Fortschritte bei der Diagnose von Rheuma
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Fortschritte bei der Diagnose von Rheuma
MEDIZIN DIENSTAG, 18. SEPTEMBER 2007 | NR. 180 * Fortschritte bei der Diagnose von Rheuma NACHRICHTEN Stammzelltherapie hilft bei schwerem Herzinfarkt Ein todkranker Herzinfarkt-Patient ist in Düsseldorf erfolgreich mit Stammzellen aus seinem eigenen Knochenmark behandelt worden. Nach einem schweren Herzinfarkt habe die Beatmungstherapie nach 44 Tagen keine Besserung gebracht. Dann sei die Stammzelltherapie angewandt worden. Neun Tage später habe der Mann wieder selbstständig atmen können und sei inzwischen wohlauf, teilte die Universitätsklinik Düsseldorf mit. Es sei der erste Fall, in dem ein kardiogener Schock, bei dem das Herz die nötige Pumpfunktion nicht mehr leisten kann, mit dieser Therapieform behandelt worden sei. | HB Medizintechnikhersteller entwickeln neue Methoden zur Früherkennung von rheumatischen Erkrankungen Mehr als eine Million Erwachsene in Deutschland leiden unter entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Auch 15 000 Kinder sind betroffen. Fortschritte in der Therapie führen bei vielen Betroffenen zu einer deutlichen Besserung – oft zum Stillstand, vorausgesetzt die Krankheit wird früh erkannt und behandelt. Sind die Gelenke schon versteift, die Finger unbeweglich, dann ist es meist zu spät. Forscher und Medizintechnikhersteller suchen deshalb nach Diagnose-Techniken, mit denen es gelingt, rheumatische Gelenkentzündungen bereits in ihrem Anfangsstadium zu erkennen. Das ist gar nicht so einfach, denn solange die Krankheit nur gering ausgeprägt ist, ist sie mit den meisten diagnostischen Methoden nicht erkennbar. Eine vielversprechende Methode besteht darin, Rheuma künftig frühzeitig über die Messung der Knochendichte zu erkennen. GE Healthcare hat ein spezielles Röntgengerät entwickelt, mit dem sich der Schwund der Knochensubstanz bestimmen lässt. Das so genannte DXA-Gerät wird bereits in der Osteoporose-Diagnostik genutzt, um Erkrankungen an Wirbelkörpern oder am Hüftgelenk sichtbar zu machen. Mit dem Verfahren könnte Rheuma in Zukunft wesentlich früher diagnostiziert werden, sagt die Rheuma-Expertin Marina Backhaus, Privatdozentin an der Universitätsklinik Charité. Sie evaluiert die neue diagnostische Methode derzeit in einer klinischen Studie. Erste Ergebnisse hätten gezeigt, dass die entzündungsbedingte Abnahme der Knochendichte bereits wenige Wochen nach Ausbruch der Krankheit erkennbar sei. Allerdings seien noch weitere Studien nötig. Auf herkömmlichen Röntgenaufnahmen suchen Rheumatologen oft vergeblich nach Frühzeichen für eine Rheuma-Erkrankung – strukturelle Veränderungen am Knochen sind frühestens nach etwa sechs Monaten zu erkennen. Die Mediziner setzen deshalb vermehrt auf die Untersuchung der mit Röntgenstrahlen nicht sichtbaren Weichteile wie Sehnen, Gelenkkapseln oder Blutgefäße. Studien zeigen, dass die Magnetresonanztomographie (MRT) entzündliche Weichteilveränderungen sichtbar macht und eine frühere Diagnose erlaubt. „Die höheren Kosten und die geringe Verfügbarkeit der MPT-Geräte begrenzen jedoch den Einsatz dieser Technik“, sagt Backhaus. Wesentlich preiswerter ist der Gelenk-Ultraschall. Mit ihm können erfahrene Rheumatologen schon früh erste Anzeichen von Rheuma erkennen. So erproben Forscher den Einsatz des neuen Ultraschall-Kontrastmittels Sonovue von Altana Pharma für die Rheumadiagnose. Die ursprünglich