstützung ................................................................ 106 5 Konklusionen ....................................................................................... 108 Literaturverzeichnis .................................................................................. 116 A. Anhang ............................................................................................... 124 A.1. Minenlizenzen in Guatemala ............................................................. 125 A.2. Attacken gegen Menschenrechtsverteidiger in Guatemala ................. 126 A.3. Bumerang-Modell ............................................................................. 127 A.4. Menschenrechtsverletzungen in verschiedenen Arbeitsbereichen von Menschenrechtsverteidigern........................................................... 128 A.5. Franja Transversal del Norte (FTN)................................................... 129 A.6. Organigramm CAIG-Acoguate.......................................................... 130 A.7. Globale Statistik zu Bestechung ........................................................ 131 A.8. Brief von NGOs an die kanadische Botschafterin .............................. 132 A.9. Zivile und politische Rechte in Guatemala zwischen 1980-2006........ 135 A.10. Unterstützungsbrief von der Botschaft............................................. 136 A.11. Druckbrief an staatliche Adresssaten in Guatemala ......................... 137 III Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala A.12. Brief an d en guatemaltekischen Präsidenten Alvaro Colom ............ 138 A.13. Urgent Action Alert Mine Marlin .................................................... 142 A.14. Chronologie Begleitarbeit in Guatemala.......................................... 144 A.15. Abkommen zwischen Flüchtlingskommission und Staat Guatemala 146 A.16. Inhaltsverzeichnis CD ..................................................................... 148 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Modell zur Druckerzeugung auf Regierungen und transnationale Unternehmen. .................................................................................................. 101 Abbildung 2: Republica de Guatemala - Derechos Mineros Otorgados y en Solicitud. 125 Abbildung 3: Ataques a defendores y defendoras en Guatemala por año...... 126 Abbildung 4: Bumerang-Modell. ................................................................. 127 Abbildung 5: Tipos de riesgo a que se enfrentan defendores y defendoras en sus áreas de trabajo. ...................................................................................... 128 Abbildung 6: Corredor de integración frontera México - Guatemala – Honduras. 129 Abbildung 7: Organigrama de la estructura de trabajo de Acoguate. ............ 130 Abbildung 8: Länder und die Verbreitung von Bestechung. ......................... 131 Abbildung 9: Brief von NGOs an kanadische Botschafterin......................... 134 Abbildung 10: Freedom in Guatemala 1980-2006........................................ 135 Abbildung 11: Carta de aval. ....................................................................... 136 Abbildung 12: Urgent Action Brief für Bauern San Miguel Ixtahuacan........ 137 Abbildung 13: Brief an Präsidenten Guatemalas. ......................................... 141 Abbildung 14: Urgent Action Alert Mine Marlin. ........................................ 143 Abbildung 15: Acuerdo suscrito entre las comisiones permanentes de representantes de los refugiados guatemaltecos en México y el gobierno de Guatemala, Acuerdo suscrito...................................................................................... 147 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Interviewverzeichnis aller durchgeführter Interviews zwischen November 2008 und Februar 2009. ............................................................................ 124 Abkürzungsverzeichnis Acoguate: Acompañamiento Guatemala Ada: Acompanamiento de Austria AJR: Associacion para la Justicia y Reconciliacion AMAC: Asociación de Monitoreo Ambiental Comunitario (Community Environmental Monitoring Committee) IV Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala BTS: Breaking the Silence Cacif: Camara de agricultura, Comercio, Industria y Finanzas CAIG: Comite de Acompanamiento International en Guatemala CALAS: Centro de Acción Legal, Ambiental y Social de Guatemala CALDH: Centro para acciones legales derechos humanos CAREA: Cadena para un Retorno Acompañado CEH: Comisión para el Esclarecimiento Histórico (Historical Clarification Commission) CESEM: Centro de Estudios Superiores de Energia y Minas CG: Collectif Guatemala CICIG: Comision internacional contra la impunidad en Guatemala COCIP: Coordinadora Campesina e Indigena de El Petén Coprede: Cordinadora de Proyectos de Educación y Desarrollo Ecológico COSAR: Coordinación Suiza de Acompañamiento de Refugiados guatemaltecos CP: Corto Plazo, kurzfristigere Begleiteinsätze DR-CAFTA: Dominican Republic-Central America Free Trade Agreement (span. Tratado de Libre Comercio entre Estados Unidos, Centroamérica y República Dominicana) ECAP: Equipo de Estudios Comunitarios y Accion Psicosocial FENVEMEGUA: Frente Nacional de Vendedores de Mercado y de la Economia Informal de Guatemala FRG: Frente Republicano Guatemalteco FTN : Franja Transversal del Norte GANA: Gran Alianza Nacional GAM: Grupo de Apoyo Mutuo GSN: Guatemala Solidarity Network GUAPA: Guatemala Poverty Assessment JSCA: Justice Studies Center of the Americas LP: Largo Plazo, längerfristige Begleiteinsätze im Rahmen des Zeugenschutzprogrammes MEM: Ministerio de Energia y Mineria V Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala MR: Menschenrechte MINUGUA: United Nations Verification Mission in Guatemala Nisgua: Network in Solidarity with the People of Guatemala ONEG: Organizacion Nacional de Estudiantes de Guatemala OVE: Office of Evaluation and Oversight PAC: Patrullas de Autodefensa Civil (Civil Defense Patrols) PAQG: Projecto de Acompanamiento Quebec Guatemala PBI: Peace Brigades Internacional PDH: Procuraduria de los Derechos Humanos PNC: Policía Nacional Civil PPP: Plan Pueblo Panama PWS: Peace Watch Switzerland UNCAC: UN Convention against Corruption UDEFEGUA: Unidad de Protección a Defendores y Defendoras de Derechos Humanos de Guatemala UNDP: United Nations Development Programme UNESCO: United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization UNIS: United Nations Information Service UNO: United Nations Organization URNG: Unidad Revolucionaria Nacional Guatemalteca USAC: Universidad San Carlos Sepaz: Servicios y Asesoría para la Paz Serpaj: Servicio Paz y Justicia Swefor: Swedish Fellowship of Reconciliation TI: Transparency International VI Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Synonym verwendete Begriffe Internationale Menschenrechtsbegleiter/Menschenrechtsbeobachter: Freiwillige freiwillige Begleitpersonen Acos1 Begleitpersonen freiwillige Begleiter Einsatzwillige Vertreter der Organisationen in CAIG (vor Ort in Guatemala): Organisationsvertreter Koordinatoren Verantwortliche der Region Regionsverantwortliche 1 Aus dem Spanischen „acompañante“. VII Masterarbeit 1 Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Einleitung Weltweit kommt es immer wieder zu grossen und kleinen Konflikten, wenn Staaten mit Hilfe transnationaler Unternehmen und internationaler Finanzinstitute grosse Projekte (Minen, Wasserkraftwerke, Staudämme etc.) lancieren, um die Entwicklung des Lands voranzutreiben. Auch die weltweite Nachfrage nach Rohstoffen lässt grosse Ressourcenprojekte entstehen. In der Fachliteratur ist man sich weitgehend einig, dass solche neoliberalen ökonomischen Globalisierungsprozesse auf der ganzen Welt die Arbeits- und Lebensverhältnisse beeinflussen und verändern. Diese ökonomischen Entwicklungen, zu denen Megaprojekte gehören, bringen weltweit Widerstand hervor. Oft sind in den Ländern des Südens indigene Bevölkerungsteile stark betroffen von den Auswirkungen und Folgen von Megaprojekten, insbesondere von extraktiven Ressourcenprojekten (Bergbau, Erdöl, Erdgas). Woher stammt dieses Konfliktpotenzial im Zusammenhang mit Megaprojekten in Guatemala? Treibende Kraft hinter den Maßnahmen wirtschaftlicher Akteure für die Menschenrechte sind heute vorwiegend NGOs. Sei es durch öffentlichen Druck, der Unternehmen erste Schritte zur Respektierung der Menschenrechte in ihrer Geschäftspolitik tun lässt, sei es durch langwierige Verhandlungen mit Unternehmen, die zur einvernehmlichen Etablierung von Gütesiegeln und Verhaltenskodices führen – der Anstoß für eine Änderung im Verhalten wirtschaftlicher Akteure geht aktuell meist von der Zivilgesellschaft. Internationale und nationale NGOs setzen sich in Guatemala an der Seite der Megaprojektgegner (meist die betroffene Lokalbevölkerung) für die Bewahrung von Menschen- und Umweltrechten ein. So auch das transnationale Komitee „CAIG“ (Comite de Acompañamiento International en Guatemala) mit dem gemeinsamen Begleitarbeitprojekt von Menschenrechtsaktivisten „Acoguate“ (Acompañamiento Guatemala). Die Untersuchungen in dieser Arbeit widmen sich dem Ursprung von Konflikten im Zusammenhang mit Megaprojekten in Guatemala und deren Umgang von Seiten des transnationalen Menschenrechtskomitees CAIG-Acoguate für internationale Begleitarbeit in Guatemala. Die internationale Begleitarbeit von Menschenrechtsaktivisten des Begleitprojektes Acoguate basiert auf Freiwilligeneinsätzen. Die internationale Begleitarbeit in Guatemala eignet sich als Fall für diese Untersuchung, weil einerseits die Organisationen im transnationalen Komitee CAIG wie auch die internationale Begleitarbeit in Guatemala eine längere Tradition kennen und sich andererseits die neoliberale Wirtschaftsentwicklung durch Megaprojekte in den letzen Jahren stark intensivierte und zu 1 Masterarbeit sozialen Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Spannungen und Konflikten zwischen Staat/Wirtschaftsunternehmen und Zivilgesellschaft führte. Der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit, die internationale Begleitarbeit im Konfliktkontext von Megaprojekten, wird anhand folgender Fragestellungen erforscht: Wie kann die internationale Begleitarbeit von CAIG-Acoguate im Konfliktkontext von Megaprojekten in Guatemala Beiträge zur Verbesserung der Menschenrechtssituation leisten? Ist die internationale Begleitarbeit ein mögliches Instrument, um zu verhindern, dass konfliktive Konstellationen im Kontext von Megaprojekten zu einer Konflikteskalation führen? Um die Fragestellung beantworten zu können, ist die Arbeit in drei Teile gegliedert. In einem ersten Teil der Arbeit wird untersucht, welche Faktoren im Kontext von Megaprojekten generell zu Konflikten führen können, wobei der historische, soziale, politische und ökonomische Kontext Forschungsberichtes Konfliktfaktoren bei Guatemalas aufgezeigt des internationalen wird. Untersuchungsergebnisse eines Konversionszentrums Ressourcenprojekten dienen als Basis. Bonn Die (BICC) Analyse zu dieses Konfliktkontextes Guatemalas wurde mit Hilfe von Literatur- und Quellenrecherche durchgeführt. Die daraus resultierenden Erkenntnisse stellen immer wieder einen wichtigen Bezugspunkt für die Analyse und Interpretation der empirischen Daten im dritten Teil der Arbeit dar. Im zweiten Teil der Arbeit, in dem es um transnationale Netzwerke geht, steht die Rolle von NGOs auf nationaler und internationaler Ebene im Bereich der Menschenrechte im Zentrum. Es wird davon ausgegangen, dass der innenpolitische Kontext Guatemalas transnationale Interaktionen beeinflusst, wie auch der deutsche Politikwissenschaftler Thomas Risse-Kappen in seinem Werk „Bringing Transnational Relations Back In“2 darlegt. Einerseits soll allgemein und insbesondere im Falle Guatemalas am Beispiel der internationalen Begleitarbeit aufgezeigt werden, wie NGOs vorgehen um Menschenrechte und Menschenrechtsaktivisten zu schützen, wobei auch die Menschenrechtssituation Guatemalas beleuchtet wird. In einem dritten Teil werden die Resultate des Feldeinsatzes in Guatemala dargelegt und diskutiert. Einerseits werden die Konfliktursachen bei Megaprojekten (insbesondere im Falle der Goldmine Marlin) erforscht und mit der Theorie aus dem ersten Teil der Arbeit in 2 Vgl. Risse-Kappen (1995), Bringing Transnational Relations Back In. 2 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Verbindung gestellt. Andererseits wird analysiert wie (Prinzipien, Ziele, mit welchen Strategien und mit welchen Akteuren) CAIG-Acoguate als internationale Begleitorganisation von Menschenrechtsaktivisten/Menschenrechtsorganisationen in Guatemala im Kontext von Megaprojekten arbeitet, wobei eine generelle Analyse der Arbeitsweise CAIG-Acoguates die Besonderheiten der Begleitarbeit im Rahmen von Megaprojekten hervorheben soll. Damit kann erforscht werden, welchen Beitrag die internationale Begleitarbeit von CAIG-Acoguate im Konfliktkontext von Megaprojekten in Guatemala leisten kann. 1.1 Forschungsstand Das Ergebnis der Recherchearbeit zum Phänomen „internationale Begleitarbeit im Konfliktkontext Megaprojekte“ fiel in den Disziplinen Politikwissenschaften, Soziologie und Friedensforschung spärlich aus. Die Erforschung von NGOs als transnationale, politische Akteure3 und transnationalen Netzwerken ist in den Sozial- und Politikwissenschaften mittlerweile ein Gebiet, das theoretisch wie empirisch nicht mehr unbekannt ist. Dass NGOs im internationalen System mit ihren Öffentlichkeitsstrategien Druck auf Regierungen ausüben können und so im internationalen System als Überwacher der Menschenrechte eine wichtige Aufgabe wahrnehmen, ist heute in der Fachliteratur eher unbestritten. Weniger erforscht hingegen sind die Strategien transnationaler Netzwerke im Zusammenhang mit der Verletzung von Menschenrechten durch transnationale Unternehmen. Diese Erkenntnisse liefern Theorien für die Erklärung des Untersuchungsgegenstandes (Internationale Begleitarbeit) dieser Arbeit. Die internationale Begleitarbeit als Methode zur zivilen Konfliktbearbeitung mit gewaltfreien Mitteln wurde insbesondere in der Friedensforschung behandelt. Zu CAIG-Acoguate hingegen existiert keine Literatur, nur Quellenmaterial. In der Theorie der internationalen Beziehungen wurden internationale NGOs, die wie das Begleitprojekt Acoguate von einem internationalen Voluntarismus getragen werden bisher nur wenig berücksichtigt.4 Die Erforschung der internationalen Begleitarbeit im Konfliktkontext von Megaprojekten, ist daher noch ein eher unbekanntes Forschungsgebiet. Aufgrund der spärlichen Literatur über die internationale Begleitarbeit im Kontext von Megaprojekten, entschied sich die Forscherin für eine explorative und induktive Untersuchung. 3 4 Der Lesbarkeit halber beinhaltet in dieser Arbeit die männliche Form immer auch die weibliche. Vgl. Keck/Sikkink (1998), Activists beyond borders, S. 6. 3 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Das Phänomen „internationale Begleitarbeit im Konfliktkontext von Megaprojekten“ wurde im Rahmen eines vier monatigen Feldaufenthaltes (November 2008 bis Ende Februar 2009) in Guatemala erforscht, wobei die Autorin dieser Arbeit während drei Monaten als freiwillige, internationale Menschenrechtsbegleiterin im Projekt CAIG-Acoguate arbeitete und u.a. im Kontext eines Megaprojektes, der Goldmine Marlin, einen Menschenrechtsaktivisten begleitete. 1.2 Methodisches Vorgehen Das in dieser Arbeit angewandte Verfahren basiert auf dem Ansatz der so genannten „Grounded Theory“5, einem systematischen Versuch, qualitative Daten (wie Interviewtranskripte und Beobachtungsprotokolle) systematisch auszuwerten, um theoretische Einsichten generieren zu können. Hinter diesem sozialwissenschaftlichen Ansatz wird eher ein Forschungsstil als eine Methode gesehen, da er eine Reihe ineinander greifender Verfahren beinhaltet. Das Ziel dieses Ansatzes ist es, eine realitätsnahe Theorie für die Praxis zu entwickeln.6 Dieser Ansatz wurde für diese Arbeit gewählt, weil die Untersuchungen zur Begleitarbeit praxisorientiert sind, das untersuchte Phänomen verschiedene Aspekte aufweist und daher eine komplexe Analysemethode erfordert wird. In der vorliegenden Arbeit wird auf unterschiedliche Datenquellen und Methoden zurückgegriffen, weil davon ausgegangen wird, dass eine Methodenvielfalt eine Kreuzvalidierung der Ergebnisse ermöglicht. Die Rollenwahl der Forscherin als Menschenrechtsbegleiterin wurde bewusst gewählt, um in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit möglichst viele wertvolle Daten zu erhalten. Die Rollenwahl erleichterte den Zugang zum Untersuchungsgegenstand (die Sicht von innen) wie auch zu verschiedenen Akteuren, insbesondere auch solcher, die aus Sicherheitsgründen schwer zugänglich sind. Auf Transparenz gegenüber der Organisation CAIG-Acoguate, die Teil der Untersuchung war, wurde aus forschungsethischen Gründen grossen Wert gelegt und das wissenschaftliche Vorhaben im Vorfeld des Einsatzes abgeklärt, weil die Arbeit der Organisation für Menschenrechte in keiner Weise beeinträchtigt oder gefährdet werden wollte. Die Forscherin konnte durch ihren Einsatz als Menschenrechtsbeobachterin eine definierte Rolle im sozialen Feld übernehmen, was eine aktiv teilnehmende Beobachtung zuliess. Der 5 Der Begriff Grounded Theory wird im Deustchen als gegenstandsverankerte/gegenstandsnahe/gegenstandsbezogene Theoriebildung übersetzt. 6 Vgl. Glaser/Strauss (1967), The Discovery of Grounded Theory: Strategies for Qualitative Research. 4 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Forscherin war bewusst, dass dieser Feldzugang über den Einsatz im Projekt eine objektive Distanz zum Forschungsfeld erschweren könnte und war sich der Gefahr des getrübten Blickes im Sinne von „going native“7 bewusst. Die Rolle als internationaler Menschenrechtsbegleiter im Feld ist eher passiv und beobachtend, was die gleichzeitige Ausübung der Rolle als Menschenrechtsbeobachterin und beobachtende Forscherin ermöglichte. Es war auch genügend Zeit vorhanden im Feld, Beobachtungen und Gehörtes zu protokollieren. Während des gesamten Einsatzes wurden Feldnotizen gemacht, in dem Beobachtungen, Gespräche und Erkenntnisse schriftlich festgehalten wurden. Die teilnehmende Beobachtung war qualitativer Art, also ohne ein strukturiertes Beobachtungsschema. Die Beobachtung war Teil der Menschenrechtsbegleiterrolle und somit keine verdeckte Beobachtung. Eine andere Methode zur Analyse des Phänomens war die Durchführung teilstrukturierter, qualitativer Leitfadeninterviews mit unterschiedlichen Akteuren8 in Guatemala. Im Gegensatz zur quantitativen Sozialforschung wird in der qualitativen Sozialforschung die maximal mögliche Standardisierung von Fragebogen nicht als die geeignete Forschungsstrategie gesehen. Kritisiert werden die mangelnde Offenheit und Künstlichkeit der Interviewsituation der strukturierten Befragungen.9 Solche Interviews eigenen sich für die Generierung von Daten, die auf persönlichen und praxisbezogenen Einschätzungen und Erfahrungen beruhen. Zudem erlauben sie die Rekonstruktion von Sinnzusammenhängen, d.h. sie ermöglichen eine tiefgründige Analyse des Themas und eröffnen Einsichten in die Thematik, die nicht ausschliesslich auf vordefinierten Annahmen basieren.10 Für die Stichprobenauswahl wurden im Vorfeld der Interviews sechs Akteurskategorien gebildet, um möglichst viele Sichtweisen auf den Untersuchungsgegenstand zu erhalten, welche aus dem Interviewverzeichnis im Anhang hervorgehen. Die Kategoriebildung basiert auf der Funktion der Akteure: 7 8 9 1) Freiwillige (F) 7 Interviewpartner 2) Komitee-Vertreter in CAIG (K) 8 Interviewpartner 3) Begleitete Organisationen/Personen (BP) 7 Interviewpartner 4) Botschaftsvertreter (B) 5 Interviewpartner Vgl. Diekmann (2006): Empirische Sozialforschung, S. 470. Siehe Anhang 0: Interviewverzeichnis, S. 124. Vgl. Diekmann (2006): Empirische Sozialforschung, S. 443. 10 Vgl. Atteslander (2006), S. 104 f. 5 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala 5) Vertreter nationaler/internationaler Menschenrechts-NGOs (NV) 4 Interviewpartner 6) Vertreter staatlicher Institutionen (SO) 3 Interviewpartner Insgesamt wurden 34 Interviews geführt, die durchschnittlich eine Stunde dauerten. Nur zwei Interviewpartner wünschten aus Sicherheitsgründen keine Aufzeichnung, daher wurden Notizen genommen. Teils werden persönliche Daten von Interviewten in der Arbeit bewusst nicht aufgeführt um die Sicherheit der Befragten nicht zu gefährden. Es wurde bei der Auswahl der Interviewpartner darauf geachtet, dass ein Bezug zu CAIGAcoguate besteht und in den Kategorien F und K Vertreter möglichst aller Organisationen im Komitee CAIG vorkommen. Freiwillige aller in CAIG vertretenen Organisationen, mit Ausnahme von NISGUA-Freiwilligen, wurden befragt, wobei Einsatzleistende aus dem Corto Plazo (kurzfristige Einsätze) wie Largo Plazo (langfristige Einsätze) vertreten sind. Bei den Komitee-Vertretern fehlt nur eine Organisationsvertretung (BTS). Die Vertreter der Kategorie BP werden/wurden mit Ausnahme einer Person von CAIG-Acoguate begleitet. Die Auswahl der Botschaftsvertreter (B) wurde nach Landeszugehörigkeit der Organisationen im Komitee CAIG getroffen: Kanada, Frankreich, Schweiz, Schweden, Deutschland. Von der amerikanischen Botschaft kam auf zwei Interviewanfragen per Mail nie eine Antwort zurück. Österreich (Ada) hat in Guatemala nur ein Konsulat. Die Vertreter nationaler und internationaler Menschenrechts-NGOs wurden nach den Kriterien „Erfahrung mit internationaler Begleitarbeit“ und „Bekanntheitsgrad“ (Organisationen mit grossem nationalem und internationalem Netzwerk - Kontakte zu Botschaften, UNO beispielsweise) ausgewählt. Vertreter der staatlichen Institutionen ist zum einen ein Mitarbeiter von PDH, der Menschenrechtsverwaltung (Procuraduría de los Derechos Humanos), der die indigenen Rechte verteidigt. Die beiden anderen staatlichen Interviewpartner wurden in Bezug auf Megaprojekte ausgewählt. Die eine Person arbeitet seit vielen Jahren im Ministerium für Energie und Minen (MEM) und die andere Person an der Universität USAC als Leiter des Zentrums für höhere Studien über Energie und Minen (CESEM) in der Fakultät für Ingenieure. Auf der Basis der offenen Fragestellung „wie arbeitet CAIG-Acoguate um die Menschenrechte in Guatemala zu überwachen“ wurden zu Beginn der Untersuchung Interviewleitfäden11 pro Akteurskategorie mit denselben/ähnlichen Themenfeldern entworfen. Die Leitfäden wurden während der Datenerhebung laufend aufgrund neuer Erkenntnisse 11 Siehe Dokument „Leitfäden“ auf CD. 6 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala angepasst, ausgebessert und ergänzt. Alle Leitfadeninterviews enthalten grob drei Themenblöcke: die Menschenrechtssituation und Menschenrechtsarbeit in Guatemala und deren Wandel (inkl. Situation der Menschenrechtsaktivisten), die Menschenrechtsarbeit (Netzwerke/Strategien) des jeweiligen befragten Akteurs und Megaprojekte in Guatemala. Die Themenfelder beinhalten vorwiegend offene wie auch präzisere Fragen. Prinzipiell wurden zu Beginn eines Themenblocks offenere Einstiegsfragen aufgestellt, die sich gegen Ende eines Themenblockes präzisierten. Durch den offenen Charakter der Fragen sollte erreicht werden, dass die Befragten ihre Antworten selbstständig formulieren und eigene Schwerpunkte setzten können. Zudem können Themen, die sich während des Gesprächs entwickeln, aufgenommen und näher betrachtet werden. Die Interviewerin hielt sich nicht strikt an die Reihenfolge im Leitfaden, er diente vor allem zur Orientierung und Überprüfung ob alle Themen und zentralen Fragen angesprochen wurden. Die Wahl derselben Themenblocks mit akteursangepassten Fragen, sollte bei der Auswertung einen besseren Vergleich der Antworten der unterschiedlichen Akteure ermöglichen. Bei der Durchführung der Interviews wurde darauf geachtet die Antwortverzerrung möglichst klein zu halten. Der Grossteil der Befragungen wurde auf Spanisch durchgeführt. Trotz Fremdsprache kam es selten zu Verständigungsproblemen. Die persönlichen „face-toface“-Interviews wurden in einer möglichst ruhigen und abgeschirmten Umgebung durchgeführt. Der Interviewstil kann als passiv bezeichnet werden, da die Forscherin versuchte, sich selbst stark zurückzunehmen um die Gesprächspartner möglichst selbständig sprechen zu lassen. Nebst den formellen Interviews ergab sich bei der Arbeit als Menschenrechtsbegleiterin immer wieder die Gelegenheit spontaner, informeller Gespräche mit verschiedenen Akteuren, die möglichst präzise im Forschungstagebuch festgehalten wurden. Ebenfalls in die Arbeit fliesen quantitative Daten von offiziellen Stellen, wie demographische Daten des nationalen Statistikamtes (INE) in Guatemala, Jahresberichte des Ministerium für Energie und Minen in Guatemala, Landesprogrammevaluationen zu Guatemala der Weltbank und Inter-American Development Bank, Korruptionsbarometer von Transparancy International (TI), Messungen zum Freiheitsgrad von Freedom House, Gewaltstatistiken der UNDP und Statistiken zu Attacken auf Menschenrechtsaktivisten von der NGO UDEFEGUA in Guatemala. 7 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Auswertung und Interpretation des Datenmaterials Der Untersuchungsgegenstand kann in zwei Hauptdimensionen und mehrere Unterdimensionen unterteilt werden, die von verschiedenen Disziplinen untersucht wurden: Die internationale Begleitarbeit o Die internationale Begleitarbeit als Form der zivilen, gewaltlosen Konfliktbearbeitung in Guatemala o Prinzipien und Ziele o CAIG-Acoguate als transnationales Netzwerk im Bereich der Menschenrechte o Entwicklung der Menschenrechtssituation in Guatemala Konfliktkontext Megaprojekte o Konfliktparteien bei Megaprojekten (in Guatemala) und ihre Rolle im Konflikt o Konfliktursachen (Indigenenrechte, Umweltzerstörung) o Wirtschaftsentwicklung Guatemalas o Globaler Ressourcenkampf Aufgrund dieser komplexen Mehrdimensionalität wurde ein interdisziplinärer Ansatz gewählt. Bei der Auswertung und Interpretation der eigenen Forschungsdaten stützt sich die Autorin der Arbeit auf Untersuchungsdaten und Theorien aus den Disziplinen Friedensforschung, Politikwissenschaft und Entwicklungszusammenarbeit. Alle geführten und mehrheitlich digital aufgezeichneten Interviews haben im Erkenntnisprozess die Meinungsbildung der Forscherin mit beeinflusst. Da die Forscherin das Forschungsfeld zum ersten Mal betrat, wurden bestimmte Interviewpartner ausgewählt, um das Feld kennenzulernen und sich ein Bild des Kontextes machen zu können, in dem der Untersuchungsgegenstand eingebettet ist. Mit diesen Eingangsinterviews konnte der Forschungsgegenstand besser eingegrenzt und die Forschungsfrage präziser formuliert werden. Aus diesem Grund und aus Kapazitätsgründen wurden zwölf digitalisierte Interviews transkribiert und bei zwei nicht digitalisierten Interviews die Notizen aufgearbeitet. Die Transkriptionen auf Spanisch geführter Interviews wurden zur Vereinfachung der Datenauswertung direkt auf Deutsch übersetzt. Die Auswahl der Interviews zur Transkription wurde aufgrund des Interviewinhaltes mit wichtigen Informationen für die Beantwortung der Forschungsfragen getroffen. Die Autorin setzte den Schwerpunkt bei der Auswahl der zu transkribierenden Interviews auf die 8 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala freiwilligen Begleitpersonen und Vertreter anderer Akteurskategorien, da diese im Einsatz zum Schutz der Menschenrechte an der Front des Geschehens stehen (direkter Kontakt mit begleiteten Personen). Nach der Transkription der Freiwilligeninterviews wurde in einem ersten Schritt die relevanten Interviewantworten für die Untersuchung systematisiert, indem die Antworten aller Freiwilligen in einer Tabelle12 mit den gestellten Fragen dargestellt wurden. Diese Auswertungstabelle diente einer besseren Übersicht des transkribierten Materials. Mit diesem ersten Schritt konnten erste Kategorien gebildet werden, die sich im Laufe der Zeit aufgrund neuer Erkenntnisse aus Theorie und anderem Datenmaterial modifizierten. Schlussendlich haben sich neun relevante Kategorien herauskristallisiert.13 In einem zweiten Schritt wurden die Interviewfragen den Themenblocks Menschenrechtssituation/Situation der Menschenrechtsaktivisten, Analyse zum Kontext Megaprojekte und Zusammenhang Megaprojektkontext und internationale Begleitarbeit zugeordnet.14 Mit dieser Systematisierung wurde klarer, welche Interviewfragen die Forschungsfragen zu beantworten helfen. In einem dritten Schritt erfolgte eine Überarbeitung der Kategorien in Hinblick auf theoretische Annahmen: In Anlehnung an die Theorien zur zivilen Konfliktbearbeitung mit gewaltfreien Methoden, Ressourcenkonflikte und „advocacy“-Netzwerke sowie durch die intensive Beschäftigung mit den Transkriptionen wurden geeignete Kategorien für die Auswertung der Interviews erstellt. Alle vierzehn Interviews wurden also in Hinblick auf die schlussendlich gebildeten Kategorien durchgearbeitet, wobei die Auswertungstabelle der Freiwilligen eine Hilfe war um zutreffende Interviewpassagen zusammenzufassen und der jeweiligen Kategorie zuordnen zu können. Die sieben Interviews aus anderen Akteurskategorien als der Freiwilligenkategorie wurden jeweils einzeln aufgrund der Kategorien, die sich bei der Auswertung der Freiwilligeninterviews ergeben haben, durchgearbeitet und die Inhalte der entsprechenden Kategorie zugeteilt. Die Zusammenfassung signifikanter Aussagen diente dann als Basis für die Bestimmung der Ausprägungen, die im Resultatenteil dargestellt und analysiert werden. Eine Interpretation der gewonnen Daten in Hinblick auf die theoretischen Annahmen ist Teil der Konklusion. Alle Interviewtranskriptionen und Auswertungsdokumente können auf der beigelegten CD eingesehen werden. 12 13 14 Siehe Dokument „Auswertungstabelle“ auf CD. Siehe Dokument „Kategorien“ auf CD. Siehe Dokument „Systematisierung Interviews“ auf CD. 9 Masterarbeit 1.3 Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Methodische Einschränkungen In Bezug auf die Daten, die durch die qualitativen Interviews erhoben wurden, gibt es verschiedene Limitationen. Die Datenmenge, bestehend aus vierzehn Interviews und die Fallauswahl einer Begleitorganisation, erschwert eine Generalisierung der Ergebnisse und schränkt die Relevanz der Schlussfolgerungen und Interpretationen ein. Zum anderen ist jede Interviewsituation selbst eine soziale Situation, welche die Befragten und ihre Aussagen beeinflussen kann. Die Art der Fragestellung des Forschenden, sprachliche wie inhaltliche Verständigungsprobleme während des Interviews, der Grad der Ehrlichkeit einer Antwort oder die Meinung des Interviewten darüber, was von ihm erwartet wird, können die Validität und Reliabilität der Ergebnisse beeinträchtigen.15 Auch hinsichtlich der in dieser Arbeit durchgeführten Interviews sind sicherlich derartige Aspekte in die Untersuchung mit eingeflossen. Konkrete Schwierigkeiten oder gänzlich unbrauchbare Interviews gab es jedoch nicht. In der Methodenforschung wird davon ausgegangen, dass die Ergebnisse bei „sensiblen“ Fragen (in diesem Fall z.B. Sicherheit von Menschenrechtsaktivisten, Machteinflüsse von Botschaften) um so weniger verzerrt sind, je geringer die soziale Distanz zwischen Interviewern und Befragten.16 Je nach befragter Akteurskategorie ist dies in dieser Arbeit unterschiedlich einzuschätzen. Die soziale Distanz zu Freiwilligen, Organisationsvertretern von CAIG-Acoguate und lokaler und internationaler Menschenrechtsaktivisten beurteilt die Forscherin als gering, da durch den Feldzugang „Einsatz als Menschenrechtsbegleiterin“ eine Vertrauensbasis vorhanden war. Um keine Rollenvermischung zu verhindern, erklärte die Interviewerin zu Beginn jedes formellen Interviews, dass sie als Wissenschaftlerin und nicht als Menschenrechtsbegleiterin diese Befragung durchführe. Bei Interviews der Akteurskategorie „Botschaftsvertreter“ und „staatliche Akteure“ wurde der persönliche Einsatz als Menschenrechtsbeobachterin nicht erwähnt, um keine Abwehr- und Rechtfertigungshaltungen zu provozieren. Die Bereitschaft zu einem Interview von Seiten Diplomaten und staatlichen Beamten war gross. Allerdings ist bei der Befragung der Akteurskategorien „Botschaftsvertreter“ und „staatliche Akteure“ die soziale Distanz sicherlich grösser als bei den anderen Interviewpartnern, da die Beziehung nur auf einem einmaligen Treffen beruhte. Nur von Seiten des Minenunternehmens kam nie eine Antwort auf die Interviewanfrage zurück. 15 16 Vgl. Atteslander (2006). Vgl. Diekmann (2006), Empirische Sozialforschung, S. 399. 10 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Sofern während der Transkription diesbezügliche Probleme aufgefallen sind, wurden die Interviewpassagen nicht für die Auswertung verwendet. Eine weitere Einschränkung bezieht sich auf die Auswertung der Interviews. Auch wenn versucht wurde, diese so transparent und nachvollziehbar wie möglich darzustellen, beschränkt sie sich dennoch auf die Interpretation einer Forscherin und enthält keine Überprüfung oder Re-Codierung durch eine zusätzlichen Person, was die Gültigkeit der Ergebnisse erhöht hätte. Zum anderen ist keine Datenlage zur internationalen Begleitkomitee CAIG-Acoguate vorhanden. Es existiert keine einheitliche Dokumentation über die Aktivitäten der Organisation. Die in dieser Arbeit verwendeten Daten zu CAIG-Acoguate sind alle so korrekt wie möglich gesammelt und aufgearbeitet, können aber nicht eine fehlerlose Abbildung der Verhältnisse garantieren. 1.4 Klärung zentraler Begriffe 1.4.1 “Transnational Advocacy Network” Netzwerke sind Organisationsformen, die charakterisiert sind durch freiwilligen, gegenseitigen und horizontalen Kommunikationsaustausch.17 Laut Walter Powell sind Netzwerke geeignet, wenn es darum geht, effiziente und verlässliche Information zu erhalten.18 Die Beziehungen von Akteuren innerhalb eines Netzwerkes, die in verschiedenen Themenbereichen arbeiten, sind fliessend und offen. Margaret E. Keck und Kathryn Sikkink verstehen unter “advocacy networks” Netzwerke, die wie Anwälte im Rechtsstreit für andere und deren Vorschläge einstehen und diese verteidigen.19 “Advocacy”-Netzwerke sind vor allem im Bereich der Menschenrechte stark vertreten. Als Akteure in einem solchen Netzwerk vertreten sein, können kirchliche Institutionen, internationale wie nationale nicht-staatliche Wissenschaftsinstitutionen, international und national tätige “advocacy”- NGOs (wie Amnesty International), lokale, soziale Bewegungen, Stiftungen, Medien, zwischenstaatliche Organisationen.20 17 18 19 20 Vgl. Keck/Sikkink (1998), Activists beyond borders, S. 8. Vgl. Powell (1990), Research in Organizational Behavior, S. 295-304. Vgl. Keck/Sikkink (1998), Activists beyond borders, S. 8. Vgl. Keck/Sikkink (1998), Activists beyond borders, S. 9. 11 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Das Hauptziel solcher “advocacy”-Netzwerke liegt in der Verbreitung von Information durch diverse Aktionen, um internationalen Druck auf Regierungen auszuüben, die gegen internationale Normen verstossen. 1.4.2 Menschenrechtsaktivist In Anlehnung an die Definition der Politikwissenschaftlerin Laurie S. Wiseberg21, wird in dieser Arbeit unter Menschenrechtsaktivisten eine grosse Vielfalt an Zugehörigkeitskategorien gesehen. Diese grosse Bandbreite rührt daher, dass es keine offizielle Instanz gibt, die einen Menschenrechtsaktivisten als Mitgleid auszeichnet. Mehrere “Berufs”-Kategorien wie Anwälte oder NGO-Mitarbeiter fallen unter Menschenrechtsaktivisten. Der Menschenrechtsaktivist kann als Individuum gekennzeichnet werden, das sich entschied seine Menschenrechte oder die Menschenrechte anderer zu fördern und zu verteidigen. Die Vielfalt an Menschenrechtsaktivisten ist nur durch die Fähigkeiten der einzelnen Individuen begrenzt, die Menschenrechte zu verfechten und verlässliche Machtstrukturen zu unterhalten um Verletzungen der international anerkannten Menschenrechte zu verhindern. 1.4.3 Menschenrechtsbeobachter/Menschenrechtsbegleiter Menschenrechtsbegleiter und Menschenrechtsbeobachter werden in dieser Arbeit als Synonyme behandelt. Unter diesen Bezeichnungen versteht die Autorin dieser Arbeit Personen aus nördlichen Industrieländern (USA/Kanada/Europa), die sich freiwillig oder professionell für einen Einsatz zur Beobachtung von Menschenrechten und Begleitung von Menschenrechtsaktivisten/Menschenrechtsverteidigern einer NGO zu Verfügung stellen. Voraussetzungen für diese Funktion als Menschenrechtsbegleiter/–beobachter sind je nach Begleit-NGO verschieden. Kriterien können sein: - die Kenntnisse der Landessprache (in einzelnen Fällen wie Palästina genügende Englischkenntnisse), - Vorkenntnisse über das Land, - Alter, - müssen keine Experten in Themen wie Gesundheit, Recht, Landwirtschaft etc. sein. Nicht zu den Aufgaben eines Menschenrechtsbeobachters/-begleiters gehören: 21 Vgl. Wiseberg, Laurie S. (1991), Protecting Human Rights Activists and NGOs, S. 526-528. 12 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala - Entwicklungsprojekte zu fördern, - Finanzmittel an die begleiteten Personen/Gemeinden zu bringen. 1.4.4 Megaprojekte Unter Megaprojekten werden allgemein grosse, oft mit Hilfe ausländischer Gelder finanzierte Wirtschaftsprojekte verstanden. Der Begriff dient als Überbegriff grosser Entwicklungsprojekte und wird in der Fachliteratur zwischen folgenden vier MegaprojektTypen unterteilt:22 1) Infrastruktur (z.B. Häfen, Strassen, Siedlungswasserbau, Kanalisationssysteme) 2) Ausbeutung/Gewinnung (z.B. von Minerale, Öl, Gas) 3) Produktion (z.B. industrieller Plantagenanbau, Fabrikanlagen) 4) Konsum (z.B. Massentourismusanlagen, grosse Einkaufszentren) In Guatemala sind folgende Megaprojekte existent oder in Planung: Tourismus im grossen Stil (Privatisierung und Kommerzialisierung von Reservatszonen) Landwirtschaft: - Monokulturplantagen (Afrikanische Palmen, Zuckerrohr), Infrastrukturprojekte: - Grosse Strassen- und Konstruktionsprojekte (Pazifikstrasse, nördliche Transversale (Franja Transversal del Norte), - Vergrösserung und Umwandlung von Häfen, - Flughafenausbau, Projekte zur Nutzung natürlichen Ressourcen -Wasserkraftwerke, Staudämme Projekte in den Bereichen der extraktiven Industrien - Bergbau, Erdöl23 In dieser Arbeit geht es mehrheitlich um Megaprojekte der Typen 2 und 3: Minen, Wasserkraftwerke, industrieller Plantagenanbau. 22 23 Vgl. Gellert/Lynch (2003), Mega-projects as displacements, S. 16, Online-Version. Vgl. Samayoa (2009), Protegiéndonos ante las amenazas del Siglo XXI, S. 15. 13 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Definiert werden Megaprojekte als Projekte, die vorsätzlich Landschaften schnell und stark verändern. Diese Projekte benötigen eine koordinierte Einsatzplanung von Kapital und Staatsmacht. Für die Umsetzung dieser Megaprojekte wird oft schweres Gerät und eine ausgeklügelte Technologie benötigt, die meist aus dem Norden stammen.24 1.4.5 Konfliktbegriff und Konflikttheorien Der Konfliktbegriff hat eine zentrale Bedeutung für verschiedene Analysefelder (u.a. Gesellschaft, Politik, Wirtschaft). Wie Peter Imbusch darlegt in einem Überblick zu Sozialwissenschaftlichen Konflikttheorien25, haben sich bis heute eine ganze Menge an Disziplinen mit dem Thema Konflikt auseinandergesetzt: Psychologie, Psychiatrie, Pädagogik, Soziologie, Politikwissenschaften, Ökonomie. Der Grossteil der Literatur setzt sich laut Peter Imbusch mit Konfliktverläufen, Konfliktregelung und Lenkung von Konflikten auseinander. Der Begriff Konflikt kann allgemein als sozialen Tatbestand gekennzeichnet werden, „an dem zwei oder mehr Parteien beteiligt sind und dessen Ausgangspunkt Unterschiede in der sozialen Lage und/oder Unterschiede in der Interessenskonstellation sind.“26 In der Theorie wird unterschieden zwischen einem weiteren und einem engeren Konfliktverständnis. Anhänger einer engen Konfliktkonzeption weisen auf die Existenz bedeutender Unterschiede zwischen den Phänomenen mit der Bezeichnung Konflikt hin. Anhänger eines weiteren Konfliktverständnisses zeigen signifikante Ähnlichkeiten zwischen einzelnen Konfliktkonzepten auf und warnen vor dem Ausschluss bestimmter Phänomene wie Wettbewerb um die Konfliktanalyse nicht zu beeinträchtigen.27 Die Konflikttheorie wird in der Literatur in zwei Bereiche geteilt: Zum einen als spezifische Theorie über Konflikte bzw. Konflikt an sich, wobei es um die abstrakt-analytische Erfassung eines Phänomens geht. Zum anderen als umfassendere Theorie über die Organisation von Gesellschaft und das Verhalten von Menschen und Gruppen um Formen und Veränderungen von Strukturen in Gesellschaft und im internationalen System zu erklären.28 In der Konflikttheorie existieren zwei Konfliktmodelle: das synthetische, das versucht die Realität abzubilden und zu erklären. Der Fokus ist dabei auf das Konfliktumfeld die Ursachen und Verlaufsformen 24 25 26 27 28 gerichtet. Analytische Konflikttheorien setzen den Konflikt als Vgl. Gellert/Lynch (2003), Mega-projects as displacements, S. 15-16, Online-Version. Vgl. Imbusch (2006), Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien, S. 143. Imbusch (2006), Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien, S. 149. Vgl. Imbusch (2006), Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien, S. 146-150. Vgl. Imbusch (2006), Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien, S. 145. 