aktuell - dbb beamtenbund und tarifunion
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aktuell 10. Jahrgang Inhalt Editorial Editorial: Wendepunkte Wendepunkte 1 ____________________________________________ Bericht aus den Institutionen: Oh Britannia/ Macht Europa dicht?/ Haushalt 2016 verabschiedet/ EWSA zu Asylpolitik und Lastenteilung/ Migration und Integration/ Parlament fordert Strategie gegen Terror/ Bericht über Steuerabsprachen/ Sozialhilfe auch für EU-Ausländer/Waffenrichtlinie wird verschärft/ Verbesserungen im Verkehrssektor/ Gemeinwohlauftrag der Post bestätigt 2-9 ____________________________________________ dbb in Europa: Arbeitsschutz: „EU-Parlament auf dem richtigen Weg“/ Blockade gegen EU-Frauenquote durchbrechen/ dbb lehnt europäische Arbeitslosenversicherung ab/ EU will gggg Feuerwaffen stärker kontrollieren 10-12 ____________________________________________ Neues von der CESI: Für Freihandel, unter bestimmten Voraussetzungen/ 25 Jahre CESI/ CESI Youth: „Ängste abbauen und Flucht verstehen“/ Heeger zum Jahreswachstumsbericht/ CESI-Youth trotzt Terrorwarnungen 13/14 ____________________________________________ Bürger und Verbraucher: Verschwimmende Grenzen 15 ____________________________________________ Ausblick: Vertrauen stärken Termine 16-18 ____________________________________________ Einblick: Gespräch mit Gunther Krichbaum MdB Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union im Deutschen Bundestag ____________________________________________ Impressum: dbb beamtenbund und tarifunion Friedrichstr. 169/170 10117 Berlin Tel.: +49 (0)30/4081-40 Fax: +49 (0)30/4081-4999 ViSdP Christian Moos, Thomas Syberg Für die Inhalte der in den dbb europathemen gelinkten Internetseiten übernimmt die Redaktion keine Verantwortung. Kontakt/ Abonnement: europathemen@dbb.de 19-21 Dezember 2015 Was ist das bloß für ein Jahr, das sich da dem Ende zuneigt? Selbstverständlich Geglaubtes scheint in Auflösung begriffen. Das Überleben der Europäischen Union mit 28 Mitgliedern ist alles andere als sicher. Nicht nur weil die Briten die aus ihrer Sicht allzu enge Union schon bald verlassen könnten. Eine tragende Säule dieser Union war ganz sicher das längst in EU-Recht übergegangene Schengen-Abkommen. Der Schengen-Raum befindet sich aber in voller Auflösung. Der Druck der Flüchtlinge auf die EU gefährdet nicht nur die Reisefreiheit. Er scheint die Union selbst zu sprengen. Die Osteuropäer verweigern sich in der Flüchtlingskrise jeder Zusammenarbeit. In Warschau hat die neue rechtskonservative Regierung die EU-Fahne abhängen lassen. Nur eine Symbolhandlung? Vorbild für ihre innenpolitischen Ziele ist das bereits autoritär regierte Ungarn. Das „neue Europa“ driftet ab. Und das „alte“? Separatistische Bewegungen gefährden den Bestand mehrerer Nationalstaaten. Rechtspopulisten und –extremisten steigen wie in Frankreich nicht nur in Umfragen zu stärksten Parteien auf. Brüssel arbeitet derweil weiter an der Stabilisierung der Wirtschafts- und Währungsunion. Auch die Euro-Schuldenkrise schwelt noch immer. Die große Fluchtbewegung hat sie nur verdrängt. Während der Eurogruppenchef sich schon Gedanken über eine kleinere Union macht, gerät das krisengeschüttelte, in seinem Zusammenhalt gefährdete Europa in immer größere Abhängigkeit von äußeren Mächten. Russland, das einen souveränen europäischen Staat überfallen hat, wird nach den Attentaten von Paris als Bündnispartner in einem neuen Antiterrorkrieg hofiert, an dem fortan auch Deutschland militärisch beteiligt sein wird. Als ob Moskau nicht eigene Interessen in der Levante und darüber hinaus verfolgte. Der Türkei, deren autoritärer Präsident von einem neuen Osmanischen Reich träumt, werden Milliarden und die Visafreiheit in Aussicht gestellt. Auch sollen Flüchtlinge aus der Türkei in der EU aufgenommen werden. Die Gegenleistung, den großen Flüchtlingstreck an der Ägäis aufzuhalten, bleibt eine vage Hoffnung. All diese Entwicklungen markieren mögliche Wendepunkte in der europäischen Geschichte. Wendepunkte, die sich massiv auf Deutschland auswirken können. Ändern sich die Koordinaten, in die der bundesrepublikanische Staat eingefügt ist, wird über kurz oder lang auch der Staat ein anderes Gesicht bekommen, werden auch seine Bediensteten mit anderen, ganz neuen Wirklichkeiten konfrontiert werden. Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viel von dem bewahrt wird, was Deutschland 70 Jahre lang Freiheit, Frieden und Wohlstand gesichert hat. Die Redaktion freut sich über Ihre Rückmeldungen, Gedanken und Anregungen und wünscht besinnliche Festtage. 10. Jahrgang aktuell Oh Britannia nehmer aus diesen Ländern davon profitierten. Problematisch sind auch Forderungen, die den nationalen Parlamenten in der Europapolitik deutlich mehr Rechte zusprechen würden. Kritiker befürchten, dies würde zu einer Dauerblockade führen. Wie geht es weiter mit Großbritannien in Europa? Diese Frage stellen sich nicht nur die Briten. Allein letztere aber werden sie demnächst beantworten. Spätestens Ende 2017 findet das lange angekündigte Referendum über die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union statt. Die Brexit-Debatte ist in vollem Gange. Der britische Premierminister David Cameron will seine Landsleute davon überzeugen, dass sie Ja zum Verbleib in der Gemeinschaft sagen. Vorher soll der Rest Europas aber einer Reform der EU zugestimmt haben, die weniger Europa bedeutet. Im November übermittelte Cameron seine Reformvorstellungen an den Präsidenten des Rates Donald Tusk. Was will Cameron, und wie reagieren die von den Engländern gerne so titulierten „Continentals“? Reaktionen der Institutionen „Ich glaube, die Briten befinden sich in einem Prozess der Identitätsfindung“, sagt die Vorsitzende des Ausschusses für Konstitutionelle Fragen des Europäischen Parlaments, die polnische EVP-Abgeordnete Danuta Hübner. Der von ihr präsidierte Ausschuss ist mit den britischen Reformforderungen befasst. Hübner zeigt sich optimistisch, dass die Verhandlungen der EU mit Großbritannien zu einem positiven Ergebnis führen werden. Allerdings lasse sich kaum vorhersagen, wie die britische Öffentlichkeit auf diese Ergebnisse reagieren wird, zumal vor dem Hintergrund der europäischen Migrationskrise. Hübner betont, dass das Parlament den Verhandlungsergebnissen zustimmen muss. An die britische Öffentlichkeit appelliert sie: „Wir möchten, dass ihr in der EU verbleibt, doch ihr müsst die Entscheidung treffen. Denkt langfristig und denkt an die Welt um euch herum.“ Camerons Forderungen Bericht aus den Institutionen Dezember 2015 Einige der britischen Forderungen werden leicht zu erfüllen sein. Das gilt zum Beispiel für den Wunsch nach besserer Rechtsetzung. Dass Brüssel sich auf wesentliche Aufgaben konzentrieren und regulatorisches KleinKlein vermeiden soll, ist nicht wirklich neu. Das spiegelt sich auch bereits in einer deutlich zurückgenommenen Arbeit der Europäischen Kommission. Die Initiativen für Richtlinien und Verordnungen sind erkennbar weniger geworden. Im Rahmen des REFIT-Programms wird der europäische Rechtsbestand auf Entbehrliches durchforstet. Konsensfähig dürfte auch die Forderung nach einer Weiterentwicklung des Binnenmarkts sein. Besonders für Deutschland als Handelsmacht ist das von zentraler Bedeutung. Gerade hier wird immer wieder betont, wie wichtig die britische Sichtweise auch für die Deutschen ist. Zwar werden Freihandelsabkommen inzwischen vor allem in Deutschland von einer sehr kritischen Öffentlichkeit begleitet. Aus Sicht der Bundesregierung wird das britische Anliegen, TTIP verwirklicht sehen zu wollen, aber keine Einigungshürde darstellen. Selbst Camerons Aussagen zu währungspolitischen Fragen erscheinen zustimmungsfähig, beschreiben sie doch weitgehend den Status quo. Die EU und Großbritannien: wie herzlich ist das Verhältnis noch? Jean-Claude Juncker (links, in Umarmung mit Frankreichs Außenminister Laurent Fabius) und David Cameron © European Union, 2015 Deutlicher wird der Chef der EU-Kommission: „Einen Brexit wird es nicht geben“, sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am 18. November während eines Bürgerdialogs in Brüssel. Er setze sich für einen fairen Deal mit Großbritannien ein. EU-Ratspräsident Donald Tusk warnte am 7. Dezember vor einer Destabilisierung der Europäischen Union, sollte Großbritannien austreten. Für den Gipfel der Staats- und Regierungschefs im Februar 2016 erwartet er Vorschläge für eine Reform der EU, die den britischen Forderungen soweit als möglich entgegenkommen. Andere Forderungen werfen große Fragen auf, sind auch ohne Vertragsänderung nicht umzusetzen. Das betrifft nicht zuletzt den britischen Wunsch, das im EUVertrag verankerte Integrationsziel einer immer engeren Union aufzugeben. Nicht minder problematisch ist die Vorstellung, die Arbeitnehmerfreizügigkeit könnte eingeschränkt werden. Diese Grundfreiheit ist eine der tragenden Säulen der Europäischen Union, und ohne grundlegende Vertragsreform kann es hier zu keinen Änderungen kommen. Abgesehen davon dürfte gerade dieser Wunsch auch keine Mehrheit in der EU finden. Besonders die Osteuropäer sind geschlossen gegen ein Aufweichen dieser Regeln, da besonders mobile Arbeit- -2- aktuell 10. Jahrgang Bericht aus den Institutionen Reaktionen der Presse Dezember 2015 seit über 300 Jahren bestehende Union mit Schottland aufgelöst würde. Cameron, so viel steht fest, will das ganz sicher nicht. Auf der anderen Seite steht eine notorisch europaskeptische Presselandschaft, stehen auch finanzschwere Förderer einer Out-Kampagne. Offen ist, wie das Wahlvolk sich am Tag der Abstimmung entscheiden wird, ob es die Interessen des Landes wägt oder ob es getrieben wird von irrationalen Ängsten vor Terror und Aversionen gegen Flüchtlinge. Aus kontinentaler Sicht bleibt zu hoffen, dass Cameron nicht zum Zauberlehrling wird. Die Presseschau eurotopics zeigt die Resonanz auf die britischen Vorschläge in der europäischen Öffentlichkeit. Als ein „wahrhaftes Diktat“ bezeichnete die italienische Tageszeitung Avvenire am 11. November die Forderungen aus London. Cameron wolle die EU in eine „FUFMS“ umwandeln, eine „Flexible Union of Free Member States“. Die slowakische Pravda äußerte am gleichen Tag unter der Überschrift „Britisch Roulette für Europa“ die Befürchtung, die EU könne Zugeständnisse machen, die sie zurückwerfen und das Referendum dann trotzdem scheitern. Die mittelosteuropäischen Staaten lehnen vor allem die britische Forderung nach Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit ab. Der Schweizer Tagesspiegel sah demgegenüber gerade hierin einen interessanten Punkt für die aufs engste assoziierte, der EU jedoch nicht angehörende Schweiz. „Für Länder wie die Schweiz, die nicht Mitglied werden wollen, steigt die Aussicht auf flexible Lösungen – und einen dritten Weg.“ Macht Europa dicht? Über lange Jahre waren die offenen Grenzen eines der wichtigsten Argumente für ein geeintes Europa. Unter dem Eindruck einer großen Zahl Flüchtender, die über die Grenzen in die EU und dort weiter hauptsächlich nach Deutschland und Schweden fliehen, schließt ein Land nach dem anderen wieder die europäischen Binnengrenzen. Regelmäßige Grenzkontrollen gehören an vielen Grenzübergängen wieder zum Alltag. Ein Aussetzen der Schengenregeln für zwei Jahre wird diskutiert, die Verträge bieten seit 2013 diese Möglichkeit. Zudem regen Berlin und Paris an, die Europäische Grenzschutzagentur Frontex könne auf eigene Veranlassung hin Kräfte zur Sicherung der Außengrenzen in einzelne Mitgliedstaaten entsenden. Das wäre eine neue Qualität der Souveränitätsabgabe in diesem Bereich. Gleichzeitig lehnten die Dänen in einer Volksabstimmung eine vertiefte Zusammenarbeit über Europol ab. Spätestens Ende 2017 entscheidet sich der weitere europäische Weg der Insel © Stephen Finn – fotolia.com Der britische Historiker Timothy Garton Ash schrieb am 23. November in der spanischen Tageszeitung El País: „Das Problem ist der Kontext, das Gefühl, dass Großbritannien nur seine eigenen, eng definierten Interessen im Auge hat, dass die Politik Londons komplett vom Druck der Euroskeptiker zu Hause diktiert wird, während der Rest des Kontinents durch eine Existenzkrise geht.