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12/03/12 Vatikanisches Geheimarchiv: Hell ist hier nur der Scheiterhaufen - Feuilleton - FAZ http://www.faz.net/gqz6yayh HERAUSGEGEBEN VON WERNER D'INKA, BERTHOLD KOHLER, GÜNTHER NONNENMACHER, FRANK SCHIRRMACHER, HOLGER STELTZNER Feuilleton Aktuell Feuilleton Vatikanisches Geheimarchiv Hell ist hier nur der Scheiterhaufen 09.03.2012 · Gehört das etwa alles dem Papst? Für manche Schätze aus dem Vatikanischen Geheimarchiv, die nun erstmals öffentlich zu sehen sind, drückt man sich die Nase gern platt. Aber viel subtiler als bei Dan Brown ist es am Ende nicht. Von CHRISTIAN GEYER Artikel © REUTERS/VATIKANISCHES GEHEIMARCHIV „Lux in arcana“ im Vatikan: Fünfundachtzig Regalkilometer und kein einschlägiger Begriff von Häresie E r gratuliere hiermit dem „Chef der römischen Lehre“ zu seiner Papstwahl, schrieb der japanische Kaiser Hirohito am 7. Juni 1939 an Pius XII. alias Eugenio Pacelli. Das Schriftstück gehört zu den eher unspektakulären Dokumenten im Vatikanischen Geheimarchiv. Es ist aber eines der raffinierteren. Denn mit der Adresse „Chef der römischen Lehre“ ist im Ton der Wertschätzung zugleich eine Relativierung angedeutet. Wir haben es mit einer Lehre unter vielen zu tun, der Papst hat die Wahrheit welch unhöflicher Begriff in japanischen Ohren nicht etwa gepachtet, gibt Hirohito zu verstehen. Die Ausstellungsmacher überspielen das Moment der Irritation, indem sie das Glückwunschschreiben mit dem Zusatz versehen, „Chef der römischen Lehre“ sei ein Titel, der im Japanischen von „hoher religiöser Bedeutung“ sei von welcher genau, bleibt einstweilen offen. Damit rühren wir schon an eine performative Eigentümlichkeit der Ausstellung „Lux in arcana“ (Licht ins Geheime), die in den Kapitolinischen Museen Roms derzeit eine Auswahl von einhundert Dokumenten aus dem Vatikanischen Geheimarchiv zeigt. Was bisher nur den Wissenschaftlern zugänglich war, wird nun erstmals einer breiten Öffentlichkeit vorgelegt und zwar letztlich in der Regie des Papstes selbst, denn er ist der Eigentümer seines Privatarchivs, wie die korrekte Übersetzung von „archivum secretum“ lautet (obwohl die Ausstellung natürlich vom Nimbus des Geheimen zehrt, auch wenn sie nichts enthüllt, was nicht schon in Erfahrung zu bringen war). Auch andere Geheimarchive Europas wie das Preußische Geheime Staatsarchiv in Berlin verstehen „geheim“ seit je im Sinne von „privat“. Die Ikonographie der Kirchenkritik Indem der Papst sich in der Ausstellung selbst als wissenschaftssoziologischen Gegenstand unters Volk bringt, spricht er über sich in der historisierenden, vergleichenden Außenperspektive. Er ist das als Stellvertreter Christi auf Erden nicht unbedingt gewohnt. Als Johannes Paul II. im Jahr 2000 öffentlich um Vergebung für historische Akte kirchlicher Intoleranz bat, galt das weltweit als Sensation, und die Kurie murrte. faz.net/aktuell/…/vatikanisches-geheimarchiv-hell-ist-hier-nur-der-scheiterhaufen-11678201.html 1/4 12/03/12 Vatikanisches Geheimarchiv: Hell ist hier nur der Scheiterhaufen - Feuilleton - FAZ Galileis Unterschrift © REUTERS Was mag man in der Kurie jetzt davon halten, wenn in der Ausstellung „Lux in arcana“ Flammen von einem BreitformatBildschirm züngeln, ein loderndes Ketzerfeuer, in das als Endlosschleife die Worte des Inquisitionspapstes Gregor IX. eingeblendet werden: „Excommunicamus et anathematizamus“ (wir schließen sie aus der Kirche aus und belegen sie mit dem Bann)? Eine Semantik der Ketzerverfolgung wird hier einfach ins Feuer geworfen wohl in der Annahme, der Scheiterhaufen spreche für sich selbst. Anders gesagt: Die Ikonographie der Kirchenkritik, die in