2013 / 3 - Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin eV

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2013 / 3 - Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin eV
SCHMERZMEDIZIN
Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e.V.
und Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V.
29. Jahrgang 2013
3 I 2013
Editorial
Schmerzmedizin – Für wen? _ ____________2
Pharmakotherapie/ Europäische Arzneimittelbehörde
Grundsätzlich gut gedacht – aber auch
wirklich gut gemacht? __________________4
Kommentar/Berufspolitik
Schmerztherapie ist attraktiv _ ___________7
Zertifizierte Fortbildung
Fibromyalgie -Syndrom:
Aktuelle Empfehlungen
gegen den Schmerz _ __________________8
Ernährungsmedizin/ Ganzheitliche
Schmerzmedizin
Vitamin D: ein unterschätztes Hormon? ___12
Palliativmedizin
Zum Verhältnis von Intensiv- und Palliativmedizin – eine kritische Fallbetrachtung _ _14
Medizin und Recht
Richtgrößenprüfungen –
was ist wirtschaftlich? _ ________________16
Internet
Linktausch – mit wem, mit wem nicht? ____18
Impressum _________________________19
Die Deutsche Schmerzliga
Status quo der DSL-Petition –
a never-ending story __________________20
Kongresse
Umstellung vom Opioidpflaster auf retardiertes Oxycodon/Naloxon lohnt sich ________21
Akutschmerzdienst optimiert
stationäre Schmerztherapie _ ___________22
DGS-Veranstaltungen _ ______________23
Präventivmedizin
Problempatienten konsequent impfen _ __24
Kasuistik
Komplexe Schmerzen bei Borreliose ______26
Sonniger Süden –
weniger Schmerzen?
www.dgschmerztherapie.de
ISSN 2194-2536
Editorial
© Bert Bostelmann
Schmerzmedizin –
Für wen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Gerhard H.H. MüllerSchwefe, Göppingen
Schmerzmedizin – so haben Sie wahrscheinlich bisher immer angenommen – ist
vor allem für Menschen gedacht, die unter akuten und chronischen Schmerzen
leiden, manchmal oder häufig unter weiteren zusätzlich behandlungsdürftigen
Erkrankungen und bei denen Schmerzen das tägliche Leben häufig erheblich beeinträchtigen.
Chronischer Schmerz kein Randproblem
Mit über 15 Millionen betroffenen Patienten in Deutschland sind chronische Schmerzen kein Randproblem sondern stehen für viele Menschen im Zentrum ihrer Lebenserfahrung mit massivsten Einschränkungen in Familie, Beruf, sozialen Kontakten und der freien Entfaltung ihrer Möglichkeiten.
Schmerzmedizin – wer gibt Orientierung?
Folgerichtig ist Schmerzmedizin auch ein wichtiges Thema für alle in der praktischen Versorgung stehenden
Ärzte wie auch für alle Patienten. Allein die Lebenszeitprävalenz von Rückenschmerzen, (die Wahrscheinlichkeit irgendwann im Leben an Rückenschmerzen zu erkranken) liegt bei über 90 %. Geeignete diagnostische
und therapeutische Strategien – nicht medikamentös
und medikamentös – gehören deshalb zwangsweise
zum Repertoire jedes Arztes. Aber woran soll man sich
denn halten? Ein „Rote-Hand-Brief“ jagt den anderen,
allein in den letzten zwei Monaten waren es fünf. Leitlinien werden schier inflationär produziert, geben oft
vor, Sie bei der Hand zu nehmen und zu führen. Bei genauer Betrachtungsweise entpuppen sie sich dann allerdings eher als Handschellen, an denen Sie bei Regressen
vorgeführt werden. Worauf können Sie sich noch verlassen und welche Rolle spielen Sie als Ärztin/Arzt mit
Ihrem Wissen und Ihrer Erfahrung?
Komplexe Menschen – komplexe Probleme
Wissenschaftliche Fragestellungen sind am besten zu
beantworten, wenn in einem Experiment alle Störfaktoren ausgeschaltet sind und so eine Fragestellung eine
klare Antwort erhält. Dies spiegelt sich oft in den Ein-/
Ausschlusskriterien klinischer Studien wieder, die oft so
umfangreich sind, dass sich die notwendige Patientenzahl selbst über viele Monate – manchmal über Jahre –
hinweg nicht rekrutieren lässt und Studien sogar abgebrochen werden, weil sich die entsprechend definierten
Patienten kaum finden lassen, zumindest nicht unter
2
den „normalen“ Patienten, die wir jeden Tag betreuen.
Entsprechend eindimensional fallen die Antworten und
Aussagen entsprechender randomisierter kontrollierter
klinischer Studien aus, die Lebensrealität multimorbider
Patienten spiegeln sie kaum wider. Wenn aus solchen
Studien Leitlinien für praktisch klinisches Handeln abgeleitet werden, müssen Sie zwangsweise ins Grübeln
kommen. Die eine empfohlene Maßnahme verbietet
sich aufgrund von Begleiterkrankungen ihrer Patienten
– Leitlinien von Begleiterkrankungen schließen vorgeschlagene Maßnahmen von schmerzbezogenen Leitlinien aus. Das wirkliche Leben gestaltet sich leider, oder
Gott sei Dank, wesentlich komplexer und vielfältiger als
ein Experiment im Reagenzglas.
...ist Schmerzmedizin in der Tat
eine Herausforderung und eine
Aufgabe für uns alle, nicht nur für
eine Handvoll hochspezialisierter
Ärzte und ausgesuchter Zentren.
Ohne Frage ist Wissen über Effektstärken, Risiken und
Nebenwirkungen essenziell für Ihre Tätigkeit. Unersetzlich aber ist ihre eigene klinische Erfahrung, ihr Austausch mit anderen Kollegen über deren Erfahrung und
am Ende aller Überlegungen steht das Abwägen und
von Für und Wider, das Ausbalancieren von erwünschten Therapieeffekten bei bestmöglicher Risikominimierung.
Was zählt Ihre Erfahrung?
Vollends unverständlich ist, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (g-ba) ausschließlich aus derartig gewonnen Daten eine (Zusatz)Nutzenbewertung bestehender
und neuer Pharmaka vornimmt. Die hieraus resultierenden Bewertungen müssen Ihrer eignen Therapieerfahrung diametral entgegensetzt ausfallen.
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
Editorial
In diesem Sinne ist Schmerzmedizin in der Tat eine Herausforderung und eine Aufgabe für uns alle, nicht nur
für eine Handvoll hochspezialisierter Ärzte und ausgesuchter Zentren.
Diesem Gedanken folgend entwickelt die Deutsche
Gesellschaft für Schmerztherapie e. V. PraxisLeitlinien,
in die (wie auch in AWMF Leitlinien) alle verfügbaren
Daten aus randomisierten Studien eingehen, zusätzlich
aber Ihr Wissen – das Wissen und die Erfahrung der
praktisch tätigen versorgenden Ärzte – und darüber
hinaus noch die Erfahrungen, Erwartungen und Vorlieben von den betroffenen Patienten – Evidence Based
Medicine im besten Sinne, wie sie von Sackett definiert
wurde. Dies schmälert in keiner Weise die Aussage von
randomisierten kontrollierten klinischen Studien, es
relativiert allerdings ihre Bedeutung wie Sie dies ja im
Alltag in der täglichen Praxis jeden Tag selbst erleben
können. In diesem Sinne unterstützt Sie Ihre Deutsche
Gesellschaft für Schmerztherapie, um Sie in Ihrer umfassenden Versorgung von Patienten mit akuten und
chronischen Schmerzen zu unterstützen und Ihr Wissen
zu vernetzen. Praxisleitlinien, an denen Sie selbst sich
beteiligen können, sind hierbei ein wichtiges Instrument, ebenso die bundesweit stattfinden interdisziplinären Schmerzkonferenzen, in denen wir unser Wissen
und Erfahrungen am Patientenbeispiel konkret austauschen.
Regulationswut ersetzt nicht Nachdenken
Wie einäugig gerade auch europäische Regulationswut
vorgehen kann und wie viel wichtiger Ihr eigenes Augenmaß ist und Ihre eigene Erfahrung zeigt Michael
Überall in seinem lesenswerten Beitrag über die jüngsten Maßnahmen der europäischen Arzneimittelbehörde
auf. Andreas Böger bin ich besonders dankbar, dass er in
seinem Beitrag aufzeigt wie spannend und attraktiv
Schmerzmedizin für junge Ärzte auch sein kann.
Gerhard H.H. Müller-Schwefe im Gespräch mit
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr
© G. Carlucci
Schmerzmedizin für Alle
Approbationsordnung nach 30 Jahren intensiver Lobbyarbeit unserer Gesellschaft.
Verbesserungen lassen sich nur durch kontinuierliche Kontakte und politische Arbeit erzielen. Ich bin deshalb dem Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr sehr
dankbar, dass er in einem intensiven Gedankenaustausch und Gespräch mit mir zugesichert hat, die bessere Versorgung chronisch Schmerzkranker in der neuen
Legislaturperiode als wichtigen Punkt auf seine Agenda
zu nehmen. Ihnen liebe Kolleginnen und Kollegen wünsche ich viel Freude bei Ihrer oft belastenden aber auch
spannenden Arbeit mit Patienten mit chronischen
Schmerzen und gleichzeitig wünsche ich Ihnen viele interessante Gesichtspunkte und Hilfestellungen aus diesem Heft Schmerzmedizin.
Herzlichst
Ihr
Schmerzmedizin für Alle...
...ist eine politische Forderung der DGS. Seit vielen Jahren tritt die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie
dafür ein, dass Schmerzmedizin nicht nur Pflichtunterricht und Prüfungsfach in der universitären Ausbildung
für Medizinstudenten wird, sondern auch in der Fläche
in der Versorgung verfügbar wird, nicht nur an hochspezialisierten Zentren, sondern ebenso in der allgemeinen
Primärversorgung mit entsprechender Vergütung für
Ärzte, die sich qualifizieren.
Dr. med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe
Präsident der
Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie e. V.
...dass Schmerzmedizin nicht nur
Pflichtunterricht und Prüfungsfach
in der universitären Ausbildung für
Medizinstudenten wird, sondern
auch in der Fläche in der Versorgung verfügbar wird...
Ein wichtiger Ausfluss dieser Aktivitäten war die Aufnahme der Schmerzmedizin als Querschnittsfach in die
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
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Pharmakotherapie/Europäische Arzneimittelbehörde
Grundsätzlich gut gedacht – aber auch wirklich
gut gemacht?
Die Europäische Arzneimittelbehörde (European Medicines Agency, EMA) hat
die Sicherheit und Verträglichkeit von Flupirtin und Diclofenac neu bewertet.
Die Beschränkungen sind für die Schmerzpraxis allerdings unausgewogen und
wenig hilfreich, kritisiert Priv.-Doz. Dr. med. Michael A. Überall, Vizepräsident der
DGS, Nürnberg, in seiner aktuellen Stellungnahme.
© Bert Bostelmann
schlossen und nach Anhörung von Schmerzexperten und Pharmakologen aus Sicherheitserwägungen heraus unter die bereits seit
Längerem kontrovers geführten Debatte – zumindest vorübergehend – einen Schlussstrich
gezogen.
Michael A. Überall,
Nürnberg
A
m 14. Juni 2013 hat das Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC)
der EMA beschlossen, die Anwendung Flupirtin-haltiger Fertigarzneimittel aufgrund möglicher Interaktionen mit dem Leberstoffwechsel auf zwei Wochen zu beschränken und
während der Behandlung wöchentliche Kontrollen der Leberwerte empfohlen. Mit dieser
Entscheidung sowie der Empfehlung, die Anwendung Flupirtin-haltiger Arzneimittel auf
die Kurzzeitbehandlung akuter Schmerzen
bei Erwachsenen zu beschränken und Patienten mit vorbestehenden Lebererkrankungen,
Alkoholabusus und kritischer Komedikation
von der Therapie auszuschließen, hat das
PRAC ein seit Mitte März 2013 laufendes Verfahren zur Nutzen-Risiko-Abwägung von Flupirtin-haltigen Fertigarzneimitteln abge-
Die Europäische Arzneimittelbehörde hat
die Sicherheit und Verträglichkeit von
Flupirtin und Diclofenac neu bewertet
Hepatische Sicherheit von Flupirtin
Ausgangspunkt des Verfahrens war ein Antrag des Bundesinstituts für Arzneimittel und
Medizinprodukte (BfArM), welches aufgrund
von Spontanberichten über mögliche Lebernebenwirkungen unter Flupirtin (von subklinischen Leberwerterhöhungen bis hin zu kritischen und lebensbedrohlichen Leberfunktionsstörungen) die EMA gebeten hatte, eine
Nutzen-Risiko-Überprüfung des Arzneistoffes
vorzunehmen.
Im Endergebnis kamen PRAC und EMA
nach Sichtung umfangreicher Unterlagen und
ausgiebiger Diskussion mit Vertretern der
Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie,
erfahrenen Experten auf den Gebieten der
Toxikologie und Pharmakologie sowie Vertretern der zuständigen pharmazeutischen
Unternehmen zu dem Schluss, dass trotz der
in randomisierten kontrollierten klinischen
Studien gegenüber Placebo deutlich überlegenen Wirksamkeit und insgesamt auch Placebo-vergleichbaren Verträglichkeit von Flupirtin über eine Behandlungsdauer von vier
Wochen zunächst aus Sicherheitsgründen heraus eine Anwendungsbeschränkung auf
zwei Wochen ausgesprochen und der Einsatz
auf Schmerzen beschränkt werden soll, bei
denen andere Analgetika (wie z. B. nichtsteroidale Antirheumatika [NSAR] und Opioide)
nicht indiziert sind.
Leberschäden unter Flupirtin?
© h_lunke / fotolia.com
Anlass für diese einschneidende Anwendungsbeschränkung waren seit der Einführung von Flupirtin im Jahre 1989 europaweit
insgesamt 136 Berichte über Patienten mit
Leberschäden, von denen 15 einen fatalen
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Verlauf genommen hatten und entweder tödlich geendet waren oder eine Lebertransplantation erforderlich gemacht hatten. Die seitens des PRAC kalkulierten Ereignishäufigkeiten beliefen sich (unter Berücksichtigung der
Gesamtverordnungszahlen von Flupirtin über
den genannten Zeitraum) für jegliche Form
einer Flupirtin-assoziierten Leberschädigung
(und ohne Berücksichtigung eines kausalen
Zusammenhangs) auf 15,2 und bezüglich der
genannten fatalen Häufigkeiten auf 1,68 jeweils pro 100.000 Patientenjahre.
Unter Berücksichtigung der tatsächlichen
Verordnungsquoten für Flupirtin (alleine im
Jahr 2011 wurden europaweit 28,1 Millionen
definierte Tagesdosen [defined daily doses,
DDD] verordnet und alleine in Deutschland
ca. 1.031.398 Patienten behandelt) errechnet
sich eine Erwartungshäufigkeit für beide Ereignisse von 1/85.595 Patienten bezüglich
einer möglichen Flupirtin-bedingten Leberschädigung (entsprechend 0,00117 %) bzw.
von 1/776.060 bezüglich eines möglicherweise durch Flupirtin ausgelösten fatalen Leberversagens (entsprechend 0,00013 %).
Im zeitlichen Verlauf manifestierten sich
diese extrem seltenen fatalen Ereignisse im
Mittel 70 Tage (Median: 63,5, Min-Max: 21–
140 Tage) nach Behandlungsbeginn und in
60 % der Fälle, wenn Flupirtin in Kombination
mit anderen bekanntermaßen hepatotoxischen Arzneistoffen verabreicht wurde.
Kardiovaskuläre Sicherheit
von Diclofenac
Nach umfangreichen Auswertungen von
Daten des „safety of non-steroidal anti-inflammatory drug (SOS)“-Programms der Europäischen Kommission zur Sicherheit der in Europa verfügbaren NSAR kam das PRAC ebenfalls
am 14. Juni 2013 zu dem Ergebnis, dass der
Einsatz Diclofenac-haltiger Fertigarzneimittel
(insbesondere in höheren Dosierungen und
über einen längeren Zeitraum) mit einem
deutlich erhöhten Risiko unerwünschter kardiovaskulärer Arzneimittelreaktionen einhergeht.
Kontraindikationen beachten
Aus Sicht des PRAC gilt der Einsatz von Diclofenac-haltigen Fertigarzneimitteln bei Patienten mit Herzfehlern, Herzinsuffizienz, koronarer Herzkrankheit, Myokardinfarkt und/oder
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
Pharmakotherapie/Europäische Arzneimittelbehörde
Sicherheit und Verträglichkeit
im direkten Vergleich
Der direkte Vergleich der Sicherheits- und Verträglichkeitsbewertung von Flupirtin und Diclofenac sowie die daraus seitens der europäischen Arzneimittelwächter gezogenen Konsequenzen, die auch in den am 15. und 16. Juli
2013 durch die Arzneimittelkommission der
Deutschen Ärzteschaft [AKDÄ] versandten
Rote-Hand-Briefen nachzulesen sind, werfen
mehr Fragen auf, als sie beantworten. Grundsätzlich sind alle Anstrengungen zu begrüßen, die die Sicherheit der Anwendung von
Arzneistoffen bei Patienten erhöhen und darauf abzielen, das Nutzen-Risiko-Verhältnis
faktisch zu verbessern. Vor diesem Hinter-
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
Tab. 1: Ereignishäufigkeit medizinisch relevanter Sicherheits-/Verträglichkeitsprobleme
unter Flupirtin und Diclofenac (modifiziert nach http://www.ema.europa.eu/ema/index.
jsp?curl=pages/medicines/human/referrals/Flupirtine-containing_medicines/human_referral_prac_000019.jsp&mid=WC0b01ac05805c516f [Abruf: 1.8.2013]; Moore RA et al., Arthritis
Res Ther 2008,10:R20)
Ereignishäufigkeit
1 pro x behandelte Patienten
Prozent der behandelten Patienten
jegliche Leberschädigung
unter Flupirtin
85.595
0,00117
fatale Leberschädigung
unter Flupirtin
776.060
0,00013
jegliche gastrointestinale
Blutung unter Diclofenac
198
0,50505
fatale gastrointestinale
Blutung unter Diclofenac
1.976
0,05061
jeglicher Myokardinfarkt
unter Diclofenac
277
0,36101
fataler Myokardinfarkt
unter Diclofenac
924
0,10823
grund und insbesondere angesichts der Tatsache, dass eine rationale Bewertung von Sicherheit und Verträglichkeit eines Arzneimittels unabhängig von nationalen Anwendungsbeschränkungen erfolgen sollte, steht
es außer Frage, dass in einem zunehmend
zentralistisch regierten europäischen Staatenverbund gerade Fragen der Arzneimittelsicherheit einheitlich und unter Bezugnahme
auf höchste Bewertungsstandards analysiert
und geklärt werden müssen.
Dennoch stellt sich die Frage, warum bei
den beiden genannten Risikobewertungen
und Ereignishäufigkeiten (Tabelle 1) für den
einen Arzneistoff (Flupirtin) derart starke Beschränkungen (inklusive Anwendungsgebiet,
Anwendungsdauer und laborchemischen
Kontrolluntersuchungen), für den anderen
(Diclofenac) hingegen nur ein relativierender
Warnhinweis ausgesprochen wurde, der faktisch an der tatsächlichen Verordnungsrealität
kaum etwas ändern wird.
Vergleicht man die publizierten Ereignishäufigkeiten fataler Komplikationen, so liegt
das Risiko, unter Diclofenac einen tödlichen
Myokardinfarkt oder eine tödliche gastrointestinale Blutung zu erleiden, rund 840- bzw.
393- mal höher als das für eine fatale Leberschädigung unter Flupirtin. Das Risiko jeglicher Organschädigung liegt für Diclofenac
bezüglich gastrointestinaler Blutungen 432und bezüglich Myokardinfarkten 309-mal
höher als das für eine Leberschädigung unter
Flupirtin. Das bedeutet, dass rechnerisch auf
einen Patienten mit einer Flupirtin-assoziierten Leberschädigung rund 432 Patienten mit
einer Diclofenac-assoziierten gastrointestina-
len Blutung bzw. 309 Patienten mit einem
Diclofenac-assoziierten Myokardinfarkt kommen. Ein durchaus als praktisch bedeutsam
anzusehender Sicherheitsunterschied – oder?
Risiken von Arzneistoffen –
Risiken des Alltags
Darüber hinaus stellt sich – bei allem Respekt
vor den umfänglichen Bemühungen der
europäischen Arzneimittelwächter – doch
auch die Frage, wie sicher ein Arzneistoff heute sein muss, damit er noch eine Zulassung für
die Anwendung am Menschen erhalten kann.
Vergleicht man vor dem Hintergrund der für
Diclofenac und – insbesondere – für Flupirtin
berechneten Todesfallhäufigkeiten die entsprechenden Ereignisraten alltäglich bedenkenlos von uns allen vollzogener Maßnah-
Warum fallen die Sicherheits- und Verträg-
lichkeitsbewertungen für Flupirtin und
Diclofenac derart unterschiedlich aus?