“ Die französische Le Monde kommentierte am 12. November, die Reformvorschläge seien vernünftig und angemessen. „Die Verhandlungen im Zusammenhang mit dem britischen Referendum stellen eine rare Gelegenheit dar, Europa neu zu legitimieren.“ Den Euroskeptikern könnten so die Flügel gestutzt werden, hofft die linksliberale Tageszeitung mit Blick auf die französische Front National. Die europäischen Innenminister diskutierten am 4. Dezember in Brüssel, welche Maßnahmen für den Schengenraum notwendig sind. Eine generelle Aufhebung der Regeln wurde nicht beschlossen, allerdings wurde die Kommission aufgefordert, einen Vorschlag für Regeln zur Wiedereinführung der Grenzkontrollen für einen begrenzten Zeitraum vorzulegen. Voraussetzung dafür ist immer, dass die Mitgliedstaaten darin übereinkommen, dass ein Staat bei der Sicherung der Außengrenzen der EU nicht seinen Pflichten nachkommt und deshalb eine unsichere Situation für das gesamte Unionsgebiet entsteht. Die Minister einigten sich darauf, sich künftig stärker gegenseitig zu informieren, sollte aus Sicht eines Mitgliedslandes eine kurzfristige Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen notwendig werden. Alles in allem bleibt es dabei: Cameron stand mit dem Rücken zur Wand, als er das Referendum ankündigte. Die City will in der EU bleiben. Die Amerikaner warnen London vor einem Bedeutungsverlust. Die Schotten dürften im Falle eines EU-Austritts neu über ihren Verbleib im Vereinten Königreich abstimmen. Aus Great Britain könnte schnell Little Britain werden, wenn die Einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zu Folge fordern die Innenminister Frankreichs und Deutschlands, Bernard Cazeneuve und Thomas de Maizière, in einem Brief an EU - Kommissar Dimitris Avramopoulos einen deutlichen Ausbau der Rechte von Frontex. In begründeten Ausnahmefällen soll sie auch -3- aktuell 10. Jahrgang Haushalt 2016 verabschiedet dann zum Einsatz kommen, wenn ein Mitgliedstaat nicht selbst darum gebeten hat. Demnach heißt es in dem Schreiben: „Weil wir Schengen erhalten wollen, müssen wir den Schutz unserer gemeinsamen EUAußengrenzen und das gemeinsame europäische Asylsystem dringend weiterentwickeln." Mehr Kompetenzen seien notwendig, „damit Frontex im Falle von schwerwiegenden Mängeln bei den Außengrenzkontrollen auf der Grundlage einer von Frontex vorgenommenen Risikobewertung schnell hinzugezogen werden kann“. Bericht aus den Institutionen Dezember 2015 Das Schauspiel wiederholt sich jedes Jahr aufs Neue: die Europäische Kommission legt früh einen Vorschlag für den Haushalt im darauffolgenden Jahr vor, danach ziehen dann das Parlament und der Rat in lange Verhandlungsrunden. Häufig wird mit einem Nothaushalt gedroht, wenn die eine oder andere Forderung der einen oder anderen Seite nicht erfüllt wird, und in einer abschließenden Nachtsitzung kommt es dann zu einer Einigung. Genau so war es auch in diesem Jahr. Mitte November wurde eine Last-Minute-Einigung über den EU-Haushalt 2016 erzielt und der Rat stimmte dem Vorschlag am 24. November zu, das Parlament folgte einen Tag später. Für Verpflichtungen sind 155 Milliarden Euro und für Zahlungen 143, 9 Milliarden Euro vorgesehen. Zahlungen sind für Ausgaben im laufenden Haushaltsjahr gedacht, Verpflichtungen beziehen sich auf mehrjährige EU-Programme. Eine Erhöhung um 1,6 Milliarden Euro gab es bei der Unterstützung für alle Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlings- und Migrationskrise. Zudem fordert das EU-Parlament in einer gesonderten Entschließung die Mitgliedstaaten auf, unerwartete Gewinne aus Bußgeldern und unerwartet hohe Zolleinnahmen in Höhe von 2,3 Milliarden Euro unter anderem für die Bewältigung der Syrienkrise zur Verfügung zu stellen. Für das kommende Jahr ist zudem eine umfassende Neubewertung der Prioritäten im EUHaushalt geplant. Europa, Symbol der Freiheit? © guukaa – fotolia.com Parteiübergreifend zeigten sich die meisten Parlamentarier grundsätzlich zufrieden mit dem erzielten Kompromiss. „Wir sind mit dem Budget bis an die Grenze gegangen, um mit allen Ressourcen und den Flexibilitätsinstrumenten effektiv auf die Herausforderung der Förderung der Beschäftigung zu reagieren und die Flüchtlingshilfe zu fördern“, erklärte der haushaltpolitische Sprecher der EVP-Fraktion José Manuel Fernandes. Jens Geier (S&D) begrüßte ebenfalls die Zugeständnisse in diesen Politikfeldern. Kritisch sei allerdings, dass der Rat sich bei den Haushaltsberatungen in seinen Sparbestrebungen durchgesetzt habe, in denen er vor allem Zahlungen in der Regionalpolitik von insgesamt 460 Millionen Euro gestrichen habe: „Damit hat er die Vereinbarung der Institutionen zur Beseitigung der Zahlungskrise der EU verletzt. Das bedeutet, dass der Kommission im Verlauf des Jahres 2016 das Geld in diesem Bereich ausgehen könnte." Für weniger Europa in der Sicherheitspolitik stimmten hingegen mehrheitlich die dänischen Wähler bei einer Abstimmung am 3. Dezember. Anlässlich einer Reform des Europäischen Polizeiamts Europol wurden die Dänen gefragt, ob ihr Land künftig auf nationale Ausnahmen bei der justiziellen Zusammenarbeit und der inneren Sicherheit verzichten soll. Etwa 53 Prozent verneinten dies. Deshalb wird Dänemark auch künftig nicht vollständig mit den europäischen Partnern bei der Verfolgung von Straftaten kooperieren. Regierungschef Lars Løkke Rasmussen hatte auch mit Blick auf den internationalen Terrorismus und die Anschläge für ein „Ja“ geworben und führte die Ablehnung unter anderem auf die „allgemeine EU-Skepsis“ zurück. Größter Gegner einer stärkeren Zusammenarbeit ist die rechtspopulistische Dänische Volkspartei (DF), die auch die derzeitige Minderheitsregierung stützt. Der DFVorsitzende Kristian Thulesen Dahl erklärte nach der Abstimmung: „Das Ergebnis steht im Kontrast zu der Idee, dass wir näher an den Kern der EU rücken und mehr und mehr Souveränität abgeben sollen." Der derzeitige Vorsitzende des Rats der Finanzminister, der Luxemburger Pierre Gramegna, betonte in einer Erklärung vor dem Parlament, dass der Haushalt „ein Gleichgewicht zwischen drei Vorgaben" herstellen müsse, nämlich zwischen Wachstum und Investitionen, den Notsituationen und Prioritäten angesichts der -4- 10. Jahrgang aktuell Arbeitsmarktbeobachtungsstelle berät Migration und Integration Migrationskrise und schließlich den etatmäßigen Einschränkungen des Europäischen Parlaments und der Mitgliedstaaten. Das sei mit dem vorliegenden Kompromiss gelungen. Wie können Migranten erfolgreich in den Arbeitsmarkt integriert werden. Auch in Brüssel wird intensiv nach Antworten auf diese Frage gesucht. Am 27. November befasste sich die Arbeitsmarktbeobachtungsstelle des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) mit dem Thema. Die Europäische Kommission stellte ihre Überlegungen insbesondere zur Arbeitsmarktintegration von Asylsuchenden und Flüchtlingen dar. Laurent Aujean, Generaldirektion Migration und Inneres der EU-Kommission, erklärte: „So gut wie alle Mitgliedstaaten werden Flüchtlinge aufnehmen und spezifische Integrationsmaßnahmen ergreifen müssen.“ Die Strategie müsse aber ganzheitlich sein, nicht allein auf Flüchtlinge fokussieren, sondern auf alle Migranten in Europa. EWSA fordert europäische Asylpolitik und solidarische Lastenteilung Bericht aus den Institutionen Dezember 2015 Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist unzufrieden mit den bisherigen Reaktionen der Mitgliedstaaten auf die Migrationskrise. Am 10. Dezember, dem internationalen Tag der Menschenrechte, verabschiedete der EWSA mit überwältigender Mehrheit eine Dringlichkeitsentschließung. In seiner Entschließung unterstreicht der EWSA die positive Rolle der Zivilgesellschaft Europas, die durch ihr schnelles, solidarisches Handeln eine humanitäre Katastrophe verhindert hat. Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, endlich eine gemeinsame europäische Asylpolitik umzusetzen. Diese müsse auf harmonisierten und wechselseitig anerkannten Verfahren in der ganzen EU basieren. Die Europäische Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten, Migranten wenn möglich bereits vor der Bewilligung ihres Asylantrags arbeiten zu lassen. Die Arbeitsmarktintegration müsse so schnell als möglich gelingen. Es dürfe dabei keine Ungleichbehandlung mit anderen Arbeitnehmern geben. „Zusätzlich zur Gleichbehandlung sollten spezielle Maßnahmen wie etwa intensive Sprachkurse ergriffen werden, die den Migranten bei der Integration in den Arbeitsmarkt helfen“, so der Kommissionsbeamte. „Wir haben bereits an 19 Mitgliedstaaten geschrieben, weil nicht ganz klar ist, ob überall europäisches Recht in Bezug auf Antidiskriminierung und Arbeitsmarktzugang eingehalten wird.“ Die Dublin Verordnung gelte es im Geiste der Solidarität zu überarbeiten. Der Ausschuss betont: „Darüber hinaus braucht es solidarische und tragfähige Systeme des Lastenausgleichs, wobei ein permanenter fairer und verbindlicher Schlüssel zur Verteilung der Schutzsuchenden auf alle Länder der EU der erste Schritt wäre.“ Der EWSA ist besorgt über den Zustand des SchengenRaums. Es gelte, die Reisefreiheit der EU-Bürger zu bewahren. Gleichzeitig spricht sich der Ausschuss für wirksame Kontrollen an den EU-Außengrenzen und die Einrichtung von humanitären Korridoren für die Schutz suchenden Menschen aus. An die Europäische Kommission appelliert der EWSA, die Mitgliedstaaten insbesondere auch bei der Integration der Flüchtlinge zu unterstützen. Ohne die Zivilgesellschaft, die sich überall in Europa in der Flüchtlingshilfe engagiert, sei die Herausforderung nicht zu bestehen. Auch die Sozialpartner seien in Bezug auf die Arbeitsmarktintegration der ankommenden Menschen gefordert. Lokale öffentliche Dienste müssten angemessen finanziell ausgestattet werden, um die Aufgabe bewältigen zu können. Der EWSA ist das beratende EU Organ, in dem die europäischen Sozialpartner, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, und die organisierte Zivilgesellschaft mit ihren Repräsentanten wichtige Impulse für die europäische Politikagenda geben. Auch der dbb ist hier traditionell vertreten. Der EWSA in der Brüsseler Rue Belliard © Tupungato – fotolia.com Die Asylverfahrensrichtlinie und die Richtlinie über die Aufnahmebedingungen von Personen, die internationalen Schutz beantragen, beide von 2013, sehen vor, dass der Status von Asylsuchenden binnen sechs Monaten geklärt und Zugang zum Arbeitsmarkt spätestens nach neun Monaten gewährt sein muss. Die Kommission arbeitet an einer weiteren Harmonisie- -5- 10. Jahrgang aktuell Bericht aus den Institutionen rung der einschlägigen nationalen Asylregelungen. Der Europäische Sozialfonds (ESF) hilft den Mitgliedstaaten bei den Integrationsbemühungen. Öffentliche und private Stellen müssten mit den Asylbehörden zusammenarbeiten, um Qualifizierungen und Umschulungen zu ermöglichen, erklärte Laurent Aujean, der Deutschland und Schweden diesbezüglich ausdrücklich lobte. Dezember 2015 und ihre Mitgliedstaaten sollen interkulturelle Ansätze in den Bildungssystemen und besonders in benachteiligten Stadtgebieten unterstützen, um Marginalisierung zu verhindern und soziale Teilhabe zu fördern. Hassbotschaften oder gar Rekrutierungsplattformen im Internet sollen im Einklang mit den Grundrechten rasch gelöscht werden können. Kernproblem auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Asylsystem, das im EU-Vertrag angelegt ist, bleibt ein Verteilungsschlüssel der Schutz suchenden Menschen auf die Mitgliedstaaten. Dieser muss die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in den Mitgliedstaaten berücksichtigen. Klar ist auch, das zeigten Interventionen von EWSA-Mitgliedern, dass ein solcher Schlüssel ohne einheitliche europäische Registrierung und eine durchsetzbare Residenzpflicht der Flüchtlinge nicht funktionieren kann. Auf dem Weg dorthin bleibt die größte Hürde eine politische: die prinzipielle Bereitschaft der