Kerstin Zehmer, Jüdische Frauen in Bad Kreuznach

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Kerstin Zehmer, Jüdische Frauen in Bad Kreuznach
Bad Kreuznacher
Nummer 2/2012
Beilage
Bad Kreuznach
Heimatblätter
Jüdische Frauen
in Bad Kreuznach
Ihr Leben und ihr Wirken in der Geschichte der Nahestadt
VON KERSTIN ZEHMER, ESSENHEIM
Ihre Namen waren Sophie Scheyer, Elisabeth Würzburger oder Margot Strauß. Unter
den jüdischen Frauen der Nahestadt befanden sich arme Kleinhändlerinnen ebenso
wie wohltätige Bürgerinnen. Aber auch eine stadtbekannte Hebamme oder eine kritische Journalistin machten in Kreuznach
von sich reden. Die Berufstätigkeit war für
jüdische Frauen keineswegs so fremd wie
oft vermutet wurde. Während im Mittelalter
zahlreiche jüdische Frauen als Geldhändlerinnen tätig waren, zwang im 18. und frühen 19. Jahrhundert die Armut eine breite
Schicht jüdischer Frauen zu einer Betätigung als Händlerin – neben ihrer Rolle als
Hausfrau und Mutter.
Traditionell waren Frauen im Judentum
von dem Studium der Thora und des Talmuds zugunsten ihrer Haushaltspflichten
„befreit”. Ihre Aufgabe war es, sich neben
der Haushaltsführung vor allem um die Kindererziehung zu kümmern. Die Männer hingegen sollten sich neben ihrer beruflichen
Tätigkeit auch mit den religiösen Schriften
vertraut machen. Dieser Anspruch führte in
der Praxis dazu, dass sich im Mittelalter ein
Teil der Männer ganz dem Thorastudium
hingab, während ihre Ehefrauen die Handelsgeschäfte führten. Bei Fernhändlern,
die sich monatelang auf Reisen befanden –
und der Fernhandel war eine Domäne der
Juden am Rhein – war es sowieso unerlässlich, dass die Frauen das Handelsgeschäft
auch alleine führen konnten.
Trotzdem waren jüdische Frauen für die
Bewahrung der Traditionen zuständig, insbesondere für die Führung eines koscheren
Haushaltes nach den jüdischen Speisegesetzen. Zudem oblagen ihnen religiöse
Pflichten im Haus – vor allem das Entzünden und das Segnen der Sabbatkerzen. Eine jüdische Frau sollte also Häuslichkeit
und Religiosität und im besten Fall auch Geschäftstüchtigkeit miteinander vereinen. So
lobte der berühmte Wormser Rabbiner Eleazar ben Jehuda in poetischen Versen seine
verstorbene Frau, deren Fähigkeiten als Geschäftsfrau ihn „gekleidet und genährt und
mit Büchern versehen“ habe.1
Eine kleine jüdische Gemeinde mit Namen „Zelemochum“ existierte in Kreuznach
bereits im 14. Jahrhundert. Der jüdischen
Überlieferung zufolge sollen Juden schon
zur Zeit Jesu in den Städten Mainz, Ulm
und Regensburg gelebt haben; insbesondere in den römischen Rheinprovinzen, in
deren tolerantem Klima römische Legionäre
neben germanischen Stämmen und anderen Völkern lebten. In diesem bunten Gemisch waren die Hebräer eine Gruppe unter vielen.2 Während nach der Völkerwanderung die Mehrheit der germanischen
Stämme dem Vielgötterglauben abschwor
und sich dem Christentum zuwandte, blieben die Juden, die seit altersher über eine eigene monotheistische Religion verfügten,
bei ihren religiösen Überzeugungen. Selbst
bei den antijüdischen Ausschreitungen zur
Zeit der Kreuzzüge, bei denen man die verfolgten Juden zwang, sich zu entscheiden,
entweder zu sterben oder zum Christentum überzutreten, wählten viele den Märtyrertod. Die erste Erwähnung eines Juden
in Kreuznach findet sich im Memorbuch der
Stadt Nürnberg. Dort wird ein jüdischer
Märtyrer aus Creuznach aufgeführt, der am
31.3.1283 hingerichtet wurde.
Die Jüdin Bulyn ist die erste namentlich
bekannte Frau aus der Kreuznacher Gemeinde. Sie stellte nach dramatischen Erlebnissen ihr Talent als Geschäftsfrau unter
Beweis. Bulyn war mit dem Juden Gottschalk verheiratet, der ein Haus in der
Mannheimer Straße besaß. Gottschalk verlieh sowohl kleinere als auch größere Geldsummen an christliche Kaufleute, aber auch
an den Grafen von Sponheim. Juden, denen
im Laufe der Zeit immer mehr Berufszweige
verboten waren – so wurden sie beispielsweise nicht in die Zünfte aufgenommen –
waren auf die Geld- und Pfandleihgeschäfte als wichtige Erwerbszweige angewiesen.
