Eine Dekade Württemberger
Transcription
Eine Dekade Württemberger
Eine Dekade Württemberger In den letzten Jahren wurde der Lemberger von einer bemerkenswerten Renaissance erfasst. Grund genug, die Weine der führenden Lemberger-Spezialisten Württembergs aus der vergangenen Dekade zu verkosten. Michael Graf Adelmann eröffnete die im gemütlichen Ambiente des Hotels Adler zu Asperg stattgefundene Probe mit einer Vertikale des “Loewen von Schaubeck”. Dieser Lemberger gilt seit Jahren als Paradewein des unweit von Ludwigsburg gelegenen Bottwartals und wächst dort zum größten Teil in der Kleinbottwarer Lage Oberer Berg. Bereits der erste Wein, das Gewächs aus dem in der Region eher schwierigen Jahrgang 1996 zeigte die unverwechselbar Adelmann’sche Handschrift, die oft eher durch feine Eleganz als durch großes Volumen erkennbar ist. Dieser Stil war vor allem in den älteren Jahrgängen besonders prägnant, da beim “Loewe von Schaubeck” bis 2002 auf den Einsatz von Barrique zu Gunsten des traditionelleren Halbstückfasses verzichtet wurde und die Alkoholgraduationen eher unterhalb der 13erSchwelle justiert waren. Doch wenn auch ab dem Jahrgang 2003 der “Loewe” eine breitere Mähne und kräftigere Klauen bekommen hat, Lage Erzeuger 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 Stil der Lage Kleinbottwarer Oberer Berg GRAF ADELMANN Loewe von Schaubeck: leichtgewichtiger Körper, aber dennoch mit feinem Charme, klarer Frucht und pikanter Säure Loewe von Schaubeck: zartsüßlicher Schmelz. Speck, Zedernholz, Leder im Duft. Reif und seidig in der Textur Loewe von Schaubeck: Noten von Unterholz und Trüffel. Feinfruchtige Würze, pikant und elegant zugleich Brüsseler Spitze Spätlese: rauchige, fein gereifte Frucht mit subtiler Noblesse. Traditionelle Klasse, aber in sehr eleganter Stilistik Loewe von Schaubeck: leichtgewichtiger Körper, aber mit Kirschfrucht und immer noch angenehmer Frische Loewe von Schaubeck: Komplexität im Aufbau, dunkle Beeren & Lakritz im Duft, etwas flüchtige Säure. Herzhafter Charakter Loewe von Schaubeck: süßliche, reife Frucht im Duft; am Gaumen schlank mit femininem Charme, aber wenig Tiefe Loewe von Schaubeck: üppige Brombeerfrucht, süßlich geprägt. Dicht und ausladend im Vergleich, Stil des Hauses Loewe von Schaubeck: rauchiger Duft mit Anklängen von weißem Pfeffer. Spürbar mehr Holzeinsatz, pikant Loewe von Schaubeck: saftige Waldbeerenfrucht. Ungewöhnlich üppig. Noch jugendlich mit gutem Potenzial Gut durchlüftete Lage mit nach Südsüdwest expositionierter Hangneigung (25 bis 40 Prozent). Genießt lange Sonneneinstrahlung.Tiefgründiger Keuperboden sichert gute Wasserversorgung, vermengt mit etwas Sand am Hangfuß I 26 I Note so ist doch die Adelmann’sche Typizität geblieben: Weine mit eigenständiger Persönlichkeit, stets unverkennbar. Anders als die Kollegen kann der Fellbacher Gert Aldinger nicht auf eine lange Historie mit dem Lemberger zurückblicken. Dies ist umso erstaunlicher, da er in den vergangenen Jahren regelmäßig den wohl feinsten Wein dieser Sorte in Württemberg vorstellen konnte. Erst 1993 wurden die ersten Lembergersetzlinge in der Spitzenlage des Guts, den in den Stuttgarter Talkessel blickende Fellbacher Lämmler gepflanzt. 