Mitgliedstaaten, überhaupt Flüchtlinge aufzunehmen. Sicherheitskräfte führen Verdächtigen ab © Whitelook – fotolia.com Das Parlament fordert aber auch repressive Maßnahmen im Anti-Terrorkampf. So ruft es die Mitgliedstaaten in seiner Entschließung auf, eine gemeinsame schwarze Liste europäischer Dschihadisten und dschihadistischer Terrorverdächtiger zu erstellen. Dazu soll auch der Begriff „ausländische Kämpfer“ einheitlich definiert werden. Ausländische Kämpfer sollten nach ihrer Rückkehr nach Europa unter gerichtliche Kontrolle gestellt und gegebenenfalls in „Verwaltungshaft“ genommen werden, bis ein Strafverfahren gegen sie eröffnet wird. Die Kontrolle der EUAußengrenzen betrachten die Abgeordneten als besonders dringlich. Zudem soll die Zusammenarbeit der nationalen Strafverfolgungsbehörden untereinander und mit Europol intensiviert werden. Die Mitgliedstaaten sollten Instrumente wie das Schengener Informationssystem (SIS) besser nutzen, fordert das Parlament. Die Abgeordneten erklärten sich bereit, bis Jahresende Einigkeit über die Richtlinie über Fluggastdatensätze zu erzielen. Parlament fordert Strategie gegen Terror Das Europäische Parlament verabschiedete am 25. November eine Resolution, in der es mehr Prävention im Kampf gegen den Terrorismus fordert. Die Terroranschläge in Paris hätten einmal mehr gezeigt, dass koordinierte Maßnahmen der EU-Mitgliedstaaten dringend notwendig seien, damit Radikalisierung vermieden und Terrorismus bekämpft werden kann. Das Parlament fordert eine umfassende EU-Strategie gegen Extremismus. Im Fokus stehen dabei Prävention durch Bildung und soziale Teilhabe. Vor allem in Gefängnissen soll Radikalisierung entgegengewirkt werden, weil gerade dort Islamisten neue Dschihadisten werben. Das Parlament spricht sich aber auch für weitreichende repressive Maßnahmen bis hin zu „Verwaltungshaft“ aus. Familienangehörigen und Freunden von Terrorverdächtigen soll schnell geholfen werden, wenn diese sich an die Sicherheitsbehörden wenden. Wer beobachtet, dass ein Angehöriger sich radikalisiert, müsse Ansprechpartner haben, damit der Prozess der Radikalisierung durch rechtzeitige staatliche Intervention abgebrochen werden kann. Spätestens wenn die Radikalisierung so weit fortgeschritten ist, dass eine Ausreise in Kampfgebiete oder terroristische Ausbildungslager bevorsteht, gelte entschiedenes Handeln. Die Beschlagnahmung von Reisepässen wird in der Entschließung als ein geeignetes Präventionsmittel genannt. Die Abgeordneten verlangen aber auch, bereits deutlich früher in der Vorbeugung anzusetzen. Die EU Parlamentsbericht zu Steuerabsprachen von Großunternehmen mit EU-Staaten Nein, der Steuerbetrug ist kein Kavaliersdelikt. Er ist vielmehr Normalität in Europa. Nicht für die kleinen Leute, nicht für Arbeitnehmer oder Beamte, sondern für viele große Unternehmen. Oft genug kommt er scheinbar im Gewand der Legalität daher, ist aber doch Ausdruck eines grundlegenden Systemfehlers. -6- aktuell 10. Jahrgang Bericht aus den Institutionen Und etliche Mitgliedstaaten haben das Spiel mitgespielt, teilweise durch ihre „aggressive Steuerplanung“ überhaupt erst ermöglicht. Dazu zählen nicht nur Luxemburg und die Niederlande. Das Europäische Parlament hatte Anfang 2015 einen Sonderausschuss (TAXE) zu den so genannten Steuervorbescheiden eingerichtet. Am 25. November stellten die KoBerichterstatter, die Portugiesin Elisa Ferreira von der sozialdemokratischen S&D-Fraktion und der BadenWürttembergische FDP-Chef Michael Theurer von der liberalen ALDE-Fraktion, den Bericht des TAXEAusschusses vor. Der Widerstand gegen die parlamentarische Aufklärungsarbeit war groß. Dezember 2015 Irland, Großbritannien und den Niederlanden recherchiert. Die Regierungen waren aber nicht sehr auskunftsfreudig. „Sobald wir nach Details fragten, herrschte Stillschweigen“, berichtete Ferreira. Auch die EU-Kommission, deren Chef jahrelang Regierungschef und Finanzminister im besonders betroffenen Großherzogtum Luxemburg war, scheint sich stark zurückgehalten zu haben. Michael Theurer ergänzte, der Ausschuss hätte bessere Ergebnisse erzielen können, wenn es nicht diesen Widerstand wichtiger Akteure, mancher Mitgliedstaaten und der EU-Kommission gegeben hätte. „Wir haben von der `Verhaltenskodex´-Gruppe einige wichtige Dokumente gar nicht erhalten oder nur geschwärzte Fassungen“, so Theurer. Die aggressive Steuerplanung mancher EUMitgliedstaaten habe zu Steuererhöhungen für alle anderen Steuerzahler geführt. „Multinationale Unternehmen sollen Steuern dort zahlen, wo sie ihre Gewinne erwirtschaften.“ So lautet die Quintessenz des TAXE-Berichts, den das Plenum des Europäischen Parlaments am 25. November verabschiedete. Die Ko-Berichterstatter Elisa Ferreira und Michael Theurer erwarten nun Verbesserungen für einen fairen Steuerwettbewerb. Die Zusammenarbeit der Multis und der Mitgliedstaaten mit dem Ausschuss war aber schwierig, wie beide Abgeordneten berichteten. Offenbar hatten die großen Unternehmen es zunächst abgelehnt, vor dem Ausschuss aufzutreten und ihre Sicht über die Körperschaftssteuerplanung, also im Vorhinein mit der Politik vereinbarte Steuerleistungen, zu sprechen. Am Ende taten sie es doch, blieben aber in ihren Aus- und Zusagen vage. Auch die Staaten, die ja Komplizen in diesem begünstigenden Geschäft mit Steuervorbescheiden sind, scheinen nicht sehr kooperativ gewesen zu sein. Ferreira und Theurer fordern einen „effizienten Regelungsrahmen für einen fairen Steuerwettbewerb“. Ferreira erklärte: „Ich hoffe, der LuxLeaks-Skandal und die Arbeit des TAXE-Ausschusses werden die Art, wie wir mit Steuerthemen umgehen, beeinflussen.“ Der Bericht sei ein Meilenstein auf diesem Weg, so Theurer, eine „hochqualitative Analyse der unfairen, unzulässigen und teils illegalen Praktiken“. Sozialhilfe auch für EU-Ausländer Erst vor wenigen Monaten urteilte der Europäische Gerichtshof, dass solche EU-Ausländer von Hartz IV ausgeschlossen werden können, die noch nicht in Deutschland gearbeitet haben und für die Arbeitssuche nach Deutschland einreisen. Das Bundessozialgericht urteilte nun am 3. Dezember, die Sicherung des Existenzminimums nach sechs Monaten sei von diesem Urteil unberührt. Die Sozialämter müssten auch bei EU-Ausländern den Anspruch auf Sozialhilfe als Ermessensleistung prüfen. Nach spätestens sechs Monaten läge das Ermessen allerdings bei null, so dass in der Regel Sozialhilfe zu zahlen sei. Auch bei fehlender Freizügigkeitsberechtigung sei nach sechs Monaten eine „tatsächliche Aufenthaltsverfestigung“ erreicht und das Existenzminimum müsse gezahlt werden. Theurer und Kommissionspräsident Juncker © Europäisches Parlament, 2015 Das Bundessozialgericht hatte vor seinem Urteil den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in dieser Sache um eine Vorabentscheidung gebeten. Der EuGH hatte in einem Urteil am 15. September daraufhin geurteilt, dass ein EU-Staat Unionsbürger, die zur Arbeitssuche einreisen, von beitragsunabhängigen Sozialleistungen ausschließen kann. Bereits Ende 2014 hatte der EuGH in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden, dass EUBürger, die einreisen, ohne Arbeit zu suchen, von der Immerhin, freuten sich Ferreira und Theurer, hätten einige Unternehmen schließlich sogar die Parlamentsforderung nach konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlagen unterstützt. Vor dem Ausschuss erschienen unter anderen Amazon, Facebook, Google, IKEA und HSBC. Eine Delegation des Sonderausschusses hatte auch in Belgien, Luxemburg, der Schweiz, -7- aktuell 10. Jahrgang Bericht aus den Institutionen Grundsicherung („Hartz IV“) ausgeschlossen werden können. Im Kern sollte die Frage geklärt werden, ob der Ausschluss von Hartz IV-Leistungen im Falle von arbeitsuchenden EU-Bürgern gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung mit Hartz IV berechtigten Inländern verstößt. Der EuGH hatte diese Frage verneint. Dezember 2015 illegalen Waffenhandels vorlegen werde. „Es kann und wird nicht toleriert werden, dass sich die organisierte Kriminalität kriegstaugliche Waffen beschafft und damit Handel treibt.“ Konkret will die Kommission strengere Vorschriften erlassen, um halbautomatische Waffen generell für Privatpersonen zu verbieten. Auch endgültig deaktivierte halbautomatische Waffen sollen streng verboten sein. Schließlich könnten sie, da ihnen die Unbrauchbarkeit nicht anzusehen ist, für Überfälle benutzt werden. Brüssel setzt sich zudem für eine bessere Rückverfolgbarkeit von registrierten Waffen in der gesamten EU ein. Dementsprechend soll die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten verbessert werden. Die Kommission will die nationalen Waffenregister vernetzen, letztlich also ein europäisches Register schaffen. Auch Schreckschusswaffen wie Signal- und Startpistolen sollen strenger reguliert werden, da sie teilweise in voll funktionsfähige Feuerwaffen umgebaut werden können. Entscheidungen mit Reichweite © Zebra – fotolia.com Feuerwaffen-Richtlinie wird verschärft Die Europäische Kommission will den Erwerb von Schusswaffen erschweren. Nicht erst seit dem terroristischen Angriff auf Paris am 13. November betrachtet Brüssel dies als wichtigen Schritt für mehr Sicherheit im Innern der Europäischen Union. Bereits im April wurde die Europäische Sicherheitsagenda verabschiedet, die eine Reihe neuer Vorschriften vorsieht. Ihre Umsetzung wurde nun durch den dschihadistischen Terror stark beschleunigt. Die Kommission veröffentlichte am 18. November ein Maßnahmenpaket. Werden diese Maßnahmen vom europäischen Gesetzgeber verabschiedet, müssen künftig in legalem Besitz befindliche Waffen besser registriert, deaktivierte Waffen unbrauchbar gemacht werden. Die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten soll besser werden. Das gilt vor allem für den Informationsaustausch über registrierte Schuss- beziehungsweise Feuerwaffen. Halbautomatische Waffen im Visier © Stalkerstudent – fotolia.com Verbesserungen im Verkehrssektor Die Verkehrsinfrastruktur ist im EU-Binnenmarkt ein Gegenstand von hohem gemeinsamem Interesse. Die Europäische Kommission vergleicht regelmäßig 29 Verkehrskategorien, um eventuelle Investitionsbedarfe fest- und herauszustellen. Die Mitgliedstaaten sollen auf diese Weise bei der Verbesserung ihrer Verkehrsinfrastruktur unterstützt werden. Brüssel verfolgt mit seiner Förderpolitik das Ziel eines transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V). Am 20. November stellte die Kommission zum zweiten Mal den aktuellen EU - Verkehrsanzeiger vor, der die Leistung der Mitgliedstaaten im Verkehrssektor vergleicht. An der Spitze stehen aktuell die Niederlande, Deutschland führt das Mittelfeld an. Die Europäische Kommission unterstützt die Mitgliedstaaten in ihrem Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität. In diesem Zusammenhang ist die Feuerwaffen-Richtlinie von besonderer Bedeutung. Die Kommission erklärte: „Wir müssen EU-weit uneinheitliche Vorschriften durch strengere, harmonisierte EUStandards für Feuerwaffen ersetzen und für einen effizienten Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten sorgen.“ Kommissionspräsident JeanClaude Juncker kündigte zudem an, dass die Kommission bald auch einen Aktionsplan zur Bekämpfung -8- aktuell Bericht aus den Institutionen 10. Jahrgang Dezember 2015 - Beihilfevorschriften. Schließlich erhält die polnische Post den Ausgleich lediglich für zusätzliche Kosten, die von der Erfüllung der Universaldienstverpflichtung herrühren. Postdienste unterliegen einem staatlichen Gemeinwohlauftrag. Deutschland schneidet in neun der 29 Kategorien unter den fünf besten EU-Staaten ab, in vieren unter den letzten fünf. Die besten Werte haben nach den Niederlanden Schweden, Finnland, das Vereinigte Königreich und Dänemark. Auf den letzten Plätzen insgesamt liegen Polen und Rumänien. Die für den Verkehr zuständige Kommissarin Violeta Bulc sagte, die Zahlen für das Jahr 2015 zeigten, wie dynamisch der europäische Verkehrssektor sei. Sie freute sich über die Fortschritte, die gegenüber 2014 erzielt worden seien. Das gelte insgesamt für die Qualität der Infrastrukturen und die Öffnung des Schienengüterverkehrsmarktes. „Die Zahlen zeigen auch, wo noch Handlungsbedarf besteht, damit im Verkehrssektor Arbeitsplätze entstehen oder seine Nachhaltigkeit verbessert wird.