Der soziale Status des Kreuznacher Juden
Gottschalk und sein wirtschaftlicher Erfolg
waren so groß, dass der Frankfurter Stadtrat
einen Boten in die Nahestadt schickte, um
bei Gottschalk ein Darlehen in Höhe von
600 Gulden zu erbitten.
Dieser enge Kontakt begünstigte vermutlich auch die Tatsache, dass Gele, die
Tochter des Geldhändlers, im Jahr 1400 zu
dem seltenen Privileg gelangte, als Bürgerin in der Messestadt aufgenommen zu werden. Das Bürgerrecht, generell schwer zu
erwerben, konnten Juden nur unter schwierigen Bedingungen erlangen. Und ausge-
Grabstein der 1795 geborenen und 1880 gestorbenen Jeanette Scheyer auf dem Jüdischen Friedhof
in Bad Kreuznach.
Foto: Kerstin Zehmer, Essenheim
rechnet eine Kreuznacher Jüdin erhielt vom
Frankfurter Stadtrat ein Bürgerrecht – wenn
es zunächst auch nur auf ein Jahr beschränkt war. Ein Geschenk, das Gottschalk
noch in demselben Jahr dem Frankfurter
Stadtrat zukommen ließ, könnte als Dankeschön gedeutet werden.3
Im Zuge der sogenannten „Judenschuldentilgungen“, bei denen König Wenzel
(1378-1400) 37 Reichstädten erlaubte, per
Dekret christliche Kaufleute, die sich Geld
bei Juden geliehen hatten, von ihren Schulden zu befreien, hatte sich die Lage der jüdischen Bevölkerung im deutschen Reich
deutlich verschlechtert. Die Städte wiederum erhielten als „Bezahlung für die Entschuldung“ eine bestimmte Summe von
den christlichen Kaufleuten.4 Graf Simon
von Sponheim griff zu einer anderen Methode, die bei kleineren Herrschaften sehr
beliebt war: Ende des Jahres 1403 nahm er
Gottschalk und seine Frau Bulyn scheinbar
ohne Anlass gefangen – der einzige sichtbare Grund für diese Maßnahme scheint in
der Tatsache zu liegen, dass sowohl der
Graf als auch der nach einem Feldzug angeschlagene König Ruprecht (1400-1410)
dringend Geld benötigten. Im Februar des
folgenden Jahres mussten Gottschalk und
seine Frau per Vertrag auf ihr gesamtes Vermögen zugunsten von Graf und König verzichten, um wieder frei zu kommen. Anklagepunkte sind keine überliefert. Gottschalk
musste sich zudem verpflichten, noch ausstehende Schulden seiner Kunden möglichst schnell einzutreiben und an den König abzutreten.
Während Gottschalk seine Schuldner abklapperte, stritten sich indessen König und
Graf um die Aufteilung von Gottschalks
Vermögen. Der Graf verlangte einen höhe-
2
Bad Kreuznacher Heimatblätter - 2/2012
(Seite 6 des Jahrgangs)
ren Anteil, als der König ihm gewähren
wollte. Einigkeit herrschte jedoch in dem
Punkt, dass man sicherstellen wollte, dass
Gottschalk auch tatsächlich alle Außenstände eintrieb. Um Druck auf ihn auszuüben, wurden seine Frau Bulyn, sein Sohn
Smohel, sein Schwager und weitere Familienmitglieder in Kreuznach erneut inhaftiert – offiziell wurden als Grund für die Inhaftierung Frevel gegen den Grafen und gegen die Freiheiten der Stadt Kreuznach angegeben. Erst im Frühjahr 1405 wurde die
Familie Gottschalks wieder freigelassen.5
Anschließend hielt es Gottschalk in
Kreuznach nicht mehr aus und er zog in ein
anderes Herrschaftsgebiet – nach Frankfurt
am Main, wo inzwischen neben der Tochter
Gele noch eine zweite Tochter lebte. Ehefrau Bulyn zog es allerdings vor, mit den jüngeren Kindern in ihrer Heimatstadt Kreuznach zu bleiben. Obwohl Bulyn nach der
„Enteignung“ wieder ganz von vorne anfangen musste, schaffte sie es, sich ein neues Vermögen zu erwirtschaften. Dieses Vermögen war so groß, dass 1421 der Graf auch
sie gefangen nehmen ließ. Bulyn musste
ihm im Tausch gegen ihre Freiheit sämtliche Schulden erlassen, die der Graf bei der
Kauffrau gemacht hatte. Was aus der Kreuznacher Jüdin daraufhin wurde, ist nicht bekannt.