der Flammenschrift an der Wand fassbar wird, geht an Subtilität nicht wesentlich über Karlheinz Deschners „Kriminalgeschichte des Christentums“ oder Dan Browns „Illuminati“ hinaus. Keine Frage, die Menge der prachtvollen Exponate aus zwölfhundert Jahren ist beeindruckend. Man fasst hinter hängenden Siegeln aus Wachs, Blei oder Gold den Mantel der Geschichte. Schreiben an die Päpste wie jene von Marie Antoinette, Sisi und Maria Stuart sind loyale Grußadressen, oft verbunden mit dem Dank für ein erhaltenes Geschenk. Lucrezia Borgia, Tochter des Papstes Alexander VI., die jener in seiner Zeit als Bischof von Valencia gezeugt hatte, warnt ihren Vater vor feindlichen Machenschaften und rät ihm, Rom zu verlassen. Auch Bernadette, die Seherin von Lourdes, ist mit einem Schreiben an Papst Pius IX. präsent, nachdem dieser das Dogma von der unbefleckten Empfängnis Mariens erlassen hatte. Das sind prominente und erbauliche Korrespondenzen, an denen man sich gern die Nase platt drückt, sofern es das Gedränge um die Vitrinen zulässt (man besuche die Ausstellung von neun bis elf Uhr morgens, danach ist kein Durchkommen mehr). Aber Interessen, die über die inspirierte Schaulust hinausgehen, kommen in dieser Ausstellung entschieden zu kurz. Das positivistische Zeigen reicht nicht aus Zentrale Fragestellungen kirchenpolitischer oder theologischer Natur bleiben alles in allem merkwürdig unterbelichtet. Was etwa sagen die einzelnen Blätter aus den Prozessakten gegen Giordano Bruno, Galileo Galilei oder die Templer über die Vorstellung vom Seelenheil aus, jene Grundidee von Erlösungsreligion? Die instruktiven, jedoch äußerst knappen Beschriftungen in englischer und italienischer Sprache geben ein Gerüst von Fakten und Daten. Die Gelegenheit aber, einen einschlägigen Begriff der Häresie zu entwickeln und zusammenhängend zu vermitteln, wird vertan. So stoßen wir in einem besonders schummrigen Winkel auf die weitreichenden Bestimmungen zur Ketzerverfolgung, die „Capitula contra Patarenos“, in denen 1231 Gregor IX. für Häretiker Kerkerhaft, die Konfiszierung ihres Vermögens sowie ihren Tod guthieß und die Vollstreckung des Urteils der weltlichen Justiz überließ. Ein paar Meter weiter dann die aufgeschlagene Bulle „Humanae salutis“, in der Johannes XXIII. 1961 die Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils verkündet. Dass zwischen diesen beiden Dokumenten Welten der Theologie und Kirchengeschichte liegen, die mit einer Hermeneutik der Kontinuität nicht verständlich zu machen sind, bleibt ungesagt und wird in Prämissen und Folgerungen nicht weiter erhellt. Eine ideengeschichtliche Herangehensweise, die Entwicklungslinien über Jahrzehnte oder Jahrhunderte zeigte, ist nur in Ansätzen erkennbar. Was haben die Ehesachen Heinrichs VIII. im Vatikan zu suchen © REUTERS Das positivistische Zeigen der Urkunden reicht aber nicht aus, es gehört sich auch faz.net/aktuell/…/vatikanisches-geheimarchiv-hell-ist-hier-nur-der-scheiterhaufen-11678201.html 2/4 12/03/12 Vatikanisches Geheimarchiv: Hell ist hier nur der Scheiterhaufen - Feuilleton - FAZ nicht für ein Geheimarchiv, das die historischen Vorlagen für Folter, Hinrichtungen und Kriege beherbergt. Publikumswirksam ein bisschen auf Transparenz zu machen ist da in doppelter Hinsicht zu wenig: Es ist zu wenig, weil das Geheimarchiv im Rahmen seiner päpstlichen Fristenpolitik für die Wissenschaft längst geöffnet ist. Und es ist zu wenig, weil das gewandelte Verhältnis von Wahrheit und Freiheit derart zentral ist für das Verständnis des Katholizismus in Geschichte und Gegenwart, dass ohne profunde Darlegung dieser Thematik kein Licht ins römische Dunkel fällt (dass im Übrigen