14 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala soziologischen Tatbestand voraus und setzen sich im Wesentlichen mit den Instrumenten der Konfliktanalyse auseinander um Konfliktaustragungsformen und Regelungsmechanismen sozialer Konflikte erklären zu können.29 Peter Imbusch sieht ein Defizit in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Konfliktanalysen auf der gesellschaftlichen und internationalen Ebene. Er vertritt die Meinung, dass die Konflikterforschung eine transdisziplinäre Angelegenheit sein sollte und eine multidisziplinäre Zugangsweise zum Konflikt sinnvoll ist, da keine in sich geschlossene Konflikttheorie existiere.30 Relevant für diese Arbeit ist die Erkenntnis, dass sichtbare Konflikte wie Kämpfe und Kriege oft nur die Spitze des Eisberges bilden.31 Die Forscher des Internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC) haben sich näher mit Ressourcenextraktionskonflikten befasst und führen folgende Unterscheidungen auf: Konflikte können in unterschiedlichen Formen ausgetragen werden und sich im Laufe der Zeit verändern. Eine grundsätzliche Unterscheidung in Hinsicht auf die Konfliktaustragungsform machen die Forscher des BICC zwischen gewaltförmigem und nicht-gewaltförmigem Konfliktaustrag gemacht werden. Intensität und Reichweite eines Gewaltkonfliktes lassen den Konflikt zwischen den Polen (transnationaler) ‚Krieg’ auf der einen Seite und ‚lokaler Gewaltkonflikt niedriger Intensität’ auf der anderen Seite einordnen. Nicht-gewaltsame Konflikte können kaum gewalteskalationsgefährdet sein, wenn sie hochgradig verregelt sind oder das Risiko einer gewaltsamen Eskalation bergen, wenn sie spontan und ungeregelt verlaufen. Die Forscher des BICC unterschieden zwischen verschiedenen Phasen gewaltsamer Konfliktaustrags: Prä-Gewaltkonfliktphase, Phase des gewaltsamen Konfliktaustrags und Post-Gewaltkonfliktphase. Laut den Forschern des BICC lassen sich die Gewaltgeladenheit eines Konfliktes einschätzen um eine Krisen- und Gewaltprävention vornehmen zu können.32 In dieser Arbeit geht es vor allem auch um Ressourcen-Konflikte im Zusammenhang mit Megaprojekten, wobei dieser Konflikt auf lokaler, nationaler wie internationaler Ebene ausgetragen wird. Dabei weist der Begriff Ressourcen im Zusammenhang mit Megaprojekten mindestens zwei Dimensionen auf. Einerseits die industrielle Extraktion natürlicher Ressourcen (z.B. Mineralien), die für die lokale Bevölkerung grosse Folgen haben kann. Andererseits die durch die finanziellen Einnahmen der Extraktion bedingte RessourcenVerteilung in der Gesellschaft. Peter Imbusch schreibt dazu: „Die Art der Ressourcen und der 29 30 31 32 Vgl. Imbusch (2006), Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien, S. 154. Vgl. Imbusch (2006), Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien, S. 150-151. Vgl. Imbusch (2006), Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien, S. 151-152. Vgl. Volker/Volker/Krieger (2007), Ressourcen und Konflikte, S. 9, Online-Version. 15 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Güterverteilung in einer Gesellschaft ist dabei stets das Resultat sozialer Kämpfe von Gruppen und Individuen mit unterschiedlichen Interessen (...).“33 Als Konflikttheorie wird in dieser Arbeit jeder sozialwissenschaftliche Ansatz verstanden, in dem Phänomene des sozialen Konfliktes zentrale Bedeutung für die Erklärung gesellschaftlicher Beziehungen und Vorgänge zugewiesen wird. Als Basis zur Erforschung des Konfliktphänomens in dieser Arbeit dient das synthetische Konfliktmodell. 2 Konfliktkontext von Megaprojekten In diesem ersten Teil der Arbeit wird in einem ersten Schritt auf die globale Dimension von Megaprojekten hingewiesen und generelle Konfliktursachen im Kontext von Megaprojekten aufgezeigt. Diese theoretischen Ausführungen bilden die Basis für die Analyse des Konflikthintergrundes Guatemalas, der in einem zweiten Schritt aus historischer, ökonomischer, sozialer und politischer Sicht ausgeleuchtet wird und bei der Analyse der empirischen Daten im dritten Teil der Arbeit wiederum als Referenzrahmen dient. Dieser Kontext ist relevant in Hinblick auf die internationale Begleitarbeit für Menschenrechte, deren Aktivitäten von diesem Umfeld beeinflusst wird. Das Thema dieser Arbeit ist in einen globaleren Kontext einzubetten, weil Konflikte im Zusammenhang mit Megaprojekten auch von ausserstaatlichen Einflüssen wie transnationalen Wirtschaftsunternehmen, internationalen Finanzinstituten (Weltbank/IWF) und dem globalen Wirtschaftsmarkt gesteuert werden. Megaprojekte beispielsweise, die nicht-erneuerbare Ressourcen (Mineralien, Erdgas, Erdöl) ausbeuten, sind in ein globales Wirtschaftssystem von Nachfrage und Angebot eingebunden. Die Nachfrage nach Rohstoffen in den Industrieländern hängt unmittelbar mit dem Angebot an Rohstoffen in Entwicklungsländern zusammen. Dazu kommt, dass die aufstrebenden Wirtschaftsakteure, wie die Schwellenländer China und Indien, mit ihrem industriellen Wirtschaftsaufschwung und Bevölkerungswachstum weltweit für eine stärkere Rohstoffnachfrage und bei vielen Rohstoffen für ein Hochpreisniveau gesorgt haben.34 In der Entwicklungspolitik herrschst keine Einigkeit darüber, ob Protektionismus oder Liberalismus/Freihandel schneller zu stetigem und möglichst nachhaltigem Wachstum führt. Die Verfechter des Protektionismus weisen auf die magere Bilanz bei der Verringerung von Elend und Armut und die Vergrösserung der Schere zwischen Reich und Arm hin. Für das andere Lager, die Anhänger 33 34 Imbusch (2006), Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien, S. 152. Vgl. Jakobeit (2006), Weltwirtschaft und Rohstoffe, S. 271. 16 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala des Liberalismus, sind ökonomische Entwicklung und rasches Wachstum eine wichtige Voraussetzung für die Armutsbekämpfung.35 Der deutsche Politikwissenschaftler Cord Jakobeit gibt zu bedenken, dass Internationale Organisationen im Bereich des Rohstoffhandels fehlen oder wie die OPEC an Bedeutung einbüssten, gravierende Umweltbelastungen und sozioökonomische Fehlentwicklungen in der Rohstoffwirtschaft jedoch einen verstärkten multilateralen Handlungsbedarf signalisieren.36 Deutlich zeigen sich die Auswirkungen der steigenden Rohstoffnachfrage in Entwicklungs- und Schwellenländern. In einem 2007 erschienenen Artikel über Weltwirtschaft und Rohstoffe wird auf die Problematik zwischen Menschenrechten und Rohstoffmarkt hingewiesen. Es wird davon ausgegangen, dass es für eine funktionierende Global Economic Governance einer besseren Einbindung von Schwellen- und Entwicklungsländern in internationale Weltwirtschaftsorganisationen bedarf, damit auch in Bezug auf die Einhaltung von Menschenrechten im Rohstoffhandel Forderungen gestellt werden können.37 In diesen globalen Kontext des Rohstoffhandels ist auch Guatemala, ein Land mit diversen Bodenschätzen, eingebunden. Insbesondere der steigende Weltmarktpreis von Edelmetallen wie Gold, hat in den letzten Jahren die Minentätigkeiten mit der ansteigenden Lizenzvergabe wieder verstärkt und 2005 zur Eröffnung der Goldmine Marlin geführt, auf die in dieser Arbeit noch näher eingegangen wird. In der Vergangenheit haben grosse Megaprojekte, insbesondere Ressourcenextraktionsprojekte, wesentlich zur Entstehung von Gewaltkonflikten und Kriegen beigetragen. Forscher von Ressourcenkonflikten sprechen bei der Verhinderung/Verminderung solcher Konflikte von Good Resource Governance.38 Dieser Konfliktkontext wird in den folgenden Kapiteln ausgeleuchtet. 2.1 Ein Megaprojekte und ihr Konfliktpotenzial Megaprojekt, dessen Konfliktkontext in dieser Arbeit hinsichtlich der Menschenrechtsbegleitung näher untersucht wird, ist die Goldmine Marlin im Tagabbau. Sie befindet sich im Municipio San Miguel Ixtahuacan des Departements San Marcos, im Westen Guatemalas. 35 36 37 38 Dieses grosse Ressourcenprojekt ist im Besitz des kanadischen Vgl. Jakobeit (2006), Weltwirtschaft und Rohstoffe, S. 269. Vgl. Jakobeit (2006), Weltwirtschaft und Rohstoffe, S. 270. Vgl. Jakobeit (2006), Weltwirtschaft und Rohstoffe, S. 271-272. Vgl. Volker/Volker/Krieger (2007), Ressourcen und Konflikte, S. 5-6, Online-Version. 17 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Minenunternehmens Goldcorp39 und die Ausbeute wird in Kooperation mit dem guatemaltekischen Unternehmen Montana Exploradora durchgeführt. In einem Forschungsbericht des internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC)40 zählen die Autoren die Kombination folgender Faktoren auf, die zu konfliktiven Konstellationen führen können: • Abbau natürlicher Ressourcen • Fragile staatliche Strukturen • Engagement externer (oft multinationaler) Unternehmen • Ökologisch und sozial gravierende Folgen der Ressourcenextraktion für die einheimische Bevölkerung vor Ort41 Insbesondere bei grossen Ressourcenprojekten liegt der Grund für die Konfliktträchtigkeit laut den Forschern des internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC) in den ökologischen und sozialen Folgen der Ressourcengewinnung und der Konkurrenz um die Verteilung der Einkünfte. In solchen Konflikten spielen die Unternehmen, die lokale Bevölkerung und der Staat die Schlüsselrollen.42 Auch der Standort spielt bei Megaprojekten eine zentrale Rolle. Wenn eine Mine beispielsweise Rohstoffe aus einem Gebiet gewinnt, das unbesiedelt ist, dann ist keine lokale Bevölkerung direkt betroffen von Umweltkonsequenzen oder Umsiedlung. Megaprojekte, insbesondere grosse extraktive Projekte, gehen mit massiven Veränderungen der lokalen gesellschaftlichen Strukturen einher und weisen eine ambivalente Seite auf. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass diejenigen, die innerhalb der MegaprojektUmgebung leben, „verlieren“, und diejenigen ausserhalb, nicht betroffen sind oder „dazu gewinnen“. Die Entwicklung durch Megaprojekte kreiert neue ökonomische Möglichkeiten wie soziale Räume und schliesst alte. Durch die Veränderungen entstehen neue kulturelle Formen.43 Es kann daher zwischen einer „positiven Entwicklung“ (Verbesserung der Infrastruktur, des Gesundheits- und Erziehungswesens, Aufschwung der formalen Wirtschaft, Arbeitsplätze etc.) und einer „negativen Entwicklung“ (Umweltprobleme, massive unkontrollierte Zuwanderung, Auflösung lokaler Sozialbeziehungen, Einschränkung oder 39 Zuvor gehörte die Mine der kanadischen Minenunternehmen Glamis Gold. 40 BICC: Die unabhängige NGO wurde 1994 gegründet und verfolgt die Absicht Frieden und Entwicklung zu fördern wie Gewaltonflikte zu verhindern (siehe http://www.bicc.de). 41 42 43 Volker/Volker/Krieger (2007), Ressourcen und Konflikte, S. 3, Online-Version. Vgl. Volker/Volker/Krieger (2007), Ressourcen und Konflikte, S. 5-6, Online-Version. Vgl. Gellert/Lynch (2003), Mega-projects as displacements, S. 23, Online-Version. 18 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Zerstörung lokaler Landwirtschaft, kulturelle und spirituelle Verarmung etc.) unterschieden werden.44 Zu den Verlierern zählen diejenigen, die mit den ökologischen, ökonomischen, kulturellen und sozialen Auswirkungen eines Megaprojektes zu kämpfen haben. Vor allem die Ausbeutung nicht-erneuerbarer Ressourcen führt zu ökologischer Degradation erneuerbarer Ressourcen (Wasser, Böden, Wälder) und verändert die Lebensweise der lokal betroffenen Bevölkerung radikal.45 Rodolfo Stavenhagen46, ein bekannter mexikanischer Soziologe und Spezialist für indigene Völker, erklärte 2005 in einem Artikel im Rahmen der Global Governance, dass gerade grosse Entwicklungsprojekte ernsthafte Konsequenzen für indigene Völker bedeuten können, auf die in folgenden Kapiteln noch näher eingegangen wird.47 Eine bereits erwähnte negative Folge von Megaprojekten für die lokal betroffene Bevölkerung ist die Vertreibung, die unmittelbar mit dem Megaprojektprozess ausgelöst werden kann (primary displacement) oder erst nach längerer Zeit als indirekte Konsequenz auftritt (secondary displacement).48 Vertreibung ist laut den UNESCO-Experten Paul K. Gellert49 und Barbara D. Lynch50 der Entwicklung mit Megaprojekten inhärent und betrifft von Machtzentren abgeschiedene Gesellschaften mehr, als Wohlstandsgesellschaften und Mitglieder dominanter ethnischer Gruppen.51 Zwangsräumungen oder unfreiwillige Vertreibungen und erneute planlose Ansiedlung sind gerade bei Damm- oder Minenprojekten weit verbreitet. Daher haben solche Projekte viel Widerstand und Proteste und, wie Rodolfo Stavenhagen bestätigt, auch Gewalt hervorgerufen.52 Diese betroffenen Gemeinschaften, die in der Regel schwache Akteure sind, sehen sich oft gezwungen mit den Projektunternehmen direkt in Beziehung zu treten.53 Auch Rodolfo Stavenhagen erwähnt in seinem Artikel, dass sich Indigene teils nicht gegen Megaprojekte in ihren Gebieten widersetzen, sondern um Kompensationen oder Teile des erwarteten Gewinns dieser Projekte verhandeln.54 Der Grund weshalb diese Gemeinschaften sich direkt an die Unternehmen wenden, ist laut der Forscher 44 45 Vgl. Volker/Volker/Krieger (2007), Ressourcen und Konflikte, S. 5, Online-Version. Vgl. Volker/Volker/Krieger (2007), Ressourcen und Konflikte, S. 5, 7, Online-Version. 46 Rodolfo Stavenhagen wurde 2001 von der UN Menschenrechtskommission zum ersten UNO Spezial-Berichterstatter über die Menschenrechtssituation und fundamentalen Freiheiten Indigener Völker ernannt. Bis 2008 hatte er dieses Amt inne. 47 48 49 Vgl. Stavenhagen, Global Insights - The rights of indigeneous peoples, S. 3, Online-Version. Vgl. Gellert/Lynch (2003), Mega-projects as displacements, S. 17, Online-Version. Paul Gellert is Assistant Professor in the Department of Rural Sociology and the Southeast Asia Programme at Cornell University. 50 Barbara Lynch is Director of International Studies in Planning and Visiting Associate Professor of City and Regional Planning at Cornell University. 51 52 53 54 Vgl. Gellert/Lynch (2003), Mega-projects as displacements, S. 23, Online-Version. Vgl. Stavenhagen, Global Insights - The rights of indigeneous peoples, S. 3, Online-Version. Vgl. Volker/Volker/Krieger (2007), Ressourcen und Konflikte, S. 7, Online-Version. Vgl. Stavenhagen, Global Insights - The rights of indigeneous peoples, S. 7, Online-Version. 19 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala des BICC in der schwachen Rolle der zuständigen staatlichen Institutionen zu sehen, die sich teils auch bewusst der Verantwortung entziehen, die Interessen der lokalen Bevölkerung wahrzunehmen. In schwachen Staaten besteht die erhöhte Gefahr, dass es zu einem Gewaltkonflikt kommt, da den staatlichen Institutionen ausreichende Kapazitäten und/oder der politische Wille fehlen, die Projekte zu kontrollieren und zu regulieren.55 Für die Forscher des BICC ist diese Schwäche staatlicher Strukturen ein wesentliches Element dafür, wie der Konflikt bei Ressourcenkonflikten ausgetragen wird. Die Schwäche könne auf eine „Kombination lang anhaltender Gewaltkonflikte, weit verbreiteter Armut und wirtschaftlicher Misere, nicht-demokratischen, intransparenten und zumeist klientelistischen Herrschaftsstrukturen sowie einem ungünstigen regionalen Umfeld“ zurückgeführt werden.56 Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem (gewaltgeladenen) Konflikt kommt, wird auch dadurch erhöht, wenn sich das Unternehmen und die lokal betroffene Bevölkerung nicht (genügend) auf die Rechtstaatlichen Institutionen des Staates verlassen können. Ein funktionierender Rechtsstaat garantiert bei einem Konflikt innerhalb einer Gesellschaft, dass dieser ohne Gewaltausbruch ausgetragen werden kann. Auch die Schwäche, Unzuverlässigkeit und Unkontrollierbarkeit staatlicher Sicherheitskräfte sind laut den BICCForschern ein Merkmal für fragile Staatlichkeit und tragen zum Konflikt bei. Fragile Staatlichkeit wird auch durch Korruption bedingt. Wenn Akteure mehr an der eigenen Bereicherung als an „Entwicklung“ interessiert sind und bei der Verteilung und Verwendung der Gewinne aus Ressourcenprojekten Eigeninteressen verfolgen, dann trägt dies zur Konfliktgeladenheit bei.57 2.2 Megaprojekte in Guatemala In der Folge wird der Kontext Guatemalas in Hinblick auf das vorhandene Konfliktpotenzial bei Megaprojekten auf regionaler und nationaler Ebene abgehandelt. Dabei werden die zuvor erwähnten, theoretischen Ausführungen der BICC-Forscher zu den Konfliktkomponenten auf den Kontext von Megaprojekten im Allgemeinen und auf Guatemala übertragen und mit zusätzlichen Faktoren erweitert. Die Autorin dieser Arbeit geht davon aus, dass der soziale, ökonomische, politische und historische Kontext eines Landes für die Konfliktursache und den Konfliktverlauf bei Megaprojekten verschiedener Art (Ressourcen, Landwirtschaft, Infrastruktur, etc.) mitverantwortlich ist, gerade auch in Bezug auf die fragile Staatlichkeit. 55 56 57 Vgl. Volker/Volker/Krieger (2007), Ressourcen und Konflikte, S. 7-8, Online-Version. Volker/Volker/Krieger (2007), Ressourcen und Konflikte, S. 7, Online-Version. Vgl. Volker/Volker/Krieger (2007), Ressourcen und Konflikte, S. 8, Online-Version. 20 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala 2.2.1 Neoliberale Wirtschaftsentwicklung und Widerstand in Guatemala Guatemala erlebte von 1960 bis 1980 das schnellste Wirtschaftswachstum in seiner Geschichte.58 Ab den 1980ern fiel das Land während des Bürgerkrieges in eine schwere Wirtschaftskrise. 1996 zum Zeitpunkt der Friedensabkommen wurde eine neoliberale Wirtschaftspolitik eingeführt, die ausländischen Investoren und Megaprojekten die Tür öffnete. Die Interamerikanische Entwicklungsbank IDB (ein Arm der Weltbank) deklarierte 2004, dass die Erholung der Wirtschaft mit einem Wachstum des Bruttoinlandproduktes (BIP) von 4.2% in den 90er Jahren nicht genügend war und es von 2001 bis 2003 wieder zu einem Wachstumsrückgang des BIP auf 1.4% kam.59 Vor allem die Regierung Oscar Bergers von 2004 bis 2008 förderte die neoliberale Wirtschaftsentwicklung. 2009 veröffentlichte das OVE (Office of Evaluation and Oversight) der Inter-Amerikanischen Entwicklungsbank eine Evaluation mit den Resultaten zur Strategieperiode 2004-200760 um die Beziehungen zu prüfen, die zwischen der Bank und Guatemala in dieser Zeitspanne aufgebaut wurden. Dabei wird angegeben, dass die Wirtschaft durchschnittlich pro Jahr mehr als 4% gewachsen sei zwischen 2004 und 2007. 2006 und 2007 sogar 6.3%, was das schnellste Wachstum in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte des Landes bedeute.61 Doch wird klar darauf hingewiesen, dass die Mehrheit der Guatemalteken nicht von diesem Wachstum profitieren konnte: „The economic and social policies of the period 2004-2007 were not sufficient to significantly expand the economic and social opportunities of the majority of Guatemalans.“62 Für 2009 wird ein Wirtschaftswachstum von 3,5% erwartet. Dieser Rückgang ist auch beeinflusst von der weltweiten Finanzkrise.63 In der Wirtschaft Guatemalas spielen die Wirtschaftseliten des Landes eine zentrale Rolle, da sie seit langer Zeit einflussreich mitwirken in der Wirtschaftspolitik des Landes. Bis heute haben sie es geschafft ihre Privilegien zu sichern und so grössere Reformen im Land verhindert. Vor allem die Grossgrundbesitzer konnten immer wieder die Landreformen abwenden.64 In Guatemala kontrollieren heute immer noch ungefähr 2% der Bevölkerung 70% des Bodens um in erster Linie Exportprodukte herzustellen.65 Der Landwirtschaftssektor 58 59 Vgl. CEH (1999), Guatemala – Memory of Silence, S. 18, Online-Version. Vgl. IDB, Country Strategy 2004, S. 4, Online-Version. 60 Diese Evaluation der Strategieperiode 2004-2007 des IDB-Programmes ist die zweite Evaluation, die von OVE durchgeführt wurde. Die vorherige Evaluation umfasste die Periode 1993-2003. 61 62 63 64 65 Vgl. IDB, Country Program Evaluation 2009, S. 1, Online-Version. IDB, Country Program Evaluation 2009, Executive Summary, Online-Version. Vgl. IDB, Country Program Evaluation 2009, Executive Summary, Online-Version. Vgl. Inksater, Guatemala Country Context, S. 4. Vgl. International Development Research Center, Projects in Guatemala, Online-Version. 21 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala macht 75% des Gesamtexportes Guatemalas aus (vorwiegend Kaffee, Zucker, Bananen).66 96% der Bauern bearbeiten knapp 20% des Bodens für die Subsistenzwirtschaft. Es wird angenommen, dass 50-95% des Landeigentums nicht offiziell registriert sind. Oft wurde den indigenen Bauern in der Vergangenheit das Land enteignet und wenn sie sich dagegen wehrten, dann mussten sie um ihr Leben fürchten, wie 1978 als 100 Bauern vom Militär in Panzos (Alta Verapaz) ermordet wurden, weil sie sich gegen die Enteignung ihres Bodens durch offizielle Militärs wehrten. Viele indigene Bauern sind heute frustriert, weil die in den Friedensabkommen 1996 versprochenen Reformen nur sehr langsam umgesetzt werden.67 Dieser Ungleichheitszustand, der aus der Landwirtschaft abgeleitet werden kann, bedeutet für die indigenen Bauern Armut und Exklusion und bringt sie in eine Position, in der das sich Einsetzen für bessre soziale Verhältnisse zur Überlebensfrage werde, erklärt die Menschenrechtsaktivistin Claudia V. Samayoa in einem Forschungsbericht.68 Die Antwort von staatlicher Seite auf diese Proteste ist meist Repression und Gewalt, damit der Status Quo zugunsten der Eliten beibehalten werden kann. Seit den Friedensabkommen hat sich die Landwirtschaftsproduktion im Zuge der neoliberalen Wirtschaftspolitik des Landes gewandelt und soziale Konflikte geschaffen. Die sogenannten „Finceros“ (Grossgrundbesitzer) setzen vermehrt auf grosse Monokulturen (Megaprojekttyp 3/Produktion) und haben in den letzten Jahren beispielsweise mit dem Anbau afrikanischer Palmen begonnen um Pflanzenöl zu gewinnen.69 Die global gestiegene Nachfrage nach Ethanol führte zum grossflächigen Anbau von Zuckerrohrfeldern.70 Für diese Anbauformen wird viel Boden benötigt, was zu Hamsterkäufen führt. Gleichzeitig braucht es durch die Mechanisierung weniger Arbeitskräfte, was zu mehr arbeitslosen Bauern ohne Land führt und soziale Spannungen generiert. Diese Entwicklungen verursachten zwischen 2000 und 2008 einen beachtlichen Anstieg an Drohungen, Verfolgungen und Tötungen von anführenden Bauern.71 Veränderungen durch die neoliberale Wirtschaftsentwicklung sind auch im Finanzsektor zu sehen. Claudia Virginia Samayo schreibt 2009 in einer Analyse, dass in Guatemala seit wenigen Jahren eine neue Etappe in Bezug auf den Kapitalismus einsetzte. Es sei zu neuen Bereicherungsformen 66 67 68 69 70 71 gekommen, zu Gunsten von nationalen und internationalen Vgl. The Fund for Peace (2009), Guatemala - Economic Indicators, S.2, Online-Version. Vgl. International Development Research Center, Projects in Guatemala, Online-Version. Vgl. Samayoa (2008), Nadie debe perder la Vida, S. 2. Vgl. Samayoa (2008), Nadie debe perder la Vida, S. 3. Vgl. The Fund for Peace (2009), Guatemala - Economic Indicators, S.2, Online-Version. Vgl. Samayoa (2008), Nadie debe perder la Vida, S. 3. 22 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Unternehmen in Zusammenarbeit mit Banken und Freihandelsabkommen. Ein Kapitalismus bei dem es vor allem um Finanzkapital gehe und sich durch Allianzen zwischen nationalen und internationalen Kapitalien auszeichne, die von privaten Kreisen aus gesteuert werden in einem Prozess, in dem sich die Macht wieder konzentriere.72 Die Ansammlung von Kapital werde von Familien und Gruppen der nationalen Oligarchie durchgeführt. Die Oligarchie des Landes zieht nicht mehr nur Kapital aus der Landwirtschaftsproduktion, sondern investiert unter anderem in Megaprojekte. Der Besitz von Natürlichen Ressourcen sei strategischer Natur, weil sich dort die Akkumulation von Kapital ausdrücke. Zur Ansammlung von Kapital werden mit Transnationalen Allianzen gebildet.73 In den nördlich gelegenen Regionen um die „Franja Transversal del Norte“74 (FTN Verbindungsroute durch Guatemala zwischen Mexiko und Honduras) kommt ein grosser Teil des Reichtums Guatemalas vor: Wasser, Fauna, Flora, Wälder, Bodenschätze. Laut der Menschenrechtsaktivistin Claudia V. Samayoa zeigt sich dort die neue Wirtschaftsphase. Der geplante Ausbau der Strassen auf dieser Transversale ist strategisch fundamental für die Förderung von Megaprojekten (Ölförderung, Minen, Pflanzungen afrikanischer Palmen, Zucker, Maquilas).75 Megaprojekte im Bereich der industriellen Rohstoffextraktion werden in Zentralamerika seit mehreren Jahren wieder intensiver gefördert. Einem Bericht über die Menschenrechtssituation 2004-2005 verschiedener Menschenrechtsorganisationen Zentralamerikas ist zu entnehmen, dass das Thema der Ausbeutung durch Minen Anfang 2000 in ganz Zentralamerika an Relevanz gewonnen habe. Erklärt wird dies, wie bereits erwähnt, mit den steigenden Rohstoffpreisen auf dem Weltmarkt. Weil die Gesetzgebungen vieler Länder Lateinamerikas sehr offen sind gegenüber Mineninvestitionen und von der Weltbank unterstützt werden, wurden in Zentralamerika mehrere hundert Bewilligungen vergeben. Wie erwähnt, ist die Minentätigkeit auch in Guatemala nichts Neues, sondern wurde bereits in der Kolonialzeit industriell gefördert und seit der Grenzöffnung für den Handel 1871 intensiviert. Die Intensität der Minentätigkeit in Guatemala unterlag im letzten Jahrhundert den internationalen Marktpreisen und dem Bürgerkrieg, der den Rohstoffabbau in den 80ern und 90ern Pausieren liess.76 In den letzten Jahren wurde die Ausbeutung natürlicher Ressourcen in der Wirtschaftspolitik wieder stark gefördert. Das Ministerium für Energie und Minen sieht darin 72 73 74 75 76 Vgl. Samayoa (2009), Protegiéndonos ante las amenazas del Siglo XXI, S. 11, 15. Vgl. Samayoa (2009), Protegiéndonos ante las amenazas del Siglo XXI, S. 12. Siehe Anhang A.5: Franja Transversal del Norte, S. 129. Vgl. Samayoa (2009), Protegiéndonos ante las amenazas del Siglo XXI, S. 16-18. Vgl. Peace Brigades International, Metal Mining and Human Rights in Guatemala, S. 8, Online-Version. 23 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala eine Quelle für die Entwicklung des Landes, insbesondere für die Verbesserung der Lebensqualität der Guatemalteken, da Guatemala ein grosses Potenzial in den Bereichen Energie, Öl und Minen aufweise.77 Ende 2003 wurde in Guatemala die industrielle Extraktion von Metallen auf nationaler Ebene wieder zum aktuellen Thema und in den darauf folgenden Jahren vergab der Staat mehr als 550 Bewilligungen78, was 10% des Landes ausmacht.79 Anfang 2009 waren für Minentätigkeiten mit Nicht-Metallen (153), Metallen (101) und Konstruktionsmaterial (141) insgesamt 395 Lizenzen vergeben, wobei 259 davon eine Erlaubnis für die Extraktion bedeutet. Die restlichen 136 sind Lizenzen zur Exploration80.81 383 Lizenzanträge (für die Erkennung, Exploration, Extraktion von Metallen, Nicht-Metallen und Konstruktionsmaterialien) waren Anfang 2009 in Bearbeitung.82 Diese Zahlen zu Lizenzvergaben, die bereits erteilt oder in Bearbeitung sind (insgesamt 778 Lizenzen) weisen eine starke Zunahme gegenüber den 550 Bewilligungen im Jahre 2003 auf. Die meisten Lizenzen wurden im Departement Guatemala vergeben, gefolgt von El Progreso und Huehuetenango.83 In vielen der Gebiete mit Lizenzvergaben ist die NGO CAIG-Acoguate mit ihrer internationalen Begleitarbeit präsent, auf die im Verlauf der Arbeit noch näher eingegangen wird. Die Mehrheit dieser Bewilligungen gingen an transnationale Unternehmen aus den USA und Kanada.84 Das untersuchte Minenprojekt Marlin, in der seit Mai 2004 Silber und Gold abgebaut werden. Die Weltbank unterstützte über die Internationale Finanzkooperation (International Finance Corporation – IFC) das Minenprojekt Marlin im Tagabbau in Guatemala mit 45 Millionen Dollar. Das Projekt wurde zuvor vom transnationalen kanadischen Unternehmen Glamis Gold und deren guatemaltekischen Unterfirma Montana Exploradora realisiert. Die ebenfalls kanadische Firma Goldcorp übernahm die Mine Marlin 2005 und ohne die Weltbankgelder.85 Auch der Plan Pueblo-Panama (PPP) ist in Guatemala ein Grund für die vermehrte Planung und Umsetzung von Megaprojekten. Der Plan wurde 2001 von der mexikanischen Regierung 77 Vgl. Ministerio de Energía y Minas, Online-Version. 78 Es gibt drei Arten von Bewilligungen, wobei nur eine die Ausbeutung erlaubt. Die anderen dienen der Abklärung von Rohstoffvorkomnissen. Der Grossteil der vergebenen Lizenzen dienen zur Abklärung. 79 Siehe Anhang A.1: Minenlizenzen in Guatemala, S. 125. 80 Eine „Explorations“-Lizenz erlaubt dem Lizenzinhaber die Vorkommen auf einem Territorium von 100km2 zu lokalisieren, studieren, analysieren und evaluieren (vgl. http://www.mem.gob.gt/Portal/Home.aspx?secid=52). 81 82 83 84 85 Vgl. Ministerio de Energía y Minas, Licencias vigentes 2009, Online-Version. http://www.mem.gob.gt/Portal/Home.aspx?tabid=224 Vgl. Ministerio de Energía y Minas, Solicitudes en tramite 2009. Online-Version. http://www.mem.gob.gt/Portal/Home.aspx?tabid=225 Vgl. Ministerio de Energía y Minas, Licencias mineras por departamento 2009. Online-Version. Vgl. Federacion Luterana Mundial (2006), Centroamerica 2004-2005, S. 48. Vgl. Federacion Luterana Mundial (2006), Centroamerica 2004-2005, S. 48. 24 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala entwickelt. Es handelt sich um eine Strategie für die Wirtschaftsentwicklung Zentralamerikas, mit dem Ziel die Unterentwicklung zu überwinden. Der Ökonom Miguel Pickard schrieb 2004 zur Entwicklung des PPP, dass der Plan zu Beginn frühzeitig zum Erlahmen kam.86 Unter anderem auch deshalb, weil für die Zivilbevölkerung Zentralamerikas die Infrastrukturprojekte des PPP nicht mit sozialer Entwicklung einhergingen und Widerstand leisteten.87 Dabei geht es nach Miguel Pickard bei solchen Projekten auch um Demokratie und Mitspracherecht. Von den Bewohnern ist der Plan als eine neue neokoloniale Form verstanden worden, bei der ihre natürlicher Reichtum und ihre billige Arbeitskraft ausgenutzt würden. M. Pickard wirft dem Vorgehen der PPP-Initianten vor, dass die Bevölkerung, die zu einem Grossteil indigen ist, nie konsultiert wurde, um herauszufinden wie die Menschen über diesen Plan dachten.88 Miguel Pickard bezeichnet den PPP als einen Katalysator, der das Denken und Handeln abgelegener Bevölkerungsteile als Teil der Welt vorantreibt. Der PPP führte zu grossen Veranstaltungen in verschiedenen Zentralamerikanischen Ländern und gab Anlass auch andere regionale Themen wie Wasserkraftwerkprojekte, Dämme, Biodiversität und Autonomie zu diskutieren.89 Die Antwort von der Basis Guatemalas gegenüber dem PPP hat die österreichische Sozialanthropologin Eva Kalny 2006 im Rahmen eines Forschungsprojektes in Guatemala näher untersucht, insbesondere die anti-neoliberalen Bewegungen im Departement Petén im Norden Guatemalas. Sie ist der Meinung, dass sich die neoliberale Wirtschaftsglobalisierung im Falle Guatemalas durch den Plan Pueblo Panama (PPP) und dem Freihandelsabkommen (DR-CAFTA) zum Ausdruck komme, auf das in der Folge mit einem kurz Exkurs eingegangen wird.90 Im März 2005 ratifizierte die guatemaltekische Regierung das Freihandelsabkommen CAFTA zwischen den USA und Zentralamerika (Central American Free Trade Agreement – heute DR-CAFTA da Dominikanische Republik dazu stiess)91. Die Ethnologin Eva Kalny schreibt dazu in ihrem Artikel „Globalisierung von unten“, dass dieses Ereignis Proteste im ganzen Land wie auch polizeiliche Repressionen auslöste.92 In der Folge kam es vermehrt zu Aggressionen gegen soziale Aktivisten.93 2007 trat der CAFTA-Vertrag in 86 87 88 89 90 91 92 93 Vgl. Pickard (2004), The Plan Pueblo Panama Revived, S. 1, Online-Version. Vgl. Pickard (2004), The Plan Pueblo Panama Revived, S. 2, Online-Version. Vgl. Pickard (2004), The Plan Pueblo Panama Revived, S. 2, Online-Version. Vgl. Pickard (2004), The Plan Pueblo Panama Revived, S. 2, Online-Version. Vgl. Kalny, Globalizacion desde abajo, S. 196. Heute offiziell DR-CAFTA, da 2004 neu die Dominikanische Republik hinzukam. Vgl. Kalny, Globalizacion desde abajo, S. 197. Siehe Anhang A.14: Chronologie Begleitarbeit in Guatemala, S.144. 25 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Kraft und löste in der Guatemaltekischen Bevölkerung weniger Proteste aus als zuvor bei der Ratifizierung.94 In Guatemala ist der Widerstand gegen die neoliberalen Wirtschaftsprojekte weit verbreitet. Nebst den Aktivitäten gegen den PPP und das Freihandelsabkommen DR-CAFTA, gibt es im ganzen Land Widerstand gegen Megaprojekte. Die Ethnologin Eva Kalny beschreibt den Widerstand gegen Megaprojekte spezifisch themenbezogen, wie beispielsweise der Widerstand gegen die Goldmine Marlin.95 Eine sich im Widerstand befindende Person gegen die Mine Marlin, sagte in einem Interview im Rahmen dieser Arbeit aus, dass die Wurzeln des Widerstandes gegen die Mine bei den betroffenen Personen liege, die in der Nähe der Mine wohnen und sich angefangen haben zu organisieren, als sie negative Auswirkungen der Minenarbeit festgestellt hätten. Er zählte als negative Folgen die Austrocknung von Wasserlöchern und Risse in den Hausmauern auf. Die davon Betroffenen verfolgen die Strategie, Information über den Schaden, den die Mine anrichte, in anderen Gemeinden zu verbreiten.96 Auch internationale Finanzinstitute wie die Weltbank sind mit ihrer neoliberalen Entwicklungspolitik an der Planung und Umsetzung von Megaprojekten beteiligt. Die Interamerikanische Entwicklungsbank, (Inter-American Development Bank - IDB) präsentierte in der Landesstrategie 2004-2007 zu Guatemala die Entwicklungsziele: „(...) the 2004 country strategy proposal reflects the general view of the 1996 Peace Accords, establishing poverty reduction as a basic condition for building a firm and lasting peace that will allow for full participation of the population in the process of economic and social development (document CP-2877).“ 97 In den Augen der Bank hat Guatemala folgende Herausforderungen für ein nachhaltiges Wachstum anzugehen und damit das „Business climate“ zu verbessern: „Strengthening public finances; upgrading infrastructure; making the most of CAFTA opportunities and better positioning itself in the global market place; spurring rural development; and cushioning the risks of natural disasters.“98 Welche Auswirkungen die neoliberale Wirtschaftentwicklung, insbesondere die Realisierung von Megaprojekte für die Bevölkerung haben kann, wird in der Folge diskutiert. 94 95 96 97 98 Vgl. Kalny, Widerstand lesiten, aber wie?, S.205. Vgl. Kalny, Widerstand leisten, aber wie?, S. 205. Vgl. Interview BP5, Zeile 29-35. Vgl. IDB, Country Strategy 2004, Executive-Summary, Online-Version. Vgl. IDB, Country Strategy 2004, S. 4, Online-Version. 26 Masterarbeit 2.3 Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Indigene, neoliberale Wirtschaftsentwicklung und Megaprojekte Der Fokus auf die Betroffenheit indigener Bevölkerungsteile ist in dieser Arbeit von grosser Bedeutung, weil ein Grossteil der Bevölkerung Guatemalas indigen und als Landbevölkerung von Megaprojekten direkt betroffen ist. Die Weltbank bringt in einer Stellungnahme an das Büro für „Evaluation and Oversight, OVE“ der Interamerikanischen Entwicklungsbank IDB ihre Unterstützung gegenüber dem Vorhaben in Guatemala zum Ausdruck, die schwachen Bevölkerungsgruppen schützen zu wollen: „We agree on the need to support the country in protecting the most vulnerable population groups, particularly in the current world financial and econo mic crisis, and in providing more and better social services. We also agree on the cooperation projects and for stronger technical support.“99 In einigen Ländern sind indigene Völker heute als legitime Partner von Regierungen anerkannt. Oft ist diese Anerkennung gesetzlich vorhanden, die Umsetzung jedoch verzögert. So auch in Guatemala, in dessen Verfassung die Anerkennung der indigenen Lebensweise verankert, die politische Repräsentation hingegen nur schwach vorhanden ist. Die offizielle Anerkennung der Rechte indigener Völker bei der UNO ist erst wenige Jahre her. Die Generalversammlung der UNO nahm 2004 nach langen Verhandlungen die Deklaration zur Anerkennung der Rechte Indigener Völker an, die als Referenz für einen internationalen Standart für den Schutz der Rechte indigener Völker dienen soll.100 Indigene Rechte sind laut Margaret E. Keck und Kathryn Sikkink auch immer zentralere Komponenten im internationalen Umweltaktivismus, wie auch umgekehrt.101 Das Überleben ist für indigene Völker auf der ganzen Welt eine Herausforderung. Der Soziologe Rodolfo Stavenhagen sieht den Grund dieser Herausforderung in einer Welt, „that has systematically denied them the means and thus the right to existence as such“.102 Land bedeutet für die indigenen Völker seit jeher die Quelle für ihre Lebensgrundlage, derer sie in der Vergangenheit immer wieder beraubt wurden. Land gemeinsam zu besitzen, zu besetzten und zu bebauen entspreche laut Rodolfo Stavenhagen, dem Eigenkonzept der indigenen Völker. Rodolfo Stavenhagen erklärt in seinem Artikel über die Rechte der Indigenen, dass Landrechte weltweit eine zentrale Angelegenheit für indigene Völker darstelle, da der Boden mit ihrer Identität verbunden ist. Landrechte stehen im Zentrum vieler Konflikte mit 99 Vgl. Weltbank (2009), Management’s comments, S. 1, Online-Version. 100 101 102 Vgl. Stavenhagen (2005), Global Insights - The rights of indigeneous peoples, S. 8, Online-Version. Vgl. Keck/Sikkink (1998), Activists beyond borders, S. 9-10. Stavenhagen (2005), Global Insights - The rights of indigeneous peoples, S. 2, Online-Version. 27 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala indigenen Bevölkerungen. R. Stavenhagen sieht den Grund der vielen Landkonflikte vor allem auch als Resultat der Globalisierung, da neoliberale Entwicklungspolitiken viele Indigene von ihrem Land vertrieben, anstatt ihnen zu helfen, ihre lokale Wirtschaft zu stärken. Oft wären die indigenen Wirtschaftsformen zwar durch das Gesetz geschützt, doch starke ökonomische Interessen wandeln gemeinsamen Landbesitz in individuelles Eigentum oder unternehmerisches Eigentum um. In Kanada und Skandinavien erhielten die Indigenen finanzielle Entgeltung, in vielen Ländern in Lateinamerika jedoch müssen sie für sich selbst aufkommen und emigrieren oft um der Armut entgehen zu können.103 Die für die Industrie notwendigen Rohstoffe kommen oft in ruralen Gebieten vor, in denen indigene Völker von ihrer Subsistenzwirtschaft leben und durch die Gewinnung von Rohstoffen und damit verbundene Ansiedlung von Megaprojekten wie Minen bedroht werden. Auch die zur Entwicklung der Wirtschaft benötigte Energie betrifft oft ländliche, indigene Bevölkerungsteile mit dem Bau von Stauseen und Wasserkraftwerken. R. Stavenhagen meint zu diesen Entwicklungen: „Indigenous Peopels are the most recent victims of global ‚development aggression’.“104 Indigene Gebiete fallen daher immer mehr Transnationalen Unternehmen „zum Opfer“105. Viele multinationale Unternehmen entdecken das kommerzielle Potenzial hinter dem traditionellen Wissen und Reichtum der indigenen Lebenswelt, beispielsweise über die medizinische Wirkung von Pflanzen. Rodolfo Stavenhagen spricht von einem weltweiten Wettlauf, der begonnen hat, das Erbe der indigenen Völker zu patentieren, privatisieren und sich so zu eigen zu machen.106 Oft ist diesen Investitionsprojekten aber die indigene Bevölkerung im Weg und es kommt zu Entwurzelung und Vertreibung. Rodolfo Stavenhagen bezeichnet die von diesen Entwicklungen betroffenen Indigenen „development refugees“107. Er schätzt die eigene soziale und kulturelle Eigenheit dieser Völker als schwer bedroht ein, wenn diese Tendenzen in Zukunft weiter zunehmen. Rodolfo Stavenhagen erwähnt in seinem Artikel zu indigenen Rechten, dass die lokale Art und Weise zu regieren, durch die Kolonialherren und im Zuge der Entwicklungen, zu einem modernen Staat angepasst wurde, um den Interessen und Bedürfnissen des Staates zu dienen. Diese oft unfreiwillige Einverleibung der indigenen Bevölkerung in die staatlichen Strukturen, führte oft zu Konflikten. Indigene Organisationen versuchen das Recht auf eine 103 104 105 106 107 Vgl. Stavenhagen (2005), Global Insights - The rights of indigeneous peoples, S. 2, Online-Version. Stavenhagen (2005), Global Insights - The rights of indigeneous peoples, S. 2, Online-Version Stavenhagen (2005), Global Insights - The rights of indigeneous peoples, S. 2, Online-Version. Vgl. Stavenhagen (2005), Global Insights - The rights of indigeneous peoples, S. 3, Online-Version. Stavenhagen (2005), Global Insights - The rights of indigeneous peoples, S. 3, Online-Version. 28 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala lokale oder regionale Selbstherrschaft wiederzuerlangen.108 Indigene Organisationen fordern daher vermehrt das Recht auf politische Repräsentation ein, das nicht immer mit der vorherrschenden politischen Struktur übereinstimmt.109 Dies trifft auch für Guatemala zu, wo in den letzten Jahren indigene Organisationen wie Pilze aus dem Boden schossen. Die weltweit verteilten indigenen Vereinigungen würden mit vielen Stimmen sprechen, doch ihr gemeinsames Ziel und Streben für die Menschenrechte führe zu einer erstaunlichen Übereinkunft meint Rodolfo Stavenhagen.110 Die Konvention 169 der internationalen Arbeitsorganisation, die nebst Guatemala (1996) nur von 17 weiteren Ländern ratifiziert wurde111, fordert Staaten auf, indigenes Land zu respektieren und verkündet das Recht indigener Völker, über ihre natürlichen Ressourcen selbst zu bestimmen. Die Konvention112 besagt unter anderem auch, dass indigene Völker konsultiert werden müssen bevor eine Entwicklung auf ihrem Land vorgenommen wird und am Entwicklungsprozess partizipieren können.113 Auf die Verletzung dieser Konvention wird von Megaprojekt-Gegnern in Guatemala immer wieder hingewiesen und dient als Gesetzesfundament des Widerstandes. 