“ Brüssel setzt sich vor allem für mehr Investitionen in die Elektromobilität ein. Die Verkehrssysteme sollen intelligenter zusammenwirken, gemeinsame Netze ausgebaut werden. Die für Wettbewerb zuständige Kommissarin Margrethe Vestager erklärte dazu: „Erstmals hat die Kommission die Anwendung eines AusgleichsfondsMechanismus zur Finanzierung von Universalpostdiensten genehmigt.“ Sie freue sich, dass das gebilligte polnische System im Sinne der EU – Beilhilfevorschriften den Kunden der polnischen Post zugutekommen wird. Die polnischen Behörden hatten ihr Finanzierungsvorhaben im Juni 2014 in Brüssel angemeldet. Konkret geht es um Basispostdienste, die der Markt nicht zu erschwinglichen Preisen abbilden kann, weshalb der Staat hier einen Ausgleich zahlt, um die Universaldienstverpflichtung aufrechtzuerhalten. Kommissarin Violeta Bulc Basispostdienste sind ein Gemeinwohlauftrag © Europäische Kommission, 2015 © Jürgen Fälchle – fotolia.com Der Verkehrssektor ist von großer Bedeutung für strategische politische Ziele der Europäischen Union. Diese sind neben dem Ausbau des Binnenmarkts eine zukunftsweisende Klimapolitik und der Aufbau einer Energieunion. In Bezug auf letztere geht es nicht zuletzt um die Frage, wie hoch der Anteil erneuerbarer Energien am Kraftstoffverbrauch im Verkehrssektor ist, wie viele zugelassen Fahrzeuge mit alternativen Brennstoffen betrieben werden. Den Ausbau des Binnenmarkts betrifft vor allem die weitere Eisenbahnliberalisierung, die Öffnung eines gemeinsamen Eisenbahnmarkts. Nach den im Jahr 2011 festgelegten EU - Beihilfevorschriften für Ausgleichsleistungen für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen kann Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen ein Ausgleich für die zusätzlichen Kosten gewährt werden. Die somit zulässigen Beihilfen dürfen jedoch nicht über einen Ausgleich der zusätzlichen Kosten hinausgehen. Eine Überkompensation wäre verboten. „Wettbewerbsverfälschungen“ will die Kommission soweit als möglich ausschließen. Für das Jahr 2013 wurde der Ausgleichsbetrag für die polnische Post auf 23 Millionen Euro veranschlagt. Finanziert wird der Ausgleich über einen Fonds, den einzurichten die dritte Postrichtlinie erlaubt. Die polnische Post ist noch vollständig in Staatseigentum und der größte Postdienstleister in Polen. Gemeinwohlauftrag der Post bestätigt Die Europäische Kommission genehmigte am 26. November eine Ausgleichzahlung, die Polen der polnischen Post gewährt hatte. Nach Auffassung der Kommission steht dieser Ausgleich im Einklang mit den EU -9- aktuell 10. Jahrgang Arbeitsschutz: „EU-Parlament auf dem richtigen Weg“ Der stellvertretende dbb Bundesvorsitzende und Fachvorstand Beamtenpolitik Hans-Ulrich Benra hat die Entschließung des Europäischen Parlaments „Strategischer Rahmen der EU für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2014 – 2020“ gelobt. „Konkrete Ziele, eine gute Ausstattung für Arbeitsaufsichtsbehörden, die konsequente Einbindung der Sozialpartner und ein Fokus auf Risikobewertungen – das Parlament setzt die richtigen Schwerpunkte“, sagte Benra am 27. November 2015 in Berlin. dbb in Europa Benra sicherte die Unterstützung des dbb bei diesen Vorhaben zu. „Die Fortschritte im Arbeitsschutz sind in den vergangenen Jahren immer weniger geworden, teilweise sind durch die Zunahme von prekären Beschäftigungsverhältnissen errungene Fortschritte komplett zunichte gemacht worden. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.“ Dezember 2015 dürfe. „Natürlich bedeutet Arbeitsschutz auch Aufwand für die Arbeitgeber, das steht außer Frage. Aber von einem hohen Schutzniveau profitieren langfristig beide Seiten. Wenn Arbeitnehmer aufgrund gesundheitlicher Belastungen am Arbeitsplatz frühzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden müssen, ist niemandem geholfen“, so der dbb-Vize. Nicht zuletzt in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit müsse das Arbeitsschutzniveau in Europa gehoben und nicht gesenkt werden. Ausdrücklich beziehe das Europäische Parlament sich mit seiner Entschließung auch auf die Arbeitnehmer im öffentlichen Sektor. „Die Arbeitswelt, auch im öffentlichen Dienst, befindet sich stark im Wandel. Neue Risiken müssen ernst genommen und entsprechende Lösungen formuliert werden. Vor allem psychosoziale Risiken wurden bislang häufig unterschätzt und sollten stärker in den Fokus genommen werden“, fordert Benra. „Das Europäische Parlament kann den dbb bei seinem Kampf für einen nachhaltigen europäischen Arbeitsschutz und für konkrete legislative EU-Maßnahmen zu seinen Verbündeten zählen, es befindet sich auf dem richtigen Weg.“ Blockade gegen EU-Frauenquote durchbrechen dbb Vize und Fachvorstand Beamtenpolitik Hans-Ulrich Benra © dbb, 2015 Ein Schlüssel für einen effizienten Arbeitsschutz sei unter anderem die zuverlässige Überwachung von Maßnahmen, so Benra. Das EU-Parlament fordert, „dass Aufsichtsbehörden ausreichend Personal und Ressourcen zur Verfügung stehen“ müssen und die Schulungen für Arbeitsaufsichtsbeamte verbessert werden sollen. Benra: „Es kann nicht sein, dass gerade beim Schutz solch fundamentaler Arbeitnehmerrechte gespart wird. Nur wenn ständig mit einer Prüfung der Standards zu rechnen ist, gibt es auch ein flächendeckendes Interesse an der Einhaltung. Schwarze Schafe haben so kaum eine Chance, den Arbeitsschutz schleifen zu lassen. Und das kann nur mit einer guten Personalausstattung und einer guten Aus- und Weiterbildung der Aufsichtspersonen gelingen.“ Der Antrag weise zudem darauf hin, dass eine Überprüfung des regulatorischen Rahmens für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, so wie es die EU-Kommission im Rahmen ihres REFIT-Programms plant, auf keinen Fall zu einer Verschlechterung für Arbeitnehmer führen -10- Am 7. Dezember 2015 tagt der EU-Beschäftigungsrat in Brüssel. Auf der Tagesordnung stand auch der Vorschlag der EU-Kommission für eine europaweite Frauenquote in Aufsichtsräten. Deutschland sorgte zusammen mit anderen Mitgliedstaaten für eine weitere Verschiebung des Beschlusses. Kirsten Lühmann, stellvertretende dbb Bundesvorsitzende und Präsidentin des CESIFrauenrechtsausschusses FEMM hatte am 2. Dezember 2015 in Berlin gefordert, die Mitgliedstaaten müssten den Weg für die Quote endlich freimachen. Die Vorsitzende der dbb bundesfrauenvertretung Helene Wildfeuer betonte die Vorbildfunktion Deutschlands als bevölkerungsreichstes und wirtschaftlich starkes EU-Mitglied bei der Gleichstellung. Sie warnte, ein Rückzieher der Bundesregierung könne negative Folgen für Frauen europaweit haben. Dennoch gab es auch gute Nachrichten, überraschend ermutigte der Beschäftigungsrat die Kommission, eine neue Gleichstellungsstrategie aufzulegen. Der nun auf Eis gelegte Kompromissvorschlag war bereits im Laufe der Verhandlungen abgeschwächt worden. Zwar war eine Quote von 40 Prozent des unterrepräsentierten Geschlechts in Aufsichtsräten bis 2020 vorgesehen. Staaten, die bereits eigene Maßnahmen unternommen haben, sollten sich daran aber nicht halten müssen. Deutschland hätte von dieser Klausel profitiert, da es die eigene Vorgabe von 30 Prozent ab 2016 nicht hätte ändern müssen. „Angesichts eines beinahe konstant großen Gender Pay Gaps und drohender Altersar- aktuell 10. Jahrgang mut für Millionen von Frauen muss die Politik nun endlich handeln. Dabei reicht die vorgeschlagene Quote bei Weitem nicht aus, die großen Probleme zu lösen. Sie ist dennoch ein wichtiges Signal, das weit über die eigentliche Regelung hinaus geht“, so Kirsten Lühmann. Die ablehnende Haltung des Rats sei ein schwerer Rückschlag. Dezember 2015 Geschlechterunterschiede in vielen Bereichen bislang nur bereit erklärt hat, sich auf der Basis eines informellen Arbeitspapiers für Gleichberechtigung einzusetzen. Ich hoffe, die Ratsempfehlung wird das jetzt ändern“, erklärte Kirsten Lühmann. dbb lehnt europäische Arbeitslosenversicherung ab Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales startete in diesem Herbst mit dem Grünbuch „Arbeiten 4.0 Arbeit weiter denken“ eine Konsultation zur Zukunft der Arbeit. Der dbb beteiligte sich Ende November mit einem „Dialogbeitrag“, in dem auch europäische Fragen angesprochen werden. So sieht der dbb auch auf europäischer Ebene Handlungsbedarf. Eine „europäische Arbeitslosenversicherung“, wie sie seit einiger Zeit diskutiert wird, lehnt der dbb aber entschieden ab. dbb in Europa Kirsten Lühmann und Helene Wildfeuer © dbb, 2015 „Frauen leiden unter Krisen besonders stark, da sie sich ohnehin schon häufiger in prekären Situationen befinden als Männer. Das können wir auf Dauer nicht einfach hinnehmen“, forderte Helene Wildfeuer. Mit Blick auf die wirtschaftlichen Herausforderungen, die unter anderem auch durch die Integration von hunderttausenden Migranten auf die Mitgliedstaaten zukommen, dürfe es hier nun keine Kompromisse geben. „Die Europäische Union hat durch ihre Politik in der Vergangenheit viele positive Veränderungen in der Gelichstellungspolitik auch in Deutschland bewirkt. Diese positive Gestaltungswille darf jetzt nicht nachlassen“, so Helene Wildfeuer. Auch auf nationaler Ebene im öffentlichen Dienst und in den privatisierten Bereichen müsse mehr getan werden, so die Chefin der dbb bundesfrauenvertretung weiter. „Flexible Führungsmodelle und ein stärkerer Fokus auf die Bedürfnisse vor allem junger Mütter kann auch hier zu mehr Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen insgesamt führen. Der öffentliche Dienst hinkt in vielen Bereichen der Gleichstellung noch hinterher, dabei müsste er eine viel stärkere Vorbildfunktion haben.“ Ein Signal für mehr europäische Gleichstellung ging dennoch vom Beschäftigungsrat aus, der die Kommission ermutigte, eine neue Gleichstellungsstrategie vorzulegen. Dieser Entschluss folgte einer Ankündigung der Kommission, statt einer Strategie nur ein nicht-bindendes „Staff Working Document“ zu veröffentlichen. CESI hatte gegen diese Degradierung der ursprünglichen Pläne zusammen mit der European Women’s Lobby mit einem Brief bei der luxemburgischen Ratspräsidentschaft protestiert. „ Es ist ein Skandal, dass sich die Kommission trotz fortgesetzter -11- Eine in Europa diskutierte „europäische Arbeitslosenversicherung“ lehnt der dbb kategorisch ab. „Die Sozialversicherungen der EU-Staaten müssen von europäischer Harmonisierung ausgenommen werden, weil sie höchst unterschiedlich gestaltet sind und auf erheblich verschiedenen Niveaus ansetzen. Zudem gelten für sie besondere rechtliche wie auch politisch - legitimatorische Bedingungen.“ Eine europäische Fiskalkapazität käme aus dbb Sicht unter bestimmten Voraussetzungen in Frage, solange sie nicht in die nationalen Sozialversicherungssysteme eingreift. Sie müsste als zweckgebundener europäischer Fonds definiert sein, der sich aus zusätzlichen Einnahmen der Europäischen Union speist, heißt es in der Stellungnahme. So soll sie nicht nur den Mitgliedern der Wirtschafts- und Währungsunion zur Verfügung stehen, sondern allen EU-Mitgliedstaaten, die sich an ihr beteiligen. Der dbb ist aufgeschlossen gegenüber der sorgfältigen Prüfung eines solchen europäischen Instruments, das nach dem Vorbild des Europäischen Globalisierungsfonds und auch im Sinne bereits erfolgender Verwendung von Strukturfondsmitteln in besonderen sozialen Krisenlagen europäische Hilfen generiert und somit auch stabilisierend auf nationale Arbeitsmärkte wirkt. Die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zur Sicherstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa erachtet der dbb als unverzichtbar und auch Anpassungen, Modernisierungen für geboten, um die nationalen Arbeitsmärkte stärker miteinander zu verzahnen und Mobilität im Sinne einer optimalen Allokation des Faktors Arbeit zu ermöglichen. Auch dort gilt aber: „In den Leistungsbereich der Sozialversicherung einzugreifen, hier eine partielle oder gar vollständige Verlagerung auf europäische Einrichtungen anzustreben, lehnt der dbb ab.