BHI-Projekt als Diplomarbeit
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BHI-Projekt als Diplomarbeit
Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet ENTWICKLUNG statt ERZIEHUNG : VORSTELLUNG EINES ZUKUNFTWEISENDEN BILDUNGSPROJEKTS UNTER SOZIALWISSENSCHAFTLICHEN ASPEKTEN Jürgen Arndt C Cooppyyrriigghhtt:: JJaannuuaarr 22000077,, D Doorrttm muunndd,, S Seellbbssttvveerrllaagg,, D Drruucckkaauussggaabbee ggeeggeenn eeiinnee A Auuffw waannddsseennttsscchhääddiigguunngg iinn H Hööhhee vvoonn 3399,,9999 €€ zzuu bbeesstteellleenn ppeerr E Em maaiill aann:: jjuueerrggeenn..aarrnnddtt@ @rraassaanntthhaauuss..ddee 6 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Inhaltsverzeichnis ungefähre Seitenangabe: 3 Vorwort Kap. I 4 soziologische Lebenslage, Subjektkonzepte und Begabungsbestimmung von Jugendlichen nach Geschlecht, Entwicklungsunterschieden und Kultur 7 41 Kap. II Die Sozialisation der Heranwachsenden im Internet Kap. III Das Internet als Schnittstelle zwischen Eltern, Lehrern, Schülern und Gesellschaft Kap. IV 65 Lern- und Förderpotentiale für Heranwachsende im Internet 121 Anhang – Trainingsraumprogramm und Droutcafés: eine kurze Methodenskizze des Begabungsförderungsprojektes Heranwachsender Internet 158 Literaturverzeichnis 172 Internetverzeichnis 175 Abbildungsverzeichnis 176 Tabellenverzeichnis 178 Namensregister 179 Sachwortregister 182 7 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet VORWORT „Die müssten doch eigentlich zu dieser Stunde in der Schule sein, oder?“ war die erste stutzende Frage, die ich einer lieben Freundin aus Wien im Internet stellte, als sie mich darauf hinwies, dass viele junge minderjährige Menschen sich an Vormittagen in so genannten Chatrooms munter tummelten, statt dem Unterricht zu folgen. Doch wie bin ich überhaupt auf die Idee der Begabungsförderung Heranwachsender im Internet gekommen? Und wie wurde diese Idee zum Projekt und der letztlich hier vorliegenden Diplomarbeit für Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum? Also der Reihe nach: Im Jahr 2003 besuchte ich häufiger in flirtender als auch in einfach unterhaltender Absicht im Internet ein Portal zur Echtzeitkommunikation namens Chat.de. Es war im November als ich dort eine liebe Frau meines Alters aus Wien, Mutter eines 12jährigen Sohnes und junge Witwe kennen- und lieben lernte. Im darauf folgenden Monat hatte ich das Vergnügen, sie in Wien besuchen und somit besser kennen lernen zu dürfen. Sie arbeitet ganztags im Büro des Wiener Burgtheaters und ist ehrenamtlich zu dieser Zeit als Administratorin für die Focus-GmbH in München tätig gewesen, die bis dato eine Chatplattform namens www.chat.de betrieb. Ich war zu jener Zeit ganz damit beschäftigt, mein Material aus meinen freiberuflichen Dozenten-, Studien- und Recherchetätigkeiten in klassische Schulfächer zu sortieren, mit dem Nahziel, mein Studium erfolgreich abzuschließen und dem Fernziel eine Schule im Internet gründen zu wollen. Britt aus Wien zeigte mir Chatrooms, wo sich Schülerinnen und Schüler auch während der Schulzeit munter tummelten und chatteten. Das Ausmaß an Zahl der minderjährigen Chatterinnen und Chatter zu einer Zeit, wo Schulpflichtige im Klassenraum beugend über Hefte und Bücher oder vorn dem Lehrkörper andächtig lauschend zu vermuten seien, schien mir erschreckend groß zu sein. Und so entschloss ich mich diesem Phänomen der Schulverweigerung näher auf den Grund gehen zu wollen. Ich begann mit den Jugendlichen während der eigentlichen Schulzeit zu chatten und zeichnete anschließend fast jede Sitzung auf. Ich organisierte und spezialisierte meine Chatzeiten. Das heißt, dass ich