Überfließender Segen

Transcription

Überfließender Segen
Gottes überfließender Segen - ausgegossen in enge Herzen
Eph.3,14-21
Vor einiger Zeit war ein kleines Buch ständig auf den ersten Plätzen der Bestsellerlisten der christlichen Literatur zu finden: Das Gebet des Jabez. Dieses kleine Buch ist
nicht unumstritten. Vermutlich hat gerade der aufsehenerregende Verkaufserfolg dazu geführt, dass sich die verschiedensten Leute genötigt sahen, sich kritisch mit den
Inhalten auseinander zu setzen. In einer der auflagenstärksten christlichen Medien,
der Wochenzeitschrift idea Spektrum, äußerten sich unter der Rubrik Pro und Kontra
ein engagierter Befürworter und ein warnender Kritiker zu den Aussagen des Autors,
was dann in den folgenden Ausgaben zu einer nicht weniger engagierten Diskussion
in der Rubrik Leserbriefe führte. Was um alles in der Welt ist denn so herausfordernd
an diesem kleinen Buch?
Für alle, die es nicht gelesen haben, will ich versuchen, ganz kurz zusammenzufassen, worum es geht. Jabez ist ein Mann, über den die Bibel nicht viel berichtet. Lediglich zwei Verse sind ihm gewidmet. Der durchschnittliche Bibelleser ist wahrscheinlich noch nie auf diese Verse gestoßen, weil sie mitten in einem besonders
wenig beliebten Abschnitt versteckt sind, nämlich in den Geschlechtsregistern im
1. Buch Chronik. In 1.Chr. 4 werden die Nachkommen Judas aufgezählt, eine nicht
enden wollende Aufzählung von fremdartigen Namen. Doch plötzlich wird diese Aufzählung unterbrochen von einer kurzen Anmerkung über einen der Nachfahren Judas, eben diesen Jabez. Es schien dem Chronisten unmöglich, einfach in der nüchternen Aufzählung der Namen fortzufahren, ohne diese bemerkenswerte Information
niederzuschreiben, an die er durch den Namen Jabez erinnert wurde.
Ein Mann namens Jabez war der angesehenste unter seinen Brüdern. Bei seiner
Geburt hatte seine Mutter gesagt: »Ich habe ihn mit Schmerzen geboren«, und deshalb hatte sie ihn Jabez genannt. Er selbst aber hatte zum Gott Israels gebetet:
»Segne mich und erweitere mein Gebiet! Steh mir bei und halte Unglück und
Schmerz von mir fern!« Diese Bitte hatte Gott erhört. (1.Chr. 4,9.10)
Ein Mann bittet Gott um seinen reichlichen Segen für sich selbst - und Gott erhörte
dieses Gebet. Auf den ersten Blick immer noch nichts Ungewöhnliches, nichts Aufsehenerregendes. Dennoch wurde diesem Gebet eben diese ungewöhnliche Aufmerksamkeit gewidmet, von der ich gerade sprach. Es wurde mitten in ein langweiliges Namensregister eingefügt, wurde Grundlage für ein umstrittenes Buch und Thema für einen teils heftigen Meinungsstreit. Was ist denn nun das provozierende an
diesem Gebet des Jabez? Die Antwort ist den Argumenten der Gegner und der Fürsprecher des Buches unschwer zu entnehmen.
Dieser Jabez bittet hier ganz ungeniert und scheinbar unbescheiden für wen? - für
sich selbst! Und sein Wunschzettel ist ziemlich umfassend: er möchte Gottes andauernden Segen; er möchte mehr, als er bislang hat; er möchte, das Gott ihm unablässig seine göttliche Kraft zur Verfügung stellt und ihn ständig vor allem Unerfreulichen
bewahrt, insbesondere vor schmerzlichen Erfahrungen. Da sträubt sich doch alles in
uns, insbesondere unsere gute Erziehung. Jedes Kind, das einen solchen Wunschzettel für das Weihnachtsfest bei seinen Eltern einreicht, wird einen gutmütig erhobenen Zeigefinger ernten und den sanften Hinweis, dass Bescheidenheit eine Zier sei.
Und damit sind wir bei dem Gedanken, der mir nach der Lektüre des Buches am
deutlichsten vor Augen blieb und über den ich uns einlade, gemeinsam weiter nachzudenken und Gottes Wort zu uns sprechen zu lassen.
