Nina Gülicher: Inszenierte Skulptur. Auguste Rodin, Medardo Rosso

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Nina Gülicher: Inszenierte Skulptur. Auguste Rodin, Medardo Rosso
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Marion Bornscheuer: Rezension von: Nina Gülicher: Inszenierte
Skulptur. Auguste Rodin, Medardo Rosso, Constantin Brancusi,
München: Verlag Silke Schreiber 2011, in sehepunkte 12 (2012),
Nr. 5 [15.05.2012],
URL:http://www.sehepunkte.de/2012/05/20557.html
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sehepunkte 12 (2012), Nr. 5
Nina Gülicher: Inszenierte Skulptur
Nina Gülichers Buch über die Inszenierung von Skulptur an der Wende
vom 19. zum 20. Jahrhundert, das auf der leicht geänderten Fassung
ihrer Dissertation basiert, zählt zweifelsohne zu den intelligentesten und
spannendsten kunsthistorischen Neuerscheinungen des letzten Jahres.
Mit ihrer These, dass auch künstlerisch 'klassisch' aufgefasste
Skulpturen dezidierte Anforderungen an ihre räumliche Inszenierung
stellen, verlässt sie die ausgetretenen Pfade der gängigen Theorie, die
bislang polarisierend zwischen räumlich autonomer und räumlich
abhängiger Skulptur (Installationen, Performances) unterschied. So
untersucht die Autorin erstmals 'systematisch und historisch [...]
sämtliche inszenatorische Mittel, die Bildhauer in den Jahrzehnten um
1900 für sich nutzten' (13), wobei sie die 'inszenatorischen Mittel im
Sinne einer Erweiterung der bildhauerischen Mittel' (11) begreift. Als
Musterbeispiele wählt sie die Meistertrias Auguste Rodin (1840-1917),
Medardo Rosso (1858-1928) und Constantin Brancusi (1876-1957), die in
den Jahrzehnten um 1900 maßgeblich zur Modernisierung der Skulptur
beigetragen haben: Sie zählten nämlich 'zu den ersten Bildhauern, die
sich den Forderungen des Salons und offizieller Auftraggeber nach der
idealisierenden Nachahmung der menschlichen Gestalt nicht beugten
und eigene konzeptionelle Prinzipien durchsetzten' (20).
Ihrem Anspruch nach geht die Publikation über eine wissenschaftliche
Denksportaufgabe weit hinaus, indem sie Fragen thematisiert, die auch
2012 für die kuratorische Praxis höchst relevant sind: Wie sind
Skulpturen ihrer Rezeptionsästhetik zufolge angemessen zu präsentieren
(92ff.)? Erfordern sie spezifische Sockel, und falls ja: wie indizieren sie
dies (85ff., 110ff., 133ff.)? Welche Anforderungen stellen die
bildhauerischen Konzepte an die Ausstattung und Beleuchtung der
Ausstellungsräume (98ff., 119ff., 150ff.)? Basiert die ideale Szenografie
auf einer solitären Präsentation der Werke, oder bedingt sie auch die
Bildung von Werkgruppen (149ff.)? Und welche Rolle spielt der
Standpunkt des Betrachters (111ff.)?
Gerahmt von einer 'Einleitung' mit Forschungsbericht und
Arbeitsvorhaben sowie einem Schlusskapitel über die 'Verschiebung von
plastischen und inszenatorischen Mitteln' gliedert sich die Untersuchung
der bildhauerischen Ästhetik von Rodin, Rosso und Brancusi in drei
Hauptkapitel. Das erste widmet sich den skulptur- und
kunsttheoretischen Hintergründen, welche die mise en scène - die im
Sinne von 'Inszenierung' als Leitbegriff gewählt wird (13) - zum festen
Bestandteil moderner bildhauerischer Konzepte erklärt (18). Letztere
rekonstruiert die Autorin durch eine akribische Analyse der zentralen
Begriffe, mit denen die Bildhauer selbst ihre künstlerischen Intentionen
beschrieben haben. [ 1 ] Hier wird deren Originalität evident:
Während Rodins vielansichtig konzipierte Skulpturen erst bei ihrer
Umrundung die volle Wirkung ihrer - zusätzlich Bewegung
suggerierenden - Modellierung entfalten (30-36), erscheint das figürliche
Motiv in Rossos reliefartig aufgebauten Skulpturen erst bei einer
weitgehenden Einschränkung des Blickwinkels evident (42ff.). Brancusi
schließlich, der die Formen seiner Skulpturen als 'kleinsten Nenner einer
übergreifenden kosmischen Ordnung' begriff (49), entwickelte mit der
ideellen Verzahnung von Volumen und Raum das umfassendste
bildhauerische Konzept.