2.4 Bürgerkrieg und Friedensprozess in Guatemala – historischer Rückblick Die historische Komponente in Guatemalas Konfliktkontext von Megaprojekten ist nicht zu vernachlässigen, da ein Rückblick in die jüngere, gewaltgeladene Vergangenheit Aufschluss über aktuelle Konfliktgeladenheit und Konfliktmuster gibt. Ab 1944 erlebte Guatemala unter Präsident Arévalo (1944 bis 1949) und Jacobo Arbenz Guzmán114 ein demokratisches Jahrzehnt.115 Unter anderem wurde auch das Gesetz der Agrarreform genehmigt. Zu dieser Zeit besassen rund 2 % aller Großgrundbesitzer ca. 70 % des landwirtschaftlich nutzbaren Landes. Die umfangreiche Landreform hatte zur Folge, dass man begann, den Boden unter der Bauernbevölkerung aufzuteilen. Grosse Teile des Bodens gehörten Nordamerikanischen Unternehmen. Diese wurden durch die Umsetzung der Agrarreform enteignet, was zu einem Konflikt führte. 1954 wurde der guatemaltekische 108 109 110 111 112 113 Vgl. Stavenhagen (2005), Global Insights - The rights of indigeneous peoples, S. 7, Online-Version. Vgl. Stavenhagen (2005), Global Insights - The rights of indigeneous peoples, S. 7, Online-Version. Vgl. Stavenhagen (2005), Global Insights - The rights of indigeneous peoples, S. 7, Online-Version. Vgl. International Finance Corporation (2007), ILO Convention 169, S. 2, Online-Version. Vgl. ILO, C169 Indigenous and Tribal Peoples Convention, Online-Version. Vgl. International Finance Corporation (2007), ILO Convention 169, S. 2, Online-Version. 114 Jacobo Arbenz Guzmán war früherer Verteidigungsminister und wurde 1950 verfassungsgemäss für eine sechsjährige Präsidentschaftslegislatur gewählt (vgl. Immerman (1980), Guatemala as Cold War History, S. 633). 115 Der Diktators Jorge Ubico war von 1931–1944 an der Macht und wurde 1944 im Zug de der Oktoberrevolution gestürzt. 29 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Präsident Jacobo Arbenz Guzmán mit der Unterstützung des FBI116 und CIA117 gestürzt, da die USA in der Politik der Guatemaltekischen Regierung eine kommunistische Aggression sah.118 Auf den Regierungssturz von Jacobo Arbenz Guzmán folgte eine von den USA eingesetzte Militärregierung. Der Grund und Auslöser des Bürgerkrieges in Guatemala ist daher im Kontext des Kalten Krieges einzubetten, als die Polarisierung zwischen Kapitalismus und Kommunismus das Weltgeschehen beeinflusste. Am 13. November 1960 erhob sich ein Teil des Militärs um Wahlen für eine Zivilregierung einzuberufen, die nicht von den USA beeinflusst war. Der Aufstand missglückte und die Überlebenden Aufständischen zogen sich in die Berge zurück um mit der Unterstützung des Volkes einen allgemeine Aufstand zu organisieren. So entstanden die GuerillaBewegungen.119 Von 1960 an wütete in Guatemala während sechsunddreissig Jahren ein Bürgerkrieg. Mit der Hilfe der USA wurde ein Plan gegen den Aufstand umgesetzt, indem systematische Terrorinstrumente und eine soziale Kontrolle aufgebaut wurden. Das hatte zur Folge, dass diejenigen, die nicht schwiegen für das Militär als Guerilleros galten und verschwanden. Die blutigste und gewalttätigste Phase war von 1978 bis 1985.120 Die guatemaltekische Armee verübte gegen die indigene Maya-Bevölkerung einen Genozid121, bei dem rund 200'000 Menschen getötet wurden, da sie diese als Verbündete der Guerilla identifizierten.122 Die Massaker, Taktik der verbrannten Erde123, Verschwinden lassen, Exekutionen von Maya Autoritäten, und spirituellen Führern zeugen laut CEH von der Absicht, diejenigen kulturellen Werte zu zerstören, die einen Zusammenhalt und gemeinsame Aktionen in Maya-Gemeinden ermöglichen.124 1986 wurde wieder demokratisch eine Zivilregierung gewählt, denn die Militärregierung wollte ihr Bild gegen aussen verbessern um internationale Unterstützung zu erhalten. 1990 116 FBI: Federal Bureau of Investigation („Bundesamt für Ermittlung“) ist die bundespolizeiliche Ermittlungsbehörde des Justizministeriums der Vereinigten Staaten. 117 118 119 120 CIA: Central Intelligence Agency (deutsch: „Zentraler Nachrichtendienst“), ist der Auslandsnachrichtendienst der Vereinigten Staaten. Vgl. Immerman (1980), Guatemala as Cold War History, S. 637-649. Vgl. PWS, México y Guatemala, S. 27. Vgl. CEH (1999), Guatemala – Memory of Silence“, S. 22, Online-Version. 121 1999 reichten die Nobelpreisträgerin Rigoberta Menchu und andere beim spanischen Gericht eine Klage gegen die verantwortlichen Militärs vor wegen Genozid, Folter, Terror, Massenexekutionen und unrechtmässige Inhaftierung der indigenen Maya-Bevölkerung zwischen 1970 und 1980 vor (vgl. Roht-Arriaza (2006), Guatemala Genocide Case, S. 207). 122 Vgl. CEH (1999), Guatemala – Memory of Silence, S. 17, 23, Online-Version. 123 Taktik der verbrannten Erde: bezeichnet eine seit 1907 völkerrechtswidrige Kriegstaktik, bei der eine Armee auf dem Vormarsch oder auf dem Rückzug vor dem Feind alles zerstört, was dem Gegner in irgendeiner Weise nützen könnte, ihm also die Lebensgrundlage entzieht. Diese Taktik der guatemaltekischen Armee war eine Möglichkeit, den Gegner (Guerilla) auf Kosten der Bevölkerung zu besiegen. Diese Taktik hat schwerwiegendere Auswirkungen als Hungersnöte. 124 Vgl. CEH (1999), Guatemala – Memory of Silence“, S. 23, Online-Version. 30 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala setzte der offizielle Friedensprozess in Oslo zwischen der Guerilla (URNG125) und der nationalen Versöhnungskommission (Comisión nacional de reconciliación) ein. Die Verhandlungen im Friedensprozess, welche unter der Schirmherrschaft der UNO126 durchgeführt wurden, dauerten insgesamt 6 Jahre und endeten 1996 mit der Unterzeichnung der Friedensabkommen zwischen der guatemaltekischen Regierung und der URNG. Laut Bernardo Arévalo de León127 weisen die Friedensverhandlungen im Falle Guatemalas etwas Spezielles auf: Im Gegensatz zu anderen Friedensverhandlungen ging es in Guatemala nicht nur um Vereinbarungen zu Waffenstillstand, Demobilisierung und politische Reintegration, sie deckten eine ambitionierte Agenda ab, die auf eine soziopolitische Transformation abzielte.128 Ein wichtiger Schritt während den Friedensverhandlungen und in der Aufarbeitung der Kriegsvergangenheit war die Gründung der "Guatemalan Historical Clarification Commission“ (CEH129) von 1994.130 Ein 1994 abgeschlossenes Friedensabkommen war „the Comprehensive Agreement on Human Rights“131, worauf die UNO-Generalversammlung im September 1994 „the United Nations Mission for the Verification of Human Rights and of Compliance with the Commitments of the Comprehensive Agreement on Human Rights in Guatemala (MINUGUA)“132 mit folgendem Mandat etablierte: „MINUGUA carried out verification and institution-building activities throughout the country. More than 250 human rights monitors, legal experts, indigenous specialists and police were posted throughout Guatemala, including in its remotest areas. Their presence and verification activities have focused public attention on human rights and the related problem of impunity, reinforcing the declining trend in political violence.“133 Als 1996 der definitive Waffenstillstand zwischen der Guerilla (URNG) und der guatemaltekischen Regierung unterschrieben wurde, entschied der UNO-Sicherheitsrat 1997: 125 126 URNG: Unidad Revolucionaria Nacional Guatemalteca. 1982 haben sich vier Guerilla-Gruppen zur URNG zusammengeschlossen. Vgl. UNO, Guatemala - MINUGUA, Background, Online-Version. 127 Dr. Bernardo Arévalo de León is a Guatemalan diplomat and social scientist. Since 2005, he is serving as the Director of the UNDP / Interpeace Joint Program Unit for Participatory Strategies for Peace building and Development, a unit that supports the UN in the use of research-based dialogue strategies for consolidation of peace and the prevention of conflict (vgl. http://www.7isf.ethz.ch/program/topicspeakers/bernardo_arevalo_de_leon.cfm). 128 Vgl. Arévalo de León (2007), A Twister Path to Reconciliation?, S. 14. 129 CEH: Comisión para el Esclarecimiento Histórico; war Guatemalas Wahrheits- und Versöhnungskommission und veröffentlichte 1999 den Bericht „Memoria del Silencio“. 130 131 132 133 Vgl. Arévalo de León (2007), A Twister Path to Reconciliation?, S. 14. UNO, Guatemala - MINUGUA, Background, Online-Version. UNO, Guatemala - MINUGUA, Background, Online-Version. UNO, Guatemala - MINUGUA, Background, Online-Version. 31 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala „(...) to attach to MINUGUA a group of 155 military observers and requisite medical personnel for a three-month period. Although the expanded mission continued to be known as MINUGUA, its official name was changed to the United Nations Verification Mission in Guatemala in order to reflect the new mandate. The functions of the observer group were to verify compliance by the Government of Guatemala and URNG with the Agreement on the Definitive Ceasefire, including the formal cessation of hostilities, the separation and concentration of the respective forces and disarmament and demobilization of former URNG combatants.“134 Die Wunden des Bürgerkrieges in der Gesellschaft Guatemalas sind bis heute nicht verheilt und werden gerade bei Megaprojektkonflikten wieder aufgerissen. Auf das Erbe des Bürgerkrieges wird im folgenden Kapitel eingegangen. 2.5 Die Fragilität des Staates Guatemala Im Kontext dieser Arbeit ist der Umstand von Bedeutung, dass die im vorhergehenden Kapitel aufgezeigten Entwicklungen aus der Kolonialzeit und der Bürgerkriegszeit in der Gegenwart weiterwirken und damit Erklärungsgrundlagen bilden, um die sozialen, ökonomischen und politischen Verhältnisse im Kontext von Megaprojekten im heutigen Guatemala erklären zu können. Von diesen Strukturen sind die Menschenrechtsaktivisten im Kontext von Megaprojekten wie auch die Menschenrechtsbegleiter/-beobachter betroffen, weil diese Strukturen das Konfliktpotenzial im Kontext von Megaprojekten erhöhen können. In diesem Kapitel wird Bezug genommen auf die zu Beginn der Arbeit erwähnten theoretischen Ausführungen der BICC-Forscher, die als Faktor für eine konfliktive Konstellation bei Megaprojekten einen fragilen Staat angeben. In der Folge soll die Fragilität des guatemaltekischen Staates analysiert werden. Als theoretische Basis dient das Konzept der „Good Governance“135, das unter einer guten Regierungsführung prinzipiell eine rechtsstaatliche, effiziente Staatsführung und Verwaltungspraxis unter zivilgesellschaftlicher Mitwirkung versteht. Es gelten die Prinzipien der Transparenz, Partizipation und Verantwortlichkeit. Eine erfolgreiche Governance wird auch durch eine mangelnde Trennung von privatem und öffentlichem Sektor, durch ein unzuverlässiges Rechtssystem, willkürliche Entscheidungen, Korruption, Misswirtschaft und Schröpfung des Staates durch die Eliten (wenn sie sich Einnahmen ohne adäquate Leistung verschaffen), verhindert. 136 134 UNO, Guatemala - MINUGUA, Background, Online-Version. 135 Good Governance: Im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit wurde der Begriff 1992 durch die Weltbank eingeführt. Laut Weltbank sind Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte die Kernindikatoren für die Qualität guter Regierungsführung. 136 Vgl. Hamm, Good Governance und Menschenrechte, S. 226-229. 32 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Viele Indizien aus unterschiedlichen Quellen weisen auf die Fragilität des Staates Guatemala hin und lassen eine schlechte Regierungsführung vermuten. Laut der amerikanische NGO „Fund for Peace“, die nach bestimmten Indikatoren die Fragilität eines Staates misst, nimmt Guatemala 2009 auf der Rangliste des „failed States Index“ Platz 75 von 177 Ländern mit knapp 81 Punkten ein. Der schlechteste Platz (Platz 1) besetzt Somalia mit 114 Punkten und der beste Platz nimmt Norwegen mit 18,3 Punkten ein. Guatemala fällt damit von vier Stufen (alert, warning, moderate, sustainable) in die zweite Stufe „warnend“. Diese Einordnung entsteht durch die Messung sozialer, ökonomischer und politischer/militärischer Faktoren. 2.5.1 Schwacher Rechtsstaat und Straflosigkeit Die bereits erwähnte historische Komponente ist der Grund für einen langen und fortdauernden Gerechtigkeitsprozess für die Bürgerkriegsopfer. Dies betonte auch der guatemaltekische Diplomat und Sozialwissenschaftler Bernardo Arévalo de León bezeichnenderweise mit dem Satz „The fight for justice still goes on“137 in einem Konferenzdokument von Swisspeace138. Tatsache ist, dass die Mehrheit der Anklagen gegen die Täter der Verbrechen während des Bürgerkrieges fehl schlugen; dies fast fünfzehn Jahre nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen.139 Fakt ist: die Straflosigkeit ist heute noch Realität und ein sehr verbreitetes Phänomen in Guatemala. Als Gründe für diesen schwachen Rechtsstaat und die Straflosigkeit werden in der Literatur das dysfunktionale System der Justizadministration,140 das strukturell bedingte Problem des Rechtssystems, Ineffizienz und/oder Absicht (fehlender politischer Wille die Probleme anzugehen und nach Lösungen zu suchen) der juristischen Organe141, der beschädigte Hauptmotor für Gesetzesreformen und schwache Institutionen genannt.142 Die Auswirkungen dieses schwachen Systems und der Straflosigkeit betreffen heute auch den Durchschnittsbürger143 und die sozialen Konflikte verschlimmern sich, da repressive Handlungen des Staates geschützt werden. 2007 gab es zur Bekämpfung der Straflosigkeit 137 Arévalo de León (2007), A Twister Path to Reconciliation?, S. 16. 138 Swisspeace wurde 1988 als Swiss Peace Stiftung gegründet mit dem Ziel einer unabhängigen Friedensforschung in der Schweiz gegründet und ist heute ein praxisorientiertes Firedensforschungsinstitut (siehe http://www.swisspeace.ch). 139 140 141 142 143 Vgl. Arévalo de León (2007), A Twister Path to Reconciliation?, S. 15. Vgl. Arévalo de León (2007), A Twister Path to Reconciliation?, S. 15-16. Vgl. Mack, Helen (2003), Impunidad y Denegación de Justicia en Guatemala, Online-Version, S. 1. Vgl. Mack, Helen (2003), Impunidad y Denegación de Justicia en Guatemala, Online-Version, S. 2, 8. Vgl. Mack, Helen (2003), Impunidad y Denegación de Justicia en Guatemala, Online-Version, S. 8. 33 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala einen Lichtblick mit der in Kraft Tretung der CICIG144 (International Commission against Impunity in Guatemala). Die Inter-Amerikanische Entwicklungsbank kommentiert dies in einer Evaluationsanalyse zum Land so: „Establishment of the International Commission against Impunity in Guatemala (CICIG) in 2007 was a bold step by the government to combat these worrying trends and an acknowledgement of their gravity to the international community.“145 Viele internationale wie lokale Akteure sehen in der CICIG ein wertvolles Instrument, die Straflosigkeit zu bekämpfen.146 2.5.2 Illegale Gruppierungen einer „verborgenen“ Macht Die Stiftung Myrna Mack schrieb 2006 in einem Bericht147 zur instabilen Situation in Guatemala, von einer Regierungskrise, die auch auf die Umwandlung der antiaufständischen Strukturen (wie die Ex-PAC, El Sindicato148, La Cofradia149, Estado Mayor Presidencial – EMP150) in verborgene Gruppen zurückzuführen ist, die politische Gewalt ausüben und damit regelmässig dem organisierten Verbrechen dienen.151 In Zeiten nach dem Krieg haben sich diese Gruppen, die während dem Krieg dem Staat dienten, zu einem starken Netz parallel zum Staat umgewandelt und sind im Staatssystem eingebettet. Kimberly Inksater, Direktorin der Organisation „Just Governance Group“ erläuterte 2007 zum Kontext Guatemalas, dass diese illegalen Gruppen nicht selbständig handeln, sondern im Auftrag einer „versteckten Macht“ (hidden power) agieren, indem sie staatliche Abläufe und Bürokratie manipulieren, bestechen, Zölle umgehen, Schmiergelder erpressen, damit die Zugehörigen dieser „versteckten Macht“ ihre Privilegien behalten können.152 Hinter dieser „versteckten Macht“ werden Mitglieder153 144 CICIG: „On December 12, 2006, the United Nations and the Guatemalan government signed an agreement to establish an independent International Commission against Impunity in Guatemala (CICIG). The mandate of CICIG is to investigate and promote the prosecution of illegal security organizations. These powerful clandestine groups are allegedly responsible for frequent attacks against human rights defenders, as well as involved in corruption, organized crime, drug trafficking and political violence. On May 8, 2007, the Guatemalan Constitutional Court held that the agreement to establish CICIG was constitutional.“ (Human Rights First, International Commission against Impunity (CICIG), Online-Version). 145 146 147 IDB, Country Program Evaluation 2009, Executive Summary, Online-Version. Vgl. Peacock/Beltrán (2003), Hidden Powers, S. 72. Vgl. Fundación Myrna Mack (2006), Crisis de gobernabilidad, Online-Version. 148 El sindicato: Führer dieser Gruppe ist Otto Perez Molina, einer der Präsidentschaftsanwertern der Wahlen 2007 und unter Verdacht Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. 149 La Cofradia ist eine Militärverbindung mit Verbindungen zur Frente Republicano Guatemala (FRG), die vom angeklagten General Rios Montt geführt wurde. 150 Estado Mayor Presidencial: Für den Geheimdienst und die Sicherheit Präsidenten zuständig. War in schwere Menschenrechtverbrechen involviert und wurde 2000 aufgelöst. 151 152 Vgl. Fundación Myrna Mack (2006), Crisis de gobernabilidad, S. 1, Online-Version. Vgl. Inksater, Guatemala Country Context, S. 3-4, Online-Version. 153 Zu diesen Mitgliedern zählen Peacock/Beltrán private Bürger, ehemalige Militärs und Regierungsbeamte (vgl. Peacock/Beltrán (2003), Hidden Powers, S. 5). 34 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala einer miteinander verbundenen, aber gestaltlosen und geheimen Gruppe mächtiger Guatemalteken vermutet.154 Dieses Netzwerk der „versteckten Mächte“ hat Beziehungen zu politischen Parteien und Akteuren Guatemalas und schützen sich so durch politische Beziehungen, Korruption, Einschüchterungen und Gewalt vor Anklagen. Es kann davon ausgegangen werden, dass auch Megaprojekte von diesen Mächten beeinflusst oder gesteuert werden.155 Diese illegalen Aktivitäten führen zu einer sich selbst erhaltenden und abwärtsgerichteten Gewaltspirale, die Guatemalas Demokratiebestrebungen und Rechtsstaat aufs Spiel setzt.156 Um die Sicherheit der Bürger besser gewährleisten zu können, kam es von Seiten der Regierung in den letzten Jahren zu einer so genannten Remilitarisierung im ganzen Land, da die Nationale Polizei (Policía Nacional Civil – PNC) die Sicherheit der Bürger nicht mehr gewährleistet.157 Die amerikanische Friedensstiftung „Fund for Peace“ bestätigt diese Tendenz und weist darauf hin, dass 1996 mit den Friedenabkommen die Rolle des Militärs nur auf externe Angelegenheiten vorgesehen wurde.158 Das Militär wird auch immer wieder bei Konflikten mit Megaprojekten eingesetzt, was regelmässig zu gewaltvollen Konfrontationen zwischen Zivilbevölkerung und Armee führt. Zwischen Ende 2004 und Anfang 2005 kam es beim Transport eines Zylinders für die Mine Marlin zu einer solchen Konfrontation, als die Regierung 1500 Polizisten und 300 Soldaten an den Konfliktort sandte, wo Zivilisten den Durchgang für den Transporter blockierten.159 2008 kam es auch im Zusammenhang mit dem geplanten Bau einer Zementfabrik zu Militäreinsätzen, wobei die Regierung sogar den Notstand ausrief. 2.5.3 Korruption und fehlende Transparenz Laut Transparancy International (TI) ist Korruption „the misuse of entrusted power for private gain“.160 In Lateinamerika sind die korruptesten Sektoren die politischen Parteien, gefolgt vom Parlament/Gesetzgebung, der Polizei und dem Rechtssystem/Justiz.161 Während es in den 70er 154 155 156 157 158 159 160 161 Vgl. Peacock/Beltrán (2003), Hidden Powers, S. 1. Vgl. Peacock/Beltrán (2003), Hidden Powers, S. 1. Vgl. Peacock/Beltrán (2003), Hidden Powers, S. 1. Vgl. IDB, Country Program Evaluation 2009, S. 9, Online-Version. Vgl. Peace Fund (2009), Political/Military Indicators, S. 2, Online-Version. Vgl. Peace Brigades International, Metal Mining and Human Rights in Guatemala, S. 13, Online-Version. Vgl. Transparancy International, Frequently asked questions about corruption, Online-Version. Vgl. Transparancy International, Korruptionsbarometer 2005, S. 8, Online-Version. 35 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala und 80er Jahre noch weit verbreitet war, Korruption als System stabilisierend einzustufen, wird sie heute vermehrt verurteilt: Die UNO rief 2003 eine Konvention (UN Convention against Corruption, UNCAC) zur Korruptionsbekämpfung ins Leben, die 2005 in Kraft trat.162 Die Inter-American Development Bank (IDB) notierte in ihrer Landesstrategie von 20042007 zu Guatemala Elemente, die das Geschäftsklima des Landes negativ beeinflussen, darin aufgeführt werden ein tiefes Niveau an Bürgersicherheit, hohes Niveau an Informalität bei ökonomischen Aktivitäten, schwache öffentliche Dienstleistungsinfrastruktur, Regierungsprobleme mit niedriger Effizienz öffentlicher Institutionen und Korruption.163 Guatemala stand 2008 bei Transparency International „Corruption Perceptions Index“ auf dem 96ten Platz von 180 Ländern.164 Dies ist zwar eine kleine Verbesserung zu 2006, als Guatemala den 111ten Platz von 163 untersuchten Ländern besetzte, doch immer noch bedenklich.165 Korruption und fehlende Transparenz sind in der öffentlichen Administration weit verbreitet. Gründe dafür werden in kriminellen und illegalen Einflüssen, wie auch in der Abwesenheit notwendiger Ressourcen gesehen.166 Auch die Nationale Polizei (PNC) ist stark von Korruption betroffen und dadurch in ihrer Funktion stark beeinträchtigt.167 Die in diesem Kapitel aufgeführten Indizien für einen fragilen Staat lassen schlussfolgern, dass die Beziehungen im sozialen Netz stark beeinträchtigt werden, indem ein grosser Mangel an Vertrauen entsteht. Bei der Suche nach einem Dialog, Verhandlungen, Konsens und einer gemeinsamen politischen Agenda (gerade in Bezug auf die Wirtschaftsentwicklung des Landes) zwischen verschiedenen zivilgesellschaftlichen Akteuren, der politischen, sozialen, ökonomischen Elite und staatlichen Institutionen kann sich der Vertrauensmangel als Hindernis herausstellen und birgt ein Konfliktpotenzial. Das Konfliktpotenzial im Kontext von Megaprojekten beinhaltet, dass sich Staatsbeamte von transnationalen Unternehmen bestechen lassen (würden).168 Andererseits besteht auch die Gefahr, dass die Einnahmen von Megaprojekten nicht wie vorgesehen zum Wohle der Bevölkerung eingesetzt, sondern für private Interessen (der Oligarchie) verwendet werden. 162 163 164 165 166 Vgl. Hamm (2006), Good Governance und Menschenrechte, S. 229. Vgl. IDB, Country Strategy 2004, S. 5, Online-Version. Vgl. Transparency International, Corruption Perceptions Index 2008, Online-Version. Vgl. Transparency International, Corruption Perceptions Index 2006, Online-Version. Vgl. Inksater (2007), Guatemala Country Context, S. 4. 167 Vgl. Peace Fund (2009), Political/Military Indicators, S. 2, Online-Version; vgl. Fundación Myrna Mack (2006), Crisis de gobernabilidad, S. 4, Online-Version. 168 Siehe Anhang A.7: Globale Statistik zu Bestechung, S. 131. 36 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Die Analyse in diesem Kapitel lässt weiter die Schlussfolgerung zu, dass sich Guatemala in der so genannten „Bad Governance Falle“ befindet. Diese Situation Guatemalas hat Auswirkungen auf die Menschenrechtssituation, in deren Kontext sich die internationale Begleitarbeit bewegt. Die Deutsche Politikwissenschaftlerin Brigitte Hamm169 führt in einem Artikel über Good Governance und Menschenrechte aus, dass Good Governance auch von der Leistungsfähigkeit staatlicher Institutionen abhänge, die wiederum Voraussetzung für die Verwirklichung der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte ist. Die Fragilität Guatemalas lässt folgern, dass die Leistungsfähigkeit des guatemaltekischen Staates, trotz Demokratiestatus seit 1968, nicht vorausgesetzt werden kann und damit seinen menschenrechtlichen Pflichten nicht nachkommt. Auch die erwähnte Korruption führt laut Brigitte Hamm zu Menschenrechtsverletzungen, weil durch Korruption staatliche Aufgaben nicht angemessen erfüllt werden können. Davon betroffen seien vor allem benachteiligte Bevölkerungsgruppen, wie indigene Völker, was im Falle Guatemalas zutrifft, wie im folgenden Kapitel aufgezeigt wird.170 2.6 Indigene Bevölkerung in Guatemala Die Situation der indigenen Bevölkerung, die im Konfliktkontext von Megaprojekten eine Schlüsselrolle spielt, wird in diesem Kapitel für den Fall Guatemala genauer analysiert, um den Konflikthintergrund und das Konfliktpotenzial erklären zu können. 2.6.1 Armut Indigene Völker gehören weltweit zu den ärmsten Gesellschaftsschichten und ihr Niveau an Lebensqualität ist in vielerlei Hinsicht unterhalb des Standards.171 So auch in Guatemala, wo heute 77% der indigenen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben.172 2006 war die Armut bei der indigenen Bevölkerung mit 27% im Bereich der extremen Armut dreimal höher als bei der nicht-indigenen Bevölkerung.173 Die grosse Ungleichheit von Wohlstand und Reichtum in Guatemala zeichnet sich wie erwähnt vor allem auch im Landbesitz/in der Landwirtschaft und im Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen ab. Fast 500'000 169 Dr. sc. pol. Brigitte Hamm ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet internationale Beziehungen/Außen- und Entwicklungspolitik an der Universität Duisburg/Essen und am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) tätig. 170 171 172 173 Vgl. Hamm (2006), Good Governance und Menschenrechte, S. 225. Vgl. Stavenhagen, Global Insights - The rights of indigeneous peoples, S. 7, Online-Version. Vgl. Peace Fund (2009), Economic Indicators, S. 1, Online-Version. Vgl. INE, Encuesta Nacional de Condiciones de Vida 2006, Online-Version. 37 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Bauernfamilien leben heute unterhalb der Existenzgrenze.174 Laut der Weltbank-Publikation zur Evaluation der Armut in Guatemala von 2008, genannt GUAPA (Guatemala Poverty Assessment), bleibt das Armutsniveau besorgniserregend und die Armutsrate ist eine der höchsten Lateinamerikas.175 Der Prozentsatz an Menschen, die in Armut leben, ist zwar 2006 laut dem ENCOVI (Encuesta Nacional de Condiciones de Vida) des Nationalen Statistikinstitut Guatemalas (INE) von 57% auf 52% gefallen, doch der Indikator für die extreme Armut blieb unverändert bei 15%.176 Fast 25% der Guatemaltekischen Bevölkerung (3,1 Millionen) haben keinen Wasseranschluss im Haus. Fast 50% (6.5 Millionen) haben kein genügendes Abwassersystem. Die Defizite bei ländlichen Strassen und deren schwache Unterhaltung bedeuten, dass 13% der Haushalte keinen permanenten Zugang zu passablen Strassen haben.177 2007 hatten 85% der Haushalte Elektrizität.178 Im internationalen Vergleich ist Guatemala eines der Länder mit einem der höchsten Index an ungleicher Verteilung und nimmt von 126 Ländern Rang 13 ein laut dem Gini Koeffizienten179.180 Die ärmsten 10% der Bevölkerung Guatemalas erhalten 0,9% der Landeseinkommen, während die 10% der Wohlhabendsten in der Bevölkerung 43,4% des Gesamteinkommens erhalten.181 Auch der von der Weltbank veröffentlichte und von „Justice Studies Center of the Americas“ (JSCA) 2007 verfasste Gerechtigkeitsbericht zu Guatemala besagt, dass das Land zu den ungerechtesten Ländern auf der Welt gehört.182 CEH schreibt dazu in ihrem Bericht: „The anti-democratic nature of the Guatemalan political tradition has its roots in an economic structure, which is marked by the concentration of productive wealth in the hands of a minority“.183 Ein Symptom dieser Armutssituation zeigt sich auch in der hohen Migrationsrate. Die Situation verschlimmerte sich mit der weltweiten Wirtschaftskrise. 2008 wurden 28'000184 Guatemalteken, die illegal in den USA arbeiteten, zurück nach Guatemala deportiert. Viele fanden wegen der Krise auch in Mexiko keinen Job mehr. Damit fallen für viele Familien in Guatemala die überlebenswichtigen Einkünfte („remesas“) weg, die sie von ihren im Ausland 174 175 176 177 178 Vgl. Samayoa (2008), Nadie debe perder la Vida, S. 2. Vgl. IDB, Country Program Evaluation 2009, S. 3, Online-Version. Vgl. INE, Encuesta Nacional de Condiciones de Vida 2006, Online-Version. Vgl. IDB, Country Program Evaluation 2009, S. 4, Online-Version. Vgl. IDB, Country Program Evaluation 2009, S. 4, Online-Version. 179 Der Gini Koeffizient ist ein statistisches Streuungsmessinstrument und wurde 1912 vom italienischen Mathematiker Corrado Gini entwickelt wurde. Es wird häufig zur Messung ungleicher Verteilung von Einkommen und Wohlstand verwendet. 180 181 182 183 184 Vgl. IDB, Country Program Evaluation 2009, S. 5, Online-Version. Vgl. Peace Fund (2009), Economic Indicators, S. 1-2, Online-Version. Vgl. JSCA, Report of Justice (2006-2007), Online-Version. CEH (1999), Guatemala – Memory of Silence“, S. 17, Online-Version. Vgl. Prensa Libre, Deportaciones desde EE. UU., 12. Januar 2009, Online-Version. 38 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala arbeitenden Angehörigen erhielten.185 Diese Auslandüberweisungen entsprechen fast zwei Dritteln der Exporteinnahmen.186 Diese Zahlen machen klar, dass eine Entwicklung für die Verbesserung der Lebenslage dieser indigenen Bevölkerungsteile dringend notwendig ist. 2.6.2 Soziale und politische Exklusion Armut und sozialer wie politischer Exklusion stehen in einer Wechselwirkung. In ihrer Landesstrategie zu Guatemala beschrieb die Inter-American Development Bank 2004 den sozialen Kontext Guatemalas wie folgt: „In the social context, high poverty levels based on social exclusion, which particularly affect the indigenous and rural population, go hand-inhand with extreme inequality.“187 Die Friedensabkommen enthielten Elemente, welche innerhalb eines sozialen und politischen Transformationsprozesses das Land befähigen sollten diese sozialen wie politischen Ausgrenzungsmechanismen grosser Bevölkerungsteile (mehrheitlich indigen) zu verändern. Guatemala komme laut Bernardo Arévalo de León zwar nur langsam mit dem sozialen und politischen Transformationsprozess voran, doch Transformation sei vorhanden, wenn man bedenke, dass demokratische Wahlen etabliert wurden (wenn auch beschränkt) und das Land den Bürgerkrieg hinter sich liess. Das Erbe des autoritären Regierungssystems zieht sich aber immer noch durch kulturelle, soziale und politische Strukturen, die den Prozess zu einer friedlichen und gerechten Gesellschaft erschweren.188 Aus der Evaluationsanalyse des OVE der Inter-Amerikanischen Entwicklungsbank (IDB)geht hervor, dass die Mehrheit der Bevölkerung weiterhin in sozialer, ökonomischer, rechtlicher und politischer Hinsicht ausgeschlossen ist.189 Freedom House190, eine amerikanische Forschungseinrichtung, stufte Guatemala 2009 als „teilweise frei“ ein.191 Mit den Friedensabkommen 1996 verbesserten sich die zivilen und politischen 185 186 187 188 189 Vgl. Fundación Myrna Mack (2006), Crisis de gobernabilidad, S. 5, Online-Version. Vgl. Peace Fund (2009), Economic Indicators, S. 2, Online-Version. Vgl. IDB, Country Strategy 2004, Executive-Summary, Online-Version. Vgl. Arévalo de León (2007), A Twister Path to Reconciliation?, S. 20. Vgl. IDB, Country Program Evaluation 2009, S. 8-9, Online-Version. 190 Freedom House verfolgt das Ziel, das Konzept der liberalen Demokratie weltweit zu fördern. In den jährlichen Berichten ist der Grad an demokratischer Freiheit eines Landes dargestellt, indem der Stand der bürgerlichen und politischen Rechte gemessen wird. Die Messung von Freiheit basiert auf den Menschenrechten (politische und zivile Rechte). Die Messkategorien beinhalten: „political rights and civil liberties. Political rights enable people to participate freely in the political process, including the right to vote freely for distinct alternatives in legitimate elections, compete for public office, join political parties and organizations, and elect representatives who have a decisive impact on public policies and are accountable to the electorate. Civil liberties allow for the freedoms of expression and belief, associational and organizational rights, rule of law, and personal autonomy without interference from the state“ (Freedom House, Methodology, OnlineVersion). 191 Vgl. Freedom House (2009), Country Report Guatemala, Online-Version. 39 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Rechte. Während die zivilen Rechte stabil blieben, sanken die politischen Rechte ab 2001 auf das Niveau der zivilen Rechte.192 In der Literatur zur Entwicklungszusammenarbeit wird von einer Wechselwirkung zwischen Demokratie und Menschenrechten ausgegangen, wobei demokratische Verhältnisse, wie Partizipation, eine Voraussetzung für die Menschenrechte sind und deren Verwirklichung ein grundlegender Bestandteil von Demokratie bilden.193 Carlos Martín Beristain, ein spanischer Physiker und Psychologe, erklärt in einem Artikel, dass in Guatemala ein politischer Mechanismus, durch welchen die indigene Bevölkerung ausserhalb politischer Parteien am politischen Prozess teilnehmen könnte, fehlt. Da das politische System von den Interessen dominierender Wirtschafts- und Politikgruppierungen gesteuert wird, dauert der ethnische Ausschluss der indigenen Menschen an.194 Wichtig ist auch die Rolle der internationalen Gemeinschaft kurz zu erwähnen, welche diese Transformationsprozesse innerhalb des Friedensabkommens bis heute finanziell, politisch und technisch beträchtlich unterstützt. Diese Unterstützung hat auch eine Kehrseite der Medaille und kann zu einer Abhängigkeit, gar zu neoimperialistischen Abhängigkeitsstrukturen führen. Die soziale und politische Exklusion basieren in Guatemala auch auf Rassismus und der Diskriminierung indigener Bevölkerungsgruppen. Guatemala ist ein mehrsprachiges und multiethnisches Land und zählte 2005 14.285.300195 Einwohner.196 Laut dem nationalen Statistikinstitut (INE) macht die indigene Maya-Bevölkerung 39% der Gesamtbevölkerung aus. Laut einer Quelle lokaler Maya-Organisationen macht der Maya-Anteil sogar 60% aus.197 Der Rassismus gegenüber Indigenen, der von den Kolonialherren „importiert“ wurde, spielte auch im Bürgerkrieg eine Rolle. Carlos Martín Beristain gibt in seinem Artikel zum Genozid an, dass 83% der Bürgerkriegsopfer Mayas waren.198 Die Regierung Guatemalas veröffentlichte einen Bericht über den Rassismus und Möglichkeiten zu dessen Bekämpfung in Guatemala. Darin wird vom Direktor des Zentrums für Humanistische Studien der Universität Rafael Landívar in Guatemala Amílcar Dávila E. aufgezeigt, dass der Rassismus den Aggressionen Sinn und Struktur gebe. Diese Aggressionen seien Teil eines Zustandes, der durch ein sozioökonomisches, politisches und kulturelle Regime entwickelt wurde und die indigene Bevölkerung unterdrücke und 192 193 194 195 Siehe Anhang A.9: Zivile und politische Rechte in Guatemala zwischen 1980-2006, S.135. Vgl. Hamm (2006), Good Governance und Menschenrechte, S. 226-229. Vgl. Beristain (2007), The Legacy of Genocide in Guatemala, S. 35. Vgl. Transparency International, Guatemala, Online-Version. 196 Das nationale Statistkinstitut (INE) zählte bei der letzten Erhebung 2002 11'237’196 Einwohner (vgl. INE, XI Censo Nacional de Población y VI de Habitación (CENSO 2002), Online-Version). 197 198 Vgl. Samayoa (2006), Front Line Guatemala, S. 35. Vgl. Beristain (2007), The Legacy of Genocide in Guatemala, S. 35. 40 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala ausschliesse. In Guatemala zeige sich der systematische Charakter des Rassismus in der sozialen Anerkennung und unterstütze damit die Diskriminierung, die vor allem aus schlechter Behandlung und Anschuldigungen bestehe.199 Der Autorin dieser Arbeit wurden bei ihren Nachforschungen alltägliche Diskriminierungssituationen erzählt. Traditionell gekleideten Menschen wird beispielsweise der Eintritt in Lokale verweigert, werden nicht bedient oder sie finden oft nur unter der Auflage, ihre traditionelle Bekleidung abzulegen, eine Arbeitsstelle. In einer post-konfliktiven Situation, insbesondere nach einem Genozid, ist eine kollektive Bewegung beobachtbar, welche die unterdrückte ethnische Identität zu fördern zielt. Die indigenen Menschen sollen sich emanzipieren und nach Kontrolle über ihr eigenes Leben streben. Gemäss dem spanischen Physiker und Psychologe Carlos Martín Beristain trifft dies in Guatemala zu.200 Die gemeinsamen Bestrebungen indigener Gruppen gegen Megaprojekte können dieser kollektiven Bewegung zugeordnet werden. 2.7 Gewalt in Guatemala Das Phänomen der Gewalt und Unterdrückung in Guatemalas Gesellschaft, insbesondere gegen die indigene Bevölkerung, weist im negativen Sinne eine traditionsreiche Vergangenheit auf. In Guatemala kann laut CEH von einer strukturellen und historischen Dimension der Gewalt gesprochen werden: „(...) the structure and nature of economic, cultural and social relations in Guatemala are marked by profound exclusion, antagonism and conflict – a reflection of its colonial history“.201 Guatemala hat im Vergleich mit anderen lateinamerikanischen Ländern mit 18 Toten pro Tausend202, den höchsten Prozentsatz an Gewalt im Bürgerkrieg erlitten. Zwei bis drei Generationen wurden massiv mit dem Tod, mit Schweigen203 und Vertreibungen konfrontiert. Die heutige Unsicherheits- und Gewaltsituation für die guatemaltekische Bevölkerung ist seit dem Ende des Bürgerkrieges komplexer geworden.204 Die Gewalt hat graduell zugenommen und deren Ursprung hat sich diversifiziert.205 Es existieren einerseits konstante Drohungen und 199 200 201 202 Vgl. Amílcar (2006), Abordajes, concepciones y acciones, S. 1042, Online-Version. Beristain (2007), The Legacy of Genocide in Guatemala, S. 36. CEH (1999), Guatemala – Memory of Silence“, S. 17, Online-Version. Vgl. Beristain (2007), The Legacy of Genocide in Guatemala, S. 34. 203 Durch den konstanten Terror und die soziale Kontrolle, entwickelte sich eine Kultur des Schweigens, da man ansonsten um sein Leebn fürchten musste. Es war unklar wem man trauen konnte und wem nicht. 204 205 Vgl. Rodríguez/García (2007), Informe estadístico de la violencia en Guatemala, S. 9, Online-Version. Vgl. IDB, Country Program Evaluation 2009, S. 8-9, Online-Version. 41 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Aggressionen von Menschen, die Angst haben, für vergangene Verbrechen während des Bürgerkrieges zur Rechenschaft gezogen zu werden.206 Andererseits hat das Ausmass der alltäglichen Gewalt, des organisierten Verbrechens und der Kriminalität unkontrollierbare Ebenen erreicht.207 Die Gewaltsituation und mit ihr die Menschenrechtssituation hat sich ab 1999, trotz den 1996 unterzeichneten Friedensabkommen, wieder verschlimmert.208 Die Mitarbeiter des UNDP209Programms für Sicherheit und Gewaltprävention in Guatemala, Arturo Rodríguez Matute und Iván García Santiago, haben 2007 einen statistischen Bericht zur Gewalt in Guatemala veröffentlicht und schreiben zur Entwicklung seit der Unterzeichnung 1996 folgendes: „Sin embargo, el establecimiento formal de la paz no ha permitido a Guatemala alcanzar niveles significativamente mayores de desarrollo humano y la situación de inseguridad en que vive la población se ha visto agravada luego de una mejoría inicial. El país atraviesa hoy por uno de los momentos más violentos de su historia.“210 Die Verfasser des Statistikberichtes zeigen auf, dass in der Zeitspanne zwischen 1999 und 2006 die Tötungsgewalt um mehr als 120% gestiegen ist.211 Diese Zunahme entspricht einem jährlichen Anstieg von 12%, was den Wert des Bevölkerungswachstums von 2,6% jährlich weit übersteigt.212 Diese Zahlen positionieren Guatemala, ein Land das offiziell im Friedenszustand lebt, als eines der weltweit gewalttätigsten Länder.213 Die Tötungsrate in Guatemala betrifft mehr Regionen mit geringer indigener Bevölkerung. Die höchsten Mordraten kommen in Gegenden vor, die weniger als 50% indigene Bevölkerungsanteile aufweisen.214 Laut Statistikbericht besteht kein Zusammenhang zwischen Gewalt und Armut. In den ärmsten Gemeinden (mit mehr als 25% der Bevölkerung in einer extremen Armutssituation) kommt nicht die höchste Tötungsrate vor. Die Gewalt beeinträchtigt laut Inter-Amerikanischer Entwicklungsbank den sozialen Zusammenhalt und begrenzt die ökonomischen und sozialen Entwicklungsmöglichkeiten des Landes, indem sie private Investitionen verhindere, Produktion und Transporte teurer mache, dem Tourismus schade, das soziale Budget strapaziere, Druck auf öffentliche und private 206 207 208 209 210 211 212 213 214 Vgl. Arévalo de León (2007), A Twister Path to Reconciliation?, S. 16. Vgl. Fundación Myrna Mack (2006), Crisis de gobernabilidad, S. 1, Online-Version. Vgl. Rodríguez/García (2007), Informe estadístico de la violencia en Guatemala, S. 19, Online-Version. UNDP: United Nations Development Programme (auf Spanisch PNUD) Rodríguez/García (2007), Informe estadístico de la violencia en Guatemala, S. 9, Online-Version. 1999 wurden 2'655 Tötungen registriert und 2006 bereits 5'885. Vgl. Rodríguez/García (2007), Informe estadístico de la violencia en Guatemala, S. 21, Online-Version. Vgl. Rodríguez/García (2007), Informe estadístico de la violencia en Guatemala, S. 22/23, Online-Version. Vgl. Rodríguez/García (2007), Informe estadístico de la violencia en Guatemala, S. 25, 28, Online-Version.. 