jeden Werktag inklusive der Ferien, die von Bundesland zu Bundesland verschieden ausfallen, vormittags mit ihnen chattete. Das tat ich ein halbes Jahr lang (Januar bis Juni 2004) zwischen 8 und 14 Uhr und traf auf Chatter, die eigentlich hätten im Klassenraum sitzen sollen. Ich möchte hier nicht allzu viel vorweg nehmen, warum ich das tat, denn das wird diese Diplomarbeit in seinen ersten beiden Kapiteln nahe legen zu versuchen. Nur soviel, dass ich mir feste Regeln und Zeiten auferlegt habe. Ich kann Ihnen geneigte Leserin und geneigter Leser versichern, dass sich mir oft vor Beginn jeder Sitzungen der Magen verdreht und mein Puls beschleunigt hat und möchte auch nicht verschweigen, dass ich manches Mal gern auf eine Session verzichtet hätte. Denn ich möchte a priori nicht unerwähnt lassen, dass diese für alle ersichtlichen Echtzeitzeilen der nach Kategorien eingeteilten Teilnehmer es oft in sich haben. Die Gründe dafür sucht diese Arbeit. Kurz möchte ich hier darstellen dürfen, was mich zu dieser Arbeit angeregt hat und was ich unternommen habe, unternehme und unternehmen werde, um das Projekt der Begabungsförderung Heranwachsender zu initiieren. Zu meinem großen Erstaunen, unterhielten sich mehr Heranwachsende als ich zuerst dachte mit mir im Internet über das Thema Schule mit großem Interesse, Eifer und mit Engagement. Das lag aber auch daran, dass ich das Thema Schule gezielt ansprach zum Beispiel in dem ich mich folgendermaßen erkundigte: Iindiana-jens: was macht mathe? oder dampfbügeleisen: klappts mit excel? Mit dem Tabellenkalkulationsprogramm EXCEL landete ich den einen oder anderen Volltreffer. Denn tatsächlich war es oftmals so, dass ich den einen oder anderen Chatter bzw. Chatterin im Unterricht ertappte und die zu bearbeitende EXCEL-Mappe1 in der Taskleiste der PC-Oberfläche schlummerte, um von der Schülerin bzw. dem Schüler schnell wieder erweckt zu werden, sobald der Lehrer oder die Lehrerin durch die Reihen geht. Ich erhielt immer wieder erstaunliche Feedbacks der elf- bis achtzehnjährigen in den Chatrooms. Und in einem herrschte Konsens und Anerkennung bei dem was ich tat. Immer wieder hieß es: cool, dass es eine kostenlose Internetschule geben soll. Denn diese Idee verband ich immer mehr mit meinem Lehrmaterial, was ich zusehendst weiter ausarbeitete und in einem Forum zur Diskussion stellte. Doch auch davon berichtet diese Arbeit näher in ihren folgenden Kapiteln und ganz besonders im Anhang. 8 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Ich habe eine Menge Anläufe genommen, um dieses Projekt im vorhinein zu institutionalisieren, was mir jedoch nicht gelang. Doch nicht das Projekt als solches wurde abgelehnt, sondern die Gefahr mit einem Einzelkämpfer oder einem Verein der Begabungsförderer am Volumen des Projektes selbst zu scheitern. Ich bereue keinen dieser Schritte versucht zu haben, ob ich nun Frau Weigang aus der Non-Food-Abteilung des Hauses TCHIBO im Frühjahr 2004 persönlich ansprach oder ob ich versuchte mit Mitstreiterinnen einen Verein ins Leben zu rufen bis hin zuletzt zu der hoffentlich folgenreichen Einsicht, dass diese vorliegende Arbeit ein ausgezeichnetes Fundament zur Initiierung eines solchen Begabungsförderungsprojektes unter der Maxime „Entwicklung statt Erziehung“ liefert. Kurzum: Während ich mich fast täglich seit 2004 mit der Begabungsförderung beschäftige entdeckte ich die Geduld, die eine solche Projektinitiierung verlangt. Während all dieser Tage sprachen die Zeichen der Zeit immer wieder für sich und das Projekt. Ich habe einigen Schülerinnen und Schülern einzig mittels Internet helfen können, Schulkrisen oder Aufgaben zu