“ 10. Jahrgang aktuell dbb in Europa Der dbb befürwortet – im Sinne einer Unterstützung der Arbeitsmarktpolitiken durch die EU – einen weiteren Ausbau des EURES-Netzwerks, also der europäischen Arbeitsvermittlung, wie sie in Deutschland von der Bundesagentur für Arbeit als deutscher EURES-Partner abgebildet wird. „Gleiches gilt für die wechselseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen, für die es einen europäischen Rahmen braucht, der allerdings nicht zur Infragestellung bewährter Qualifikationen in den Mitgliedstaaten führen darf.“ Die Sozialversicherung und ihr Leistungsbereich müssen aber nach Dafürhalten des dbb in der alleinigen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verbleiben. Der EU solle auch keine eigene Steuerhoheit zukommen. Etwaige zusätzliche Mittel müssten durch Zuweisungen der Mitgliedstaaten erfolgen. Die EU hat nach wie vor keine eigene Steuerhoheit. Die Voraussetzungen für einen solchen Integrationsschritt sähe der dbb auch nicht gegeben. Von zentraler Bedeutung zum Erreichen einer beschäftigungsintensiven, Sozialstaatlichkeit in Europa bewahrenden Arbeitswelt 4.0 sind aus dbb Sicht eine Vertiefung der Wirtschaftsunion, eine bessere Koordinierung der Wirtschaftspolitiken und gemeinsame Reformanstrengungen der EU-Staaten, nicht jedoch eine europäische Arbeitslosenversicherung. EU will Feuerwaffen strenger kontrollieren „Es ist höchste Zeit, dass die Polizeibehörden in Europa Zugriff auf die nationalen Waffenregister bekommen“, sagt der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizei Gewerkschaft (DPolG) Rainer Wendt am 30. November 2015 in Berlin. Wendt begrüßt ausdrücklich, dass die Kommission mit ihren nun vorgelegten Initiativen eine Vernetzung der Waffenregister und eine strenge Regulierung des Internethandels mit Schusswaffen anstrebt. Richtig sei auch ein striktes Verbot halbautomatischer Waffen für den privaten Erwerb. „Das ist Kriegsgerät, und das gehört nicht in die Hände von Privatpersonen.“ Der DPolG-Chef befürwortet auch europäische Kriterien für den Erwerb von Schreckschusswaffen. „Die Gefahr, dass solche Pistolen zu letalen Waffen umgebaut werden, ist real.“ Wendt erwartet, dass das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten im Rat dem sicherheitspolitischen Maßnahmenpaket der EU-Kommission zustimmen: „Auch im Kampf gegen den Handel mit illegalen Waffen haben wir in Europa keine Zeit zu verlieren.“ „Wir haben hierzulande lange darauf hinarbeiten müssen, dass wir endlich ein bundesweites Register schaffen“, so Wendt mit Blick auf die letzte Novellierung der EU-Waffenrichtlinie im Jahr 2008. „Damals galt es eine Kompetenzzersplitterung im deutschen Föderalismus zu -12- Dezember 2015 überwinden. Das war uns dank der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments gelungen.“ In Anbetracht des dschihadistischen Terrors und des organisierten Verbrechens sei es nun geboten, auch die nationalen Grenzen beim Informationsaustausch über registrierte Waffen aufzuheben. „Wenn die Bösen keine Grenzen kennen, dürfen die Guten sich nicht in Kleinstaaterei ergehen“, so Wendt. Der Datenabgleich müsse perspektivisch in Echtzeit möglich sein. „Wir spielen an zu vielen Fronten das Hase-und-Igel-Spiel. Information ist eine entscheidende Größe in der modernen Polizeiarbeit.“ Rainer Wendt © DPolG, 2015 Wendt spricht sich für eine deutliche Intensivierung der Zusammenarbeit europäischer Sicherheitsbehörden aus. „Wenn der europäische Gesetzgeber dafür die rechtlichen Grundlagen legt, ist das richtig und entspricht absolut den Herausforderungen unserer Zeit.“ Besonders wichtig sei das von der EU-Kommission angekündigte Vorhaben, bald auch stärker gemeinsam gegen den illegalen Waffenhandel vorzugehen. „Da müssen sich auch manche auf dem schwarzen Markt aktive Sammler und Waffennarren kritisch hinterfragen. Was sie tun, ist kriminell, auch wenn sie nicht vorhaben, die Waffen einzusetzen. Und sie schaffen einen Markt, der letztlich Kriminellen und womöglich auch Terroristen hilft.“ Wendt begrüßt das umgehende Inkrafttreten der Verordnung über gemeinsame Mindeststandards für die Deaktivierung von Feuerwaffen. „Es ist gut, dass auch der Besitz unbrauchbar gemachter halbautomatischer Waffen verboten wird.“ Zum einen könne eine Deaktivierung unter bestimmten Voraussetzungen rückgängig gemacht werden. Zum anderen dienten solche nach wie vor schussbereit wirkenden Waffen unter Umständen Kriminellen bei Überfällen. Terror und organisierte Kriminalität ließen sich nur wirksam bekämpfen, wenn die Europäische Sicherheitsagenda konsequent umgesetzt werde. 10. Jahrgang aktuell Für Freihandel, unter bestimmten Voraussetzungen Neues von der CESI „Freihandel ist gut“, sagt CESI-Generalsekretär Klaus Heeger, „wenn er ein Wirtschaftswachstum bewirkt, das Wohlstand nicht für einige wenige, sondern für möglichst viele bringt“. Handel solle Arbeitnehmerrechte und Sozialstandards nicht nur nicht in Frage stellen. „Fairer Handel kann dazu beitragen, diese sozialen Rechte und Standards zu sichern und auch jenen zugänglich zu machen, die bisher davon ausgeschlossen sind“, so Heeger. Beim transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP habe die CESI gewisse Zweifel, ob es diese Voraussetzungen erfüllt, erklärt der Generalsekretär. „Das ist für uns unabhängige Gewerkschaften aber der entscheidende Faktor. Wir messen TTIP daran, ob es Mindeststandards gewährleistet für hochwertige Arbeit, soziale Rechte, Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz.“ Der Vorstand der CESI verabschiedete Anfang Dezember eine neue Stellungnahme zu den TTIPVerhandlungen. In der Stellungnahme spricht die CESI sich allgemein für Klauseln in Freihandelsabkommen aus, die negative Auswirkungen auf Arbeitnehmerrechte und Arbeitsbedingungen verhindern. „Darüber hinaus ist es eine Priorität für die CESI, eine Demontage von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (DAI) in der EU zu vermeiden und angemessene Arbeitsbedingungen und Personalausstattungen im DAI anbietenden öffentlichen Sektor zu bewahren.“ Freihandel könne Liberalisierungsdruck bewirken. Dies lehnt die CESI kategorisch ab. „Folglich fordert die CESI den unzweideutigen Ausschluss der DAI vom Anwendungsbereich von Freihandelsabkommen.“ Tatsächlich beobachte die CESI, so Heeger, nicht nur TTIP, sondern auch die Geheimverhandlungen zum plurilateralen Abkommen über Dienstleistungen (TiSA) mit zunehmender Sorge. Die CESI betont in ihrer aktuellen Stellungnahme, dass auch die nationalen Regeln und Definitionen von Vergabekriterien für öffentliche Ausschreibungen von Behörden in keiner Weise durch Freihandelsabkommen berührt werden dürfen. Die CESI befürchtet auch negative Folgen von TTIP für die nationalen Sozialschutzsysteme. „Freihandelsabkommen dürfen gesetzliche Sozialversicherungssysteme nicht beschränken“, heißt es in der CESI-Stellungnahme. Weiterhin dürfe Investorenschutz auf keinen Fall das Recht der Parlamente beeinträchtigen, im Sinne des Gemeinwohls Gesetze zu erlassen. Grundsätzlich fordert die CESI mehr Transparenz in Handelsfragen. Die EU müsse in den Verhandlungen mit den Vertragspartnern darauf bestehen, dass zumindest die acht ILO – Kernarbeitsnormen vollständig ratifiziert, glaubwürdig angewandt und durchgesetzt werden. Dass weder die USA noch Kanada die einschlägigen ILO-Konventionen unterzeichnet haben, betrachtet die CESI als grundlegendes -13- Dezember 2015 Problem und Hindernis für eine Ratifizierung der Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Diese und weitere Positionspapiere der CESI finden sich hier. 25 Jahre CESI Am 1. Dezember feierten gut hundert Gäste aus Mitgliedsgewerkschaften, europäischen Verbänden und aus der EU-Politik in Brüssel das 25-jährige Bestehen der CESI. Neben CESI-Präsident Romain Wolff und CESIGeneralsekretär Klaus Heeger sprachen Dimitris Papadimoulis (Vize-Präsident des Europäischen Parlaments), Marc Hansen (Staatssekretär im Ministerium für Wohnungsbau, Luxemburg) und Michel Servoz (Generaldirektor der Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Integration) zu den Gästen. dbb feiert mit CESI (v.l.n.r.): Horst Günther Klitzing (DPhV), Dietmar Knecht (dbb MecklenburgVorpommern), Horst Sayffaerth (DPVKOM), CESI Ehrenpräsident Peter Heesen, CESI Youth Sprecher Matthäus Fandrejewski, CESI Präsident Romain Wolff, dbb Vize Ulrich Silberbach, dbb Vize Volker Stich, dbb Vize Claus Weselsky, CESI Schatzmeister Frank Stöhr © Steve Heiliger, 2015 CESI Youth: „Ängste abbauen und Flucht verstehen“ In der neuesten Ausgabe des dbb Jugendmagazins „t@cker“ kommentiert CESI Youth Sprecher Matthäus Fandrejewski die europäische Flüchtlingspolitik. „Es ist einfach untragbar, wie unser soziales Europa, das 2012 sogar mit einem Friedensnobelpreis gewürdigt wurde, mit der Flüchtlingsfrage umgeht! Wo sind die gemeinsam gesetzten europäischen Werte geblieben? Schwinden sie, sobald es nicht mehr um die Steigerung des Bruttosozialproduktes geht?“ Besonders in der jetzigen Situation reichten Worte nicht aus. „Wir haben gemeinsame Werte, aber auch gemeinsame Pflichten!“ Dennoch würden immer mehr EU-Mitgliedstaaten ungeachtet des Schengen-Abkommens ihre Grenzen zu ihren europäischen Nachbarstaaten schließen. Dabei 10. Jahrgang aktuell Neues von der CESI komme es zu teils kriegsähnlichen Zuständen, die nicht akzeptabel seien, so Fandrejewski. „Sind das die Grenzen, die wir uns in Europa wünschen?“ Während eines der letzten EU-Gipfeltreffen im Juni sei die Nachbarschaftspolitik wichtigstes Thema gewesen und die Regierungschefs hätten sich für die Integration der Nachbarn der EU ausgesprochen. „Heute, wenige Monate später, schotten sich Länder unserer Wertegemeinschaft mit aller Gewalt vor diesen Nachbarn ab.“ Dennoch sei offensichtlich, dass die Flüchtlingsproblematik sehr komplex sei. „Es kommen plötzlich tausende Menschen zu uns. Viele müssen medizinisch erstversorgt werden, es muss ein menschengerechter Schlafplatz und eine Grundversorgung zur Verfügung gestellt werden.“ Dabei müsse vor allem aber auch auf die Gründe für die derzeitigen Fluchtbewegungen geschaut werden. „Aktuell sind es vor allem die Krisen in Syrien, Irak, Afghanistan und einigen Ländern Afrikas, die viele Menschen vor Krieg und Gewalt fliehen lassen. Dazu kommen viele Menschen, die aus Armut und Unterversorgung fliehen. Auch dieser Wunsch nach einer sozialen und wirtschaftlichen Absicherung ist ein ganz normales menschliches Bedürfnis, das jeder von uns in sich hat.“ Europa dürfe sich nicht vor seiner historischen Verantwortung wegducken und gleichzeitig müssten Befürchtungen ernst genommen werden, so Fandrejewski: „Es ziehen plötzlich fremde Menschen in unsere Nachbarschaft – Menschen, die sich anders verhalten, die anders aussehen und eine ganz andere Kultur leben. Aber wir müssen diese Ängste vor den Zufluchtsuchenden abbauen. Wir müssen uns mit den Befürchtungen beschäftigen und darüber sprechen. Vor allem aber müssen wir mit den „Neuen“ in Kontakt kommen, sie kennen- und verstehen lernen, versuchen, uns in ihre Lebenssituation hineinzuversetzen – schlicht: sachlich bleiben und uns mit der konkreten Situation vor Ort auseinandersetzen.“ Heeger zum Jahreswachstumsbericht Am 26. November legte die EU-Kommission ihren Jahreswachstumsbericht 2016 vor und leitete damit das neue Europäische Semester ein. Am Ende dieses Prozesses stehen die jährlichen länderspezifischen Empfehlungen an die Mitgliedstaaten. CESI-Generalsekretär begrüßte die veränderte Einstellung der Kommission zu Sozialinvestitionen: „Sparen um jeden Preis ist schädlich für die Mitgliedstaaten. Der neue Tonfall der Kommission ist erfreulich. Bei ihrem Einsatz für mehr Investitionen in Gesundheit und Kindererziehung stehen wir an ihrer Seite.“ Bedauerlich sei aber die Zurückhaltung bezüglich öffentlicher Dienste. „Ohne funktionierende öffentliche Dienste kann kein wirtschaftlicher Aufschwung nachhaltige Wirkung entfalten.