1999 lieferte diese Anlage einen ersten Vorgänger jenes Weines, der dann ab 2001 (der Jahrgang 2000 fiel einem Hagelsturm zu Opfer) als “DreiStern”-Lemberger für Aufsehen sorgen sollte. Mit einem Ertrag von in der Regel nur 40 hl/ha, einer Maischestandzeit von bis zu 30 Tagen und einem Ausbau in zu 100 Prozent neuen Barriques ist dieses Gewächs ganz Fellbacher Lämmler ALDINGER Note noch nicht erzeugt 86 noch nicht erzeugt 88 noch nicht erzeugt 88 noch nicht erzeugt 90 noch nicht erzeugt 86 88 87 88 88 88+ Fellbacher Lämmler ***: pikanter, vielschichtiger Fruchtausdruck. Mittelgewichtige Finesse in seidigem Kleid 89 Fellbacher Lämmler ***: voll ausgereiftes Bukett. Weiche, runde Ansprache. Zugänglich, aber nicht allzu großes Spiel 88 Fellbacher Lämmler ***: dichtes Bukett bei großer Transparenz in 91 Aufbau. Reicher Körper, durch feine Würze belebt. Große Länge Fellbacher Lämmler ***: pikante, an die Toskana erinnernde Kirschfrucht. Feine Würze. Mittelgewichtiger, balancierter Körper 90 Fellbacher Lämmler ***: Fruchtausdruck von großer Komplexität. Dichte und Würze und üppigen Schmelz. Potenzial! 91 Gewann “Brenner”im Kernbereich der geschützten Südhanglage mit einer Steigung von 35 Prozent am Fuß des Kappelberges.Thermische Luftströmungen bringen tagsüber starke Erwärmung, während es nachts kräftig abkühlt. bewusst auf internationalem Niveau angesiedelt. Bemerkenswert ist, dass sie trotz des Holzeinsatzes ungemein fein ziselierte Weine von subtiler Balance und fein aufgefächerter Komplexität sind. Der bisher beste Lemberger aus diesem Keller: der großartige 2005er. Ist es bei Aldinger die Balance gewesen, die beeindruckt, so ist es bei den voluminösen Lembergern von Ernst Dautel die ungezügelte, manchmal fast wilde Kraft der Weine. Sein Bönnigheimer Weingut liegt im Herzen jener Region, die heute mit Fug und Recht als der “Hot Spot” für Lemberger in Deutschland gelten darf. Nirgendwo sonst als in den Weinbergen zwischen Stromberg und Heuchelberg nimmt diese Rebsorte eine solche Bedeutung ein. Dautels mit vier Sternen und bei besonders guten Füllungen mit einem zusätzlichen “S” gekennzeichneter Spitzenlemberger wächst in der großen, rund 280 Hektar umfassenden Lage Sonnenberg, jedoch sind hierfür nur die ausgesucht besten Parzellen mit den ältesten Rebstöcken reserviert. Dautels Weine zeigten durchweg eine außergewöhnliche Präsenz, fast “südliche” Würze und ein oft kerniges Rückgrat. Selbst im schwierigen Herbst 2000 gelang ihm ein ausdrucksvoller Wein. Das große Entwicklungspotenzial der Dautel’schen Gewächse führte der beeindruckende 1999er Bönnigheimer Sonnenberg DAUTEL ****: gut gereifte Frucht, aber etwas kantig in der Struktur, durch das Säurespiel jedoch erfrischend ****: reiches, geradezu “mediterranes Bukett”nach Lakritz, Rauch und Speck; herzhaft-ländliche Fülle am Gaumen ****: klassische Brombeerfrucht mit pikanter Würze, der herzhaft-herbfruchtige Stil erinnert an Blaufränkisch ****: intensiver Waldbeerduft. Dicht verwobener, noch nicht vollständig aufgeblühter Körper mit selbstbewusstem Tannin. Noch immer jugendliche Struktur ****: saftig und ausdrucksvoll am Gaumen; von Zedernholz geprägte Frucht. Erstaunlich angesichts des Jahrgangs **** S: noch junge Zwetschgen- und Beerenfrucht. Dicht gepackter Körper, aber fein begrenzt und strukturiert **** S: ausdruckvolles, aber etwas rustikales Bukett. Herzhaft-saftiger Wein. Eher ländlich-würzig als fein ****S: saftige Frucht nach gerösteten Pflaumen und Beerenkompott.