bewältigen und das macht mir sehr viel Spaß. Nun will ich weiter über den Spaß hinaus auch den Ernst der Lage deutlich zeigen. Diese Arbeit wird diesem Anspruch sicherlich genügen und Ihnen geneigte Leserinnen und Leser unter Umständen neue Einsichten vermitteln, besonders dann, wenn Sie selbst heranwachsende schulpflichtige Kinder haben oder im Erziehungssektor beruflich engagiert sind. Ich will auch hiermit zeigen dürfen, welche Chancen sich mithilfe der Neuen Medien und hier ganz besonders dem Internet eröffnen, um gezielt die Bildungsreserven von jungen Leuten ans Tageslicht zu fördern. Ich freue mich auf den Tag X, an dem das erste Droutcafé (siehe Anhang) eröffnet und die komplette Begabungsförderung aus einer Zentrale organisiert und arrangiert wird. Denn in diesen Cafés erwarte ich große Chancen, all jene Schulpflichtigen zu erreichen für die das Wort Schulbesuch schon fast ein Fremdwort geworden ist oder schon weitgehend immer war. Dies hat zur Folge, der ganzen Bildungsförderung mittels Internet eine globale Vision zu geben, welche auf lokaler Ebene entwickelt und betrachtet werden kann. Dies ist jedoch nicht im Alleingang zu verwirklichen. Hier müssen alle an einen Strang ziehen. Geht es doch hierbei um die Zukunft unserer Kinder. Ich will mit dieser Arbeit vor allem eins bewirken: eine stärkere und vor allem interaktivere Vernetzung aller NPO’s der praktischen Bildungspolitik. Die deutschsprachige Landschaft für Bildungs- und Begabungsförderung für jedermann ist nicht gerade dünn gesät, doch kommt es auch bei den Heranwachenden an? Und wenn ja, dann wie? Das sind alles Fragen, die durch stärkere Koordination und vor allem Kooperation einer Lösung nahe kämen. Das möchte ich mit Ihrer Hilfe liebe Leserin und lieber Leser erreichen. Zum Schluss möchte ich noch allen Dank aussprechen, die mich bisher in vielerlei Hinsicht unterstützt haben. Dazu gehören insbesondere: Die Direktorin der Feministischen Fakultät für Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum, Frau Prof. Dr. Lenz als Mentorin dieser Arbeit, Herrn Dr. Tridiv Borah aus Assam / Indien – ein guter Freund, der den Begriff Blaumacher ins Englische übertrug und mich so auf die Kurzform Drouts brachte, Herrn Thomas Köthe vom URBAN II-Projekt in Dortmund für das Fernziel zur Etablierung von Droutcafés, Frau Rektorin Piepenbreier und alle 15jährigen der Hauptschule an der Landwehr in Dortmund für die nicht-repräsentativen Untersuchungsergebnisse, Frau Sylvia Behrendt aus Gelsenkirchen für ihre geduldsame Korrekturlesung dieser Arbeit, Frau Roswitha Böschen aus Köln für ihr Engagement in der Betreuung einzelner „Drouts“ und freiwilliger Mitstreiterinnen im Internet, meiner Familie und der Familie Flocke and Friends in Zeiten des Beistands und vor allem Britta und ihren Sohn Micha aus Wien, die mich zu dieser Idee inspiriert haben. Ganz besonderen Dank an dieser Stelle auch meinen ersten Online-Schüler Odin alias Nico aus Gronau / Westfalen für seine engagierten Beiträge. Auch wenn er es mir nicht immer leicht machte, so leicht hat’s einen. Nico ist mittlerweile erwachsen. Alle, die hier jetzt nicht namentlich erwähnt sind und sich erinnern in der Begabungsförderung mitgewirkt zu haben, denen ganz besonderen Dank für ihr Vertrauen. Mit freundlichen Grüßen aus dem Jahr 2007 Dipl.