“ -14- Dezember 2015 Viele Verwaltungen seien mittlerweile aufgrund von Personalnot und Mittelkürzungen stark in ihrer Funktionsfähigkeit bedroht, so Heeger. „Das scheint die Kommission aber nicht zu verstehen und findet keine klaren Worte gegen diese falsche Politik der Mitgliedstaaten.“ Der CESI-Generalsekretär setzt sich für ein grundsätzliches Umdenken der Kommission und in den Mitgliedsländern ein: „Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst mussten in den vergangenen Jahren bereits starke Einschnitte hinnehmen. Meist deutlich stärker als im privaten Sektor. Das ist weder nachhaltig noch gerecht.“ Vor allem mit Blick auf die aktuellen und kommenden Herausforderungen sei diese Politik falsch. „In der Flüchtlingskrise sehen wir zurzeit in vielen Mitgliedstaaten, wie Ordnungskräfte, Kommunalbeschäftigte, Lehrer und viele mehr über sich hinaus wachsen. Sie dürfen mit dieser großen Belastung nicht alleine gelassen werden, die Mitgliedstaaten haben auch für sie und ihr Wohlbefinden eine große Verantwortung.“ Heeger kündigte an, diese Positionen auch über die „European Semester Alliance“ an die europäischen Institutionen heranzutragen. „Ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Institutionen setzt sich zusammen mit uns für eine andere europäische Politik ein. Es geht in den kommenden Jahren darum, die Grundlage für die folgenden Generationen zu legen.“ Noch gebe es die Möglichkeit, die richtigen Prioritäten zu setzen und funktionierende Strukturen zu bewahren. „Kaputtsparen war noch nie eine Lösung. Die öffentliche Verwaltung hat in der Vergangenheit gute Dienste geleistet, Europa stünde ohne sie wirtschaftlich deutlich schlechter dar.“ CESI-Youth trotzt Terror-Warnungen Am 20. November 2015 fand das zweite CESI Youth Meeting in Brüssel statt. Überschattet wurde das Meeting durch die anhaltend hohe Terrorwarnstufe der Behörden in Belgien. Dennoch zeigte sich die europäische Gewerkschaftsjugend davon überzeugt, das Vorantreiben des europäischen Gedankens über antidemokratisches Gedankengut zu stellen. In den Fokus der Beratungen stellten die Teilnehmer Vorhaben für den European Youth-Event 2016 beim Europäischen Parlament, die gewerkschaftliche Teilhabe junger Gewerkschaftsmitglieder in Europa sowie die weitere Zusammenarbeit. Ebenso nahm ein Positionspapier zu jungen Flüchtlingen breiten Raum der Diskussionen ein. Das mindestens einmal im Jahr stattfindende Treffen gibt den Spitzen der Gewerkschaftsjugenden aus den Mitgliedsorganisationen der CESI die Möglichkeit, ihre Interessen auf europäischer Ebene zu artikulieren. aktuell Bürger und Verbraucher 10. Jahrgang Dezember 2015 Geoblocking Cybersicherheit Kürzlich erst wurde der „Smombie“ zum Jugendwort des Jahres gewählt. Gemeint sind Menschen, die so sehr auf ihr Smartphone starren, dass sie die Welt um sich herum vergessen. Nah liegt auch die Annahme, viele dieser Smombies schauten sich Serien oder Filme auf ihrem Mobilgerät an. Wenn sie das über einen Streamingdienst machen, ist bislang an der Landesgrenze häufig Schluss. Anbieter erkennen, aus welchem Land ein Dienst angefragt wird und erlauben nur bestimmte Standorte, andere werden unterbunden, das sogenannte Geoblocking. Besonders etwa für urlaubende Smombies also bislang ein Graus. Die Europäische Kommission scheint jetzt ein Nachsehen zu haben und will das Geoblocking einschränken. Hat ein Nutzer zum Beispiel ein Abo für einen Streamingkanal, dann soll er diesen künftig von überall innerhalb der EU auch aufrufen können, sofern es ein kostenpflichtiges Angebot ist. Auch wenn die öffentliche Debatte derzeit hauptsächlich von der Sicherheit an Grenzen und im öffentlichen Raum insgesamt bestimmt wird, immer mehr Verbrechen finden mittlerweile ganz ohne direkten Kontakt im digitalen Raum statt. Auch öffentliche Infrastruktur kann über diesen Weg angegriffen werden. Längst gibt es ausgefeilte Krisenszenarien, wie im Falle eines erfolgreichen Cyberanschlags etwa auf die öffentliche Stromversorgung zu reagieren ist. Rat und Parlament einigten sich Anfang Dezember erstmals auf eine neue europäische Regelung, die bestimmte Sektoren - Energieversorgung, Transport, Finanzdienstleistungen, Gesundheitsdienste und Wasserversorgung - dazu verpflichtet, sicherzustellen, dass ihre digitale Infrastruktur tatsächlich geschützt ist. Diese „wesentlichen Dienste“ sollen so sicherstellen, dass sie jederzeit robust genug sind, um Cyber-Angriffen zu widerstehen. Auch OnlineMarktplätze wie eBay oder Amazon, Suchmaschinen und Datenclouds müssen sicherstellen, dass ihre Infrastruktur sicher ist. Die Mitgliedstaaten müssen nun „Betreiber von wesentlicher Diensten“ in diesen Sektoren nach bestimmten Kriterien benennen. Wichtige Kriterien für diese Auswahl sind unter anderem, ob die angebotene Leistung entscheidend für die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft ist und ob sich ein Störfall maßgeblich auf das öffentliche Leben auswirken könnte. Fluggastdaten Im Netz verschwimmen die Grenzen. © ninog – fotolia.com Onlineshopping Weitere Erleichterungen soll es künftig auch im Onlinehandel geben. Die Kommission schlägt mehrere Verbesserungen für das grenzüberschreitende Einkaufen im Internet vor. So soll künftig die Beweislast, dass der Mangel zum Zeitpunkt der Lieferung bestand, europaweit einheitlich auf zwei Jahre ausgedehnt werden. Bislang gibt es hier, für den Verbraucher wenig transparent, unterschiedliche nationale Regeln. Auch das Recht, vom Vertrag zurückzutreten und selbst bei kleinen Mängeln den Kaufpreis erstattet zu bekommen, soll künftig EU-weit gelten. Zudem gibt es einige Vorschläge, die den Handel mit digitalen Inhalten betreffen. Für die Haftung von Lieferanten bei mangelhaften digitalen Inhalten und Diensten soll es in Zukunft keine zeitliche Begrenzung geben, weil digitale Inhalte nicht dem Verschleiß unterliegen. Außerdem darf der Lieferant personenbezogenen Daten, die er im Austausch mit digitalen Inhalten oder Diensten erhalten hat, nicht mehr verwenden, wenn der Vertrag beendet ist. -15- Aus den Reisedaten eines durchschnittlichen Flugpassagiers lässt sich sehr viel herauslesen. Wann hält er sich wo auf. Mit wem reist er? Wie zahlt er seine Tickets? Welche Anschlussflüge nimmt er? All das sind sensible Daten, die nicht jedem jederzeit öffentlich zugänglich sein sollten. Die Amerikaner fanden nach 9/11 darauf unzweideutige Antworten; Passagiere sind dort längst gläsern, zumal wenn es sich um NichtAmerikaner handelt. Wie genau mit diesen Daten in Europa umzugehen ist, sollte in einer europäischen Richtlinie geregelt werden. Allerdings lag der Vorschlag aufgrund vieler datenschutzrechtlicher Bedenken lange auf Eis. Erst nach den Anschlägen von Paris war wieder Bewegung in den Prozess gekommen. Der Innenausschuss des Europäischen Parlaments stimmte nun einem Vorschlag zu, dass in nationalen Systemen die Fluggastdaten gesammelt, ausgewertet und untereinander ausgetauscht werden sollen. Zwar sollen die Daten nach einem halben Jahr maskiert werden, also ohne direkten Bezug auf den Reisenden. Auf Antrag soll aber eine „Demaskierung“ für weitere viereinhalb Jahre lang möglich sein. Das Plenum muss über den Vorschlag noch abschließend beraten. 10. Jahrgang aktuell Vertrauen stärken von Birgit Sippel MdEP Ausblick Die terroristischen Anschläge in der französischen Hauptstadt, aber auch weitere damit verbundene Ereignisse, wie die Festnahmen mutmaßlicher Komplizen in Brüssel, verunsichern viele Menschen. Als eine Reaktion darauf wünschen sich viele ein gemeinsames starkes Auftreten gegenüber einer diffusen Bedrohung. Dies wurde nicht zuletzt an Sätzen wie "nous sommes unis" - wir sind vereint - deutlich. Wie diese starke Einheit allerdings aussehen soll, darüber gibt es sehr unterschiedliche Meinungen. Nur allzu gerne machen sich einige Akteure die derzeitige öffentliche Verunsicherung zu Nutzen und behaupten, allein neue Sicherheitsmaßnamen und instrumente könnten in der derzeitigen Situation helfen. Nicht zuletzt wird dies bei den wiederaufkommenden Rufen nach dem sogenannten „Krieg gegen den Terror“ deutlich, der erstmals im Jahre 2001 nach den Anschlägen vom 11. September von den USA ausgerufen wurde. Viele Aspekte erkennen wir auch heute wieder: Kriegsrhetorik, schwarz-weiß-Gegensätze wie „Gut“ und „Böse“ sowie Intoleranz bis Aggression gegen alle, die sich dieser Rhetorik mit den daraus folgenden Maßnahmen nicht anschließen. Nicht zuletzt Bilder von Guantanamo oder auch von CIA-Foltergefängnissen in Polen und Rumänien machen deutlich, wohin eine solche Herangehensweise führt. Langfristige Folgen wie zusammenbrechende Staaten und das Entstehen des sogenannten IS sind da noch nicht eingerechnet. Eine derartige Entwicklung kann und darf nicht unser Ziel sein! Derzeit wird der Ruf nach mehr Überwachung wieder laut. Und obgleich bereits bestehende Maßnahmen nicht effektiv genutzt werden, der Informationsaustausch zwischen Behörden beziehungsweise zwischen Staaten nicht nur sehr lückenhaft funktioniert, werden Vorschläge für Gesetze, die eigentlich unter anderem aufgrund von Grundrechtebedenken begraben wurden - wie beispielsweise die Fluggastdatenspeicherung - plötzlich wieder als unverzichtbare Lösung gegen Kriminalität und Terrorismus präsentiert. Mal unterschwellig, mal direkt unterlegt mit der Behauptung, damit hätten die letzten Attentate verhindert werden können. Was ist dann aber die angemessene Antwort in der derzeitigen Situation? Eines ist klar: terroristische Anschläge erfordern eine kritische Überprüfung vorhandener Maßnahmen und ihrer Verbesserung; zugleich müssen verantwortliche Entscheider einen kühlen Kopf bewahren. Vorschnelles Handeln und überhöhte Rhetorik bringen keine guten Ansätze, bergen aber die Gefahr, Grundrechte, wie die Freiheit der Person, die Hand- -16- Dezember 2015 lungsfreiheit oder auch das Recht auf Privatsphäre ohne echten Mehrwert für die Sicherheit über den Haufen zu werfen. Wir müssen mit Besonnenheit und Verstand sicherheitspolitisch relevante Bereiche, wie beispielsweise die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in der EU, prüfen und, falls nötig, reformieren. Ein Blick auf die derzeitige Zusammenarbeit von Polizei und Justiz auf europäischer Ebene zeigt: Während Politikbereiche wie die Handelspolitik oft schon weitgehend im Rahmen der Europäischen Union vergemeinschaftet wurden, liegen die Kompetenzen bei der Innen- und Justizpolitik noch zu großen Teilen bei den Mitgliedstaaten. Dabei haben nicht erst die Anschläge in Paris, gefolgt von dem abgesagten Fußball-Länderspiel in Hannover und den Festnahmen in Brüssel gezeigt: Verbrechen enden nur noch selten an der Landesgrenze. Kriminelle und Terroristen arbeiten zunehmend über Staatsgrenzen hinweg und so stoßen einzelstaatliche Polizei- und Justizbehörden in ihrer täglichen Arbeit viel zu oft an ihre wortwörtliche (Landes-)Grenze. Fordert einen kühlen Kopf bei der Überprüfung von Maßnahmen der inneren Sicherheit: Birgit Sippel © Birgit Sippel, 2015 Dass der Bereich Justiz und Inneres trotz der Schaffung des „gemeinsamen Raumes der Freiheit, Sicherheit und des Rechts“ viele Jahre unangetastete Kompetenz der Mitgliedstaaten blieb, ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass trotz der geschilderten zunehmenden grenzüberschreitenden Tendenz von Strafverfolgung die Kontrolle über Polizei und Justiz als die klassische Aufgabe des souveränen Staates gilt. Und so wurden innerhalb der EU lange Zeit jegliche Versuche zur Vergemeinschaftung dieser Bereiche sofort wieder von der Hand gewiesen, während andere Kompetenzen schrittweise auf die supranationale Ebene gehoben wurden. Erst mit dem Vertrag von Amsterdam im Jahre 1997 wurde die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft verankert. Es dauerte jedoch weitere zehn Jahre, bis zum Vertrag von Lissabon, bis dieser Politikbereich 10. Jahrgang aktuell Ausblick endlich auf EU-Ebene, unter gleichwertiger legislativer Mitentscheidungskompetenz von EU-Parlament und Rat, gelangte. Seither hat sich Einiges getan. Einerseits wurde eine Reihe von