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Jahrbuch 2006/2007 | Dercks, Ute; W olf, Gerhard | CENOBIUM: Ein Projekt zur multimedialen Darstellung
romanischer Kreuzgangkapitelle im Mittelmeerraum
CENOBIUM: Ein Projekt zur multimedialen Darstellung romanischer
Kreuzgangkapitelle im Mittelmeerraum
CENOBIUM: Multimedia presentation of Romanesque cloister capitals
from the Mediterranean
Dercks, Ute; W olf, Gerhard
Kunsthistorisches Institut in Florenz - Max-Planck-Institut, Florenz, Italy
Korrespondierender Autor
Zusammenfassung
CENOBIUM ist eine multimediale Darstellung von romanischen Kreuzgangkapitellen in Form hoch auflösender
Digitalfotografien, 3D-Modellen und Panoramen. Das gemeinsam mit dem Institute of Information Science and
Technologies (ISTI) des Consiglio Nazionale delle Ricerche (CNR) in Pisa durchgeführte Forschungsprojekt
verfolgt
das
Ziel,
Kapitelle
mit
ihren
Originalstandorten
virtuell
zu
verknüpfen,
um
sie
in
ihrem
architektonischen und historischen Zusammenhang zu präsentieren und den künstlerischen Austausch im 12.
und 13. Jahrhundert anhand der Bauskulptur aufzuzeigen.
Summary
CENOBIUM is a multimedia presentation of Romanesque cloister capitals. High-resolution digital photographs,
3-D models, and panoramas w ill virtually link the capitals to their original surroundings, thus representing
them w ithin their original architectural and conceptual contexts. The project is being undertaken in cooperation
w ith the Institute of Information Science and Technologies (ISTI) at the Consiglio Nazionale delle Ricerche
(CNR) in Pisa and has the central aim to study artistic exchange in the tw elfth and thirteenth centuries in
architectural decoration.
Digitale Dokumentation romanischer Kapitelle in 3D und 2D
CENOBIUM (Cultural Electronic Netw ork Online: Binding up Interoperably Usable Multimedia) ist aus dem
Projekt ViHAP3D hervorgegangen, das das Kunsthistorische Institut in Florenz – Max-Planck-Institut in
Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Informatik in Saarbrücken, dem Consiglio Nazionale delle
Ricerche in Pisa, der Soprintendenza in Pisa und der Firma Minolta Konica durchgeführt hat. Ein Teil dieses
Projekts zielte auf die Entw icklung eines Verfahrens in der Computergrafik ab, das die dreidimensionale
Darstellung von digitalisierten Kunstgegenständen und Skulpturen ermöglicht. CENOBIUM entw ickelt dieses
Konzept
in
Konzentration
auf
romanische
Kapitelle
Dokumentation in besonderer Weise anbieten (Abb. 1
w eiter,
w elche
sich
für
eine
dreidimensionale
und Abb. 6). Eine Fotokampagne ergänzt das
Vorhaben, da sich die Oberfläche und die Materialbeschaffenheit der Objekte nicht im gew ünschten Maße
detailgetreu in der 3D-Visualisierung w iedergeben lassen. Später sollen die Fotos und die 3D-Modelle nicht nur
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an ausgesuchten Standorten, sondern auch im Internet mit einer interaktiven Programmgestaltung zur
Verfügung stehen.
CENOBIUM dient in erster Linie Studienzw ecken, ist aber ebenso geeignet für Lehre und Museen, für
Denkmalpflege
und
Restaurierung.
Es
verbindet
klassische
w ie
innovative
Fragestellungen
der
Kunstgeschichte mit modernsten datentechnischen Instrumenten und eröffnet der Forschung völlig neue
Perspektiven.
C e nobium , Virtua l inspe ctor, 3D-Mode ll e ine s Ka pite lls.
© ISTI/C NR , P isa
Romanische Kreuzgangkapitelle im Mittelmeerraum und der Kreuzgang von Monreale als Summe
künstlerischer Tendenzen
Kurz vor der Wende zum 12. Jahrhundert brachte die romanische Skulptur einen Kapitelltypus hervor, der das
Erscheinungsbild sakraler Innenräume und Kreuzgänge maßgeblich bestimmen sollte und zu einer zentralen
Aufgabe mittelalterlicher Bauplastik w urde. Bis zu diesem Zeitpunkt beschränkte sich der Schmuck des
Kapitells hauptsächlich auf Ornamente oder Darstellungen von Pflanzen, Tieren und menschlichen Gestalten.
Nun erw eiterte sich das Spektrum um narrative Darstellungen. Das Kapitell übernahm die Funktion, alt- und
neutestamentarische Szenen, historische Begebenheiten, Exempla, Parodien und Allegorien zu präsentieren.