“Blockbuster”mit markanter Struktur **** S: gewisse Eleganz im Aufbau, klare Brombeerund Cassisfrucht. Angenehm frischer Nachhall ****S: noch jugendlich mit selbstbewussten Kanten, jedoch bereits gute Ansätze erkennbar. Muss noch an Finesse gewinnen 793 erstmals urkundlich erwähnt. Die windgeschützte Lage genießt Süd-Ausrichtung, eine Hangneigung von bis zu 50 Prozent und intensive Sonneneinstrahlung.Auf den schweren, mineralreichen Keuperböden reifen körperreiche Weine. Note 88 89 89 90 89 90 88 90 89 89 I Im Fokus I Lemberger fend zu verbessern schien. Gleiches gilt offenbar für das “Tannin Management”, also die Verfeinerung der Gerbsäurequalität, und die bessere Einbindung von Rückgrat und Struktur, wie sich es beim noch im Fass ruhenden 2005er beispielhaft ablesen lässt. Württembergs führende Lemberger-Spezialisten an einem Tisch – eine spannende Probe erneut vor Augen, der sich noch lange nicht auf seinem Höhepunkt zu befinden scheint und über immer noch gewaltige Reserven verfügt. Dass Jürgen Ellwanger mit einer ganzen Dekade hochwertiger Lemberger aus dem Remstal aufwarten kann, ist keinesfalls selbstverständlich, galt doch lange Zeit in Württemberg die Lehrmeinung, dass diese Rebe in der östlich von Stuttgart gelegenen Region “nicht funktioniere”. Der bekennende Lemberger-Fan Ellwanger gab jedoch wenig auf dieses Vorurteil und pflanzte bereits 1964 Lagencuvée J. ELLWANGER Note “Hades”: deutlich vom Holz geprägt, dahinter aber sehr reife Kirschfrucht mit dezenter Fruchtsüße. Herzhaftes Spiel 87 “Hades”: markanter Duft nach Tabak, Charcuterie & Sattelleder. Persönlichkeit mit herzhafter Struktur 89 “Hades”: feine Johannisbeerfrucht, etwas vom Holz getönt. 88 Mittleres Gewicht.Angenehm, aber ohne allzu große Tiefe “Hades”: vielschichtiges Bukett mit guter Balance von Frucht und leicht animalischen Noten. Kräftige, reife 90 Gerbsäure, nicht unelegant. Im Stile eines Margaux “Hades”: rauchige Nase mit deutlichen Glutnoten; etwas diffuse Frucht am Gaumen. Nussige Würze im Nachhall 88 “Hades”: präsentes Bukett mit Balance von Frucht, rauchige Würze. Herzhaft mit lebhafter Säure. Deutliches Potenzial 90 “Hades”: “süße” Nase nach Brombeeren und Rumtopf. 88 Mittelgewichtige Eleganz. Pistaziennoten im Nachhall “Hades”: würziger, reicher Duft nach Lakritz und Dörr89 pflaumen. Herzhafte Ansprache, viel Biss im Kern “Hades”: Schlehen- und Brombeeraroma mit deutlicher 89 Eichennote. Noch jugendlich und kantig, Potenzial “Hades”(Fassprobe): konzentrierte, aber feine Frucht. Gut verwobene Holzwürze, mächtiger Nachhall.Schlafender Riese? (90) Assemblage aus Lagen des oberen Remstals. Der leichtere Kieselsandsteinboden in Schnait erbringt Weine mit Finesse und Spiel, der schwerere Keuperlehm im Hebsacker Lichtenberg sorgt für Körper, Volumen und saftige Frucht. als einer der ersten auch im Remstal diese Sorte an. Der Erfolg seiner Weine sollte ihm Recht geben. Der Ruhm von Ellwangers Lembergern ist jedoch auch untrennbar mit dem Aufblühen der “Hades”-Gruppe verbunden, die sich seit Mitte der 80er Jahre intensiv um die Einführung und Verbesserung des Barriqueausbaus in Württemberg verdient gemacht hat. Die Verkostung der Ellwanger’schen Weine zeigte dementsprechend auch, wie sich das Fingerspitzengefühl um diesen Ausbaustil über die Jahre hinweg lau- Neipperger Schlossberg GRAF NEIPPERG Neipperger Schlossberg: vollreife Kirschfrucht, am Gaumen jedoch nur mit sprödem Charme und etwas hart im Aufbau. Recht karger Nachhall Neipperger Schlossberg: Bukett nach Brombeerkompott und Unterholz.Angenehme Fülle und feine Fruchtsüße, Schmelz Neipperger Schlossberg: Rumfrüchte und Beerenkompott. Traditionell mit süßlicher