Serbien nach den Parlamentswahlen: weiter auf EU-Kurs
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Serbien nach den Parlamentswahlen: weiter auf EU-Kurs
POLITISCHER HINTERGRUNDBERICHT Projektland: Serbien Datum: 09. Mai 2016 Serbien nach den Parlamentswahlen: weiter auf EU-Kurs Wie allseits prognostiziert, hat die serbische Fortschrittspartei (SNS) des amtierenden Ministerpräsidenten Aleksandar Vučić zusammen mit seinem Wahlbündnis aus verschiedenen kleineren, der SNS nahestehenden Parteien, am 24. April 2016 die Parlamentswahlen mit 48,25% der abgegebenen Wählerstimmen gewonnen. Damit hat sie ihr Wahlziel, eine Mehrheit in dem 250 Sitze umfassenden Parlament zu erreichen, mit 131 Parlamentsmandaten bravourös umgesetzt. Dies bestätigte die zentrale Wahlkommission am vergangenen Wochenende (07./08. Mai 2016) mit ihrem amtlichen Endergebnis, nachdem am 4. Mai noch in 15 Wahllokalen, unter anderem in Niš, Vranj, Jagodina, Kladovo und Novi Beograd Nachwahlen abgehalten werden mussten. Die Wahlbeteiligung belief sich auf 56,07%. Mit dieser Prozenthöhe hatte man laut Wahlprognosen gerechnet. Das Wahlergebnis darf somit als Bestätigung der bisherigen serbischen Regierungskoalition aus dem Parteienbündnis der Serbischen Fortschrittspartei (SNS) von Aleksandar Vučić, dem Koalitionspartner Sozialistische Partei Serbiens (SPS) und der Liga der Vojvodina-Ungarn gewertet werden. Die Strategie von Aleksandar Vučić, sich auf dem derzeitigen Höhepunkt seiner Popularität mit vorgezogenen Parlamentswahlen den Regierungsverbleib für weitere 4 Jahre abzusichern, ist damit aufgegangen. Tiefgreifende Wirtschaftsreformen im Sinne der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) stehen an. Den massiven Verlusten der maroden staatlichen Betriebe soll ein Ende gesetzt werden. Besonders umstritten waren hierbei schon vor den Wahlen Einschränkungen der Arbeitnehmerrechte, die das Kabinett von Ministerpräsident Vučić trotz der Proteste von Gewerkschaftsseite durchgesetzt hatte, um die Auflagen des IWF zu erfüllen. Der wiederum hatte im vergangenen Jahr grünes Licht für einen Kredit von über einer Milliarde Euro gegeben. Die Arbeitslosenquote liegt bei etwa 18%. Außerdem soll der Weg in die Europäische Union fortgesetzt werden. Am 15. Dezember 2015 wurden zwischen Serbien und der EU konkrete Beitrittsverhandlungen aufgenommen, nachdem das Land bereits im Dezember 2009 einen formellen EU-Mitgliedschaftsantrag gestellt und seit März 2012 den Status eines offiziellen Beitrittskandidaten innehatte. Von insgesamt 35 Verhandlungskapiteln wurden zwei bereits eröffnet: Kapitel 32, Finanzkontrolle, sowie Kapitel 35, Sonstige Fragen, in dem das komplizierte Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Hintergrundbericht_Serbien_09. Mai 16 1 Anerkennungsverfahren des unabhängigen Kosovo durch Serbien behandelt werden muss. Allen praktischen und politischen Schwierigkeiten zum Trotz ist langfristig damit zu rechnen, dass es zu einer stillschweigenden Anerkennung der Unabhängigkeit der ehemaligen serbischen autonomen Provinz Kosovo kommen wird, da ansonsten Serbiens Weg in die EU blockiert sein wird. Die Eröffnung der Kapitel 23 (Justiz) und 24 (Innere Sicherheit) verzögert sich noch, da Kroatien als