-Soz. J. Arndt 9 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet 1.1. Allgemeine und soziologische Erläuterungen zum Begriff des Heranwachsenden Das Wörterbuch1 erklärt das ziellose Zeitwort des Heranwachsens als etwas, das zur Reife erwächst. Die sachliche Betrachtung eines solch intransitiven Zeitwortes findet in dieser Ausarbeitung zur „Begabungsförderung Heranwachsender im Internet“ weniger Beachtung, weil das Thema sich explizit mit heranwachsenden Personen und auch Positionen auseinandersetzen wird. In diesem Zusammenhang sind gelegentlich sachliche und ethische Werte des Heranreifens erwähnenswert, wenn gleich es hier um den Umgang mit neuen Technologien geht, die sich in der sozioökonomisch-innovativen Reifephase befinden. Ein zusammenhängendes Panorama der ethischen Wertediskurse, das sich um die Informations- und Kommunikationstechnologie dreht und akut unter dem Druck und den Folgen der Globalisierungspolitik Hochkonjunktur hat, ist hier erläuternswert und kann unter soziologischen Aspekten nicht aus dem neu zu definierenden Reifeprozess des modernen Menschen ausgeklammert werden. Stichworte für Technologien in der Reifephase sind insbesondere das Internet und der Mobilfunk, deren technische Entwicklungsprozesse noch nicht absehbar sind, aber deren Chancen und Risiken der Nutzung bereits jetzt prognostiziert werden können. Der Personenkreis im Sinne der Erläuterung des Heranwachsens, lässt sich für den Umgang mit neuen Technologien nicht eindeutig auf eine bestimmte Altersgruppe eingrenzen. Ursächlich dafür ist die Tatsache, dass abgeschlossene Reifeprozesse von empirisch verifizierbaren Qualitätskriterien einzelner Individuen stärker geprägt sind (wie der Pubertät) und dadurch unabhängig von quantitativen Ergebnissen sozialwissenschaftlicher Messmethoden, hinsichtlich einer festgelegten Zeitdauer bezogen auf den Heranwachsungsprozess eines Menschen sein können. Deswegen habe ich für die Titelbestimmung dieser Ausarbeitung bewusst den Begriff ‚Heranwachsende‘ dem Ausdruck ‚Jugendlicher‘ vorgezogen, da die Jugend stärker mit einer gewissen Zeitperiode (Pubertät) konzipiert ist, als dies bei Heranwachsenden der Fall sein muss. Mag sein, dass bei einer solchen Konzeption der Begriff der Jugend genauso oder ähnlich dehnbar ist, wie der Begriff des Heranwachsenden, wenn zum Beispiel von der „Ewigen Jugend“ oder vom „Berufsjugendlichen“ (wie ihn THOMAS GOTTSCHALK beispielsweise mimt) die Rede ist. Doch im allgemeinen Sprachgebrauch wird die Jugendlichkeit als eine Phase der Pubertät verstanden, die schon allein durch rein phänotypische Grenzsetzung ab eines erreichten Alters als abgeschlossen gelten darf. Dies ist bei einem Heranwachsenden gemäß dieser Arbeit nicht unbedingt der Fall. Hier liegt das Augenmerk stärker auf einem weitgehend unbekannten bzw. weniger erforschten, als auf einem bekannten Reifeprozess (z. B. der Pubertät), welcher ein Individuum zu durchlaufen hat. Dabei stellt sich unweigerlich die Frage, welcher Reifeprozess durchlaufen werden muss. Sollte dieser Reifeprozess den Umgang mit Technologien betreffen, wie zum Beispiel die Medienkompetenz von der im vierten und letzten Kapitel dieser Ausarbeitung noch detailliert die Rede sein wird, so ist festzustellen, dass die Jugend mit den Anwendungen neuer Technologien oft schneller vertraut ist, als es die Erwachsenen sind. Der Begriff Jugend wird hier als biologischer als auch soziologischer Prozess angesehen, der äußerlich durch die Pubertät in Erscheinung tritt. Ich möchte hier nicht im einzelnen auf die Pubertät zu sprechen kommen, doch der Hinweis, dass die 1 Naumann & Göbel Verlag, Köln, 1996 10 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Pubertät sich mit den Perioden der Frühreife, der relativen Reife und der Spätreife abschließen lässt, ist an dieser Stelle von entscheidender Bedeutung, um daran zu erinnern, dass auch „(...) Pubertät keine einheitliche Variable ist und (...) viele Facetten des Reifeprozesses (dabei) miteinander interagieren können.