Während des 17. Jahrhunderts konsolidierte sich die jüdische Gemeinde in der Nahestadt. Die jüdischen Bürger und Bürgerinnen waren aus dem Wirtschaftsleben der
Nahestadt nicht mehr wegzudenken. Zudem verfügte die jüdische Gemeinde nun
über jene Institutionen, die zu einem funktionierenden Gemeinwesen für Juden gehören – etwa eine Synagoge oder ein Tauchbad. Mit 800 Familien war die jüdische Gemeinde Kreuznachs sogar eine der größten
im Mittelrheingebiet. Die jüdischen Bürger
und Bürgerinnen der Nahestadt wohnten
mehrheitlich in zwei Häuserzeilen entlang
eines schmalen Gässchens im südöstlichen
Winkel der Altstadt Kreuznachs. Da die Gemeinde vorerst über keinen eigenen Rabbiner verfügte, wurde an den jüdischen Feiertagen ein auswärtiger Rabbiner nach
Kreuznach geholt. 1711 erwarb die jüdische
Gemeinde ein Haus in der Mühlenstraße,
das sie nun als Synagoge nutzte. Die Verlegung der Synagoge in die Innenstadt dokumentiert die Konsolidierung der Jüdischen Gemeinde, deren Mitglieder – allerdings gegen die Zahlung eines sogenannten Schutzgeldes – nun eine akzeptierte
Minderheit in Kreuznach darstellten.
Fast alle im Süden und im Südwesten
Deutschlands lebenden Juden verloren
durch die erwähnten „Judenschuldentilgungen“ einen großen Teil ihres Vermögens. Diese Maßnahmen trugen dazu bei,
dass sich die Darlehenstätigkeit der Juden
in der nachfolgenden Zeit auf die kleinere,
alltägliche Pfandleihe beschränkte – auch
in der Kreuznacher Gemeinde war dies der
Fall. Zudem hatten die Vertreibungen der
jüdischen Bevölkerung aus den größeren
Städten auf das Land oder in kleinere Städte zu Beginn der Neuzeit den Verarmungsprozess verstärkt. Das Landjudentum wurde
nun zur typischen Lebensform der deutschen Juden. Viele Juden waren Viehhändler – auch in der Kreuznacher Gemeinde. Zudem waren jüdische Händler oft
in verschiedenen Gewerbezweigen tätig,
um ihre Familien über Wasser halten zu
können.
Ein typisches Beispiel dafür ist Wolf Elias
Wiesbaden, der sich in der Mitte des 18.
Jahrhunderts zugleich als Frucht- und
Weinhändler betätigte. Seine Tochter Vögele Wiesbaden verlobte sich 1764 mit Isaac
Löw Astruck aus Worms, der daraufhin ein
Aufnahmegesuch im Kreuznacher Stadtrat
einreichte. Jüdische Paare schlossen bei ihrer Eheschließung einen Heiratsvertrag, in
dem geregelt wurde, wie hoch die Aussteuer war, die beide Paare beziehungsweise deren Eltern zu der Ehe beizusteuern
hatten und wer Möbel, Bargeld und Wertgegenstände erhalten sollte, falls einer der
beiden Ehepartner sterben würde.
Hirsch, ein Sohn des Feist Simmern von
Kreuznach, heiratete im Juli 1777 die Jüdin
Boehla. In ihrem Heiratsvertrag heißt es:
„Von jetzt an sollen diese Eheleuthe lieblich
und freundlich mit einander leben, auch keiner vor dem andern nichts verbergen oder
verhehlen, sondern über beyderseitigs Vermögen, eines wie das andere gleich Gewalt
haben. In sofern aber mehrgedachter Hochzeiter Hirsch seiner Frau Boehla dergleichen unerträgliche Sachen verursachen
sollte, daß sie dieserwegen einen Richter
nöthig hätten, so muß er ihr sogleich alle ihr
Kleider und zugehörige Zierrathen, einhändigen, auch ihr sogleich von der Stund
an der der Zank angeht, monatlich zehn Gulden zu ihrem Unterhalt geben, bey dem ist
er schuldig, in Zeit 14en Tägen, von der Zeit
an, da es praetendiert wird, mit ihr vor dem
Jüdischen Gericht zu gehen. Nach getroffenem Vergleich aber muß sie in ihres Mannes Behausung nebst übrigem Geld samt
Kleider und Zierrathe zurückgehen.“6
Sowohl Hirsch als auch Boehla stammten
aus finanziell gut gestellten Familien. In die-
Zwei jüdische Frauen aus Bad Kreuznach 1935.
Foto: Archiv der Paul Lazarus Stiftung für deutsch-jüdische Geschichte, Wiesbaden
sen Kreisen war es üblich, dass frisch verheiratete Paare eine Weile bei den Eltern
des Bräutigams oder der Braut lebten oder
zumindest in deren Nähe, um Geld für ein
eigenes Handelsgeschäft sparen zu können.
Oft mussten die jungen Leute auch noch ihre geschäftlichen Kenntnisse vertiefen und
wurden bei ihren ersten Geschäften von
den Eltern angeleitet. Boehla hatte eine hohe Summe als Mitgift in die Ehe eingebracht und sich ein Mitspracherecht bei der
Vermögensverwaltung im Ehevertrag zusichern lassen. Während die Witwe Nennell,
die Mutter des Bräutigams, zuvor eine Aufnahmegenehmigung des Paares in Kreuznach erwirkt hatte, bekundete sie nun im
Hochzeitsvertrag, das junge Paar ein Jahr
lang bei sich aufzunehmen und in dieser
Zeit zu verköstigen. Die Mutter des Bräutigams bezahlte hierfür das Schutzgeld, wobei ihr Sohn sich verpflichtete, einen Teil
des Schutzgeldbeitrages beizusteuern.