für die Untersuchung von Gefäßen und Leberschäden zugelassenen Signalverstärker enthalten Mikrobläschen, die sich in kleinsten Blutgefäßen anreichern und diese sichtbar machen. So erkennen die Mediziner, wo sich neue Blutgefäße bilden – ein typisches Zeichen für den beginnenden Entzündungsprozess. Antikörper gegen körpereigene Proteine, sogenannte Rheumafaktoren, liefern zwar ebenfalls frühe Hinweise auf die rheumatoide Arthritis, die häufigste rheumatische Erkrankung. Die Biomarker lassen jedoch die Verwechslung mit einer Reihe anderer Krankheiten zu. Präzisieren lässt sich die Diagnose durch den Nachweis von Antikörpern gegen sogenannte citrullinierte Eiweiße, die sich durch die Entzündung bilden. Tests dafür sind seit mehreren Jahren auf dem Markt – seit Juli dieses Jahres bezahlen die gesetzlichen Krankenkassen die Untersuchung. Zur Diagnose einzelner Rheumakrankheiten werden zwar bereits Gen-Tests eingesetzt. Der „HLA-B27Test“ beispielsweise erlaubt Aussagen über Morbus Bechterew, eine die Wirbelsäule betreffende rheumatische Krankheit. „Für die Diagnose der rheumatoiden Arthritis haben Depressionen behindern den Heilungsprozess Foto: Olaf Doering DIETRICH VON RICHTHOFEN | BERLIN Die Behandlung von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen ist umso erfolgreicher, je früher mit der Therapie begonnen werden kann. die aktuell verfügbaren Gen-Tests jedoch nur eine geringe Aussagekraft“, sagt Ekkehard Genth, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh). Interessante diagnostische Möglichkeiten sieht der Rheuma-Experte in der Entwicklung von Chips, die in einem Untersuchungsschritt eine Vielzahl charakteristischer Proteine aufspüren oder das Aktivitätsmuster spezifischer Gene aufdecken. Solche Tests könnten in Zukunft nicht nur die frühe Diagnose von Rheuma erleichtern, sondern auch Voraussagen über den individuellen Krankheitsverlauf bei den Patienten ermöglichen. So hoffen die Rheumatologen diejenigen Patienten, denen ein besonders aggressiver Verlauf bevorsteht, möglichst früh identifizieren und durch Kombination verschiedener Medikamente intensiver behandeln zu können. „Hit hard and early“ heißt die neue Maxime. Durch eine frühe und gezielte Therapie soll das Aufflammen der rheumatischen Gelenkentzündung im Keim erstickt werden. Eine besondere Rolle könnten Krebstherapie bei Altersblindheit Krankenkassen stiften Augenärzte aus Kostengründen zu zweifelhafter Behandlung an Der Einsatz eines billigeren Krebspräparates bei der Behandlung von Altersblindheit hat zu einer Kontroverse zwischen Pharmafirmen und Krankenkassen geführt. Wie Ende vergangener Woche bekannt wurde, halten mehrere gesetzliche Krankenkassen Ärzte dazu an, für die Behandlung der sogenannten feuchten altersabhängigen MakulaDegeneration (AMD) ein günstigeres Darmkrebspräparat zu verwenden. Dieses Mittel sei mit dem eigentlich zur Behandlung des Augenleidens vorgesehenen Medikaments nahezu identisch, begründeten die Kassen diesen Schritt. Hintergrund der Kontroverse ist, dass die Kassen Barmer, DAK und eine Innungskrankenkasse in Nordrhein-Westfalen mit dem Verband operierender Augenärzte einen Vertrag abgeschlossen haben, der vorsieht, dass bei der Therapie von Altersblindheit das Medikament AvasBERLIN. tin von Roche eingesetzt wird, das eigentlich gegen Darmkrebs eingesetzt wird. Zugelassen für das Augenleiden ist aber nur das Mittel Lucentis von Novartis. Beide Präparate verhindern die Bildung von