42 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Sicherheitssysteme ausübe und öffentliche Willensbildung/Beschlussfassung beeinflusse.215 Im Kontext von Megaprojekten kann von physischer Gewalt (direkte Konfrontationen zwischen Minengegnern und –befürwortern oder Zivilbevölkerung und Militär/Polizei) und auch von einer psychischen Gewalt (Drohungen per Brief oder Telefon) sowie strukturellen Gewalt216 (Systemstrukturen) gesprochen werden. Die allgemein hohe Gewaltsituation in Guatemala, als Symptom eines fragilen Staates beeinträchtigt auch die Arbeit von Menschenrechtsaktivisten, auf deren Lage im folgenden Kapitel eingegangen wird. 2.8 Guatemalas Menschenrechtssituation Die in dieser Arbeit dokumentierte Fragilität Guatemalas bedroht die Menschenrechtslage und gefährdet die Arbeit der Menschenrechtsaktivisten aus verschiedenen Bereichen. In diesem Kapitel sollgezeigt werden, wie sich diese Fragilität seit den Friedensabkommen 1996 auf die Menschenrechtslage, insbesondere auch im Kontext von Megaprojekten und die Arbeit der Menschenrechtsverteidiger, ausgewirkt hat und heute auswirkt, da diese Lage, die Anfragen von Menschenrechtsaktivisten nach internationaler Begleitung beeinflussen kann. Es soll gezeigt werden, wie sich der ursprüngliche Begleitgrund und –kontext, in Hinblick auf die Begleitarbeit von CAIG-Acoguate, aufgrund der sich wandelnden Menschenrechtslage verändert hat. Die sozialen Bewegungen während des Bürgerkrieges waren sehr schwach und operierten (wenn überhaupt) im Versteckten. Ab Mitte der 80er Jahre, nachdem wieder eine zivile Regierung demokratisch gewählt wurde, konnten sich die sozialen Bewegungen wieder etablieren. Mit der Unterzeichnung der Friedensabkommen 1996 beruhigte sich die Menschenrechtslage ein wenig, aber bald darauf kam es zu einer Einschüchterungskampagne der Massakerverantwortlichen gegen die Bürgerkriegsopfer, da Gerichtsprozesse lanciert wurden und Zeugenaussagen bevorstanden. Diese Entwicklung führte zu einer Eskalation von Menschenrechtsverletzungen und Drohungen gegen Menschenrechtsorganisationen.217 Die sozialen Bewegungen in Guatemala, insbesondere die Opferbewegung, weist eine markant indigene Komponente, mit einer starken Einbindung der Kirche auf. Die Bewegungen spielen eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung der Menschenrechte und für die 215 Vgl. IDB, Country Program Evaluation 2009, S. 8-9, Online-Version. 216 Strukturelle Gewalt bezeichnet ein Konzept des norwegischen Friedensforschers Johan Galtung, das den klassischen Gewaltbegriff umfassend erweitert. 1969 ergänzte er den traditionellen Begriff der Gewalt um die Dimension einer diffusen, nicht zurechenbaren strukturellen Gewalt und definiert sie als vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse oder, allgemeiner ausgedrückt, des Lebens, die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung unter das herabsetzt, was potentiell möglich ist. 217 Vgl. Beristain (2007), The Legacy of Genocide in Guatemala, S. 37. 43 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Mobilisierung zivilen Widerstandes.218 Diese Charakteristik einer indigenen und kirchlichen Komponente weist auch der Widerstand gegen Megaprojekte auf. Die Begleitarbeit von CAIG-Acoguate ist stark mit den Opferbewegungen verbunden, wie in Kapitel 3.1.3 noch umfassender beschrieben wird. Das NGO-Netzwerk hat seit der international begleiteten Rückführung guatemaltekischer Flüchtlinge aus Mexiko und der Begleitarbeit im Rahmen des Zeugenschutzprogrammes Kontakt mit Opferbewegungen. Carlos Martín Beristain erklärte 2006 an der Jahreskonferenz von Swisspeace, dass die Opferorganisationen vermehrt von Erschöpfung und Frustration in Bezug auf die Anstrengungen gegen die Straflosigkeit sprechen. Er sieht die Lösung für die Einhaltung der Menschenrechtsagenda als Voraussetzung für einen Demokratisierungsprozess in einer tiefgehenden Strukturreform.219 Die Situation der Menschenrechtsverteidiger im Land kann als Spiegelbild der aktuellen Situation in Guatemala gesehen werden. Die allgemeine Zunahme von Attacken gegen Menschenrechtsverteidiger geht mit der allgemeinen Gewaltzunahme, die bereits in einem vorhergehenden Kapitel aufgezeigt wurde, einher.220 Politische, ökonomische und soziale Ereignisse haben direkten Einfluss auf Attacken gegen Menschenrechtsverteidiger, wobei die Arbeitsbereiche (Arbeit für Gerechtigkeit der Bürgerkriegsopfer, Arbeit um Landrechte, Recht auf Entwicklung, etc.) der Menschenrechtsaktivisten eine Rolle spielen. Gerade bei Megaprojekten sind auch Bauern als Menschenrechtsverteidiger involviert. Die Menschenrechts-NGO UDEFEGUA221, die eng mit ausländischen Diplomaten und internationalen Netzwerken zusammenarbeitet, analysiert regelmässig die Menschenrechtssituation Guatemalas um Menschenrechtsverteidiger schützen zu können. Für diese Arbeit wurde das Quellenmaterial zu Attacken gegen Menschenrechtsverteidiger von UDEFEGUA mit Schwerpunktsetzung auf die Lage der Menschenrechtsverteidiger im Kontext von Megaprojekten, insbesondere der Mine Marlin, ausgewertet. Eine eindeutige Zuordnung der Attacken zum Megaprojektkontext ist jedoch schwierig, weil verschiedene Arbeitsbereiche von Menschenrechtsverteidigern tangiert sind: Land, Umwelt, Indigene. Die Attacken im Zeitraum von 2000 bis 2006 sind allgemein stetig gestiegen.222 2000 wurden 59 Attacken angegeben, 2006 waren es bereits 278. Unter der Regierung Alfonso Portillos223 218 219 220 221 222 Vgl. Beristain (2007), The Legacy of Genocide in Guatemala, S. 37. Vgl. Beristain (2007), The Legacy of Genocide in Guatemala, S. 37. Vgl. Federacion Luterana Mundial (2006), Centroamerica 2004-2005, S. 22. UDEFEGUA: Unidad de Proteccion a Defendores y Defendoras de Derechos Humanos de Guatemala Siehe Anhang A.2: Attacken gegen Menschenrechtsverteidiger in Guatemala, S. 126. 44 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala von 2000 bis 2003 wurden über vier Jahre insgesamt 382 Attacken registriert. Unter dem Nachfolger Oscar Berger224 wurden innerhalb dreier Jahre (2004-2006) insgesamt 629 Attacken registriert. Dies ergibt innerhalb von drei Jahren einen Anstieg von fast 40%.225 2008 wurde mit 180 Aggressionen gegen Menschenrechtsverteidiger wieder ein Rückgang registriert, obwohl dies fast 30% mehr sind im Vergleich zum ersten Amtsjahr des ehemaligen Präsidenten Oscar Berger (2004-2008). UDEFEGUA geht davon aus, dass dieser Anstieg an Attacken nicht alleine durch die Faktoren Straflosigkeit und ausbleibende Strafverfolgung von staatlicher Seite zu erklären ist. Die Organisation führt den Anstieg auf ein „Klima“ zurück, das Attacken gegen Menschenrechtsverteidiger begünstige und meinen damit die zunehmende Kriminalität durch das organisierte Verbrechen (illegale Gruppen, Drogenhandel).226 2006 lag San Marcos, dem Standort der Mine Marlin, mit 6 gemeldeten Attacken im Mittelfeld untersuchter Departemente.227 In den Departementen Izabal, Petén und Quetzaltenango ging die Mehrheit der Attacken gegen Verteidiger von Bauernrechten (Land/Nahrung).228 Zwischen 2004 und 2006 gab es insgesamt eine Zunahme an Attacken gegen Menschenrechtsverteidiger, die sich in ihrer Arbeit mit dem Recht auf Entwicklung229 auseinandersetzen: 2004 und 2005 wurden insgesamt 8 Attacken registriert und 2006 bereits 27.230 Am häufigsten waren 2006 mit 25% die Attacken gegen Menschenrechtsverteidiger deren Aktivitätsgegenstand Unternehmen/Grossgrundbesitzer waren.231 Im Gesamtvergleich gesehen sind 2006 im Vergleich zu 2005 die Attacken gegen Menschenrechtsverteidiger mit dem Aktivitätsgegenstand Unternehmer/Grossgrundbesitzer jedoch abnehmend. UDEFEGUA kommentiert diesen Rückgang als Ende der Regierungs-Lobbyarbeit durch die Unternehmer und Grossgrundbesitzer.232 Bei den Aktivisten, die in ihrer Arbeit die ökonomischen, sozialen und kulturellen Rechte verteidigen, sind die Attacken zwischen 2004 und 2006 gestiegen. Umgekehrtes ist bei denjenigen Aktivisten zu verzeichnen, die sich für zivile und politische Rechte einsetzten.233 223 224 225 226 227 228 Präsident Portillo gehörte der Partei FRG an, bei der auch José Efraín Ríos Montt Mitglied ist. Oscar Berger gehärt der Partei Gran Alianza Nacional (GANA) an. Vgl. Samayoa (2007), Impunidad, S. 5. Vgl. Samayoa (2007), Impunidad, S. 5. Vgl. Samayoa (2007), Impunidad, S. 7. Vgl. Samayoa (2007), Impunidad, S. 8. 229 Unter Menschenrechtsverteidigern im Bereich Entwicklung werden leitende Aktivisten einer lokalen Entwicklungsorganisation verstanden. Eine Organisatation, die mit ihrer Arbeit die Ziele verfolgt, Entwicklung zu fördern und/oder die Umwelt und Angestellte zu verteidigen (vgl. Movimiento Nacional, Y el terror continua, S. 31). 230 231 232 233 Vgl. Samayoa (2007), Impunidad, S. 10, 11. Vgl. Samayoa (2007), Impunidad, S. 22, 23. Vgl. Samayoa (2007), Impunidad, S. 24. Vgl. Samayoa (2007), Impunidad, S. 24, 25. 45 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Die ländliche Bauernbevölkerung ist von Megaprojekten direkt betroffen. Insgesamt registrierten die NGO zwischen 2000 und 2008 1'350 Aggressionen, wobei 129 davon führenden Personen in der Bauernbewegung galten. Die Analyse von 2008 gibt an, dass zwischen 2000 und 2008 von 92 registrierten Tötungen 38 an Bauernführern verübt wurden. Die Hälfte dieser 38 Ermordungen geschahen von 2006 bis 2008. Seit 2004 ist das Gewaltniveau im Landwirtschaftssektor gestiegen.234 2005 wurden mit 38 Attacken die grösste Aggression gegen Bauern registriert. 2006 kam es wieder zu einem Rückgang auf 5 Attacken und stieg dann bis 2008 auf 18 an.235 Die Kriminalisierung der Bauernbewegung zeigt sich vor allem auch in der Anzahl Haftbefehle und Zwangsräumungen. Von 2004 bis 2007 wurden 172 Haftbefehle gegen Bauern ausgesprochen, die sich für ihr Recht auf Boden und Nahrung einsetzten. Es wurden Zwangsräumungen von Bauern mit privaten Sicherheitskräften durchgeführt, die laut UDEFEGUA meist ausserhalb des gesetzlichen Rahmens lagen und zu Gewaltanwendung führten, wie 2004 in den Fällen Finca Nueva Linda (Retalhuleu) und Finca la Mocca (Alta Verapaz).236 Die vielen Attacken gegen Bauern zwischen 2000 und 2008 in Alta Verapaz und Izabal sind laut UDEFEGUA durch den strategischen Wasserstandort der Region zu erklären. In dieser Region wird der Anbau von Zuckerrohr und afrikanischer Palmen für die Herstellung von Ethanol gefördert. Gleichzeitig ist der Bau von vier Wasserkraftwerken an den beiden Nebenflüssen in der Region geplant; sechs weitere stehen zur Diskussion.237 Auf Platz fünf von 13 Regionen wird San Marcos (Standort Mine Marlin) mit 34 Verletzungen zwischen 2004 und 2008 angegeben.238 Laut der Analyse verschiedener Menschenrechtsorganisationen Zentralamerikas kam es in den letzten Jahren im Zusammenhang mit Minen zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen in zentralamerikanischen Ländern und vielen Demonstrationen und Aktionen von den Minentätigkeit betroffenen Gruppen (Bauern und Indigene).239 Auch Peace Brigades Internationale vermerkte in einem Bericht zur Mine 2006, dass Ende 2003 in Guatemala die Minenpläne auf nationaler Ebene vermehrt diskutiert wurden und es in der Folge vermehrt zu 234 235 236 237 238 239 Vgl. Samayoa, Nadie debe perder la Vida, S. 3, 9. Vgl. Samayoa (2008), Nadie debe perder la Vida, S. 9. Vgl. Samayoa (2008), Nadie debe perder la Vida, S. 26, 32. Vgl. Samayoa (2008), Nadie debe perder la Vida, S. 27. Vgl. Samayoa (2008), Nadie debe perder la Vida, S. 26. Vgl. Federacion Luterana Mundial (2006), Centroamerica 2004-2005, S. 48. 46 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Drohungen von Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten kam, die sich mit dem Thema auseinandersetzten.240 Bei einer Befragung von Menschenrechtsverteidigern im Dezember 2008 aus unterschiedlichsten Teilen des Landes durch UDEFEGUA, gaben alle Organisationsvertreter an, dass sie in ihrer Arbeit konfrontiert sind mit dem organisierten Verbrechen, am meisten mit dem Drogenhandel.241 Auch kam heraus, dass sich Menschenrechtsverteidiger in ihrer Arbeit zunehmend mit Menschenrechtsverletzungen durch transnationale Unternehmen und im Bereich der natürlichen Ressourcen konfrontiert sehen.242 Im Analysebericht 2009 von UDEFEGUA sind neu Arbeitsrisiken für Menschenrechtsverteidiger in den Departementen San Marcos und Huehuetenango, in deren Gebieten auch die Mine Marlin ist, untersucht worden. Als Analysegrund wird die zunehmende Gefahr für die Menschenrechtsaktivisten gesehen, die vom Drogenhandel ausgeht. Ziel der Analyse war herauszufinden, wie diese Netzwerke von den Impulsen der Megaprojekte im Land profitieren.243 Die Autorin des Berichtes und bekannte Menschenrechtsaktivistin, Claudia Virginia Samayoa, geht von einem tiefen Wandel aus in der Art und Weise wie sich das organisierte Verbrechen aktuell gegenüber denjenigen, die Menschenrechte verteidigen, Menschenrechtsverteidigern präsentiert. komplexer Im Feld geworden durch sei das die Arbeit Zusammentreffen von des organisierten Verbrechens, Grossgrundbesitzern und transnationalen Unternehmen. In diesem Umfeld sei es der UDEFEGUA bisher nicht gelungen ein adäquates Instrument zum Schutz der Menschenrechtsverteidiger zu finden.244 Es ist schwierig, bei Menschenrechtsverletzungen die Gewaltquelle zu identifizieren. Attacken werden von den Autoritäten oft nicht als Gewalt gegen Menschenrechtsgruppen wahrgenommen, sondern als gewöhnliche Kriminalität eingestuft.245 UDEFEGUA sieht im Anstieg der Aktivitäten des organisierten Verbrechens die Arbeit von Menschenrechtsverteidigern gefährdet.246 Viele der politisch motivierten Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen sind laut Susan C. Peacock und Adriana Beltrán, den Autorinnen eines Bericht über die „versteckten Mächte“ in Guatemala, den 240 241 242 243 244 245 246 in einem Vgl. Peace Brigades International, Metal Mining and Human Rights in Guatemala, S. 5, Online-Version. Vgl. Samayoa (2009), Protegiéndonos ante las amenazas del Siglo XXI, S. 9. Siehe Anhang A.4: Menschenrechtsverletzungen in verschiedenen Arbeitsbereichen, S. 128. Vgl. Samayoa (2009), Protegiéndonos ante las amenazas del Siglo XXI, S. 5. Vgl. Samayoa (2009), Protegiéndonos ante las amenazas del Siglo XXI, S. 6. Vgl. Federacion Luterana Mundial (2006), Centroamerica 2004-2005, S. 23. Vgl. Samayoa (2009), Protegiéndonos ante las amenazas del Siglo XXI, S. 7. 47 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala vorhergehenden Kapitel erwähnten illegalen Gruppen zuzuordnen.247 Lokale und internationale Menschenrechtsorganisationen haben die Existenz dieser im Verborgenen handelnden Gruppen und der dahinter stehenden „verborgenen Mächte“ öffentlich angeklagt und die Regierung aufgefordert, diese zu enttarnen. Für die Autorinnen des Berichtes „Hidden Powers“ Susan C. Peacock und Adriana Beltrán ist klar, dass diese Gruppen und Mächte identifiziert und verurteilt werden müssen, damit die Attacken gegen Menschenrechtsaktivisten aufhören und damit die Demokratie in Guatemala wieder eine Chance bekommt.248 Es ist anzunehmen, dass diese „hidden powers“, zu der auch die Oligarchie gezählt werden kann, hinter den Megaprojekten stehen. Was dies für die internationale Begleitarbeit bedeutet, wird im letzten Teil dieser Arbeit näher analysiert und diskutiert. Im folgenden Teil wird auf die Rolle von NGOs und Netzwerken im internationalen System eingegangen und insbesondere die internationale Begleitarbeit in Guatemala näher vorgestellt. 3 Rolle von NGOs im internationalen System Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich das internationale System, v.a. durch Globalisierungseinflüsse und technische Fortschritte, in Kommunikationsbereichen stark gewandelt. Internationale politische Interdependenzen und zivilgesellschaftliche Vernetzungen haben in den vergangenen Jahrzehnten eine neue Dimension erreicht. Die Politologin Kathryn Sikkink zeigt in ihrem Artikel über Menschenrechte und Staatssouveränität auf, dass die Menschenrechtspolitik und Menschenrechtspraktiken transnationaler NGO-Netzwerke durch Erzeugung internationalen Drucks dazu beitrugen, dass sich die Souveränitätsprämisse „Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates“ in den letzten knapp zwanzig Jahren am verändern ist. Die Berufung auf Souveränität wird bei der Verletzung der Menschenrechte immer weniger als akzeptable Rechtfertigung angesehen.249 Die deutsche Sozialwissenschaftlerin Kerstin Blome bezeichnet diese Veränderungen als „grundlegenden Strukturwandel“.250 Durch diesen Strukturwandel auf internationaler Ebene fällt es Regierungen von Nationalstaaten zunehmend schwerer, das Regieren vollständig alleine zu kontrollieren und zu steuern. Die früheren Ordnungsmodelle der Staatenwelt 247 248 249 250 Vgl. Peacock/Beltrán (2003), Hidden Powers, S. 1. Vgl. Peacock/Beltrán (2003), Hidden Powers, S. 2. Vgl. Sikkink (1993), Human rights, principled issue-networks, and sovereignty in Latin America, S. 411-412. Vgl. Blome (2004), Paradigmenwechsel im Völkerrecht?, S.1. 48 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala werden in Frage gestellt, weil der souveräne Nationalstaat immer weniger in der Lage zu sein scheint, die aktuellen Herauforderungen, z.B. globale Umweltprobleme oder den transnationalen Terrorismus, allein zu bewältigen. Durch die transnationale Zusammenarbeit zwischen politischen und gesellschaftlichen, bzw. nicht-staatlichen und staatlichen Akteuren, kann laut K. Blome dieses „Machtvakuum“, das durch den Steuerungsverlust auf nationalstaatlicher Regierungsebene entstand, gefüllt werden. NGOs, die auf der internationalen Bühne eine zunehmend wichtige Rolle spielen, nehmen dadurch vermehrt traditionell staatliche Aufgaben im Inneren wie im Äußeren wahr.251 Die Weltpolitik wird also, wie Margaret E. Keck und Kathryn Sikkink in ihrem Werk „Activists beyond Borders“ bestätigen, nebst Staaten vermehrt von NGOs beeinflusst, die mit Staaten und internationalen Organisationen interagieren.252 Die deutschen Politikwissenschaftlerinnen Christiane Frantz und Kerstin Martens sprechen sogar von einer „NGOisierung“ der Politik, die in den 1980er Jahren ihren Anfang nahm: „NGOs sind heute in vielen Tätigkeitsbereichen anzutreffen und aus dem öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken“.253 Auf dieser Idee einer gemeinsamen Politikgestaltung durch staatliche wie nicht-staatliche Akteure basiert das Konzept der „Global Governance“254. Auch die Theorieansätze der Internationalen Beziehungen wurden durch diesen Wandel und die verstärkte Einbindung nicht-staatlicher Akteure beeinflusst. In den 1960er und 1970er Jahren kamen in der Forschung vermehrt kritische Stimmen auf, welche die bisher vornehmlich staatszentrierte Sichtweise vieler Theorieansätze hinterfragten. Der an der Universität London dozierende Professor für Globale Politik Peter Willets255 hält dabei fest, dass in den internationalen Beziehungen lange Zeit nur die Beziehungen zwischen Staaten von Wichtigkeit waren und der Rolle nicht-staatlicher Akteure im internationalen System wenig Gewicht beigemessen wurde.256 Laut Margaret E. Keck und Kathryn Sikkink würden sich in der internationalen Politik vor allem transnationale Netzwerke zunehmend bemerkbar machen. Sie bezeichnen diese Aktivisten-Netzwerke als „transnational advocacy networks“257. Der Einfluss von NGOs scheint unproblematisch, solange sich ihre Tätigkeiten auf Bereiche 251 252 253 Vgl. Blome (2004), Paradigmenwechsel im Völkerrecht?, S. 1, 5. Vgl. Keck/Sikkink (1998), Activists beyond borders, S. 1. Frantz/Martens (2006), Nichtregierungsorganisationen (NGOs), S. 12. 254 „Die Commission on Global Governance wurde 1992 auf Initiative des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt ins Leben gerufen. Der Antrieb hierfür war die grundsätzliche Annahme, dass durch transnationale Kooperation positive Effekte für die Bewältigung globaler Herausforderungen nutzbar gemacht werden können“ (Frantz/Martens (2006), Nichtregierungsorganisationen (NGOs), S. 80). 255 Peter Willetts Hauptforschungsgebiet ist im Bereich der zwischenstaatlichen Organisationen, besonders bei den „Non-aligned Movements“. 256 257 Vgl. Willets (2006), Transnational actors and international organizations in global politics, S. 425. Keck/Sikkink (1998), Activists beyond borders, S. 1. 49 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala wie Agenda-Setting und Lobbying beschränken. Denn dazu benötigen sie den Völkerrechtsstatus nicht. Die mangelnde demokratische Legitimation von NGOs wird dann problematisch, wenn es um die tatsächliche Einbeziehung in den politischen Entscheidungsprozess durch Zuerkennung eines eigenen Stimmrechts geht, da NGOs und Nationalstaaten im Völkerrecht nicht über denselben Rechtsstatus verfügen. NGOs jedoch generell einen Rechtsstatus abzusprechen, wäre für die internationale Zusammenarbeit wohl ein Verlust, da sie mit ihrer Kontrollfunktion einen wichtigen Beitrag zur Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen durch die Staaten und zur Veröffentlichung von Verstößen leisten. Derzeit ist die Einbindung von privaten Akteuren vor allem in den „soft-politics“258, zu denen auch die Menschenrechte gezählt werden können, am weitesten fortgeschritten.259 3.1 Erfolgsbedingungen von NGOs im internationalen System In der Fachliteratur wird den NGOs als Kontroll- und Überwachungsorgane bei der Implementierung und Einhaltung von Menschenrechten sowie dem Agenda-Setting eine zentrale Rolle zugewiesen. Bei der Beschlussfassung und internationalen Normbildung werden ihre Einfluss- bzw. Handlungsmöglichkeiten hingegen beschränkt dargestellt. Der Einfluss von NGOs und transnationalen Netzwerken wird je nach Theorieansätzen in den internationalen Beziehungen unterschiedlich betrachtet und interpretiert. Der realistische Theorieansatz gilt als staats-zentriert, da die internationalen Beziehungen nur als Beziehungen zwischen Staaten definiert werden.260 Die realistische Sicht argumentiert, dass Staaten nur dann Ziele und Interessen von NGOs unterstützen und vorantreiben, wenn diese mit ihren eigenen Interessen und Zielen (vorwiegend zur Sicherheit, Wirtschaft) übereinstimmen. Gemäss der realistischen Interpretationsweise, behandeln Staaten die Menschenrechtsanliegen von NGOs nicht prioritär.261 Laut Kathryn Sikkink reicht der Realismus nicht aus, um zu erklären, weshalb relativ schwache NGOs einen Einfluss auf die Staatspolitik haben können oder weshalb sich Staaten, wenn es um Menschenrechte geht, in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einmischen.262 258 Unter der Bezeichnung soft-politics werden hier Politikbereiche wie Menschenrechte oder Umwelt verstanden, die nicht rechtsverbindliche Übereinkünfte, Absichtserklärungen oder Leitlinien aufweisen. Im Gegensatz zu Politikbereichen wie Wirtschaft, Sicherheit, in denen der Vollzug sich die Beteiligten verbindlich verpflichten, stellen die soft-politics eine weniger strenge Selbstbindung dar, wobei dies nicht zwangsläufig Wirkungslosigkeit impliziert. 259 260 261 262 Vgl. Blome (2004), Paradigmenwechsel im Völkerrecht?, S. 18-19. Vgl. Willets (2006), Transnational actors and international organizations in global politics, S. 427. Vgl. Risse (2006), Transnational actors and world politics, S. 264. Vgl. Sikkink (1993), Human rights, principled issue-networks, and sovereignty in Latin America, S. 437. 50 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Gegner dieser Sicht, wie die Pluralisten beispielsweise, gehen davon aus, „(...) that all types of actors can affect political outcomes“263 und argumentieren, dass die Unterstützung von Grossmächten sicherlich hilfreich ist bei der Zielverfolgung von NGOs. Die Unterstützung von Grossmächten allein ist jedoch keine genügende Erklärung, um den doch erheblichen Einfluss von privaten Akteuren264 zu erklären. Ob die Aktivitäten von NGOs zur Verbesserung einer Menschenrechtslage in einem Staat erfolgreich sind oder nicht hängt laut dem deutschen Politikwissenschaftler Franz Nuscheler265 „von einer Vielzahl von allgemeinen und je spezifischen und situationsbedingten Faktoren ab“266. Es kommt auf die Struktur eines Herrschaftssystems an. Die Chance auf eine Veränderung vergrössert oder verkleinert sich, je nachdem ob Opportunitätsstrukturen, wie öffentliche Kritik und Proteste innerhalb des Systems, toleriert werden oder nicht. NGOs, als Teil transnationaler Netzwerke, ist es möglich, durch äusseren Druck Regierungen zu politischen Änderungen zu bewegen – „sei es durch Einflussnahme auf die Diplomatie und/oder Geschäftswelt, sei es durch Imageschädigende Medienkampagnen oder durch Anklagen in UN-Gremien“267.Als weitere Faktoren für den Erfolg von NGOs werden von Franz Nuscheler die Verwundbarkeit eines Regimes (durch politische und wirtschaftliche Destabilisierung, Sanktionen), das Protestpotential, organisatorische Stärke, Handlungs- und Mobilisierungsfähigkeit, taktisches Geschick (Koalitionen bilden), überzeugungsfähige Themen und Ziele genannt.268 Wenn es NGOs gelingt, auf eine staatliche Regierung von innen (national) und von aussen (international) Druck aufzusetzen, dann würden laut F. Nuscheler die Erfolgschancen zur Verbesserung der Menschenrechtslage am besten stehen. Eine weitere Strategie, die den Einfluss von NGOs verstärken kann, ist laut dem deutschen Thomas Risse269 der Zusammenschluss verschiedener NGOs zu Netzwerkgruppen. Einerseits wird ihnen dadurch ermöglicht auf Staaten und Internationale Organisationen (IO) verstärkten Druck ausüben zu können und andererseits können durch die Netzwerkbildung verlässliche Informationen und Wissen besser fliessen. Thomas Risse sieht als wichtigen Faktor für verstärkten Einfluss von NGOs die hohe Netzwerkdichte, da sie am besten funktionieren können, wenn sie dicht mit 263 Willets (2006), Transnational actors and international organizations in global politics, S. 427. 264 Unter die Bezeichnung private Akteure fallen alle nichtstaatlichen Akteure und schliesst damit zivilgesellschaftliche Akteure wie NGOs, aber auch Wirtschaftsunternehmen mit ein. 265 Franz Nuscheler war bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2003 Professor für Internationale und Vergleichende Politik an der Universität Duisburg-Essen. 266 267 268 Nuscheler, NGOs in Weltgesellschaft und Weltpolitik, S. 10, Online-Version. Nuscheler, NGOs in Weltgesellschaft und Weltpolitik, S. 9, Online-Version. Vgl. Nuscheler, NGOs in Weltgesellschaft und Weltpolitik, S. 10, Online-Version. 269 Thomas Risse ist ein deutscher Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen und Professor für Theorie und Empirie der internationalen Politik am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. 51 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala vielen anderen Akteuren operieren, starke Verbindungen zwischen Netzwerkgruppen haben und dadurch verlässliche Informationen fliessen.270 3.2 Einfluss mit Hilfe von Öffentlichkeits- und Überwachungsstrategien NGOs mobilisieren die Öffentlichkeit und leisten Aufklärungsarbeit, da die Beraterfunktion und Lobbyarbeit nicht immer ausreicht, um auf internationale Organisationen, Nationalstaaten und andere Akteure genügend Druck auszuüben. Die Medien sind für NGOs ein wichtiges Instrument, um die Öffentlichkeit zu mobilisieren.271 Die Öffentlichkeitsarbeit beinhaltet die Aufklärung und Erziehung der Bevölkerung. Dabei werden Wissen und Informationen vermittelt. Die Massenmobilisierung (Öffentlichkeit wird für Unterschriftenaktionen, Boykotte und Massenproteste mobilisiert) wird als gezieltes Druckmittel gegen andere Akteure wie Wirtschaftsunternehmen, Regierungen oder staatliche Institutionen eingesetzt.272 Laut Christiane Frantz und Kerstin Martens haben NGOs gezeigt, „dass sie mit Hilfe von medienwirksamen Aktionen in der Lage sind, Druck aufzubauen, dem sich sowohl politische Akteure als auch multinationale Konzerne beugen“.273 Durch die Zulieferung von Informationen machen NGOs mit Hilfe der „Naming and Shaming“-Strategie274 auf Staaten aufmerksam, die sich nicht an die international vereinbarten Regeln halten.275 Durch die Strategie des „monitoring“ können sich NGOs Informationen und Wissen beschaffen, indem sie ihre Umwelt aktiv überwachen und sich mit anderen Akteuren austauschen. Die Sozialwissenschaftlerin Janina Curbach beschreibt diese Strategie folgendermassen: „Die Strategie des ‚monitoring’ setzt sich zusammen aus der Informationsbeschaffung und – aufarbeitung. Informationen über das definierte Problemfeld werden von NGOs durch Vernetzung und Kooperation mit verschiedenen Institutionen, wie der Wissenschaft, epistemischen Gruppierungen, Politikern, lokalen Organisationen etc. gewonnen.“276 NGOs, die auf dem Feld Daten und Fakten über die Menschenrechtslage sammeln, auswerten und weiterleiten, leisten auch in den Augen von Thomas Risse einen wichtigen Beitrag zur 270 271 272 273 Vgl. Risse (2006), Transnational actors an world politics, S. 267, 268. Vgl. Frantz/Mertens (2006), Nichtregierungsorganisationen (NGOs), S. 12-15. Vgl. Curbach (2003), Global Governance und NGOs, S. 79-81. Frantz/Mertens (2006), Nichtregierungsorganisationen (NGOs), S. 14. 274 Naming an shaming-Strategie: öffentliches Blossstellen, anprangern; vgl. Frantz/Martens (2006), Nichtregierungsorganisationen (NGOs), 89,90. 275 276 Vgl. Frantz/Martens (2006), Nichtregierungsorganisationen (NGOs), S. 89, 90. Curbach (2003 ), Global Governance und NGOs, S. 73. 52 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Kontrolle und Durchsetzung von Normen und Gesetzen. Informationen die an internationale Organisationen und Staaten weitergeleitet werden, dienen als wertvolle Grundlage im Kampf gegen menschenrechtsverletzende Regime. Der Hauptgrund für die stärkere Einflussnahme betreffend Agenda-Setting und Überwachungsfunktion bei der Implementierung von Menschenrechten, besteht darin,, dass internationale Organisationen und Staaten oft auf die Informationen und die Kontrolle von NGOs angewiesen sind, da sie an Souveränitätsregeln (Nicht-Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten) gebunden sind. NGOs hingegen können sich freier bewegen.277 Gemäss Christiane Frantz und Kerstin Martens haben NGOs gegenüber Staaten und IOs folgende Vorteile: „NGOs gelten als flexibel, schnell und unbürokratisch. Sie sind in der Lage, mit hoher Wirksamkeit spezielle Probleme zu bekämpfen, während parteipolitische Akteure und Regierungen in dem lähmenden Bedingungsgefüge der Parteiprogramme gefangen und dem Prinzip der Allzuständigkeit und dem Gemeinwohl verpflichtet sind“.278 Die Aufgabe und Rolle von NGOs im internationalen System kann daher als Ergänzung zu denjenigen von internationalen Organisationen und Staaten gesehen werden. Der Einfluss von NGOs ist generell schwer messbar, insbesondere in Bezug auf informelle Einflussstrategien wie Lobbying. In einer Studie im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojektes von Thomas Risse wurde die Wirkung internationaler Menschenrechtsnormen auf den politischen Wandel im Innern der Staaten279 untersucht. Die Schlussfolgerung dieser ländervergleichenden Studie besagt, dass transnationale Menschenrechtsnetzwerke, die sich auf international anerkannte Normen wie die Menschenrechte berufen können, in der Lage sind, durch Mobilisierung von innerem (durch gesellschaftliche Opposition im innern der Staaten) und äusserem Druck (durch internationale, transnationale Menschenrechtsnetzwerke) repressive Regierungen zu einem normgeleiteten Verhalten zu drängen und auf diese Weise zu einer nachhaltigen Verbesserung der Menschenrechtspraxis beitragen können. Nebst den ökonomischen (Embargo, Hafensperrung für Schiffe), politischen (Einreisesperre für Staatsangehörige, Abbruch diplomatischer Beziehungen) und militärischen Druckmitteln, ist die moralische Druckausübung (durch „shaming“ und „the power of the better argument“280) durch NGOs, 277 278 279 Vgl. Risse (2006), Transnational actors and world politics, S. 265, 266. Frantz/Martens (2006), Nichtregierungsorganisationen (NGOs), S. 17. Vgl. Risse et al (2002), Die Macht der Menschenrechte, S. 5. 280 ‘The power of the better argument’: NGOs müssen ihre Forderungen rechtfertigen und benutzen dazu Kommunikationsstrategien um die Interessen und Politik der anderen zu verändern (vgl. Risse (2006), Transnational actors and world politics, S. 268). 53 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala internationale Organisationen und anderen Staaten ebenso effizient.281 1993 (drei Jahre vor dem Friedensabkommen in Guatemala) schrieb Kathryn Sikkink in ihrer Arbeit über den Einfluss von internationalem Menschenrechtsdruck, dass in Guatemala das internationale Menschenrechtsnetzwerk nicht effektiv genug war, um das Menschenrechtsverständnis oder die Menschenrechtspraxis zu verändern. Eine Voraussetzung für die Effektivität des Menschenrechtsnetzwerkes sieht sie in der Arbeit lokaler NGOs, ohne deren Existenz, die internationale Menschenrechtsarbeit stark behindert wird. Mächtige Staaten mit starken nationalen Sicherheitsinteressen werden ebenfalls als immuner gegenüber internationalem Druck auf staatliche Menschenrechtspraxen gesehen. Kathryn Sikkink sieht in der Kombination dieser Druckmittel die Möglichkeit, staatliches Handeln in der Menschenrechtspraxis zu beeinflussen.282 Wie die Menschenrechtslage und die staatliche Resistenz gegenüber internationalem Druck transnationaler Netzwerke heute in Guatemala aussehen, soll in folgenden Kapiteln aufgezeigt werden. 3.3 Die internationale Begleitarbeit für Menschenrechte in Guatemala Lokale wie internationale Nichtregierungsorganisationen gibt es in Guatemala ungemein viele, seit 1996 die Friedensabkommen unterschrieben wurden. Nebst privaten Geldern macht die internationale Finanzhilfe von anderen Staaten oder supranationalen Gebilden wie der Europäischen Union einen wichtigen Teil des Staatsbudgets Guatemalas aus. Ein Guatemalteker, der von internationalen NGOs beauftragt ist, die von ihnen unterstützten, lokalen NGOs zu überprüfen, damit sie bestimmten Qualitätsstandards für die Geldgeber entsprechen, erklärte der Autorin in einem informellen Interview, dass in Guatemala in den letzen Jahren NGOs wie Pilze aus dem Boden schossen, da die Gründung einer NGO eine Überlebensstrategie geworden sei, um an Hilfsgelder zu kommen. Dass NGOs vor allem als Überwacher eine zentrale Rolle spielen im internationalen System, wurde in dieser Arbeit bereits aufgezeigt. Wie sie helfen, ist sehr unterschiedlich. Internationale Hilfe kann in zwei Typen unterteilt werden: in materielle und immaterielle Hilfe. In Guatemala trifft man auf beide Typen von internationaler Hilfe oder deren Mischformen an: der erste Typ bringt materielle Unterstützung in Form von Geld und/oder 281 282 Vgl. Risse et al (2002), Die Macht der Menschenrechte. Vgl. Sikkink (1993), Human rights, principled issue-networks, and sovereignty in Latin America, S. 437. 54 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Materialien (Baumaterial, Schulmaterial, etc.). Der zweite Typ konzentriert sich auf Begleitarbeit (internationale Präsenz/Beobachtung), Advocacy- und Lobby-Arbeit. Auf den letzteren Hilfstyp, insbesondere auf die internationale Begleitarbeit in Guatemala, wird in der Folge näher eingegangen. Dies um herauszufinden, welchen Beitrag diese Art von NGO-Arbeit für die Verbesserung der Menschenrechtssituation der Guatemalteker im Kontext von Megaprojekten leisten kann und welchen nicht. Bei einem historischen Rückblick erkennt man eine längere internationale Begleittradition zur Sicherung und Überwachung der Menschenrechte in Guatemala. Mit der Toleranz internationaler Begleitorganisationen zur Beobachtung der Menschenrechte im Land, demonstriert Guatemala gegen aussen, dass das Land nichts zu verbergen hat. Der Einsatz internationaler Begleitung in Guatemala ist stark verbunden mit dem politischen, gesellschaftlichen, sozioökonomischen Kontext des Landes und wird bis heute von verschiedenen internationalen Organisationen und Bewegungen durchgeführt, wobei erstens Peace Brigades International (PBI), zweitens die in CAIG-Acoguate zusammengeschlossenen internationalen Organisationen und drittens die Nonviolent Peaceforce (NP) die drei Pfeiler der Begleittradition in Guatemala darstellen, wobei NP zur Zeit nicht mehr präsent ist. Die NGO PBI setzt sich seit 1981 international gegen Gewalt und für die Menschenrechte ein. Dabei vertritt sie die Prinzipien der Nicht-Einmischung und Unparteilichkeit bei der Begleitung von Organisationen. Die NGO ist der Meinung, dass eine nachhaltige Transformation von Konflikten nicht von aussen kommen kann, sondern aus den Kapazitäten und Wünschen der lokalen Bevölkerung entspringen muss. Sie sieht ihre Aufgabe darin, lokalen Aktivisten politischen Raum zu schaffen und sie moralisch zu unterstützen, damit diese ihre Arbeit ohne Angst und Unterdrückung ausüben können. PBI erstellt weiter Analysen zur politischen Situation, baut ein Unterstützungsnetzwerk auf und verbreitet Informationen. Der zweite Traditionsstrang in der Begleitarbeit entspringt der Begleitung zurückkehrender Flüchtlinge aus Mexiko Solidaritätsbewegungen und durch führte verschiedene mit der internationale Gründung von Organisationen und CAIG-Acoguate zur Institutionalisierung dieser zuvor eher losen Begleitbewegung. Auch Nonviolent Peaceforce (NP) übernahm in der Vergangenheit Mandate zur Begleitung von guatemaltekischen Personen und Organisationen, die juristisch gegen die Verantwortlichen der Massaker vorgingen und deswegen internationalen Schutz anforderten. 55 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Diese drei Begleittraditionen werden in den folgenden drei Unterkapiteln näher vorgestellt, wobei näher auf CAIG-Acoguate als Teil des Untersuchungsgegenstandes dieser Arbeit eingegangen wird. 3.3.1 PBI in Guatemala PBI wurde 1983 in Guatemala aktiv, in einer Zeit als der Bürgerkrieg bereits seit 20 Jahren tobte, Massaker verübt wurden und die „Taktik der verbrannten Erde“ kurz zuvor angewandt worden war. Die sozialen Bewegungen waren durch den 36 Jahre dauernden Bürgerkrieg lahm gelegt. Zu dieser Zeit gab es praktisch keine internationale Präsenz im Land und die guatemaltekische Regierung verlor immer mehr die von ausserhalb stammende Unterstützung. 1986 wurde mit dem Aufbau einer Zivilregierung begonnen, doch diese stand immer noch im Schatten des Militärs. Der Prozess zur Unterzeichnung der Friedensabkommen dauerte von 1986 bis 1996. In dieser Zeit kehrte das Interesse der internationalen Gemeinschaft für Guatemala zurück: Kooperationsprogramme wurden entwickelt, Flüchtlinge kehrten zurück, die Zahl der lokalen und internationalen NGOs stieg an, darunter auch die der Begleitorganisationen.283 PBI versuchte von Anfang an, die sozialen Bewegungen zu unterstützen und schützen und die Informationen zur Menschenrechtssituation ausserhalb von Guatemala zu verbreiten. PBI war die erste internationale Organisation in Guatemala, die sich für den Frieden stark machte. Dabei wendete die Organisation verschiedene Begleitformen an: Begleitung in der Öffentlichkeit, Eskorte-Begleitung, als Verbindung, bei der Besetzung von Gebäuden, in öffentlichen Protesten, bei der Rückführung von Flüchtlingen. Nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen 1996, schloss PBI 1999 das Projekt in Guatemala. Als 2000 die Republikanische Front Guatemala (FRG284) die Macht übernahm, verschlechterte sich laut PBI die Menschenrechtssituation signifikant.285 Die Organisation erhielt von diversen guatemaltekischen Organisationen Rückkehranfragen. 2001 schickte PBI eine Delegation zur Analyse der Situation und entschied sich 2002 für eine permanente Präsenz im Land. Seit April 2003 ist wider ein Inlandteam präsent.286 283 284 285 Vgl. Peace Brigades International, History of PBI in Guatemala, Online Version. FRG: Frente Republicano Guatemalteco. Vgl. Peace Brigades International, History of PBI in Guatemala, Online Version. 286 In Guatemala gibt es eine engere Zusammenarbeit zwischen PBI und CAIG-Acoguate. Jeden Monat werden an Treffen Informationen, Analysen ausgetauscht und manchmal auch neue Anfragen/Fälle übergeben, wenn beispielsweise bei der einen Organisation die Kapazitäten 56 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala 3.3.2 Nonviolent Peaceforce NP wurde Ende 2002 von Menschen aus 47 Ländern gegründet, von acht FriedensNobelpreis-Trägern unterstützt und von über 90 Mitgliedsorganisationen getragen. Die rund fünfzig "Staff"-Mitglieder kommen aus 24 Ländern (meist der Südhalbkugel). In Brüssel sind die dortigen Mitarbeiter und Praktikanten vor allem mit dem Fundraising und der Lobbyarbeit gegenüber der EU beschäftigt, aber auch mit der Koordination der europäischen Mitgliedsorganisationen.287 Das Konzept von NP umfasst Aktivitäten, die als unparteiische 'Präsenz der internationalen Zivilgesellschaft' in Konfliktregionen gelten, geht aber darüber hinaus, und bezieht sich vor allem auf gewaltträchtige Gruppen-Konflikte: NP will als Drittpartei zur Eindämmung und Überwindung von Feindseligkeit und Gewalt zivile Interventionen in größerem Maßstab ermöglichen und dies ausschließlich auf Bitten von einheimischen Organisationen. Ziel des Einsatzes ist die Verminderung und Prävention von Gewalt, um eine größere Sicherheit für Zivilpersonen zu erreichen, so dass sie zu einem anhaltenden, gerechten Frieden beitragen können.288 Zu den Methoden der Arbeit gehören u. a. die kritische Beobachtung politischer Ereignisse (Monitoring), das „Zwischen-die-Fronten-Treten“, die schützende Begleitung und die Ermöglichung von Gesprächen verfeindeter Gruppen durch 'Runde Tische'. Der erste Einsatzort war 2003 auf Sri Lanka, das von einem 30jährigen Bürgerkrieg erschüttert war.289 Zu ihrer "Peacekeeping"-Arbeit gehören die Mitwirkung bei der Rückholung von Kindersoldaten im Auftrag von UNICEF, die anhaltende Präsenz als internationale Beobachter mit ihren blauen T-Shirts, besonders wenn andere NGOs wegen der Gefährdung ihrer Mitarbeiter das Land verlassen, und die Unterstützung der örtlichen Verständigung unter verfeindeten Volksgruppen.290 Nebst Sri Lanka ist auf der philippinischen Insel Mindanao ist im Mai 2007 ein neues längerfristiges Projekt angelaufen.291 nicht vorhanden sind. Die beiden Organisationen sind meist in verschiedenen Regionen Guatemalas präsent und decken so unterschiedliche Gebiete ab. 287 288 289 290 291 Vgl. Nonviolent Peaceforce, About us, Online-Version. Vgl. Nonviolent Peaceforce, Mission, Online-Version. Vgl. Nonviolent Peaceforce, Sri Lanka Project, Online-Version. Vgl. Nonviolent Peaceforce, Mission, Online-Version. Vgl. Nonviolent Peaceforce, Philippines Project, Online-Version. 