EU-Mitgliedsland bezüglich der Eröffnung dieser beiden Kapitel zunächst noch sein Veto eingelegt hat. Grund hierfür ist nach Auffassung Zagrebs, dass Serbien den Schutz der kroatischen Minderheit bisher nicht ausreichend gewährleiste. Kroatien verlangt zudem die Abschaffung eines serbischen Gesetzes zur Verfolgung von mutmaßlichen Kriegsverbrechern auf dem Gesamtterritorium der Nachfolgestaaten von Jugoslawien. Dieses Gesetz sieht nach kroatischer Meinung die Verfolgung von mutmaßlichen Kriegsverbrechern auf kroatischem Hoheitsgebiet durch Serbien vor und wird deshalb als Einmischung in innerkroatische Angelegenheiten aufgefasst. Die beiden früheren Koalitionspartner der SNS sind weit abgeschlagen und mussten Verluste an Wählerstimmen hinnehmen. Ob es zu einer Neuauflage der Koalition kommt, um im breiten Konsens die anstehenden innen- und außenpolitischen Aufgaben zu bewältigen, ist noch ungewiss, doch wird dies allgemein vermutet. Notwendig ist eine solche Koalition aufgrund der absoluten Mehrheit der SNS nicht. Auch für die restlichen Parteien gestalten sich die ParlamentsWahlergebnisse mehrheitlich nicht zufriedenstellend. Sowohl das Wahlbündnis „Für ein gerechtes Serbien“ der Demokratischen Partei (DS), die ihr höchstes Ansehen zur Zeit von Ministerpräsident Zoran Đinđić (MP von 2001 bis 2003, Ermordung am12. März 2003) hatte, und auch das von der DS abgespaltene Wahlbündnis des ehemaligen Staatspräsidenten Boris Tadić (SP von 2004 bis 2012 als Vorgänger des derzeitigen Staatspräsidenten Tomislav Nikolić) konnten nur mit Mühe die Fünf-Prozent-Hürde überschreiten, von der lediglich die Minderheitenparteien nicht betroffen sind. Auch das Wahlbündnis der Sozialistischen Partei von Ivica Dačić (amtierender Außenminister und vom Juli 2012 bis April 2014 Vorgänger Vučićs im Amt des Ministerpräsidenten) erreichte nur 10,95% beziehungsweise 29 Mandate. Im Gegensatz hierzu konnte, wie ebenfalls erwartet, die Serbische Radikale Partei (SRS) von Vojislav Šešelj, der nach seinem Freispruch vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag in nationalpatriotischen Kreisen Serbiens mehr denn je an Popularität genießt, mit seiner Partei hinter dem zweitplatzierten Wahlbündnis der Sozialistischen Partei von Ivica Dačić nunmehr als dritte Kraft mit 8,10%, beziehungsweise mit 22 Mandaten, in das serbische Parlament einziehen. Man geht davon aus, dass dieses Wahlergebnis seines einstigen Parteifreundes und heutigen Gegners Vojislav Šešelj dem Ministerpräsidenten Aleksandar Vučić nicht ungelegen kommt, um sich fortan noch mehr von russophilen Anbiederungen Šešeljs an Moskau und antiquierten großserbischen Ambitionen abgrenzen zu können. Solche Ambitionen hatte Vučić allerdings während der Milosević-Ära zwischen 1998 und 2000 als damaliger Informationsminister und Mitglied der radikalen SRS, in die er während des Kroatien- und Bosnienkriegs eingetreten war, selbst Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Hintergrundbericht_Serbien_09. Mai 16 2 mitgetragen, sich aus ideologischen oder taktischen Gründen jedoch im Jahre 2008 hiervon distanziert und zusammen mit dem heutigen Staatspräsidenten Tomislav Nikolić die Fortschrittspartei SNS gegründet. Die SNS hat mittlerweile die Aufnahme in die