“2 Soll heißen, dass wenn Pubertät ein wichtiges Indiz der Jugendlichkeit ist, folgerichtig von mir dann auch meine Arbeitshypothese dahingehend untersucht werden darf, dass Heranwachsende sich nicht gleich über Jugendlichkeit zwangsläufig definieren lassen müssen, da „die Entwicklungsaufgabe (von Jugendlichen) hauptsächlich darin besteht, die körperlichen Veränderungen zu akzeptieren, sich mit dem ‚neuen‘ Körper vertraut zu machen und ihn in das neue Selbstkonzept zu integrieren.“ 3 Diese Integration in das neue Selbstkonzept können Heranwachsende bereits vollbracht haben. Exemplarisch sind junge Mütter zwischen 30 und 40, die bereits ältere Kinder haben, die sie durch die Pubertät begleiten oder begleitet haben. Frauen, die ihre Kinder durch den Pubertätsprozess akut begleiten, sehen sich mit der Lebenswelt ihrer Kinder konfrontiert, die erwartet, dass sich die Mutter in den Lernprozess ihrer Kinder mit einordnet. Gerade Mütter aus bildungsnahen Familien empfinden die Schulzeit ihrer Kinder oftmals, als ob sie selbst nochmals einen Schulabschluss wie zum Beispiel die Hochschulreife erwerben müssten. Dadurch entwickeln diese Mütter eine Lernenergie, die sie nochmalig in die Lebenswelt ihrer Kinder heranwachsen – oder besser müsste es heißen: hereinwachsen – lassen. Und in dieser Lebenswelt hat Schule einen hohen Stellenwert. Auch Mütter, die den pubertären Erziehungsaspekt in ihrem Leben mehr oder weniger erfolgreich an ihrem Nachwuchs gemeistert haben, die Kinder das Haus verlassen oder auf besten Wege dorthin sind, jenes zu tun, starten durch – gerade wenn sie aus bildungsferneren Elternhäusern stammen (z. B. auf Grund der frühen Schwangerschaft die Ausbildung abbrachen und nun, zum Teil unglücklich verheiratet oder glücklich geschieden sind) – und suchen nach neuen beruflichen Perspektiven, die sie sich von einer soliden späten Erstausbildung erhoffen. Insofern schließt der Ausdruck der Heranwachsenden diese Gruppe der meistenteils alleinerziehenden Frauen ins Konzept der Bildungs- und Begabungsförderung ein (vgl. Kapitel 1.2.). Der Medienpädagoge BERND SCHORB vertritt die Ansicht, dass es „die Jugend nicht gibt und niemals gab“ und fügt hinzu: „Das wissen wir auch noch aus der Zeit, als wir selbst jung waren. Ich habe mich damals immer massiv gewehrt, wenn mich jemand zur Jugend zählte. Ich wollte nicht mit anderen über einen Kamm geschoren werden.“ 4 Der Reifeprozess von dem hier die Rede sein soll, ist in erster Linie ein Lernprozess, der die Fähig- und Fertigkeiten jedes Individuums schulen soll, die es selbst benötigt, um sich in einer pluralistisch bestimmten Werteordnung seiner Gesellschaft zu orientieren. Denn in einer pluralistisch angelegten Gesellschaftsform bilden deren Akteure nicht allein eine bloße Gemeinschaft des role-taking, sondern sie sind auch deren Gestalter, die erst einer entsprechend pluralistisch organisierten Gesellschaft ihre Impulse geben. Jeder einzelne Akteur in solch einer pluralistischen Werteordnung ist dabei der Eigendynamik des role-taking und role-making unterlegen und muss sich dementsprechend mit einem solchen Rollenverhalten engagieren können. Das bedeutet gerade bei den Heranwachsenden heutzutage, dass „Kinder und Jugendliche auf eine existentielle Weise von der Entwicklung der pluralistischen Gesellschaft erfasst werden: sie tragen mit ihren eigenen, zunehmend 2 Grob, Alexander (Hrsg.): „Kinder und Jugendliche heute: belastet – überbelastet?“ – Pubertät als Belastung, a. a. O., S. 130 3 ebd., S. 129 4 Feibel, Thomas zitiert a. a. O. in „Die Internet-Generation“ auf S. 109 den Medienpädagogen Bernd Schorb 11 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet selbst pluralistischer werdenden Lebensformen zu dieser Entwicklung bei.