57 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala „Rapid Response“ wird von den Verantwortlichen der Nonviolent Peaceforce als ein zweites Standbein der Arbeit neben den Langzeitprojekten Sri Lanka und Mindanao angesehen. Es soll ein Pool aus einigen 100 trainierten Frauen und Männern gebildet werden, die bei Bedarf schneller verfügbar sind und für bis zu zwei Monate den nicht-militärischen Schutz solcher lokaler und externer Menschenrechts-Aktivisten gewährleisten, die akuten Todesdrohungen und körperlicher Gefährdung ausgesetzt sind. Damit soll eine kurzfristige Reaktion auf aktuelle Konfliktverschärfungen in einem Land ermöglicht werden.292 Die Idee des Rapid Response wurde vom Mai 2007 bis Februar 2008 in Guatemala im Zuge der Präsidentschaftswahlen erstmals umgesetzt, weil eine Zunahme der politischen Gewalt bzw. Gewaltandrohung befürchtet wurde. Tatsächlich erhielten Mitglieder der Nationalen Bewegung für Menschenrechte Morddrohungen und fragten um Präsenz bei der Nonviolent Peaceforce an. Zum Einsatz in Guatemala schreiben sie auf ihrer Homepage: „Nonviolent Peaceforce provided protective accompaniment to human rights defenders under threat in Guatemala. National elections were held in Guatemala on September 7 and November 9, 2007. The most violence was anticipated during the time leading up to and after the elections. The situation normalized after that and NP ended its accompaniment by February 2008. Nonviolent Peaceforce provided a team of four accompaniers, including a Team Coordinator, from April 2007 up to Feb 2008. The other three accompaniers were volunteers who served an average for three months in Guatemala. (...). The objective of the project is to ensure the security of the human rights defenders against politically-motivated violence through the volatile period before, during and after the September and November elections. (...).“293 3.3.3 CAIG-Acoguate Die Wurzeln der Begleitarbeit durch CAIG-Acoguate liegen in der Rückführung der guatemaltekischen Flüchtlinge von Mexiko nach Guatemala. Viele der in den 1980er Jahren aus Guatemala nach Mexiko Geflohenen, wollten in den 1990ern im Verlauf des Friedensprozesses wieder in ihr Land zurückkehren. Die Flüchtlingsorganisation „Comisiones Permanentes“ (CCPP) fragte 1991 die internationale Gemeinschaft an, sie auf dem Weg zu begleiten, um ihnen Schutz vor Übergriffen zu gewähren. 1992 wurde in einem Abkommen während des Friedensprozesses die internationale Begleitung von den Vertriebenen für die Rückkehr von der guatemaltekischen Regierung gefordert und festgehalten.294 Ein ehemaliger Flüchtling berichtete in einem für diese Arbeit durchgeführten Interview: „Wir wollten zurück, hatten aber grosse Angst, dass uns das Militär massakriert.“295 Daraufhin begleiteten 292 293 294 295 Vgl. Nonviolent Peaceforce, Rapid Response Program, Online-Version. Nonviolent Peaceforce, Guatemala Project, Online-Version. Siehe A.15: Abkommen zwischen Flüchtlingskommission und Regierung, S. 146. Interview BP1, Zeile 20-21. 58 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala diverse Solidaritätsgruppen aus aller Welt diese Rückkehrenden. Darunter waren auch Organisationen, die sich später zu CAIG-Acoguate296 zusammenschlossen. Die Begleitung bestand laut Augenzeugen nicht nur in der Begleitung auf dem Weg zurück nach Guatemala, sondern auch als „internationales Auge“ bei der Überwachung der zwischen 1986 und 1996 von der guatemaltekischen Regierung unterzeichneten Abkommen während den Friedensverhandlungen, laut dessen das Militär nicht ins Territorium der zurückgekehrten Flüchtlinge eindringen durfte. Als 1996 die Friedensabkommen unterzeichnet wurden, kam es zu einer politischen Stabilisierung. 1999 stellten die internationalen Begleitpersonen/Begleitorganisationen die Rückführungsarbeit ein und es zogen sich viele der internationalen NGOs aus dem Land zurück.297 NISGUA begleitete die Zurückgekehrten in bestimmten Gemeinden in Guatemala noch ein paar Jahre weiter.298 Eine zweite Welle der internationalen Begleitung wurde 2000/2001 ausgelöst, als die Zeugen und Überlebenden der Massaker während des Bürgerkrieges gegen die Verantwortlichen Generäle Lucas Garcia und Rios Montt Klage erhoben. Sie befürchteten vermehrte Attacken gegen die aussagenden Zeugen und die Organisationen, die sich mit der Klärung der Massaker während des Bürgerkrieges befassten. Die Organisationen AJR299 und CALDH300 fragten internationale NGOs um Begleitung an, auch um dem Prozess Legitimation zu verschaffen. Diese Anfrage basierte, wie ein Anwalt von CALDH und ehemaliger Rückkehrer in einem Interview301 erwähnte, auf der Erfahrung von AJR-Mitglieder, die in den 1990er Jahren als Rückkehrende international begleitet wurden. Auf diese Anfrage hin taten sich laut der heutigen Koordinatorin von CAIG-Acoguate die Organisationen Nisgua, Ada und PAQG zusammen und suchten nach einer Person, die dieses Begleitprojekt koordinierte.302 Als es mehr Freiwillige brauchte, suchte man Allianzen mit weiteren internationalen Organisationen. Schlussendlich waren es neun internationale NGOs, die sich für die Begleitung zu einem Komitee (CAIG) zusammenschlossen und damit das gemeinsame Begleitprojekt Acoguate ins Leben riefen. Diese Begleitung lief im Rahmen des Zeugenschutzprogrammes, das heute 296 297 298 299 300 301 302 CAIG-Acoguate: Comite de Acompañamiento International en Guatemala – Acompañamiento Guatemala. Vgl. Peace Watch Switzerland, COSAR, Online-Version. Siehe Anhang A.14: Chronologie Begleitarbeit in Guatemala, S. 144. AJR: Associacion para la Justicia y Reconciliacion. CALDH: Centro para acciones legales derechos humanos. Interview BP1, Zeile 202-203. Interview K1, Zeile 260-261. 59 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Largo Plazo303-Begleitung genannt wird. Die Schlüsselmomente dieser Begleitung waren von 2000 bis 2003.304 Nach 2003 erreichte die Begleitarbeit von CAIG-Acoguate eine dritte Etappe, als die Notwendigkeit aufkam, guatemaltekische Menschenrechtsaktivisten und Menschenrechtsorganisationen zu begleiten, da diese aufgrund ihrer Arbeit verstärkt Drohungen erhielten. Es wurden neu Organisationen und Personen bei Exhumierungen305 begleitet. Damals hiess dieses Begleitprogramm „no estas solo306“, wurde 2005 in Corto Plazo307-Begleitung umbenannt. Weil es in den Gerichtsprozessen der Genozidfälle nicht voranging, begann CAIG-Acoguate die Corto Plazo-Arbeit (kurz CP) auszubauen und mehr Freiwillige zu suchen um ein CP-Team bilden zu können.308 Peace Watch Switzerland309 (PWS) beispielsweise, rekrutiert seit 2004 in der Schweiz Freiwillige für den Einsatz im Begleitprojekt Acoguate. Im nationalen Kontext kam es 2004 zur Schliessung von MINUGUA310. Der ehemalige Generalsekretär Kofi Anan liess an der Schliessungszeremonie in Guatemala Stadt folgende Botschaft übermitteln: „(...). The closure of MINUGUA should not be seen as the end of the peace process, but rather, as the beginning of a new and necessary phase in which national actors assume full responsibility for monitoring and promoting the goals of the peace accords in the future. (...).The United Nations and Guatemala have signed agreements providing for the opening of an Office of the High Commissioner for Human Rights and for the creation of a special body to investigate clandestine groups. (...). But henceforth, the major protagonists in this story will be the Guatemalans themselves, as it should be. (...). Civil society organizations in particular are increasingly playing a healthy watchdog function, pressing the State to assume its obligations.“311 Mit dieser Schliessung fiel ein Teil der internationalen Überwachung und Abschreckung auf höherer Ebene weg und wie in vorhergehenden Kapiteln aufgezeigt, gelingt es zivilgesellschaftlichen Gruppen nur schwer den Staat unter Druck zu setzen. Im Juli 2005 wurde wie bei der Schliessung der MINUGUA angekündigt, das Büro des Hochkommissariats für Menschenrechte der UNO in Guatemala Stadt eröffnet.312 303 304 305 306 307 308 Spanisch und bedeutet auf Deutsch übersetzt: langfristige Begleitung. Interview K1, Zeile 263-264. Ausgrabungen von Gräbern zur Bergung von Bürgerkriegsopfern und Aufklärung der Massaker. Spanisch und bedeutet auf Deutsche übersetzt: du bist nicht allein. Spanisch und bedeutet auf Deutsch übersetzt: kurzfristige Begleitung. Interview K1, Zeile 315-321. 309 PWS war vor 2001 eine Interessensgemeinschaft. Die erste Anfrage kam aus Guatemala. Zwischen 1993 bis 1997 reisten ca. 120 SchweizerInnen für 3 Monate nach Guatemala. 310 MINUGUA: United Nations Verification Mission in Guatemala. 311 UNIS, Guatemala Mission Successful Example of UN Peace-Building, with Lessons for Other Operations, Says Secretary-General in Message to Closing Ceremony, 17. November 2004, Online-Version. 312 Vgl. UNIS, Secretary-General Welcomes Planned Opening of UN Human Rights Office in Guatemala, 3. Juni 2005, Online-Version. 60 Masterarbeit 2006 kam Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala nochmals Bewegung in die Genozidfälle, weil eine spanische Anhörungskommission nach Guatemala gekommen war um die 1999 von Rigoberta Menchú313 erhobene Anklage weiter voranzutreiben. In diesem Kontext veränderte sich auch die Begleitarbeit, da es eine grossen Bedarf an Freiwilligen gab. Die Prozesse wurden von der Verteidigung der Angeklagten mit Rekursen blockiert. Es wurden keine Zeugen verhört. In den nationalen Fälle314 kam ebenfalls ein wenig Bewegung auf und als Alvaro Colom sein Amt als Präsident antrat 2007 kam es zu kleineren Erfolgen. Er forderte die Öffnung der Militärarchive.315 Als Mitglieder der Vereinigung AJR für Zeugenaussagen nach Spanien reisten, baten sie um internationale Begleitung. Damit war der Fokus der Begleitarbeit wieder vermehrt auf die Begleitung der AJR-Mitglieder in den Gemeinden gerichtet. Ende 2007 kam der Entscheid des Verfassungsgerichtes, der besagte, dass die spanischen Investigationen auf guatemaltekischem Boden nicht mehr möglich seien. Darauf hin beschloss ein guatemaltekischer Richter die Zeugenaussagen durchzuführen und dann nach Spanien zu schicken. Er forderte die Staatsanwaltschaft in Guatemala auf, diese Zeugenaussagen ebenfalls in ihre Untersuchungen einzubeziehen die bereits seit Jahren liefen und zu keiner Verhaftung führten.316 In diesem Kapitel kommt zum Ausdruck, dass zwischen Begleitarbeit und dem Kontext Guatemalas eine Art Wechselwirkung besteht. CAIG-Acoguate reagiert auf die Begleitanfragen aus der Zivilbevölkerung, die sich mit dem sozialen, ökonomischen und politischen Wandel in Guatemala verändern. Liam Mahony und Luis Enrique Eguren bemerkten 1997 in ihrem Werk über die internationale Begleitarbeit „Unarmed Bodyguards“, dass der Einsatz von Begleitarbeit sehr kontextabhängig sei und die Zukunft noch unzählige Konflikte mit unterschiedlichen Gründen und Dimensionen bringen werde.317 Auf Menschenrechtsverletzungen im Kontext von Megaprojekten können Begleitanfragen von betroffenen Menschenrechtsaktivisten folgen. Die interviewte Koordinatorin sagte aus, dass sich die Arbeit von CAIG-Acoguate aktuell durch den sich wandelnden Kontext (inkl. Megaprojektentwicklung) stark am verändern ist.318 Die Richtung des neuen Kurses steht zur Diskussion. 2009 wurde von CAIG-Acoguate eine Studie in Auftrag gegeben, die eine 313 314 315 316 317 318 Rigoberta Menchú Tum ist eine guatemaltekische Menschenrechtsaktivistin und erhielt 1992 den Nobelpreis. Es gab nebst den nationalen Gerichtsfällen Fälle, die bis vor den interamerikanischen Gerichtshof gelangten. Siehe Anhang A.14: Chronologie Begeitarbeit in Guatemala, S. 144. Interview K1, Zeile 351-357. Vgl. Mahony/Eguren (1997), Uarmed Bodyguards, S. 247. Interview K1, Zeile 428-429. 61 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Situationsanalyse der Arbeit und Organisation und damit eine Entscheidungsbasis bringen soll. 3.3.3.1 Organisationsstruktur CAIG-Acoguate Aus dem Organigramm im Anhang319 geht hervor, dass das Komitee CAIG für internationale Begleitarbeit aus neun (früher 10) internationalen Organisationen320 aus acht Ländern besteht, wobei sechs davon eine Vertretung in Guatemala haben. Durch die „Mutterorganisationen“ im Ausland und das Netzwerk in Guatemala hat CAIG-Acoguate nationale und internationale Rückendeckung und ist in ein transnationales „advocacy“-Netzwerk eingebettet. Die Politologinnen Margaret Keck und Kathryn Sikkink nennen als Gründe für das in Erschienung treten solcher transnationaler „advocacy“-Netzwerke die Blockierung der Kanäle zwischen lokalen Gruppen und deren Regierung oder die Ineffizienz dieser Kanäle bei der Konfliktlösung. Wenn dieser direkte Kanal zwischen lokalen Gruppen und Regierung nicht funktioniert, wie dies durch die Landesanalyse aufgezeigt werden konnte, kommt es zum so genannten Bumerang-Effekt321. Dieser beasgt, dass die lokalen NGOs (wie CALDH) die eigene Regierung (Staat) umgehen und direkt internationale Verbündete (CAIG-Acoguate) suchen, um von aussen Druck auf ihre Regierung ausüben zu können. Durch diese Vorgehensweise erhalten Akteure aus südlichen Ländern den Zugang zu Einfluss, Information und finanzielle Mittel, während die Akteure aus dem Norden in ihrem Einsatz für eine Sache beteuert werden. Für die lokalen Akteure können internationale Kontakte ihre Forderungen verstärken.322 Die Organisationen im Komitee CAIG rekrutieren in ihren Ländern Freiwillige für das Begleitprojekt Acoguate. Die Organisationen mit Vertretung in Guatemala leiten gemeinsam mit der Koordinatorin das Projekt Acoguate. Die Koordinationsstelle hat die Aufgaben, die Beziehungen zu den Komitees zu pflegen und in Acoguate zu vertreten, die keine Vertretung in Guatemala haben, die Einsätze der Freiwilligen zu koordinieren und Information auf nationaler und internationaler Ebene zu verbreiten (politische Arbeit). 319 320 Siehe Anhang A.6: Organigramm CAIG-Acoguate, S. 130. PAQG: Projecto de Acompanamiento Quebec Guatemala aus Kanada (seit 2009 ohne Vertretung); Ada: Acompanamiento de Austria aus Österreich (mit Vertretung); Swefor: Swedisch fellowship of Reconciliation aus Schweden (mit Vertretung); PWS: Peace Watch Switzerland aus der Schweiz (ohne Vertretung); BTS: Breaking the Silence aus Kanada (mit Vertretung); Nisgua: Network in Solidarity with the People of Guatemala aus Amerika (mit Vertretungen); Collectif Guatemala: aus Frankreich (mit Vertretung); GSN: Guatemala Solidarity Network aus England (ohne Vertretung). 321 322 Siehe Anhang A.3: Bumerang-Modell, S. 127. Vgl. Keck/Sikkink (1998), Activists beyond borders, S. 12-13. 62 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Die Organisationsvertreter im Projekt Acoguate machen eine politische Arbeit, indem sie mit verschiedenen Akteuren (Botschaften, NGOs, etc.) Kontakte pflegen und Informationen austauschen. Es bestehen zwei Einsatzarten im Projekt Acoguate, die von den Freiwilligen wahrgenommen werden: Largo Plazo (LP) und Corto Plazo (CP). Bei der Largo-Plazo Begleitung (LP) werden in mehreren Verwaltungsbezirken323 Guatemalas die Mitglieder der Vereinigung AJR von insgesamt zweiundzwanzig Gemeinden324 einmal im Monat von zwei freiwilligen Begleitpersonen besucht.325 Der direkte und langjährige Kontakt mit der Zivilbevölkerung ist eine grosse Stärke dieser Begleitung. Die Begleitpersonen gelangen in die abgelegensten Gemeinden, wo teils keine andere internationale Institution hinkommt. Der regelmässige und langjährige Kontakt (acht Jahre) baute eine Vertrauensbeziehung zu den indigenen Menschen auf. Damit können Analysen erstellt werden, die in keiner Literatur zu den Regionen zu finden sind. Mit dieser Präsenz ist man direkt an der Informationsquelle. Zurück in der Hauptstadt, können aktuellste Entwicklungen in verschiedenen Regionen des Landes festgestellt werden. Der Hauptsitz von CAIG-Acoguate in der Hauptstadt erlaubt einen einfachen Zugang zu Menschenrechtsorganisationen, Botschaften sowie Organisationen aus der Zivilgesellschaft. Aus der Weiterleitung dieser Informationen direkt aus dem Feld an verschiedene Institutionen, erhoffen sich die NGOs politisch Einfluss nehmen zu können. Die Koordinatorin von CAIG-Acoguate beschreibt diesen Einfluss am Beispiel der Informationsübermittlung an Botschaften, deren Mitarbeiter die Zone 10 in der Stadt nicht verlassen würden und ihr Wissen über das Land daher ganz verschieden sei zu demjenigen von CAIG-Acoguate.326 Die Corto-Plazo Begleitung (CP) beinhaltet eine kurzfristige Begleitung über eine kürzere Zeitspanne und ist eher punktuell. Das CP-Team ist in der Hauptstadt stationiert und entscheidet mit den verantwortlichen Organisationsvertretern ob ein Fall begleitet wird oder nicht. Alle zwei Wochen findet in der Hauptstadt im CP-Team eine Analysensitzung zur aktuellen Lage im Land. Die Begleitfälle hängen von der Menschenrechtssituation in Guatemala ab und variieren von Gewerkschaften, Zeugenorganisationen über Anti-Minenorganisationen, die sich mit der 323 Guatemala ist in 22 Verwaltungsbezirke (departamentos) aufgeteilt; ein Verwaltungsbezirk wiederum ist in municipios (Grossgemeinden) und weiter in comunidades (Gemeinden) aufgeteilt. 324 325 326 Eine Gemeinde wird in Guatemala als comunidad bezeichnet. Interview K1, Zeile 360. Vgl. Interview K1, Zeile 418-422. 63 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Straflosigkeit, Landkonflikten, Exhumierung, Arbeitsrechten und dem Widerstand gegen Megaprojekte auseinandersetzen. Es wird an verschiedensten Anlässen im Bereich der Menschenrechte begleitet: an Demonstrationen, Festivals, Buchvorstellungen etc. Es werden Besuche auf die Staatsanwaltschaft begleitet. Auch regelmässige Bürobesuche bei Menschenrechtsorganisationen gehören zur Arbeit im CP. Das CP-Team nimmt weiter Aufgaben wahr, die der Analyse und Dokumentation der Begleitfälle dienen. Darunter fallen das Sammeln fallspezifischer Zeitungsartikeln und Communiqués anderer Institutionen. Diese Aufarbeitung politischer, sozialer und ökonomischer Fakten dient der Erstellung einer Situationsanalyse des Landes und der weiteren Einsatzplanung. Merkmale der internationalen Begleitung von CAIG-Acoguate327 3.3.3.2 1. Die Begleitung ist eine internationale Präsenz in einer Gemeinde, die aus physischen Sicherheitsgründen angefordert wurde. 2. Die Begleitung ist ein abschreckendes Element, das interveniert, wenn Umstände potenzieller Menschenrechtsverletzungen vorliegen. 3. Die Begleitung beinhaltet die Beobachtung, Dokumentation und Sammlung von Daten im Zusammenhang mit Vorfällen in Bezug auf Menschenrechte in einer Gemeinde oder Region eines Landes. 4. Die Begleitung ist eine Solidaritätsarbeit, die einen direkten Kontakt und Austausch zwischen dem guatemaltekischen Volk und Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft ermöglicht. 5. Die Begleitung beinhaltet Bildungsarbeit und Solidaritätsarbeit, die in den Herkunftsländern der internationalen Begleitorganisationen realisiert wird. 4 Resultate und Analyse der empirischen Forschungsdaten Nachdem in vorhergehenden Kapiteln dieser Arbeit Ursachen für das Konfliktpotenzial im Kontext mit Megaprojekten Menschenrechtssituation inklusive theoretisch deren bearbeitet Auswirkungen und auf die die allgemeine Arbeit von Menschenrechtaktivisten und Menschenrechtbegleiter erläutert wurden, widmet sich der letzte Teil dieser Arbeit der Frage nach dem möglichen Beitrag, den die internationale Begleitarbeit 327 Vgl. Acoguate (2009). Schulungsdossier „Bienvenid@s a la capacitacion de ACOGUATE“, S. 18. 64 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala im Kontext von Megaprojekten in Guatemala leisten kann. Die Frage nach dem Beitrag im Kontext von Megaprojekten resultiert vor allem aus der Auswertung der Interviews. Die Begleitpersonen von CAIG-Acoguate nehmen nebst den Faktoren Drogenkartelle/-handel, Gewaltzunahme, Remilitarisierung, Kriminalität/Jugendbanden auch Megaprojekte (Wirtschaftskonzerne/Wirtschaftsinteressen) als Herausforderungen in der Begleitarbeit wahr: Diese Angaben widerspiegeln die Situationsanalyse zu Guatemala, die in Kapiteln zuvor dargestellt wurden. Um die Beitragsfrage beantworten zu können, werden in einem ersten Schritt die Konfliktfaktoren im Kontext von Megaprojekten aus Sicht der Interviewten und der Ausführungen im ersten Teil dieser Arbeit diskutiert, die sich auch durch die Feldforschung vor Ort abzeichneten. Als Referenzbeispiel dient mehrheitlich das grosse extraktive Ressourcenprojekt Mine Marlin. In einem zweiten Schritt werden die generellen Prinzipien und Ziele der Begleitarbeit aufgezeigt und im Zusammenhang mit der Begleitung im Kontext von Megaprojekten in Verbindung gebracht. 4.1 Konfliktfaktoren im Kontext des Megaprojektes Mine Marlin Durch die Auswertung des Datenmaterials kristallisierten sich verschiedene Faktoren heraus, die für die Konflikte mit Megaprojekten in Guatemala eine Rolle spielen: • Landkonflikte: ein Erbe aus früheren Zeiten • Partizipation: Exklusion der betroffenen Bevölkerung • Rolle des Staates und der transnationalen Unternehmen • unterschiedliche Vorstellungen von Entwicklung 4.1.1 Landkonflikte Die historische, politische, soziale und ökonomische Dimension der Agrarprobleme in Bezug auf die Kolonialzeit, den Bürgerkrieg und die Entwicklungen nach den Friedensabkommen im Zuge der neoliberalen Wirtschaftsentwicklung, wurde in vorhergehenden Teilen bereits angesprochen, wie auch als Potenzial für soziale Konflikte erkannt. Diese Erkenntnisse werden in der Folge in Verbindung mit den Forschungsresultaten verglichen und diskutiert. Die Konflikte mit Agrarproblemen können in zwei Ebenen unterteilt werden: Die Forderung 65 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala nach Boden und die Verletzung der Arbeitsrechte.328 Diese Ebenen bilden eine Basis für die Konflikte rund um Megaprojekte. Auf die Auswirkung dieses Konfliktpotenzials im Megaprojektkontext soll nun eingegangen werden. Der kanadische Botschaftsvertreter in Guatemala sieht den Grund für die vielen Konflikte im Zusammenhang mit Megaprojekten als ein weltweites Phänomen, da es vor allem um Land geht.329 Die während dem Bürgerkrieg entstandenen Landkonflikte werden heute mit Megaprojekten, die wiederum denselben Boden betreffen, weitergeführt. Es gibt Stimmen in Guatemala, die sagen, dass zwischen den Massakern während des Bürgerkrieges und den heute aktuellen Megaprojekten ein Zusammenhang bestehe, da an den Orten, wo Massaker verübt wurden, heute oft ein Megaprojekt gebaut werde oder vorgesehen sei.330 Fest steht, der bewaffnete Konflikt hinterliess Landkonflikte, und auf diesem Konfliktland werden heute Megaprojekte geplant/gebaut, was die Landkonflikte verstärkt und neues Konfliktpotenzial schafft. Dieses Konfliktpotenzial um Land wird auch durch die in Kapitel 2.8 aufgeführten Analysen von UDEFEGUA gegen Menschenrechtsverteidiger bestätigt, die aufzeigen, dass gerade die Attacken gegen Bauern in den letzten Jahren quantitativ wie qualitativ stark zugenommen haben. Der Rechtsstreit um den Boden zieht sich fort. Mit den Megaprojekten treten transnationale Wirtschaftsunternehmen als neue Akteure in Erscheinung, die über finanzielle Mittel verfügen und den Boden leicht aufkaufen können. In den Regionen mit vermehrtem Vorkommen an natürlichen Ressourcen wird laut UDEFEGUA mit dem Land Handel getrieben. Die Landpreise sind dadurch stark gestiegen. Oft wird das Land auch von einer Art Zwischenhändlern (Strohmann) gekauft und dann an ein Unternehmen, das ein Megaprojekt plant, weiter verkauft. Gerade bei den im ersten Teil der Arbeit erwähnten Monokulturen, führen die Landkäufe zu Konflikten. Die Bauern erhalten zum Teil Drohungen, wenn sie ihr Land nicht verkaufen wollen. Manchmal wird ihnen das Land einfach weggenommen oder sie werden genötigt zu verkaufen.331 Die Forschungen der Autorin im Gebiet der Goldmine Marlin bestätigen diese Konfliktgründe rund um den Boden. Indigene Bauern, die dem kanadischen Unternehmen Goldcorp Land verkauften, sagen einerseits, dass sie beim Landverkauf teils nicht richtig darüber informiert wurden, was mit dem Land geschieht und 328 329 330 331 Vgl. Fundación Myrna Mack (2006), Crisis de gobernabilidad, S. 2, Online-Version. Interview B2, Zeilen 49-50. Interview K1, Zeile 11-21. Vgl. Samayoa (2009), Protegiéndonos ante las amenazas del Siglo XXI, S. 17. 66 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala andererseits fühlen sie sich vom Unternehmen betrogen, da das Land viel mehr wert habe, als man ihnen bezahlte und als Folge eine höhere finanzielle Entschädigung fordern. Gerade in einer Gesellschaft wie Guatemala, wo ein Grossteil der Bevölkerung von der Subsistenzwirtschaft lebt und davon abhängig ist, können die ökologischen Folgen für den Boden die Existenz gefährden. 4.1.2 Partizipation und Mitbestimmung versus Exklusion In diesem Unterkapitel soll die Frage beantwortet werden, weshalb sich die betroffene Bevölkerung bei Megaprojekten ausgeschlossen fühlen und wie sie auf die Exklusion bei der Mitbestimmung reagieren. Denn gerade bei diesen Reaktionen stellt sich für CAIG-Acoguate die Frage, ob und wie international begleitet werden kann. Auf die Ausführungen des ersten Teils dieser Arbeit gestützt, kann generell davon ausgegangen werden, dass Modernisierungsideologien (assoziiert mit Kolonialismus, kapitalistische Entwicklung und Globalisierung) von Gesellschaftsakteuren, die eine Megaprojektentwicklung fördern, eine schnelle, massive Landschaftsveränderung begünstigen, wobei die potenziell betroffene Bevölkerung bei der Entscheidungsfindung ausgeschlossen wird.332 Dies bestätigt auch die Koordinatorin von CAIG-Acoguate, die das Problem in der fehlenden Repräsentation der indigenen Zivilbevölkerung in politischen Institutionen sieht, ohne die vorhandene Bedürfnisse wenig Gehör finden.333 Hier spielt die Frage nach dem Recht auf Mitbestimmung und Partizipation an Entscheidungsprozessen mit. Die Leute möchten mitbestimmen, was mit ihrem Boden, ihrem Wasser in ihren Gemeinden geschieht, werden jedoch von staatlicher Seite nicht erhört. Da die Bevölkerung auf dem Land abgelegen lebt, arm ist und über eine schlechte Bildung verfügt, ist es für sie enorm schwierig, in den Hauptort ihres Departements zu reisen und ihre Rechte einzufordern. Bei der Konsultation der lokal betroffenen Bevölkerung stehen Aussage gegen Aussage. Die Unternehmen und der Staat sprechen ihrerseits von einer erfüllten Konsultationspflicht, während Megaprojektgegner diese kritisieren. Lokale und internationale Aktivisten kritisieren an der Vorgehensweise, dass die betroffene Bevölkerung nicht genügend über mögliche Auswirkungen und Konsequenzen eines Megaprojektes informiert werde. Die Koordinatorin von CAIG-Acoguate meint dazu, dass die Unternehmen von Megaprojekten zwar sagen, dass sie die lokale Bevölkerung konsultieren, doch es sich in Wirklichkeit nicht um 332 333 Vgl. Gellert/Lynch (2003), Mega-projects as displacements, S. 20, Online-Version. Interview K1, Zeile 114-117. 67 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Konsultationssitzungen, sondern um Informationssitzungen handle.334 Magali Rey Rosa, guatemaltekische Umweltaktivistin der NGO Madre Selva, reichte bei der Internationalen Finanzgesellschaft (ein Arm der Weltbank) Klage ein gegen die Vergabe der vielen Lizenzbewilligungen im Land und argumentierte, dass die Projektberichte, die den indigenen Gemeindeführern präsentiert wurden, nicht genügend bewusst machen, welche möglichen negativen Auswirkungen das Projekt Mine Marlin haben könnte. Damit wird die Konsultationsweise der Weltbank kritisiert, die laut internen Vorgaben der Weltbank und der ILO-Konvention 169 gefordert wird.335 Die Koordinatorin von CAIG-Acoguate erzählte, dass in einem Fall in der nördlichen Region, in der das Wasserkraftwerk Xalalá geplant ist, die Leute nicht wissen, dass die vom Wasserwerk produzierte Elektrizität primär nicht dazu dienen wird, die Gemeinde mit Strom zu versorgen, sondern ins Ausland exportiert wird.336 Eine sich im Widerstand gegen die Mine Marlin befindende Person sagte in einem Interview aus, dass sich seit Beginn der Minenarbeit 2005 die negativen Auswirkungen schrittweise zeigten. Als sich das Minenunternehmen erstmals präsentierte, habe niemand daran gedacht, wie sich die Situation entwickeln könnte. Die Person spricht in ihren Ausführungen von „engaños que se utilizó“, was heissen würde, dass sich das Minenunternehmen durch ungenügende oder falsche Information Land erschwindelt. Die Bevölkerung sei sich nie über die Folgen des Projektes bewusst gewesen. Es sei nicht die notwendige Information mitgeteilt worden. Man habe die Bevölkerung hinters Licht geführt, indem man sie Dokumente habe unterschreiben lassen, damit das Unternehmen eine Bewilligung für die Rohstoffausbeutung erhielt.337 Die kanadische NGO „Rights Action“ informierte an einer Sitzung338 mit indigenen Gemeindevertretern in San Miguel Ixtahuacan über einen von Kanadiern und anderen NGOs unterzeichneten Brief339 an die kanadische Botschafterin in Guatemala, die seit 2008 neu im Amt ist. Der Brief besagt unter anderem, dass laut guatemaltekischem Gesetz bei grösseren Projekten mit der Bevölkerung eine Einigung getroffen werden muss, da die Indigenen in der guatemaltekischen Verfassung einen speziellen Status zur Anerkennung ihrer Lebensweise haben. „Rights Action“ sieht als Konsequenzen der Nicht-Konsultation der Bevölkerung 334 335 336 337 Interview K1, Zeile 134. Vgl. Federacion Luterana Mundial (2006), Centroamerica 2004-2005, S. 48. Interview K1, Zeile 134-137 . Vgl. Interview BP5, Zeile 13-26. 338 Die Sitzung im Rahmen der Alcaldia Indigena, auf die in diesem Kapitel noch eingegangen wird, wurde von zwei internationalen Freiwilligen von CAIG-Acoguate begleitet fand am 23.11.2008 in San Miguel Ixtahuacan mit ca. 100 Teilnehmern statt, darunter knapp 60 Bürgermeister aus dem Municipio San Miguel Ixtahuacan. 339 Siehe Anhang A.8: Brief von NGOs an die kanadische Botschafterin, S. 132. 68 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala durch den Staat, dass sich die Bevölkerung nicht nach ihrem eigenen Verständnis entwickeln kann. Es seien Folgen für Gesundheit und Umwelt zu beklagen, wie auch Folgen für das gesellschaftliche Zusammenleben, da Familien und Gemeinden erneut gespalten würden. Der Frage nachzugehen, welche der Konfliktparteien im Recht steht, ist nicht Ziel dieser Arbeit und würde ihren Rahmen sprengen. Die Autorin erlebte selber, dass bei Konfrontationen zwischen den Konfliktparteien oft Aussage gegen Aussage steht, weil unterschiedliche Informationen für Verwirrung sorgen. Da nirgends genau festgehalten ist wie konsultiert werden muss und was geschieht, wenn es bei einer Konsultation keine Übereinkunft zwischen Staat/Unternehmen und der konsultierten Bevölkerung gibt, wird eine Unsicherheitslage geschaffen, von der auch die internationale Begleitarbeit betroffen ist. Denn bei der Analyse der Begleitarbeit im Kontext von Megaprojekten ist eine Orientierung an klaren Menschenrechtsrichtlinien schwierig, wenn keine Attacken und Drohungen gegen Menschenrechtsaktivisten vorliegen und der Entscheid, ob in diesem Kontext begleitet werden kann/soll oder nicht, verstärkt subjektiver Interpretation und Auslegung unterliegt. Beantwortet werden soll nun die Frage, wie die von Megaprojekten Betroffenen auf die Exklusion reagieren. Die Volksbefragungen, die so genannten „Consultas Populares“, sind eine Reaktionsform auf die Exklusion bei der Mitbestimmung von Megaprojekten. Im Juni 2005 wurde in Guatemala erstmals eine „Consulta Popular“ durchgeführt und die Bevölkerung der Gemeinden im Municipio Sipacapa (Departement San Marcos) sprach sich gegen die Präsenz der Mine Marlin aus.340 Im Bericht über die Menschenrechtssituation von 2004-2005 verschiedener zentralamerikanischer Menschenrechtsorganisationen, wird zur ersten „Consulta“ bemerkt, dass weder das Unternehmen, noch die Regierung grosses Interesse gegenüber dem Resultat der Veranstaltung zeigten, an der 98% der Gemeindemitglieder teilgenommen haben. Zwölf der dreizehn Gemeinden des Municipios Sipacapa haben sich klar gegen die Mine Marlin ausgesprochen.341 Im Municipio San Miguel Ixtahuacan, auf dessen Territorium sich der Grossteil der Minentätigkeit abspielt, wurde bisher noch keine „Consulta“ durchgeführt. Die Minengegner in San Miguel Ixtahuacan planen eine „Consulta“, der eine Informationskampagne vorausgehen soll, um, wie die interviewte Person im Widerstand argumentiert, einen Ausgleich herzustellen, indem in allen Gemeinden des Municipios beide Seiten der Minentätigkeit bekannt werden.342 Die Minengegner erhoffen sich durch eine Volkskonsultation, dass sich die Mehrheit der 340 341 342 Vgl. Federacion Luterana Mundial (2006), Centroamerica 2004-2005, S. 48. Vgl. Federacion Luterana Mundial (2006), Centroamerica 2004-2005, S. 48. Vgl. Interview BP5, Zeile 206-212. 69 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Gemeinden im Municipio San Miguel Ixtahuacan gegen die Mine aussprechen und damit der weitere Landkauf und die Ausbreitung des Unternehmens gestoppt werden kann. Andere Minengegner erhoffen sich sogar die Schliessung der Mine, was eher unwahrscheinlich ist. Denn das Unternehmen verfügt noch über mehr Lizenzen, die eine Ausbeute von Rohstoffen in anderen Gemeinden des Municipios San Miguel Ixtahuacan ermöglichen, wenn das Unternehmen das Land kaufen kann.343 Während des Einsatzes als internationale Begleiterin für die Menschenrechte konnte die Autorin in San Miguel Ixtahuacan regelmässig an Treffen der so genannten „Alcaldia Indigena“ teilnehmen. Die Wurzeln dieser indigenen Bürgermeister-Versammlung gehen zurück in der Kolonialzeit. 2005 wurde die „Alcaldia Indigena“ im Municipio San Miguel Ixtahuacan aufgelöst. Die Interviewten erklärten diese Aufhebung damit, dass die Behörden Widerstand gegen die Mine verhindern wollten. Seit 2008 wurde die „Alcaldia Indigena“ von Initianten der sozialen Bewegung gegen die Mine wieder ins Leben gerufen. Von den Initianten wird diese Versammlung, dessen Gremium aus elf Bürgermeistern besteht, als legitime Repräsentation der Gemeinden gesehen, die, im Gegensatz zu den staatlichen Instanzen, das Volk und dessen Interessen vertrete.344 Der offizielle Bürgermeister wird durch eine politische Partei und nicht durch das Volk gewählt und ist damit an das Parteiprogramm gebunden. Das Volk werde dabei vergessen, so ein Initiant der „Alcaldia Indigena“.345 Denn die offiziellen Gemeindeautoritäten würden auf die Interessen des politischen Systems, der politischen Parteien und nicht auf die Bedürfnisse des Volkes antworten. Sie würden nur die Interessen der übergeordneten Regierungsinstanzen erfüllen, vor denen sie sich fürchteten und deshalb die Bevölkerung möglichst schweigsam und still halten. Die „Alcaldia Indigena“ hingegen, spiele eine wichtige Rolle, weil unabhängig von den externen Staatsinstanzen Entscheidungen getroffen werden können.346 Diese Versammlung wird genutzt, um offen die Bedenken und Auswirkungen zur Minentätigkeit zu besprechen und Massnahmen zu treffen. Diese Vereinigung indigener Bürgermeister aus den angrenzenden Gemeinden des Minengebietes wird als Instrument genutzt, den Widerstand zu organisieren und die Interessen der indigenen Bevölkerung öffentlich vertreten zu können. Während des Bürgerkrieges wäre diese soziale Bewegung vom Militärregime nicht geduldet worden und noch heute werden dieselben gewalttätigen Mechanismen der Konfliktlösung wie im Bürgerkrieg angewandt, um diesen aufkommenden Widerstand zu schwächen. Wie die 343 344 345 346 Vgl. Interview BP5, Zeile 206-219. Vgl. Interview BP5, Zeile 74-78. Vgl. Interview BP5, Zeile 88. Vgl. Interview BP5, Zeile 78-83. 70 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Autorin dieser Arbeit bezeugen kann, wird versucht, mit Drohbriefen und Telefonaten die Leute, die sich öffentlich gegen die Mine zu Wort melden, einzuschüchtern. Verschiedene Akteure erklärten der Autorin, dass die landweiten Widerstandsbewegungen gegen Megaprojekte die guatemaltekische Bevölkerung (insbesondere die Indigenen) das erste Mal seit dem Bürgerkrieg wieder vereinen könnte. Diesen Prozess mit internationaler Präsenz zu begleiten ist im Sinne des Friedensprozesses, wenn damit die Exklusion der indigenen Bevölkerung vermindert und die demokratische Partizipation gestärkt werden kann. 4.1.3 Rolle des Staates und der (transnationalen) Wirtschaftsunternehmen Staat und (transnationale) Wirtschaftsunternehmen wurden in dieser Arbeit bereits behandelt und sollen hier anhand der Forschungsdaten unter dem Aspekt der internationalen Begleitarbeit im Kontext von Megaprojekten nochmals durchleuchtet werden. Der Staat und lokale Wirtschaftsunternehmen, die meist Unterfirmen von transnationalen Unternehmen sind, werden im Kontext von Megaprojekten von verschiedenen Akteuren mit Drohungen und Attacken gegen Menschenrechtsaktivisten in Verbindung gebracht. Was bedeuten die fragilen Konstellationen, die im ersten Teil der Arbeit angesprochen wurden, für die internationale Begleitarbeit im Kontext von Megaprojekten? Um dies beantworten zu können wird zuerst auf die Rolle des Staates und danach auf diejenige (transnationaler) Unternehmen eingegangen. Einleitend soll eine Analyse von Amílcar Dávila E. (Direktor des Zentrums für Humanistische Studien der Universität Rafael Landívar in Guatemala) dienen, die davon ausgeht, dass der Staat eine Strategie der doppelten Agenda und Moral anwendet, was im Zusammenhang mit Megaprojekten gut sichtbar wird. Diese Doppelagenda zeigt sich darin, dass die Regierung die indigenen Rechte und kulturelle Anerkennung politisch umfangreich entwickelte, doch gleichzeitig neoliberale Wirtschaftsreformen fördert, die für die indigene Bevölkerung schwere Konsequenzen haben.347 Aus dieser Doppelstrategie entsteht ein Ungleichgewicht, weil das auf staatlicher Ebene Vereinbarte nicht dem Handeln entspricht, wobei mächtige Akteure eher davon profitieren. Das Ungleichgewicht im Kontext von Megaprojekten und dessen Ursachen werden von Theorie und eigenen Forschungsdaten gleichermassen bestätigt: Die beiden Mitarbeiter der UNESCO, Paul K. Gellert und Barbara D. Lynch, schreiben in einem Artikel über Megaprojekte und Vertreibung, dass schwache Staaten meist nur den 347 Vgl. Amílcar (2006), Abordajes, concepciones y acciones, S. 1043, Online-Version. 71 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Akteuren des Privatsektors den Prozess ermöglichen, anstatt den Prozess fair zu steuern, wovon in Guatemala infolge der Staatsfragilität ausgegangen werden kann.348 Der kanadische Botschaftsvertreter sieht die Besonderheit im allgemeinen Konfliktkontext Guatemalas nebst der post-konfliktiven Gesellschaft und der Regierungskrise, im schwachen Staat, der keine Meditationsarbeit zwischen den Konfliktparteien mache, was auch zu einem Ungleichgewicht im Kontext von Megaprojektkonflikten führt.349 Der deutsche Botschaftsvertreter in Guatemala führt, wie bereits mit den theoretischen Ausführungen von Rodolfo Stavenhagen erwähnt, den Grund für das Konfliktpotenzial bei Megaprojekten auf den Status der Indigenen zurück, die sich durch die Megaprojekte benachteiligt sehen, da sich die Regierung nicht genügend sensibel mit ihren Reklamationen auseinandersetze. Die Regierung zeige keine Alternativen wie z.B. Umsiedlungs- und Ausbildungsprojekte auf, denn die Interessen würden von der Oligarchie gesteuert. Es fehle nicht nur an politischem Wille, sondern auch an einer fehlenden Kultur im Umgang mit Problemen. Es fehle eine Verhandlungskultur und eine Dialogbereitschaft.350 Die guatemaltekische Menschenrechtsaktivistin Claudia Virgina Samayoa ist der Ansicht, dass die staatlichen Institutionen von privaten, ökonomischen Interessen geleitet und durchdrungen sind.351 Ein Interviewpartner aus der Minenregion sagte zur Rolle des Staates im Kontext der Mine Marlin, dass dieser seine Aufgabe als Volksvertreter nicht wahrnehme. Der Staat habe die konstitutionell verankerte Aufgabe die Entwicklung der Gemeinden zu fördern und nicht sie zu zerstören. Der Staat sollte seiner Meinung nach das Wohlergehen der Bevölkerung überwachen und im Sinne des Volkes entscheiden. Doch im Konflikt mit der Mine würde die Regierung die Interessen einzelner weniger und des ausländischen Unternehmens bevorzugen.352 Der deutsche Botschaftsvertreter bemerkte im Interview, dass nebst dem Staat auch internationale NGOs mit ihrer Hilfe eine Mitverantwortung tragen würden, da diese dem Staat die Arbeit sozusagen abnehmen und Abhängigkeiten schaffen.353 Das Ungleichgewicht ist auch in der Sicherheit der Bürger auszumachen. Die Bürger, die sich in einer sozialen Bewegung gegen die Mine organisieren, können nicht auf einen 348 349 350 351 352 353 Vgl. Gellert/Lynch (2003), Mega-projects as displacements, S. 23, Online-Version. Interview B2, Zeilen 51-56. Interview B1, Zeilen 174-178; 197-199. Vgl. Samayoa, Protegiéndonos ante las amenazas del Siglo XXI, S. 11. Vgl. Interview BP5, Zeile 94-97. Vgl. Interview B1, Zeile 200-201. 