Als integrativer Bestandteil der Architektur trat das Kapitell in seiner Dreidimensionalität vor allem in den
Kreuzgängen mit dieser neuen Funktion hervor. Die Allansichtigkeit der frei stehenden Stützen im Kreuzgang
ermöglichte eine fortlaufende Bilderzählung und bot zugleich die Gelegenheit, Kapitelle mit benachbarten
Kapitellen oder anderen Ausstattungselementen in Dialog treten zu lassen. Darüber hinaus ist der räumliche
Zusammenhang zw ischen Kapitell und Funktionsbauten der Klosteranlage von Bedeutung, da die Motive und
die Themen der Kapitelle eine ästhetische und funktionale Interaktion erlauben und möglicherw eise auf
Liturgie und klösterliche Bräuche schließen lassen.
Die drei bedeutendsten Zentren romanischer Kapitellskulptur liegen im Languedoc-Roussillon, in Nordspanien
und in Sizilien. In der ersten Projektphase konzentrieren sich die Forschungen und digitalen Visualisierungen
auf den Kreuzgang von Monreale.
Der Kreugang von Monreale
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Der im Auftrag des normannischen Königs W ilhelm II. entstandene Kreuzgang des Domes in Monreale auf
Sizilien (Abb. 2) nimmt in vielerlei Hinsicht eine besondere Stellung innerhalb der romanischen Klosterbauten
nicht nur Italiens, sondern des gesamten Mittelmeerraums ein. Er zählt zu den größten, qualitativ
hochw ertigsten, detailreichsten und zugleich am besten erhaltenen Kreuzgängen des Mittelmeerraums aus
dem 12. Jahrhundert und führt verschiedenste Strömungen romanischer Bauskulptur in einem architektonisch
homogenen Kreuzgang zusammen. Die mindestens fünf zw ischen 1174 und 1189 tätigen Werkstattgruppen
w aren
sow ohl geographisch
als
auch
künstlerisch
dem italienischen, französischen
und
spanischen
Mittelmeerraum verbunden.
Monre a le , Dom Sa nta Ma ria Nuova , Kre uzga ng, 1174–1189.
© P hotothe k de s Kunsthistorische n Instituts in Flore nz,
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Der Maria gew eihte Dom in Monreale w ar Krönungs- und Vermählungskirche W ilhelms II. und zugleich
normannische Herrschergrablege. Dem Dom w ar ein Kloster angeschlossen, das durch Schenkungen und
Privilegien rasch zu einem der begütertsten des normannischen Reiches w urde. Von der benediktinischen
Klosteranlage und dem angegliederten Königspalast haben sich außer dem Dom und einigen Fragmenten der
Konventsgebäude nur der Kreuzgang mit Brunnenhaus (Abb. 3) vollständig erhalten.
Monre a le , Kre uzga ng, Brunne nha us.
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Jede Galerie zählt 26 Doppelsäulen und hat an den Ecken jew eils ein Bündel aus vier Reliefsäulen. Die
Säulenschäfte sind entw eder reliefiert, farbig inkrustiert oder w echseln mit glatten Säulenschäften, w odurch
der
strenge
Rhythmus
der
Kreuzgangarkaden
aufgelockert
w ird. Der
variantenreiche
Schmuck
der
Marmorkapitelle setzt sich von dem gleichmäßigen Dekorationsschema des Kreuzgangs ab. Von den 104
Doppel- und 5 Viererkapitellen sind 15 narrativen beziehungsw eise biblischen Inhalts (Abb. 4). Bei den
historisierten
Kapitellen
überw iegen
die
neutestamentarischen
gegenüber
den
alttestamentarischen
Darstellungen. Apostelgeschichten, Szenen aus dem Leben Christi oder das Gleichnis von Lazarus gehören
dabei ebenso w ie Adam und Eva, Noah, Jakob, Joseph von Ägypten und Samson zu den häufig in
Kreuzgängen verw andten Themen.
Neben ornamentalen Blattkapitellen ist die Mehrzahl der Kapitelle figürlicher Art profanen oder mythologischen
Charakter, darunter allegorische und hagiographische Darstellungen sow ie die W idmung des Domes an Maria
und den Christusknaben (Abb. 5). Sow ohl Abakus als auch Kämpferplatte sind gelegentlich mit erläuternden
Inschriften versehen. Auch der figürliche oder narrative Schmuck ist nicht auf eines der Zw illingskapitelle
begrenzt, sodass die Doppelstützen in ihren Kapitellen zu einer Einheit verschmelzen.
Monre a le , Kre uzga ng, Ge ne sisk a pite ll.
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Die stark hinterschnittenen und zumeist deutlich vom Grund abgehobenen Teile des Dekors, die feingliedrigen
Figuren und detaillierte Binnengestaltung in Gew and- und Gesichtspartien, die lebendige Gestik und nicht
zuletzt der gekonnte Umgang mit dem laufenden Bohrer lassen auf versierte Steinmetze und Künstler als
Urheber schließen. Die stilistische Vielfalt der unterschiedlichen Werkgruppen, die vermutlich aus Süditalien,
Oberitalien
und
Südfrankreich
stammen,
unterliegt
aber
dem
klaren
Dekorationsschema
der
Kreuzgangarchitektur. Einige Werke verdanken ihre Motive sow ohl antikisierenden als auch byzantinischen
Vorlagen in Form von Elfenbeinen oder Mosaiken.