© Anastasiya M./panthermdia.net
Schlaganfall als kontraindiziert. Bei Patienten
mit bekannten kardiovaskulären Risikofaktoren – wie z. B. Bluthochdruck, Hypercholesterinämie, Diabetes und Nikotinabusus – sollten
Diclofenac-haltige Fertigarzneimittel nur
mehr nach strenger Nutzen-Risikoabwägung,
vorübergehend und in der niedrigst-möglichen Dosis zum Einsatz gelangen. Darüber
hinaus müssen Wirksamkeit, Sicherheit und
Verträglichkeit im jeweiligen Anwendungsfall
durch den behandelnden Arzt regelmäßig
aktiv überprüft und dokumentiert werden.
Ausgangspunkt des Verfahrens war ein im
Oktober 2012 auf der Grundlage bereits zum
damaligen Zeitpunkt verfügbarer Daten bezüglich eines zweifelhaften Nutzen-Risikoprofils traditioneller NSAR bei Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren begonnenes
Bewertungsverfahren, mit welchem nun endlich Klarheit geschaffen wurde. Entsprechend
den bereits 2007 veröffentlichten Berechnungen einer internationalen Arbeitsgruppe um
R. Andrew Moore liegt das durch Diclofenac
bedingte Zusatzrisiko bzgl. kardiovaskulärer
Komplikationen z. B. für Myokardinfarkte bei
1/277 Patienten (entsprechend 0,36101 %)
bzw. das Myokardinfarkt-bedingte Sterblichkeitsrisiko bei 1/924 Patienten (entsprechend
0,10823 %). Insgesamt lagen die entsprechenden Ereignisraten für die Gruppe der traditionellen NSAR bei 1/1.351 bzw. 1/4.517 für
alle bzw. für die tödlichen Myokardinfarkte
(entsprechend 0,02214 % bzw. 0,07402 %).
Dieses relativ hohe Zusatzrisiko, durch/
unter Diclofenac einen schwerwiegenden
bzw. tödlichen Myokardinfarkt zu erleiden,
relativiert sich angesichts des ebenfalls analysierten Risikos bezüglich schwerwiegender
bzw. tödlicher gastrointestinaler Blutungen,
welches für Diclofenac bei 1/198 bzw. 1/1.976
und für die Gesamtgruppe der traditionellen
NSAR bei 1/142 bzw. 1/1.420 behandelten
Patienten liegt.
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Pharmakotherapie/Europäische Arzneimittelbehörde
INFO-Telegramm
Regionalanästhesie verhindert
chronische postoperative Schmerzen
Persistierende Schmerzen postoperativ nach
Thorakotomien oder Mastektomien treten
nach Epiduralanästhesien und paravertebralen Blockaden seltener auf als unter Vollnarkosen. Dies zeigte eine Metaanalyse von Andreae MH et al., in der 23 randomisierte kontrollierte Studien ausgewertet wurden. Die Fallzahlen und die Resultate sind allerdings besonders nach einem Jahr nicht ausreichend
für generelle Empfehlungen, schränken die
Experten ein (Br J Anaesth 2013 Jun 28. [Epub
ahead of print]).
Magnesium gegen postoperativen Schmerz
Mit systemischer Gabe von Magnesium lässt
sich der postoperative Schmerz und der Opioidbedarf senken. Dies ergab eine Metaanalyse
von 20 randomisierten klinischen Studien, in
die insgesamt 1.257 Patienten eingeschlossen
wurden. Magnesium linderte sowohl den Ruheschmerz als auch den Bewegungsschmerz
und reduzierte den mittleren Morphinbedarf
um 10,5 mg Morphinäquivalent. Die Studien
waren sehr heterogen, in einigen wurde Magnesium nur intraoperativ, in anderen sowohl
intra- als auch postoperativ appliziert. Die perioperative systemische Magnesiumtherapie
scheint aber eine sehr verträgliche und wirksame Maßnahme gegen den postoperativen
Schmerz zu sein ( De Oliveira GS Jr et al., Anesthesiology 2013 May 10. [Epub ahead of print]).
Elektrodenwanderung
bei okzipitaler Nervenstimulation
Die okzipitale Nervenstimulation bietet eine
Alternative zur Pharmakotherapie bei hartnäckigen okzipitalen Kopfschmerz. Sprechen Patienten auf diese Therapieform nicht lange an,
sollte die Elektrodenlage geprüft werden. Dies
zeigt die Kasuistik von McGreevy et al. an
einem 35-jährigen Mann, der nach elf Monaten aufgrund einer Elektrodendislokation bereits nicht mehr ansprach (Clin J Pain 2012
Nov-Dec;28(9):814–8).
Wiederholte Kernspintomographie
bei Ischiasschmerzen sinnlos
Wird bei Patienten mit Bandscheibenvorfall
und Ischiasbeschwerden eine Kernspintomographie nach einem Jahr wiederholt, hilft die
bildgebende Diagnostik nicht dabei, Patienten mit ungünstigem Verlauf von prognostisch günstigem Patienten zu unterscheiden.
Zu diesem ernüchternden Resultat kam eine
niederländische Arbeitsgruppe aus Leiden,
Niederland, die an 283 Patienten die Kernspintomographie nach einem Jahr wiederholten (N Engl J Med 2013 Mar 14;368(11):
999–1007. doi: 10.1056/NEJMoa1209250).
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men, dann ist zu befürchten, dass hier das
entsprechende Augenmaß verloren gegangen bzw. zumindest aus dem Blick verloren
wurde. So liegt das Todesfallrisiko pro Jahr z. B.
für landwirtschaftlich tätige Menschen in den
USA bei 1/3.425 und damit ca. zehnmal höher
als das von Werktätigen im Dienstleistungssektor mit 1/34.483. Jedes Jahr stirbt eine von
7.875 Hausfrauen infolge eines Haushaltsunfalls und einer von 47.273 Fußgängern im
Straßenverkehr. Risiken die – obwohl um ein
Vielfaches höher als die genannten Arzneimittelrisiken – alltäglich von allen in den Industrienationen der westlichen Welt lebenden
Menschen bedenkenlos eingegangen und
unbewusst in Kauf genommen werden.
Ist es vor dem Hintergrund dieser Daten
sinnvoll zu fordern, dass die Risiken von Arzneistoffen so viel geringer sein müssen? Und
wenn ja, wie viele Arzneistoffe gibt es, die den
– aus Sicht vieler Experten – unrealistischen
Anforderungen noch genügen? Und warum
führen die berichteten Risikoraten bei unterschiedlichen Arzneistoffen zu unterschiedlichen Bewertungen? Warum führt ein rechnerisch 400- bis 800-fach erhöhtes Todesfallrisiko bei dem einen Arzneistoff nur zu einer
unbedeutenden Anwendungsbeschränkung
und das um das gleiche Maß verringerte Todesfallrisiko bei einem anderen Arzneistoff zu
einer deutlichen Anwendungsbeschränkung?
Fragen über Fragen, bei deren Beschäftigung
dem kritischen Betrachter nur noch mehr Fragen in den Sinn kommen.
Nichts tun bzw. nichts verordnen
hilft leider auch nicht
Offensichtlich stehen Wirksamkeit und Verträglichkeit von Arzneistoffen in einem wohl
abzuwägenden Verhältnis zueinander, und
natürlich sind medizinisch alle Maßnahmen,
die mit einem bezüglich einer Nichtbehandlung nennenswert erhöhten Risiko einhergehen, kritisch zu bewerten bzw. dann zu unterlassen, wenn es bei vergleichbarer Wirksamkeit besser verträgliche Alternativbehandlungen gibt oder der Spontanverlauf in absehbarer Zeit zu ähnlichen Beschwerdelinderungen führt.
Diesbezüglich ist kritisch anzumerken,
dass die Hypothese, man könne die Sicherheit
von Menschen mit chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen dadurch erhöhen, dass
man ihnen keine „potenziell nebenwirkungsträchtigen“ Arzneistoffe verordnet, sich angesichts einer jüngst erschienen Übersichtsarbeit genau als das entpuppt, was sie schon
immer war: sehr wirklichkeitsfremd. Wie sonst
soll man die in der Übersichtsarbeit deutlich
erhöhten Suizidraten von Menschen mit chro-
nischen nicht-tumorbedingten Schmerzen
sonst bezeichnen? Nichts tun hilft eben dann
auch nicht, wenn die Krankheit an sich auch
schon mit einem erhöhten Sterblichkeitsrisiko
einhergeht. Das Feigenblatt der Behauptung
offizieller Stellen, dass man dann zumindest
nicht aktiv zu einem vorzeitigen Ableben beigetragen habe und das ganze Dilemma letztlich nur Ausdruck der Tatsache sei, dass eben
unverändert nicht in ausreichendem Maße
wirksame und verträgliche Arzneistoffe verfügbar seien, hilft Betroffenen wie Therapeuten nicht wirklich weiter.
Chronische Schmerzen sind eben auch
(gerade?) dann alles andere als harmlos, wenn
sie nicht durch einen Tumor ausgelöst werden. Genau aus diesem Grund müssen die mit
der Verordnung eines Arzneistoffes verbundenen Risiken – sowohl für Leib und Leben als
auch bezüglich nichtlebensbedrohlicher Beeinträchtigungen –nicht nur in Relation zu
den Risiken gesetzt werden, mit denen chronisch (Schmerz-)Kranke tagtäglich konfrontiert werden, sondern auch in Relation zu den
Risiken, die mit Leben an sich und einer aktiven Teilhabe daran verbunden sind.
Unausgewogen und wenig hilfreich
Vor diesem Hintergrund erscheinen die aktuell seitens des PRAC ausgesprochenen Anwendungsbeschränkungen für Flupirtin bzw.
Diclofenac nicht nur unausgewogen und wenig hilfreich, sondern erinnern in ihrer Regulationswut und Praxisferne auch ein wenig an
die Maßnahmen entsprechender EU-Gremien
anderer Bereiche (wie z. B. der Definition des
Krümmungsgrades von Gurken oder der Mindestgröße von Zwiebeln). Ob diese Entwicklung Patienten und Therapeuten wirklich helfen kann, des zunehmenden Problems chronischer nicht-tumorbedingter Schmerzen
Herr zu werden, darf getrost bezweifelt werden.
■
Michael A. Überall, Nürnberg
Literatur beim Verfasser
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
Kommentar/Berufspolitik
Schmerztherapie ist attraktiv
In der jetzigen, für ambulant tätige Schmerztherapeuten schwierigen wirtschaftlichen Situation und angesichts der bekannten Nachbesetzungsprobleme sollten
wir unser Fachgebiet durch fortwährende Klagen nicht schlechtreden und damit potenziellen Nachwuchs abschrecken. Vielmehr sollten wir häufiger auf die
attraktiven Facetten unserer Tätigkeit hinweisen. Diese Facetten– wie etwa die
Chance auf eine ausgeprägte interdisziplinäre Zusammenarbeit – skizziert
Dr. med. Andreas Böger, Leiter des Regionalen Schmerzzentrums DGS, Kassel.
V
or den Ergebnissen unserer Therapie
müssen wir uns – z. B. verglichen mit den
Internisten – gewiss nicht verstecken. Darüber
hinaus sind Teilzeitanstellungen häufig unproblematisch möglich – gerade für Ärztinnen mit
Kindern ein wichtiges Argument. Flexible
Arbeitszeiten kommen dem Wunsch vieler
jüngerer Kollegen nach einer zufriedenstellenden Work-Life-Balance entgegen. Die großen
Schmerzgesellschaften DGS (Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin) und DSG (Deutsche Schmerzgesellschaft, vormals DGSS) bieten spezielle Fortbildungen für den medizinischen Nachwuchs an.
Flexible Teilzeit möglich
Grundlage für die Weiterbildung in der
Schmerzmedizin ist ein Facharzt auf einem
klinischen Gebiet. Traditionell sind insbesondere Fachärzte für Anästhesie, Fachärzte für
Neurologie und Fachärzte für Allgemeinmedizin an dieser Weiterbildung interessiert. Ein
gutes Diversitäts-Management in Bezug auf
Fachdisziplin und Alter der Mitarbeiter sorgt
für eine gesunde Mischung innerhalb des
Teams. Schon während der gewöhnlich einjährigen Weiterbildung ist in der Regel eine
Teilzeittätigkeit oder eine flexible Tätigkeit
möglich. In der Klinik für Schmerzmedizin des
Roten Kreuz Krankenhauses Kassel – mit 35
stationären Behandlungsplätzen einem der
größeren Schmerzzentren bundesweit –
arbeiten mehrere Ärztinnen in Teilzeit; auch
eine flexible Anstellung im stationären Bereich
und im angegliederten medizinischen Versorgungszentrum (MVZ), Schmerzzentrum Kassel
ist möglich. Hier besteht eine große Offenheit
für innovative Anstellungs- und Zeitkonzepte,
damit sich Weiterbildung, Job und Privatleben
gut miteinander vereinbaren lassen.
Inhalte der Weiterbildung zum speziellen
Schmerztherapeuten sind sowohl diagnostische als auch therapeutische Techniken aus
der Neurologie, Anästhesie, Orthopädie und
Psychologe. Die Schmerzmedizin versteht sich
als Querschnittsfach und hat Anteile aus den
verschiedensten Fachgebieten. So entstammen Diagnostik und Therapie der Kopfschmer-
© blickwinkel / imago
Eine ausgeprägte interdisziplinäre Zusammenarbeit prägt den Alltag des Schmerztherapeuten
Andreas Böger,
Kassel
zen hauptsächlich der Neurologie; die Untersuchung und Behandlung der Rückenschmerzen umfasst Inhalte der Orthopädie, Neurologie, Anästhesie und der manuellen Medizin.
So können neben den invasiven Techniken sowohl Elektromyographie, Biofeedback und
psychotherapeutische Techniken als auch Osteopathie, manuelle Medizin und Akupunktur
erlernt werden. Die Therapie basiert auf einem
biopsychosozialen Konzept, das bezüglich der
effizienten Vermittlung an den Patienten großen Gestaltungsspielraum zulässt.
Teamwork prägt den Alltag
Während dem ambulant tätigen Arzt oft die
Zeit fehlt, um Patienten mit chronischen
Schmerzen adäquat zu behandeln, hat man in
einem Schmerzzentrum meist ausreichend
Zeit für den Patienten. Auch verteilt sich die
Last immer auf mehreren Schultern, so in Kassel zum Beispiel auf ein „Quartett“ aus Arzt,
Psychologen, Physiotherapeuten und Bezugspflegekraft. Viel Wert wird in der schmerzmedizinischen Weiterbildung in der Regel auf
eine gute Ausbildung hinsichtlich der Arzt-Patienten-Kommunikation, auf Zeitmanagement, auf Achtsamkeit (auch gegenüber sich
selbst) ebenso wie auf Grundlagen der Abrechnung schmerztherapeutischer Leistungen
und auf Praxismanagement gelegt – denn statistisch arbeiten die meisten speziellen
Schmerztherapeuten nach der Ausbildung in
eigener Praxis oder in einer Schmerzambulanz. In Gesprächen mit Studenten – gerade
auch solchen im praktischen Jahr (PJ) – und
nachrückenden Kollegen sollten wir diese Vorteile einer fundierten schmerzmedizinischen
Ausbildung in den Vordergrund rücken. ■
Andreas Böger, Kassel
boeger@rkh-kassel.de
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
7
Zertifizierte Fortbildung
Fibromyalgie-Syndrom: Aktuelle
Empfehlungen gegen den Schmerz
„Fibromyalgie“ (richtig: Fibromyalgiesyndrom) ist bislang eine Ausschlussdiagnose, die auf klinischen Kriterien beruht. In jüngster Zeit haben sich aber neue
Erkenntnisse über neuromorphologische Veränderungen und biopsychosoziale
Determinanten dieser Erkrankung ergeben. Einen Überblick über den derzeitigen Wissensstand der Entstehung, Klinik und (medikamentösen) Therapie des
Fibromyalgiesyndroms versucht SanRat Dr. med. Oliver M. D. Emrich, Leiter des
DGS-Schmerzzentrums Ludwigshafen und Vizepräsident der DGS.
D
as Fibromyalgiesyndrom ist bis heute
eine für Patienten, wie für Ärzte, mysteriöse diagnostische Entität, weil zunächst
kaum ein morphologisch fassbares Substrat
für die komplexen Beschwerden und Schmerzen augenscheinlich ist. Es ist dabei ein im Behandlungsalltag immer häufiger imponierendes (Schmerz-)Syndrom, das auch sozialrechtlich stetig größere Bedeutung dadurch gewinnt, dass Betroffene oft an schweren allgemein behindernden Symptomen leiden, aber
häufig keine Anerkennung erfahren. Bei spärlichen objektiven Befunden fällt es noch vielen
medizinischen Kollegen schwer zu akzeptieren, dass dennoch eine schwere subjektive
Beeinträchtigung durch weit ausgebreitete
Schmerzen, Steifheit, Müdigkeit, nicht erfrischenden Schlaf, Wahrnehmungsstörungen,
Angst und Depression als komplexes Syndrom
bestehen kann.
Pathophysiologische
Erklärungsversuche und Befunde
Pathogenetisch werden heute einerseits Veränderungen der zentralen Schmerzverarbeitung als Ursache, d. h. eine (chronische) Hyperirritabilität des zentralen, aber auch des peripheren Nervensystems verantwortlich gemacht. Danach liegt eine Erklärung dort, wo
Schmerz weitergeleitet und verarbeitet wird:
im zentralen Nervensystem. Aber es mehren
sich genauso Befunde über Alterationen im
peripheren Nervensystem. Demnach spielen
mehrere Bedingungen zusammen: Eine
Schmerzafferenz- Fehlverarbeitungsstörung
im Sinne eines zentralen Sensibilisierungssyndroms (CSS), und/oder peripheren neuronalen
Veränderungen.
Eine ganz neu aufgelegte Studie der Universität Würzburg propagierte auch objektivierbare (mess- und mikroskopisch sichtbare)
neuropathische Alterationen in Funktion und
Dichte der sog. „small fibers“ im peripheren
8
Nervensystem bei Fibromyalgiepatienten, wie
sie auch bei metabolischen (z. B. diabetogen)
toxischen (z. B. Chemotherapie-bedingt) und
entzündlichen (z. B. perizosterisch) Neuropathien ganz ähnlich auftreten können.
Biologische neuroendokrine, neuroimmunologische und psychosoziale Veränderungen
und Stressoren können damit das typische klinische Bild des Fibromyalgiesyndroms, – gerade auch in seiner phänomenologischen Vielfalt
zunehmend besser erklärbar machen. Sie werden damit zu charakteristischen Variablen bei
der Diagnosefindung. Aber keine dieser Variablen, ob biologisch oder psychosozial, kann
bislang als einzige Bedingung für den Ausbruch oder den Unterhalt eines Fibromyalgiesyndroms verantwortlich gemacht werden.
In der Gesamtschau werden die Zusammenhänge allerdings deutlich klarer. Grundlagenforschung und klinische Studien zeigen:
Bei Patienten mit Fibromyalgiesyndrom gibt es
offenbar überdurchschnittlich häufig (aber
nicht konsistent immer)
●●
eine Sensibilisierung und Plastizität zentraler NMDA-Rezeptoren (eine wichtige Rolle
bei der Opioid-assoziierten Hyperalgesie),
●●
eine Erhöhung der Endorphinspiegel bei
gleichzeitg verminderter zentralnervöser
Opiatrezeptorendichte,
●●
eine Dysregulation kortikaler dopaminerger Neurotransmission,
●●
eine Erniedrigung des zentralnervösen Serotoninspiegels und Erhöhung der Substanz-P-Konzentration,
●●
eine Störung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse, kenntlich
an veränderten Spiegeln von Kortison,
ACTH, Wachstumshormon, insbesondere
erniedrigtem IGF-1b, eine Erhöhung proinflammatorischer Cytokine,
●●
eine massive Störung von Tiefschlafphasen
(Phase 4, Deltaschlaf), assoziiert mit den
vorgenannten humoralen Alterationen,
Oliver Emrich,
Ludwigshafen
eine genetische Disposition, z. B. in Fibromyalgie-Untergruppen bewiesen für das
Serotonin-Transporter-Gen, das Katecholamin-Methyltransferase-Gen, die Exprimierung von Beta-2-Adrenorezeptoren,
●●
einen bisher allerdings kaum spezifizierten
Einfluss von Sexualhormonen, was das
Überwiegen des weiblichen Geschlechts
erklären würde,
●●
nachweisbare Schädigung peripherer kleiner Nervenfasern (small fibers) als pathoanatomisches Korrelat einer veränderten
Reagibiltät und Dichte von an der peripheren Nozizeption beteiligten Nerven.
Damit rücken die Hauptsymptome des Fibromyalgiesyndroms in ein neues (erklärbares)
Licht: Neuroendokrine und neuroimmunologische Funktionsstörungen geraten als Treiber
und Marker der zentralen Sensibilisierung proalgetischer Schmerzperzeption immer stärker
in den Vordergrund. Sie können offenbar aber
auch periphere Nervenschädigungen hervorrufen, bzw. gehen auch mit solchen Veränderungen der „small fibers“ im peripheren Nervensystem einher.