Ich habe die Predigt überschrieben: „Gottes überfließender Segen - ausgegossen in
enge Herzen“. Da passt etwas nicht zusammen. Überfließender Segen auf der einen
Seite, enge Herzen auf der anderen Seite. Eins will ich gleich vorwegnehmen: Gottes
Segen fließt nicht deshalb über, weil unsere Herzen so enge Gefäße sind. Er ist in
jedem Falle überfließend, ganz gleich, wie groß das Fassungsvermögen des Herzens ist. Doch ist es nicht ein Jammer, wenn das meiste daneben geht und sich auf
dem Fußboden verteilt, anstatt den Zweck zu erfüllen, den unser wunderbarer Gott
mit seinem Segen im Sinn hat für uns Menschen?
Warum haben Menschen meistens mehr oder weniger enge Herzen? Ich möchte das
enge Herz gar nicht als diese ausgesprochen negative Haltung betrachten, die man
gewöhnlich mit dem Begriff Engherzigkeit verbindet. Dahinter verbergen sich Eigenschaften und Einstellungen wie Hartherzigkeit, Intoleranz, Lieblosigkeit, Geiz, Missgunst, Gefühlskälte und vieles mehr. Die Bibel spricht da auch von dem steinernen
Herzen. Vielmehr möchte ich unsere Aufmerksamkeit auf eine Form der Herzensenge lenken, die viel weniger augenfällig erscheint, die meistens sogar als durchaus
positiv und wünschenswert angesehen wird und von der wesentlich mehr Menschen
befallen sind als von einer ausgesprochenen Hartherzigkeit.
Ein typisches Symptom habe ich gerade geschildert in dem Beispiel von dem Weihnachtswunschzettel. „Nanana! Ist das nicht ein wenig unbescheiden!“ Eines der
Hauptanliegen der Erziehung in unserem Kulturkreis ist die Erziehung zur Bescheidenheit. Sie gilt sogar als eine der typischen deutschen Tugenden. Zuverlässigkeit,
Fleiß, Ordnungsliebe, Bescheidenheit ... Doch die Erfahrung lehrt uns: es gibt auch
die falsche Bescheidenheit. Wenn die Oma ihre Enkel angesichts des reich gedeckten Kaffeetisches mahnt: „Greift ordentlich zu, nur keine falsche Bescheidenheit!“,
dann zucken die leidgeprüften Eltern schon mal unwillkürlich zusammen und ihr Lächeln fällt etwas säuerlich aus. Natürlich möchten sie vermeiden, dass ihre Sprösslinge sich den Magen verderben oder dass der Eindruck bei den Großeltern entsteht,
die Kinder würden zuhause nicht genug zu essen bekommen. Doch würden sie sich
auf der anderen Seite einmal die Zeit nehmen, über Großmutters Beweggründe näher nachzudenken, kämen sie vielleicht zu der Einsicht, dass sie nichts weiter beabsichtigt, als den Enkeln eine Freude zu machen - sie reichlich zu segnen.
Vielleicht lautet der Erziehungsauftrag der Eltern an dieser Stelle nicht: sorge dafür,
dass deine Kinder bescheiden sind, sondern eher: sorge dafür, dass sie sich überfließenden Segen mit dankbarem Herzen gefallen lassen können, ohne irgendwann
dieses Überflusses überdrüssig zu werden. Dieses Beispiel soll uns zeigen, dass
Bescheidenheit nicht gleich Bescheidenheit ist.
Es gibt unbestritten diese Bescheidenheit, deren Gegenteil Unbescheidenheit heißt,
und es gibt jene andere Bescheidenheit, deren Gegenteil heißt: Fähigkeit, sich überreich segnen zu lassen. Und diese letztere Form der Bescheidenheit ist es, die unser
Herz eng macht, die es uns beklagenswerter Weise so erschwert, das dankbar und
gern anzunehmen, was uns unser Gott zugedacht hat. Seinem Wesen entspricht es,
überreich zu beschenken, überfließenden Segen zu geben, aus seiner Fülle zu
schöpfen und auszugießen in die Herzen seiner Geschöpfe.
Ich möchte kurz zusammenfassen, was ich bis hierher herausstellen wollte, damit
hoffentlich keine Missverständnisse entstehen: Es soll auf keinen Fall der Unbescheidenheit das Wort geredet werden. Aber wir sollten uns bewusst machen, dass
mit großer Wahrscheinlichkeit alle hier Anwesenden, der eine stärker, der andere
nicht so deutlich, geprägt sind durch unsere Kultur, durch unsere Erziehung, durch
unsere Vorbilder, die dazu beigetragen haben, dass es uns schwer fällt, ganz unbe-
fangen wertvolle Geschenke anzunehmen, ohne Hintergedanken, ohne schlechtes
Gewissen, ohne Gegenleistung, eben ohne falsche Bescheidenheit. Und wenn es
sogar darum geht, um solche Geschenke offensiv zu bitten, dann wird die Hemmschwelle meist unüberwindlich hoch. Ein Gebet, wie es Jabez formulierte, käme freiwillig nicht über unsere Lippen.