Beleuchtungs und Belüftungstechnik der Ausstellung verbesserungswürdig sind, steht wieder auf einem anderen Blatt). Der Paradigmenwechsel, wie er sich erst mit der Erklärung zur Religionsfreiheit des Zweiten Vatikanums vollzieht, lässt an die Stelle des Rechts der Wahrheit das Recht der Person treten, womit ohne Relativierung der Wahrheitsfrage ein Grundprinzip neuzeitlichen Freiheitsdenkens aufgenommen und anerkannt wurde. Wie von daher der überkommene Begriff der Orthodoxie in Bewegung gerät dies entlang ausgesuchter, im Geheimarchiv lagernder Korrespondenzen zu schildern hätte sich gelohnt, um den Titel „Lux in arcana“ mit noch mehr Gehalt zu füllen, statt ihn als Werbeslogan zu akzentuieren. Man braucht die richtigen Fragen Anknüpfungspunkte gäbe es viele. So entnimmt man der Ausstellung, dass im lehramtlichen Ketzerdiskurs gern mit der virologischen Ansteckungsmetapher gearbeitet wurde. Warum aber wird kein entsprechendes Dokument einem close reading unterzogen, um zu zeigen, wie bestimmte theologische Meinungen im kurialen Denkkollektiv zu dogmatischen Beständen petrifiziert werden? Und zwar per Ansteckung durch Stichwortgeber, Hintermänner und Vordenker, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Oder durch Routinen im bürokratischen Apparat, einschließlich produktiver Missverständnisse. Genau solche Zusammenhänge aufzuhellen wird seit Jahren bei der wissenschaftlichen Erschließung des Geheimarchivs versucht. Es ist technisch wahrscheinlich noch zu früh, als dass schon einige der im Vatikanischen Geheimarchiv 2003 und 2006 neu zugänglich gewordenen Quellen Eingang in die Kapitolinischen Museen hätten finden können. Im Februar 2006 hatte Benedikt XVI. alle Akten des Geheimarchivs aus dem Pontifikat Pius XI. für die Forschung freigegeben, so dass hier auch weitere Aufschlüsse für die Zeit des Nationalsozialismus zu erhalten sind, bevor in absehbarer Zeit die Unterlagen zu Pius XII. einsehbar sein werden. Erste Aussagen auf sicherer Quellengrundlage liegen nach den jüngsten Archivöffnungen bereits vor, der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf hat sie in seinem Buch „Papst & Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich“ soeben als Taschenbuch bei Beck vorgelegt. Die Ausstellung „Lux in arcana“ mag für einzelne Besucher ein Anreiz sein, sich auch im Vatikanischen Geheimarchiv selbst umzusehen. Hubert Wolf nennt in seinem Buch die Zugangsbedingungen, um unweit des Petersdoms in das Gebäude mit den schier endlosen Aktenregalen, insgesamt mehr als fünfundachtzig Kilometer, zu gelangen: „Wer das Empfehlungsschreiben einer Universität oder einer anderen Forschungseinrichtung in der Tasche hat, wer Erfahrungen mit der Recherche in großen Archiven vorweisen kann, wer gute Kenntnisse in Latein und Italienisch hat und im Entziffern alter Handschriften geübt ist, bekommt uneingeschränkten Zutritt.“ Es warten dort massenweise Aktenschätze, die noch nicht gehoben, geschweige denn ausgewertet wurden. Man braucht also die richtigen Fragen, um auf Antworten zu stoßen. Die Ausstellung „Lux in arcana“ ist bis zum 9. September in den Kapitolinischen Museen in Rom zu sehen. Der Katalog in englischer und italienischer Sprache kostet 14 Euro. Quelle: F.A.Z. Hier können Sie die Rechte an diesem Artikel erwerben © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH 2012 Alle Rechte vorbehalten. faz.net/aktuell/…/vatikanisches-geheimarchiv-hell-ist-hier-nur-der-scheiterhaufen-11678201.html 3/4 12/03/12 Vatikanisches Geheimarchiv: Hell ist hier nur der Scheiterhaufen - Feuilleton - FAZ faz.net/aktuell/…/vatikanisches-geheimarchiv-hell-ist-hier-nur-der-scheiterhaufen-11678201.html 4/4