●●
Die Klinik des Fibromyalgiesyndroms
Die Schmerzen beim Fibromyalgiesyndrom
werden von den Betroffenen typischerweise in
viele (auch wechselnde) Körperstellen verortet, vorzugsweise Muskulatur und SehnenKnochenübergänge. Sie werden von mehr
oder minder ausgeprägten sozialen und psychischen Behinderungen begleitet, vor allem
charakteristischerweise auch von psychophysischen Symptomen wie Müdigkeit, Depressionen und Schlafstörungen.
Diagnosekriterien:
Was hat sich geändert?
Der Bedeutung der „Begleitphänomene“
neben dem Schmerz tragen die aktualisierten
ACR-Kriterien von 2010 (American College of
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
Zertifizierte Fortbildung
Neue Diagnosekriterien
Nach den neuen diagnostischen Kriterien von
2010 ist demnach das Fibromyalgiesyndrom
durch großflächige Schmerzen in nur noch
mindestens einem (typischerweise aber mehreren) Körperquadranten/einer Körperseite
und zusätzlich in einem/mehreren Bereichen
des Achsenskeletts (WS, Brustkorb) definiert,
plus einer charakteristischen Ausprägung typischer Zusatzsymptome. Die wichtigste Neuerung ist die stärkere Gewichtung einer charakteristischen Symptomkonstellation bei Fibromyalgiesyndrom von Sehnen-Muskelschmerz
mit nicht erholsamem Schlaf, Müdigkeit und
Beeinträchtigung kognitiver Funktionen in
Kombination mit einer ganzen Reihe von zusätzlichen Körpersymptomen.
Tenderpoints überholt
Die Anzahl definierter „Tenderpoints“ ist demnach nicht mehr zentrales Kriterium, denn
deren Qualifizier- und Quantifizierbarkeit waren offenbar zu stark Untersucher-abhängig.
Wichtigstes Kriterium ist aber weiterhin, dass
für die beklagten Schmerzen keine spezifische
somatische Ursache gefunden werden kann.
Ein WPI >7 (0–19 Körperareale) und SSS >5
(0–12 Symptomschwerepunkte) oder ein WPI
3–6 und SSS >9 gelten danach als hochsignifikant verdächtig auf Fibromyalgie und sollen
eine schnelle und unkomplizierte Diagnose
erleichtern bzw. den dringenden Verdacht auf
Fibromyalgie lenken (http://www.rheumatology.org/practice/clinical/classification/fibromyalgia/fibro_2010.asp).
Differenzialdiagnosen und
weitere medizinische Abklärung
Patienten mit Fibromyalgiesyndrom sollten zunächst auf entzündliche Erkrankungen untersucht werden, insbesondere aus dem rheumatischen Formenkreis, denn solche Erkrankungen können ähnliche Beschwerden verursachen, bzw. auch mit einem Fibromyalgiesyndrom einhergehen (RA, Polymyalgia rheumatica, systemischer Lupus erythematodes). Auch
auf endokrine Erkrankungen, die Muskel- und
Gelenkschmerzen verursachen können, wie
Hypothyreose, Hyperparathyreoidismus und
Morbus Addison, sollten untersucht werden. In
diesem Zusammenhang ist neben Anamnese
und klinischem Befund ein Routinelabor zu
empfehlen, das neben Blutsenkungsreaktion,
Rheumafaktor, Kreatinkinase und CRP/CCP/
ANA ein Differenzialblutbild, Schilddrüsenwerte und Serum-Transferrin umfassen sollte. Kasten 1 zeigt die AWMF-Empfehlungen für die
Labordiagnostik. Spezifische Bluttests auf Fibromyalgiesyndrom gibt es bislang aber nicht,
obwohl einige Untersucher eine positive Korrelation mit der IL-8 Spiegeluntersuchung oder
einen Suchtest auf Antipolymer-Antikörper
(APA) beschrieben haben. Die klinische Untersuchung sollte künftig mindestens in Zweifelsfällen eine quantitative sensorische Testung
umfassen. Ggf. werden künftig auch Hautstanzbiopsien diagnostische Hinweise auf den
Zustand der „small fibers“ erbringen.
Kasten 1: Basislabor nach den Empfehlungen der AWMF
zz
zz
zz
zz
Blutsenkungsgeschwindigkeit, C-reaktives Protein, kleines Blutbild (z. B. Polymyalgiarheumatica, rheumatoide Arthritis)
Kreatininkinase (z. B. Muskelerkrankungen )
Kalzium (z. B. Hyperkalziämie)
Thyreoidea-stimulierendes Hormon basal (z. B. Hypothyreose)
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
Patienten mit Fibromyalgiesyndrom sollten zunächst auf entzündliche Erkrankungen untersucht werden
© BVMed-Bilderpool
Rheumatology) nun in weit stärkerem Maße
Rechnung. Sie fokussieren auf das führende
Symptom des Fibromyalgiesyndroms, nämlich
die (un)typische Schmerzausprägung als
großflächiger Schmerz (gemessen als „Widespread pain index“, WPI, i.e. Anzahl der
Schmerzareale im Körperschema von maximal
19) und damit eng verbundenen weiteren
charakteristischen Symptomen, gemessen in
einer Symptomschwere-Skala (SSS).
Diese umfasst vier Kriterien:
1. Müdigkeit,
2. unerfrischtes Aufwachen,
3. kognitive Störungen, und
4. somatische allgemeine Symptome aus
einem vorgegebenen Katalog (wie u. a. Kopfschmerzen, Schwächegefühl, Stuhlunregelmäßigkeiten, Schwindel, Übelkeit, Kribbeln,
etc., jeweils maximal 3 Punkte ergeben insgesamt maximal 12 Punkte). (Man findet das
Formsheet dieser Kriterien im Internet unter
http://www.fibroknowledge.com/site/downloads/2010_ACR_CRITERIA.pdf).
Die „alten“ Diagnosekriterien des ACR von
1990 werden dadurch relativiert und ergänzt,
weil nicht mehr obligat ein weit ausgedehnter
Schmerz in mindestens drei von vier Körperquadranten über drei Monate plus Schmerzen
im Achsenskelett (zervikal, lumbal, thorakal)
plus 11 von 18 definierten Tenderpoints
schmerzhaft auf Druck von 4 kg/cm2 gefordert
wird.
Medikamentöse Optionen
Die medikamentöse Therapie ist bei Fibromyalgie allenfalls ein Teil der therapeutischen
Optionen, die in der Regel als Kombinationsstrategie angeboten werden sollten: Stressmanagement, Sporttherapie, Psychotherapie bei
entsprechender Indikation sind dagegen vordringliche Empfehlungen. Die AWMF (Arbeitsgemeinschaft der medizinisch wissenschaftlichen Fachgesellschaften)-Leitlinie Fibromyalgiesyndrom hat zu den medikamentösen Optionen bislang vorliegende wissenschaftliche
Studien bewertet und daraus Verordnungsund Handlungsempfehlungen formuliert. So
kann man davon ausgehen, dass die hier positiv bewerteten Medikationen bis dato einen
klaren Therapienachweis erbracht haben. Diese sind: Duloxetin, trizyklische Antidepressiva
(z. B. Amitriptylin), Pregabalin und selektive
Serotoninwiederaufnahmehemmer (z. B. Citalopram).
Medikamente bei Fibromyalgiesyndrom
sollen genauso Schmerz dämpfen, wie gestörten Schlaf oder wichtige Begleitsymptome
bzw. Komorbiditäten, wie eine Depression
bessern können. Prinzipiell kommen aber
noch weitere für dezidierte DepressionsAngst-Entitäten Medikamente aus dem jeweiligen Indikationsspektrum infrage, deren Einsatz in jedem Einzelfall kritisch zu prüfen ist.
Antikonvulsiva hilfreich
Antikonvulsiva, speziell Gabapentin und Pregabalin haben ihre antineuropathische/
schmerzlindernde Wirkung in vielen Untersuchungen nachgewiesen und wirken schmerzdämpfend und zusätzlich antidepressiv,
schlafanstoßend und angstlösend. Ein wichtiger praktischer Hinweis ist, dass es durchaus
sinnvoll ist, Antidepressiva und die genannten
Antikonvulsiva zusammen anzuwenden. Die
9
Zertifizierte Fortbildung
Kasten 2: Patientenaufklärung (nach AWMF-S3-Leitlinie)
Der Patient soll darauf hingewiesen werden, dass seinen Beschwerden keine organische
Krankheit ( „Fibromyalgie“ im Sinne einer distinkten rheumatischen Krankheit) sondern eine
funktionelle Störung zu Grunde liegt.
Die Legitimität der Beschwerden soll versichert werden. Die Beschwerden des Patienten
sollen mit Hilfe eines biopsychosozialen Krankheitsmodells, das an die subjektive Krankheitstheorie des Patienten anknüpft, in anschaulicher Weise erklärt werden, z. B. durch das Vermitteln psychophysiologischer Zusammenhänge (Stress, Teufelskreismodelle). Eine Information
über die Ungefährlichkeit der Beschwerden soll erfolgen. Die Möglichkeiten des Patienten,
durch eigene Aktivitäten die Beschwerden zu lindern, soll betont werden.
Kasten 3: Therapieempfehlungen AWMF
Bei schweren Verläufen sollen mit dem Patienten körperbezogene Therapien1, eine zeitlich
befristete medikamentöse Therapie sowie multimodale Therapien2 besprochen werden. Entspannungsverfahren in Kombination mit aerobem Training (multimodale Therapie) sollen
eingesetzt werden. Meditative Bewegungstherapien (Tai-Chi, Qi-Gong, Yoga) sollen eingesetzt werden. Für die Langzeittherapie sollten die Betroffenen Verfahren einsetzen, welche sie
eigenständig im Sinne eines Selbstmanagements durchführen können: z. B. an das individuelle Leistungsvermögen angepasstes Ausdauer- und/oder Krafttraining, Stretching, Wärmetherapie. Ausdauertraining: Ausdauertraining von geringer bis mittlerer Intensität (z. B. schnelles
Spazierengehen, Walking, Fahrradfahren bzw. Ergometertraining, Tanzen, Aquajogging) soll
dauerhaft 2–3-mal/Woche über mindestens 30 Minuten durchgeführt werden. Funktionstraining (Trocken- und Wassergymnastik) soll 2-mal/Woche (mindestens 30 Minuten) eingesetzt
werden.
1
2
Aerobes Ausdauertraining; meditative Bewegungstherapien (Tai-Ci, Qi-Gong, Yoga)
multimodal = mindestens ein körperlich aktivierendes Verfahren mit mindestens einem psychologischen /psychotherapeutischen Verfahren
Effekte werden dadurch in vielen Fällen besser,
nachgewiesen z. B. für Depressionen.
Schlafhygiene und Naturheilmittel
Bleiben trotzdem hartnäckige Schlafstörungen bestehen, die auch durch konsequentes
Befolgen von Ratschlägen zur Lebensführung
(Alkohol, Rauchen, Ernährung) nicht gebessert
werden können, kommen als Ultima Ratio
schlafanstoßende bzw. schlafharmonisierende Medikationen in Frage. Den vielfältigen
naturheilkundlichen Ansätzen ist wegen der
schnellen Gewöhnungseffekte von GABA-ergen Medikationen stets der Vorzug zu geben.
Hier sind unter vielen anderen zunächst Baldrian, Hopfen, Melisse und Lavendel zu nennen. L-Tryptophan und Melatonin sind ebenfalls gebräuchlich.
Schlagen aber alle diese Therapieversuche
fehl, sollte an die gelegentliche Gabe von originären „antianxiety and sleep inducing
drugs“ gedacht werden. Hier bieten sich Clonazepam und „Nicht-Benzodiazepin“-Hypnotika (z. B. Zolpidem) als „Alternative“ an. Deren
z. T. höheres Gewöhnungspotenzial gilt es
aber besonders zu beachten. Eine amerikanische Leitlinie empfiehlt in schweren Fällen von
Insomnie sogar die Kombination von Zolpidem oder Zopiclon mit Zaleplon für die kürzeste erforderliche Zeit.
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Cave NSAR
Entzündungshemmer wie NSAR sind dagegen
und allenfalls von beschränktem Nutzen in der
Kurzzeitanwendung , aber nur wenn eine signifikante Inflammation vorliegt oder Arthritiden bzw. aktivierte Arthrosen im Gesamtbild
eines Fibromyalgiesyndroms gleichzeitig ausgeprägt sind. Die neuropathischen und vegetativen Symptome des Fibromyalgiesyndroms
sprechen schon theoretisch kaum auf eine
Entzündungshemmung an und die potenziellen Risiken (gastroenterologisch, kardiologisch, thromboembolisch und nephrologisch)
einer Cyclooxygenasehemmertherapie übersteigen bekanntermaßen in der Langzeitanwendung häufig den erwartbaren Nutzen.
Muskelrelaxanzien nutzlos?
Muskelrelaxanzien sind nur selten oder gar
nicht indiziert, allenfalls dann, wenn der führende Befund eine erhöhte somatisch feststellbare Tender- und Triggeraktivität wäre. Das
noch einsetzbare Spektrum an so bezeichneten Muskelrelaxanzien ist jüngst von der EMA
(Europäischen Arzneimittelbehörde) deutlich
begrenzt worden: Tetrazepam ist seit 1. August
2013 nicht mehr verordnungsfähig, Tolperison
steht nur noch bei Spastizität nach Schlaganfällen zur Verfügung und das muskelrelaxierende Analgetikum Flupirtin wurde mit schar-
fen Auflagen belegt (jede Woche Leberwerte,
14 Tage maximale Anwendungsdauer). Alle
anderen Muskelrelaxanzien haben bis auf
Methcarbamol ohnehin keine Zulassung für
„einfache“ Muskelverkrampfungen (Baclofen,
Botulinumtoxin o. ä.).
Opioidanalgetika überbewertet
Der Einsatz von Opioiden entbehrt ebenfalls
bis auf wenige Ausnahmen einer belastbaren
Studienlage und die praktischen Erfahrungen
sprechen in der Regel gegen deren Einsatz, obwohl erfahrungsgemäß viele Fibromyalgiepatienten auf Opioide in Langzeittherapie eingestellt sind. Bei Fibromyalgiepatienten sind die
endogenen Opioidspiegel (Endorphine u. a)
meist erhöht, aber gleichzeitg ist die Opiatrezeptorendichte vermindert. Dies reduziert die
Wirkchance oral oder anders verabreichter
Opioide erheblich. Einzig Tramadol, ein relativ
schwacher m-Agonist mit zusätzlichen Wirkungen auf Serotonin- und Noradrenalinrezeptoren, ist bezüglich Schmerz bei Fibromyalgie
positiv beschrieben. Die komplexen Neurotransmittereffekte des Tramadol dürften die
neurophysiologische Begründung der Wirkung
von Tramadol bei Fibromyalgiesyndrom eher
erklären als die Opioidwirkung. Tapentadol, das
eine dem Tramadol ähnliche Struktur besitzt,
könnte theoretisch ebenfalls positive Wirkungen haben, weil auch hier Neurotransmittereffekte (Noradrenalin Reuptakehemmung)
und Opioidwirkung kooperieren. Studien und
Erfahrungen gibt es dazu bislang aber nicht.
Fazit
Wichtig bei dem Fibromyalgiesyndrom ist eine
ausführliche Aufklärung der Patienten sowie
eine Konzentration auf die nichtmedikamentöse Therapie und die Fokussierung auf das
aktive Selbstmanagement (Kasten 2 und 3 ).
Im Einzelfall sollten alle möglichen Interventionen geprüft werden. Die Kombination einer
Vielzahl von Therapieansätzen aus den Bereichen Physiotherapie, Sporttherapie, Psychotherapie und physikalischer Therapie (multimodale Therapie) mit ggf. medikamentöser
Facilitierung hat dabei nicht nur theoretisch
die besten Erfolgsaussichten. ■
Oliver Emrich, Ludwigshafen
Literatur beim Verfasser
Erklärung zu Interessenkonflikten:
Der Autor erklärt, dass er sich bei der Erstellung des Beitrags von keinen
wirtschaftlichen Interessen leiten ließ und dass keine potenziellen
Interessenkonflikte vorliegen. Der Verlag erklärt, dass die inhaltliche
Qualität des Beitrags von zwei unabhängigen Gutachtern geprüft
wurde. Werbung in dieser Zeitschrift hat keinen Bezug zur CMEFortbildung. Der Verlag garantiert, dass die CME-Fortbildung sowie die
CME-Fragen frei sind von werblichen Aussagen und keinerlei
Produktempfehlungen enthalten. Dies gilt insbesondere für Präparate,
die zur Therapie des dargestellten Krankheitsbildes geeignet sind.
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
Zertifizierte Fortbildung
Fibromyalgiesyndrom:
Aktuelle Empfehlungen gegen den Schmerz
© Erik Liebermann
Hier können Sie CME-Punkte sammeln. Die Multiple-Choice-Fragen beziehen sich auf den vorangegangenen Fortbildungsbeitrag (S. 8–10). Die Antworten ergeben sich aus dem Text. Wenn Sie mindestens 70 % der Fragen richtig beantworten, erhalten Sie 2 CME-Punkte, bei 100 % 3 CME-Punkte.
Teilnehmen können Sie nur in der Springer Medizin e.Akademie unter
www.springermedizin.de/kurse-schmerzmedizin (Einzelheiten siehe unten).
Teilnahmeschluss ist der 10. September 2014.
CME-Herausgeber- und Review-Board: Oliver Emrich, Ludwigshafen; Johannes Horlemann,
Kevelaer; Klaus Längler, Erkelenz; Silvia Maurer, Bad-Bergzabern; Dr. Gerhard Müller-Schwefe,
Göppingen; Michael A. Überall, Nürnberg, in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landesärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie e.V. – DGS
?Welches Symptom ist NICHT charakteristisch
für das Fibromyalgiesyndrom?
oweit ausgebreitete Schmerzen
oMuskelschmerzen
oMüdigkeit und nicht erfrischender Schlaf
oWahrnehmungsstörungen, Angst u. Depression
oMigräneattacke
?Welche pathophysiologischen Veränderungen
finden sich NICHT beim Fibromyalgiesyndrom
in Untersuchungen und als Interpretation von
Befunden?
oVeränderungen der zentralen Schmerzverarbeitung
operiphere neuronale Veränderungen im Sinne
eines „Small Fiber Disease“
eine Störung der Hypothalamus-Hypophysen-Neo
bennierenrinden-Achse
ozuweilen auch eine Erhöhung proinflammatorischer Cytokine (IL-8)
oerhöhter Blutdruck
? Welche Aussage(n) trifft/treffen zu?
Schmerzen beim Fibromyalgiesyndrom
1. treten meist präfrontal am Kopf auf.
2. treten ausschließlich an den sog. Triggerpunkten
auf.
3. betreffen viele (auch wechselnde) Körperstellen,
vorzugsweise Muskulatur und Sehnen-Knochenübergänge.
4. treten zusammen mit Müdigkeit, Depressionen
und Schlafstörungen auf.
oNur Aussagen 3 und 4 sind richtig.
oNur Aussage 1 ist richtig.
oNur Aussage 2 ist richtig.
oNur Aussagen 1 und 4 sind richtig.
oAlle Aussagen sind richtig.
? Welches sind Forderungen der aktualisierten
ACR-Kriterien von 2010?
1. großflächige Schmerzen nach dem sog. „Widespread pain index“ (WPI, i.e. Anzahl der Schmerzareale im Körperschema mind 3–6 von maximal
19) plus eine definierte Anzahl (mindestens 5)
einer Symptomschwere-Skala (SS Scale) mit den
Kriterien: Müdigkeit, unerfrischtes Erwachen,
kognitive Störungen und somatische allgemeine
Symptome
2. Die Symptome müssen auf einem ähnlichen Niveau
schon mindestens 3 Monate bestehen
3. Es besteht keine andere Krankheit, die die Symptome erklärt
4. 11 von 18 definierten Tenderpoints
oNur Aussagen 3 und 4 sind richtig.
oNur Aussage 1 ist richtig.
oNur Aussage 2 ist richtig.
oNur Aussagen 1 und 4 sind richtig.
oNur Aussagen 1, 2 und 3 sind richtig.
? Welche Erkrankung unter anderen ist differenzialdiagnostisch von einem Fibromyalgiesyndrom abzugrenzen?
orheumatoide Arthritis
oHerzinsuffizienz
operiphere arterielle Verschlusskrankheit
oDiabetes mellitus
oTumorschmerzen
? Bei der medikamentösen Therapie des Fibromyalgiesyndroms werden NICHT empfohlen
oDuloxetin
otrizyklische Antidepressiva (z. B. Amitriptylin)
oAntikonvulsiva wie Pregabalin und Gabapentin
onichtsteroidale Antirheumatika
oselektive Serotoninwiederaufnahmehemmer
? Welche Behandlungen eignen sich NICHT zur
nichtmedikamentösen Behandlung des Fibromyalgiesyndroms?
oAusdauertraining
oEntspannungstechniken wie Yoga, Tai-Chi
oPsychotherapie
oMassagen
oSporttherapie
? Welche Substanzen sollte eine medikamentöse
Therapie des Fibromyalgiesyndroms – falls erforderlich – beinhalten?
oRetardopioide
oTransdermales Fentanyl
oAntikonvulsiva in Kombination mit Antidepressiva
oMyotonolytika
oKalziumantagonisten
? Welche naturheilkundliche Substanz sollte NICHT
gegen Schlafstörungen eingesetzt werden?
oBaldrian
oHopfen
oMelisse
oLavendel
oPfefferminze
?Welches Therapiekonzept eignet sich zur Be-
handlung des schweren Fibromyalgiesyndroms?
onur Ausdauer- und Funktionstraining
omindestens ein psychologisches/psychotherapeutisches Verfahren in Kombination mit einem körperlich aktivierenden Verfahren
onur eine Kombination verschiedener Medikamente
onur Gesprächstherapie
onur Entspannungstechniken
So kommen Sie zu Ihren Punkten:
1. Auswählen: Gehen Sie auf www.springermedizin.de/eakademie und geben Sie die FIN SM1302Dc in die Suchmaske ein, Sie gelangen direkt zur gesuchten Fortbildung. Alternativ
können Sie auch den Internet-Link www.springermedizin.de/kurse-schmerzmedizin verwenden.