Frucht bei ordentlicher Struktur Neipperger Schlossberg: etwas rustikaler Duft mit deutlicher “Charcuterie”-Note. Zugänglich, aber eher einfacher Aufbau. Reif Neipperger Schlossberg: Pikanz und Gewürzkirschen; am Gaumen mager und von herber Frucht. Spröder Nachhall Neipperger Schlossberg Großes Gewächs:Trockenfrüchte und Bombeerkompott. Mittelgewichtig, mit Persönlichkeit Neipperger Schlossberg Großes Gewächs: pikante Würze und tiefe Brombeerfrucht. Klassischer Stil, dabei ausgewogen, Spiel Neipperger Schlossberg Großes Gewächs: ausgesprochen reiche, vollmundige Frucht, dabei samtige Gerbsäure. Üppig Neipperger Schlossberg Großes Gewächs:Würze und vegetable Noten. Die markante Frucht noch unaufgeblüht. Potenzial, braucht Zeit Neipperger Schlossberg Großes Gewächs:Waldbeeren, Süßholz und pikante Würznoten. Reich und herzhaft. Persönlichkeit Der in Querterrassen angelegte Schlossberg liegt unterhalb der Stammburg der Familie Neipperg. Das Große Gewächs wächst hier im seit 1356 bekannten Gewann Kehl, das durch besonders hohe Sonneneinstrahlung zu früher Blüte und hoher Reife neigt. Note 86 89 88 87 86 88 89 90 89 90 Auch wenn die in Württemberg immer wieder verbreitete Geschichte, dass es die Grafen Neipperg waren, die die Lembergertraube hier bereits vor 300 Jahren heimisch machten, höchstwahrscheinlich ein Mythos ist, für dessen Richtigkeit sich bisher keinerlei Belege finden ließen, so darf doch das Schwaigener Adelshaus als ein Gralshüter des Lembergers in Deutschland gelten. Die Jahrzehnte lange gewissenhafte Fokussierung auf diese Rebe machte die Neipperger Lemberger zu den Klassikern des Anbaugebiets. Interessant ist, wie das konservative Haus in zunächst kleinen Schritten, spätestens ab 2003 dann jedoch den klassischen Stil seiner Gewächse merklich verfeinerte und ihnen zeitgemäßen Schliff zukommen ließ, ohne jedoch dabei die Wurzeln zu verleugnen. Mit dem 2005er “Großen Gewächs” vom Schlossberg wurde ein Wein geschaffen, der beispielhaft zeigt, wie die lange Lemberger-Tradition des Hauses Neipperg im Heute angekommen ist. ARMIN DIEL, FRANK KÄMMER UND JOEL B. PAYNE Stil des Jahrgangs Durchwachsener Sommer und schwieriger Herbst. Teilweise wurde bis in den November gelesen. Viele Weine eher etwas schmalbrüstig und von der Säure dominiert Auf einen heißen, trockenen Sommer folgte ein “Bilderbuch-Herbst”. Saftige, runde Weine mit viel Schmelz. Durchwachsenes Jahr mit regnerischem Witterungsverlauf. Um gute Qualitäten musste gekämpft werden. Bei später Lese gut Ein “Bilderbuchjahrgang”, der anfänglich unterschätzt wurde. Galten manche Weine zunächst als vielleicht etwas zu leichtgewichtig und eindimensional, blühten sie rasch zu feiner Balance auf. Katastrophaler Jahrgang durch starken Fäulnisdruck, besonders schwierig für Rotweine, die dicke Schale des Lembergers half. Nach Frost im April folgte ein trockener, sonniger Sommer sowie ein unproblematischer Herbst.Wenig “Überflieger”, guter Standard Schwieriger Jahrgang. Wechselhaftes Wetter sorgte für heterogenes Ergebnis. Wenig Spitzenweine, die aber besser als erwartet. Der heiße und trockene “Jahrhundertsommer”sorgte für voluminöse Weine mit üppiger Frucht und oft fast ungezügelter Kraft. () Nicht einfach, Ertragsbegrenzung war so wichtig wie die Wahl des Erntezeitpunkts. Die Spitzenweine brauchen noch Flaschenreife. Sehr guter Witterungsverlauf, der Herbst war jedoch kein “Spaziergang”und die Ernte musste zügig eingebracht werden. I 27 I