EU-Agenturen geschaffen, die bei der Umsetzung der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit helfen sollen. Dazu gehören das Europäische Polizeiamt (Europol) und die Agentur für Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaften (Eurojust) ebenso wie die EUAgentur für Grundrechte oder die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht. Andererseits wurde insbesondere mithilfe von EU-Richtlinien beziehungsweise Rahmenbeschlüssen die Grundlagen für eine verbessere Zusammenarbeit von Polizei und Justiz geschaffen. Diese Form der Rechtsakte ist für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des Ziels verbindlich, es ist ihnen jedoch freigestellt, wie und in welcher Form sie das Ziel erreichen. Zu den bekanntesten Beispielen gehört hier sicherlich die Europäische Ermittlungsanordnung, die die grenzüberschreitende Umsetzung polizeilicher oder justizieller Anordnungen aus einem Mitgliedstaat in einem anderen Mitgliedstaat regelt, vor allem im Bereich der Beweisermittlung. Auch der Europäische Haftbefehl, ein Instrument zur EU-weiten Durchsetzung eines nationalen Haftbefehls, hat den Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit bei allen noch bestehenden praktischen Defiziten vorangebracht. Neben diesen bereits verabschiedeten Instrumente gibt es eine Reihe weiterer, derzeit verhandelter Instrumente, die die gemeinsame Strafverfolgung im europäischen Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts vereinheitlichen sollen: Pläne zu einer europäischen Staatsanwaltschaft zur Bekämpfung von Straftaten gegen die finanziellen Interessen der EU zusammen mit der derzeit debattierten Richtlinie für eine strafrechtliche Bekämpfung von finanziellem Betrug gegen die EU (sogenannte PIF-Richtlinie) oder die Bekämpfung der Korruption. All dies sind Maßnahmen, die das Vertrauen der Mitgliedstaaten in die Justizsysteme der jeweils anderen stärken und so für eine verbesserte justizielle Zusammenarbeit sorgen können. Leider besteht aber nach wie vor das Grundproblem, dass viele Mitgliedstaaten nicht bereit sind, die hierfür nötigen Kompetenzen tatsächlich als gemeinsame Zuständigkeit an die Europäische Gemeinschaft zu übertragen. Und so versuchen sie die jeweiligen Gesetzesvorschläge mit rechtlichen Schlupflöchern oder Ausnahmeregelungen zu verwässern. Statt bei einem einheitlichen europäischen Rechtsrahmen enden wir so erneut in einem undurchdringlichen Wirrwarr von Einzelregelungen. Das schafft kein Vertrauen, sondern schürt alleine das Misstrauen untereinander. Als EU- -17- Dezember 2015 Parlament fordern wir daher eine effiziente und mit umfangreichen Kompetenzen ausgestattete Europäische Staatsanwaltschaft mit einheitlichen Verfahrensrechten wie auch eine starke PIF-Richtlinie, die beispielsweise auch Fälle des Mehrwertsteuerbetrugs mit einbezieht. Der Fokus auf die verstärkte gemeinsame Strafverfolgung kann und darf gleichwohl nicht der einzige Schwerpunkt der zukünftigen polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit sein, auch nicht im Bereich der Terrorismusbekämpfung. Wir müssen stets gewährleisten, dass wir unsere Werte nicht selbst verraten, indem wir die Angriffsziele der Täter, nämlich Freiheit und Demokratie, selbst immer weiter einschränken. Darüber hinaus ist Strafverfolgung hier nur ein Element. Mit gleicher Kraft müssen wir parallel Integration und Teilhabe für alle Bürger als Teil von Prävention begreifen, wir brauchen nachhaltige Projekte der Deradikalisierung, Ausstiegsprogramme und Reintegration für bereits radikalisierte Menschen. Die verstärkte polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit erfordert zugleich Anpassungen und Harmonisierungen etwa bei den Beschuldigten- und Verfahrensrechten. Aus diesem Grund hat das Europäische Parlament seine neuen Legislativkompetenzen, die es durch den Lissabon-Vertrag erhalten hat, in den vergangenen Jahren verstärkt genutzt, um insbesondere auch die Rechte von Beschuldigten und Verdächtigen in Strafverfahren zu stärken. Wenn Strafverfolgung europäisiert wird, dürfen Verfahrensrechte nicht weiterhin ausschließlich in der Kompetenz der Mitgliedstaaten liegen. In der ersten Legislaturperiode unter dem LissabonVertrag (2009-2014) konnten wir bereits drei grundlegende Richtlinien - Stärkung des Rechts auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen, auf Belehrung und auf einen Rechtsbeistand - verabschieden. In der aktuellen Legislaturperiode arbeiten wir an drei weiteren Richtlinien, mit denen das Prinzip der Unschuldsvermutung, das Recht auf Prozesskostenhilfe und besondere Verfahrensgarantien für Kinder EU-weit gestärkt werden sollen. Eine dringend notwendige Komplettierung der bereits verabschiedeten Richtlinien! Auch das stärkt das Vertrauen der Mitgliedstaaten untereinander und erhöht insbesondere das Vertrauen der EU-Bürger in die verstärkte Zusammenarbeit von Polizei und Justiz. Beim Schutz personenbezogener Daten sehen wir als Parlament weiterhin einen großen Nachholbedarf. Es ist absolut inakzeptabel, dass einerseits die Kompetenzen von Polizei und Justiz auf europäischer Ebene verstärkt werden, der Schutz personenbezogener Daten im Polizei- und Justizbereich aber weiterhin auf einem relativ unverbindlichen und auch inhaltlich schwachen Rah- 10. Jahrgang aktuell Ausblick menbeschluss aus dem Jahre 2008 basiert, zusammen mit den weiterhin bestehenden generellen Unterschieden in den Datenschutzvorschriften der Mitgliedstaaten. Damit erfolgt der Schutz personenbezogener Daten - Daten von Verdächtigen und Beschuldigten wie auch von Opfern und Zeugen - auf einem Flickenteppich von Rechtsvorschriften. Dem Bereich des Datenschutzes muss auf EU-Ebene deutlich mehr Bedeutung zukommen, gerade auch mit Blick auf die weiter zunehmende Digitalisierung. Als Parlament haben wir mit Nachdruck gefordert, dass die seit Jahren vom Rat gebremsten Verhandlungen zum Datenschutzpaket endlich zum Abschluss gebracht werden. Dieses Paket umfasst eine allgemeine Verordnung, die für die Mitgliedstaaten direkt verbindlich ist, und eine Richtlinie für den Schutz personenbezogener Daten im Bereich Polizei und Justiz. Das Datenschutzpaket bietet dann auch endlich die Möglichkeit, einen verbindlichen EU-weiten Schutzrahmen für die derzeitigen und vor allem auch für alle zukünftigen Instrumente im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit zu schaffen. Ein weiteres wichtiges Element, um gegenseitige Vertrauen und Kooperation zu stärken und zu vereinfachen. All die Punkte, die ich bis hierhin angeführt habe, zeigen: Hauptziel all unserer Bemühungen muss die Verbesserung des Vertrauens der Mitgliedstaaten untereinander und auch des Vertrauens der Bürger in die polizeiliche und justizielle Kooperation der Mitgliedstaaten sein. Dieses Vertrauen und die daraus resultierende Stärkung der Institutionen und Behörden sind der Baustoff, auf den wir stärker setzen müssen. Aus diesem Grund stellen wir uns als Sozialdemokraten auch klar gegen zum Teil drastische Personalkürzungen bei Polizei und Justiz. Für mehr Vertrauen darf es zudem nicht bei der Verabschiedung von Gesetzen oder der Gründung von Agenturen bleiben. Jede Maßnahme ist zum Scheitern verurteilt, wenn sie nicht auch tatsächlich von den Mitgliedstaaten beziehungsweise den zuständigen Polizei- und Justizbehörden genutzt wird. Und auch hier besteht nach wie vor Nachholbedarf. Neben der bereits kritisierten mangelhaften Nutzung von Maßnahmen und dem lückenhaften Informationsaustausch gibt es Verbesserungsbedarf bei der Umsetzung von Gesetzen in nationales Recht. so auch bei den bereits angesprochenen Richtlinien im Bereich der Verfahrensrechte, die vielfach verspätet und erst nach einer schriftlichen Aufforderung durch die Kommission umgesetzt wurden. In einigen Fällen war sogar eine weitere Ermahnung von Seiten der Kommission, die sogenannte „schriftliche Stellungnahme“ und damit die -18- Dezember 2015 zweite Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens nötig, damit die Richtlinien tatsächlich in nationales Recht umgesetzt wurden. Verspätete Umsetzung und mangelhafte praktische Anwendung führen zu Schutzlücken auch für Beschuldigte und Opfer. Dies befeuert nur die Zweifel nationaler Polizei- und Justizbehörden an der Verlässlichkeit der Behörden eines anderen Mitgliedstaats. Und wo die Behörden nicht das Gefühl haben, sich auf den Partner des anderen Mitgliedstaats verlassen zu können, kann die Zusammenarbeit nicht vernünftig funktionieren. Es ist somit unerlässlich, dass die Kommission ihre Rolle als Hüterin der Verträge vollumfänglich wahrnimmt und durch die konsequente Überprüfung der Umsetzung der EU-Rechtstexte der Nachlässigkeit der Mitgliedstaaten entgegen wirkt. Im Bereich Polizei und Justiz hat sie dazu seit dem Jahr 2014 die nötigen Kompetenzen. Volle Umsetzung bereits verabschiedeter Rechtstexte; Komplettierung angefangener Gesetzespakete wie bei den Verfahrensrechten; finaler, ambitionierter Abschluss seit langem auf dem Verhandlungstisch liegender Dossiers wie des Datenschutzpakets und auch der Europäischen Staatsanwaltschaft. Das sind die Bereiche auf die wir uns nun konzentrieren müssen. Das schafft das gegenseitige Vertrauen, das für eine effiziente Zusammenarbeit der Behörden nötig ist. Gelingen kann dies nur im konstruktiven Miteinander europäischer und nationaler Akteure. Birgit Sippel, MdEP, ist für die SPD seit 2009 im Europäischen Parlament tätig. Als innenpolitische Sprecherin der sozialdemokratischen S&D-Fraktion befasst sie sich mit der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit auf EUEbene, aber auch mit den Themen Sicherheit und Terrorismusbekämpfung, Schutz der Grundrechte und der Privatsphäre sowie Migration, Asyl und Freizügigkeit. Termine 14.-17.12.2015 Plenum Europäisches Parlament; Straßburg 15.12.2015 Lesung: „Europa literarisch“ mit Dragan Velikić; EU-Kommission; Österreichisches Kulturforum; Berlin; 18:00 Uhr 17.12.2015 PodiumsdiskussionWie können Unternehmen in Deutschland vom EUInvestitionsplan profitieren?; EUKommission/BDI; Haus der Deutschen Wirtschaft; Berlin, 12:00 Uhr 17./18.12.2015 Europäischer Rat; Brüssel 18.12.2015 Podiumsdiskussion mit der Ehefrau des Sacharow-Preisträgers Raif Badawi; EUParlament; Akademie der Künste; Berlin; 20:00 Uhr 10. Jahrgang aktuell Dezember 2015 Gespräch mit Gunther Krichbaum MdB, Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union im Deutschen Bundestag Einblick © Gunther Krichbaum, 2015 Gunther Krichbaum ist seit seinem Einzug in den Deutschen Bundestag 2002 für die CDU Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und steht diesem seit 2007 auch vor. Der Wirtschaftsjurist ist Träger der Ehrenauszeichnungen von gleich vier europäischen Ländern: Niederlande (Orde van Oranje-Nassau), Frankreich (Ordre national de la Légion d'honneur), Rumänien (Steaua României) und Österreich (Großes Goldenes Ehrenzeichen). Europathemen: Welche Prioritäten muss die Europäische Union für das kommende Jahr setzen, um handlungsfähig zu bleiben? Krichbaum: Die europäischen Institutionen und die Mitgliedstaaten müssen mit voller Kraft und Entschlossenheit die größte Herausforderung seit dem 2. Weltkrieg anpacken und endlich Lösungen in der Flüchtlingskrise finden. Natürlich gibt es darüber hinaus noch weitere Herausforderungen, etwa das britische Referendum oder die innenpolitischen Entwicklungen nach den Wahlen in Polen und Frankreich. Die Abstimmungen haben nämlich etwas gemeinsam: die politischen Fliehkräfte werden bedient. Zwar gibt es solche Kräfte schon seit Längerem, sei es in Schweden, Finnland oder die FPÖ in Österreich. Doch mittlerweile ist kaum noch ein Mitgliedstaat davon verschont. Das bedeutet für die Europäer, dass wir Europa jetzt mehr denn je zusammenhalten müssen. Noch nie war die Lage für die Europäische Union und für den Einigungsgedanken prekärer als heute. Europathemen: Wie kann die Europäische Union diesen Fliehkräften entgegenwirken? Krichbaum: Die konkreten Herausforderungen müssen entschieden angegangen werden. Die Europäische -19- Kommission ist jetzt zum Beispiel