72 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala staatlichen Schutz zählen. Wer in irgendeiner Form opponiert, muss mit Drohungen und Unterdrückung rechnen und wird von offiziellen Autoritäten wie der Polizei nicht geschützt, dies bestätigen mehrere Zeugenaussagen in Interviews. Das Minenunternehmen wird von der Armee und der Polizei zum Schutz bewacht.354 Die öffentliche Sicherheit reagiere laut einem Interviewpartner auf ökonomische Interessen und nicht auf die Interessen der Bürger, denn wenn jemand in einem abgelegenen Dorf erschossen werde, komme die Polizei oder das Militär nicht, doch das Minenunternehmen werde jeden Tag bewacht, weil es um Geld und ökonomische Interessen gehe. Das menschliche Leben aber zähle nicht viel.355 Auch bezüglich dem Justizwesen scheint ein Ungleichgewicht im Kontext von Megaprojekten (Wirtschaftsinteressen) vorzuherrschen. Infolge einer Konfrontation zwischen Minenangestellten und lokalen Minengegnern 2007 funktionierte das Justizsystem schnell und effizient und es kam innert kurzer Zeit zu zwei Haftbefehlen und Verfahren gegen sieben Minengegner, die Minenarbeiter angegriffen haben sollen. Es wurden in einem ersten Gerichtsprozess hohe Geldstrafen und eine hohe Anzahl Haftjahre (9 und 14 Jahre)ausgesprochen, die schlussendlich in zwei Haftjahre und geringere Geldstrafen umgewandelt wurden.356 Mit diesem Vorgehen scheint der Staat mit Exempeln vor Auflehnungsvorhaben gegen die Mine abschrecken zu wollen. Welche Rolle spielen Wirtschaftsunternehmen insbesondere transnationale Unternehmen im Begleitkontext von Megaprojekten? Der guatemaltekische Staat ist grundsätzlich daran interessiert, dass Guatemala als sicheres Land gilt, damit ausländische Firmen und Institutionen in das Land investieren. Die Forscher des internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC) bezeichnen die (meist externen) Unternehmen von Ressourcenprojekten als relativ starke Akteure, deren Kapitalkraft, Technologie und Know-How, für die Realisierung von Megaprojekten unabdingbar sind und aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung wichtige Akteure im nationalen Kontext sind. Gerade arme, ressourcenabhängige Entwicklungsländer seien für ihre wirtschaftliche Entwicklung auf sie angewiesen.357 Damit ausländische Investoren und internationale Unternehmen nach Guatemala kommen, werden möglichst attraktive Rahmenbedingungen geschaffen. Darunter fallen auch die so genannten „regalías“ 354 355 Interview BP5, Zeile 125-128. Interview BP5, Zeile 130-135. 356 Vgl. La Coordinación de Acompañamiento Internacional en Guatemala, Juicio de la empresa minera Montana contra siete campesinos maya Mam, Sonntag 23. Dezember 2007, Online-Version. 357 Vgl. Volker/Volker/Krieger (2007): Ressourcen und Konflikte, S. 6-7, Online-Version. 73 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala (Lizenzgebühren), die im Falle Guatemalas 1% des Gewinns ausmachen. Minengegner kritisieren, dass das Unternehmen Goldcorp riesige Profitsummen aus verarmten IndigenenGemeinden ziehe und nur wenig zurückgebe.358 In einem Dokument des Ministeriums für Energie und Minen (MEM) wird zum Gewinn für das Land folgendes geschrieben: „Es importante mencionar, que la producción o extracción de minerales en el país no genera únicamente ingresos para el Estado, ya que las municipalidades de las áreas en las que se ubican los diferentes derechos mineros, también perciben el medio por ciento (0.5%) sobre la explotación realizada por las empresas. En este sentido, las regalías pagadas a las municipalidades en el 2006 experimentaron un crecimiento de 375.3%, pues las mismas pasaron de Q 0.98 millones a Q 4.7 millones durante el año en análisis, incremento que canalizado de forma correcta, permitiría una mejoría en el desarrollo y bienestar de las comunidades en las que se llevan a cabo los proyectos mineros.“359 Für den Staat sind die Einnahmen aus dem Minenprojekt Marlin, als zweitgrösste Steuereinnahmequelle, eine wichtige Einnahmequelle für Guatemala. Inwiefern die Bevölkerung von diesem Geld profitiert, ist eine andere Frage. Laut dem kanadischen Botschaftsvertreter wird dieses Geld nicht in die Verbesserung der Lebensgrundlage der Bevölkerung investiert.360 In einem korrupten Land, stellt sich deshalb die Frage, wem diese Einnahmen zu Gute kommen. In Guatemala ist zu beobachten, dass nebst NGOs auch transnationale Unternehmen die Aufgaben des Staates übernehmen, indem sie die öffentliche Infrastruktur finanzieren, Lehrpersonen bezahlen und Schulen, Gesundheitsposten und Strassen bauen. Ein Unternehmen, das ein Megaprojekt plant, ist gemäss ILO-Konvention 169 verpflichtet, die Bevölkerung zu konsultieren. Betroffene der Mine Marlin erzählten der Autorin, dass das Minenunternehmen den Gemeinden, auf deren Land sie vom Staat eine Lizenz zur Ausbeutung von Rohstoffen erhielten, zuerst kleinere Projekte anbiete (Schulgebäude, Schutzmauern), damit die Bevölkerung das Minenprojekt nicht in Frage stellt, wenn sie dann für eine Bewilligung zur Ausbeute konsultieren. Die Absicht dahinter wird von den Minengegnern als „Leute manipulierend“ und „Gewissen der Gemeindeführer kaufend“ verstanden, damit die Finanzierten ihre Stimme gegen die Mine nicht mehr erheben können.361 Die Mine investiert viel Geld in Werbung (grosse Plakate finden sich auch in der Hauptstadt) und Informationskampagnen. Sie wirbt mit Arbeitsplätzen und der Verbesserung der Infrastruktur. Die Frage, was diese Unternehmen für ihre Finanzhilfen als Gegenleistung vom Staat erhalten, lässt vermuten, dass der Staat dem Unternehmen einen grossen Spielraum lässt 358 359 360 361 Vgl. BBC-News, Canadian mine accused of causing skin infections, 11 März 2009, Online-Version. Ministerio de Energía y Minas, Anuario Estatistico 2006, Online-Version. Interview B2, Zeilen 60-63. Interview BP5, Zeile 115-121. 74 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala und diese vor der betroffenen Bevölkerung schützt. Damit wird die Staatskontrolle an Privatunternehmen abgegeben. Die Absicht hinter diesen Finanzierungen ist auch als Köderung von Projektinvestoren und Rechtfertigung gegenüber diesen und anderen Institutionen zu sehen. Auf den ersten Blick und auf kurze Frist sieht die Rolle der Wirtschaftsunternehmen mit Megaprojekten gut aus, da Strassen gebaut, Schulen errichtet, Abwasserkanäle gebaut und Arbeitsplätze geschaffen werden und sich dadurch die Lebenssituation der lokalen Bevölkerung verbessert. Doch im Hinblick auf langfristige, nachhaltige Entwicklung muss bedacht werden, dass diese Arbeitsplätze und der Infrastrukturaufbau auch in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Megaprojekt-Unternehmen stehen. Was wird in zehn Jahren sein, wenn die Goldmine Marlin schliesst? Haben dann viele keinen Boden mehr, da sie diesen an das Minenunternehmen verkauften und damit ihre Existenzgrundlage verloren ging? Wie steht es dann um die Qualität des Bodens und Wassers? Inwiefern ist nach so vielen Jahren Tagabbau die Umwelt noch in Takt und der Boden bebaubar? Wird der Staat für die Infrastrukturerhaltung aufkommen? Eine von der Mine Marlin betroffene Person meinte dazu: „Lo que siempre he tenido que ver es conservar a los recursos naturales, porque de eso dependemos, no tiene sentido la vida si ya no existen estos recursos. Si el agua ya no esta, si el bosque ya no esta ya no tiene sentido la vida. Por más que tenga dinero en la bolsa, ya no puede regresar el agua. De la tierra dependemos. Si solamente del aire podíamos vivir, en el aire estuviéramos pero tenemos que consumir y de la tierra viene todo.“362 Diese Ausführungen zeigen auf, dass in der Vorgehensweise bei Megaprojekten in einem Land mit tiefem Bildungsniveau, grosser Armut und einer hohen Analphabetenrate die Gefahr besteht, dass die Bevölkerung sich nicht bewusst ist, welche Konsequenzen solche Projekte für sie, ihre Umwelt und ihre Zukunft haben können. Unklar bleibt hier, ob transnationale Unternehmen bewusst eine Strategie der minimalen Information fahren, also Information vorenthalten, um weniger Widerstand zu produzieren und ihre Interessen besser durchsetzen zu können. Fest steht, dass in einem Land wie Guatemala eine hohe Sensibilität von Seiten der Unternehmen an den Tag gelegt werden muss, um bereits vorhandene Konflikte zu verstärken oder neue Konflikte hervorzurufen. Im Fall der Mine Marlin wird dem Unternehmen Goldcorp von guatemaltekischen Gruppen wie internationalen NGOs vorgeworfen, dass die Mine Gesundheitsschäden bei der Bevölkerung 362 verursache, unfaire Praktiken beim Landkauf anwende, es zu Interview BP5, Zeile 199-203. 75 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Menschenrechtsverletzungen komme und die Minentätigkeit zu Umweltschäden führe.363 Der interviewte Mitarbeiter des Ministeriums für Energie und Minen vertrat den Standpunkt, dass Dank höchsten Sicherheitsmassnahmen keine Risiken für Mensch und Umwelt bestehen. Auch Goldcorp weist jegliche Kritiken zurück, entschied jedoch 2008 einen Menschenrechtsbericht zu verfassen. Bill Brassington, der Chef einer kanadischen Gewerkschaftspensionskasse, die in Goldcorp investiert, lancierte die Idee dieses Komitees (HRIA) und äussert sich recht optimistisch, „(...) that the process is building trust and that community groups ‚seem positive’.“364 Das Kanadische Beratungsunternehmen „Common Ground“ wird diesen Bericht verfassen. Der Professor Douglas Cassel der amerikanischen Universität Notre Dame des Zentrums für „Civil and Human Rights“ lehnte das Angebot von Goldcorp ab mit der Begründung: „We were not confident that the terms set down by Goldcorp would result in a full and independent picture emerging.“365 Kritiker vermissen beim Komitee HRIA, dass bisher kein Einbezug der Maya-Gemeinden stattgefunden hatte, sie weder konsultiert, noch im Komitee repräsentiert seien. Die begleitete Person im Widerstand gegen die Mine äusserte sich gegenüber der Autorin dieser Arbeit ebenfalls skeptisch gegenüber dem Vorhaben Goldcorps und erwartet keinen unabhängigen Bericht, da das Minenunternehmen die Firma „Common Ground“ bezahlt. In Bezug auf die Frage nach dem Beitrag von Begleitarbeit im Kontext von Megaprojekten kann aus den Kapitelausführungen abgeleitet werden, dass die Fragilität des Staatssystems Guatemalas für eine schwache Prozesssteuerung zugunsten der transnationalen Wirtschaftsunternehmen spricht, wobei dadurch für die internationale Begleitarbeit die Legitimation entsteht, dem aufgezeigten Machtungleichgewicht zwischen Staat/(transnationalen) Unternehmen und Menschenrechtsaktivisten mit Präsenz und Beobachtung entgegenzuwirken, falls Menschenrechtsverteidiger dies wünschen. Die angesprochene Dialogbereitschaft, die von Staatsseite fehlt, führt zur Frage, ob die Begleitarbeit eine Vermittlerrolle einnehmen soll. Darauf wird in einem Folgenden Kapitel zu den Prinzipien der Begleitarbeit näher eingegangen. 4.1.4 Unterschiedliche Visionen zu Entwicklung Die Auswertungen der Forschungsdaten haben ergeben, dass unterschiedliche Vorstellungen 363 364 365 Vgl. BBC-News, Canadian mine accused of causing skin infections, 11 März 2009, Online-Version. BBC-News, Canadian mine accused of causing skin infections, 11 März 2009, Online-Version. BBC-News, Canadian mine accused of causing skin infections, 11 März 2009, Online-Version. 76 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala zur Entwicklung des Landes bestehen, die zum Konflikt beitragen. Ein Grund für diese unterschiedlichen Ansichten ist auch in der Mayakultur zu sehen, die, wie bereits dargelegt, diskriminiert wird. UNESCO-Experten Paul K. Gellert und Barbara D. Lynch halten in ihrem Artikel über Vertreibung durch Megaprojekte fest, dass die Kombination von Rassismus und Modernisierungsideologien diskriminierende Auswirkungen haben. Sie erklären dies folgendermassen: „The biases toward progress and freeing of labour from the land inherent in modernisation ideology will be prejudicial to societies most dependent on the ecological status quo ante for their livelihoods, occupations seen as ‚primitive’, and individuals in society who are least able to pick up and move.“366 Die Unterschiedlichkeit der Visionen zu Entwicklung innerhalb der guatemaltekischen Bevölkerung hängen laut dem Anwalt von CALDH auch von den Generationen ab. Ältere Generationen, die mit der Natur und in einer selbstgenügsamen, selbsterhaltenden Welt leben, würden sich solchen Entwicklungsprojekten sofort widersetzen. Jüngere Generationen, die in die Stadt gingen, um Geld zu verdienen, befürworten diese Projekte eher, da sie sich Arbeit erhoffen.367 Megaprojekte werden von den Befürwortern, wie auch der kanadische Botschaftsvertreter sagte, als Chance für ökonomische Entwicklung und Fortschritt gesehen.368 Dass Entwicklung zur Verbesserung des Lebensstandards in Guatemala eine Notwendigkeit ist, haben die Zahlen zur Armut aufgezeigt. Die Gegner der Megaprojekte verstehen unter Entwicklung etwas anderes. Für die eine interviewte, indigene Person, ist es unwürdig, im Umfeld der Mine Marlin leben zu müssen.369 Eine interviewte, indigene Person erklärte, dass in der Weltanschauung der Mayas alles heilig ist, alles einen Wert hat und alles vom anderen abhänge. Wenn also ein Teil der Natur verschwinde, dann würde diese Abhängigkeitskette zerstört. Wichtig sei das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur. Die Person erklärt ihre Motivation, sich gegen die Mine stark zu machen, mit dieser traditionellen Maya-Vorstellung, dass die Zerstörung des Ökosystems keine Zukunft bringe. Wenn der Mensch etwas des Ganzen zerstöre, dann würde er sich selber töten, und dies sei der Bevölkerung teils nicht bewusst.370 Mit der von der Regierung vorgegebenen Entwicklung gehe die eigene Identität, das kulturelle Maya-Erbe, verloren und die Menschen würden mehr für ihr eigenes Wohlbefinden schauen, indem ökonomische 366 367 368 369 370 Gellert/Lynch (2003), Mega-projects as displacements, S. 23, Online-Version. Vgl. Interview BP1, Zeile 267f. Vgl. Interview B2, Zeile 58-63. Vgl. Interview BP5, Zeile 23. Vgl. Interview BP5, Zeile 139-152. 77 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Ambitionen entwickelt würden.371 Die interviewte Person sieht den Grund für diesen gesellschaftlichen Wandel im Bildungssystem, das nicht der realen Lebenswelt der Indigenen entspreche: „Un sistema que desde la escuela nos enseña otras cosas, que a veces no son coherentes con nuestra vida real, nos cambia psicológicamente, nos hace ver el mundo de otra manera, nos hace llevar a otras dimensiones y no nos enseñas a donde vivimos. El sistema educativo debería apuntar a que yo conozca a mi comunidad, a mi pueblo, a como vive. Pero no, me lleva a tecnologías modernas, me enseña los ríos de Europa, tal personaje extranjero de tal país. (...). Eso hace que el ser humano pierda toda una herencia cultural que tiene, se olvida de su gente. El modernismo es bueno pero no es todo.“372 Für Personen, die sich gegen die Megaprojekte aussprechen, kann nicht von Entwicklung und Gerechtigkeit gesprochen werden, wenn nur eine Minderheit der Bevölkerung (meist die Elite des Landes) von der Modernisierung/Technologisierung der Wirtschaft profitiert und der Grossteil weiterhin diskriminiert und ohne Fortschritt bleiben. Die unterschiedlichen Ansichten über Entwicklung spielen in der Begleitarbeit vor allem in Bezug auf das Unparteilichkeitsprinzip eine Rolle, auf das in einem folgenden Kapitel eingegangen wird. 4.2 Begleitarbeit von CAIG-Acoguate im Kontext von Megaprojekten Mit den Megaprojekten entstand auch für die internationale Begleitarbeit eine neue Dynamik, die vor allem durch die bereits erwähnten Volksbefragungen („Consultas“) entstand. Die Anwesenheit internationaler Begleiter bei den „Consultas“ war ein Novum für CAIGAcoguate und löste ab Juni 2005 innerhalb des Komitees CAIG Diskussionen aus zum Thema Begleitarbeit im Kontext von Megaprojekten.373 Die Gemeinden baten um internationale Beobachtung an den „Consultas“ und die Unterzeichnung der Abstimmungsakte, die von CAIG-Acoguate nicht unterschrieben wurde. Die „Consultas Populares“ fanden zu einer Zeit statt, als die Präsenz internationaler Gruppen kriminalisiert wurde. Es wurde gesagt, dass die Ausländer mit diesen Volksbefragungen ihre okzidentalen Projekte und politischen Prozesse nach Guatemala brächten und den Lokalen diese Idee überstülpten. Diese Argumentationen fand man laut der Projekt-Koordinatorin vor allem 2005 bis 2007.374 2008 haben sich diese Vorwürfe wieder gelegt und das Verfassungsgericht fällte den Entscheid, dass die 371 372 373 374 Vgl. Interview BP5, Zeile 155-161. Interview BP5, Zeile 162-169. Siehe Anhang A.14: Chronologie Begleitarbeit in Guatemala, S. 144. Interview K1, Zeile 378-383. 78 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala „Consultas“ legal sind, jedoch nicht verbindlich. Dies gab der internationalen Präsenz die Legitimation anwesend zu sein. Alle interviewten Personen erachten die Begleitarbeit im Kontext von Megaprojekten grundsätzlich als möglich und sinnvoll. Über die Art und Weise wie und warum begleitet wird und werden soll, bestehen hingegen unterschiedliche Ansichten. Mit der Auswertung der Forschungsdaten hat sich abgezeichnet, dass sowohl die Organisationsvertreter in CAIG wie auch die Freiwilligen damit rechnen, dass in Zukunft vermehrt Begeleitanfragen im Kontext von Megaprojekten eingehen werden. Dieser Wandel in der Begleitarbeit ist angesichts der neoliberalen Wirtschaftsentwicklung und der zunehmenden Gewalt und Diskriminierung von Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten, zu erwarten. Die Begleitung im Kontext von Megaprojekten geschah bei CAIG-Acoguate mehrheitlich fliessend innerhalb der Largo Plazo-Begleitung, da viele der seit Jahren besuchten Gemeinden mit AJR-Mitgliedern auch von der neoliberalen Wirtschaftsentwicklung und den damit verbundenen Megaprojekten, wie der Planung von Wasserkraftwerken und dem Anbau von Monokulturen, betroffen sind. Anders ist es im Falle der Begleitung einer einzelnen Person im Widerstand gegen die Mine Marlin, die neu dazu kam und zum Corto-Plazo gezählt wird. Angefangen hat die Begleitung von CAIG-Acoguate im Kontext der Goldmine Marlin mit der internationalen Präsenz an indigenen Volksversammlungen (Consultas Populares375).376 Um beantworten zu können, welchen Einfluss das Phänomen Megaprojekte auf die internationale Begleitarbeit hat, soll in der Folge aufgezeigt werden, mit welchen Prinzipien und Zielen CAIG-Acoguate arbeitet und wie sich diese Prinzipien und Ziele in der internationalen Begleitung im Kontext von Megaprojekten verhalten. Als Grundlage dienen die Aussagen verschiedener Akteure, die sich zur Begleitarbeit im allgemeinen und im spezifischen im Kontext von Megaprojekten äusserten. Die Auswertungen377 der Interviews mit Freiwilligen zeigen, dass: • die einzelnen Organisationen in CAIG-Acoguate, abgesehen vom gemeinsamen Begleitprojekt Acoguate sehr unabhängig arbeiten. Die einzelnen Organisationen machen je nach zur Verfügung stehenden finanziellen wie personellen Ressourcen eine unterschiedlich starke politische Arbeit378 und versuchen die Bedürfnisse und 375 376 377 Spanisch und bedeutet auf Deutsch übersetzt: Volksbefragung. Siehe Anhang A.14:Chronologie Begleitarbeit in Guatemala, S. 144. Siehe Dokument „Auswertungstabellen“ auf CD, Tabelle Freiwillige, Punkte 1-4. 378 Die politische Arbeit der NGOs umfasst Lobbyarbeit, Austausch mit Botschaften, Eilbriefaktionen, Aufklärungsarbeit im Herkunftsland etc. Darauf wird in einem der folgenden Kapitel noch näher eingegangen. 79 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala „Kämpfe“ der Bevölkerung direkt zu unterstützen, indem sie mit unterschiedlichen lokalen und internationalen Institutionen zusammenarbeiten. Bei den Organisationen, mit denen sie in Guatemala zusammenarbeiten und durch das Begleitprojekt Acoguate sammeln sie Informationen, analysieren und verbreiten diese in ihren Kanälen auf nationaler und internationaler Ebene. Die einzelnen Organisationen können im Gegensatz zu CAIG-Acoguate öffentlich eine stärkere Meinung für die Menschenrechte vertreten. CAIG-Acoguate selbst beschränkt sich auf die Hinweisung von Menschenrechtsverletzungen. Immer wieder kommt es auch zu gemeinsamen Aktionen: - Versand von Briefen an guetamaltekische Institutionen und Botschaften, um über eine besorgniserregende Situation aufmerksam zu machen und zum Handeln aufzufordern - Rundreisen von Betroffenen im Ausland werden gemeinsam organisiert, welche über die Geschehnisse in Guatemala informieren. • die Freiwilligen aus den verschiedenen Organisationen oder Solidaritätsgruppen mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen im Begleitprojekt arbeiten. Dies zeigt sich auch in der Zusammenarbeit mit ihrer Organisation. Es gibt Freiwillige, die gar keine Verpflichtungen haben und andere, die regelmässig Artikel produzieren und Mails verschicken müssen. Die Ausbildung im Herkunftsland ist von unterschiedlicher Dauer und Intensität und reicht von Dokumente zugeschickt erhalten (GSN) bis zu vier Wochen intensiver Ausbildung (Swefor). 4.2.1 Rollendefinition einer internationalen Begleitperson379 Das generelle Rollenverständnis internationaler Begleitpersonen zeigt, wie auch im Kontext von Megaprojekten begleitet wird und hilft den möglichen Beitrag zu konkretisieren. Die Freiwilligen zählen folgende Punkte zu ihrer Rolle und ihren Aufgaben als Begleitperson: - 379 sich bei den Begleiteten über Sicherheitslage erkunden wertfreie Haltung einnehmen unparteiische Rolle/ Nicht-Einmischung (keine Stellung beziehen, nicht werten, nicht über andere richten) nur Beobachterstatus Professionalität (keine persönlichen Sympathien zeigen, keine Freundschaften zu Begleiteten aufbauen, emotionale Distanz) durch Präsenz politischen Raum öffnen, damit die Menschen ihre Beschwerden/Anliegen vorbringen können Siehe Dokument „Auswertungstabellen“ auf CD, Tabelle Freiwillige, Punkt 8. 80 Masterarbeit - Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala durch die Ermöglichung eines politischen Raumes einen demokratischen Prozess in Bewegung setzen präsent sein, damit die begleiteten Personen ohne sich zu gefährden in Opposition gehen können präsent sein um Gewaltkonflikt zu verhindern Abschreckung (vor Menschenrechtsverletzungen abschrecken) Informationsverbreitung: über die Situation in Guatemala informieren Informationsübermittler zwischen Begleiteten (Gemeinden, Personen) und Organisation darauf aufmerksam zu machen, welche Menschenrechte nicht eingehalten werden moralische Unterstützung Solidarität zeigen Zuhören Nicht zu ihrer Rolle und ihren Aufgaben zählen sie: - politische Statements abzugeben politische Funktionen zu erfüllen sich politisch zu engagieren begleitete Personen politisch zu beeinflussen den Einheimischen zu sagen, wie sie den Widerstand organisieren sollen Organisationsweise der lokalen Bevölkerung zu kritisieren begleiteten Personen/Organisationen Entscheidungen abnehmen Abhängigkeiten schaffen Dieses dargelegte Rollenverständnis internationaler Begleitpersonen widerspiegelt die Kernpunkte der internationalen Begleitung. In der Folge wird den Fragen nachgegangen, wie sich die Grundprinzipien der Begleitarbeit im allgemeinen Konfliktkontext Guatemalas mit Fokus auf von Megaprojektkontext verhalten. 4.2.2 Prinzip der Unparteilichkeit und der Nicht-Einmischung Dieses Grundprinzip von CAIG-Acoguate liegt dem Konzept der zivilen Konfliktbearbeitung mit gewaltfreien Mitteln zu Grunde.380 Als CAIG-Acoguate anfing, an „Consultas Populares“ zu begleiten, setzte eine organisationsinterne Diskussion über die Rolle und Legitimität von CAIG-Acoguate ein. Die einen waren besorgt um den Erhalt der Legitimation, andere schlugen einen totalen Mandatswandel vor, um eine aktivistischere Organisation zu werden. Die Koordinatorin kommentiert letzteren Vorschlag mit „Und das ist nicht was wir sind. Wir beziehen viel Legitimation durch unser Mandat, nicht parteiisch zu sein“381. 380 381 Vgl. Büttner (1995), Friedensbrigaden, S. 56-60. Interview K1, Zeile 388-389. 81 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Dieses Prinzip bedeutet, dass eine Begleitperson als unabhängige, unparteiische dritte Person in einen Konflikt präsent ist. Die unparteiische Position beinhaltet laut der PBI-Erklärung von 1986 die „Offenheit allen Parteien gegenüber, eine möglichst objektive Beobachtung und Berichterstattung, keine verurteilenden Stellungnahmen, offenes Vertreten aller Anliegen gegenüber allen Konfliktparteien.“382 Dieses Prinzip bedeutet für eine internationale Begleitperson in der Praxis, dass den begleiteten Personen/Organisationen nicht gesagt wird, wie sie ihre Arbeit machen müssen oder ihren Konflikt zu lösen haben. Diese Haltung verhindert auch eine NeoKolonialisierung, der ausländischen Helfern in der Entwicklungsarbeit oft vorgeworfen wird. Dieses Prinzip entspricht einem Ansatz, der den Einheimischen etwas zutraut und sie nicht bevormundet. Eine Begleitperson wurde diesbezüglich von einem Einheimischen konfrontiert: „Sie sagten, diese Spanier müssen nicht kommen und uns wieder sagen, was wir zu tun hätten, geh zurück in dein Land und kümmere dich um deine Angelegenheiten. Ich sagte, nein ich komme um zu beobachten, um Information zu vertreiben und zu helfen ohne zu sagen, was ihr machen müsst.“383 Interviewte Begleitpersonen bemerkten zur Umsetzung und den Grenzen dieses Prinzips in der Praxis: „ (...) in der Praxis ist unsere Präsenz nicht so neutral. Wir haben bereits eine Seite des Konfliktes ausgewählt. Wir haben bereits entschieden, Menschen zu unterstützen, die sich für die Menschenrechte einsetzen. Damit sind wir bereits involviert um den Kampf für die Menschenrechte zu unterstützen. Wir geben moralische Hilfe, Unterstützung, Beobachtung für die Kämpfe, die sie verteidigen und sie möchten die Menschenrechtssituation verbessern. Wir sind nicht neutral.“384 „Es gibt eine Tendenz, wen wir begleiten. Es muss die Menschenrechte betreffen, in einem gewissen Sinn haben wir eine klare Linie, da wir Leute auswählen, die sich für die Menschenrechte einsetzen und diese sind fast auf natürliche Weise antiimperialistisch gegen den Neoliberalismus, den man jetzt sieht.“385 Mit diesem Prinzip unterscheiden sich internationale Begleitorganisationen grundlegend von anderen internationalen NGOs, da sie keine materielle Hilfe leisten. 382 383 384 385 Büttner (1995), Friedensbrigaden, S. 59. Interview F7, Zeile 173-176. Interview F4, Zeile 113-120. Interview F6, Zeile 326-329. 82 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Befragte Freiwillige zählten das „nur präsent sein und nicht handeln, sich nicht mehr einmischen zu können“386 zu den Schwierigkeiten in der Arbeit als Begleitperson, da die armen Lebensumstände der begleiteten Personen teils sehr belastend sein können. Dieses Prinzip kann für Begleitpersonen eine Schwierigkeit in der Arbeit darstellen, wenn die begleiteten Personen die unparteiische Haltung der Begeleitpersonen nicht verstehen und davon ausgehen, dass die Begleitpersonen ihrem politischen Kampf eine politische Legitimation und damit ihrem Standpunkt mehr Gewicht verleihen. Eine interviewte Freiwillige argumentiert, dass unparteiisches Verhalten zur Legitimation des einheimischen „Kampfes“ beitrage: „Um die Legitimation der Demonstration zu erhalten, ist es wichtig, sie mit einer gewissen Distanz zu begleiten, weil die Demo sonst als Ausländer-Demonstration hingestellt werden kann und ihr jegliche Legitimationsgrundlage entnimmt. Das ist einer der Gründe, sich unparteiisch zu verhalten.“387 Das Prinzip der Nicht-Einmischung und unparteiischen Haltung einer Begleitperson hängt auch von ihrer persönlichen Einstellung ab: „Ich glaube, es gibt Leute im Projekt, die denken, dass sie für ein sozialistischeres Guatemala kämpfen und andere, die sich einfach dafür einsetzen, dass sie einen sicheren Raum öffnen, damit die Guatemalteker kämpfen können.“388 Im Kontext von Megaprojekten wurde das Prinzip der Unparteilichkeit erstmals bei den „Consultas Populares“ getestet. Laut der Koordinatorin von CAIG-Acoguate unterschrieb CAIG-Acoguate die Akten an den Volksversammlungen nicht, weil es damals eine grosse Konfusion und Polemik gab, ob diese Volksbefragungen legitim seien oder nicht. Die Organisation verfügte über ungenügend Informationen und entschied sich vor allem gegen das Unterschreiben der Akte um das Prinzip der Nicht-Einmischung zu wahren, indem CAIGAcoguate nicht an einer öffentlichen Handlung teilnahm. Die einzelnen Organisationen im Komitee CAIG hingegen wollten unterzeichnen und so unterzeichneten die freiwilligen Begleitpersonen im Namen ihrer Organisation und nicht im Namen von CAIG-Acoguate.389 Gerade bei der Begleitung von Personen im Widerstand gegen Megaprojekte weist dieses Prinzip eine problematische Seite auf. Die Indigenen können in diesem Konfliktkontext nicht als Einheit verstanden werden. Denn die einheimische Bevölkerung, deren Gemeinden von 386 387 388 389 Siehe Dokument „Auswertungstabellen“ auf CD, Tabelle Freiwillige, Punkt 12. Interview F6, Zeile 128-132. Interview F6, Zeile 320-323. Vgl. Interview K1, Zeile 371-378. 83 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Megaprojekten betroffen sind, ist selbst gespalten, wie bereits aufgezeigt wurde. Es gibt diejenigen, wenn auch eher in der Minderheit, die diese Wirtschaftsentwicklung gut heissen und von den Projekten profitieren, während die anderen sich gegen diese Projekte wehren. Die eine interviewte Person, die sich gegen das Megaprojekt Marlin wehrt, formulierte dies so: „In der Bevölkerung kann man feststellen, dass grosse Konfusion vorherrscht. Es gibt viele Leute, die sagen, dass wir durch das Projekt nicht profitieren, doch es gibt auch andere, die das Gegenteil sagen. Die Sache kann sich nur ändern, wenn man sich mit derselben Idee vereint. Diejenigen Personen, die gegen die Mine sind, sehen die Probleme und nicht die Gewinne, von denen nur wenige profitieren.“390 Diese befragte Person sagt weiter aus, dass die Verwirrung in der Bevölkerung daher komme, dass man nicht wisse, wem zu glauben sei. Denn auf der einen Seite verbreite das Minenunternehmen Informationen über die Mine, wobei laut Zeugen diese Informationen nur die positiven Seiten aufzeige und die möglichen negativen Konsequenzen für Mensch und Umwelt weglasse, um die Leute von diesem Projekt zu überzeugen. Auf der anderen Seite haben auch die Minengegner angefangen, Informationen über die Minentätigkeit zu verbreiten, als die ersten negativen Anzeichen ans Licht kamen. Sie starteten eine Informations-Gegenoffensive: „Jetzt wo wir Information vertreiben über das was wirklich vor sich geht, weiss die Bevölkerung nicht mehr, wem sie glauben soll. Es ist sehr schwierig.“391 Als weiterer Grund, weshalb die unparteiische Haltung im Kontext von Megaprojekten schwieriger ist als bei der herkömmlichen Begleitung der Zeugen, wird die Dynamik des Konfliktes genannt. Der Konfliktursprung für die Gerechtigkeit für die Überlebenden der Bürgerkriegsmassaker liegt bereits mehr als zwanzig Jahre zurück und die Anstrengungen der Opferbewegungen sind teils erlahmt und im Gegensatz zu den aktuellen Konflikten mit Megaprojekten und dem aktiven Widerstand als eher passiv einzustufen. Für eine Begleitperson bedeutet diese aktivere Dynamik, dass sie automatisch stärker ins aktuelle Geschehen involviert ist und die eigene Rolle ständig hinterfragen und sich neu positionieren muss, da sich laufend neue, unbekannte Situationen ergeben. Auf lokaler wie internationaler Ebene gibt es Akteure, die sich für eine ökonomische Entwicklungsweise mit Megaprojekten aussprechen (Liberalisten, siehe Kapitel 2) und andere, die dagegen sind (Protektionisten). Es gab Stimmen bei den interviewten Freiwilligen denen die Begleitarbeit im Kontext von Megaprojekten zu parteiisch ist, weil Mitarbeiter (Koordinatoren wie Freiwillige) ihre persönliche Einstellung zu stark einfliessen lassen 390 391 Interview BP5, Zeile 57-61. Interview BP5, Zeile 69-71. 84 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala würden. Megaprojekte würden von Grund auf als schlecht eingestuft und dabei gehe vergessen, dass Megaprojekte auch Land und Bevölkerung einen Fortschritt bringen können, der ihren Alltag verbessere.392 „Gefahr für Acoguate in Zukunft könnte sein, dass die Arbeit als Begleitung und Unterstützung von wertefreien Menschenrechten durch politische Ideologie verfärbt wird, wenn die politische Ideologie zu starken Einfluss erhält. Die Arbeit einer Begleitperson sollte möglichst wertneutral sein und nicht als sozialistischer, antikapitalistischer oder linksideologischer Kampf gesehen werden, sondern der Sicherung der Menschenrechte dienen. Es ist doch möglich, neoliberale Wirtschaft gut zu heissen und trotzdem die Menschenrechte als wichtig zu erachten. Kapitalismus und Menschenrechte müssen sich nicht grundsätzlich ausschliessen. Ich erachte den Kapitalismus für die Entwicklung des Landes als wichtig und die Menschenrechte müssen deswegen nicht darunter leiden. Acoguate unterscheidet diese beiden Dinge nicht voneinander. Dies hat mit den Freiwilligen und den Organisationsvertretern zu tun, die ihre politische Einstellung in die Arbeit einfliessen lassen. Dies hat auch mit dem Selbstverständnis der Rolle als internationaler Begleiter zu tun. Einige sehen diese Rolle nicht als wertfrei.“393 Es gab Stimmen bei den interviewten Freiwilligen, die den Verlust der Unparteilichkeit darin sehen, dass die von ihnen gesammelte Information zu politischen Zwecken benutzt wird: „Wenn das Projekt sich als „unparteiisch“ verkauft, die Informationen der Acos jedoch von den einzelnen Organisation in CAIG für politische Ziele verwenden, kann dies scheinheilig wirken und am Projekt Schaden, weil es durch diese Doppelspurigkeit an Glaubwürdigkeit verliert.“394 Einige sehen eine geringere Begleitlegitimation, wenn der Konflikt um Megaprojekte ohne Menschenrechtsverletzungen abläuft, weil die Begleitarbeit dann zu politisch sei. Eine freiwillige Person beispielsweise, erhielt bei der Begleitarbeit von AJR-Mitgliedern, die in der Region des geplanten Wasserkraftwerkes Xalalá leben, den Eindruck, dass die internationale Präsenz vor allem dazu diene, den politischen Ansichten der lokalen Bevölkerung im Widerstand mehr Gewicht zu geben, da die Personen keiner physischen oder psychischen Bedrohung ausgesetzt seien, weder als AJR-Mitglieder noch als Megaprojekt-Gegner. „Acos werden hier [Begleitung AJR-Mitglieder, die von geplantem Megaprojekt Xalalá betroffen sind] eingespannt um der politischen Ansicht und Einstellung der Indigenen im Widerstand mehr Gewicht zu verleihen, anstatt ihnen durch unsere internationale Präsenz die Möglichkeit zu geben, ihre Ansicht überhaupt vertreten zu können. (...). Die begleiteten Personen haben oft den Eindruck, dass Acos kommen, um ihrem Kampf eine politische Legitimation und ihrem Standpunkt mehr Gewicht zu verleihen.“395 „Ich denke ja, es ist etwas Delikates, doch wir können es schaffen Begleitarbeit im Kontext von Megaprojekten durchzuführen. Wenn wir klare Beweise haben, dass die Art und Weise wie diese Megaprojekte die Menschenrechte verletzen und es 392 393 394 395 Interview F1, Zeile 123-129. Interview F1, Zeile 146-159. Interview F1, Zeile 93-96. Interview F1, Zeile 135-138; 164-166. 85 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Gemeinschaftsführer gibt, die bedroht werden, wenn sie dagegen kämpfen. Ich denke, da haben wir immer noch ein Erbe oder eine Diskurslinie um die Begleitung dort zu rechtfertigen, weil es um die Menschenrechte geht. Bei einem Megaprojekt, das gut durchgeführt wird, ohne Drohungen, hätten wir nicht viel Rechtfertigung zu begleiten. Das wäre zu stark, eine politische Position einnehmend. Ich glaube, dass viele, die im Projekt arbeiten, antikapitalistisch und so eingestellt sind, doch dies ist nicht das Ziel bei der Begleitung im Kontext von Megaprojekten. Wir unterstützen diese Kämpfe, weil ihre Menschenrechte verletzt wurden und aus dieser Sicht denke ich, dass die Begleitung da seine Rolle erfüllt, dass Menschenrechtsverteidiger unterstützt werden, die um Begleitung bitten.“396 Konkret werden im Kontext von Megaprojekten Landenteignung, Indigenenrechte (ILOKonvention 169397) und Drohungen gegen Menschen im Widerstand als Begleitlegitimation ohne Verlust der Unparteilichkeit gesehen: „Landenteignung wegen einem Megaprojekt ist eine Menschenrechtsverletzung, da ist Begleitarbeit legitim. Ich bin der Meinung, dass wir in diesem Kontext begleiten sollten, weil es Konfliktsituationen sind, wo Menschenrechte gefährdet werden. Oft ist die Situation so, dass Menschen sagen, ihr Land sei ihnen wegen einem Megaprojekt unrechtmässig enteignet worden. Dies wäre eine Menschenrechtsverletzung.“398 Die „Problematik bei den geplanten Staudämmen im Ixcil ist, dass Fincas das Land der Indigenen einverleiben und weiterverkaufen und die Staudammunternehmen zu wenig Kompensationsgelder bezahlen für das Land der Indigenen. Es geht vor allem um Landfragen und dass heilige Maya-Orte überschwemmt würden. Dies sind meiner Meinung nach nicht Menschenrechte, die man begleiten muss, da es teil ihres Prozesses ist und wir dabei keinen Unterschied machen.“399 Für die begleitete Person im Widerstand gegen die Mine Marlin zeigt die Begleitung gegen aussen auf, dass es sich um Menschenrechtsverletzungen handelt: „Internationale Begleitung macht gegen aussen bewusst, ob eine Menschenrechtsverletzung vorliegt oder nicht. Sie zeigt auf, ob das, was wir anklagen eine reale Tatsache ist oder nicht.“400 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass im Kontext von Megaprojekten aufgrund dieses Prinzips Spannungsfelder bestehen. Diese können mit der aktiven Dynamik des Begleitfeldes und der wirtschaftspolitischen Komponente des Megaprojektthemas erklärt werden. Das automatische „Hineinrutschen“ in den Megaprojektkontext bei der AJRBegleitung ohne Mandatsanpassung und fehlenden Menschenrechtsverletzungen gefährdet das Prinzip der Nicht-Einmischung. Die Trennung zwischen unparteiischer Haltung und Begleitung des Minenwiderstandes gegen aussen ist in der Praxis eine Herausforderung. Einerseits weil einige Komiteevertreter in CAIG wie auch Begleitpersonen, Megaprojekte grundsätzlich als negativ einschätzen und dadurch die Offenheit gegenüber aller Parteien 396 397 398 399 400 Interview F6, Zeile 230-242. Vgl. Interview F5, Zeile 293-294; Interview F6, Zeile 183-194. Interview F2, Zeile 136-139. Interview F1, Zeile 129-135. Interview BP6, Zeile 13-16. 86 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala beeinträchtigt wird. Andererseits weil die lokal betroffene Bevölkerung zum Thema Megaprojekte gespalten ist. Daraus resultiert, dass sich Begleitpersonen mit einer liberalistischen Einstellung401 tendenziell als „Informationsräuber“ missbraucht fühlen. Öffentliche Handlungen von Begleitpersonen, wie die Unterzeichnung einer Abstimmungsakte, bringt eine Rollenvermischung mit sich und lässt von aussen die Unparteilichkeit anzweifeln. Die Voraussetzung einer Anfrage für internationale Begleitung garantiert grundsätzlich das Nicht-Einmischungsprinzip. Nachweisbare Menschenrechtsverletzungen machen die unparteiische Begleitung im Kontext von Megaprojekten möglich. Ohne vorliegende Menschenrechtsverletzungen läuft die Begleitarbeit Gefahr, wirtschaftspolitische Standpunkte der Begleiteten zu unterstützen und die wertfreie Position zu verlieren. 4.2.3 Abschreckung Die Begleitarbeit ist eine Art Präventivmassnahme, die vor Menschenrechtsverletzungen abschreckend wirken soll, wobei der abschreckende Effekt am schwierigsten nachzuweisen ist402, weil die Täter bei Drohungen, Einschüchterungen und Attacken meist unbekannt bleiben. In der Fachliteratur wird zwischen genereller und unmittelbarer Abschreckung unterschieden. Die generelle Abschreckung beruht auf der Annahme, dass die von der internationalen Gemeinschaft definierten Normen (Respektierung der Menschenrechte) und inakzeptables Verhalten (Verletzung der Menschenrechte) abschreckende Strategie wirken können, weil die negativen Konsequenzen gefürchtet werden, wenn die Verletzungen öffentlich werden. Wenn Menschenrechtsaktivisten aufgrund ihrer Arbeit dennoch psychisch wie physisch bedroht werden, dann werden die negativen Konsequenzen nicht gefürchtet und die generelle Abschreckung wirkt nicht. In diesem Falle kommt die internationale Begleitung mit der unmittelbaren Abschreckung durch direkten Schutz, ins Spiel.403 Kurz, der Abschreckungseffekt greift, wenn potenzielle Menschenrechtsverletzer die (juristischen) Konsequenzen fürchten, wenn ihre kriminellen Taten durch die internationalen Begleiter ans Licht kommen und dadurch vor weiteren Taten abgehalten werden. Luis E. Eguren und James Lupton, die mit PBI in Kolumbien im Einsatz waren und die internationale Begleitarbeit als 401 In Kapitel 2 wurde aufgezeigt, dass in der Entwicklungspolitik die Anhänger des Liberalismus ökonomische Entwicklung und rasches Wachstum als eine wichtige Voraussetzung für die Armutsbekämpfung sehen. 402 403 Vgl. Interview K1, Zeile 490. Vgl. Mahony/Eguren (1997), Unarmed Bodyguards, S. 85. 