Blutgefäßen. Lucentis kostet jedoch ein Vielfaches: 1 523 Euro je Behandlung statt 50 Euro für Avastin. Beide Medikamente wurden von der Roche-Tochter Genentech entwickelt. Barmer-Sprecherin Susanne Uhrig sagte, der Entscheidung der Kassen lägen auch ökonomische Gründe zugrunde. In erster Linie gehe es aber um die Qualität der Behandlung. Bundesweit setzten viele Mediziner aus freien Stücken auf Avastin, das in diesem Bereich seit Jahren zur Anwendung komme. Wie DAK-Vertragsreferent Björn Kammering sagte, sei der Vertrag in Düsseldorf bisher noch nicht mit Leben gefüllt worden, weil noch Verfahren von Novartis vor Sozialgerichten | 19 anhängig seien. Wenn er in Kraft trete, bleibe den Patienten auch künftig die Auswahl zwischen drei Präparaten. Kritik kommt von den Pharmaunternehmen. „Wir sind erstaunt, was die Kasse hier macht“, sagte ein Novartis-Sprecher. Lucentis und Avastin seien zwar ähnlich aber nicht gleich. Eine Roche-Sprecherin sagte, Avastin sei bei Darm-, Brust- und Lugenkrebs zugelassen. Der Wirkstoff sei aus „technischen“ Gründen nicht für die Behandlung im Auge geeignet. Eine Studie zur Behandlung von Augenleiden sei nicht geplant. Die Gremien der Selbstverwaltung von Ärzten und Kassen, der Gemeinsame Bundesausschuss, kritisierte die Pharmaindustrie scharf. Es sei unhaltbar, dass ein Medikament mit ziemlich dem gleichen Wirkstoff einmal preiswert und einmal „wahnsinnig“ teuer im Handel sei, beklagte der Vorsitzende Rainer Hess. Der Ausschuss untersuche daher im Auftrag der Regierung, was man dagegen tun könne. Da Lucentis das eigentlich zugelassene Präparat zur Behandlung der speziellen Augenleiden ist, funktioniert der Einsatz von Avastin über ein so genanntes „Off-Label-Use“. Darunter versteht man in der Branche die Verwendung eines Medikaments außerhalb der zugelassenen Einsatzgebiets. Hess räumte ein, dass dies aus juristischer Sicht wahrscheinlich nicht zulässig sei. Der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG), Peter Sawicki, riet der Selbstverwaltung, eigene Studien zur Wirksamkeit von Avastin in der Augenheilkunde anzufertigen. Innerhalb von drei Monaten seien sichere Daten zu erhalten. Mit Avastin wurden 2006 weltweit Umsätze von etwa 2,5 Mrd. Dollar erzielt. Reuters dabei in Zukunft sogenannte Biologicals spielen, biotechnisch hergestellte Rheumamedikamente auf der Basis von Antikörpern, die sich als hoch wirksam erwiesen haben. Vergleichende Studien verschiedener Therapiestrategien haben bereits den hohen Nutzen der Biological-Therapie gezeigt. „Da diese Medikamente noch sehr teuer sind, werden sie bislang erst nach dem Versagen anderer Therapieoptionen eingesetzt“, bedauert Genth. Dabei seien die Antikörper besonders für eine frühe Therapie geeignet. Die Erstthe- rapie mit einer Kombination aus dem Chemotherapeutikum Methotrexat und einem Biological-Wirkstoff hat etwa bei jedem zweiten Patienten über Jahre zu einem weitgehend symptomfreien Verlauf der Krankheit geführt. Erste Nachbeobachtungen weisen darauf hin, dass der Therapieerfolg auch nach Absetzen der Therapie Bestand hat. Text weiterleiten: Mail an forward@handelsblatt.com Betreff: Rheuma (Leerzeichen) 19 (Leerzeichen) Mailadresse des Empfängers Depressionen beeinträchtigen die Gesundheit stärker als die chronischen Erkrankungen Angina, Arthrose, Asthma oder Diabetes. Das ergab eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Forscher verglichen die Häufigkeit und die Folgen dieser Krankheiten an fast 