“5 Hieß es früher noch, dass Heranwachsende sich in Rezipientenrollen wieder fanden und einer bestimmten Werteordnung Folge zu leisten hatten, so heißt es heute, dass Heranwachsende auch Rollenvorgaben selbst umsetzen und nicht einfach nur Empfänger von Werten und Normen sind, sondern sowohl Althergebrachtes in Frage stellen, als auch neue Wertorientierungen entwickeln oder bereits vergessene, tradierte Lebensformen wieder aufgreifen und zu neuem Leben erwecken können. Wenn sie daran gehindert werden, dies tun zu dürfen oder zu können, dann hat das in einer pluralistischen Werteorientierung eine Unterbrechung des Reifeprozesses zwangsläufig zur Folge. Die Grundlage der pluralistischen Idee, die auf Eigeninitiative, Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit basiert, würde dem Heranwachsenden somit entzogen und die resultierende Unmündigkeit ließe ihn nicht vollständig erwachsen werden. Ein Beispiel soll verdeutlichen helfen, was ich unter role-taking und role-making verstehe: Ein Mathematiklehrer betritt die Klasse und erläutert ein neues Themengebiet. Die Schülerinnen und Schüler setzen sich mit diesem Stoff auseinander und begreifen ihn. Während dieser Auseinandersetzung beginnen einige Schüler neue Wege zu erschließen, die sich mit dem Rechenweg des erschlossenen Stoffes auseinandersetzen; Wege allerdings, die der Lehrer an der Tafel nicht angesprochen hat. 6 Wege auch, die nicht allen Schülerinnen und Schülern bewusst sind, sondern nur einigen wenigen und diese sind sich auch nicht darüber im Klaren, dass sie gemeinsam unangesprochene, vielleicht sogar innovative Rechenalternativen im Kopf haben. Befände sich der Lehrer in der Lage, sein role-making so zu durchdenken, dass er diesen Schülerinnen und Schülern signalisiert, auch zu einem role-taking in der Lage zu sein, dann würden die Schülerinnen und Schüler ihre Alternativen sicherlich im Unterricht ansprechen. Ließe der Lehrer keine Belehrungen seitens der Schülerinnen und Schüler zu, dann wäre er zu einer Rollenübernahme – nämlich einfach der Schüler seiner Schüler zu sein – nicht bereit bzw. in der Lage. In einer von mir selbst durchgeführten nicht-repräsentativen Umfrage unter 93 Hauptschülerinnen und Hauptschülern im Alter von 15 Jahren wurde ihnen die Frage gestellt, ob sie „im Fach Mathematik manchmal Ideen hätten, die sie nicht wagen anzusprechen“. 7 Daraufhin antworteten 44,23 Prozent der Mädchen mit „ja“. Von den Jungs bejahten 31,71 Prozent diese Frage. Die Frage, ob ein Reifeprozess zur Rollenübernahmebereitschaft gedeutet werden kann, ist nicht hinreichend genug. Der Reifeprozess eines jungen Menschen ist mitnichten durch seine soziologische, psychologische, physiologische, politische, religiöse, kulturelle und geschlechtsspezifische Natur geprägt und hängt somit davon ab, in welchem dieser sozialen Kontexte ein Heranwachsender gerade betrachtet wird. Mögen beispielsweise die Attentäter des 11. Septembers zwar vor ihrer Tat als mündige und reife Bürger in einem gesellschaftlichen Kontext gelebt haben, so zeigt doch gerade die Ausführung eines solchen Attentats bei allem religiösen und politischen Kalkül, meiner Ansicht nach in erster Linie Mangel an persönlicher Reife. Gleiches nehme ich für ROBERT STEINHÄUSER in Anspruch, der auch im Sinne des Gesetzes „erwachsen“ war, seine Bluttat im April 2002 an dem Erfurter Gutenberg5 Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ – Pluralisierung der Lebensformen und der sozialen Beziehungen, 1995, a. a. O., S. 25 6 