Im zweiten Kapitel analysiert die Autorin die Bedingungen und die
Umsetzung der inszenatorischen Vorgehensweise von Rodin, Rosso und
Brancusi im Ausstellungsraum (21). Die Voraussetzungen hierfür leitet
sie zunächst aus den im Rahmen größerer Gruppenausstellungen
entwickelten malerischen Strategien der mise en scène ab, wie
beispielsweise aus den ab Mitte der 1870er-Jahre organisierten
Impressionisten-Ausstellungen (63), um anschließend einzelne
Ausstellungen zu untersuchen, die für die Bildhauer im Hinblick auf ihr
inszenatorisches Konzept und ihre Positionierung im Kunstbetrieb von
entscheidender Bedeutung waren (73ff.). Hier wird deutlich, dass sich
der Akzent zugunsten der mise en scène nicht nur von Gruppen- zu
Einzelausstellungen verschob (73ff., 103ff., 123ff.), sondern auch, dass
die Bildhauer zum Aufbau ihrer Ausstellungen möglichst selbst anreisten,
um ihre Werke eigenhändig zu positionieren (77, 110, 157) - zumal ihr
'Einfluss auf die mise en scène der Skulpturen im Ausstellungsraum als
Indikator für ihre 'wachsende Machstellung' gelten konnte (101).
In einigen Fällen übertrugen sie die mise en scène ihrer Werke auch
engen Vertrauenspersonen: Marcel Duchamp organisierte die ersten
Ausstellungen von Brancusi in den USA (128ff.). Es erscheint nur
konsequent, dass die inszenatorischen Strategien 'in allen drei Fällen'
nach Nina Gülicher zuletzt 'in die Suche nach einem dauerhaften
Ausstellungsort' für die Werke mündeten (159).
Da Rodins, Rossos und Brancusis künstlerische Praxis auch das Medium
der Fotografie einschloss, fokussiert das dritte Kapitel die mise en scène
der Skulptur in der Fotografie und fragt, welche Bedeutung die technisch innovative - fotografische Sicht- und Verfahrensweise für die
bildhauerische Praxis gewinnen konnte (24). Dabei gelingen der Autorin
erneut maßgebliche Entdeckungen: 'Entgegen der von einigen Forschern
vertretenen These, dass die fotografischen Reproduktionen einen
künstlerischen Status erreichten, der sie mit dem fotografierten Werk auf
eine Stufe hob, werden sie hier primär als Mittel verstanden, das die
Bildhauer zur Präzisierung und Verarbeitung ihrer künstlerischen
Konzepte nutzten' (24). Dies erscheint umso plausibler, als
Reproduktionen seit je her zur Verbreitung künstlerischer Ideen und zur
Positionsbestimmung im Kunstbetrieb Verwendung finden.
Die Stärken der Publikation liegen in der nicht nur für Museumsleute
hoch spannenden Themenwahl, der durchgängig schlüssigen
Argumentation und der großzügigen Veröffentlichung von teils schwer
zugänglichem Archivmaterial. Die kleinen Schwächen, wie die
Abbildungsverweise ohne Seitenzahlen und der Druck in Spalten, deren
Lesbarkeit die straffe Bindung erschwert, sind angesichts der
inhaltlichen Relevanz zu vernachlässigen. Die Lektüre dieses Buches, das
nicht nur eine innovative Diskussion über die Präsentationsformen von
Ausstellungen eröffnet, sondern auch einen frischen Zugang zu
zeitgenössischen Inszenierungskonzepten erlaubt, sei jedem
Ausstellungskurator ans Herz gelegt. Es wird sich zweifelsohne als
Standardwerk etablieren.
Anmerkung :
[ 1 ] Nach Nina Gülicher sind das für das bildhauerische Konzept von
Rodin 'caractère', 'émotion', 'mouvement' und 'modelé' (26-36), für
dasjenige von Rosso 'dominante', 'impression', 'point déterminé' und
'tonalité' (36-47), und für dasjenige von Brancusi 'essence', 'choc',
'matérial' und 'forme' (47-59).