2. Anmelden/Registrieren: Falls Sie noch keinen Springer-Medizin-Zugang haben, bitten wir Sie, sich ein­malig zu registrieren. Nur so können wir sicher­stellen, dass Sie als Mitglied
einer medizinischen Fachgruppe ­berechtigt sind, die Kursinhalte zu sehen. Ihre persönlichen ­Zugangsdaten erhalten Sie dann per E-Mail. Sie sind bereits bei Springer Medizin registriert? Dann geben Sie einfach Ihre persönlichen Zugangsdaten ein, diese gelten auch für die e.Akademie.
3. Teilnehmen: Wenn Sie sich erfolgreich angemeldet haben, können Sie eine PDF-Version des Fortbildungsbeitrags herunterladen und den Fragebogen bearbeiten. Bitte beachten Sie,
dass die Anordnung der Frage-Antwort-­Kombinationen zu­fällig erfolgt, also nicht der Reihenfolge im Heft entspricht. Es ist immer nur eine Antwort pro Frage möglich.
4. CME-Punkte sammeln: Direkt nach der Teilnahme erfahren Sie, ob Sie bestanden haben. 7–9 richtige Antworten: 2 CME-Punkte, 10 richtige Antworten: 3 CME-Punkte. Falls es im
ersten Anlauf nicht klappt, können Sie den Kurs einmal wiederholen. Ihre Punkte werden automatisch an die für Sie zuständige Landes­ärztekammer übertragen. Bei Bedarf können Sie
sich auch selbst eine Bestätigung ausdrucken und aufbewahren bzw. bei Ihrer Landes­ärztekammer einreichen
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
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Ernährungsmedizin/Ganzheitliche Schmerzmedizin
Vitamin D: ein unterschätztes Hormon?
Vitamin D ist für seine wichtige Funktion bei der Knochenmineralisation hinreichend bekannt. Aber es hat vermutlich auch antiproliferative, immunmodulatorische und antitumorale Effekte und wirkt auf Parathormon-, Insulin- und Thyroxinsekretion. Den hohen Stellenwert von Vitamin D für die Sturz- und Frakturprophylaxe im Alter erläutert Dr. med. Silvia Maurer, Bad Bergzabern.
Silvia Maurer,
Bad Bergzabern
V
itamin D ist ein fettlösliches Vitamin, das
im Körper gespeichert wird. Seine Synthese erfolgt in der Haut. Außerdem wird es in
sehr geringem Maße über die Nahrung aufgenommen.
In der Haut kann Vitamin D durch Lichteinfluss synthetisiert werden. Hierzu ist bei jüngeren Menschen mit heller Haut eine Sonnenexposition von ca. 10 bis 20 Minuten um 12 Uhr
mittags mit einer Bestrahlung von ca. 5 % der
Hautoberfläche (Gesicht, Arme oder Hände)
ausreichend (Tabelle 1).
Mangel droht nicht nur im Alter
Bei älteren Menschen sinkt die Zahl der Vitamin-D-Rezeptoren in der Haut, und auch die
Syntheseleistung nimmt ab. Eine weitere Risikogruppe sind Menschen dunkler Hautfarbe,
deren Melaningehalt in der Haut die VitaminD-Produktion deutlich vermindert. Sie benöti-
gen die sechsfache Sonnenbestrahlung, um
eine ausreichende Menge an Vitamin D zu produzieren. Auch Patienten, die mit Antikonvulsiva therapiert werden, haben häufig einen
Vitamin-D-Mangel, da es durch Antikonvulsiva
zu einem akzelerierten Vitamin-D-Abbau kommen kann.
Empfehlungen der DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V.) für die Vitamin-DAufnahme durch die Ernährung liegen bei
5µg/Tag (1 µg=40 Internationale Einheiten
[IE]). Die Ergebnisse der Nationalen Verzehrstudie zeigen, dass 82 % der Männer und
91 % der Frauen die empfohlene Vitamin-DZufuhr über die Nahrung nicht erreichen. So
liegt der Median der Vitamin-D-Aufnahme
bei Männern bei 2,8 µg/Tag, bei Frauen nur
bei 2,3 µg/Tag. Auch Säuglinge – sowohl gestillte als auch nicht gestillte – können ihren
Vitamin-D-Bedarf nicht durch die Nahrung
decken. Durch verminderte Sonnenexposition, wie z. B. im Winter, wird bei ihnen in
unseren Breitengraden praktisch kein Vitamin D synthetisiert.
Optimierung der Zufuhr
Den höchsten Anteil an Vitamin D enthalten
Fettfische, hier insbesondere geräucherter Aal
mit 90 µg/100 g und Heringe mit 31 µg/100 g.
Vitamin D ist zudem in geringen Mengen in
Pilzen (Champignons, Pfifferlingen und Stein-
pilzen), in mit Vitamin D angereicherter Margarine und Butter enthalten. Dennoch erreichen fast 60 % der Bundesbürger nicht die
wünschenswerte Blutkonzentration von
25-Hydroxy (OH)-Vitamin D3 (Calcidiol), des
besten Markers zur Bestimmung der mittelbis längerfristigen Vitamin-D-Versorgung
eines Organismus.
Im mittleren Osten und in Asien ist die Sonneneinstrahlung zwar ausreichend hoch, aber
durch die Verschleierung der Haut kann ebenfalls kein Vitamin D gebildet werden.
Synthese und Speicherung
Vitamin D ist das einzige Vitamin, das der Körper selbst synthetisieren kann und das im Körper die Eigenschaft eines Hormons annimmt.
Unter dem Einfluss von Ultraviolett (UV)-BStrahlung von mindestens 18 mJ/cm² mit Wellenlängen im Bereich von 290 bis 315 nm wird
aus 7-Dehydrocholecalciferil (Provitamin D3)
Vitamin D3 (Cholecalciferol) synthetisiert. Aus
diesem entsteht in der Leber Calcidiol. Dieses
hat im Blut eine Halbwertszeit von ca. 19 Tagen.
Danach wird – primär in der Niere – durch
Hydroxylierung der aktiven Metaboliten
1, 25-(OH)2-Vitamin D3 (Calcitriol) gebildet.
Dieses ähnelt in seiner Molekülstruktur
einem Steroidhormon. Calcitriol wird durch
24-Hydroxylase zur wasserlöslichen Calcitroinsäure abgebaut und über die Galle ausgeschieden.
Vitamin D wird in erster Linie im Fett- und
Muskelgewebe des menschlichen Körpers gespeichert, in geringeren Mengen auch in der
Leber. Die Speicherkapazität trägt zur VitaminD-Versorgung im Winter bei.
Funktion und Wirkung
Hauttyp I/II (helle bis sehr helle
Hautfarbe, hellrotes oder blondes
Haar, blaue oder grüne Augen)
Hauttyp III (mittlere Hautfarbe,
dunkle Haare, braune Augen)
Hinreichend bekannt ist die Funktion von Vitamin D im Kalzium- und Phosphatstoffwechsel: Das Vitamin steigert die intestinale Kalziumabsorption aus der Nahrung und fördert
gleichzeitig die tubuläre Rückresorption in
den Nieren. Abhängig von der Kalzium-Blutplasmakonzentration fördert Vitamin D im
Knochen entweder die Mineralisation oder die
Mobilisierung von Kalzium.
März bis Mai
10 bis 20 Minuten
15 bis 25 Minuten
Weniger Stürze und Frakturen
Juni bis August
5 bis 10 Minuten
10 bis 15 Minuten
September bis Oktober
10 bis 20 Minuten
15 bis 25 Minuten
In einer Metaanalyse von hauptsächlich mit
älteren Patienten durchgeführten klinischen
Studien konnte eine dosisabhängige Sen-
Tab. 1: Dauer der zur körpereigenen Vitamin-D-Bildung empfohlenen Sonnenlichtbestrahlung bei verschiedenen Hauttypen in Abhängigkeit von der Jahreszeit (modifiziert nach
Daten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung [DGE])
Monate
12
Dauer der Sonnenlichtbestrahlung
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
Ernährungsmedizin/Ganzheitliche Schmerzmedizin
In neueren Studien untersucht wurde die Wirkung von Vitamin D auf Herz-Kreislauferkrankungen und Krebserkrankungen, insbesondere Mamma-, Prostata- und Kolon-Karzinome.
Erste Daten zeigen, dass niedrige VitaminD-Spiegel mit einem erhöhten Risiko für HerzKreislauferkrankungen einhergehen. Ebenso
wurde nachgewiesen, dass das Erkrankungsrisiko unter Substitution von Vitamin D sinkt.
So war in der Studie HPFS (Health Professionals Follow-up Study) das Risiko für einen
Myokardinfarkt bei Männern mit Vitamin-DMangel (Plasma-Calcidiol ≤15 ng/ml) um den
Faktor 2,4 höher als bei Gleichaltrigen mit
einem Vitamin-D-Spiegel von ≥30 ng/ml Plasma-Calcidiol. In die Studie eingeschlossen
wurden 18.225 Männern im Alter zwischen 40
und 75 Jahren. Dies gilt auch, wenn zusätzliche Risikofaktoren für eine koronare Herzkrankheit (KHK), wie z. B Adipositas, Hypertonie etc., vorliegen.
In einer weiteren, mit rund 19.000 Patienten durchgeführten Studie wurde gezeigt,
dass Menschen mit stark erniedrigtem Vitamin-D-Spiegel ein um etwa ein Drittel erhöhtes Risiko für Atemwegsinfekte besitzen. Bei
Asthma steigt das Risiko sogar auf das Fünffache an.
Bei Kolon-Karzinomen gibt es Evidenz für
die protektive Wirkung eines ausreichenden
Vitamin-D-Spiegels. Hingegen sind beim
Mamma-Karzinom die Daten uneindeutig.
Beim Prostata-Karzinom spielt der Vitamin-DSpiegel keine Rolle.
Analgesie durch Vitamin D?
In einer Pilotstudie wurde Kindern und Jugendlichen mit Sichelzellanämie und
Schmerzen über sechs Wochen Vitamin D p.o.
in Dosierungen von 4.000 bis 100.000 IE pro
Woche oder Placebo verabreicht. Zu Beginn
der Studie konnte bei 82,5 % eine Vitamin-DInsuffizienz und bei 52,5 % ein Vitamin-DMangel nachgewiesen werden. Der prospektive Beobachtungszeitraum betrug sechs
Monate.
Durch Gabe einer Hochdosis an Vitamin D
stieg zum einen der Calcidiol-Spiegel im Serum an, zum anderen hatten die Kinder und
Jugendlichen deutlich weniger Schmerzen
und waren körperlich aktiver als diejenigen in
der Placebogruppe
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
modifiziert nach Lips P et al., J Intern Med 2006, 260:245–254
Schutz vor Krebs und Infarkten?
Abb. 1: Prävalenz einer Vitamin-D-Unterversorgung – definiert als Calcidiol-Serum-Konzentration <30 ng/ml nach den Ergebnissen einer cross-sektionalen, internationalen Studie (n=2.589)
100
Prävalenz für eine
Vitamin-D-Unterversorgung (%)
kung des Sturz- und Frakturrisikos durch Vitamin D gezeigt werden. Auch Muskelschmerzen, -schwäche und -funktionsverlust
werden bei Vitamin-D-Mangel häufiger registriert.
81,8
80
71,4
63,9
60
53,4
60,3
57,7
40
20
0
Gesamt
Lateinamerika
Europa
Abklärung eines Vitamin-D-Mangels
Wie bereits ausgeführt, wird Calcidiol zur Bestimmung des Vitamin-D-Status herangezogen. Die minimale wünschenswerte CalcidiolKonzentration beträgt zwischen 70 und
80 nmol/l (entsprechend 28–32 ng/ml). Der
durchschnittliche ältere Mensch benötigt 800
bis 1.000 IE Vitamin D/Tag, um einen CalcidiolSerum-Spiegel von 28–32 ng/ml zu erreichen.
Die folgenden Werte für Calcidiol-SerumSpiegel dienen der Orientierung:
●●
normal: 30–50 ng/ml,
●●
leichter Vitamin-D-Mangel: 20–29 ng/ml,
●●
moderater Vitamin-D-Mangel: 11–19 ng/
ml,
●●
schwerer Vitamin-D-Mangel: <10 ng/ml.
Folgende Laborparameter sind bei einem ausgeprägten Vitamin-D-Mangel verändert:
●●
Kalzium im Serum: erniedrigt,
●●
alkalische Phosphatase: erhöht,
●●
Serumphosphat: erniedrigt,
●●
Parathormon: erhöht.
Therapie des Vitamin-D-Mangels
In der Osteoporose-Therapie ist Vitamin D als
ein wichtiger Baustein etabliert. Man konnte
nachweisen, dass aus Dosierungen >700 IE
eine Zunahme der Knochendichte resultiert
und eine Senkung der Frakturrate erzielt wird.
Jedoch liegt bei Osteoporosepatienten trotz
einer Vitamin-D-Supplementierung häufig
weiterhin ein Vitamin-D-Mangel vor, so dass
nach den aktuellen Leitlinien des Dachverbandes der osteologischen Gesellschaften (DVO)
eine Supplementierung von 800–2.000 IE/Tag
anzustreben ist. Besteht bereits ein Vitamin-DMangel, kann diese Dosis individuell auch
deutlich überschritten werden. Die Gefahr
einer Überdosierung besteht hier nicht.
Säuglinge und Kleinkinder sollten zur Rachitisprophylaxe in den Monaten September
bis Mai 500 IE Vitamin D/Tag p. o. verabreicht
bekommen. International wird eine Calcidiol-
Mittlerer Osten
Regionen
Asien
Australien
Serum-Konzentration von 75 nmol/l als optimal angesehen.
Unerwünschte Wirkungen und
Kontraindikationen
Vitamin D hat eine große therapeutische Breite. Die EU hat einen Blutspiegelwert von
80 ng/ml als Grenze festgelegt, unterhalb derer keine gesundheitsschädigende Wirkung zu
erwarten sind. Dies entspricht einer täglichen
Aufnahme von 4.000 IE. Vermutlich wirkt erst
ein Vitamin-D-Serum-Spiegel von mehr als
200 ng/ml toxisch. Eine chronische Überdosierung bei Erwachsenen ist erst bei einer täglichen Zufuhr von 40.000 IE über viele Monate
zu erwarten.
Bei einer Hypervitaminose ist Calcidiol verglichen mit dem Normalzustand um das zweibis fünfzehnfache erhöht.
Eine Vitamin-D-Überdosierung führt zu
einer vermehrten Kalziumresorption aus Darm
sowie Knochen und daher zu einer Hyperkalziämie und Hyperkalziurie. Dies führt eventuell zur Bildung von Nierensteinen und – sofern
die Überdosierung mit ihren Folgen länger besteht – zu einer Niereninsuffizienz. Weitere
Symptome bei chronischer Überdosierung
sind: Anorexie und Gewichtsverlust, Erbrechen, Verstopfung, Bauchkrämpfe, Bluthochdruck, Psychosen sowie Muskel-, Sehnen- und
Kopfschmerzen.
Fazit
Vitamin D scheint nicht nur im Bereich des
Knochenstoffwechsels, sondern auch bei vielen anderen Vorgängen eine wichtige Funktion zu übernehmen. Um dies zu untermauern, sind allerdings noch weiterführende größere prospektive Studien notwendig. ■
Silvia Maurer, Bad Bergzabern
Literatur bei der Verfasserin
13
Palliativmedizin
Zum Verhältnis von Intensiv- und Palliativmedizin –
eine kritische Fallbetrachtung
Akute Erkrankungen bei Hochbetagten, die eine intensivmedizinische Therapie
erfordern, stellen Angehörige und auch Klinikärzte/Intensivmediziner plötzlich
vor schwierige Entscheidungen. Ein vorschneller Therapieabbruch ist bei den oft
atypischen Verläufen mit Durchgangsdelirien selten angezeigt, warnt Dr. med.
Johannes Horlemann, DGS-Vizepräsident, Kevelaer, anhand einer Kasuistik aus
seiner Schmerzpraxis. Beizeiten erstellte Patientenverfügungen können Ältere
und ihre Angehörigen vor dramatischen Entscheidungskrisen auf der Intensivstation bewahren, wenn sie Teil eines fortlaufenden Dialogs sind.
Johannes
Horlemann,
Kevelaer
Ananmese und Vorgeschichte
Stationärer Aufnahmebefund
Therapieabbruch?
Der 86-jährige Patient wird seit vielen Jahren
hausärztlich wegen einer arteriellen Verschlusskrankheit, begleitet von Diabetes
mellitus Typ 2b, einem Bluthochdruck mit
Herzinsuffizienz, sowie einer chronisch-obstruktiven Bronchitis behandelt. Trotz zunehmender Einschränkungen der Belastbarkeit,
insbesondere durch Dyspnoe, ist der Patient
in der Lage, gemeinsam mit seiner zwei Jahre
jüngeren Ehefrau eine unabhängige Lebensführung auszugestalten.
Manifeste Einschränkungen durch hirnorganische Funktionsstörungen oder altersbedingte Veränderungen in der Auffassungsgabe, Konzentration, oder im Gestaltungswillen sind nicht auffällig. Der Patient ist in der
Lage, mit einem Elektrofahrrad in dem Dorf
umherzufahren, das er bewohnt. Mit seinen
fünf Kindern und den Enkelkindern pflegt er
intensiven familiären Kontakt.
Der Patient wacht eines Morgens mit akuter
Luftnot und Stenokardie aus dem Schlaf auf,
der herbeieilende Notarzt weist den Patienten mit der Diagnose einer akuten kardialen
Dekompensation auf die Intensivstation des
nahe gelegenen Krankenhauses ein. Die
Durchuntersuchung des Patienten ergibt,
neben dem Ausschluss eines Herzinfarktes,
eine kardiopulmonale Dekompensation mit
einer Herzinsuffizienz im Endstadium, mit
ventrikulären Herzrhythmusstörungen.
Als Nebenbefund wird eine Fraktur des
LWK 4 gesichert, die vermutlich durch ein
Sturzereignis im Rahmen des Notfalleinsatzes aufgetreten ist. Es fällt gleichzeitig eine
fortgeschrittene Osteopenie auf, die wahrscheinlich im Rahmen einer intermittierenden, langjährigen Verwendung von Kortikoiden in unterschiedlichen Dosen zu erklären
ist.
Am Tag nach der Aufnahme des Patienten auf
der Intensivstation schlägt der behandelnde
Arzt den Angehörigen vor, die Behandlung
des Patienten aufgrund der multiplen fortgeschrittenen Erkrankungen einzustellen. Der
Patient wird durchgehend beatmet bei nicht
zufriedenstellender Sauerstoffsättigung. Der
Patient ist delirant und erkennt seine eigenen
Angehörigen nicht mehr. Die Besuchssituation ist für die Angehörigen sehr belastend,
weil der Patient aggressiv reagiert und offenbar unter optischen Halluzinationen leidet. Er
ist sehr unruhig und muss zeitweilig fixiert
werden.
Der frühe Vorschlag eines Behandlungsabbruchs kann Patienten das Leben nehmen
Fehlende Patientenverfügung
Der Vorschlag des Therapieabbruchs löst in der
Familie des Patienten zwiespältige Reaktionen
aus. Einige Angehörige möchten den Patienten nicht länger in „unwürdigem Zustand“ leiden lassen, darunter auch seine Ehefrau. Zwei
der Kinder verstehen ihren Vater als eine Person, die in ihrem Leben immer„gekämpft“ hat.
Eine Patientenverfügung liegt nicht vor. Das
Dilemma dieser innerfamiliären Kontroverse
spitzt sich weiter zu, als am nächsten Tag, im
übrigen ohne dass der Patient Fieber bekam,
eine Röntgenaufnahme des Thorax eine zentrale Pneumonie aufdeckt. Die Fragestellungen
zwischen passiver Sterbehilfe, dem Recht des
Patienten auf einen würdigen Tod, auf der anderen Seite eines Abschieds, auf den verschiedene Angehörige nicht vorbereitet sind, erscheint nicht auflösbar.
Antibiose eingeleitet
© imago
Wegen der ungeklärten Situation wird der
Patient, auf Betreiben eines Teils der Familie,
mit einem Breitbandantibiotikum behandelt.
14
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
Palliativmedizin
Alle Teile der Familie fühlen sich unwohl, sowohl die Befürworter als auch die Skeptiker.