Europäische Volkspartei (EVP) beantragt. Am 31. Mai 2016 wird über diesen Antrag innerhalb der EVP beraten werden. Ministerpräsident und SNS-Parteivorsitzender Aleksandar Vučić kann darauf verweisen, dass er sein Land im Rahmen der angestrebten und begonnenen Umsetzung von Reformen, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die europäische Migrationskrise, die Serbien als eines der Transitländer der „WestbalkanRoute“ ebenfalls betraf, zu einem respektablen und verlässlichen Partner der EU gemacht hat. Kritiker verweisen allerdings auch auf zahlreiche Korruptionsaffären im Umkreis von Regierungsvertretern, auf undurchsichtige Deals mit Oligarchen und auf Einschränkungen in der Pressefreiheit. Das Wahlbündnis Es ist genug von Saša Radulović, dem von Ministerpräsident Aleksandar Vučić entlassenen Wirtschaftsminister, der die zersplitterte proeuropäische Opposition zur Bildung einer gemeinsamen Expertenregierung aufgerufen hatte, konnte mit 6,02%, beziehungsweise 16 Mandaten, zumindest einen gewissen Achtungserfolg verbuchen. Insgesamt gestalten sich die Prozentzahlen und Mandate im neuen serbischen Parlament, aus dem vermutlich nicht vor Jahresmitte eine neue Regierung hervorgehen wird, folgendermaßen: Bündnis bzw. Partei % Wahlbündnis Aleksandar Vučić-Serbien gewinnt um 48,25 die Serbische Fortschrittspartei (SNS), Parteivorsitzender Aleksandar Vučić; weitere Parteien: Sozialdemokratische Partei Serbiens (SDPS), Parteivorsitzender Rasim Ljajić; Partei der vereinigten Pensionäre Serbiens (PUPS), Parteivorsitzender Milan Krkobabić, Neues Serbien (NS), Parteivorsitzender Velimir Ilić, Serbische Volkspartei (SNP), Parteivorsitzender Nenad Popović; Bewegung der Sozialisten Parteivorsitzender Aleksandar Vulin, Serbische Erneuerungsbewegung (SPO), Parteivorsitzender Vuk Drašković Mandate 131 Wahlbündnis Ivica Dačić Sozialistische Partei Serbiens SPS und Einiges Serbien JS Dragan Marković Palma 10,95 29 Dr. Vojislav Šešelj – Serbische Radikale Partei Es ist genug – Saša Radulović Wahlbündnis Für ein gerechtes Serbien um die Demokratische Partei (DS), Parteivorsitzender Bojan Pajtić; weitere Parteien: Neue Partei (NS) Zoran Živković, Gemeinsam für Serbien (ZZS) von Dušan Petrović, 8,10 6,02 6,02 22 16 16 Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Hintergrundbericht_Serbien_09. Mai 16 3 Gemeinsam für Šumadija (ZZS) von Veroljub Stevanović, Bewegung für Krajina von Boško Ničić und Demokratisches Bündnis der Kroaten in der Vojvodina von Tomislav Žigmanov Wahlbündnis Dveri Boško ObradovićDemokratische Partei Serbiens Sanda Rašković Ivić Wahlbündnis Boris Tadić - Čedomir Jovanović Bündnis für ein besseres Serbien – Liberaldemokratische Partei (Čedomir Jovanović), Liga der Vojvodina-Sozialdemokraten (Nenad Čanak) und Sozialdemokratische Partei (Boris Tadić) Allianz der Ungarn der Vojvodina - Ištvan Pastor (SVM) Muamer Zukorlić – Bosniakische Demokratische Gemeinschaft des Sandžaks Partei der demokratischen Aktion des Sandžaks (SDA) Sandžak, Parteivorsitzender Sulejman Ugljanin 5,04 13 5,02 13 1,50 4 0,86 2 0,80 2 Die Grüne Partei - Goran Čabradi (slowakische Minderheit) Partei für demokratische Aktion, Parteivorsitzender: Riza Halimi (albanische Minderheit) 0,63 1 0,43 1 Einhergehend