Der Ehevertrag enthielt zudem erbrechtliche Regelungen, wie sie in ähnlicher Form
in vielen jüdischen Eheverträgen wiederzufinden sind: In dem Fall, dass Boehla ohne die Geburt eines Kindes im ersten Jahr
nach der Eheschließung sterben würde, hätte ihr Ehemann Hirsch entsprechend dem
Ehevertrag das Vermögen seiner verstorbenen Frau an deren Verwandte zurückgeben müssen. Sollte sie zwei Jahre nach der
Trauung ohne Kinder sterben, würde er hingegen die Hälfte des Vermögens behalten
dürfen. Brächte Boehla allerdings Kinder
zur Welt, hätte im Fall ihres Todes der Witwer - nun alleine verantwortlich für den
Nachwuchs - ihr gesamtes Vermögen geerbt, unabhängig von der Frage, wie lange
das Paar zu diesem Zeitpunkt bereits verheiratet gewesen wäre. Im Ehevertrag werden auch alle Kleider der vermögenden
Frau aufgelistet, die sie in die Ehe mit einbrachte: Darunter beispielsweise ein rotes
Kleid aus Atlasseide für besondere Anlässe,
während ein weiteres Seidenkleid für den
Sabbath vorgesehen war. Neben zwei sogenannten Alltagskleidern enthält die Liste
auch ein braunes Wollkleid mit weißen Blumen und sechs Alltagshauben, die jüdische
Frauen trugen.
In der dünnen Schicht des gehobenen
Bürgertums betätigten sich jüdische Frauen
– im Gegensatz zu den Gewohnheiten im
Mittelalter und in der Frühen Neuzeit – während des 18. und 19. Jahrhunderts seltener
als Geschäftsfrauen. Stattdessen engagierten sie sich verstärkt auf dem Feld der Wohltätigkeit. Soziales Engagement und soziale
Gerechtigkeit (Zedaka) spielen im Judentum ohnehin eine besondere Rolle. So sollte
jeder Reiche ein Zehntel seines Einkommens an Bedürftige abgeben. Die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geborene
Gütle Woog war mit dem Kreuznacher „Judenvorsteher“ Isaac Moises Woog (1729 geboren) verheiratet; sie soll dem jüdischen
Frauenideal der treusorgenden, religiösen
Gattin, die uneigennützig handelt, besonders gut entsprochen haben. Über sie sagte
man: „Sie besuchte Kranke, arme wie reiche, bekleidete die Toten, linderte verschämte Armut, zog die Armen den Reichen
vor, versäumte keine Gebetszeit.“
Sowohl für Gütle als auch ihren Ehemann
Isaac war es die zweite Ehe. Gütle war zuvor mit dem Mediziner Dr. Joel Cahn verheiratet gewesen und hatte 1776 eine Tochter zur Welt gebracht. Nachdem ihr Ehemann verstorben war, heiratete sie den Witwer Isaac, der fünf Kinder in die Ehe mitbrachte.7 Gütle Woog versorgte insgesamt
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sechs Kinder, ging regelmäßig in die Synagoge, besuchte die Kranken der Gemeinde
und war vermutlich Mitglied einer jüdischen Beerdigungsgesellschaft. Ihr Einsatz
für andere hinderte sie nicht daran, sich vor
ihrer zweiten Eheschließung mit Isaac Woog
zu „ihrer eigenen Sicherheit“, wie sie in einem Brief an den Rabbiner Samuel Strauß
schrieb, die Geldsumme, die sie in die Ehe
mit dem Gemeindevorsteher einbrachte,
noch einmal schriftlich bestätigen zu lassen,
damit sie im Fall einer Scheidung oder bei
dem Tod ihres Mannes die Summe wiedererhalten würde. Gütle Woog kümmerte sich
demnach intensiv um andere Menschen,
ohne jedoch naiv zu sein und sorgte, wie
der Brief an den Rabbiner belegt, auch für
ihre eigene finanzielle Absicherung.
Zu den führenden Gemeindemitgliedern
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
zählte – neben den Mitgliedern der Familie
Woog – der Kaufmann Benjamin Beckhard,
der es als Weinhändler zu großem Wohlstand brachte. Ausgerechnet seine minderjährige Tochter Jeanette beteiligte der dreifache Familienvater an seinen Geschäften.