250 000 Personen. Eine Depression trat dabei besonders häufig bei solchen Patienten auf, die an einer der chronischen Erkrankungen litten. Dabei hatten die Depressionen schwerwiegendere Auswirkungen auf die gesundheitliche Entwicklung als die anderen Beschwerden, berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin „The Lancet“. | ap Mit radioaktiven Mikrokugeln gegen Lebertumore Mit einer neuen Methode werden Patienten mit inoperablen Lebertumoren und Lebermetastasen jetzt am Universitätsklinikum Magdeburg behandelt: Die Ärzte bringen Millionen winziger radioaktiver Kugeln über das Blut in die Leber und bekämpfen so den Krebs direkt vor Ort. Da sich die Kügelchen direkt am Tumor ansiedeln, wird dieser gezielt bestrahlt.Gesundes Gewebe wird geschont und der Patient erholt sich schneller. | ap Wenn andere Wirkstoffe versagen Neuartiges Rheuma-Medikament bietet zusätzliche Therapieoption DIETRICH VON RICHTHOFEN | BERLIN Das US-amerikanische Pharmaunternehmen Bristol-Myers Squibb (BMS) hat die europaweite Zulassung für einen neuartigen Wirkstoff zur Rheumatherapie erhalten. Das Medikament aus der Klasse der sogenannten Biologicals greift an einem anderen Ziel in den Entzündungsprozess ein als bisherige Antikörper-basierte Rheumamittel. Es bietet deshalb eine neue Therapieoption für Patienten, die auf die Therapie mit den bereits etablierten Biologicals nicht ansprechen. Biologicals sind Antikörper, die an Botenstoffe oder Rezeptoren binden und so einen gezielten Eingriff in molekularbiologische Signalwege erlauben. Die drei wichtigsten Medikamente auf dem Markt, Infliximab von Johnson & Johnson, Etanercept von Wyeth/Amgen und Adalimumab von Abbott blockieren den Botenstoff „TNF-alpha“, der im Entzün- dungsprozess Immunzellen aktiviert. Der neue Wirkstoff Abatacept von BMS dagegen verhindert die Aktivierung der sogenannten T-Zellen. Die Zulassung durch die europäische Arzneimittelbehörde beschränkt sich derzeit auf die Therapie von Patienten, die zuvor auf mindestens einen TNF-alpha-Blocker nicht angesprochen haben. Der Einsatz von Biologicals in der Rheuma-Therapie gewinnt immer mehr an Bedeutung. Die führenden Hersteller konnten ihren Umsatz mit den hochpreisigen, biotechnisch hergestellten Medikamenten im vergangenen Jahr deutlich steigern. Während das am meisten verkaufte „Infliximab“ von Johnson & Johnson nur um rund 19 Prozent zugelegt hat, stieg der Umsatz mit den Rheumamedikamenten „Etanercept“ von Wyeth um 38 Prozent und mit „Adalimumab“ von Abott sogar um 46 Prozent. In Zukunft könnte es allerdings enger auf dem Markt werden, denn zahl- reiche Hersteller haben weitere innovative Wirkstoffe in der Pipeline, die sich kurz vor der Zulassung oder in der fortgeschrittenen klinischen Prüfung befinden: Das belgische Pharmaunternehmen UCB hat bereits im Frühjahr 2006 den Antrag auf Zulassung für „Certolizumab“ eingereicht. Dabei handelt es sich um einen modifizierten TNF-alpha-Blocker, der durch Verbindung mit dem kettenartigen Molekül Polyethylenglykol langsamer im Blut der Patienten abgebaut wird. Vorteil für die Patienten: Sie müssen die Infusion nicht mehr so häufig bekommen. Und Roche hat mit dem japanischen Unternehmen Chugai den neuen Antikörper „Tocilizumab“ entwickelt, der gegen ein neues molekularbiologisches Ziel gerichtet ist. Insgesamt rechnet der Verband Forschender Arzneimittelhersteller bis 2011 mit der Zulassung fünf neuer Wirkstoffe zur Therapie der rheumatoiden Arthritis.