dem Mathematiker Gauß erging es so in seiner Schulzeit und er entwarf die Grundlage für die später nach ihm benannte Normalverteilung (Kap. IV beschäftigt sich mit dieser Auseinandersetzung) 7 vgl. 4.1.2.1. Interesse an Mathematik 12 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Gymnasium oder die jüngste Eskalation eines selbstmörderischen Jugendlichen auf einer Realschule in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Emsdetten ist auch hier meiner Ansicht nach ein Indiz für Unmündigkeit und Unreife, wenn auch – was hier nicht in Abrede stehen soll – Verzweiflung das Motiv beider Jungen gewesen war. Attentate wie Amokläufe beweisen, dass hier zu Mitteln der Gewalt und des Terrors gegriffen wurde, der gezielt auf Tod und Zerstörung hinauslief und eine Konsequenz mangelnder Frustrationstoleranz darstellt. Anstatt in beiden Fällen nach Alternativen mittels Auseinandersetzung auf rationaler Ebene zu suchen, lösten die Akteure ihre Probleme durch Verzweiflungsakte, die – mehr oder weniger organisiert – doch nur eines beweisen: einen deutlichen Mangel an Reife sich Herausforderungen im gesellschaftlichen Kontext stellen zu können. Eine solche Reife zu erlangen macht meines Erachtens in erheblichem Maße den Prozess des Heranwachsens aus. Als ‚Heranwachsende‘ gelten vorab all diejenigen Personen, die noch nicht erwachsen sind. Aber ab wann ist jemand erwachsen? Dann, wenn er die gesetzliche Volljährigkeit von achtzehn Jahren erreicht hat, ist jemand im politischen Sinne erwachsen. Im kirchlich-christlichen Sozialverständnis gelten, je nach Konfession andere Altersgrenzen zum Erwachsensein. In der römisch-katholischen Konfession gilt nach Erhalt der Heiligen Erstkommunion im Alter von durchschnittlich neun Jahren und in der protestantisch-evangelischen Konfession im Alter von durchschnittlich vierzehn Jahren durch die Heilige Konfirmation ein junger Mensch als erwachsen. Hier wird deutlich, dass das Erwachsensein soziologisch gesehen ein Prozess des Dazugehörens darstellt und das Erwachsenwerden demnach ein Präprozedur sein muss, die jeder durchläuft, der erwachsen werden und einer bewusst gewählten Gruppe zugehörig sein will. Doch was ist, wenn jemand nicht erwachsen werden will? Wie zum Beispiel die Romanfigur OSKAR MATZERAT8, der im Alter von dreizehn bewusst sein Körperwachstum einstellte und die spätere „Erwachsenenreife“ in Form eines Knabens durchlebte? Liegt ein solches Beispiel in der rein literarischen Fiktion? Mit 18 gelten Jugendliche in Deutschland zwar als erwachsen, werden aber im deutschen Recht auch dort differenziert, denn beispielsweise gelten unter bestimmten Berücksichtigungen auch Achtzehn-, Neunzehn-, Zwanzig- und Einundzwanzigjährige noch als Heranwachsende und werden dann unter den Bestimmungen des „Jugendstrafrechts“ verhandelt. Oder dass junge Frauen in Folge einer Schwangerschaft mit 16 den Bund der Ehe schließen dürfen, ist ebenfalls ein gesellschaftliches Kriterium des Erwachsenseins. Mitnichten dienen all diese Aspekte Anlass genug, den Begriff der „Jugend“ auch deshalb als nicht passend für das hier zu beschreibende Begabungsförderprojekt anzusehen, da der Jugendbegriff mir in gewisser Weise romantisch verklärt zu sein scheint und keinen wirklich empirischen Gesellschaftsbezug aufweist. Das dem so ist, das haben schon die Griechen der Antike erkannt: „KRITOBULOS 9 (aber) ist bereits erwachsen und bedarf eines bewährten Leiters.