Der Club der toten Dichter
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Der Club der toten Dichter
Königs Erläuterungen und Materialien Band 431 Erläuterungen zu Nancy H. Kleinbaum/Peter Weir Der Club der toten Dichter (Dead Poets Society) von Stefan Munaretto Über den Autor der Erläuterung: Stefan Munaretto wurde 1955 geboren. Er unterrichtet Deutsch und Englisch an einem Gymnasium in Braunschweig und lebt mit seiner Familie in Wolfenbüttel. Als Autor von Interpretationen und Lernhilfen zur Literatur und zum Film hat er mehrere Artikel und Bücher veröffentlicht. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Unterrichtszwecke! 3. Auflage 2010 ISBN: 978-3-8044-1817-2 © 2005 by C. Bange Verlag, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten! Titelabbildung: Filmszene aus Dead Poets Society, USA 1989. CINETEXT Bildarchiv, Frankfurt. Druck und Weiterverarbeitung: Tiskárna Akcent, Vimperk 2 Inhalt Vorwort ................................................................ 1. 1.1 1.2 1.3 Nancy H. Kleinbaum/Peter Weir: Leben und Werk ................................................... Biografie ................................................................. Zeitgeschichtlicher Hintergrund ................................. Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken ........................................... 5 7 7 11 26 2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 Textanalyse und -interpretation ............................. Entstehung und Quellen ............................................ Inhaltsangabe .......................................................... Aufbau ................................................................... Personenkonstellation und Charakteristiken ................. Sachliche und sprachliche Erläuterungen ..................... Stil und Sprache ....................................................... Interpretationsansätze ............................................... 29 29 31 40 49 57 75 77 3. Themen und Aufgaben .......................................... 90 4. Rezeptionsgeschichte ............................................. 92 5. Materialien ............................................................ 95 Literatur ................................................................ 98 3 4 Vorwort Vorwort In diesem Erläuterungsband soll N. H. Kleinbaums Roman Der Club der toten Dichter1 nicht nur aus sich allein heraus betrachtet werden, sondern auch unter Einbeziehung der kulturellen Bedingungen, unter denen er entstanden ist. Mehrere Gründe sprechen für dieses Vorgehen: • Das Buch und der gleichnamige Film von Peter Weir thematisieren mit großem Erfolg die emotionale Verkümmerung unserer Gegenwart und bemühen sich gleichzeitig, Auswege aus dieser Misere aufzuzeigen. Der Club der toten Dichter spricht Sehnsüchte nach Zuversicht und positiven Leitbildern an, auch nach der Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit des Selbst in einer Massengesellschaft. Es geht um das Ausleben von Gefühlen und Fantasie. Der charismatische Erzieher Keating scheint Orientierung zu bieten in seinem Kampf gegen Anpassungsdruck und Kälte einer Umgebung, die vor allem an Karriere und Geld ausgerichtet ist. • Der Club der toten Dichter ist ein intermediales Gesamtprojekt, welches laufend herkömmliche Grenzen zwischen Film und Literatur überschreitet. Während der Film mit literarischen Zitaten gesättigt ist, liefert Kleinbaums Roman einen Beleg für den „Einbruch der elektronischen Medien in die Hochkultur des Buches“2. Der Roman ist ein „movie-tie in“, also eine der Adaptionen, die auch „filmisch“ erzählt sind und sich an Zuschauer wenden, die ihren Filmgenuss durch die Lektüre vertiefen möchten. Das bekannte Foto auf dem Buchumschlag lenkt die Aufmerksamkeit auf den Film und seine Darsteller, wodurch z. B. im Bewusstsein des Lesers die Verschmelzung der Romanfigur Keating mit ihrem 1 2 Kleinbaum, Nancy H.: Der Club der toten Dichter. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 36. Auflage, 2004. Zitiert wird nach dieser Ausgabe, die den Regeln der alten Rechtschreibung folgt. Wenzel, Horst: Medien- und Kommunikationstheorie. In: Benthien, Claudia; Velten, Hans-Rudolf (Hrsg.): Germanistik als Kulturwissenschaft. Eine Einführung in neue Theoriekonzepte. Reinbek: Rowohlt, 2002. S. 127. Vorwort 5 Vorwort Darsteller Williams bekräftigt wird. Die Wahrnehmung des Romans wird von der Bildersprache des Films gesteuert und ganz allgemein durch Erwartungen, die sich weniger aus Erfahrungen mit Literatur als vielmehr mit dem Kino speisen. • Dieses Projekt befindet sich in einem besonderen Spannungsverhältnis, weil es einerseits höchste Ansprüche an die Freiheit von Individuum und Kunst stellt, andererseits aber unter den industriellen Produktionsverhältnissen Hollywoods entstanden ist. Diese Besonderheiten machen die Beschäftigung mit Der Club der toten Dichter zu einer lohnenden Angelegenheit, weniger die sprachlichen Qualitäten des Romans.3 Im Übrigen wird auch selten von N. H. Kleinbaum die Rede sein, häufiger hingegen von „den Autoren“, weil Kleinbaum sich dem Kino unterordnet und weil es keinen eindeutigen Autor in der arbeitsteiligen Kunst des Films gibt. Im Sinne eines modernen Begriffs von Autorschaft müssen hier alle Personen einbezogen werden, die das Projekt beeinflusst oder einen kreativen Beitrag geleistet haben (vgl. 1.1). Mit der Bezeichnung „Autoren“ soll neben Weir und Kleinbaum vor allem der Drehbuchautor Tom Schulman erfasst werden, theoretisch sogar jemand wie das Double, das am Drehort mit einem passenden Shakespeare-Satz aushalf,welchen der Regisseur dann Robin Williams zitieren ließ. 3 6 Auf Websites und in der Fachliteratur wird immer wieder der Qualitätsabfall des Romans gegenüber dem Film beklagt, so bei Angelika Krüger-Kahloula in ihrem Aufsatz Recycling Dead Poets: An English Unit for The Upper Grades. In: Der Fremdsprachliche Unterricht. Heft 8, Ausgabe 4/1992. Vorwort 1.1 Biografie 1. Nancy H. Kleinbaum/Peter Weir: Leben und Werk 1.1 Biografie Mit einem Autor literarischer Werke werden landläufig Originalität und Inspiration verbunden – John Keating vertritt in Der Club der toten Dichter genau diese Vorstellung, die historisch auf die Epochen von Klassik und Romantik zurückzuführen ist. Ironischerweise entspricht N. H. Kleinbaum diesem Bild überhaupt nicht, denn sie handelt nur als eines von vielen Gliedern in einer Kette von geistigen Urhebern, und zwar als ein besonders bescheidenes, das im Auftrag arbeitet und kaum Eigenes beiträgt. Während für Keating der Autor der Inbegriff der Freiheit ist, bleibt Kleinbaum in die Arbeitszusammenhänge des Disney-Konzerns eingebunden. Sie überträgt während der laufenden Dreharbeiten das Skript in das Medium eines Romans. Dieser basiert vollkommen auf der Kreativität anderer, zu denen auch die ausgiebig zitierten „toten Dichter“ wie z. B. Walt Whitman zählen. Man könnte sagen, dass Regisseur Weir begrenzt Kontrolle über Der Club der toten Dichter hat, Kleinbaum aber gar nicht. Für die Entstehung des Films und damit des Romans sind vor allem die Beiträge der folgenden Ko-Autoren von Bedeutung: • Tom Schulman (*1951 in Nashville, Tennessee): Der Autor des ursprünglichen Drehbuchs, für das er einen Oscar gewann, wurde später auch als Produzent und Regisseur tätig, konnte seinen Erfolg aber nie wiederholen. Sein Name verbindet sich vor allem mit harmlosen Komödien wie Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft (1989) und Willkommen in Mooseport (2004). 1. Nancy H. Kleinbaum/Peter Weir: Leben und Werk 7 1.1 Biografie • Jeffrey Katzenberg (*1950 in New York): Als Chef der DisneyStudios nahm er maßgeblich Einfluss auf die Umgestaltung des Drehbuchs und verpflichtete nacheinander Robin Williams und Peter Weir – vermutlich auch N. H. Kleinbaum – für das Projekt. 1994 gründete er mit Steven Spielberg und David Geffen die Produktionsfirma „Dreamworks“, deren Trickfilm-Chef er heute ist. Als Produzent von „Blockbuster“-Filmen wie Pretty Woman (1990), König der Löwen (1994) oder der Shrek-Serie (2001 und 2004) ist er ein Exponent der „Traumfabrik Hollywood“. • Robin Williams (*1952 in Chicago): Der Star des Films hatte weitgehende Freiheiten während der Dreharbeiten. Für Darsteller mit einem ausgeprägten Image gilt ohnehin: „Bereits die Besetzung gibt Auskunft über den Charakter eines characters.