Jeanette Beckhard, 1795 geboren, wurde
von ihrem Vater offenbar für so talentiert
und kompetent gehalten, dass er sie nicht
nur in geschäftliche Dinge einwies, sondern
auch mit weitreichenden Vollmachten ausstattete und ihr bereits in äußerst jungen
Jahren Verantwortung für das Geschäft
übertrug. 1815 heiratete Jeanette Beckhard
den aus einer bekannten und traditionsreichen Frankfurter Familie stammenden Sigismund Scheyer. Jeanette Scheyer zog
zehn Kinder groß und war für den großen
Haushalt der Familie verantwortlich. Ihr
Mann war zeitweilig Gemeindevorsteher
und pflegte als erfolgreicher Handelsmann
weitreichende Kontakte. Nach dem Tod von
Jeanettes Vaters führte Ehemann Sigmund
Scheyer gemeinsam mit seinem Schwager
Leopold Beckhard das Handelsunternehmen „Beckhard und Söhne“. Als Jeanette
Scheyers Bruder kinderlos starb und sie
selbst 1848 ihren Mann verlor, führte sie
das Unternehmen als Witwe weiter. Da sie
bereits als junge Frau Handelserfahrungen
gesammelt hatte, hatte sie keine Probleme,
die Unternehmensführung alleine zu übernehmen.8
Neben den Witwen betätigten sich während des 19. Jahrhunderts vor allem jüdische Frauen aus mittellosen Familien, die
auf den Gelderwerb angewiesen waren, als
Geschäftsfrauen. Der Lohn des Ehemannes
reichte bei der Mehrheit der Familien - im
Gegensatz zu der wohlhabenden Familie
Beckhard, die eine Ausnahme darstellte –
kaum zum Überleben aus. In ihrer Not bemühten sich die jüdischen Frauen, mit den
unterschiedlichsten Waren und Gütern Handel zu treiben. Manche verkauften selbstgefertigte Waren – etwa Flechtwerke wie
Körbe, während andere Naturalien wie Butter, Eier oder Obst auf dem Land billig einkauften und dann auf dem Wochenmarkt in
der Stadt vertrieben. Manchmal stammten
die Produkte auch aus eigener Produktion.
Die ärmsten unter ihnen handelten mit gebrauchten Gütern. So gab es beispielsweise
in Kreuznach eine ganze Reihe von Altkleider-Händlerinnen. Babette Wolf war eine von ihnen – wie sie gaben zahlreiche jüdische Frauen als Berufsbezeichnung einfach „Kleinhändlerin“ an.
Elisabeth Würzburger hingegen, die mit
dem jüdischen Religionslehrer der Kreuznacher Gemeinde verheiratet war, dessen
Einkommen allerdings äußerst bescheiden
(Seite 7 des Jahrgangs)
Sophie Sondhelm als Krankenschwester in Köln
(vor 1920).
Foto: Stadtarchiv Köln
ausfiel, übte einen ganz anderen Beruf aus:
Über mehrere Jahrzehnte hinweg stand sie
als Hebamme jüdischen Frauen bei der Geburt ihrer Kinder zur Seite. Auch ihre Tochter Amalie wurde Hebamme. Sie war ebenfalls verheiratet und musste sich daher
gleichzeitig noch um ihren eigenen Haushalt und die Kindererziehung kümmern. In
der Kreuznacher jüdischen Gemeinde gab
es auch sehr gebildete Frauen, wenngleich
sie die Ausnahme dargestellt haben dürften. Das Paradebeispiel ist Rachel Ansbach,
die Tochter eines Rabbiners aus Metz, die
aufgrund ihrer Eheschließung mit dem
Großhändler Michel Seligmann 1815 nach
Kreuznach zog. Sie soll sich nicht nur mit
den jüdischen Schriften bestens ausgekannt, sondern zudem über eine vorzügliche Allgemeinbildung verfügt sowie mehrere Fremdsprachen gesprochen haben.