Nach weiteren drei Tagen, die der Stationsarzt der intensivmedizinischen Einrichtung
als palliative Situation in den letzten Tagen
des Lebens versteht und kommuniziert,
kommt es überraschender Weise zu einem
Aufklaren des Patienten, der nach fünf Tagen
schließlich seine Besucher wieder erkennt.
Zwar ist sein Allgemeinzustand weiterhin
dramatisch schlecht, jedoch bestehen keine
manifesten hirnorganischen Defizite. Daraufhin festigt sich auch bei den behandelnden
Ärzten die Ansicht, dass eine maximale Weiterbehandlung nach intensivmedizinischen
Kriterien sinnvoll ist.
Geriatrische Rehabilitation gelingt
Der Patient konnte nach weiteren zehn Tagen
die Intensivstation verlassen, nach weiteren
zwei Wochen konnte er in eine geriatrische
Rehabilitationsklinik entlassen werden. Dort
wurde er weiter mobilisiert und konnte nach
drei Wochen, versehen mit einem Rollator,
schließlich die Klinik nach Hause verlassen.
Plädoyer für Patientenverfügung
Welche Lehren können aus einem solchen
Verlauf gezogen werden? Hier mein Vorschlag:
1. Wer keine Patientenverfügung besitzt, lässt
Angehörige im Unklaren über seinen mutmaßlichen Willen. Er läuft Gefahr, dass vorzeitig Behandlungen beendet werden, obwohl eine medizinische Chance auf eine
Rehabilitationsphase besteht.
2. Bedenklicher ist die Interpretation von Palliativmedizin auf Intensivstationen: Der
frühe Vorschlag eines Behandlungsabbruchs kann Patienten das Leben nehmen.
Im Extremfall bedeutet eine solche Interpretation der Palliativmedizin, dass Patien-
ten Notwendiges vorenthalten werden
könnte.
3. Altersverläufe klassischer geriatrischer Erkrankungen können sich atypisch darstellen, sodass es vorschnell zu palliativmedizinischen Überlegungen bei Behandlern
einlädt. Es ist den Patienten zu wünschen,
dass dann Angehörige auftreten, die ihre
Behandlungsansprüche durchsetzen.
Der Betroffene Patient lebt wieder zu Hause,
das Wohnhaus ist inzwischen behindertengerecht umgebaut worden. Nicht nur bei ihm
selbst, sondern auch in seiner Familie ist das
Bewusstsein gegenüber lebensbegrenzenden Bedrohungen geschärft worden. Ob alle
Beteiligen nun auf neue Rückschläge besser
vorbereitet sind?
■
Johannes Horlemann, Kevelaer
Deutscher Schmerzpreis 2014 ausgeschrieben
Die Deutsche Gesellschaft für
Schmerztherapie e.V., Trägerin des
Deutschen Schmerzpreises, verleiht
seit 1986 in regelmäßiger Folge zusammen mit der Deutschen Schmerzliga e. V. jährlich den DEUTSCHEN
SCHMERZPREIS – Deutscher Förderpreis für Schmerzforschung und
Schmerztherapie. Mit ihm werden
Persönlichkeiten ausgezeichnet, die
sich durch wissenschaftliche Arbeiten
über Diagnostik und Therapie akuter
und chronischer Schmerzzustände
verdient gemacht oder die durch ihre
Arbeit oder ihr öffentliches Wirken
entscheidend zum Verständnis des
Problemkreises Schmerz und den
davon betroffenen Patienten beigetragen haben.
Verliehen wird der Deutsche Schmerzpreis im Rahmen des Deutschen
Schmerz- und Palliativtages 2014 in
Frankfurt/Main. Er wird von der Firma
Mundipharma Vertriebsgesellschaft
mbH u. Co. KG, Limburg, gestiftet und
ist mit 10.000 EURO dotiert.
Nominierungen und Bewerbungen
müssen bis spätestens 31. Oktober 2013
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
bei der Geschäftsstelle eingereicht werden. Die Wahl erfolgt durch eine unabhängige Jury und den wissenschaftlichen
Beirat.
Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V., Adenauerallee 18,
61440 Oberursel
Die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V. ist die größte europäische
Schmerzfachgesellschaft. Ihr Ziel ist
die Förderung der Algesiologie als der
Wissenschaft vom Schmerz, die Verbesserung der schmerztherapeutischen
Versorgung, die Fort- und Weiterbildung
sowie die Gründung interdisziplinärer
schmerztherapeutischer Kolloquien.
Die Deutsche Schmerzliga e. V. ist die
Interessenvertretung der Schmerzpatienten. Ihr Ziel ist eine bessere Lebensqualität für Menschen mit chronischem
Schmerz durch eine qualifizierte
schmerztherapeutische Versorgung.
Die Deutsche Schmerzliga vermittelt
Informationen über den chronischen
Schmerz sowie über dessen Diagnostik und Therapie und unterstützt die
Bildung von Selbsthilfegruppen. In
der Öffentlichkeit setzt sich die Deutsche Schmerzliga für die Anliegen der
Schmerzpatienten ein.
15
Medizin und Recht
Richtgrößenprüfungen – was ist wirtschaftlich?
Dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V kommt in der vertragsärztlichen Versorgung eine hohe, wenn nicht überragende, und in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine immer noch zunehmende Bedeutung zu. Seiner Einhaltung dienen die vom Gesetzgeber vorgesehenen Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Ihnen liegt die Annahme zugrunde, dass
nicht alle indizierten und korrekt erbrachten bzw. verordneten Leistungen wirtschaftlich und damit gerechtfertigt sind. Das
Instrument der Richtgrößenprüfung zur Prüfung ärztlich verordneter Leistungen, d. h. von Arznei- und Verband- sowie von
Heilmitteln, ist nicht neu. Erst 2005 kam es jedoch zu einer flächendeckenden Einführung von Richtgrößen und ab 2007
in entsprechendem Umfang zu Richtgrößenprüfungen. Was Richtgrößenprüfungen für die Arztpraxis bedeuten, erläutert
Rechtsanwalt Dr. Ralf Clement, Sindelfingen.
Ralf Clement,
Sindelfingen
2008 oder 2009 umgestellt. Ein weiteres Problem waren die – wie sich im Nachhinein herausstellte – ungenauen Arzneimittelinformationen der kassenärztlichen Vereinigungen. Es
gab Fälle, in denen diese ein Verordnungsverhalten innerhalb der Richtgrößen auswiesen,
obwohl die tatsächlichen Verordnungskosten
um bis zu 100 % höher lagen.
Exorbitante Regressforderungen
B
ei der Richtgrößenprüfung handelt es sich
um eine formalisierte und im Ergebnis
verschärfte Wirtschaftlichkeitsprüfung nach
Durchschnittswerten. Maßstab der Wirtschaftlichkeit sind bei der statistischen Durchschnittsprüfung die durchschnittlichen Verordnungskosten innerhalb einer Prüfgruppe,
in der Regel einer Arztgruppe. Während bei
der herkömmlichen Prüfung nach Durchschnittswerten ein Verordnungszeitraum – zumeist mehrere Quartale – retrospektiv betrachtet wird und Maßstab die tatsächlichen
durchschnittlichen Verordnungskosten der
Arztgruppe sind, werden bei der Richtgrößenprüfung die maßgeblichen durchschnittlichen
Verordnungskosten prospektiv ermittelt – ausgehend vom vereinbarten Arzneimittelbudget
und gekürzt um einen Abschlag für zu berücksichtigende Praxisbesonderheiten. Dies hat
zur Folge, dass die Richtgrößen in der Regel
deutlich unter dem Durchschnitt der tatsächlichen Verordnungskosten im maßgeblichen
Zeitraum liegen.
In den Prüfungen für die Jahre 2005 bis
2007 kam es zu mitunter massiven Überschreitungen der Richtgrößen mit der Folge drohender Regressforderungen in zum Teil existenzbedrohender Höhe. Da die Richtgrößenprüfungen für 2005 größtenteils erst Ende 2007
eingeleitet wurden, haben die Betroffenen ihr
Verordnungsverhalten auch erst in den Jahren
16
Die zum Teil exorbitanten Regressforderungen
führten dazu, dass seitens der Gesetzgebung
zunächst die Höhe eines möglichen Regresses
für die ersten zwei Jahre der Richtgrößenüberschreitung auf insgesamt 25.000 € begrenzt
sowie zuletzt in einem weiteren Schritt eine
Beratungspflicht eingeführt wurde. Ein Erstattungsbetrag kann nicht eher als für den Prüfzeitraum nach der erstmals erfolgten Beratung
festgesetzt werden. Der Grundsatz „Beratung
vor Regress“ gilt für alle am Jahresende 2011
noch „offenen“ Verfahren: Gemeint sind damit
die Verwaltungsverfahren vor den Prüfgremien einschließlich den Beschwerdeausschüssen, nicht jedoch die sich anschließenden Gerichtsverfahren (vgl. LSG Stuttgart, Urteil vom
19.02.2013 – L 5 KA 222/13 ER-B, zitiert nach
Juris). Die gesetzliche Änderung hat das Risiko
für die an der vertragsärztlichen Versorgung
teilnehmenden Ärzte erheblich entschärft;
wer jedoch in der Vergangenheit seine Richtgrößen bereits um 25 % überschritten hatte
und nun schriftlich beraten wurde bzw. wird,
muss künftig bei erneuter Überschreitung mit
entsprechenden Regressen rechnen.
Richtgrößen
spezifisch nach Arztgruppen
Ihre rechtliche Grundlage finden die Richtgrößenprüfungen in § 106 i. V. m. § 84 SGB V sowie in den nach § 106 Abs. 3 SGB V zwischen
den Landesverbänden der Krankenkassen
und den Ersatzkassen sowie den kassenärztlichen Vereinigungen geschlossenen Prüfvereinbarungen. Ausgangspunkt für die Richtgrößenprüfungen ist das nach § 84 Abs. 6
SGB V ebenfalls zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen, den Ersatzkassen und
kassenärztlichen Vereinigungen bis zum
15.11. für das jeweils folgende Kalenderjahr
zu vereinbarende Richtgrößenvolumen, das
sich für die jeweilige Praxis aus arztgruppenspezifischen fallbezogenen Richtgrößen ergibt. Bei der Richtgrößenfestlegung sind nach
dem Willen des Gesetzgebers zum einen die
altersgemäß gegliederten Patientengruppen
zu berücksichtigten, zum anderen die Krankheitsarten. Letzteres ist in der Regel bislang
jedoch nicht der Fall. Die meisten Richtgrößenvereinbarungen weisen zwischenzeitlich
aber zumindest für an der Schmerztherapievereinbarung teilnehmende Anästhesisten
spezielle Richtgrößen aus. So beträgt die
Richtgröße in Baden-Württemberg im Jahr
2013 für Mitglieder und Familienangehörige
103,56 € sowie für Rentner 204,27 €. Allerdings wird bei den spezifisch schmerztherapeutischen Richtgrößen in der Regel nicht
berücksichtigt, wenn es sich um eine schmerztherapeutische Einrichtung im Sinne des § 4
Abs. 3 Nr. 1 der Qualitätssicherungsvereinbarung Schmerztherapie handelt, d. h. ausschließlich bzw. weit überwiegend chronisch
schmerzkranke Patienten versorgt werden.
Für diese reichen auch die speziellen Richtgrößen in der Regel nicht aus. Eine rückwirkende Anwendung von Richtgrößen ist ausgeschlossen, es sei denn, sie stellen gegenüber den bisher geltenden Richtgrößen keine
Verschlechterung dar. Allerdings kann eine
Richtgrößenprüfung zwischenzeitlich auch
auf Grundlage des Fachgruppendurchschnitts
mit ansonsten gleichen gesetzlichen Vorgaben durchgeführt werden.
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
Medizin und Recht
Dem Richtgrößenvolumen werden die tatsächlichen Verordnungskosten eines Arztes
bzw. der Praxis gegenübergestellt. Trotz zwischenzeitlich stark verbesserter Datenlage
kann es hier immer noch zu Fehlern bei der
Ermittlung des Verordnungsvolumens kommen. Insbesondere nicht zurechenbare Arzneimittelkosten sind vom Gesamtverordnungsvolumen abzuziehen. Bestehen substanziierte Zweifel an der Richtigkeit der Ermittlung des Verordnungsvolumens bzw.
kann der Arzt fehlerhaft ermittelte Verordnungskosten darlegen, so müssen diese anhand der Originalverordnungsblätter überprüft werden. Sind Verordnungen in Höhe von
über 5 % des Verordnungsvolumens betroffen,
haben die Prüfgremien das gesamte Verordnungsvolumen anhand der Originalverordnungsblätter zu prüfen bzw. einen ausreichenden Sicherheitsabschlag vom Verordnungsvolumen vorzunehmen.
Da es sich bei der Richtgrößenprüfung um
eine statistische Vergleichsprüfung handelt,
kommt es auf die Richtigkeit und Wirtschaftlichkeit der Verordnung bei einzelnen Patienten nicht an. Erforderlich ist immer ein statistischer Vergleich der behandelten Patienten
und der Kosten für die verordneten Arzneimittel mit den durchschnittlichen Fallzahlen
und Verordnungskosten der Prüfgruppe
unter besonderer Berücksichtigung einzelner
Indikationen.
Praxisbesonderheiten belegen
Bei der Ermittlung des zu berücksichtigenden
Verordnungsvolumens haben die Prüfgremien sogenannte Praxisbesonderheiten und
kompensatorische Einsparungen in Abzug zu
bringen. Praxisbesonderheiten sind aus der
Zusammensetzung des jeweiligen Patientenkollektivs resultierende Umstände, die sich
auf das Behandlungs- bzw. Verordnungsverhalten des Arztes auswirken und in den Praxen der Vergleichsgruppe nicht in entsprechender Weise anzutreffen sind. Die betroffene Praxis muss sich nach der Zusammensetzung der Patienten hinsichtlich der schwerpunktmäßig zu behandelnden Gesundheitsstörungen vom typischen Zuschnitt einer
Praxis in der Vergleichsgruppe unterscheiden. Dabei besteht eine Amtsermittlungspflicht hinsichtlich von Praxisbesonderheiten, die auf der Basis der im Prüfverfahren
vorliegenden Unterlagen offenkundig bzw.
anhand der bei der kassenärztlichen Vereinigung vorhandenen Unterlagen oder den Angaben des Arztes zumindest erkennbar sein
müssen. Im Übrigen trägt der Arzt die Darle-
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
Praxisbesonderheiten werden anhand der
verordneten Medikamente bzw. rezeptbezogen ermittelt
© johannesspreter / Fotolia.com
Verordnungskosten
versus Richtgrößenvolumen
gungs- und Beweislast für Praxisbesonderheiten. Es reicht regelmäßig nicht aus, wenn
er eine Patientenliste mit der Angabe von
Diagnosen und Behandlungen vorlegt. Vielmehr muss er spezielle Strukturen aufzeigen,
wie z. B. – bei einer schmerztherapeutischen
Einrichtung – einen erhöhten Anteil an chronischen Schmerzpatienten.
Wurde seitens der Prüfgremien das Vorliegen einer Praxisbesonderheit festgestellt, so
ist der daraus resultierende Mehraufwand zu
ermitteln. Wird hier etwa eine deutlich höhere
Anzahl an Patienten mit einer bestimmten Erkrankung behandelt, bei der die durchschnittlichen Verordnungskosten in der Prüfgruppe
höher als die veranschlagten Richtgrößen
sind, so käme es z. B. in Betracht, den sich aus
der Differenz der durchschnittlichen Verordnungskosten gegenüber den Richtgrößenwerten ergebenden Betrag als Praxisbesonderheit festzusetzen. Mittlerweile ist es üblich,
bereits im Rahmen der Prüfvereinbarungen
auf Landesebene einzelne Krankheitsbilder
bzw. Wirkstoffgruppen als Praxisbesonderheiten auszuweisen und das Verfahren für die Ermittlung des berücksichtigungsfähigen Mehraufwandes festzulegen. Leider greifen die
Prüfungsgremien dabei in vielen Fällen nicht
auf die Diagnoseverschlüsselung zurück; vielmehr werden die Fälle anhand der verordneten Medikamente bzw. rezeptbezogen ermittelt. Dies führt mitunter zu deutlichen Unschärfen, z. B. werden einem bestimmten
Krankheitsbild zuzuordnende Patienten wegen fehlender Rezeptierung bestimmter Wirkstoffe bzw. fehlender Rezeptierung in einzelnen Quartalen nicht berücksichtigt.
Beratung vor Regress
Überschreitet das Verordnungsvolumen eines
Arztes auch nach Berücksichtigung der Praxisbesonderheiten und kompensatorischen Einsparungen das Richtgrößenvolumen um mehr
als 15 %, muss eine individuelle Beratung des
Vertragsarztes zu Fragen der Wirtschaftlichkeit
und Qualität seiner Versorgung erfolgen. Beträgt die Überschreitung mehr als 25 %, so hat
der Arzt den Krankenkassen den sich daraus
ergebenden Mehraufwand zu erstatten. Die
Prüfungsstelle ist angehalten, vor ihrer Entscheidung auf eine vergleichsweise Vereinbarung mit dem Vertragsarzt hinzuwirken; sie
hat dabei die Möglichkeit, den Erstattungsbetrag um bis zu einem Fünftel zu reduzieren. Sie
kann von einer Festsetzung des zu erstattenden Mehraufwandes vollständig absehen,
wenn sie mit dem Arzt individuelle Richtgrößen vereinbart, die eine wirtschaftliche Verordnungsweise des Arztes unter Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten gewährleisten. Mit dieser Vereinbarung muss sich der
Arzt verpflichten, den Krankenkassen ab dem
Quartal, das auf die Vereinbarung folgt, jeweils
den sich aus einer Überschreitung dieser individuellen Richtgröße ergebenden Mehraufwand zu erstatten. Die Vereinbarung einer individuellen Richtgröße kann jedoch nur vor
der Festsetzung eines Regresses geschlossen
werden; während des Verfahrens vor dem Beschwerdeausschuss bzw. dem Sozialgericht ist
dies nicht mehr möglich (vgl. LSG Sachsen,
Urteil vom 30.05.2012 – L 1 KA 13/11, zitiert
nach Juris).
Widerspruch
beim Beschwerdeausschuss
Es besteht die Möglichkeit, Widerspruch
gegen die Entscheidung der Prüfungsstelle
beim Beschwerdeausschuss einzulegen. Der
Widerspruch hat – anders als das sich gegebenenfalls anschließende Klageverfahren vor
dem Sozialgericht – aufschiebende Wirkung.
Grundsätzlich ist zu beachten, dass bereits im
Verwaltungsverfahren eine sehr weitreichende Obliegenheit der Vertragsärzte zum Tatsachenvortrag besteht; nach dessen Abschluss
werden die Vertragsärzte mit einem weiteren
Sachvortrag regelmäßig nicht mehr gehört
(vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom
28.11.2012 – L 7 KA 120/08, zitiert nach Juris).
Ärzte, die beabsichtigen sich neu niederzulassen, sollten beachten, dass der in eine Berufsausübungsgemeinschaft eintretende Vertragsarzt ungeachtet etwaiger zivilrechtlicher
Regelungen für Regressansprüche der kassenärztlichen Vereinigung aus Wirtschaftlichkeitsprüfungen vergangener Quartale haftet (vgl.
LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26.07.2012 –
L 7 KA 19/12 BER, zitiert nach Juris). ■
Ralf Clement, Sindelfingen
Literatur beim Verfasser
17
Internet
Linktausch – mit wem, mit wem nicht?
Unter Linktausch versteht man das gegenseitige Verlinken auf die jeweils andere
Webseite vom eigenen Internetangebot aus. Doch Linktausch ist für unsere Zwecke eigentlich das falsche Wort – im Grunde müssen wir versuchen, im Internet
so viele Links wie möglich von anderen Webseiten aus auf unsere Homepage zu
schalten. Wobei auch das Wort „viele“ nicht falsch zu verstehen ist. Viel hilft nicht
viel. Die Qualität der Links muss stimmen. Tipps im Hinblick darauf, was beim
Linktausch zu beachten ist, gibt Hans-Jörg Andonovic-Wagner, der Webmaster
DGS, AOS-Design, Eislingen.
J
e näher eine Page am Thema der eigenen
Seite ist, um so größer ist die Wirkung auf
die Suchergebnisse in Google. Ein Link des hiesigen Fußballvereins zählt also im Fall der
Homepage eines Schmerzmediziners nicht so
viel wie z. B. ein Link von einer Homepage, die
über Schmerzen berichtet. Prüfen Sie zum Beispiel auch, ob ein Link von der Seite der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) oder der Gemeinde auf Ihre Homepage geschaltet ist oder
geschaltet werden kann. Diese Links werben
gratis und nachhaltig für Sie. Während Maßnahmen wie Facebook und Co. ständig „gefüttert“ werden müssen, bleibt ein Link meistens
über Jahre hinweg stabil bestehen.
Themenrelevanz?
Die Gemeindehomepage scheint auf den ersten Blick nicht sonderlich themenrelevant zu
sein. Oft aber finden sich dort Unterseiten wie
z. B. Notdienst- und Ärzteverzeichnisse. Hier
lohnt es sich allemal nachzuschauen. Bei
Schmerzmedizinern zählen im Grunde Links
von allen Webseiten, die mit Schmerz zu tun
haben – aber auch Links von den Homepages
anderer Mediziner (Orthopäden, Allgemeinmedizinern etc.) füllen das Punktekonto bei
Google immens.