Der Apostel Jakobus macht in seinem Brief an die ersten Christen die nüchterne
Feststellung: Ihr habt nichts, weil ihr nicht bittet! (Jak.4.2) Das klingt fast so, als wollte
Jakobus sich über die Leser lustig machen. Aber er brachte das Dilemma lediglich
auf den Punkt. Das Problem ist also beileibe nicht neu und schon gar nicht auf uns
Deutsche beschränkt. Als Jesus sagte: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die
Kinder, werdet ihr nicht in das Reich der Himmel eingehen! (Matth.18,3), wird er da
nicht auch an die Art der Kinder gedacht haben, die noch in der Lage sind, ganz unbefangen und ohne Berechnung ihre Wunschzettel zu schreiben, weil sie wie selbstverständlich davon ausgehen, dass ihr Vater sie reichlich beschenken will?
Ich sagte es schon zu Beginn und will es gern wiederholen: Gottes Wesen entspricht
es, überreich zu beschenken, überfließenden Segen zu geben, aus seiner Fülle zu
schöpfen und auszugießen in die Herzen seiner Geschöpfe. So beschreibt ihn uns
sein Wort. Nachdem wir unser enges Herz in den Blick genommen haben, wollen wir
uns jetzt einigen Beispielen seines überfließenden Segens zuwenden, den er in unser Herz ausgießen will bzw. ausgegossen hat. Als Mose auf dem Berg Horeb vor
Gottes Angesicht stand, wurde ihm die Gnade einer beispiellosen Offenbarung des
allmächtigen und heiligen Schöpfers zuteil.
Er ging an Mose vorüber und rief: »Ich bin der HERR! 'Ich bin da' ist mein Name! Ich
bin ein Gott voll Liebe und Erbarmen. Ich habe Geduld, meine Güte und Treue sind
grenzenlos. (2.Mos.34,6)
Gott stellte sich vor als der, bei dem die Fülle ist und der aus der Fülle gibt. Wie wir
im weiteren Verlauf der Berichterstattung über den Weg der Israeliten mit ihrem Gott
lernen, lag es nicht an der mangelnden Gebebereitschaft Gottes, dass ihnen vieles
an Segen entging, sondern an ihrem Ungehorsam und ihrem engen Herzen. Später
teilte er seinem Volk durch den Propheten Jesaja mit: „Dann werdet ihr in Sicherheit
leben, ihr Leute von Jerusalem. Die ganze Fülle von Rettung, Weisheit, Erkenntnis
werdet ihr haben, und die Ehrfurcht vor dem Herrn wird euer größter Reichtum sein.“
(Jes. 33,6)
Paulus wünschte den Christen in Ephesus diese Erkenntnis Gottes: „Er gebe euch
nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, ... zu erkennen die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus, damit ihr erfüllt werdet zur ganzen Fülle Gottes. Dem
aber, der über alles hinaus zu tun vermag, über die Maßen mehr, als wir erbitten oder erdenken...“ (Eph. 3,14ff) Wie viel ließe sich allein über diesen Segenswunsch
des Apostels sagen, über das Erkennen der die Erkenntnis übersteigenden Liebe
Jesu, über die ganze Fülle Gottes, die in Christus offenbart ist, über sein Handeln
über unser Bitten und Verstehen hinaus.
Auch Jesus wies in seinen Predigten immer wieder darauf hin, dass es die Absicht
des himmlischen Vaters sei, seine Kinder überreich zu beschenken. Als er sich zum
Beispiel als den Guten Hirten vorstellte, sagte er: „Ich bin der gute Hirte. Der Dieb
kommt nur, um die Schafe zu stehlen, zu schlachten und ins Verderben zu stürzen.