87 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Strategie untersuchten, hielten dazu fest, dass der Schutz durch internationale Begleitung auf der Hypothese basiere, dass internationale Präsenz vor der Verletzung der Menschenrechte der begleiteten Person abschreckt, weil der internationale Einfluss/Druck bei einer Verletzung dieser Menschenrechte die politischen Kosten übersteigen würde.404 Die Abschreckung durch internationale Begleitpersonen spielt auch mit einer „positiven Nutzung des Rassismus/der Diskriminierung“. Eine internationale Begleitperson nutzt ihre Herkunft (ihr physisches Erschienungsbild) aus einem Industriestaat aus dem Norden um abzuschrecken. Es hat sich gezeigt, dass die Hemmschwelle, jemanden zu attackieren, höher ist, wenn eine ausländische Person präsent ist, da davon ausgegangen wird, dass diese Tat nicht im Verborgenen und unbestraft bleibt. Da in Guatemala oft auch ans Licht gebrachte Menschenrechtsverletzungen unbestraft bleiben, könnte argumentiert werden, dass dieser Abschreckungsmechanismus nicht greift, da der internationale Druck, sprich die Kosten/Konsequenzen einer Menschenrechtsverletzung, nicht genügend hoch sind. Durch die jahrelang vorherrschende Straflosigkeit vermindert sich der Abschreckungseffekt. Da noch keiner der Massakerhauptverantwortlichen vor Gericht gezogen wurde, existiert kein Exempel, dass die hohen Kosten bei Verletzung der Menschenrechte aufzeigt. Viele der interviewten Personen erwähnten daher ihre letzte Hoffnung in die CICIG405. Die Koordinatorin von CAIG-Acoguate schätzt die gegenwärtige Abschreckungskapazität zu früher anders ein. Die Drohungen und Attacken gegen Menschenrechtsverteidiger drückten die soziale Konfliktgeladenheit aus, die sich in der allgemeinen Gewaltzunahme zeige. Es sei heute noch schwieriger geworden, festzustellen, ob es sich um eine Drohung oder einen gängigen kriminellen Akt handle. Die Angst vor Repressionen, würden viele davon abhalten, Anzeige zu erstatten. Die Betroffenen würden internationale Organisationen auffordern, für sie anzuzeigen. Doch dieses Vorgehen könne von staatlicher Seite nicht legitimiert werden, indem gesagt werden kann, dass die internationalen Organisationen die Leute organisieren und nicht sie selbst sich organisieren.406 Die Forschungsdaten, die im Rahmen dieser Arbeit gesammelt und analysiert wurden, zeigen ein differenziertes Bild zum Abschreckungsmechanismus auf. In den AJR-Belgeitung hat sich die Konfliktlage über die letzten Jahre beruhigt. Gemäss der Koordinatorin von CAIGAcoguate, sagten die begleiteten Personen 2007 in fast jeder Gemeinde aus, dass sie seit der 404 405 406 Vgl. Eguren/Lupton (1996), El Acompanamiento internacional como estrategia, S. 44. CICIG: Comision Internacional Contra Impunidad en Guatemala (siehe Kapitel 2.5.1). Interview K1, Zeile 628-630. 88 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala internationalen Begleitung nicht mehr mit Einschüchterungen belästigt würden.407 Diese Beruhigung ist nicht nur auf die internationale Präsenz, sondern auch auf den Fast-Stillstand der Genozidfälle zurückzuführen.408 Direkt abschreckend wirkt die Präsenz im Kontext der AJR-Begleitung insbesondere während der Präsenz vor Ort. Die Befragten berichten, dass die meisten Attacken und Drohungen geschehen, wenn keine Begleitpersonen vor Ort seien. Auf die landesweite Gewaltentwicklung hat die internationale Präsenz offensichtlich keinen Einfluss, dass zeigen die gestiegenen Gewaltzahlen in Kapitel 2.7. Eine befragte Freiwillige schildert ihre Einsatzerfahrungen zum Abschreckungseffekt wie folgt: „Doch wir [Begleitpersonen] können nicht beweisen, dass es durch unsere Präsenz weniger Übergriffe, Bedrohungen oder Menschenrechtsverletzungen gibt. Der Anstieg an Übergriffen auf Menschenrechtsaktivisten ist enorm gestiegen, trotz Begleitarbeit. Was jedoch sichtbar ist, dass die Menschen, die begleitet werden, physisch nicht angegriffen wurden oder Opfer von Telefonterror geworden sind. In dem Sinne fühlen sich die Menschen durch die Begleitung sicherer, können dadurch ihre Arbeit für die Menschenrechte besser ausführen und dies ist der Erfolg des Projektes. Dies ist die Wahrnehmung der wenigen Menschen, die begleitet werden können (...) und für mich gibt das die Motivation, diese Arbeit zu machen.“409 Im Gegensatz zur Begleitung der AJR-Mitglieder, unterliegt die Abschreckungskapazität der internationalen Begleitung im Kontext von Megaprojekten durch seine Aktualität einer anderen Dynamik und ist schwierig auszumachen. Die Koordinatorin von CAIG-Acoguate erklärt diese neue Dynamik damit, dass die transnationalen Unternehmen mit den immer noch einflussreichen Ex-Militärs Guatemalas (Hidden Powers) zusammenarbeiten und daher trotz Menschenrechtsverstössen bei der Umsetzung von Megaprojekten keine politischen Kosten zu fürchten haben.410 Hier sieht sie die Herausforderung, vor der die internationale Begleitarbeit in Guatemala heute steht: wie kann vor diesem Hintergrund abgeschreckt werden? Denn auch die abschreckende Wirkung gegenüber Akteuren des organisierten Verbrechens, die von der NGO UDEFEGUA im Kontext von Megaprojekten vermutet werden, wird von den Befragten als sehr gering eingestuft. Die seit einem Jahr begleitete Person im Widerstand gegen die Mine Marlin sagt, dass die Anzahl Drohungen seit der internationalen Begleitung gleich blieb.411 Trotz den eben genannten Entwicklungen, die den Abschreckungseffekt im Kontext Megaprojekte schwächer einschätzen lässt, sieht die von 407 408 409 410 411 Interview K1, Zeile 512-513. Vgl. Interview K1, Zeile 498-500. Interview F2, Zeile 249-257. Interview K1, Zeile 515-518. Vgl. Interview BP6, Zeile 35-37. 89 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala CAIG-Acoguate begleitete Person im Widerstand gegen die Mine Marlin, hinter ihrer Begleitung eine abschreckende Wirkung412: „Die Annahme hinter der Begleitanfrage, weshalb wir die internationale Begleitung nutzen ist, dass mit der internationalen Präsenz zu einem grossen Teil die Verfolgung verringert wird. Die Begleitung zeigt gegen aussen, dass Person nicht alleine ist, sondern Kontakte in andere Gebiete bestehen.“413 Die beiden befragten Personen, die im Widerstand gegen die Mine Marlin organisiert sind, sagten aus, dass die Abschreckungswirkung vorhanden sei, wenn die Acos vor Ort sind. Sobald sie jedoch ohne Begleitung unterwegs seien, die Bedrohungen und Einschüchterungen wiederkehren. Die begleitete Person im Widerstand sieht daher in der Begleitfrequenz (einmal im Monat) einen Nachteil für die Abschreckungswirkung, weil „(...) es keine permanente Präsenz an Ort und Stelle gibt sagen wir. Weil die Verletzungen sind konstant, sind nicht nach Datum, also programmierbar, sondern konstant und auch unerwartet. (...) wir waren in Gemeinden ohne internationale Begleitung und wir wurden bedroht, kontrolliert, kaputt gemacht durch Arbeiter des Unternehmens.“414 Auf die Frage, ob sich die Situation seit der Begleitung verbessert hat, antwortete die begleitete Person im Widerstand gegen die Mine Marlin: „Es hat sich gehalten, würde ich sagen, es hat sich nicht verbessert, aber auch nicht verschlimmert. Es hat sich ein wenig die Kontrolle bewahrt. Oder sagen wir vor allem die Sichtbarkeit, dass es Leute gibt, die zuschauen indem sie hier sind, ich denke das ist ein wenig die Sache.“ 415 Einen stärkeren Abschreckungseffekt durch mehr Präsenz, wie die begleitete Person dies wünscht416, hängt von den personellen und finanziellen Ressourcen von CAIG-Acoguate ab. Die Abschreckung durch mehr visuelle Sichtbarkeit von Acos von CAIG-Acoguate ist in Diskussion. Gewisse Begleitete möchten nicht, dass die Begleitpersonen mit einer gekennzeichneten Jacke gekleidet sind, da sie Repressionen fürchten, wenn man sieht, dass es um Menschenrechte geht. Für Corto Plazo-Einsätze werden bereits mit dem Begleitprojektnamen versehene, anheftbare Schilder getragen. Gerade beim Besuch von öffentlichen Ämtern wurde die Erfahrung gemacht, dass die Anwesenheit von internationalen Begleitpersonen zu einer schnelleren Abwicklung administrativer Vorgänge führte. Eine interviewte Begleitperson erzählte folgendes Erlebnis dazu: 412 413 414 415 416 Vgl. Interview BP6, Zeile 80-85. Interview BP6, Zeile 7-11. Interview BP6, Zeile 21-25; 42-46. Interview BP6, Zeile 28-34. Vgl. Interview BP6, Zeile 88-94. 90 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala „Wir [zwei Acos] begleiteten eine Organisation bei einem Besuch beim Ministerio Publico [Staatsanwaltschaft], um eine Legitimation zu holen für eine Exhumierung – das erste Mal, dass wir uns mit Namensschildern von CAIG-Acoguate gekennzeichnet haben. Bisher hatte meine Erscheinung als „Gringo“ gereicht, um „abschreckend“ zu wirken. Die Begleitung wurde gemacht, um auf dem Amt Schikanen zu vermeiden. Oft müssen Indigene Zusatzschlaufen machen, um zusätzliche Stempel holen zu müssen, was Geld kostet. Die Prozedur ging dreieinhalb Stunden und die begleiteten Personen kommentierten nach dem Besuch, dass dies ein schnelles Verfahren war.“417 Für mehr visuelle Sichtbarkeit im Kontext von Megaprojekten würde auch sprechen, dass die Rolle als dritte unparteiische Partei gegen aussen klarer kommuniziert würde. Die Autorin beobachtete in der Region der Mine Marlin, dass sehr viele internationale Personen von NGOs, aber auch ausländische Minenangestellte vor Ort präsent waren und es für die lokale Bevölkerung verwirrend ist, welcher Akteur welche Rolle und Aufgabe wahrnimmt. Eine visuelle Kennzeichnung der Begleitpersonen würde die Rolle CAIG-Acoguates würde dieser Verwirrung entgegenwirken und den Abschreckungseffekt stärken, da signalisiert und bekannt wird, dass die Begleitpersonen nicht für die Mine, sondern zum Schutz der Menschenrechte arbeiten. Diese Signalwirkung könnte Menschenrechtsverletzungen verhindern. Die Visualisierung kann Begleitpersonen aber auch zum Zielobjekt für Attacken machen. Die besprochene konfliktive Konstellation in der Gesellschaft verringert auch im Konfliktkontext von Megaprojekten die Sicherheit der Begleitpersonen. Bisher wurde nur eine Begleitperson verbal angegriffen und bedroht. Ein Mitarbeiter einer lokalen, kirchlichen Organisation in San Marcos, die sich ebenfalls gegen die Mine engagiert, äusserte sich gegenüber der Autorin bei einem informellen Treffen zur Begleitarbeit kritisch und meinte, dass die begleiteten Personen im Kontext der Mine auf die Begleitpersonen aufpassen und nicht umgekehrt aufgrund der unsicheren und spannungsgeladenen Situation. Diese Aussage weist darauf hin, dass die Begleitpersonen trotz ihres „Ausländerstatus“ eine geringe Abschreckungswirkung für die begleiteten Personen haben, wie auch selbst nicht geschützt sind. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die abschreckende Wirkung der internationalen Begleitarbeit schwer zu messen ist. Der Abschreckungseffekt im Kontext von Megaprojekten wird unterschiedlich eingeschätzt. Begleitete selbst sprechen von einem Abschreckungseffekt, der aber nur während der Begleitung selbst andauert. Der Begleitgrund liegt daher primär nicht im Abschreckungseffekt. Menschenrechtsorganisationen schätzen den Abschreckungseffekt im Kontext von Megaprojekten als eher gering ein. Die „Immunität“ der 417 Interview F2, Zeile 241-248. 91 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala einflussreichen Wirtschaftselite, die mit dem organisierten Verbrechen verbunden ist und die vorherrschende Straflosigkeit können als Grund dafür gesehen werden. 4.2.4 Erzeugung nationalen und internationalen Drucks Wie im vorhergehenden Kapiteln angesprochen, muss die internationale Begleitung in einen politischen, internationalen Kontext gestellt werden, um den Mechanismus zur Abschreckung vor Menschenrechtsverletzungen aufzeigen zu können. In der Wissenschaft wurde die Erzeugung internationalen Drucks, indem bekannte NGOs wie Amnesty International Berichte über Menschenrechtsverletzungen veröffentlichen oder NGOs das UNOHochkommissariat für Menschenrechte informieren, erforscht. Die Internationale Begleitarbeit von CAIG-Acoguate kann im politischen Kontext als eine Möglichkeit gesehen werden, internationalen Druck zu erzeugen.418 Wie CAIG-Acoguate diesen internationalen Druck erzeugt, wird im folgenden Kapitel anhand der Informationsverbreitung und Netzwerkarbeit von CAIG-Acoguate aufgezeigt. Um eine Abschreckungswirkung zu erhalten, müssen die Konsequenzen bei einer Menschenrechtsverletzung weiter kommuniziert werden, damit die politischen/juristischen/ökonomischen Kosten genügend hoch werden.419 Internationale Begleiter arbeiten vor Ort als Beobachter und werden so zu potenziellen Zeugen (oder Opfern) von Menschenrechtsverletzungen wie Attacken gegen Menschenrechtsaktivisten. Margaret E. Keck und Kathryn Sikkink zeigen in ihrem Werk „Activists beyond Borders“ auf, dass die transnational und lokal operierenden „advocacy networks“ die Kanalzugänge zum internationalen System vervielfachen.420 Die Politikwissenschaftlerinnen formulieren eine Aufgabe dieses Netzwerkes im Bereich Menschenrechte wie folgt: „(...), they also make international resources available to new actors in domestic political and social struggles.“421 Die „Macht“, die NGO’s besitzen, ist also die Informationskapazität, die durch das so genannte Lobbying und die öffentliche Anklage („blaming and shaming“) strategisch genutzt wird, um internationalen Druck zu erzeugen, mit dem Ziel, dass Staaten oder internationale Organisationen ihr Verhalten ändern.422 Aktuelle Information über Menschenrechtsverletzungen ist wichtig, um das Handeln von Personen oder Einheiten zu 418 419 420 421 422 Vgl. Eguren/Lupton (1996), El Acompanamiento internacional como estrategia, S. 45. Vgl. Eguren/Lupton (1996), El Acompanamiento internacional como estrategia, S. 44. Vgl. Keck/Sikkink (1998), Activists beyond borders, S. 1. Keck/Sikkink (1998), Activists beyond borders, S. 1. Vgl. Keck/Sikkink (1998), Activists beyond borders, S. 2, 23. 92 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala beeinflussen, die Entscheidungskraft besitzen. Die Information muss auf internationale Ebene gelangen und deren Veröffentlichung sollte klare politische und wirtschaftliche Kosten mit sich bringen.423 Guatemala hat während dem 36-jährigen Bürgerkrieg negative Erfahrungen mit der internationalen Informationsverbreitung gemacht. Als in den 1980er Jahren die Leute aufgrund der Massaker ausser Landes flohen, gelang die Information auf die internationale Ebene. Rios Montt soll den General Lucas Garcia unter anderem mit dem Argument gestürzt haben, dass das international schlechte Bild Guatemalas eine Wirtschaftskrise im Land auslöste, weil die internationale Hilfe beendet wurde.424 Der interviewte Anwalt von CALDH geht davon aus, dass „es diese Erfahrung war, die den Flüchtlingsbewegungen gelernt hatte, dass dies [Informationsverbreitung und darauf folgende Kürzung der finanziellen Auslandhilfe] die Regierung schmerzte und sie deshalb internationale Begleitung anforderten, als sie aus Mexiko zurückkehren wollten“.425 Damit wird der Zusammenhang zwischen einer guten internationalen Reputation und finanzieller Wirtschaftshilfe ersichtlich. Negative Schlagzeilen wie Menschenrechtsverletzungen, die nach aussen dringen, können folglich als Druckmittel verwendet werden. Im Kontext von Megaprojekten bedeutet diese Erkenntnis, dass die internationale Begleitarbeit mit der Beobachtung vor Ort und Informationsverbreitung eine „Waffe“ in der Hand hat, da weder der Staat, noch transnationale Unternehmen an einer schlechten Reputation und möglichen negativen Konsequenzen interessiert sind. Wie diese „Waffe“ eingesetzt wird, soll in der Folge erläutert werden. Im Rahmen dieser Arbeit wurden die Informationswege von CAIG-Acoguate näher erforscht und sollen in der Folge diskutiert werden, weil über diese Wege der Druck erzeugt wird, von dem auch Liam Mahony und Luis Enrique Eguren in ihrem Buch „Unarmed bodyguards“ sprechen: „Accompaniment does not by itself end wars or resolve conflicts. It is but one tool for pressure in a complicated interaction of many players. International presence affects power relationships, (...), it shifts perceptions of aviable political spaces.“426 Mit der Informationsverbreitung von Menschenrechtsverletzungen und Erlangung öffentlicher Aufmerksamkeit, kann der Straflosigkeit entgegengewirkt werden, obschon der schwache Rechtsstaat die Erfolge einschränkt. Bei einer beobachteten Menschenrechtsverletzung, wird 423 424 425 426 Vgl. Eguren/Lupton (1996), El Acompanamiento internacional como estrategia, S. 45. Interview BP1, Zeile 34-43. Interview BP1, Zeile 47-49. Mahony/Eguren (1997), Uarmed Bodyguards, S. 247. 93 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala bei CAIG-Acoguate in einem ersten Schritt mit der betroffenen Person/Organisation abgeklärt, ob eine Anzeige eingereicht wird oder nicht. CAIG-Acoguate steht es aufgrund der „Nicht-Einmischung“ nicht zu darüber zu entscheiden. In einem zweiten Schritt werden die Informationen landesintern weitergeleitet, um den lokalen Autoritäten die Möglichkeit zu geben, darauf reagieren zu können.427 In einem dritten Schritt werden Botschaften und das Hochkommissariat für Menschenrechte informiert. Mit den Informationen werden auch internationale Eilbriefaktion an verschiedenste Adressaten gestartet.428 Ein Beispiel ist die „Urgent Action“-Aktion von NISGUA und Collectif Guatemala um auf die Situation von Menschenrechtsverteidigern im Gebiet der Mine Marlin aufmerksam zu machen.429 In der Literatur ist nachzulesen, dass eine der stärksten Fähigkeiten transnationaler Netzwerke die schnelle Sammlung von exakter Information ist, die effektiv genutzt wird und Teil ihrer Identität darstellt.430 Bei CAIG-Acoguate wird die Information über Menschenrechtsverstösse über die Begleitarbeit in vielen Regionen des Landes gesammelt und systematisiert. Nach jedem Einsatz erstellen die Begleitpersonen einen schriftlichen Bericht, der archiviert wird. Diese Berichte garantieren auch eine Kontinuität beim ständigen Begleitpersonenwechsel. Anhand der Berichte können sich zukünftige Einsatzleistende einlesen. Das CP-Team sammelt und archiviert Zeitungsartikel und Communiqués anderer Organisationen zu den aktuell begleiteten Fällen. Diese dienen den regelmässigen Analysen über die Menschenrechtssituation in Guatemala, die bei Begleitanfragen helfen zu entscheiden. Das von Margaret E. Keck und Kathryn Sikkink entworfene „Bumerang-Modell“431 zeigt auf, dass transnationale „advocacy“-Netzwerke durch die Informationsverbreitung auf Regierungen, die gegen international anerkannte Normen verstossen, internationalen Druck aufbauen. Doch wie gehen Mitglieder eines transnationalen „advocacy“-Netzwerkes im Bereich der Menschenrechte vor, wenn nicht nur Regierungen, sondern auch transnationale Unternehmen gegen Menschenrechte verstossen? Kann dieses Modell auch auf diese Situation angewendet werden? Die Untersuchungen für diese Arbeit haben ergeben, dass die Organisationen in CAIG wie auch andere NGOs im Kontext von Megaprojekten über verschiedene Wege versuchen, 427 Verschiedene NGOs, darunter Organisationen in CAIG, schickten 2007 einen Brief (siehe Anhang A.11, S. 137) an verschiedene Adressaten des guatemaltekischen Staates (Präsident, Verfassungsgerichtspräsident, Menschenrechtsprokurist, etc.) um Druck auszuüben, damit das Gerichtsverfahren gegen sieben indigene Bauern eingestellt werde, die beschuldigt wurden Minenarbeiter angegriffen zu haben. 2008 wurde dem neuen Präsidenten Alvaro Colom zum Amtsantritt von verschiedenen NGOs ein Brief (siehe Anhang A.12, S. 138) geschickt, der die Besorgnis über die Menschenrechtssituation und den Konflikt im Departement San Marcos ausdrückte. 428 429 430 431 Interview K1, Zeile 566-570 . Siehe Anhang A.13: Urgent Action Alert Mine Marlin, S. 142. Vgl. Keck/Sikkink (1998), Activists beyond borders, S. 10. Siehe Anhang A.3: Bumerang-Modell, S. 127. 94 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Druck auf transnationale Unternehmen auszuüben. Wie dabei vorgegangen wird, soll in der Folge aufgezeigt werden. 4.2.4.1 Informationsaustausch zwischen CAIG-Acoguate und den Einsatzregionen432 Die Untersuchung der Informationswege hat gezeigt, dass Informationen nicht nur von der Einsatzregion in die Hauptstadt, sondern auch umgekehrt fliessen. Ein Weg CAIG-Acoguates auf transnationale Unternehmen indirekt Druck auszuüben, geht über die Informationsverbreitung von der Hauptstadt (Hauptsitz von CAIG-Acoguate) in die Begleitregionen. Dieser Informationsweg besteht bei der Begleitung von AJR-Mitglieder bereits länger. Informationen über die Entwicklungen in den Gerichtsprozessen werden so in abgelegene Regionen mit erschwertem Zugang zu öffentlichen Medien weitergeleitet. Diese langjährig begleiteten AJR-Mitglieder sind durch die neoliberale Wirtschaftsentwicklung vermehrt durch Megaprojekte betroffen und konfrontiert auch die Begleitarbeitmit neuen Realitäten. Einerseits sammeln die Begleitpersonen in ihren Largo Plazo-Einsätzen Informationen über diese Projekte und teilen sie an der Monatssitzung den Regionsverantwortlichen mit, wobei wichtige Vorkommnisse an das Netzwerk von CAIGAcoguate als Communiqués per Mail verschickt, von einzelnen Organisationen in CAIG zu politischer Arbeit verwendet und in den Internet-Blog gestellt werden. Andererseits werden Informationen über Megaprojektpläne und Widerstandsbewegungen gegen Megaprojekte im Land an die begleiteten Personen weitergegeben. Das in Kapitel 4.2.2 bereits angesprochene Spannungsfeld zwischen der unparteiischen, apolitischen Haltung als Begleitperson des Projektes Acoguate und der politischen Arbeit der Komitee-Vertreter in CAIG wird mit der Informationsverbreitung in den Regionen verdeutlicht. Freiwillige formulierten ihr Dilemma zwischen Unparteilichkeit und politischer Arbeit so: „Einerseits gibt sich das Projekt Acoguate gegen aussen als unparteiisch, als rein beobachtend, andererseits werden die Acos „instrumentalisiert“, indem sie für ihre politischen Interessen Informationen sammeln lassen und diese dann politisch verwenden.“433 „Ja, ich fühle mich teils missbraucht im Projekt Acoguate als internationale Begleitperson. Solange das Einstehen für Menschenrechte politische Arbeit ist, dann bin ich auch politisch und kann dahinter stehen, denn deswegen bin ich da. (...). Doch wenn es darum geht, Äusserungen zu machen über Sinn und Unsinn von Grossprojekten wie Wasserkraftwerken oder Minen, wo es um die Wirtschaftspolitik des Landes geht und Menschenrechte nicht direkt betroffen sind, sondern oft ein lokalpolitisches Problem ist, weil ein Teil der Bevölkerung gegen und ein Teil für das Projekt ist. Dort möchte ich 432 433 Siehe Dokument „Auswertungstabellen“ auf CD, Tabelle Freiwillige, Punkt 9. Interview F1, Zeile 96-99. 95 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala nicht, dass wir als Organisation dort tätig werden, oder nicht in dem Sinne unsere Sicht aufdoktrinieren gehen.“434 Hinter der Informationsverbreitung in den Regionen, die von Megaprojekten betroffen sind oder in naher Zukunft sein werden, sieht die Autorin dieser Arbeit die Absicht gegen lokale und nationale Regierungsinstanzen Druck aufzubauen, damit diese bei der Planung und Umsetzung von Megaprojekten die Menschenrechte zu respektieren. Eine informierte Gemeinschaft kann sich besser organisieren als eine unwissende, um gegenüber transnationalen Unternehmen und der eigenen Regierung ihre Bedürfnisse und Rechte vertreten zu können. Bei dieser Strategie stellt sich allerdings die Frage, ob mit dieser aktiven Informationsverbreitung über Begleitpersonen das Prinzip der Nicht-Einmischung und Unparteilichkeit verletzt wird. Es kann argumentiert werden, dass diese Strategie im Kontext Guatemalas als Hilfe gesehen werden kann, die durch den langen Krieg zerrüttete Zivilgesellschaft zu stärken. Das Informieren über die Widerstandsbewegungen gegen Megaprojekte im Land um den sozialen Widerstand gegen Megaprojekte zu vereinen, ist eine aktive Handlung und vor dem Hintergrund der Begleitprinzipien eher grenzwertig. 4.2.4.2 Zusammenarbeit mit Botschaft435 Mit Ausnahme von Swefor besteht bei den Freiwilligen kein direkter Arbeitskontakt zu ihren Botschaften, abgesehen vom Unterstützungsbrief436, den die Freiwilligen, mit Ausnahme der amerikanischen, erhalten. Der ständige Wechsel unter den Freiwilligen erschwert eine längerfristige und nachhaltige Zusammenarbeit mit den Botschaften. Es kommt immer wieder vor, dass Freiwillige die Komitee-Vertreter an Botschaftstreffen begleiten, da sie als Augenzeugen am authentischsten Bericht erstatten können. Die Komitee-Vertreter in CAIG pflegen eine Arbeitsbeziehung zu ihren Botschaften um Informationen weiterzuleiten. Die freiwillige Person der schwedischen Organisation Swefor, erzählte im Interview von Treffen in der schwedischen Botschaft und von einem Besuch eines Botschaftsmitarbeiters im Feld, bei dem auch Zeugenaussagen von Massakerüberlebenden entgegengenommen wurden. Als Gründe für diese Zusammenarbeit nannte die freiwillige Begleitperson, den Zugang der Botschaft zu wichtigen direkten Einflusskanälen auf die guatemaltekische Regierung.437 Über diese Zusammenarbeit entstehe die Möglichkeit, über 434 435 436 437 Interview F2, Zeile 84-95. Siehe Dokument „Auswertungstabellen“ auf CD, Tabelle Freiwillige, Punkt 5-7. Siehe Anhang A.10: Unterstützungsbrief von Botschaft, S. 136. Vgl. Interview F4, Zeile 23-25. 96 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala die Botschaften Druck auf guatemaltekische Institutionen, wie auch auf die schwedische Regierung, ausüben zu können und so diese zum Handeln für mehr Gerechtigkeit zu bewegen.438 Die Erfahrungen mit der Botschaftszusammenarbeit sind ambivalent. Die freiwillige Begleitperson von Swefor machte in der Zusammenarbeit mit der schwedischen Botschaft Erfahrungen, die ihn rückschliessen liessen, dass NGOs bei den Botschaften eher zweitrangige Priorität haben. Auf diese Einschätzung kommt die Person einerseits, weil die Botschaft aus Zeitgründen die NGO teils nicht empfing und er daraus fehlendes Interesse interpretierte. Andererseits nahm an einem Treffen mit neun anwesenden Vertretern (eine Koordinatorin und acht Begleitpersonen) der NGO Swefor nur ein Botschaftsvertreter.439 Die Themenschwerpunktsetzung lasse jedoch darauf deuten, dass sich die Botschaft von den Informationen der NGO-Berichte doch beeinflussen lasse, da sie mit der Agenda der NGO übereinstimme.440 Auch sei ihm von den Botschaftsmitarbeitern gesagt worden, dass ihre Arbeit wichtig sei und sie diese wertschätzten.441 Wie wird die Arbeit internationaler Begleitorganisationen in Guatemala aus Sicht der Diplomatie wahrgenommen? Aus den Gesprächen mit Diplomaten aus den Ländern Kanada, Schweiz, Deutschland, Schweden und Frankreich kann zusammenfassend festgehalten werden, dass die Arbeit von NGOs in Guatemala generell als wichtig eingestuft und eine Zusammenarbeit geschätzt wird. Mit Ausnahme der amerikanischen Botschaft pflegen alle Organisationen in CAIG mehr oder weniger intensiven Kontakt mit ihrer jeweiligen Botschaft. Der kanadische Botschaftsvertreter betonte im Kontakt mit NGOs vor allem die Wichtigkeit des Informationsaustausches und wies darauf hin, dass die Zusammenarbeit auch von der persönlichen Beziehung abhänge. Der deutsche Botschaftsvertreter beispielsweise ist der Meinung, dass NGOs in Guatemala ihrer Rolle als Mahner gerecht würden, damit Menschenrechte implementiert werden. Er schätzt die NGO-Arbeit als wichtig ein, weil NGOs „mit den Ohren auf der Schiene liegen“.442 Sie seien für die Botschaften Informationsquellen und Alarmglocken. Der Einfluss, den NGOs in der Zusammenarbeit auf die Politik der Botschaften ausüben, scheint jedoch klar limitiert. Dies untermalt der deutsche Botschaftsvertreter mit der Aussage, dass Botschaften durch NGOs zwar informiert, Einschätzungen und Interpretationen jedoch nicht unbedingt geteilt werden. Botschaften filtern aus den erhaltenen Informationen das heraus, was ihnen für die Menschenrechte und 438 439 440 441 442 Vgl. Interview F4, Zeile 300-304. Vgl. Interview F4, Zeile 8-23. Vgl. Interview F4, Zeile 29-33. Vgl. Interview F4, Zeile 34-36. Interview B1, Zeile 125. 97 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala die Aussenpolitik notwendig erscheine. Das bedeutet, dem Einfluss von NGOs auf Botschaften sind Grenzen gesetzt, wenn die politischen Einschätzungen der Botschaft oder die aussenpolitischen Interessen nicht mit den Einschätzungen und Aktivitäten der NGOs vereinbar sind. 443 Der Unterstützungsbrief zeigt aber, dass die Botschaften die Begleitarbeit von CAIG-Acoguate grundsätzlich gutheissen.444 Der deutsche Botschaftsvertreter wies im Interview darauf hin, dass die Begleitarbeit die persönliche Integrität einer Begleitperson gefährden könne, da die Präsenz internationaler Begleiter auch medial verfolgt wird. Die Botschaften treffen sich regelmässig mit der guatemaltekischen Staatsanwaltschaft, wo die Botschaftsvertreter anhand der erhaltenen Information über Menschenrechtsverletzungen nachfragen können, wie die Staatsanwaltschaft in diesem Fall gedenkt weiter zu verfahren. Wenn viele Briefe von Landsleuten durch eine Eilbriefaktion an eine Botschaft gelangen, so liegt es in der Verantwortung dieser Botschaft, darauf zu reagieren. Anfang 2007 verfasste CAIG-Acoguate einen offenen Brief, der die Besorgnis über die zugenommenen Attacken gegen Menschenrechtsaktivisten ausdrückte, die sich für die Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit im Zusammenhang mit den Massakern einsetzten und innerhalb eines Monats enorme Drohungen erhielten. Daraufhin entstand Handlungsdruck und das Hochkommissariat für Flüchtlinge der UNO und verschiedene Botschafter waren daraufhin an einer öffentlichen Solidaritätskundgebung zugegen. Danach sanken laut der Koordinatorin von CAIG-Acoguate die Angriffe auf die Menschenrechtsaktivisten enorm.445 In Guatemala gibt es eine Gruppe von europäischen Botschaften (Grupo Filtro), die sich einmal im Monat treffen (in dringenden Fällen ad hoc) und Menschenrechtsverletzungen überarbeiten, die UDEFEGUA einreichte.446 An folgenden Sitzungen mit nationalen Institutionen wollen die Botschaftsvertreter anhand der erhaltenen NGO-Informationen über Menschenrechtsverletzungen politisch Einfluss nehmen. „Es hilft, doch schlussendlich bleibt die alte Struktur [bestehen]“447, so die Koordinatorin von CAIG-Acoguate. Auch Diplomaten nutzen wie Begleitpersonen ihre Präsenz als Druckinstrument: Botschaftsmitarbeiter nehmen auch an Prozessen im Gerichtssaal teil, um als internationale Präsenz Druck auf den Prozessverlauf auszuüben. Diplomaten wollen durch ihre physische Präsenz zeigen, dass sie von der Justiz einen fairen Prozess erwarten.448 443 444 445 446 447 448 Vgl. Interview B1, Zeile 126-127; 147-149. Vgl. Interview B1, Zeile 155-159. Interview K1, Zeile 572-579. Interview B1, Zeile 60-61. Interview K1, Zeile 588 . Interview B1, Zeile 67-71. 98 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Die Ausführungen in diesem Kapitel zeigen, dass die Zusammenarbeit mit Botschaften für die internationale Begleitarbeit wichtig ist, um bei Menschenrechtsverletzungen im Kontext von Megaprojekten auf nationaler und internationaler Ebene Druck zu erzeugen. 4.2.4.3 Informationskanal über Netzwerke im Herkunftsland Die Informationen gelangen durch die Koordinatorin von CAIG-Acoguate, den Vertretern der Organisationen in CAIG und über die Freiwilligen in die Herkunftsländer der Organisationen. In diesen Ländern wird Lobbyarbeit betrieben, indem durch die erhaltenen Informationen aus Guatemala Anklagen, Reportagen und Artikel veröffentlicht werden, die der eigenen und der guatemaltekischen Regierung wie auch transnationalen Unternehmen Druck aufsetzen, sich gegen Menschenrechtsverletzungen stark zu machen. Einige der Organisationen wie Nisgua, Collectif, BTS und PAQG in CAIG machten das Thema Megaprojekte zu einem Schwerpunktthema ihrer Arbeit. 2007 organisierten PAQG und BTS Treffen von Megaprojekt-Betroffenen aus Guatemala mit Minenunternehmen in Kanada und der kanadischen Zivilbevölkerung um ihre Bedenken mitzuteilen. Ende 2007 organisierte auch Nisgua eine Rundreise durch die USA mit Verteidigern natürlicher Ressourcen (Xalalá-Staudammprojekt und Minentätigkeit). Regelmässig laden Nisgua und BTS Gruppen (Studenten, Politiker, solidarisierende Personen) aus ihren Ländern ein, um ihnen die Menschenrechtssituation in Guatemala zu zeigen.449 Nebst der Informationsverbreitung in die Netzwerke der Organisationen in CAIG, werden bewusst auch die persönlichen Netzwerke der freiwilligen Begleitpersonen zu Sensibilisierungszwecken genutzt450 Diese Sensibilisierung der Gesellschaft in den nördlichen Herkunftsländern geschieht über (Intensität hängt von der Verpflichtung mit der eigenen Organisation und der eigenen Motivation ab): - Mails und/oder Newsletters an Familie, Freunde und Bekannte während des Einsatzes - Verfassen von Artikeln in Zeitungen, Zeitschriften während und nach dem Einsatz - Durchführung von Infoabenden und Vorträgen (in Schulen, Arbeitsplatz,...), Teilnahme an Schulungen für zukünftige Begleitpersonen, etc. nach der Rückkehr in ihr Land Die befragten Freiwilligen gaben als Ziel der Sensibilisierung im eigenen Land an, die Zivilgesellschaft dazu zu bewegen, durch ihr Konsumverhalten oder ihre Investitionen die 449 450 Siehe Anhang A.14: Chronologie Begleitarbeit in Guatemala, S. 144. Siehe Dokument „Auswertungstabellen“ auf CD, Tabelle Freiwillige, Punkt 18. 99 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala transnationalen Unternehmen dazu zu bringen, die Menschenrechte zu respektieren, wie auch die eigene Regierung zum Handeln aufzufordern: „Ich denke die Internationale Präsenz ist hier in diesem Kontext [Megaprojekte] vor allem wichtig für die Verbreitung der Information und in unseren Ländern darüber zu berichten, weil diese Unternehmen aus unseren Ländern stammen und es damit die Präsenz dieser Unternehmen auch unsere Verantwortung liegt und auch mit unserem kapitalistischen System, mit unserer Art und Weise zu leben verbunden ist. Wir profitieren von den natürlichen Ressourcen dieser Länder für unser Wohlergehen.“451 „Ich glaube unsere Präsenz und den Einfluss, den wir hier haben, zu evaluieren, ist sehr schwierig. Aber vielleicht haben unsere Berichterstattungen, die die schwedische Bevölkerung sensibilisieren, Interesse wecken und ihre politische Analyse und ihre Gedanken beeinflussen könnten, einmal Konsequenzen für die Aussenpolitik Schwedens.“452 Es ist schwer die Wirkung dieser Sensibilisierungsarbeit in den Herkunftsländern zu messen, doch CAIG-Acoguate nutzt diesen Kanal in die Herkunftsländer um internationalen Druck auf Regierungen und transnationale Unternehmen zu erzeugen. Das von der Autorin dieser Arbeit entworfene Modell, zeigt die bisher diskutierten Informationsverbreitungswege auf, über die Druck auf transnationale Unternehmen mit Megaprojekten und Regierungen generiert werden soll (siehe Abbildung 1). 451 452 Interview F1, Zeile 200-206. Interview F4, Zeile 249-253. 100 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Abbildung 1: Modell zur Druckerzeugung auf Regierungen und transnationale Unternehmen.453 4.2.4.4 Internationale Druckerzeugung im Fall der Mine Marlin Aus den vorhergehenden Ausführungen zu den Informationswegen und dem Modell ist abzuleiten, dass die Einwände und Bedenken der betroffenen Bevölkerung zu einem Megaprojekt nicht genügend Gehör fand bei der eigenen Regierung und dem transnationalen Unternehmen im Land und sich deshalb an ausländische NGOs wenden, um auf diese Unternehmen Druck ausüben zu können. Die in dieser Arbeit aufgezeigten Machtverhältnisse in Guatemala erklären, weshalb die von einem Megaprojekt betroffene indigene Bevölkerung 453 Eigene Darstellung - Das Modell basiert auf dem Bumerang-Modell (siehe Anhang A.3, S.127). 101 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala wenig bis keinen Einfluss auf die Wirtschaftspolitik nehmen kann und die Regierung oft die Wirtschaftsinteressen der transnationalen Unternehmen unterstützt. Wie wird im Kontext der Mine Marlin vorgegangen um Menschenrechte zu schützen? Da das Minenunternehmen Goldcorp in Kanada angesiedelt ist, wird von NGOs versucht, über die kanadische Botschaft auf das Unternehmen Druck auszuüben. Aus einem von Rights Action 2008 verfassten Brief454, an die kanadische Botschafterin, der auch von Organisationen in CAIG unterzeichnet wurde, wird dies ersichtlich. Eine andere Strategie ist das Weiterleiten von Information über Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden an Investoren, die in einem transnationalen Unternehmen ihre Gelder anlegen. Wie in Kapitel 4.1.3 erwähnt, rief Goldcorp 2008 auf Druck von Investoren ein „Human Rights Impact Assessment (HRIA) committee“ ins Leben um einen Menschenrechtsbericht zur Situation der Mine Marlin zu verfassen. Kritiker sagen, dass Goldcorp die Bezahlung dieses Komitees übernahm, weil das Unternehmen an der Generalversammlung 2008 in Vancouver vor den Investoren nicht ins schlechte Licht gerückt werden wollte, weil Beschuldigungen zu Menschenrechtverletzungen vorlagen. Auch Schwedische Pensionskassen haben ihre im internationalen Minenunternehmen Goldcorp angelegt. Der Vertreter von Swefor in Guatemala sieht darin eine Möglichkeit, Druck auszuüben auf Goldcorp, die Umwelt- und Menschenrechtsstandards einzuhalten.455 An einer Sitzung in San Miguel Ixtahuacan im Februar 2009 erlebte die Autorin, wie die lokalen Personen im Widerstand gegen die Mine Marlin vorgehen, um ihre Ziele zu erreichen. An dieser Sitzung nahmen nebst internationalen Begleitpersonen Vertreter der Kirche, internationale NGOs (Rights Action456 und CIEL457) und die zwei für diese Arbeit interviewten Personen im Widerstand teil. Die internationalen NGOs zeigten Strategien auf, um durch Informationsverbreitung internatonalen Druck auf den Staat Kanada und das Unternehmen Goldcorp auszuüben: 1) Klage gegen die Verstösse Goldcorps bei der OECD und beim kanadischen Kongress einreichen, mit der Anklage, dass Kanada als Mitglied der OECD mit dem kanadischen 454 455 Siehe Anhang A.8: Brief von NGOs an die kanadische Botschafterin, S. 132. Vgl. Interview F4, Zeile 342. 456 Rights Action: funds community-controlled development, environmental, human rights and emergency-relief projects in Guatemala, Honduras, Chiapas and Oaxaca (Mexico) and El Salvador, and does education and activism work with North Americans to address global exploitation, repression, enviro-destruction and racism (siehe http://www.rightsaction.org/). 457 CIEL: Center for International Environmental Law. CIEL is a nonprofit organization working to use international law and institutions to protect the environment, promote human health, and ensure a just and sustainable society. We provide a wide range of services including legal counsel, policy research, analysis, advocacy, education, training, and capacity building (siehe http://www.ciel.org/reciel.html). 102 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Unternehmen in Guatemala gegen Menschenrechte verstösst. Diese Klage solle mit Briefen internationaler NGOs und Medienmitteilungen unterstützt werden. 2) Briefe an Institutionen (Banken, Pensionskassen, Universitäten) schreiben, die Goldcorp mitfinanzieren, um aufzuzeigen, dass Goldcorp seine Vorgaben nicht erfülle. Es wurde vorgeschlagen, die Studenten der Harvard University, die in Goldcorp investiert, zu informieren, damit diese Druck ausüben auf die Universität. 3) Druck auf die guatemaltekische Regierung ausüben über den interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (dies dauert länger, da zuerst der nationale Rechtsweg benutzt werden muss) und über CAFTA (Central American Free Trade Association). Guatemala ist dem Freihandelsabkommen CAFTA beigetreten und unterliegt damit auch den Artikeln zum Schutz der Umwelt. 4) Klageschrift an die ILO (International Labour Organization). 5) Klageschrift an das UNO-Komitee zur Eliminierung rassistischer Diskriminierung (UN-Committee for the Elimination of all forms of Racial Discrimination). 6) Klageschrift an das Verfassungsgericht Guatemalas. Die Personen im Widerstand gegen die Mine bedienen sich also mit Hilfe ausländischer Kontakte dieser Druckmechanismen, was die theoretische Annahme zur Vervielfachung der Kanalzugänge zum internationalen System von Margaret Keck und Kathryn Sikkink bestätigt. Die Unterstützung von Seiten CAIG-Acoguate besteht aus der reinen Informationsverbreitung über die bereits erwähnten Wege. Die Person, die von CAIG-Acoguate begleitet wird, wünscht sich von Seiten CAIG-Acoguate mehr Engagement in Form einer stärker systematisierten Informationsvertreibung, damit für die eigene Regierung Handlungsbedarf für die Menschenrechte entsteht. Die begleitete Person schlug vor, mehr Berichte über die Situation der Mine zu veröffentlichen, die auch an Sonderberichterstatter der UNOKommissionen für Menschenrechte und an die internationale Gemeinschaft gelangen. Ob diese Berichte Wirkung zeigen und die Wirtschaftspolitik beeinflussen könnten, darüber ist sich die Person hingegen nicht sicher.458 Eine interviewte Person im Widerstand ist der Meinung, dass es viel externe Unterstützung brauche, um eine Bewegung aufzubauen, betonte aber, dass die einheimische Bevölkerung Hauptakteur bleiben sollte und die Probleme selbst lösen müsse, damit sich etwas ändere.459 458 459 Vgl. Interview BP6, Zeile 55-74. Vgl. Interview BP5, Zeile 47-53. 