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Monre a le , Kre uzga ng, W idm ungsk a pite ll.
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Das Widmungskapitell
Das W idmungskapitell auf der Westseite (Abb. 5) gehört zu den bedeutendsten Kapitellen des Kreuzgangs.
Auf der Südseite w ird die Übergabe und W idmung des Domes durch König W ilhelm II. an die Jungfrau Maria in
Szene gesetzt und mit einer Inschrift erläutert. Eindeutig an der höfischen Kleidung und einer Bügelkrone mit
Pendilen auf dem Haupt als König erkennbar schreitet W ilhelm II. dynamisch aus und überreicht das Modell
des Domes. Mit besonderer Detailschärfe gibt das Modell die prägnantesten Merkmale der Basilika mit
Campanile, Querhaus und Apsiden w ieder. Die Hauptapsis, die von einem Engel gestützt w ird, bildet das
Zentrum der Szene. Mit zum Segensgestus ausgestreckter Hand empfangen Maria und der Christusknabe das
Geschenk W ilhelms II. Die Kette der Überschneidungen von Figuren und Objekten vermittelt trotz der Distanz
zw ischen König und Maria eine Art Verbindung, die mehrere Funktionen erfüllt: Sie zeigt die Darbietung des
Doms als Schenkung, den großzügigen Spender, die w ohlw ollende Annahme und Segnung der Gabe.
Dieser Szene stehen die drei anderen Flanken mit Einzelfiguren zur Seite. In antike Gew änder gekleidet und
mit einem Nimbus hinter ihren gekrönten Häuptern versehen, tragen sie verschiedene, nicht immer
spezifizierte oder typische Attribute. Auf der rückw ärtig zur W idmungsdarstellung gelegenen Doppelseite des
Kapitells stehen zw ei etw as unterschiedlich gekleidete, gekrönte Figuren mit Gefäßen in ihrer linken Hand. Die
rechte Hand haben sie auf die Brust gelegt oder sie verw eisen auf sich selbst. Auf der Unterseite der
Kämpferplatte ist über der linken Figur die Inschrift SPES und über der rechten FIDES zu lesen. Zw ischen den
beiden Tugenden ist ein Lamm mit Kreuznimbus und Kreuz dargestellt. In Verbindung mit dem Agnus Dei
erklärt sich jetzt auch die Bedeutung der Gefäße in den Händen der beiden Tugenden: Es sind Kelche, die auf
die Eucharistie und den Opfertod Christi verw eisen.
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3D-Mode ll e ine s Ka pite lls im De ta ila usschnitt (O rigina lhöhe
ca . 5 cm ).
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Auf der Westseite präsentiert eine Figur Zepter und Schw ert; die Inschrift darüber deutet auf die Gerechtigkeit
Gottes. Auf der Ostseite steht eine w eitere Figur mit einem Gew and in der rechten und dem Reichsapfel in der
linken Hand. Die Inschrift über der Figur klärt auch hier ihre Bedeutung: DEUS EST CARITAS. Neben der Lesart,
die aus der Inschrift folgt – Caritas Dei – legt das Gew and in ihrer Hand eine w eitere Deutung nahe, die nach
Augustinus die Caritas Proximi veranschaulichen könnte. Dies w äre aber angesichts einer derart verkürzten
Darstellung der Verteilung von Kleidung an die Armen eine ziemlich frühe Verknüpfung der Heiligenlegende des
Heiligen Martins
mit einer personifizierten Caritas. Das
Gew and schließt allerdings
eine
zusätzliche
Interpretation nicht aus, w enn es in Zusammenhang mit den Attributen der anderen gekrönten Figuren –
Zepter, Reichsapfel, Schw ert – gesehen und als Königsmantels interpretiert w ürde.
Obw ohl die Figuren, die getrennt aufgereiht jew eils eine der Kapitellseiten besetzen, ikonographisch
zusammenhängen, treten sie aufgrund ihrer Art, die W idmungsszene zu kommentieren, in verschiedenen
Bedeutungsebenen hervor. Die Personifikationen der Tugenden – durch die Inschrift sind sie eher als
Beschreibungen göttlicher Charakteristika aufzufassen – begleiten die W idmung nicht nur als Gott rühmende
Tugenden. Dadurch, dass diese Figuren mit königlichen Insignien ausgestattet sind, preisen sie vor allem
König W ilhelm II. und dessen Tugenden.
Perspektiven
Im nächsten Schritt w ird das Projekt die Online-Präsentation des Kreuzgangs von Monreale abschließen und
sich anderen Monumenten mit w eiteren Partnern zuw enden, zunächst den Kapitellen von Cefalù, danach soll
in Spanien gearbeitet w erden.
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