in der Pflicht, eine faire Verteilung von Flüchtlingen in Europa zu organisieren. Denn die europäische Idee zeichnet sich neben den gelebten Werten wie Frieden, Freiheit, Rechtstaatlichkeit und Demokratie vor allem durch den Solidargedanken aus. Mit dieser Solidarität nehmen es aber etliche Mitgliedstaaten nicht mehr ganz so genau. Im Gegenteil, viele sind nur dann sehr empfänglich, wenn es um Mittel für den Ausbau der Infrastruktur in den einzelnen Ländern geht. Jetzt ist die Zeit gekommen, etwas zurückzugeben. Solidarität muss auch im 21. Jahrhundert in Europa gelebt werden, sonst wird dieses Europa in dieser Form das 22. Jahrhundert nicht erleben. Die einzelnen europäischen Mitgliedsländer können in Zeiten der Globalisierung nur dann erfolgreich sein, wenn sie zusammenstehen. Deswegen erleben wir heute genau genommen keine Krise Europas, sondern eine Krise der Nationalstaaten, deren Egoismus die europäische Idee ernsthaft bedroht. Europathemen: Was muss Europa jetzt in der aktuellen Flüchtlingssituation unternehmen? Krichbaum: Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wird beim nächsten Treffen der europäischen Staatsund Regierungschefs am 17. und 18. Dezember konkrete 10. Jahrgang aktuell Vorschläge hierzu präsentieren. Das gilt es jetzt abzuwarten. Grundsätzlich bleibt aber festzuhalten, dass mit der ersten Entscheidung über die Umverteilung von 160.000 Flüchtlingen ein Anfang gemacht wurde. Enttäuschend ist aber schon, dass davon bis zum heutigen Tag nicht mal 1.000 tatsächlich verteilt wurden. Es kann nicht sein, dass sich einige Länder, vornehmlich in Osteuropa, einen schlanken Fuß machen. Die Europäische Kommission muss auf sie mehr Druck ausüben. Das alleine wird aber auch nicht reichen. Mittelfristig braucht es eine echte Europäisierung des Asylrechts. Das kann nur dann funktionieren, wenn die Europäer sich auf gemeinsame Standards und vor allem auch auf einheitliche Leistungen für Flüchtlinge in der EU einigen. Einblick Europathemen: Welche Gründe sehen Sie für die derzeit sehr hohen Flüchtlingszahlen? Krichbaum: Einerseits gibt es die Symptome einer großen Krise, die sich beispielsweise im Bürgerkrieg in Syrien oder auch in vielen Ländern Afrikas zeigen, wo der Klimawandel dafür sorgt, dass die Äcker keine Nahrung mehr für die Bevölkerung bringen. Aber es reicht nicht, nur über die Symptome zu reden. Die dahinterliegenden Ursachen müssen bekämpft werden. Und in diesem Kampf ist vor allem die Europäische Union viel stärker gefordert als in der Vergangenheit. Kein Mitgliedstaat kann die Herausforderung für sich alleine genommen bewältigen. Ursachenbekämpfung heißt dann, neue Wege in der Entwicklungszusammenarbeit zu gehen. Jetzt rächt sich, dass wir Europäer über Jahrzehnte hinweg den afrikanischen Kontinent vernachlässigt haben. Es darf nicht jedes EU-Mitgliedsland seine eigenen Ziele verfolgen, wir brauchen eine geschlossene europäische Strategie. Da kommt sehr viel Arbeit auf Europa zu. Europathemen: Was heißt das konkret? Krichbaum: Die Politik muss etwa die Wirtschaft ermuntern und dabei unterstützen, stärker in den Ländern Afrikas zu investieren. Zum Beispiel sind im Moment aus Deutschland nur rund 1.000 Unternehmen auf dem afrikanischen Kontinent aktiv. Das ist viel zu wenig, das Potential ist viel größer. Europäische Unternehmen müssen sich stärker vor Ort einbringen. Denn wenn dort Arbeitsplätze geschaffen werden, entsteht so auch gleichzeitig eine tragfähige Lebensgrundlage für viele Menschen und damit Perspektiven, dass sie sich in ihrer Heimat eine Zukunft aufbauen können. Dadurch kann auf weitere Sicht auch die Flucht aus diesen Ländern begrenzt werden. Europathemen: Was sind die dringendsten Herausforderungen in der europäischen Innen- und Sicherheitspolitik? Krichbaum: Die Europäische Kommission ist ganz akut gefordert, die Außengrenzen besser und stärker zu sichern. Die durchlässigste ist gegenwärtig die türkisch- -20- Dezember 2015 griechische Grenze. Dazu muss unter anderem Frontex gestärkt werden. Ich warne aber vor zu großen Erwartungen. Frontex ist sehr zum Schlagwort geworden, kann aber als eine von vielen europäischen Agenturen nicht alleine die Lösung sein. Dennoch muss Frontex mehr Befugnisse bekommen. Ein wichtiger Schritt dafür ist die Initiative der französischen und deutschen Innenminister, Bernard Cazeneuve und Thomas de Maizière. Sie wollen eigene Eingriffsbefugnisse für Frontex für den Fall, dass ein Mitgliedstaat seinen originären Aufgaben der Grenzsicherung nicht nachkommen kann. Dann müssen diese Grenzen unter eine gemeinsame Verantwortung gestellt werden können. Das bedeutet natürlich die Abgabe nationaler Souveränität, aber es ist an der Stelle richtig, um Konflikte innerhalb der Europäischen Union vermeiden zu helfen. Wenn Europa es nicht bald schafft, seine Außengrenzen zu sichern, dann werden wir eine große Errungenschaft verlieren und zwar Schengen, die offenen Binnengrenzen. Das wäre ein Rückfall in längst vergangene Zeiten. Das kann keiner wollen und sich auch keiner wünschen. Europathemen: Sind die vorübergehend wieder eingeführten Grenzkontrollen zwischen einigen Mitgliedstaaten gerechtfertigt? Krichbaum: Diese vorübergehenden Hilfsmaßnahmen wären sicher nicht notwendig, wenn alle Außengrenzen der Europäischen Union effizient geschützt würden. An den Binnengrenzen ist die Situation aber eine andere. Deutschlands Grenze ist gut 3.750 Kilometer lang. Wir sind heute auch dank Europa von Freunden umgeben. Diese Grenze in letzter Konsequenz schützen zu wollen, wäre schon technisch eine riesige Herausforderung. Seit den 90er Jahren haben wir mit Blick auf den Schengenraum viele der damaligen Grenzschutzkapazitäten abgebaut. Die können heute nicht einfach reaktiviert werden, weil sie schlicht nicht mehr da sind. Zudem kann es auch nicht gewollt sein, dass wir uns vollständig abschotten. Das würde nur die Schlepper stärken, denn die Menschen werden weiter nach Europa und Deutschland kommen wollen und dann auch Wege finden. Zuwanderung muss auch weiterhin auf legalem Wege möglich sein. Allerdings brauchen wir klare Zuwanderungskontingente, um wieder Herr des Verfahrens zu werden. Europathemen: In der Diskussion der vergangenen Monate ist die europäische Wirtschafts- und Finanzkrise fast vollständig aus den Schlagzeilen verschwunden. Ist diese Krise überstanden oder täuscht der Eindruck? Krichbaum: Nur weil sich die Lage in Europa etwa beruhigt hat, dürfen wir uns jetzt nicht in falscher Sicherheit wiegen. Die Europäische Union muss deutlich wettbewerbsfähiger werden, als sie es im Moment ist. Die Eurozone hat in den vergangenen Jahren bereits viele 10. Jahrgang aktuell Reformen in kürzester Zeit vollbracht, die vernünftigerweise schon der Vertrag von Maastricht hätte einführen müssen. Die EU hat im Zeitraffer das nachgeholt, was damals schon geboten gewesen wäre. Jetzt muss es noch weiter gehen. Als nächstes steht eine ernsthafte Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion an. Im sogenannten Fünf-Präsidenten-Bericht, einem Reformvorschlag der Spitzen der wichtigsten europäischen Institutionen, werden dafür bereits wichtige Impulse gesetzt. Die Reformvorschläge lassen sich grob in zwei Stufen unterteilen. In der ersten Stufe sind noch keine Vertragsänderungen notwendig, für die zweite Stufe am Ende dann aber sehr wohl. Mir ist besonders wichtig, dass die parlamentarische Kontrolle verstärkt wird, da gibt es bislang einige Defizite. Einblick Europathemen: In welchen Bereichen wäre ein Kompetenzzuwachs für die europäischen Institutionen denkbar? Krichbaum: Deutlich wird das zum Beispiel mit Blick auf die sogenannten länderspezifischen Empfehlungen. Die Europäische Kommission schreibt damit jedem Mitgliedstaat jedes Jahr ins Stammbuch, welche Wirtschaftsreformen aus ihrer Sicht notwendig sind. Letztlich bleibt das aber bislang wirkungslos, weil die Kommission die Reformen nicht selbst vollstrecken kann, sie bleiben reine Empfehlungen. Das würde sich nur dann ändern, wenn es in Brüssel einen echten Haushaltskommissar gäbe, der nationale Reformen auch anleiten könnte. Dazu müssten die Mitgliedstaaten natürlich bereit sein, einen Teil ihrer Souveränität in diesem Bereich abzugeben. Das scheint derzeit undenkbar. Deswegen wird es absehbar bei all dem, was die Kommission an der Stelle macht, bei Empfehlungen bleiben. Es müssen jetzt andere Wege gefunden werden, den Druck für Reformen zu erhöhen. Gleichwohl bleibt da noch sehr, sehr viel zu tun. Europathemen: Einige Mitgliedstaaten scheinen eher gewillt als andere, Kompetenzen an die europäische Ebene abzugeben. Muss künftig verstärkt auf ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten gesetzt werden, in dem einige Staaten mit einer vertieften Integration vorausgehen? Krichbaum: Unterschiedliche Geschwindigkeiten gibt es bereits heute. So gibt es Staaten, die sich am Schengenraum beteiligen und andere, die das nicht machen. Ähnlich ist es beim Euro. Selbst im Bereich der inneren Sicherheit gibt es diese unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Großbritannien und Dänemark müssen im Bereich der Justiz und der polizeilichen Zusammenarbeit nicht alle europäischen Maßnahmen mitmachen. Deshalb kann es auch künftig geboten sein, dass Länder im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit voranmarschieren, wenn sie das für sinnvoll halten. Das wäre zum Beispiel für eine europäische Finanztransaktionssteuer denkbar, einige Staaten haben hier bereits -21- Dezember 2015 konkrete Überlegungen, auch wenn der Prozess etwas ins Stocken geraten ist. Wichtig ist, dass die Länder ihren Weg gehen können, ohne dass andere Länder blockieren oder blockiert werden können. Im besten Falle wirkt das Projekt einzelner Staaten wie ein Magnet, der andere anzieht. Europathemen: Den umgekehrten Weg scheint derzeit Großbritannien zu gehen. Premierminister David Cameron hat Vorschläge vorgelegt, die das Land von bestimmten europäischen Pflichten befreien würden. Wie sollte Europa auf diesen Vorstoß reagieren? Krichbaum: Grundsätzlich kann man über alles diskutieren, wenn ein Staat Vorschläge auf den Tisch legt, über die er gerne mal sprechen würde. Die britische Position ist aber sehr differenziert zu betrachten. Wenn Herr Cameron jetzt mehr Wettbewerbsfähigkeit einfordert, rennt er damit bei den meisten Mitgliedstaaten offene Türen ein, die Juncker-Kommission setzt sich ebenfalls genau dafür ein. Inakzeptabel ist aber der britische Vorschlag, Sozialleistungen für EU-Arbeitnehmer in Großbritannien erst nach einer Karenzzeit von vier Jahren freizugeben. Der Europäische Gerichtshof würde eine solche diskriminierende Regelung ohnehin niemals durchgehen lassen, da dies gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit verstoßen würde. Europathemen: Was würde ein Austritt Großbritanniens für die Europäische Union bedeuten? Krichbaum: Es ist eine souveräne Entscheidung der britischen Wähler, ob das Land in der Union bleibt oder nicht. Es ist mein erklärter Wunsch, dass es zu keinem Austritt kommt. Wir teilen zum Beispiel in der Sicherheits- und Außenpolitik, in der Verteidigungspolitik und auch in der Wirtschaftspolitik viele gemeinsame Interessen. Das sollte nicht einfach leichtfertig aufgegeben werden. Über eins muss sich Premierminister Cameron zudem im Klaren sein. Bei einem Austritt würde er nicht nur eine Union verlieren, sondern gleich zwei. Zum Einen natürlich die Europäische Union, aber mit Blick auf das Vereinigte Königreich auch den Zusammenschluss mit Schottland. Dort ist die Bevölkerung mehrheitlich für einen Verbleib in der Europäischen Union und würde dann vermutlich lieber ein unabhängiges Schottland in der EU sehen. Ich würde mir von Cameron wünschen, dass er in den kommenden Monaten klar für einen Verbleib des gesamten Königreichs in der EU wirbt. Die Wirtschaft, nicht zuletzt die Finanzmärkte, sehen ganz klar die Vorzüge einer britischen EU-Mitgliedschaft, der das Land einen guten Teil seiner wirtschaftlichen Stärke zu verdanken hat. Ein Austritt kann gar nicht im britischen Interesse sein.