Wie wirken Links
auf die Googleposition?
Google erkennt, wie viele Links auf eine bestimmte Homepage geschaltet sind und welche Themen diese Seiten behandeln. Linken
viele themenrelevante Webseiten auf diese
Homepage, so geht Google bei der Bewertung
der Seite zunächst einmal davon aus, dass die
Page interessante Inhalte und deshalb einen
Mehrwert für den Google-Nutzer hat. Google
reagiert darauf, indem diese Homepage dann
mit einer besseren Positionierung in den Suchergebnissen „belohnt“ wird: Der Google-Nutzer
kann die Seite in der Folge nun besser finden.
Berechnet wird die Position einer Homepage in Google unter anderem anhand des PageRank-Verfahrens. Dessen genaue Formel ist
geheim und einer der elementaren Vorteile von
Google gegenüber anderen Suchdiensten. Gut
sind eingehende Links; ausgehende hingegen
sind zwar eher auf der negativen Seite der Glei-
Unter Linkaustausch versteht man das gegenseitige Verlinken auf die jeweils andere
Webseite vom eigenen Internetangebot aus
Hans-Jörg
Andonovic-Wagner,
Eislingen
chung zu finden, nutzen aber den Seitenbesuchern und werten dadurch die Homepage wiederum inhaltlich auf. Dies hilft dabei, Besucher
zum Bleiben und Wiederkehren zu bewegen.
Seit wann werden Links getauscht?
Bevor Suchmaschinen wie beispielweise
Google oder Yahoo im Internet populär wurden, navigierte man weitestgehend über die
Linksammlungen von Homepages. Das nannte man „Surfen“ – man klickte sich von Homepage zu Homepage weiter, bis die gewünschte
Information gefunden wurde. Die zeitaufwändige Technik des Surfens wurde weitestgehend vom „Googeln“ abgelöst.
Warum surft man dann noch?
Manchmal werden Homepages nicht ordentlich von Suchmaschinen gelesen (Google sieht
eben doch nicht alles) oder haben aufgrund
ihrer Eigenschaften trotz guter Inhalte (noch)
ein schlechtes Ranking: Sie werden bei den
Suchergebnissen auf schlechten Positionen angezeigt und sind dadurch schwerer zu finden.
In diesem Fall helfen Verlinkungen weiter, um
auf die Homepage aufmerksam zu machen.
Auch in Foren ist das Verlinken eine beliebte Technik, um Nutzern mit ähnlichen Anfragen eine Hilfestellung zu geben.
Welchen Nutzen außer Suchmaschinenrückenwind haben Links noch?
© thingamajiggs / Fotolia
Trotz aller Vorteile von Suchmaschinen kommt
immer noch ein sehr guter Traffic (Anzahl der
Homepagebesucher) über verlinkende Seiten
zustande. Nicht übersehen werden sollte hierbei die Tatsache, dass Links vom Seitenbesucher oft auch als Empfehlungen zum Weiterlesen empfunden werden.
Daher schadet es beispielsweise nicht, auf
der Homepage der KV oder Ihrer Gemeinde
18
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
Internet / Impressum
einen Link zu schalten. Auch Register wie Arztbewertungsportale etc. bieten oft die Möglichkeit eines Links auf Ihre Homepage. Aber
Vorsicht: Seit Anfang 2013 zählen eingekaufte
Links so gut wie nichts mehr. Google hat sich
auf die Ergonomie zurückbesonnen und „freiwillige“ Verlinkungen den monetären vorgezogen.
Gibt es schwarze Schafe?
Ja, wie in jeder Herde tummeln sich auch hier
genügend Anbieter mit dubiosen Angeboten
wie: „Biete Ihnen 1.000 Links für 1.000,- Euro.“
Solche Dienste sollten gemieden werden. Dahinter verbergen sich in der Regel Positionierungen in sogenannten Linkfarmen, in denen
der Link nicht nur untergeht. Vielmehr resultiert hieraus oftmals auch eine negative Bewertung Ihrer Homepage durch Google. Der
einzige Nutzen solcher Angebote ist es, das
Konto des Anbieters zu füllen.
Was kann passieren, wenn ich
mich nicht an die Regeln halte?
Wir müssen nicht einmal selbst gegen die Regeln verstoßen – es reicht schon der Verstoß
eines Nachbarn: Google verfährt nach dem
„Bad Neighbourhood“-Prinzip. Wird eine Seite
als illegal oder „nicht gut“ empfunden, erhalten auch alle Seiten, auf die von hier aus verlinkt wird, eine gelbe Karte. Findet Google
einen Link auf mehreren solcher Seiten, dann
kann sogar die rote oder schwarze Karte erteilt
werden. Ist eine Domain einmal auf Googles
schwarzer Liste gelandet, so ist diese mehr
oder weniger nachhaltig zerstört. Eine „gute
Nachbarschaft“ bekommen wir nur durch eine
sorgfältige händische Selektion.
Wie finde ich heraus, wer alles
auf mich verlinkt?
Geben Sie in Google Folgendes ein: „link:
www.ihrehomepage.de“. Dann erhalten Sie
von Google eine Liste aller Homepages, von
denen aus ein Link auf Ihre Seite geschaltet ist.
Wie veranlasse ich Homepagebetreiber dazu, auf mich zu verlinken?
Fragen kostet nichts: Bieten Sie in einer Email
Betreibern interessanter Homepages einen
Linktausch mit Ihrer Homepage an. Machen Sie
es dem Gegenüber einfach und schicken Sie
gleich ein Logo zu Ihrem Angebot mit. In vielen
Fällen werden Sie damit Erfolg haben und nach
und nach die Positionierung Ihrer Webseite in
den Google-Suchergebnissen stärken.
■
Hans-Jörg Andonovic-Wagner, Eislingen
www.aos-design.de
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
INFO-Telegramm
Intrathekales Gabapentin nutzlos
Bei chronischen nicht-malignen therapierefraktären Schmerzen nützt die intrathekale
Gabe von Gabapentin für 22 Tage nichts.
Dies zeigte eine randomisierte placebokontrollierte Studie von Rauck R et al., der diese
Therapiemodalität in verschiedenen Dosierungen (von 1,6 mg oder 30 mg/Tag) gegen
Placebo getestet hatte (Rauck R, Coffey RJ,
Schultz DM, Wallace MS, Webster LR, McCarville SE, Grigsby EJ, Page LM.: Intrathecal Gabapentin to Treat Chronic Intractable Noncancer Pain. Anesthesiology. 2013 Jul 3.
[Epub ahead of print]).
Triathleten leiden weniger
Triathleten besitzen eine höhere Schmerztoleranz und eine effektivere Schmerzverarbeitung als Untrainierte. Diese Besonderheiten
entstehen vermutlich durch die extremen
Belastungen in ihrem Training und werden
durch psychologische Besonderheiten verstärkt, die ihnen eine bessere Schmerzverarbeitung und eine höhere Belastbarkeit für
psychischen Stress ermöglichen. Zu diesem
Fazit kommen Geva N et al. von der Tel Aviver
Universität, die 19 Triathleten mit 17 Kontrollen verglichen (Pain. 2013 Jun 24. pii: S03043959(13)00339-4. doi: 10.1016/j.
pain.2013.06.031. [Epub ahead of print]).
Kostenlose Apps für Schmerzkranke
Das interaktive Schmerztagebuch „PainDiary“
für das iPhone ermöglicht Schmerzpatienten
ein interaktives Schmerzmanagement. Das
iPad-App „xPlainPain“ liefert Betroffenen und
deren Angehörigen produktneutrale und
umfangreiche
Informationen
zu einer wirksamen, verträglichen Schmerztherapie. Detaillierte Informationen zu
beiden Apps
und den Downloadmöglichkeiten unter
www.mundipharma.de
(Rubrik „Schmerztherapie/Service/Mobile
Apps“) oder direkt im iTunes Store. Dort können die Apps „PainDiary“ und „xPlainPain“
kostenfrei heruntergeladen werden.
Impressum
Organ der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie und
der Deutschten Gesellschaft für Schmerzmedizin
Herausgeber
Gerhard H. H. Müller-Schwefe,
Schillerplatz 8/1, D-73033
Göppingen; Tel. 07161/976476, Fax 07161/976477
E-Mail: gp@dgschmerztherapie.de
Schriftleitung
Oliver Emrich, Ludwigshafen; Johannes Horlemann, Kevelaer;
Klaus Längler, Erkelenz; Silvia Maurer, Bad-Bergzabern; Michael A.
Überall, Nürnberg; Stephanie Kraus (verantw.), Stephanskirchen,
Tel.: 08036/1031
Beirat
Christoph Baerwald, Leipzig; Wolfgang Bartel, Halberstadt; HeinzDieter Basler, Marburg; Günter Baust, Halle/Saale; Klaus Borchert,
Greifswald; Burkhard Bromm, Hamburg; Ingunde Fischer, Halle/
Saale; Gideon Franck, Fulda; Gerd Geisslinger, Frankfurt; Hartmut
Göbel, Kiel; Olaf Günther, Magdeburg; Winfried Hoerster, Gießen; Stein Husebø, Bergen; Uwe Junker, Remscheid; Uwe Kern,
Wiesbaden; Edwin Klaus, Würzburg; Eberhard Klaschik, Bonn;
Lothar Klimpel, Speyer; Bruno Kniesel, Hamburg; Marianne
Koch, Tutzing; Bernd Koßmann, Wangen; Michael Küster, Bonn-Bad
Godesberg; Klaus Längler, Erkelenz; Peter Lotz, Bad Lippspringe;
Eberhard A. Lux, Lünen; Christoph Müller-Busch, Berlin; Joachim
Nadstawek, Bonn; Thomas Nolte, Wiesbaden; Robert Reining,
Passau; Robert F. Schmidt, Würzburg; Günter Schütze, Iserlohn;
Harald Schweim, Bonn; Hanne Seemann, Heidelberg; Ralph
Spintge, Lüdenscheid; Birgit Steinhauer, Limburg; Roland Wörz,
Bad Schönborn; Walter Zieglgänsberger, München; Manfred
Zimmermann, Heidelberg
In Zusammenarbeit mit: Deutsche Gesellschaft für Algesiologie – Deutsche Gesellschaft für Schmerzforschung und
Schmerztherapie; Deutsche Akademie für Algesiologie – Institut
für schmerztherapeutische Fort- und Weiterbildung; Deutsche
Gesellschaft für interdisziplinäre Palliativversorgung e. V.; Deutsche Schmerzliga e.V. (DSL); Gesellschaft für algesiologische
Fortbildung mbH (gaf mbH); Gesamtdeutsche Gesellschaft für
Manuelle Medizin e.V. (GGMM); Institut für Qualitätssicherung in
Schmerztherapie und Palliativmedizin (IQUISP); Berufsverband
der Schmerztherapeuten in Deutschland e.V. (BVSD)
Mit der Annahme eines Beitrags zur Veröffentlichung erwirbt
der Verlag vom Autor alle Rechte, insbesondere das Recht der
weiteren Vervielfältigung zu gewerblichen Zwecken mithilfe
fotomechanischer oder anderer Verfahren. Die Zeitschrift sowie
alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind
urheberrechtlich geschützt.
Hinweis: Die in dieser Zeitschrift angegebenen Dosierungen
– vor allem von Neuzulassungen – sollten in jedem Fall mit
dem Beipackzettel der verwendeten Medikamente verglichen
werden.
Bezugspreis: Einzelheft 12,– Euro; Abonnement für 4 Ausgaben
pro Jahr 40,– Euro (zzgl. Versand, inkl. MwSt.). Der Mitgliedsbeitrag der DGS schließt den Bezugspreis der Zeitschrift mit ein.
Die Zeitschrift erscheint im 29. Jahrgang.
Verlag: Springer Medizin © Urban & Vogel GmbH, München,
September 2013
Leitung Corporate Publishing: Ulrike Hafner (verantw.)
Redaktion: Teresa Windelen
Druck: Stürtz GmbH, Würzburg
Titelbild: © Anna Subbotina / fotolia.com
Inhaber- und Beteiligungsverhältnisse
Die Urban & Vogel GmbH ist 100%ige Tochtergesellschaft
der Springer Medizin Verlag GmbH, Heidelberg. Die alleinige
Gesellschafterin der Springer Medizin Verlag GmbH ist die
Springer-Verlag GmbH mit einer Beteiligung von 100%. Die
Springer-Verlag GmbH ist eine 100%ige Tochtergesellschaft
der Springer Science + Business Media Deutschland GmbH.
Die alleinige Gesellschafterin der Springer Science + Business
Media Deutschland GmbH ist die Springer Science + Business
Media Netherlands B.V., die 100% der Anteile hält. Die Springer
Science + Business Media Netherlands B.V. ist eine 100%ige
Tochtergesellschaft der Springer Science + Business Media
Finance S.àR.L. Die Springer Science+Business Media Finance
S.àR.L. ist eine 100%ige Tochter der Springer Science+Business
Media S.A.
19
Die Deutsche Schmerzliga
Status quo der DSL-Petition – a never-ending story
© Bert Bostelmann
Die Petition der Deutschen Schmerzliga (DSL) zur Freistellung der Opioide von der
Austauschpflicht ist auch im Sommer 2013 immer noch weit entfernt von einer unbürokratischen Umsetzung. Den aktuellen Werdegang dieser Petition skizziert Priv.-Doz.
Dr. Michael A. Überall, Präsident der Deutschen Schmerzliga und Vizepräsident DGS.
meinen Substitutionspflicht unter Berücksichtigung insbesondere
●●
des Substitutionsverhaltens der Ärzte und
Apotheker (Aut-idem-Regelung und
pharmazeutische Bedenken),
●●
der therapeutischen Anwendungsbereiche und
●●
der Konsequenzen für den Versicherten
zu definieren, ist seit Herbst 2012 nichts geschehen. Der DAV hat dem GKV-Spitzenverband bereits im April 2013 eine Liste der aus
seiner Sicht sinnvollen Ausnahmen zum Rahmenvertrag nach § 129 SGB V mit 20 Arzneistoffen vorgelegt, die von der Substitutionspflicht auszunehmen seien. Hierin genannt
sind mit Morphin, Hydromorphon und Oxycodon auch drei stark-wirksame Opioid-Analgetika der WHO (World Health Organization)
Stufe III, deren Verkehr in Deutschland einer
besondere gesetzlichen Regelung durch die
Betäubungsmittelverschreibungsverordnung
(BtMVV) unterliegt.
Michael A. Überall,
Nürnberg
N
ach § 129 Absatz 2 Satz 8 SGB V sind die
Vertragspartner, d. h. im vorliegenden
Fall der Deutsche Apothekerverband (DAV)
und der Spitzenverband der gesetzlichen
Krankenversicherungen (GKV), ermächtigt,
Arzneistoffe von der Substitutionspflicht nach
§ 129 Absatz 1 Nr. 1 SGB V auszunehmen.
Anlass für diese Regelung, die im Sommer
2012 vom Bundestag und im Herbst 2012 vom
Bundesrat beschlossen wurde und unter der
Bezeichnung „Zweites Gesetz zur Änderung
arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ schließlich am 26. Oktober 2012 in Kraft
trat, war eine von der DSL bereits im Frühjahr
2011 eingebrachte Petition, die im Frühjahr
2012 vom Petitionsausschuss des Deutschen
Bundestages einstimmig befürwortet wurde
und deren Umsetzung seitdem Kernelement
eines typisch deutschen Kammerstücks ist, dessen volksferne Absurdität sich kaum mehr steigern lässt und mittlerweile selbst hartgesottene Politiker konsterniert.
Die Forderung der Politik
Aufgrund der Verzögerungstaktik der Kassenvertreter haben alle Mitglieder des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag
parteiübergreifend und einvernehmlich am
12. Juni 2013 eine Entschließung zur Umsetzung von § 129 Absatz 1 Satz 8 SGB V verfasst
Die Folgen trägt der chronisch Kranke, der
auf eine adäquate medizinische Versorgung angewiesen ist
Die Protagonisten
Das Problem
Obwohl gesetzgeberisch alle Voraussetzungen erfüllt sind, die medizinisch sinnvollen
bzw. notwendigen Ausnahmen von der allge-
20
© BK / fotolia.com
Zum einen die Apotheker, vertreten durch den
DAV, den Zusammenschluss der Landesapothekerverbände auf Bundesebene. Zum anderen die GKV, vertreten durch den GKV-Spitzenverband als der zentralen Interessenvertretung
der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in
Deutschland gemäß § 217 a SGB V. Irgendwo
dazwischen: Politiker, Bürger, Betroffene.
und darin den DAV, insbesondere jedoch den
GKV-Spitzenverband aufgefordert, bis zum
1. August 2013 eine Entscheidung zur Nichtaustauschbarkeit vorzulegen.
Eine Forderung, die einerseits das außerordentliche Interesse der Parlamentarier an
diesem Vorgehen widerspiegelt, die jedoch
andererseits – angesichts der faktisch bereits
erfolgten Auflösung des Deutschen Bundestages vor den anstehenden Neuwahlen im
September 2013 – wie ein Papiertiger anmutet und, entsprechend zahn- und kraftlos, eine
unrealistische politische Drohgebärde ist, die
auf Seiten der GKV nicht weiter zu beeindrucken vermag. So wurde die seit April vorliegende Ausschlussliste des DAV seitens des
GKV-Spitzenverbandes auch am 18. Juli 2013
im Rahmen eines geheimen Treffens in Berlin
erwartungsgemäß abgelehnt.
Der Patient –
Zuschauer und Leidtragender
Leidtragender dieses politischen Possenspiels
ist einmal mehr der chronisch kranke Patient,
der sich fragt, wohin diese Machenschaften
noch führen sollen und werden. Und auch die
indirekt Beteiligten, d. h. die in der Versorgungsverantwortung stehenden Ärzte und
Apotheker, beginnen sich zu fragen, wohin
diese Reise führen soll, deren gesundheitspolitischer Kurs zumindest in Deutschland ganz
offensichtlich von den GKV festgelegt wird –
und nicht mehr vom Gesetzgeber. Letzterer
allerdings zeichnet sich hierfür selbst verantwortlich, wenn er den Kassen derart viel Spielraum zugesteht, dass diese sich mittlerweile
dazu berufen fühlen, das Gesundheitssystem
vor der Politik beschützen zu müssen, und von
Gesetzgeber und Politik im Interesse von Patienten und Bürgern getroffene politische Entscheidungen sogar offen boykottieren, wenn
ihnen diese nicht zusagen.
Somit muss man sich die Frage stellen, wer
tatsächlich im deutschen Gesundheitssystem
regiert und wer hierin entscheidet, was geschieht? Politik oder Krankenkassen? Die Folgen jedenfalls trägt der chronisch Kranke, der
auf eine adäquate medizinische Versorgung
angewiesen ist.
■
Michael A. Überall, Nürnberg
Literatur beim Verfasser
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
Kongresse
Geriatrie: Umstellung vom Opioidpflaster auf retardiertes Oxycodon/Naloxon lohnt sich
Bei den 368 in die Studie eingeschlossenen Patienten sank die Schmerzintensität
nach dem Wechsel von Buprenorphinbzw. Fentanylpflastern im Mittel um über
40 %. Zusätzlich traten unter der neuen
Therapie deutlich weniger Übelkeit und
Schwindel und zudem eine geringere
Appetitminderung auf. Auch die Lebensqualität nahm zu.
Der Einsatz von Opioidpflastern ist bei
Älteren sehr verbreitet. Die Erfahrung
und diese Analyse zeigten aber, dass eine
orale Medikation überlegen sein kann,
erläuterte Posterautor Ulf Schutter, Marl.
Die präsentierte Subgruppe entstammt
dem Datensatz einer vierwöchigen
prospektiven, nicht-interventionellen
Studie, die an 530 Zentren den Einsatz
der Fixkombination aus retardiertem Oxycodon/retardiertem Naloxon (Targin®)
untersuchte. Eingeschlossen waren zuvor
mit Schmerzpflastern (TTS) behandelte
Patienten über 70 Jahren mit opioidbedürftigen Schmerzen. 60 der Patienten
hatten Buprenorphin-TTS, 308 FentanylTTS erhalten.
Nach Einstellung auf retardiertes Oxycodon/retardiertes Naloxon sank die
Schmerzintensität der Patienten auf der
numerischen Ratingskala (NRS) innerhalb
von vier Wochen um 46,9 % auf durchschnittlich 3,3 nach Umstellung von Buprenorphin-TTS und um 45 % auf im Mittel 3,2 nach Umstellung von Fentanyl-TTS.
Die Wirksamkeit von retardiertem Oxycodon/retardiertem Naloxon nach vier
Wochen wurde von den Ärzten zu 86,2 %
(für die zuvor mit Buprenorphin-TTS behandelten Patienten) bzw. 85,3 % (für die
mit Fentanyl-TTS behandelten Patienten)
mit „sehr gut“ oder „gut“ eingeschätzt.