mit den vorgezogenen Parlamentswahlen fanden turnusmäßig Kommunalwahlen in Serbien statt. Auch hier konnte die SNS ihre Position ausbauen. In der Autonomen Provinz Vojvodina erreichte die SNS bei den Wahlen für die dortige Regionalversammlung 44,5% der Stimmen. Mit 63 von insgesamt 120 Sitzen, 50 Sitzen mehr als noch bei der Wahl 2012, ist es der SNS gelungen, die Demokratische Partei DS mit ihrem Parteivorsitzenden und Gouverneur der Provinz Vojvodina, Bojan Pajtić, als bisher stärkste politische Kraft abzulösen. Die DS kommt demnach nur noch auf 10 Sitze, 48 Sitze weniger als noch 2012. Damit kann die Provinz Vojvodina nicht mehr länger als traditionelle Hochburg der DS angesehen werden. Die SNS plant nach informierten Kreisen eine Koalition mit der Allianz der Ungarn der Vojvodina (SVM). Die SVM vertritt die größte ethnische Minderheit in der Provinz Vojvodina. Diese hat eine Bevölkerung von rund 2 Millionen Einwohnern mit mehr als 26 Ethnien und sechs Amtssprachen. Hauptstadt und Verwaltungszentrum ist Novi Sad, die zweitgrößte Stadt Serbiens. Wahlbeobachter gingen von diesem Sieg der SNS aus, nachdem Aleksandar Vučić vor den Wahlen die Parteiliste umbenennen ließ und statt des Parteinamens seinen eigenen darauf gesetzt hatte: Liste Aleksandar Vučić– Serbien gewinnt. Auch in den restlichen Städten und Gemeinden Serbiens konnte die SNS die Stimmenmehrheit erreichen. In einigen Wahlbezirken wurden allerdings Unregelmäßigkeiten festgestellt, so dass dort kommunale Nachwahlen abgehalten werden müssen. Am Gesamtergebnis wird sich hierbei nichts ändern. Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Hintergrundbericht_Serbien_09. Mai 16 4 Die Hanns-Seidel-Stiftung ist seit dem Jahr 2002 mit einem Projekt zur Förderung demokratischer Strukturen im Lande vertreten und führt multisektorale Aus- und Fortbildungsmaßnahmen durch, die sich vorwiegend auf Themen der „Inneren Sicherheit“ beziehen. Polizeiliche und grenzpolizeiliche Fragen werden auf operativer Ebene diskutiert und Lösungsansätzen zugeführt, wobei sich die Themen seit 2015 verstärkt sowohl auf Folgewirkungen als auch auf Ursachen einer auch aus Serbien kommenden armutsbedingten Migration fokussieren. Das Land hat in den vergangenen 20 Jahren bereits 10% seiner Bevölkerung durch Auswanderung verloren. Seit Anbeginn der Projektarbeit wird Serbien auf seinem Weg in die EU beratend begleitet. Hauptpartner der HSS-Vertretung in Belgrad ist hierbei das „EU-Büro der Serbischen Regierung“, das auch in Zukunft im Hinblick auf die einzelnen Kapitelverhandlungen Beratungsbedarf angezeigt hat. Autor: Dr. Klaus Fiesinger, Regionalleiter für Südosteuropa und Projektleiter für Serbien und Montenegro, Kroatien, Bulgarien und Albanien, mit Sitz in Zagreb, Kroatien IMPRESSUM Erstellt: 09. Mai 2016 Herausgeber: Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Copyright 2016 Lazarettstr. 33, 80636 München Vorsitzende: Prof. Ursula Männle, Staatsministerin a.D., Hauptgeschäftsführer: Dr. Peter Witterauf Verantwortlich: Dr. Susanne Luther, Leiterin des Instituts für Internationale Zusammenarbeit Tel. +49 (0)89 1258-0 | Fax -359 E-Mail: iiz@hss.de, www.hss.de Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Hintergrundbericht_Serbien_09. Mai 16 5