103 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Nach diesem Prinzip handelt die Begleitarbeit. Sie hilft den begleiteten Personen im Widerstand nicht diese Strategien aktiv umzusetzen, sondern versucht ihnen durch ihre Präsenz einen politischen Raum zu öffnen. Auf dieses Ziel der internationalen Begleitarbeit wird in der Folge eingegangen um zu klären, was dieses Ziel im Kontext von Megaprojekten bedeutet. 4.2.5 Schaffung eines politischen Raumes Durch die internationale Präsenz und Informationsverbreitung über aufgezeigten Kanäle, entsteht für die begleiteten Personen ein grösserer politischer Raum.460 In der Fachliteratur zur internationalen Begleitung wird aufgezeigt, dass die Begleitarbeit den politischen Raum von Menschenrechtsaktivisten verändert und negative Konsequenzen bei Menschenrechtsaktivitäten teils verhindern kann. Durch die Begleitung wird gleichzeitig auch der politische Raum der Aggressoren für gewalttätige und repressive Handlungen beeinträchtigt.461 Die theoretischen Ausführungen462 zur internationalen Begleitarbeit von Liam Mahony und Luis Enrique Eguren lassen folgende Konklusionen zu den Effekten des Begleitschutzes in Bezug auf politische Räume zu: - Heben die Sicherheitswahrnehmung auf Seiten der Menschenrechtsaktivisten an und ermöglicht dadurch weitere Handlungen für die Menschenrechte - Vermindern die Straflosigkeitswahrnehmung bei Akteuren, die Menschenrechte verletzen Es ist bekannt, dass Menschenrechtsaktivisten, die attackiert oder bedroht werden, ihre Arbeit öfters beenden möchten, da ihnen das Risiko für sich und ihre Familie zu gross wird. Dank dem politischen Raum, bleiben lokale Bestrebungen für die Menschenrechte erhalten: „Ich glaube, dadurch wird auf eine Art die Sichtbarkeit des Menschenrechtsproblems, des Konfliktes, aufrechterhalten.“463 Auch wenn die Analyse der Wirkung der Begleitarbeit schwierig ist, kann nach der Auswertung der Interviews generell gesagt werden, dass die Begleitarbeit von CAIGAcoguate einen politischen Raum öffnet, in dem sich lokale Menschenrechtsaktivisten 460 Der politische Raum entsteht durch die Aufmerksamkeit verschiedener (politischer) Akteure auf nationaler wie internationaler Ebene, die über eine Menschenrechtsverletzung in Kenntnis gesetzt wurden. 461 462 463 Vgl. Mahony/Eguren, Unarmed Bodyguards, S. 93-95. Vgl. Mahony/Eguren, Unarmed Bodyguards, S. 96-97. Interview BP6, Zeile 26-27. 104 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala sicherer fühlen mit ihrer Arbeit fortzufahren. Die Koordinatorin des Projektes CAIGAcoguate findet es wichtig, dass im Kontext von Megaprojekten durch die Präsenz internationaler Begleitpersonen ein politischer Raum geöffnet wird, damit sich die Zivilbevölkerung organisieren kann.464 Die im zweiten Kapitel aufgezeigte Situation eines Grossteils der guatemaltekischen Bevölkerung macht klar, dass es für sie grundsätzlich schwierig ist, sich für ihre Rechte einzusetzen. Ein Grund ist die andauernde Armut (fehlende Nahrung, Bildung und Gesundheit). Ein weiterer Grund liegt im beendeten Bürgerkrieg, der in den Gemeinden eine Gesellschaft hinterliess, die sehr gespalten ist und deren Mitglieder sich gegenseitig nicht vertrauen, teils nicht einmal unter Familienmitgliedern. Die Begleitarbeit wird von Interviewten als Instrument gesehen, durch die Schaffung eines politischen Raumes das Machtverhältnis zwischen Staat/Unternehmen und indigener Bevölkerung auszugleichen. Ein Aktivist der nordamerikanischen NGO Rights Action räumte bei einem informellen Gespräch im Feld die Wichtigkeit der internationalen Begleitarbeit im Kontext der Mine Marlin ein, weil die Menschen in den Gemeinden Guatemalas marginalisiert und isoliert seien, während das Unternehmen Goldcorp von der Regierung Rückhalt erhalte. Mit der Schaffung eines politischen Raumes sollen die ungleichen Machtverhältnisse ausgelotet werden. Die Interviewten erachten bei der Begleitung im Kontext von Megaprojekten die Schaffung eines politischen Raumes als wichtig, damit die Bedürfnisse und Vorstellungen der Betroffenen öffentlich erhört werden, sie ihre Rechte einfordern können, ein demokratischer Prozess in Gang gesetzt wird und ein Gewaltkonflikt verhindert oder weniger gewaltgeladen verläuft: „Internationale Begleitpersonen bringen den Menschen im Widerstand gegen die Mine mit der internationalen Präsenz Augen von ausserhalb, die bei Menschenrechtsverletzungen als Zeugen fungieren und diese Information nach aussen tragen können. Es wird gezeigt, dass sich jemand für den Konflikt interessiert. Ohne diese Präsenz wäre der Druck auf die Menschen im Widerstand grösser und die Situation gewalttätiger.“465 „Als internationale Begleiter ist es sicherlich nicht falsch bei diesen Prozesse beobachtend dabei zu sein und Menschenrechtsverletzungen damit zu verhindern. Präsent sein um einen Konflikt nicht zu einem Gewaltkonflikt ausbrechen zu lassen, um den Konflikt abzuschwächen.“466 464 465 466 Interview K1, Zeile 157. Vgl. Interview F5, Zeile 183-194. Interview F5, Zeile 140-144. 105 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Der politische Raum, der den lokalen Personen im Widerstand durch die Begleitarbeit geöffnet wird, könne eine Konsultation aller Konfliktparteien und eine friedlichere Konfliktkultur fördern: „Internationale Begleiter können versuchen, durch ihre Präsenz vor Ort zu verhindern, dass der Konflikt ausbricht. Weil hier in Guatemala Konflikte nicht zu Gunsten Indigener entschieden werden, gerade wenn es um Wirtschaftsinteressen geht, wie es die Geschichte gezeigt hat, ist es wichtig, dass der Gewaltkonflikt verhindert wird und eine Konfliktkultur zustande kommen kann, in der alle Parteien einbezogen und konsultiert werden. Die Indigene Bevölkerung muss trotz Megaprojekten in diesen Gebieten leben können, ihnen die Lebengrundlage nicht entzogen wird, dies ist im Sinne des Menschenrechts.“467 Auch die begleitete Person selbst, sieht in der Begleitung eine abschwächende Wirkung des Konfliktes.468 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die internationale Präsenz dem Widerstand gegen ein Megaprojekt auf lokaler, nationaler wie internationaler Ebene Aufmerksamkeit bringt, die politisch genutzt werden kann, um die ungleichen Machtverhältnisse auszugleichen. Es kann eine friedliche Konfliktkultur entstehen, weil der politische Raum unter internationaler Beobachtung steht und die Wahrscheinlichkeit von Gewalteskalationen mindert. 4.2.6 Moralische Unterstützung Auch die moralische Unterstützung als wichtiges Element der internationalen Begleitarbeit wurde von den Interviewten immer wieder erwähnt. Die moralische Unterstützung ist deswegen Relevant für die Begleiteten, weil sie von Seiten des Staates oder anderen lokalen Institutionen im Land keine Unterstützung erhalten, ihre Anliegen vorzubringen und ihnen internationales Interesse zeigt, dass ihre Anliegen nicht unbedeutend sind. Freiwillige Personen formulierten es so: „Die Leute erhalten das Gefühl, dass sie existieren. Die Würdigung und Anerkennung ihres Kampfes, lässt sie nicht alleine dastehen. Sie fühlen sich besser, dass Leute an sie denken, nach so vielen Jahren des Leidens, der Straflosigkeit und Ungerechtigkeit. (...). Die Empathie hilft zu teilen. Es stärkt sie, weiterzumachen mit ihrem Kampf.“469 „In einem Ambiente von Drohungen, Mordversuchen und Ermordungen und wenig positiven Rückmeldungen des guatemaltekischen Staates, ist die moralische Unterstützung wichtig, damit sie mit ihren Gerechtigkeitskämpfen weitermachen, damit sie ihre Arbeit weiterführen um die Menschenrechtssituation zu verbessern.“470 467 468 469 470 Interview F2, Zeile 146-153. Vgl. Interview BP6, Zeile 40-41. Interview F7, Zeile 212-219. Interview F4, Zeile 263-267. 106 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala „Für die Menschen in Guatemala, die für ihre Rechte kämpfen, ist es wichtig, von ausserhalb Respekt zu erhalten, da sie in ihrem Land selbst keine Unterstützung finden und nicht wahrgenommen werden. Uns wurde an einer Motivationsansprache vor Ort für unsere Präsenz gedankt und dass wir so viele Entbehrungen auf uns nehmen. Sie erwähnten, dass unsere Präsenz für sie eine moralische Unterstützung ist, da man sich mit ihnen abgibt, ihnen Respekt entgegenbringt und sich ihrer Sache annimmt. Es wurde Dankbarkeit ausgedrückt, dass man sich mit ihnen abgibt, dass man sie nicht wie gewohnt als unwichtig abtut, als jemanden, der eh nie was verändern kann oder darf.“471 Im Gegensatz zum Abschreckungseffekt der Begleitarbeit, der schwierig nachzuweisen ist, kann die moralische Unterstützung anhand von Zeugenaussagen der begleiteten Personen nachgewiesen werden. Die Untersuchungen der Aussagen von Freiwilligen und begleiteten Personen zeigen, dass bei den begeleiteten AJR-Mitglieder mittlerweile die moralische Unterstützung eine grössere Rolle spielt als die Abschreckung. Dies hängt mit der Entwicklung der Gerichtsfälle ab. Sobald wieder mehr Bewegung in die Gerichtsprozesse kommt, kann die Gefahr für die Überlebenden und Zeugen der Massaker wieder akut steigen. Die befragten AJR-Mitglieder empfinden die langjährige Begleitung als Bestätigung dafür, dass sie von der Aussenwelt nicht vergessen wurden, es sich lohnt und sie ermutigt weiter auszuharren und für Gerechtigkeit zu kämpfen. Freiwillige Begleitpersonen machten bezüglich moralische Unterstützung bei Massakerüberlebenden folgende Erfahrungen: „Als moralische Unterstützung haben wir einen wichtigen Effekt. Kommt darauf an, mit wem und bis zu welchem Punkt sie mit uns sprechen möchten. Mir passierte es oft, dass ich merkte, dass in vielen Momenten der wichtigste Grund für meine Präsenz die menschliche und persönliche Unterstützung war.“472 Für die begleiteten AJR-Mitglieder beinhaltet die moralische Unterstützung oft auch die Verarbeitung ihrer gewaltvollen Vergangenheit. Ein Zeuge der Massaker erklärte der Autorin, dass er seiner eigenen Familie nicht immer wieder dieselben Geschichten erzählen könne und deshalb froh sei, dass immer wieder neue Freiwillige kämen. Auch andere Freiwillige machten diese Erfahrung: „In einer Region, in der ich AJR-Mitglieder besuche, dankten die Menschen vor allem für die moralische Unterstützung und dankten für die Besuche, dass sie diese glücklich machen und sie sich dadurch besser fühlen lässt, dass sie mit uns über die Gewalt in der Vergangenheit sprechen können.“473 471 472 473 Interview F1, Zeile 193-202. Interview F6, Zeile 186-189. Interview F6, Zeile 337-341. 107 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Im Kontext von Megaprojekten, scheint die moralische Unterstützung nicht dieselbe Rolle zu spielen wie bei der Begleitung der AJR-Mitglieder. Die begleiteten Personen im Widerstand gegen die Mine erwähnten in den Interviews die moralische Unterstützung nicht explizit. Eine interviewte Person im Widerstand erwähnte, dass die Begleitung ihr Profil ein wenig erhöhe. Dies kann als Erhöhung des Ansehens, als Anerkennung von aussen interpretiert werden und kann als eine Art moralische Unterstützung im Sinne einer Stärkung des Selbstvertrauens der Person gesehen werden. Die Dauer des Kampfes um ihre Rechte ist im Vergleich zu den AJRMitglieder kurz und sie scheinen noch mehr Motivation und Energie zu haben. Der Bildungsstand der Initianten der Widerstandsbewegung gegen die Mine ist höher als derjenige der meisten AJR-Mitglieder. Die begleitete Person im Widerstand gegen die Mine Marlin setzt die Mechanismen Abschreckung, Informationsverbreitung und internationaler Druck der internationalen Begleitarbeit viel bewusster und strategischer ein als die AJR-Mitglieder. 5 Konklusionen Auf der Makroebene betrachtet, ist die zunehmende Nachfrage nach Rohstoffen und natürlichen Ressourcen weltweit ein Grund für viele Konflikte. Wenn man davon ausgeht, dass in Zukunft die Nachfrage nach Rohstoffen und Ressourcen steigt, dann müssen aus einer pazifistischen Sicht Instrumente gefunden werden, um diese Konflikte, insbesondere gewaltsame, zu verhindern. In dieser Arbeit wurde das Ziel verfolgt, die internationale Begleitarbeit zu untersuchen um herauszufinden, wie die internationale Begleitarbeit einen Beitrag im konfliktgeladenen Kontext von Megaprojekten leisten kann. Dazu wurden in einem ersten Schritt die Konfliktursachen und das Konfliktpotenzial (bei Megaprojekten) untersucht. Die Arbeitsweise der internationalen Begleitarbeit (im Konfliktkontext von Megaprojekten) wurde in einem zweiten Schritt erforscht. Zu Konfliktursachen im Kontext von Megaprojekten kann in Bezug auf das von den BICC474Forschern entwickelte Modell über die konfliktiven Konstellationsfaktoren bei grossen Ressourcenextraktionsprojekten gesagt werden, dass sich dieses auch auf die Erforschung von Konflikten anderer Megaprojekttypen anwenden lässt, um das Konfliktpotenzial aufzuzeigen. Im Falle Guatemala konnte aufgezeigt werden, dass alle vier Modell-Faktoren zutreffen und damit die Konfliktgeladenheit im Konfliktkontext von Megaprojekten recht hoch einzustufen ist: 474 BICC: Internationales Konversionszentrum Bonn. 108 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Megaprojekte verschiedenster Art (Abbau von natürlichen (nicht-erneuerbaren) Ressourcen, Wasserkraftwerke, Monokulturen, Infrastrukturprojekte) werden von der Regierung mit einer neoliberalen Wirtschaftspolitik (Plan Pueblo Panama, DR-CAFTA) stark gefördert, was auch eine grosse Lizenzvergabe für Minenprojekte mit sich brachte. Die Fragilität und Instabilität des Staates wurde anhand verschiedenster Faktoren belegt, die auf eine „Bad Governance“ schliessen lassen: schwacher Rechtsstaat (Straflosigkeit), Armut (soziale Exklusion), Demokratiedefizite (politische Exklusion), Gewalt, Korruption, fehlende Transparenz, „Hidden Powers“ und illegale Gruppierungen. Bei diesem Punkt muss das Modell im Fall Guatemala erweitert bzw. präzisiert werden. Spezifisch für den Konfliktkontext bei Megaprojekten ist die historische (fortdauernde Strukturen aus Kolonialzeit und Bürgerkrieg wie Landkonflikte), die post-konfliktive (gesellschaftliche Spannungen und Spaltung aus dem Bürgerkrieg) und indigene Komponente (Rassismus, Ausgrenzung). Die Untersuchungen zum Konfliktpotenzial bei Megaprojekten zeigen, dass Konflikte im Kontext von Megaprojekten in Guatemala nur die Spitze des Eisberges darstellen. Das historisch bedingte Konfliktpotenzial bildet die Basis des Konfliktkontextes bei Megaprojekten. Im Falle Guatemalas ist das historisch gewachsene Konfliktmuster geprägt von Einschüchterungen und Gewalt. In einer „post-konfliktiven“ Gesellschaft wie der guatemaltekischen kann davon ausgegangen werden, dass Konflikte jeglicher Art, insbesondere zwischen Staat und Zivilbevölkerung, schneller zu einem gewalttätigen Ausbruch kommen. Die Fragilität des Staates kann als Grund für das Nicht-Einstehen für die Bevölkerung gesehen werden. Die Untersuchungen ergaben im Detail folgende Gründe: - das politische System, das die Zivilbevölkerung nur durch Parteizugehörigkeit an politischen Entscheidungsprozessen teilhaben lässt; - die Interessen der Wirtschaftselite, die stark in der Regierung vertreten sind; - mangelnder politischer Wille, auf die Bedürfnisse der indigenen Bevölkerung einzugehen Die Untersuchungen zum Megaprojekt Mine Marlin ergaben, dass die Folgen der Fragilität in der lokal betroffenen Bevölkerung Verwirrung (durch unterschiedliche Informationen) und Spaltung (unterschiedlichen Vorstellungen von Entwicklung) sind. Eine Dialogbereitschaft/Konfliktkultur fehlt. 109 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Das Engagement transnationaler Unternehmen ist bei Megaprojekten in Guatemala zutreffend, weil das nötige Know-How und Kapital fehlen, um Megaprojekte durchzuführen. Die Untersuchungen zum Megaprojekt Mine Marlin zeigen, dass die transnationalen Unternehmen Aufgaben des Staates übernehmen. Von Megaprojektgegnern wird dies als Taktik des Unternehmens ausgelegt, um einerseits die Bevölkerung für ihr Projektvorhaben zu gewinnen und andererseits um mit der Erfüllung von Standards zu Umwelt und Menschenrechten Projektinvestoren zu gewinnen oder zu behalten. Das Engagement von transnationalen Unternehmen führt zur Privatisierung der Regionen (private Kontrolle über öffentliche Dienstleistungen Unternehmen). Wenn transnationale Unternehmen in einem fragilen Land wie Guatemala ein Megaprojekt haben, dann führen die vorhandenen Machtstrukturen dazu, dass Widerstand entsteht, weil sich die lokal betroffene Bevölkerung nicht genügend in den wirtschaftlichen Entwicklungsprozess einbezogen fühlt. Die Bevölkerung befürchtet, dass private Interessen auf lokaler wie nationaler Ebene dazu führen, dass die Gewinne aus diesen Megaprojekten nicht zur Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards eingesetzt werden. Über die sozialen und ökologischen Folgen von Megaprojekten, insbesondere bei der Rohstoffextraktion, wurde die vorherrschende Uneinigkeit dokumentiert. Minenbefürworter (Regierung, MEM, transnationales Unternehmen) sehen keine Risiken für Mensch und Umwelt aufgrund einer guten Überwachung, Wartung und Spitzentechnik. Die Minengegner (Umweltaktivisten, Menschenrechtsaktivisten) sprechen von ersten Gesundheitsschäden und Veränderungen in der Pflanzen- und Tierwelt, Wasserquellenversiegen). Nebst den sozialen und ökologischen Folgen eines Megaprojektes, wurden bei der Untersuchung im Falle Guatemalas auch politische (Nicht-Konsultation führt zu stärkerer politischer Exklusion der Indigenen) und ökonomische (Existenzgefährdung durch erzwungenen Landverkauf) Folgen als ausschlaggebend erkannt. Im ersten Teil der Arbeit konnte aufgezeigt werden, dass eine Verbesserung des Lebensstandards (Elektrizität, Abwassersystem, etc.) in Guatemala für viele ein Grundbedürfnis ist. Guatemalas Entwicklungsstrategie mit der Förderung von Megaprojekten basiert auf dem liberalistischen Ansatz. Die Untersuchungen in dieser Arbeit zeigen auf, dass die Vorgehensweise und die Art von Megaprojekten ausschlaggebend sind, ob diese Projekte bei der lokal betroffenen Bevölkerung auf Akzeptanz stossen oder Widerstand hervorrufen. Infrastrukturprojekte, von denen die Zivilbevölkerung selbst profitiert und ihren Lebensstandard verbessern, rufen weniger Widerstand hervor, als beispielsweise ein Minenprojekt im Tagabbau, dessen Folgen für Mensch und Umwelt gross sein können. 110 Masterarbeit Der Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Zusammenhang zwischen „Bad Governance“ und einer Zunahme von Menschenrechtsverletzungen inklusive Attacken gegen Menschenrechtsverteidiger kann durch die Untersuchungen bestätigt werden. Die zunehmenden Attacken gegen Menschenrechtsverteidiger, die sich in ihrer Arbeit mit Entwicklungsrechten, Landrechten und natürlichen Ressourcen auseinandersetzen weisen auf das Konfliktpotenzial im Kontext von Megaprojekten hin. Hier kommt die internationale Begleitarbeit ins Spiel, deren Rolle im Konfliktkontext von Megaprojekten genauer untersucht wurde. Auf der Mikroebene betrachtet, führt die zunehmende Tendenz von Menschenrechtsverletzungen im Kontext von Megaprojekten zur potenziellen Zunahme von Anfragen bei internationalen Begleitorganisationen. Im untersuchten Fall CAIG-Acoguate haben die Begleitfälle quantitativ zwar nicht zugenommen, doch die bisher begleiteten Personen und Gemeinden sind zunehmend von Megaprojekten betroffen und mit ihnen das Begleitprojekt. Wie versucht die internationale Begleitarbeit im Konfliktkontext von Megaprojekten Beiträge zur Verbesserung der Menschenrechtslage zu leisten? Ist die internationale Begleitarbeit ein mögliches Instrument, um zu verhindern, dass konfliktive Konstellationen im Kontext von Megaprojekten zu einer Konflikteskalation führen? Zu den Untersuchungen der internationalen Begleitarbeit in Guatemala kann zusammenfassend festgehalten werden, dass sie sich, wie in dieser Arbeit dokumentiert, vom Grossteil der Hilfsbemühungen anderer Akteure unterscheidet: sie ist immaterieller Art, kommt nur auf Anfrage der Lokalbevölkerung zum Einsatz und basiert auf den Prinzipien und Zielen: Beobachtung, Präsenz, Nicht-Einmischung/Unparteilichkeit, Abschreckung, Informationsverbreitung zur Erzeugung nationalen und internationalen Drucks, Schaffung eines politischen Raumes und moralische Unterstützung. In diesen Prinzipien sieht die Autorin dieser Arbeit den wertvollen Beitrag der internationalen Begleitarbeit im Allgemeinen und insbesondere im Kontext von Megaprojekten, weil dieses Konzept verhindert: - dass die Korruption unterstützt wird, da materieller Gewinn für die Hilfeempfänger ausbleibt, - dass die einheimische Bevölkerung bevormundet wird, - dass neue Abhängigkeiten geschaffen werden, da die Arbeit und Rolle staatlicher Institutionen übernommen wird. 111 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Angesicht der thematisierten Konfliktkultur, die in Guatemala vorherrscht, könnte sich CAIGAcoguate als dritte Partei vermehrt für die Vermittlung zwischen den Konfliktparteien im Kontext von Megaprojekten einsetzen, um friedensfördernd und friedenssichernd zu wirken. Als wirksame Arbeitstechnik könnte der »kritische Dialog« mit den wirtschaftlichen Akteuren weiterentwickelt werden. Dies setzt allerdings eine Akzeptanz gegenüber dieser unparteiischen Rolle von Seiten der Konfliktparteien voraus und benötigt besser geschulte freiwillige Begleitpersonen. Die Untersuchungen zeigen, dass die Rolle der internationalen Begleitarbeit als Überwachungsinstrument der Menschenrechte durch Beobachtung und Präsenz von verschiedensten Akteuren auch im Kontext von Megaprojekten als ein anerkanntes und erwünschtes Instrument gilt in Guatemala, der Einfluss über diplomatische Wege aber auch beschränkt sein kann. Eine weitere Grenze der internationalen Begleitarbeit Guatemalas liegt im Einfluss auf die Fragilität des Staates und die Gewalt. Doch es wurde gezeigt, dass die Begleitaktivität im Kontext von Megaprojekten Gewalteskalationen verhindern und punktuell einen friedvolleren Verlauf von Konflikten schaffen kann, indem sie die Konfliktintensität dämpft oder stabilisiert. Damit leistet die internationale Begleitarbeit von CAIG-Acoguate einen Beitrag zum fortdauernden Friedensprozess in Guatemala. Die internationale Begleitarbeit von CAIG-Acoguate birgt auch ein Potenzial, Konflikte im Kontext von Megaprojekten zu verstärken: Die komplexe Konfliktlage bei Megaprojekten erfordert eine fundierte Analyse, damit die internationale Begleitung als positiver Beitrag und nicht als Konfliktverstärker wirkt. Gerade auf der lokalen Ebene, auf der die freiwilligen Begleitpersonen sich bewegen, ist es im Kontext von Megaprojekten wichtig, dass sich die Freiwilligen professionell verhalten, um bereits vorhandene Spannungen nicht zu verstärken. Die Professionalisierung sieht die Autorin in der Verlängerung der obligatorischen Einsatzzeit, in der Visualisierung der Begleitarbeit durch ein äusseres Kennzeichen und in der intensiveren Ausbildung zum Thema Megaprojekte. Eine klarere Definition des Begleitmandates im Kontext von Megaprojekten von Seiten CAIG-Acoguates würde die Professionalisierung ebenfalls unterstützen. Der Beitrag der Begleitarbeit aufgrund der Prinzipien und Ziele fällt im Kontext von Megaprojekten anders aus als in der herkömmlichen Begleitung im Zeugenschutzprogramm. Die Wirtschaftspolitische Komponente und die Aktualität beeinflussen die Begleitarbeit im Kontext von Megaprojekten auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene: Auf der lokalen Ebene trägt die internationale Begleitarbeit mit der Schaffung eines politischen Raumes dazu bei, dass die guatemaltekische Bevölkerung durch interne Prozesse 112 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala aus eigener Kraft Konflikte löst und einen Frieden schafft, der nicht von aussen „diktiert“ wird, was die Nachhaltigkeit eines Friedens unterstützt. Die Schaffung eines politischen Raumes ermöglicht begleiteten Personen im Widerstand gegen Megaprojekte einerseits die Mitbestimmung und Partizipation an der Wirtschaftsentwicklung des Landes und andererseits die Bestrebungen für ihre Menschenrechte weiter zu verfolgen. Auf lokaler Ebene kann für Begleitpersonen ein Spannungsfeld zwischen ihrer unparteiischen Rolle und der politischen Lobbyarbeit der Organisationen in CAIG entstehen, weil „ihre“ Informationen, die an die Organisationen in CAIG herantragen wird, zu politischer Arbeit wie Kampagnen genutzt werden. Im Fall Marlin hat sich gezeigt, dass die Begleitung der Person im Widerstand mehr für den Erhalt einer Informationsquelle dient, da die abschreckende Wirkung der Begleitarbeit eher gering ist. Der Beitrag auf lokaler Ebene ist problematisch, wenn die Präsenz dazu dient, Anliegen, zur Schliessung einer Mine beispielsweise, gegen aussen aufzuwerten. Im Sinne der NichtEinmischung und Unparteilichkeit bilden nur Menschenrechtsverletzungen die Begleitlegitimation. Die Unterstützung öffentlicher Handlungen auf lokaler Ebene gefährdet das Begleitkonzept. Auf nationaler Ebene soll die Informationsverbreitung dazu beitragen, ein Gleichgewicht zwischen den beiden Kräften Staat/transnationale Unternehmen und der Bevölkerung zu schaffen. CAIG-Acoguate versucht durch Informationsverbreitung an Botschaften und staatliche Institutionen Druck zur Verbesserung der Menschenrechtslage im Kontext von Megaprojekten zu erzeugen. Mit der Informationsverbreitung über Megaprojektaktualitäten im Land beabsichtigt CAIG-Acoguate, die Zivilbevölkerung zu stärken und die Widerstandsbewegungen im Land zu vernetzen. Diese Vorgehensweise ist in Bezug auf die Nicht-Einmischung und Unparteilichkeit grenzwertig. Auf der internationalen Ebene vervielfacht CAIG-Acoguate als transnationales Netzwerk die Kanalzugänge für die begleiteten Personen. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass das Bumerang-Modell zur Erzeugung internationalen Drucks auf Regierungen, auch auf die Situation mit transnationalen Unternehmen angewendet werden kann. Megaprojekte von transnationalen Unternehmen schaffen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene Interessensabhängigkeiten, die dazu führen können, dass bei Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Megaprojekten wenig internationaler Druck entsteht, was wiederum die unmittelbar abschreckende Wirkung bei der internationalen Begleitung mindern kann. Mit der Informationsverbreitung auf internationaler Ebene wird die Strategie verfolgt, Druck über private und staatliche 113 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Mitinvestoren von Megaprojekten auf transnationale Unternehmen auszuüben. Damit der internationale Druck auf Regierung und auf transnationale Unternehmen stärker wird, bräuchte es von Seiten der internationalen Begleitarbeit eine Intensivierung der Informationsverbreitung. Das Mittel des »öffentlichen Drucks« auf transnationale Unternehmen über die Sensibilisierung der Konsumenten in den Herkunftsländern der Freiwilligen könnte noch weiterentwickelt werden. Eine Basis für die erfolgreiche Arbeit von CAIG-Acoguate sind Sammlung, Verifizierung und Verarbeitung der notwendigen Informationen mit hoher Qualität. Ziel sollte angesichts der Entwicklungen in Guatemala sein, in den Zeiten globalen Wandels die notwendige Rolle eines effizienten »watchdog« gegenüber Akteuren auf der wirtschaftlichen Bühne auszufüllen. Die verstärkte Informationsverbreitung zur Erzeugung internationalen Drucks auf transnationale Unternehmen ist ein Beitrag zum Vorantreiben der Verrechtlichung im Bereich von grossen Ressourcenextraktionsprojekten, damit die Menschenrechts- und Umweltstandards respektiert werden. Die Untersuchungen im Zusammenhang mit der Mine Marlin zeigen zwei Seiten des Konfliktes mit Megaprojekten auf. Auf der einen Seite kommen in der Region der Mine verstärkt Gewalt- und Unterdrückungsmuster, wie auch Konfliktbewältigungsstrategien zum Ausbruch, die ihre Wurzeln im Bürgerkrieg haben und immer noch latent präsent sind in der guatemaltekischen Gesellschaft: die Antwort auf Widerstand sind Drohungen und Gewalt. Der Minenkonflikt widerspiegelt auch das politische, soziokulturelle und ökonomische Ungleichgewicht im Land, zeigt also eine klare gesellschaftliche Spaltung der Bevölkerung vor Ort auf. Auf der anderen Seite kann gesagt werden, dass auf nationaler Ebene diesem Konflikt auch etwas Positives innewohnt. Er trägt dazu bei, dass sich die rurale, indigene Bevölkerung, die durch den Bürgerkrieg stark gespalten wurde, wieder vereint wird. Das gemeinsame Interesse am Erhalt ihres Umfeldes und ihrer Zukunft, verbindet und ermöglicht ein “sich gemeinsam Organisieren” (Globalisierung von unten). Diese landesweite Bewegung zur Mitgestaltung und Partizipation an der Landesentwicklung kann für den Friedensprozess und im Speziellen für den Demokratisierungsprozess eine Katalysatorwirkung haben (Consultas Populares, Alcaldia Indigena). Von den Untersuchungen in dieser Arbeit werden folgende Thesen abgeleitet: In einem fragilen Staat führen Megaprojekte von transnationalen Unternehmen aufgrund ihrer sozialen, ökologischen und ökonomischen Auswirkungen unter Berücksichtigung ihrer politischen und historischen Implikationen zu einem eskalationsträchtigen Konflikt im 114 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Dreiecksverhältnis von transnationalen Unternehmen, lokal betroffenen Gemeinschaften und staatlichen Institutionen. Die internationale Begleitarbeit im Kontext von Megaprojekten in Guatemala leistet einen Beitrag zur Umsetzung der Friedensabkommen, indem für die Bevölkerung ein politischer Raum geschaffen wird, damit sie an der Wirtschaftsentwicklung des Landes teilnehmen kann. Die internationale Begleitarbeit kann unter Berücksichtigung der Prinzipien NichtEinmischung und Unparteilichkeit, Professionalisierung der Begleitpersonen und intensivierter Informationsverbreitung einen Beitrag zur Verminderung oder Verhinderung von Gewaltkonflikten im Kontext von Megaprojekten leisten. Vernachlässigt in dieser Arbeit wurden die Sichtweisen staatlicher und unternehmerischer Akteure zu Megaprojekten in Guatemala. Die Rolle und das Verantwortungsbewusstsein transnationaler Unternehmen mit Megaprojekten (in Guatemala) wäre Gegenstand für weitere Untersuchungen. Insbesondere ihre (informelle) Verpflichtungen bezüglich internationalen Standards und Richtlinien zur Einhaltung von Menschenrechten, könnten Aufschluss bringen über die Verrechtlichung im Bereich von Megaprojekten. Um die Legitimationsbasis der internationalen Begleitarbeit im Kontext von Megaprojekten besser erfassen zu können, benötigt es auch weitere Untersuchungen zur gesetzlichen Menschenrechtsbasis im Konfliktkontext von Megaprojekten. Die Wirkung der Sensibilisierungsarbeit in den Herkunftsländern zu messen, ist eine Herausforderung und benötigte breit angelegte Feldstudien. Die Untersuchungen dieser Arbeit bleiben grösstenteils auf einer Mikroebene. Eine Fallanalyse ist nicht genug, um die Argumente aus den Erkenntnissen dieser Arbeit zu bestätigen und benötigt Untersuchungen weiterer Länder, in denen die internationale Begleitarbeit im Kontext von Megaprojekten aktiv ist. 115 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Literaturverzeichnis Acoguate (2009): „Bienvenid@s a la capacitacion de ACOGUATE“. Schulungsdossier, das die freiwilligen Begleiter in der Ausbildungswoche in Guatemala Stadt erhalten. S. 1-71. 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Attacken gegen Menschenrechtsverteidiger in Guatemala Abbildung 3: Ataques a defendores y defendoras en Guatemala por año.476 476 Vgl. Samayoa (2007), Impunidad, UDEFEGUA, S. 5. 126 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala A.3. Bumerang-Modell Abbildung 4: Bumerang-Modell.477 477 Vgl. Keck/Sikkink (1998), Activists beyond borders, S. 13. 127 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala A.4. Menschenrechtsverletzungen in verschiedenen Arbeitsbereichen von Menschenrechtsverteidigern Abbildung 5: Tipos de riesgo a que se enfrentan defendores y defendoras en sus áreas de trabajo.478 478 Vgl. Samayoa (2009), Protegiéndonos, UDEFEGUA, S. 10. (Abkürzung RRNN in Grafik: Natürliche Ressourcen). 128 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala A.5. Franja Transversal del Norte (FTN) Abbildung 6: Corredor de integración frontera México - Guatemala – Honduras.479 479 Vgl. Samayoa (2009), Protegiéndonos, UDEFEGUA, S. 13. 129 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala A.6. Organigramm CAIG-Acoguate Abbildung 7: Organigrama de la estructura de trabajo de Acoguate.480 480 Vor Ort im Feld von der Koordinatorin von CAIG-Acoguate erhalten. 130 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala A.7. Globale Statistik zu Bestechung Abbildung 8: Länder und die Verbreitung von Bestechung.481 481 Vgl. Transparency International, Korruptionsbarometer 2005, S.5, Online-Version. 131 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala A.8. Brief von NGOs an die kanadische Botschafterin 132 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala 133 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Abbildung 9: Brief von NGOs an kanadische Botschafterin.482 482 Brief während Feldeinsatz in Guatemala von Koordinatorin CAIG-Acoguate erhalten. 134 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala A.9. Zivile und politische Rechte in Guatemala zwischen 1980-2006 Abbildung 10: Freedom in Guatemala 1980-2006.483 483 Vgl. Freedom House (2009), Freedom in the Americas Today, S. 18, Online-Version. 135 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala A.10. Unterstützungsbrief von der Botschaft Abbildung 11: Carta de aval.484 484 Dokument aus dem Feldeinsatz in Guatemala. 136 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala A.11. Druckbrief an staatliche Adresssaten in Guatemala Abbildung 12: Urgent Action Brief für Bauern San Miguel Ixtahuacan.485 485 Dokument aus dem Feldeinsatz. 137 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala A.12. Brief an d en guatemaltekischen Präsidenten Alvaro Colom 138 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala 139 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala 140 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Abbildung 13: Brief an Präsidenten Guatemalas.486 486 Dokument aus dem Feldeinsatz. 141 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala A.13. Urgent Action Alert Mine Marlin 142 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Abbildung 14: Urgent Action Alert Mine Marlin.487 487 Dokument aus dem Feldeinsatz. 143 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala A.14. Chronologie488 Begleitarbeit in Guatemala 1991: Swefor contrata una acompañante/periodista para la oficina Infopress. 1991 – 1992: Swefor hace cabildeo y visitas a los campos de refugiados en Mexico. Se forma un grupo de 9 organizaciones para el acopañamiento. 1992: Premio nobel a Rigoberta Menchú. 1993-1997: Swefor manda 2-3 Acos cada seis meses a Ixcán. Total 13 Acos. 1996: stabilización politica inplementación politica neoliberal 1999: Ultimo retorno de refugiados de forma organizada de Mexico a Guatemala NISGUA continua acompañando en ciertas comunidades de retornos unos años más y hasta hoy en dia cuando (hay amenazas por trabajo actual que estan haciendo por ejemplo en Santa Maria Tzejá, Xamán Ixtahuacan Chiquito) 2000: Encuentro Europeo con grupos que trabajan en Chiapas ⇒ base de cooperación entre sobre todo los países aleman hablantes (Guatemala, México) (CAREA) 2001 – 2007: Giras de representantes de AJR a lo largo de EEUU (con Nisgua) 2003: Conferencia para las elecciones “EL regreso de un dictador”? (PAQG) 2003: Participación al tribunal de opiñon en Montreal para juzgar a Rios Montt (PAQG) 2004: Gira con Carlos Paredes (ECAP), conflicto armado, caso Panzós, impunidad, trabajo con mujeres violadas 2004: Salida/Cierre de Minugua Falta de monitoreo internacional y disuasión de alto nivel 2005: Se reactivan las asambleas anuales de grupos / organizaciones solidarias con Guatemala debido a la coyuntura en Guatemala (PWS, ada, Carea) 2005: Marzo – Trato de libre comercio (TLC) ⇒ agresiones hacia luchadores sociales ⇒ protestas sociales ⇒ subida de precios canasta básica 2005: Junio – Primera consulta popular sobre minería en Sipacapa ⇒Proceso acompañamiento por Acoguate empieza 2005: Llegada de oficinas del alto comisionado de la ONU 2005: Gira exposición de Marlon García - Panzós y empresas mineras canadienses (PAQG) 2006: difusión de DVD “Sipacapa no se vende” y oportunidades de hablar sobre el tema de los acompañamientos de un proceso nuevo en el contexto de mega proyectos (minería, recursos naturales, Plan Pueblo Panama); GSN 2006: Conferencia “Los efectos de la militarización” (PAQG) 2006: Noviembre –visita a Londres de Guillermo Chen de la fundación Nueva Linda Esperanza. Gira y participación en un evento para marcar “10 años después de la firma de los acuerdos de paz”. (GSN) 2007: Empiezan negociaciones por acuerdas de asociación 488 Diese Chronologie wurde von Mitarbeitern der Organisation CAIG-Acoguate zur Analyse als Wandbild verfasst und von der Autorin in Guatemala abgeschrieben. 144 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala ⇒ preparando el terreno para empresas transnacionales europeas (Enel, Union Fenoza) ⇒ enota de biocombustibles ⇒ efectos sociales, economicos y alimentarios 2007: Plan Mérida (empezó 2006) – cambio de gobierno méxicano ⇒ “Guerra” contra el narcotráfico en México afectando la seguridad (humana) en Guatemala TB. Traslado de los carteles, narcos aún más metidos en Guatemala. 2007: Gira con Javier de León (ADISMI) sobre la minería y los pueblos indígenas (PAQG) 2008: Regresa de Ríos Montt al congreso y goza de impunidad Álvaro Colóm asume la presidencia 2008: Junio – Gira Nueva Linda a Europa con Ada, derechos en acción, Collectif, CIFCA como esfuerzo común lucha contra la impunidad 2008: Gira con Mariano y Carmen de la Finca Nueva Linda (PAQG) 2008: Firma del campo pagado para exigir avances en tema de justicia por genocidio Firmado por 35 grupos internacionales (Prensa Libre) 2008: Octubre – Foro Social de las Americas - espacio de participación para partes de la sociedad civil guatemalteca y intercambio de experiencias de resistencia en las Americas 2007: Enero – Equipo de 5 personas de Rompiendo el Silencio realisa investigación sobre la minería – visitas a comunidades afectadas en San Marcos y Izabál. Consulta comunitaria concepción Tutuapa, reuniones con lideres comunitarias, actores y religiosas; reunion con Skye Resources, 2 reuniones en embajada Canadiense, reuniones con periodistas nacionales e internacionales Resulta ⇒ informe difundido en Canada, entrevista sale en la radio nacional, mas acciones con empresas canadienses, acercamiento de grupos, giras ⇒ Javier de León (SMI) a Colombia para conferencia por parte de RES, luego a Canada, filochofo a Canada, Juan y Mario Tema (Sipacapa) a Canada, Vinicio Lopez y Fausto Valentino (COPAE) a Canada, RES tiene acción en Goldcorp y invita a lideres comunitarias a su reunión anual para compartir sus experiencias, visita y gira 3 meses de Marlón García, luego delegación de sindicalistas, grupos de inversión e investigación Resulta ⇒ Jantzi Research saca Goldcorp de su lista de empresas responsables (cuando 2008?). A la vez más criminalización de la lucha de los pueblos indígenas. 2007: Julio? – Visita a Londres a promovido por amnestía de Jorge Valesquez – papa de Claudia Velásquez, mujer asesinado (GSN) ⇒ llamando atención a la violencia, especialmente de género z el feminicídio. También el documentario de BBC “killers paradise” provocó mucha discusión y incremento perfil del problema. 2007: Entrega de mil cartas de más de 20 países al Ministerio Publico (promovido por NISGUA) exigiendo avances en los casos de genocídio. Congresistas de EEUU y parlamento de UE presionan al gobierno e Guatemala enjuiciar a responables de genocídio. 2007 – 2008: Gira de defendores en temas de recursos naturales, represa Xalalá, minería (NISGUA) 2007/2008: Teatro de títeres “Un invierno rojo en Guatemala” (PAQG) 2007/2008: Película sobre acompañamiento “En toute solidarité” (PAQG) 2007 – 2009: Decisión de Collectif de diversificar su acción en Guatemala como nueva modalidad para apoyar las luchas sociales contra los mega proyectos ⇒ talleres vidéos 2009: Se cierra la oficina de PAQG en Guatemala por falta de financimiento 145 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala A.15. Abkommen zwischen Flüchtlingskommission und Staat Guatemala 146 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Abbildung 15: Acuerdo suscrito entre las comisiones permanentes de representantes de los refugiados guatemaltecos en México y el gobierno de Guatemala, Acuerdo suscrito.489 489 Vgl. Comisiones permanentes de representantes de los refugiados guatemaltecos en México y el gobierno de Guatemala (1992), Acuerdo suscrito, Online-Version. 147 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala A.16. Inhaltsverzeichnis CD 1. Ordner „Auswertungstabellen“ Tabelle begleitete Personen Tabelle Freiwillige 2. Kategorien 3. Ordner „Leitfäden“ Interview Vertreter Komitee CAIG Interview Actoras de cambio Interview begleitete Personen Interview CALDH Interview Fundacion Myrna Mack Interview mit ausländischer NGOs Interview mit Botschaften Interview mit Freiwilligen Interview PDH Interview Fundacion Myrna Mack Interview MEM/AMAC 4. Systematisierung Interviews 5. Ordner „Transkriptionen“ Interview B1 Interview B2 Interview BP1 Interview BP5 Interview BP6 Interview F1 Interview F2 Interview F3 Interview F4 Interview F5 Interview F6 148 Masterarbeit Megaprojekte und internationale Begleitarbeit in Guatemala Interview F7 Interview K1 Interview SO2 149