“4 Weir schätzte seine Improvisationskunst und forderte ihn auf, seine Rolle als „Robin Keating“ anzulegen. Die Erlaubnis, spontane Drehbuch-Änderungen im Umfang von ca. 15% vorzunehmen, nutzte Williams ausgiebig. Ganze Szenen wurden unter seinem Einfluss umgestaltet. Williams hat mehrfach große Anerkennung für seine schauspielerischen Leistungen erworben; er erhielt für seine Rolle als Psychologe in Good Will Hunting (1997) einen Oscar. Sein Problem wird darin gesehen, dass er sein Talent oft nicht unter Kontrolle hält und dann „seinem Hang zu infantiler Kasperei“ oder zu „dick aufgetragener Rührseligkeit“ nachgibt5, z. B. in Hook (1991) bzw. in Patch Adams (1998). • Peter Weir: Der australische Regisseur nimmt eine herausragende Stellung unter den Mitautoren ein. Er bleibt die lenkende Instanz, was schon daraus ersichtlich ist, dass sich Der Club der toten Dichter nahtlos in die Reihe seiner Werke fügt, während dies für Kleinbaum nicht behauptet werden kann. Weir gilt als einer der wenigen Regisseure in Hollywood, die erfolgreich die Balance zwischen kommerziellem Erfolg und künstlerischem Anspruch geschafft haben. 4 5 8 Krützen, Michaela: Dramaturgie des Films. Wie Hollywood erzählt. Frankfurt am Main: Fischer, 2004. S. 131. http://www.prisma-online.de/tv/person.html?pid=robin_williams) [Stand: Frühjahr 2005]. 1. Nancy H. Kleinbaum/Peter Weir: Leben und Werk 1.1 Biografie Jahr Ort Ereignis 1944 Sydney 1962 Sydney Geburt Peter Weirs am 8. 8.; fühlt sich als Jugendlicher in Australien beengt; Verbundenheit mit europäischer Kultur Weir bricht ein Kunst- und ein Jura- 18 Studium ab und arbeitet zwei Jahre in der Immobilienfirma seines Vaters. Nach einer Seereise längerer Auf- 20–22 enthalt in England; in dieser Zeit Entdeckung des Interesses an Schauspiel und Film Weir beginnt eine Ausbildung bei 23 einem Fernsehsender, um das Filmhandwerk zu lernen; Fertigstellung des ersten von mehreren Kurzfilmen Sechsmonatiger Aufenthalt in 27 London; hier entstehen zahlreiche Pläne für Drehbücher und Filme. Weir stellt seinen ersten Spielfilm 30 fertig: Die Autos, die Paris auffraßen. Picknick am Valentinstag; Die letzte 31–38 Flut; Wenn der Klempner kommt; Gallipoli; Ein Jahr in der Hölle (Spielfilme) Weir erhält Angebote aus Holly- 41 wood; der erste Film in den USA ist Der letzte Zeuge. Mosquito Coast 42 1964–66 London 1967 Sydney 1971 London 1974 Sydney 1975–82 Sydney 1985 Los Angeles 1986 Los Angeles 1. Nancy H. Kleinbaum/Peter Weir: Leben und Werk Alter 9 1.1 Biografie Jahr Ort Ereignis 1989 1990 1993 1998 2003 Los Angeles Los Angeles Los Angeles Los Angeles Los Angeles Der Club der toten Dichter Green Card Fearless – Jenseits der Angst Die Truman Show Master & Commander – Bis ans Ende der Welt Alter 44 46 49 54 59 • Nancy H. Kleinbaum (*1948): Die Absolventin der Medill School of Journalism an der Northwestern University arbeitete als Reporterin, bevor sie sich auf das Schreiben von Film- und Fernseh-Adaptionen verlegte. So gibt es von ihr u. a. Buchfassungen zu der TV-Sitcom Growing Pains (1987) und zu der Eddie-Murphy-Version von Dr. Dolittle (1998). Hierfür qualifizierte sie sich vermutlich durch eine Reihe, in der sie die DolittleBücher von Hugh Lofting für jüngere Kinder kürzte und bearbeitete. Zu ihren Kinderbüchern gehört auch A Cop and a Half. A Novel (1993). Etwas aus dem Rahmen fällt ein erbaulicher BildBand über das Leben der sieben Turnerinnen des US-Teams bei der Olympiade von 1996: The Magnificent Seven. The Authorized Story of American Gold, für welchen sie den Text schrieb. Die meisten Bücher Kleinbaums wurden schon nach wenigen Jahren nicht mehr verlegt. Dass Der Club der toten Dichter bis heute regelmäßig Neuauflagen erlebt, verdankt er dem Film, der eine Art Kult-Status erlangt hat, von welchem der Roman als Teil seiner Zweitverwertung profitiert. 10 1. Nancy H. Kleinbaum/Peter Weir: Leben und Werk