Die jeweilige Vortherapie hingegen wur-
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
de nur zu 29,3 % (Buprenorphin-TTS) bzw.
lediglich zu 22,2 % (Fentanyl-TTS) mit
„sehr gut“ oder „gut“ bewertet.
Mehr Lebensqualität
mit oraler Fixkombination
Nicht nur die Schmerzintensität, sondern
auch die Verträglichkeit der Opioid-Therapie zeigte vier Wochen nach Umstellung eine positive Entwicklung: Die Zahl
der Patienten, die unter Übelkeit litten,
konnte unter retardiertem Oxycodon/
retardiertem Naloxon für die zuvor mit
Buprenorphin-TTS behandelten Patienten
um 70,4 % für die zuvor mit Buprenorphin-TTS behandelten Patienten bzw. für
die zuvor mit Fentanyl-TTS behandelten
Patienten um 53,9 % reduziert werden,
Schwindel (gemessen auf einer FünfPunkte-Skala zur Beurteilung der Symptome innerhalb der letzten 24 Stunden)
ging um 64,3 % bzw. 41,4 % zurück. Die
Anzahl der Patienten, bei denen eine Appetitminderung aufgetreten war, konnte
mit der Fixkombination um 68,8 % bzw.
45,2 % reduziert werden. Parallel dazu
nahm die Gehfähigkeit der älteren Patienten nach vier Wochen deutlich – um
28,0 % bzw. 38,4 % – zu.
Überdies müsse ein unkritischer
Einsatz von Opioidpflastern, wie ihn
die Arzneimittelkommission der
Deutschen Ärzteschaft schon letztes
Jahr angemahnt hat, kritisch hinterfragt werden.
Auch weitere Parameter der Lebensqualität veränderten sich innerhalb von
vier Wochen unter retardiertem Oxycodon/retardiertem Naloxon positiv: Allen
voran konnte der Schlaf um 37,1 % bzw.
51,5 % gesteigert werden, gefolgt von
einer um 39,6 % bzw. 47,8 % erhöhten Lebensfreude. Soziale Kontakte nahmen um
37,8 % bzw. 42,6 % zu.
Ältere Patienten könnten von der
oralen Therapie mit retardiertem Oxycodon/retardiertem Naloxon profitieren.
Überdies müsse ein unkritischer Einsatz
von Opioidpflastern, wie ihn die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzte-
© Foto: Mundipharma GmbH, Limburg/Lahn
Ältere Schmerzpatienten, die Opioidpflaster erhalten, können deutlich von
einer Einstellung auf die orale Gabe
von retardiertem Oxycodon/retardiertem Naloxon profitieren. Dies zeigen
Studiendaten, die auf dem Kongress
der DGIM (Deutsche Gesellschaft für
Innere Medizin) 2013 vorgestellt wurden (Schutter U, DGIM-Kongress 2013,
Poster P134).
Posterautor Ulf Schutter, Marl
schaft schon letztes Jahr angemahnt hat,
kritisch hinterfragt werden, resümierte
Schutter.
Orale versus
transdermale Opioidgabe
Die Subgruppenanalyse untermauert
die aktuellen Empfehlungen der World
Health Organization (WHO) hinsichtlich
der Gabe starker Opioide: Diese sollte
vorzugsweise oral und nach festem Schema erfolgen. Zum Aufbau gleichmäßiger
Blutspiegel eignen sich am besten Retardpräparate. Opioidpflaster sollten erst
verordnet werden, wenn eine orale Gabe
nicht mehr möglich ist.
Im Deutschen Ärzteblatt hat die Deutsche Arzneimittelkommission 2012 unter
den „Mitteilungen der Bundesärztekammer“ darauf hingewiesen, dass Fentanylpflaster sich vor allem für Patienten mit
chronischen Schmerzen und stabilem
Opioidbedarf eignen, die ein orales
Opioid nicht einnehmen können. Sie betonte, dass durch Verordnung zu hoher
Dosierungen bei Therapiebeginn vor
allem ältere und multimorbide Patienten
gefährdet werden könnten. Dk/StK ■
21
Kongresse
Schmerz im Krankenhaus
Akutschmerzdienst optimiert
stationäre Schmerztherapie
Ein Akutschmerzdienst gilt als Erfolgsfaktor für die Behandlungsqualität, Rentabilität und Außenwirkung eines Krankenhauses. Daher sprachen sich Experten
auf dem Symposium „Akutschmerzdienst – ein Erfolgsmodell?!“ anlässlich des
Deutschen Anästhesiecongress 2013 in Nürnberg für die Implementierung von
Akutschmerzdiensten aus. Zudem gewährleistet ein standardisiertes Vorgehen
eine direkte Reaktion auf das Schmerzempfinden der Patienten.
D
afür sind eine orale Basismedikation wie
die Fixkombination aus retardiertem Oxycodon und retardiertem Naloxon (Targin®) sowie ein wirkstoffgleiches, schnell freisetzendes
Präparat im Bedarfsfall gut geeignet. Eine
strukturierte Schmerztherapie ist für ein Krankenhaus ein wichtiges Qualitätskriterium. Dennoch besteht in diesem Bereich in Deutschland
Verbesserungsbedarf. Über 80 % der stationären Patienten erleiden unnötig Schmerzen.
Dies ergab eine Befragung von Prof. Dr. Christoph Maier, Bochum, von über 3.000 Patienten
an 25 Kliniken aus dem Jahr 2010. 56 % – davon
55 % aller operativ sowie 58 % der konservativ
versorgten Patienten – bewerteten ihre
Schmerzen als nicht akzeptabel.
Der Einsatz eines Akutschmerzdienstes
und ein standardisiertes Vorgehen können jedoch die schmerztherapeutische Versorgung
optimieren. Entscheidend sei es, die Schmerzmessung nach festen Regeln einzuführen und
alle Berufsgruppen und Disziplinen auf vorhandene Standards einzuschwören, betonte
Prof. Dr. Christian Schmidt, Köln. Gut geschulte
Pflegekräfte könnten nach solchen Schmerzstandards mit konkreten Interventionsgrenzen die Applikation durchführen. Eine Unterversorgung lasse sich vermeiden, wenn Wissen und Motivation aller an der Schmerztherapie beteiligten Berufsgruppen erhöht werden.
cherheit im Arbeitsalltag auf der Station erhöhen. „Die regelmäßige Überprüfung der eigenen Standards beziehungsweise der Ergebnisqualität in einem Qualitätsmanagementsystem ist unerlässlich“, so die Erfahrung von Prof.
Dr. José-Maria Hinz, Göttingen. Schmerzstandards gäben Pflegenden Vorgaben für die
Schmerztherapie in unterschiedlichen Situationen, aufgrund derer sie innerhalb des rechtlich Möglichen selbstständig handeln können.
Diese Kompetenzsteigerung entlaste den ärztlichen Dienst und verkürze die therapielose
Zeit. Die Pharmakotherapie könne somit dem
individuellen Schmerzempfinden des Patienten angepasst werden. Voraussetzung dafür
sei es, dass die Schmerzintensität des Patienten mindestens dreimal täglich mit einer
Schmerzskala erfasst werde.
„An jeder Klinik sollten analgetische
Schmerzschemata vorhanden sein, mit deren
Hilfe ein schnelles, effektives und gleichzeitig
sicheres therapeutisches Vorgehen möglich ist“,
Implementierte Schmerzstandards regeln
die komplexe, interdisziplinäre und interprofessionelle schmerztherapeutische
Versorgung durch Ärzte und Pflegende
Implementierte Schmerzstandards regeln die
komplexe, interdisziplinäre und interprofessionelle schmerztherapeutische Versorgung
durch Ärzte und Pflegende. Somit ermöglichen sie eine effiziente medizinische Strukturund Prozessqualität. Die Standards verbessern
die Transparenz und können hierdurch die Si-
22
© Robert Kneschke / fotolia.com
Schmerzstandards verbessern
Qualität der Versorgung
sagte Hinz. Der Schmerzstandard bilde die Basis
der Behandlung und könne individuell auf die
Situation des Patienten abgestimmt werden.
Sinnvoll sei eine Standardtherapie basierend
auf einer Basisanalgesie in retardierter Form
und einer Bedarfsmedikation in unretardierter
Form. Dabei sollte Substanz-Konstanz gewährleistet sein, um umstellungsbedingte Nebenwirkungen zu vermeiden. Bei ihm im Zentrum
für Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin der Universität Georg August-Universität
habe sich der Einsatz von retardiertem Oxycodon und retardiertem Naloxon als Basismedikation sowie derjenige eines schnell freisetzenden
Oxycodons als Bedarfsmedikation bewährt, erklärte Hinz. Mit der Fixkombination aus retardiertem Oxycodon und retardiertem Naloxon
sei eine starke Wirksamkeit bei gleichzeitiger
guter Verträglichkeit gewährleistet.
Erhöhte Kosteneffizienz durch
strukturierte Schmerztherapie
„Eine suffiziente Schmerztherapie in der perioperativen Phase steigert nicht nur den Komfort des Patienten, sondern trägt auch dazu
bei, die Inzidenz perioperativer Komplikationen zu senken. Sie beschleunigt die Rekonvaleszenz der Patienten, steigert damit ihre Zufriedenheit und minimiert indirekt Kosten“,
erläuterte Prof. Dr. Dr. Martin Bauer, Göttingen. Eine prospektive Studie zeigte hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit, dass sich durch den
Einsatz eines Akutschmerzdienstes trotz zusätzlicher Kosten für das Schmerzmanagement über 90.000 Euro pro Jahr einsparen
ließen. Ermöglicht wurde dies durch eine um
insgesamt 433 Tage/Jahr reduzierte Aufenthaltsdauer der Patienten auf der Intensivstation. „Die Etablierung eines Akutschmerzdienstes durch budgetäre Abbildung der
Kosten einerseits und die Sicherstellung der
medizinischen Effizienz durch Schmerzstandards und kontinuierliche Qualifizierung des
Personals andererseits stellt einen relevanten
Erfolgsfaktor für die Behandlungsqualität,
Rentabilität und Außenwirkung eines Krankenhauses dar“, konstatierte Bauer.
Die Notwendigkeit des Akutschmerzdienstes im Spannungsfeld zwischen Patientenkomfort, Anforderungen an das Personal und
Wirtschaftlichkeit wird von den am Symposium beteiligten Experten in der Broschüre
„Akutschmerzdienst – ein Erfolgsmodell?“ beleuchtet. Dabei wird die Situation aus Sicht der
unterschiedlichen Fachgruppen analysiert,
und die Empfehlungen werden praxisnah zusammengefasst. Die Broschüre kann kostenlos
über die Faxnummer 06431/701433 oder über
die E-Mail-Adresse medinfo@mundipharma.
de angefordert werden.
dk/StK ■
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
DGS-Veranstaltungen
DGS-Veranstaltungen
Weitere Informationen zu den Seminaren erhalten Sie über die Geschäftsstelle
der DGS Oberursel, Tel.: 06171/286060, Fax: 06171/286069, E-Mail:
info@dgschmerztherapie.de. Die aktuellsten Informationen zu den
Veranstaltungen und den Details finden Sie im Internet unter
www.dgschmerztherapie.de mit der Möglichkeit zur Online-Anmeldung.
Funktionelle Medizin III
19.09.2013 in Bad Säckingen;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Bad Säckingen
Ausgewählte myofasziale Schmerzsyndrome und
deren Behandlung
19.09.2013 in Köln;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Köln
Schmerzmedizin im Dialog (Nds. - HB)
20.09.–21.09.2013 in Bad Zwischenahn;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Emden
Differenzialdiagnose – Chronischer Kreuzschmerz
25.09.2013 in Unterhaching;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Taufkirchen
September 2013
CRPS - Themenabend
04.09.2013 in Kassel;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Kassel
Psychoedukation alleine genügt nicht!
Schmerztherapie als Prozess der Resomatisierung
04.09.2013 in Herne;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Herne
Pfälzer Schmerztag 2013 - Neuraltherapie /
Diagnostisch therapeutische Lokalanästhesie,
Bewährt und Aktuell? Update der Experten
07.09.2013 in Speyer;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Ludwigshafen
Herpes Zoster und Postzosterneuralgie
11.09.2013 in Bad Salzungen;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Bad Salzungen
Akupunktur in der Schmerztherapie
11.09.2013 in Haldensleben;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Haldensleben
Kontroversen und Perspektiven leitliniengerechter
Kreuzschmerztherapie – Mechanismen – basierte
Pharmakotherapie von Rückenschmerzen
11.09.2013 in Kleinbartloff-Reifenstein;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Worbis
Einführung in die
„Neue Schädelakupunktur nach Yamamoto“
12.09.2013 in Miltenberg;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Miltenberg
Interdisziplinäre Behandlung chronischer
Rückenschmerzen – Welche Effekte der
Bio-psycho-sozialen Therapie sind durch
Diagnostik und Evaluation zu erfassen?
18.09.2013 in Berlin;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Berlin Mitte
Schmerz und Psyche –
Psychologische Schmerztherapie
18.09.2013 in Stade;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Stade
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
Neuromodulation bei
chronischer Migräne und Cluster
25.09.2013 in Gießen;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Gießen
Botox in der
Kopf- und Schmerztherapie mit Fallbeispielen
25.09.2013 in Halle/Saale;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Halle/Saale
Schmerztherapie-Praxisseminar: Muskulatur und
Gelenke – Myofasciale Verkettungen und
Triggersyndrome
27.09.–29.09.2013 in Göppingen;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Göppingen
Muskulatur in der MT – Theorie und Praxis
27.09.-29.09.2013 in Halberstadt;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Quedlinburg
Oktober 2013
Der psychiatrische Patient in der Praxis –
Rasches Erkennen, gutes Begegnen
02.10.2013 in Celle;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Celle
19. Ahrenshooper Schmerzsymposium –
Der therapieresistente Patient
05.10.2013 in Ahrenshoop/Ostsee;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Bielefeld
CME-Update Schmerz: Allgemeine und spezielle
palliativmedizinische Versorgung
07.10.2013 in Ludwigshafen;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Ludwigshafen
1. Bergischer Palliativtag Solingen
09.10.2013 in Solingen;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Solingen
Craniomandibuläre Dysfunktion
16.10.2013 in Dinslaken;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Dinslaken
Psychosomatik I
17.10.2013 in Bad Säckingen;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Bad Säckingen
16. Südwestdeutsche Schmerztage
Im Fokus: Der schwierige Rückenschmerz
18.10.–19.10.2013 in Göppingen;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Göppingen
Synopsis der TLA
19.10.–20.10.2013 in Würzburg;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Würzburg
Chronische Schmerzen im Alter
30.10.2013 in Halle/Saale;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Halle/Saale
Chronische Migräne
30.10.2013 in Augsburg;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Augsburg
November 2013
CME-Update Schmerz:
Berufspolitik in der Metropolregion
04.11.2013 in Ludwigshafen;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Ludwigshafen
QZ Palliativmedizin:
Der Palliativpatient als Notfallpatient –
GAU für den Notarzt?
05.11.2013 in Solingen;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Solingen
Rationale Untersuchung bei Schmerzen
der HWS/BWS und der oberen Extremität –
Hands-on-Workshop
06.11.2013 in Osnabrück;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Osnabrück
Der ältere Schmerzpatient
06.11.2013 in Kassel;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Kassel
17. Duisburger/9. Krefelder Schmerztag
09.11.2013 in Krefeld;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Krefeld
Innovationsforum
15.11.–16.11.2013 in Darmstadt;
DGS-Geschäftsstelle – Oberursel
Update: Neuropathischer Schmerz
18.11.2013 in Wegberg;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Wegberg
Psychosomatik II
21.11.2013 in Bad Säckingen;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Bad Säckingen
Neurologische Aspekte in der Palliativmedizin –
2. Sektorenübergreifende ambulante
Palliativversorgung in Westfalen-Lippe
21.11.2013 in Olpe ;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Olpe
Behandlung myofascialer und
Kopf- und Schmerzen mit Botulinumtoxin
23.11.2013 in München;
Regionales Schmerzzentrum DGS – München
Opium – Arzneimittel und Droge:
Eine Übersicht aus historischer, kultureller und
medizinischer Sicht
27.11.2013 in Halle/Saale;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Halle/Saale
Sonographie Workshop
29.11.2013 in Wuppertal;
Regionales Schmerzzentrum DGS – Wuppertal Sankt
Josef
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DGS-Veranstaltungen · Präventivmedizin
Neue DGS-Leiter
Wir begrüßen Frau Dr. med. Franziska
Gladisch, Fachärztin für Anästhesiologie,
Zusatzbezeichnungen
für Spezielle Schmerztherapie, Homöopathie, Palliativmedizin
und Notfallmedizin, Algesiologin DGS als
neue Leiterin des DGSZentrums Königstein/
Schmerzzentrum TauFranziska Gladisch, nus.
Königstein
Arbeitsschwerpunkte
und Verfahren: Medikamentöse Schmerzbehandlung, invasive
Schmerzbehandlung (Regionalanästhesien,
therapeutische Lokalanästhesien), autoge-
nes Training, Natur- und andere Begleitverfahren (Akupunktur, Homöopathie, Blutegeltherapie), TENS.
Behandlungsgebiete: Alle Formen von Kopfschmerzen, chronische Schmerzen des Bewegungsapparates, Fibromyalgiesyndrom, Rheuma, Tumorschmerzen, Neuralgien, sympathisch
unterhaltene Schmerzen, Entzugsbeschwerden
bei Medikamentenmissbrauch, Schmerzen bei
Durchblutungsstörungen.
DGS-Zentrum, Fürth
Wir begrüßen Dr. med. Michael Hanßmann als
neuen Leiter des DGS-Zentrum Fürth. Hanßmann ist Facharzt Anästhesiologie-DESA und
Arzt für Spezielle Schmerztherapie.
Arbeitsschwerpunkte und Verfahren: Akupunktur, Biofeedback, Einzeltherapie, Entspan-
nung/Imagination, Hypnose, kognitive Verhaltenstherapie, körperorientierte Psychotherapie, Laser, manuelle Therapie, multimodales
Schmerzprogramm,
Naturheilverfahren,
Pharmakotherapie,
progressive Muskelrelaxation, psychosomatische Grundversorgung, therapeutische Lokalanästhesie,
TENS.
Behandlungsge- Michael Hanßmann,
biete: Kopfschmer- Fürth
zen, Kreuz-/Rückenschmerzen, Schmerzen des Bewegungsapparates, somatoforme Schmerzsymptome,
sympathische Reflexdystrophien.
© Michael Hamßmann
© Franziska Gladisch
DGS-Zentrum Königstein
Problempatienten konsequent impfen
Die Empfehlungen der ständigen Impfkommission (STIKO) werden hierzulande nur mangelhaft umgesetzt. Obwohl Vorbeugen unbestritten die beste Medizin ist, werden wichtige Impfungen insbesondere chronisch Kranken vorenthalten.
Betrachtet man diese Fakten vor dem Hintergrund einer zunehmend mobileren Seniorengeneration, sollten alle Ärzte ihre
Patienten mehr ermutigen, Impfungen konsequent aufzufrischen.
D
ie Schutzimpfungs-Richtlinie ist eine
verbindliche Norm, die es zu beachten
gilt. Der gemeinsame Bundesausschuss hat im
Oktober 2012 die neue STIKO-Empfehlung in
einer angepassten Schutzimpfungs-Richtlinie
konkretisiert und für einige Impfungen die
Empfehlungen sogar erweitert. Das Ziel der
Schutzimpfungs-Richtlinie ist ein vollständiger, altersgerechter Impfstatus in der Gesamtbevölkerung in Deutschland. Dies wurde bislang bei weitem nicht erreicht:
Impflücken in allen Bereichen
•nur 54 % aller notwendigen Inlandsimpfungen werden durchgeführt
•nur 63 % der Erwachsenen haben eine Tetanus-Auffrischimpfung in den letzten zehn
Jahren erhalten
•unter 50 % der über 60-Jährigen sind während einer Saison gegen Influenza geimpft;
•nur jeder Fünfte des medizinischen Personals hat eine Impfung gegen Influenza
(WHO-Ziel: 95 %).
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Die von der STIKO empfohlenen Impfungen
(siehe unter www.stiko.de) werden niedergelassenen Ärzten einzeln extrabudgetär honoriert, sodass es dafür weder Abstaffelungen
noch Deckelung gibt, wenn beim Bezug der
Impfstoffe das Wirtschaftlichkeitsgebot beachtet wird. Doch obgleich die Vorteile auf der
Hand liegen, hapert es an vielen Stellen und
vor allem bei chronisch Kranken.
Impfen trotz Rheuma
Bei entzündlichen rheumatologischen Erkrankungen spielt die körpereigene Abwehr eine
entscheidende Rolle. Da das Immunsystem im
Zentrum der rheumatologischen Krankheit
steht, haben die Patienten eine erhöhte Neigung, Infekte zu bekommen. Infektionen zählen bei Rheuma-Patienten neben Herz- Kreislauferkrankungen zu den häufigsten Todesursachen.
Deshalb sind allgemeine Schutzimpfungen
bei diesen Patienten besonders wichtig. Doch
eine Studie von Prof. Christoph Baerwald, Leip-
zig, zeigte, dass nur ein Drittel der Patienten
den empfohlenen Impfschutz hat.
Welche Impfungen sind wichtig!