Ich aber bin gekommen, um ihnen das Leben zu geben, Leben im Überfluss.“
(Joh. 10,10)
Und als er ihnen das neue Gebot der Liebe gab, schloss er mit den Worten: „Wie der
Vater mich geliebt hat, habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! .... Dies
habe ich zu euch geredet, damit meine Freude in euch sei und eure Freude voll-
kommen werde.“ (Joh. 15,9) Nichts weniger als vollkommene Freude sollen wir nach
Gottes Willen haben. Man traut sich ja kaum, sich das zu gefallen zu lassen, geschweige denn es sich zu wünschen…
Doch nicht nur durch seine Worte zeigte er uns den aus der Fülle gebenden Vater,
auch sein Handeln war gekennzeichnet davon. Denken wir nur an die Speisung der
5.000. Welchen Sinn soll es gehabt haben, dass 12 große Körbe voll Brot- und Fischresten übrig blieben. War es nicht schon Wunder genug, dass alle satt wurden? Nein,
es ist nicht Gottes Art, abgezählt zuzuteilen. Sein Segen ist von überfließender Art.
Ist es nicht ein Jammer, wenn unser Herz nur das Fassungsvermögen eines Fingerhutes hat? Wie bekommen wir es nur erweitert? Paulus zeigt uns in seiner Segensbitte den Weg. Hören wir noch einmal, wie er betet:
„Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, von dem jede Vaterschaft in den
Himmeln und auf Erden benannt wird: er gebe euch nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, mit Kraft gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inneren Menschen;
dass der Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in Liebe gewurzelt und gegründet seid, damit ihr imstande seid, mit allen Heiligen völlig zu erfassen, was die Breite und Länge und Höhe und Tiefe ist, und zu erkennen die die
Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus, damit ihr erfüllt werdet zur ganzen Fülle Gottes.“
Ich will versuchen, es mit meinen Worten zusammenzufassen:
 Gott will, dass ihr mit der ganzen Fülle seiner Gnade erfüllt seid.
 Das ist nur dann möglich, wenn ihr imstande seid, die unbeschreibliche Liebe
Jesu zu erkennen.
 Dazu werdet ihr imstande sein, wenn Jesus selbst durch seinen erneuernden
und verändernden Geist in euren Herzen wohnt.
Es ist immer wieder der gleiche Weg, den Gottes Wort uns aufzeigt. Wir sollen nicht
unser Herz nehmen, in den Schraubstock spannen und so lange bearbeiten, bis es
endlich weit genug ist. Nein! Vielmehr sollen wir Jesus in unserem Herzen wohnen
und wirken lassen. Er wird neben vielen anderen Veränderungen und Erneuerungen,
die im wahrsten Sinne des Wortes notwendig sind, auch der Enge unseres Herzens
abhelfen.
Der erste Schritt, den wir dahin tun müssen, ist das Erkennen des Zustandes unseres Herzens. Wenn wir nicht wissen oder nicht einsehen wollen, dass unser Herz zu
eng ist für Gottes Segen, wenn wir vielleicht sogar darauf bestehen, dass unser Verständnis von Bescheidenheit das allein maßgebende ist und wenn wir unseren Prinzipien da treu bleiben wollen, dann werden wir mit unserem zu engen Herzen und
dem sich daraus ergebenden Mangel an Segen leben müssen. Deshalb wird es uns
auch nicht helfen, wenn wir, wie in diesem Buch empfohlen wird, das Gebet des
Jabez möglichst täglich nachbeten. Es würden immer geliehene Worte sein, die nicht
aus unserem eigenen Herzen stammen. Was wir brauchen, ist kein neues Gebet,
sondern ein neues Herz. Ein Herz, wie Jabez es offensichtlich hatte. Doch das kann
nur Jesus durch seinen Geist in uns bewirken.
Paulus schreibt in Röm. 5,5: „Dass Gott uns liebt, ist uns unumstößlich gewiss. Seine
Liebe ist ja in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist, den er uns geschenkt hat.“
Wäre es nicht schade, wenn die Liebe schon nach den ersten Tropfen das Fassungsvermögen unseres Herzens erreicht hätte? Und wenn wir meinen, wir hätten zu
wenig von Gottes Liebe abbekommen, mag es nicht in Wahrheit daran liegen, dass
nicht mehr hineinpasste?
Herzerweiterung tut Not!
Ein kindliches Herz, das nicht zu stolz ist, den Vater über die Größe seiner Geschenke, über das Maß seines Segens entscheiden zu lassen.
Ein demütiges Herz, das bereit ist, seine falschen Vorstellungen von Bescheidenheit
aufzugeben.
Ein Herz, das frei ist von dem Verdacht, niemand macht mir solche Geschenke,
wenn er nicht etwas von mir will.
Ein Herz, dass voller Vertrauen beten kann: Herr, gib mir die Fülle deines Segens,
die du mir zugedacht hast.
Thomas Mundt 21.07.02