KANONBILDUNG
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KANONBILDUNG
KANONBILDUNG Zwei historische Wurzeln bei der ntl. Kanonbildung: 1. im 1./2.Jh. die langfristige Sammlung und Verwendung urchristlicher Texte als normativer Größen neben der Schrift. 2. um 180-200 der kurzfristige Abschluß dieses Rezeptionsprozesses durch prinzipielle Fixierung der normativen Evangelien und Apostelschriften. (exakter Abschluß erst im 3./4.Jh.). Die wichtigste Folge dieser Normierung war, daß kirchliche Theologie fortan sich im wesentlichen als Schriftauslegung und -anwendung vollzog. Das Urchristentum bezog sich in Theologie und Praxis auf die Schrift als Norm und zwar auf die Septuaginta. Deren kanonische Geltung war - bis auf Markion - unumstritten. Die spezifisch christlichen Positionen legitimierte man durch verschiedene Arten des Schriftbeweises, bei denen das heilsgeschichtliche Schema von Weissagung und Erfüllung eine herausragende Rolle spielte. Daneben begegnete früh als Norm der Herr, d.h. die mündliche Logienüberlieferung, die zum hermeneutischen Schlüssel für die Schrift wurde. Auch den Paulusbriefen kam teilweise regulative Bedeutung zu. Die Kanonisierung begann damit, daß seit etwa 50/60 die Briefe gesammelt und die Jesustradition schriftlich fixiert wurden. Allerdings blieb diese noch bis ins 2.Jh. auch in mündlicher Weitergabe bestehen, und die Sammlung apostolischer Schriften - über die Paulusbriefe hinaus - war nicht klar abgegrenzt. Die Entstehung und Benutzung von Apokryphen im 2.Jh. belegt die relative Offenheit des Traditionsprozesses. Das hatte zur Folge, daß die Theologen des 2.Jh.s sich auf ein divergierendes Normengefüge bezogen. Eine Zweiteilung normativer Glaubensurkunden war von vornherein angelegt durch das heilsgeschichtlich begründete Nebeneinander von „Schrift“ einerseits und „Herr“ / „Apostel“ andererseits. Die rabbinische Fixierung des dreiteiligen hebräischen Kanons mit 39 Büchern (seit Ende des 1.Jh.s) wurde von der Kirche nicht übernommen. Die Septuaginta wurde mehr und mehr zur Bibel der Christen, doch deren Umfang war nicht genau festgelegt (erste offizielle Fixierung mit 47 Büchern im Jahr 382). Mit dem Begriff Kanon meinte die frühe Kirche die Glaubensregel oder eine Rechtsvorschrift, nicht den Bestand der biblischen Texte, der Schrift hieß. Gründe für das Vorantreiben der Kanonisierung: * Markions Kanonbildung. * Betonung der Normativität pneumatischer Sprüche durch den Montanismus. * Berufung des Gnostizismus auf dubiose apostolische Traditionen. Diese Lehrentscheidung der Großkirche vollzog sich seit ca. 150 allmählich und war um 180-200 abgeschlossen. Sie bezog sich auf die Fixierung einer normativen christl „Schrift“ neben der bisherigen Schrift, dem AT. Für die offizielle Geltung eines Textes waren maßgeblich: a) die Herkunft aus urchristlicher Zeit. b) die sachliche Übereinstimmung mit der apostolischen Lehre. Erst um 360-410 setzte sich die bis heute gültige Zahl der 27 ntl. Bücher durch. Irenäus: Zur Abwehr der gnostischen Lehren berief er sich auf die apostolische Verkündigung und Überlieferung als Norm, die er in bestimmten Texten fixiert sah, welche die „Lehre aller Apostel“ enthielten: Ö Apg, 13 Plsbriefe, 1.Petr., 1./2. Joh und das viergestaltige Evangelium. Apostolizität war für ihn kein formales Kriterium (apostolische Verfasserschaft), sondern ein Sachkriterium für die ursprüngliche Lehre der Kirche. Canon Muratori: * 1740 von L.A.Muratori entdecktes Handschriftenfragment. * um 200 in Rom. Listet die dort zur Verlesung im Godie zugelassenen und damit als normativ anerkannten Bücher mit kurzer Kommentierung auf. Bis auf Hebr, Jak, 1./2. Petr und 3.Joh sind alle Bücher des späteren NTs genannt. Die Fixierung des Kanonumfangs: * Origenes bemühte sich um eine Klärung, indem er die Praxis dreifach kategorisierte: allgemein anerkannte - umstrittene - als unecht verworfene Schriften. * Eusebius von Caesarea konstatierte um 320 die Kanonisierung von 21 bzw. 26 Büchern. * Cyrill von Jerusalem nannte um 350 seinen Katechumenen 26 Bücher - ohne Apk - als normativ. * Athanasius verzeichnete 367 erstmals alle 27 Bücher im Zusammenhang seines antihäretischen Kanonsverständnisses (39. Osterfestbrief). Er verwandte auch als erster dafür den Begriff „Kanon“. * in der Ostkirche wurde jener Bestand seit dem Konzil von 692 normativ. * eine römische Synode ca. 382 unter Damasus fixierte eine Kanonsliste mit 27 ntl. nach den 47 atl. Büchern. Dogmatisiert wurde der Kanonsumfang von der römisch-katholischen Kirche auf dem Konzil von Trient 1546. Wie die lutherische hat auch die reformierte Kirche für das AT den kürzeren hebräischen Kanon rezipiert.