Nach dem Tod ihres Mannes 1855 zog sie
zu Verwandten nach Mannheim, zahlte
aber weiterhin Steuern in der Nahestadt,
obwohl sie dazu nicht verpflichtet gewesen
wäre.9
Im Laufe des 19. Jahrhunderts schaffte es
die größtenteils verarmte jüdische Bevölkerung, sich mit kaufmännischen Berufen
aus der Armut zu befreien. In der zweiten
Hälfte des Jahrhunderts gehörten etwa die
Hälfte der deutschen Juden dem unteren
oder mittleren Bürgertum an.10 1871 erfolgte
die völlige staatsrechtliche Gleichstellung
der Juden, die nun alle Berufe ausüben durften. Nur einzelne Juden brachten es entgegen dem weit verbreiteten Klischee zu großem Reichtum und lassen sich dem Großbürgertum zurechnen. In Kreuznach war
dies die Familie Scheyer, die von Frankfurt
nach Kreuznach gezogen war und mit ihren
Investitionen in der Nahestadt zur Industrialisierung der ganzen Region beitrug.11 Der
mit Jeanette Beckhardt verheiratete Siegmund Scheyer war einer der Söhne der Familie. Sein deutlich jüngerer Bruder Heinrich Scheyer heiratete 1856 Sophie Hirsch,
die aus einer der ältesten jüdischen Familien „Zelemochums“ stammte. Heinrich
Scheyer starb jedoch jung und hinterließ ei-
3
ne Witwe, die ihn gleich um mehrere Jahrzehnte überlebte. Es stellte sich nun heraus,
dass diese besonders wohltätig eingestellt
war. Das Ehepaar hatte drei Kinder; trotzdem vermachte Sophie Scheyer einen Teil
ihres Vermögens der Stadt. Als Zeichen der
mehr als 100-jährigen Verbundenheit ihrer
Familie mit der Nahestadt verfügte sie, dass
ein Teil ihres Nachlasses als mildtätige Stiftung zur Unterstützung bedürftiger Personen angelegt werden sollte. 1914 wurde die
„Eheleute Scheyer“ Stiftung eingerichtet
und mit der damals ungeheuerlichen Summe von 100 000 Mark ausgestattet. Ein Viertel der Zinsen kam dem Jugendheim zugute, ein weiteres Viertel sollte dazu dienen,
armen Schulkindern ohne Unterschied ihrer
Konfession proportional zu ihrem Anteil an
der Stadtbevölkerung ein warmes Frühstück oder Bekleidung zukommen zu lassen. Mit der verbliebenen Hälfte der Zinsen
sollten Weihnachtsgeschenke für Bedürftige in Form von Lebensmitteln oder Kohle erstanden werden.12
Seit dem Mittelalter kümmerten sich jüdische Frauenvereine um die Alten und
Schwachen in der Gesellschaft. Fast für jeden Versorgungsfall gab es einen eigenen
Verein: Eine Vereinigung kümmerte sich
nur darum, dass Tote, die keine Angehörigen hatten, gewaschen wurden; ein anderer
Verein sammelte Geld, um damit mittellosen Bräuten ein Hochzeitskleid zu finanzieren. 1904 gründete Bertha Pappenheim
als Dachorganisation für die circa 400 damals in Deutschland existierenden jüdischen Frauenvereine und als zentrale Interessenvertretung der jüdischen Frauen den
Jüdischen Frauenbund (JFB), der auch in
Kreuznach eine Zweigstelle eröffnete, in
welcher sich neben anderen die Weinhändlersgattin Paula Krämer engagierte. 13
Zu seinem 100-jährigen Bestehen beschloss der ebenfalls dem JFB angehörende
Israelitische Frauenverein der Stadt Köln
die Einrichtung eines Erholungsheims für
Kinder mit Atemwegserkrankungen. Als
idealen Standort für eine solche Einrichtung
wählte man das idyllisch gelegene Salinental in Bad Kreuznach aus. Die Einrichtung wurde 1920 eröffnet und die Kölner
Krankenschwester Sophie Sondhelm zu ihrer Leiterin auserkoren. 1887 in Kleinlangheim in der Nähe von Kitzingen geboren,
ließ sie sich nach der Schulzeit im „Israelitischen Asyl für Kranke und Altersschwache“ in Köln ausbilden. Anschließend arbeitete sie als Operationsschwester. Unter
der Leitung von Sophie Sondhelm wurde
die Jüdische Kinderheilstätte im Salinental
zu einer überregional geschätzten Kur-Einrichtung. Im Hauptgebäude konnten 60 bis
80 Kinder untergebracht werden. 20 Mitarbeiter benötigte die Einrichtung insgesamt.
Sophie Sondhelm galt als fromm, aber nicht
dogmatisch. Jüdische Rituale und Regeln
wurden praktiziert – beispielsweise gab es
nur koschere Speisen und die Jungen trugen bei den Mahlzeiten eine Kopfbedeckung. In der Hochsaison wurde der Schabbat im Speisesaal gefeiert.14 1928 erhielt das
Haus einen Anbau, nun konnten 120 Kinder
dort logieren. Eine Kölner Lehrerin schrieb
über das Heim: „Wer das Heim des Kölner
Vereins ‚Jüdische Kinderheilstätte Bad
Kreuznach’ kennt, weiß, dass es zu den
schönsten jüdischen Heimen Deutschlands
zählt.“
Sophie Sondhelm ging ganz in ihrer Arbeit auf und beobachte zugleich mit wachem Verstand die politischen Entwicklung
in Deutschland. Bereits 1933 bot sie der jü-
4
Bad Kreuznacher Heimatblätter - 2/2012
(Seite 8 des Jahrgangs)
dischen Auswanderungsorganisation Hechaluz ihre Hilfe an. Im Kreuznacher Kinderheim wurde von Sophie Sondhelm die
erste Mächenausbildungsstätte der Hechaluz geschaffen. In mehrmonatigen Kursen
wurden die Teilnehmerinnen auf das neue
Leben im ländlich geprägten Palästina vorbereitet. Sogar der bekannte Religionsphilosoph Martin Buber kam nach Bad Kreuznach, um die Hechaluz-Mitarbeiter zu schulen. Vergeblich bat Sophie Sondhelm 1935
die Kölner Zentrale um eine Verlegung des
Heimes nach Palästina. Die Führungsriege
vertrat die verhängnisvolle Auffassung, man
müsse nur bis zum Ende des Nationalsozialismus durchhalten.