Generell ist bei rheumatologischen Grunderkrankungen zu empfehlen, dass gegen Influenza geimpft wird, rechtzeitig im Herbst mit
dem aktuellen Impfstoff. Es sollte auch einmalig gegen Pneumokokken und Meningokokken geimpft werden. Auch der Vierfachimpfstoff Diphtherie, Tetanus, Polio und Pertussis
ist uneingeschränkt bei rheumatologischen
Grunderkrankungen sinnvoll und sollte entsprechend den STIKO-Impfleitlinien alle zehn
Jahre verabreicht werden. All diese Impfstoffe
sind sogenannte Totimpfstoffe, der Impfstoff
enthält nur inaktivierte Bestandteile von
Krankheitserregern. Es besteht also keine Gefahr, durch die Impfung selbst die Krankheit zu
bekommen. Man sollte möglichst impfen, bevor eine immunsuppressive Therapie einsetzt
wird oder/und wenn die Erkrankung in einem
ruhigen Stadium ist. Das heißt, es erfordert
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
Präventivmedizin
Wer benötigt zusätzlich Impfung
gegen Pneumokokken?
eine gewisse Planung, die Impfungen rechtzeitig durchzuführen.
Jedes Jahr sterben ungefähr 12.000 Patienten
hierzulande an Pneumokokken-Erkrankungen.
Gefährdet sind vor allem Patienten ab einem
Alter von 60 Jahren. Obwohl sich in dieser Altersgruppe zwischen 80 % und 90 % der Todesfälle durch Pneumokokken-Erkrankungen wie
z. B. Lungenentzündungen ereignen, sind laut
aktuellen Datenerhebungen nur etwa 23 % der
über 60-Jährigen bzw. 31 % der 65- bis 79-Jährigen in Deutschland gegen PneumokokkenErkrankungen geimpft. Von der STIKO wird ab
einem Alter von 60 Jahren die einmalige Impfung mit einem Pneumokokken-PolysaccharidImpfstoff empfohlen. Sie ist eine Standardimpfung für alle Erwachsenen ab 60 Jahren und
Pflichtleistung der Krankenkassen. Wiederholungsimpfungen im Abstand von fünf Jahren
sind nur bei Immundefizienz mit T- u./o. B-zellulärer Restfunktion oder chronischer Nierenerkrankung bzw. nephrotischem Syndrom erforderlich. Bei einer Simultanimpfung sind
Pneumokokken- / Influenzaimpfstoffe an verschiedenen Stellen zu injizieren.
Impflücken bei Grunderkrankungen
Personen mit vielen Grundkrankheiten haben
ein erhöhtes Risiko, schwere oder tödliche
Krankheitsverläufe einer Influenzainfektion zu
entwickeln. Besonders gefährdet sind dabei
Patienten, die eine Überempfindlichkeit der
Atemwege oder eine eingeschränkte Lungenfunktion haben (z. B. Personen mit Asthma,
chronischer Bronchitis, chronisch obstruktiver
Lungenerkrankung), Personen mit einer chronischen Herz-Kreislauf-, Leber- oder Nierenkrankheit, Personen mit Diabetes oder einer
anderen Stoffwechselkrankheit, Personen mit
einer neurologischen oder neuromuskulären
Grundkrankheit oder einem eingeschränkten
Immunsystem durch eine zugrunde liegende
Erkrankung oder Medikamenteneinnahme
(beispielsweise hoch dosiertes Kortison, Chemotherapie bei Krebserkrankungen). Patienten mit diesen chronischen Grundkrankheiten
sollten jedes Jahr gegen Influenza geimpft
werden.
Impfschutz gegen Influenza
ist rückläufig
Wann und wie oft impfen?
Die jährliche Influenzawelle hat in Deutschland
in den vergangenen Jahren meist nach der Jahreswende begonnen. Nach der Impfung dauert
es 10 bis 14 Tage, bis der Impfschutz vollständig aufgebaut ist. Um rechtzeitig geschützt zu
sein, wird deshalb empfohlen, sich bereits in
den Monaten Oktober oder November impfen
zu lassen. Selbst zu Beginn und im Verlauf der
Grippewelle kann es noch sinnvoll sein, eine
versäumte Impfung nachzuholen. Schließlich
ist nie genau vorhersagbar, wie lange eine Influenzawelle andauern wird. Wer zu einer der
Zielgruppen gehört, für die die STIKO die Influenzaimpfung empfiehlt, sollte sich jedes Jahr
impfen lassen. Zum einen wird die Impfstoffzusammensetzung an die jeweils erwarteten
Influenzavirustypen angepasst, zum anderen
Nach den Daten der telefonischen Befragung
des Robert Koch Institutes (RKI) haben sich
2009/2010 insgesamt 26,6 % der erwachsenen
Bevölkerung gegen die saisonale Influenza
impfen lassen. Die höchste Impfquote (47,5 %)
war bei Personen ab 60 Jahren zu beobachten.
Personen mit chronischen Grunderkrankungen hatten eine Impfquote von 39,8 % und das
medizinische Personal eine Impfquote von
27,3 %. Zur Abschätzung der Impfquoten in
der Saison 2010/11 wurde eine kleinere Gruppe der GEDA10-Teilnehmer im Frühjahr 2011
durch das RKI erneut befragt und diese Umfrage deutet auf einen weiteren Rückgang der
Impfquoten hin (siehe auch Boehmer M et al.,
BMC Public Health 2012; 12:938). Insgesamt
sind die Impfquoten in allen Zielgruppen in
Deutschland somit weiterhin als viel zu niedrig
einzustufen.
Zielvorgaben der Europäischen Union, die
eine Impfquote von 75 % bei älteren Personen und Personen mit chronischen Grundkrankheiten bis 2014/15 vorsehen, werden
von Deutschland bisher nicht annähernd erreicht.
Die Ärzte sollten ihre Patienten ermutigen,
Impfungen konsequent aufzufrischen
Influenza ist zudem die häufigste impfpräventable Infektionskrankheit auf Fernreisen. Dies
gilt insbesondere auf Kreuzfahrtschiffen, Bus-,
Bahn- oder Flugreisen, in organisierten Touristengruppen und auf Großveranstaltungen.
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
© emil umdorf / imago
Reiseschutz für Senioren
hält die Schutzwirkung der Impfung vermutlich nur eine Saison an.
Immungeschwächte nur
mit Totimpfstoffen
Generell gilt bei allen Patienten, die eine sogenannte Immunsuppression haben, dass ihnen
keine Lebendimpfstoffe verabreicht werden
sollten wie zum Beispiel Masern-, Röteln- oder
Mumps-Impfstoffen. Immunsuppressive Medikamente schwächen das Abwehrsystem zusätzlich.
Autoimmunerkrankungen
keine Kontraindikation
Autoimmunerkrankungen stellen per se keine
Kontraindikation für Schutzimpfungen dar. Die
Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt
die Impfung gegen Influenza auch Personen
mit Autoimmunerkrankungen (wie z. B. mit
Multipler Sklerose, systemischem Lupus erythematodes oder rheumatoider Arthritis). Da
jedoch Infektionen die Erkrankungen theoretisch auch negativ beeinflussen könnten, wird
empfohlen, Impfungen für Patienten mit Autoimmunerkrankungen nach einer sorgfältiger
Nutzen-Risikoabwägung zu verabreichen. In
der Regel wird diese Risiko – Nutzenabwägung
zugunsten einer Impfung ausfallen. Ausführliche Hinweise für die Impfung von Immunsupprimierten finden sich im Epidemiologischen
Bulletin Nr. 39/2005.
Onkologische Erkrankungen
Generell sind die zugelassenen Impfstoffe bei
onkologischen Patienten mit nicht eingeschränkter Immunfunktion sicher und zeigen
den gleichen Nutzen wie bei Gesunden. Die
Applikation von Totimpfstoffen ist unbedenklich, die spezifische Immunantwort aber unsicher und abhängig von der individuellen Immunsuppression. Wenn möglich sollte man
drei Monate nach Chemotherapie abwarten,
bevor eine Impfung erfolgt. Ggfs. ist eine serologische Kontrolle der Impfantikörper zu empfehlen, um die immunologische Auseinandersetzung mit dem Impfstoff zu dokumentieren.
Die Influenzaimpfung ist auch bei Krebskranken einmal jährlich empfohlen, jedoch ist
der Erfolg abhängig von der Grunderkrankung.
Vor allem Patienten mit akuter Leukämie zeigen unter Chemotherapie eine schlechte Immunantwort. Titer, die bei Gesunden protektiv
sind, sind bei onkologischen Patienten möglicherweise nicht ausreichend. Alternativ kann
hier der Einsatz von Neuraminidasehemmern
in Betracht gezogen werden. Zusätzlich ist die
Impfung von Haushaltskontaktpersonen sinnvoll.
Stephanie Kraus, Stephanskirchen
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Kasuistik
Komplexe Schmerzen bei Borreliose
Chronische Schmerzen bei Borreliose stellen oft eine diagnostische und therapeutische Herausforderung dar. Die Interpretation der Laborbefunde gestaltet
sich oft schwierig, die Vielfalt der resultierenden schmerzhaften Symptomatik
erschwert oft eine zielgerichtete Therapie.
D
er 52-jährige Landschaftsgärtner stellt
sich im Schmerzzentrum vor. Er klagt über
Rückenschmerzen lumbal mit gürtelförmiger
Ausstrahlung, teilweise auch Ausstrahlung in
die linke Leiste und das linke Bein, darüber hinaus brennende Schmerzen im Lumbalbereich, im linken Knie- und Unterschenkel wie
auch im rechten Unterarm und Ellenbogen,
teilweise auch im Schulter-Nacken-Bereich.
Anamnese
Anamnestisch lässt sich eine Borrelieninfektion
im Jahr 2010 eruieren. Ein Zeckenstich in der
Achsel fiel zwar bei einer vorhandenen Zecke
auf, allerdings zeigte erst eine zufällige optische Kontrolle nach 5 Wochen ein ausgeprägtes, doppelt handflächengroßes Erythem in der
Axilla. Die daraufhin eingeleitete antibiotische
Therapie mit Doxycyclin für 10 Tage brachte
das Erythem schnell zum Abklingen. Nach drei
Monaten kam es allerdings zu einer Exacerbation der zuvor schon bestehenden Kreuzschmerzen, darüber hinaus jetzt Kniegelenksschmerzen wechselnd auf beiden Seiten,
Schulterschmerzen und Ellenbogenschmerzen, zunehmend auch Schmerzen im Bereich
der Achillessehne des Mittelfußes und der Ellenbogen, insbesondere im Bereich der Sehnenansätze.
Bei vorbestehenden Kreuzschmerzen und
körperlich belastendem Arbeitsleben wurden
die Beschwerden als Folge der schon zuvor bestehenden Rückenschmerzen interpretiert als
Erythema migrans – Wanderröte nach
einem Zeckenbiss
degenerative Veränderungen sowohl der Kniegelenke als auch der Lendenwirbelsäule.
Therapie
Die Therapie zunächst mit frei verkäuflichen
NSAR, dann hochdosiert mit Ibuprofen
2.400 mg am Tag plus Diclofenac 150 mg täglich brachte keinerlei Besserung. Umfangreiche
Diagnostik zeigte eine abgelaufene Zytomegalieviursinfektion, Epstein-Barr-Virus-Infektion,
eine abgelaufene Yersinien-Infektion und Campylobacter. Die ebenfalls durchgeführte Borrelienserologie ergab schwer zu interpretierende
Werte, da bekanntermaßen sowohl IgG- als
auch IgM-Antikörper über lange Zeit persistieren können. Bei anhaltenden wechselnden Gelenkbeschwerden erfolgte schließlich ein erneuter antibiotischer Therapieversuch im Jahr
2012, diesmal mit Ceftriaxon plus Ciprofloxacin. Hierunter kam es rasch zu einem vollständigen Verschwinden der wechselnden Gelenkbeschwerden, die brennenden Schmerzen im
Lendenbereich, Kniegelenk, Unterschenkel
und Unterarm sowie im Schulter-Nacken-Bereich blieben unverändert fortbestehen.
Zunehmend kam es zu einer schmerzbedingten Störung des Nachtschlafes, so dass
schließlich vom Hausarzt Amitryptilin in einer
Dosierung von 75 mg abends gegeben wurde.
Die Schlafqualität verbesserte sich darunter
zwar, allerdings entstand nun eine massive Tagesmüdigkeit, zudem Gewichtszunahme. Ein
Therapieversuch mit Gabapentin war wirkungslos, Pregabalin verbesserte die Schlafqualität, führte allerdings zu massivster Gewichtszunahme, Ödemen in Unter- und Oberschenkeln und einer ausgeprägten Obstipation
sowie Tagesmüdigkeit.
Befund
© Niehoff / Imago
Bei der Vorstellung im Schmerzzentrum findet
sich eine ausgeprägte Dysbalance des körperaufrichtenden Systems bei Beckenverwringung mit Beckentiefstand links, Blockierung
der Ileosacralgelenke, aktivierten Triggerpunkten im Bereich des gesamten körperaufrichtenden Systems, schwerpunktmäßig links im M.
piriformis und Tensor fasciae latae sowie Tractus iliotibialis, im Bereich der langen Rücken-
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strecker wie auch im Schulter-Nacken-Bereich.
Reflexmuster unauffällig, die Oberflächensensibilität zeigt eine ausgeprägte Hyperalgesie
im Bereich des gesamten linken Unterschenkels, der Lumbalregion von L1 bis S2, im Bereich des Schulter-Nacken-Gürtels rechtsbetont sowie im linken Unterarm. Intentionstendopathien in beiden Ellbogen sowie an der
linken Achillessehne. Im linken Unterschenkel,
rechtem Oberschenkel und rechtem Unterarm
ausgeprägte dynamische Allodynie.
Therapie und Verlauf
Die sorgfältige Untersuchung ergab Hinweise
darauf, dass sowohl die Störung des körperaufrichtenden Systems mit degenerativen Veränderungen, Funktionsstörungen der KreuzDarmbein-Gelenke und der Lendenwirbelsäule
eine wesentliche Rolle spielten, darüber hinaus
aber bei den bestehenden neurologischen
plus-Phänomenen deutliche Hinweise auf eine
Neuroborreliose bestanden.
Bei Unverträglichkeit der primär eingesetzten antidepressiven und antikonvulsiven Therapie (Amitriptylin und Pregabalin) erfolgte
nun ein Therapieversuch mit Oxycodon/Naloxon (Targin®) zunächst mit 10/5 mg, dann
schließlich mit zweimal 15 mg Targin.
Unter dieser Therapie kam es zu einem raschen Verschwinden der brennenden Schmerzsymptomatik sowie der ausgeprägten Allodynie. Im Gegensatz zur Therapie mit Antikonvulsiva entstanden so keine Ödeme und insbesondere die ausgeprägt einschränkende Obstipation konnte unter diesem Therapieregime
vollständig vermieden werden.
Zusammenfassung
Bei dem komplexen Schmerzsyndrom spielen
sowohl degenerative Veränderungen und
Funktionsstörungen des körperaufrichtenden
Systems wie auch neuropathische Schmerzen
im Rahmen einer Neuroborreliose eine Rolle.
Oxycodon/Naloxon bietet sich als Therapieoption an, da Oxycodon in Studien seine gute
Wirksamkeit bei neuropathischen Schmerzen
nachgewiesen hat, darüber hinaus können auch
die Veränderungen aus dem nozizeptiven System effektiv behandelt werden und damit die
Bewegungsfähigkeit wieder hergestellt werden.
Das Nebenwirkungsprofil der Kombination
Oxycodon/Naloxon (Targin®) ist für diesen Patienten deutlich günstiger als die Therapie mit
Antikonvulsiva. Entzündungshemmer waren
bei diesen Beschwerden vollständig unwirksam. Damit stellt Oxycodon/Naloxon (Targin®)
eine wertvolle Therapieoption bei neuropathischen Schmerzen wie Neuroborreliosen dar. ■
Gerhard H.H. Müller-Schwefe, Göppingen
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
Bücherecke
Pädiatrische Palliativmedizin
— Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit lebenslimitierenden Erkrankungen benötigen eine umfassende
Betreuung. Wie professionelle Helfer aus dem Palliativteam dem Kind im Angesicht des Todes begegnen können, vermittelt dieses Buch praxisnah, angelehnt an das Curriculum für Palliativmedizin. Die Autoren spannen den Bogen von
den strukturellen, organisatorischen und ethischen Grundlagen, den Bedürfnissen von sterbenden Kindern über die
praktische Schmerztherapie bis hin zur Situation von Betreuern und Geschwistern sowie Recht und Weiterbildung. Der
praxisorientierte Schwerpunkt liegt bei der Symptomerfassung und Symptomtherapie mit neuen Kapiteln zu Notfällen und zur palliativen Sedierung. In eigenen Kapiteln werden besondere Aspekte der Versorgung schwerst-mehrfach
behinderter Kinder oder krebskranker Kinder dargestellt. Hilfreich sind das neue Medikamentenverzeichnis und der
kompakte Leitfaden zur Optimierung der stationären Palliativversorgung auf Normalstationen. StK
Zernikow, Boris (Hrsg.): Palliativversorgung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. 2., überarb. Aufl. 2013, XVII, 565 S., Softcover. 79,95 €.
ISBN 978-3-642-29609-3. Springer Verlag, Heidelberg.
Ältere sicher behandeln
— Menschen im Alter über 65 Jahren bilden die am stärksten wachsende Bevölkerungsgruppe. Unerwünschte
Arzneimittelwirkungen sind überdurchschnittlich häufig u.a. wegen: geänderter biologischer Eckdaten (Leberdurchblutung und Nierenfunktion vermindert, mehr Fett- weniger Muskelmasse), mangelnder Compliance und /oder
Vielfachmedikation mit kaum vorhersagbaren Wechselwirkungen. Dieses Lehrbuch gibt medizinische Sicherheit,
da kompetent geklärt wird, welche Medikamente Priorität haben. Auch die juristische und ökonomische Sicherheit
werden dargestellt. Für alle Ärzte, die Ältere in der Praxis regelmäßig mit Medikamenten einstellen müssen, dürfte
dieser Klassiker eine wertvolle Hilfe bei der Entscheidung sein, worauf verzichtet werden kann und welche Arzneimittel für ältere Patienten ungeeignet sind bzw. besondere Vorsicht erfordern. StK
Wehling, Martin; Burkhardt, Heinrich (Hrsg.): Arzneitherapie für Ältere. 3., vollst. überarb. u. ak. Aufl. 2013, XV, 298 S. 52 Abb. Formate: eBook 39,99 €,
ISBN 978-3-642-34873-0. Hardcover 49,99 €. Springer Verlag, Heidelberg.
Integrative Krebstherapie
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teil mehr. Dr. Andrea Flemmer, Diplom-Biologin und Ernährungswissenschaftlerin, zeigt die natürlichen Therapien, die
Krebspatienten ergänzend verwenden können, um ihre Selbstheilungskräfte zu mobilisieren. Außer einer natürlichen
Ernährung gibt es die Misteltherapie, Heilkräuter aus dem Regenwald, die Hyperthermie, Tumorimpfung und viele
mehr. Die Autorin weist zudem auf falsche Produktversprechen und Scharlatanerie hin. StK
Dr. Andrea Flemmer: Krebs natürlich behandeln. Alle wichtigen ergänzenden Behandlungen Vorbeugen mit natürlichen Mitteln. 2013, 160 S., ca. 60
Farbfotos, Klappenbroschur, ISBN 978-3-89993-632-2.€ 19,95. Dieses Buch ist auch als E-Book erhältlich. Schlütersche Verlagsgesellschaft, Hannover.
Ganzheitliche Schmerztherapie für Betroffene
— Mehr als elf Millionen Patienten in Deutschland sind chronisch schmerzkrank. Viele von ihnen leiden erheblich
und nehmen täglich Medikamente ein, die Nerven und Organe belasten. In diesem Ratgeber erläutern die Autorinnen Dr. med. Heike Bueß-Kovács, Ärztin und Medizinjournalistin und Birgit Kaltenthaler die wichtigsten Ursachen für
chronische Schmerzen. Die beiden Expertinnen stellen die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten aus ganzheitlicher Sicht vor. Die beste Hilfe aus der Schmerzspirale bietet eine ganzheitliche Schmerztherapie, die neueste
wissenschaftliche Konzepte mit sanften Maßnahmen kombiniert. Abgerundet wird dieses wertvolle Buch von einem
Interview mit Dr. med. Hans-Joachim Balzat, Facharzt für Anästhesiologie und ärztlicher Leiter der Schmerzambulanz
des Krankenhauses Herdecke. Dieser Ratgeber eignet sich gut für das Wartezimmer als Lektüre. StK
Dr. med. Heike Bueß-Kovács, Birgit Kaltenthaler: Chronische Schmerzen natürlich behandeln. Heilmethoden, die für Linderung sorgen. Das können Sie
selbst tun. 2013. 136 Seiten, ca. 60 Farbfotos, Klappenbroschur, ISBN 978-3-89993-635-3. € 19,95. Dieses Buch ist auch als E-Book erhältlich. Schlütersche Verlagsgesellschaft, Hannover.
SCHMERZMEDIZIN 3/2013 (29. Jg.)
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