Als Sophie Sondhelm 1937 von einem
Neffen ein Visum für die USA erhielt, das
nur ihr allein galt, lehnte sie die Ausreise
ab. Sie blieb und half statt dessen anderen
bei der Flucht. Sie stellte entsprechende
Kontakte her, motivierte junge Leute,
Deutschland zu verlassen. Bereits 1937 kamen keine Kinder mehr in das Heim. In der
sogenannten Reichskristallnacht 1938 wurde die Einrichtung fast komplett zerstört
und das Haus anschließend wegen angeblicher „Verdreckung“ geschlossen. So fand
auch die Arbeit der Hechaluz ein Ende.
Nach verschiedenen Zwischenstationen
wurde Sophie Sondhelm 1942 noch einmal
mit der Leitung eines Heimes betraut.
Ihre Bedeutung und ihr Bekanntheitsgrad im deutschen Judentum lassen sich
wohl mit am besten an der Tatsache ablesen, dass man ihr die Leitung der berühmten Einrichtung in Neu-Isenburg anbot,
welche von keiner Geringeren als von Bertha Pappenheim gegründet und geleitet
worden war.
Doch die Nationalsozialisten in ihrem
Rassenwahn machten auch vor Schwester
Sophie nicht halt. 1942 wurde sie verhaftet
und 1943 nach Theresienstadt gebracht.
Auch hier kümmerte sie sich um Schwächere und arbeitete als Krankenschwester.
Am 9. Oktober 1944 wurde sie nach Auschwitz deportiert und dort kurze Zeit später
umgebracht.
In Bad Kreuznach lebte 1938 von den 552
Juden, die 1933 noch dort gemeldet waren,
nur noch ein Drittel. Die Nationalsozialisten
hatten sich der Scheyer-Stiftung ebenso bemächtigt, wie sie zu Beginn der 30er-Jahre
die Karriere der jüdischen Journalistin Margot Strauß zerstörten. Margot Strauß stammte aus einer jüdischen Familie, die in der
Baumgartenstraße lebte. Der Vater war von
Beruf Weinkommissionär. Von den sieben
Kindern, die Mutter Johanna Süßmann auf
die Welt gebracht hatte, starben vier bereits
im Kleinkindalter; eine Tochter starb mit
fast zehn Jahren. 1911 verlor die Familie
auch die Mutter. Übrig blieben nur Margot,
das jüngste Kind, und Selma, die älteste
Tochter der Familie.
Die junge Frau begann 1928 in Heidelberg Philosophie und Zeitungswissenschaften zu studieren. Mit einer Anstellung
als Redakteurin beim Öffentlichen Anzeiger
finanzierte sie ihr Studium. Vor allem mit ihren Theaterkritiken verschaffte sie sich große Anerkennung. Zudem hielt sie im Volksbildungsheim Vorträge über philosophische
Themen, die ein begeistertes Echo fanden.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte sich ihr gesamtes Leben
schlagartig. Am 14. März 1933 erschien der
Kreisleiter der NSDAP mit 20 SA-Leuten in
der Redaktion des „Öffentlichen Anzeigers“ und verlangte die Entlassung der jüdischen Journalistin. Zunächst wurde Mar-
Anmerkungen
Vgl. Judith R. Baskin: Women and Ritual
Immersion in Medieval Ashkenaz: The Sexual Politics of Piety, in: Lawrence Fine
(Ed.): Judaism in Practice. From the Middle
Ages through the Early Modern Period;
Princeton 1982, S. 132 f. und Ivan I. Marcus:
Mothers, Martyrs and Moneymakers: Some
Jewish Women in Medieval Europe, in:
Conservative Judaism 38/3, 1986, S. 34 ff.
2 Vgl. Frank Stern: Dann bin ich um den
Schlaf gebracht. Ein Jahrtausend jüdischdeutsche Kulturgeschichte; Berlin 2002, S.
23 ff.
3 Vgl. Franz-Josef Ziwes: Studien zur Geschichte der Juden im mittleren Rheingebiet während des hohen und späten Mittelalters. Schriftenreihe zur Geschichte der Juden (Hrsg.: Gesellschaft zur Erforschung
der Geschichte der Juden e.V.); Hannover
1995, S. 208 ff.
4 Vgl. Friedrich Battenberg: Das Europäische Zeitalter der Juden. Zur Entwicklung
einer Minderheit in der nichtjüdischen Umwelt Europas; Darmstadt 1990, S. 148 f. und
Hermann Kellenbenz: Die Juden in der
Wirtschaftsgeschichte des rheinischen Raumes. Von der Spätantike bis 1638, in: Konrad Schilling (Hg.): Monumenta Judaica.
2000 Jahre Geschichte und Kultur der Juden am Rhein; Köln 1963, S. 200f.
5 Vgl. Ziwes 1995, a. a. O., S. 213
6 Zitat aus der Übersetzung eines hebräischen Heiratscontracts (1777) zwischen
Hirsch, Sohn des Feist Simmern, und Bohela aus Creutznach (Stadtarchiv Bad Kreuznach, Actenstück Gr. 780, Nr. 3, Verträge
und Verhandlungen einzelner Juden (16811796), S. 219 f .)
7 Vgl. Andrea Fink: Jüdische Familien in
Kreuznach. Vom 18. Jahrhundert bis zum
Ersten Weltkrieg. Eine Dokumentation; Bad
Kreuznach 2001, S. 89
8 Vgl. Schriftliche Fassung eines Vortrages
von Andrea Fink über „Jüdische Familiengeschichten aus Kreuznach“ (2005), S. 4
9 Vgl. Fink 2001, a. a. O., S. 126
10 Vgl. Avraham Barkai: Jüdische Minderheit und Industrialisierung. Demographie,
Berufe und Einkommen der Juden in Westdeutschland 1850-1914; Tübingen 1988, S.
37 f.
11 Vgl. Andrea Fink: Ein Stück Kreuznacher
Geschichte. Der jüdische Friedhof in Bad
Kreuznach, in: Bad Kreuznacher Heimatblätter, 2002, Nr. 3, S. 2
12 Vgl. dieselbe: Jüdisches Leben in Kreuznach. Vom Mittelalter bis zum Ersten Weltkrieg (Schriftliche Fassung eines Vortrages,
ohne Datum), S.15
13 Vgl. Marion A. Kaplan: Die jüdische Frauenbewegung in Deutschland. Organisation
und Ziele des Jüdischen Frauenbundes
1904-1938, Hamburg 1981, S. 116 ff.
14 Vgl. Irene und Dieter Corbach: Sophie
Sondhelm und die Kölner Kinderheilstätte
Bad Kreuznach; Köln 1987, S. 7 ff.
15 Die Informationen stammen aus einem
Brief der mittlerweile verstorbenen Irma Leone, einer Cousine von Selma Strauß, aus
San Diego, USA, 2001.
1
Margot Strauß als Studentin.
Foto: Stadtarchiv Bad Kreuznach
got Strauß im Einvernehmen mit dem Verleger auf unbestimmte Zeit mit vollem Gehalt beurlaubt. Als alle Bemühungen scheiterten, die Maßnahme aufheben zu lassen,
musste der „Öffentliche Anzeiger“ am 1. Juni 1933 seine Mitarbeiterin endgültig entlassen.
Margot Strauß konnte daraufhin weder
ihre Arbeit als Redakteurin bei einer anderen Zeitung noch ihr Studium fortsetzen.
Erst im Februar 1935 gelang es ihr, eine
neue Stellung zu finden. Sie zog nach Karlsruhe und arbeitete dort für eine Import-Firma namens Heinrich Kaufmann – der Inhaber war ebenfalls jüdischer Abstammung.
Die Karlsruher Firma wurde im August 1938
„arisiert“ - nach dem Zwangsverkauf bestand für die junge Jüdin auf deutschem Boden keine Möglichkeit mehr, eine Erwerbstätigkeit zu finden.
Von diesem Zeitpunkt an versuchte Margot Strauß, Papiere für eine Auswanderung
zu erlangen. Ende Februar 1939 gelang ihr
schließlich die Flucht nach England. Drei
Monate nach der Emigration starb ihr Vater
Jacob Strauß in Bad Kreuznach. Stiefmutter
und Schwester mussten 1939 unter dem
Druck der Nationalsozialisten das Haus in
der Baumgartenstraße verkaufen. Stiefmutter Rebecca Strauß wurde 1940 nach
Minsk deportiert. Danach fehlt jedes Lebenszeichen von ihr. Selma Strauß kam gemeinsam mit einer Tante und einer Cousine
nach Theresienstadt. Sie überlebte, während Tante und Cousine starben.
In London musste Margot Strauß zunächst als Hausmädchen arbeiten. Als der
Krieg ausbrach, wurde sie als Ausländerin
interniert. Nach ihrer Entlassung arbeitete
Margot Strauß für eine Flüchtlingshilfeorganisation in London – diese half Emigranten, in der Fremde Fuß zu fassen. Von den
Kreuznacher Juden, die sich 1939 noch in
der Stadt aufhielten, darunter viele kranke
und alte Menschen sowie Frauen, sind fast
alle in Konzentrationslagern gestorben. Selma Strauß, die Schwester von Margot Strauß,
überlebte zwar, konnte aber ihre KZ-Erlebnisse nicht vergessen und nahm sich 1947
das Leben.15
Die Bad Kreuznacher Heimatblätter erscheinen
monatlich in Zusammenarbeit mit dem Verein
für Heimatkunde für Stadt und Kreis Bad Kreuznach
e.V. (i. A. Dr. Horst Silbermann,
Dienheimer Berg 11, 55545 Bad Kreuznach).