“10 Somit ist die Frage einer Ausbildung stark an dem Reifegrad eines Individuums selbst dann gekoppelt, wenn es bereits die Volljährigkeit in vollem Umfang erreicht hat. Wenn der Reifegrad eines jungen Menschen an seiner Erstausbildung gekoppelt ist, dann kann nicht von den Eltern erwartet, geschweige denn durchgeführt werden, dass sie ihre Kinder zu einem solchen Reifegrad erziehen können. Denn „(...) teils hegen sie (die Kinder) noch keine Liebe, teils sogar 8 der Protagonist aus Günter Grass‘ Bestseller-Roman „Die Blechtrommel“ 1. Sohn des Kriton, a. a. O. 10 Kriton im Vor- bzw. Zwischengespräch mit Sokrates, aus Platons Euthydemos, a. a. O., Bd. III, S. 91 9 13 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Hass, wenn sie nämlich von der Mutter oder dem Vater gezüchtigt werden; und doch gibt es, ungeachtet allen Hasses, in jener Zeit nichts, was den Eltern lieber (befreundeter) wäre, als diese ihre Kinder.“11 Ungeachtet des Trends vieler Elternhäuser, die Erziehung samt schulischer Erstausbildung selbst durchzuführen, kann eigentlich nur als Erwachsen gelten, was in der Lage ist, in einer pluralistisch orientierten Gesellschaftsform seinen Platz bewusst und konsequent einzunehmen und diesen entsprechend zu gestalten gegebenenfalls auch zu verteidigen. Dabei darf es keinerlei begriffliche Verklärungen geben dürfen, die über äußerliche Reize des Jungseins das Heranwachsendenbild definieren. Denn genauso wenig, wie zu PLATONs Zeiten CHARMIDES in der Lage war, über das Kriterium der Jugend zu urteilen („Ich nun, bin zum Richter über Jugendschönheit so wenig tauglich wie eine farblose Schnur zum Schnitzen; denn in diesem Alter erscheinen mir so ziemlich alle schön.“12), so gibt es meiner Meinung nach in der modernen Gesellschaft kaum eine Instanz, die zu einer Jugendbeurteilung in der Lage wäre. Als zusätzliches Handicap dem Begriff der „Jugend“ im Titel dieser Arbeit den Vorzug zu geben, erweist sich auch der ständige Wechsel von Trends, Einstellungen und Ansichten der jeweiligen Jugendgeneration selbst. Während noch in den 80iger Jahren des letzten Jahrtausends eine „Null-Bock-Generation“ von sich Reden machte, so sind „die Jugendlichen 2002 augenscheinlich alles andere als eine NullBock-Generation, aber sie scheinen die Schule im Vergleich zu den weiterführenden Ausbildungsmöglichkeiten als weniger desiderabel zu erleben.“13 Sollte dies als ein Indiz gewertet werden, dass sich die Ausbildung der Jugendlichen in den letzten zwei Jahrzehnten grundlegend verändert hat? Oder handelt es sich bei der Feststellung aus der Studie der DEUTSCHEN SHELL eher um ein Phänomen eines neuen Jugendtrends, der sich mit ganz anderen gesellschaftlichen und sozialen Umständen zu arrangieren versteht, als es die Jugend der 80iger Jahre vermochte? Jugendarbeitslosigkeit jedenfalls gab es auch schon in den 80iger Jahren im gravierenden Ausmaß. 1.2. Weitergehende Erläuterung des Begriffs Heranwachsender im Sinne eines Begabungsförderungsprojektes Ein Heranwachsender ist gemäß des Begabungsförderungsprojektes eine Person, „die eine bestimmte Funktionsfähigkeit erst entwickeln muss und nicht bereits weiterentwickelt.“14 In diesem Sinne bedarf ein Heranwachsender einer Förderung, die ihn zu Beginn seiner Entwicklung bis hin zum Abschluss befähigen lehrt, eine bestimmte Qualifikation zu erwerben, um eine Berufsrolle anstreben zu können. Das scheint angesichts des drastischen Wettbewerbs im Zeitalter der Globalisierung nur ergänzend zu den bestehenden Ausbildungschancen möglich, in dem eine kostenlose sowie unverbindliche zusätzliche Förderungsmöglichkeit bereitgestellt wird, die es einem Heranwachsenden erlaubt, an seinen ihn gestellten Erwartungen auch ohne Druck wachsen zu dürfen. Das Internet vermag eine solche Bereitstellung von Fördermöglichkeiten zu leisten. Doch um eine solche Einsicht zur Notwendigkeit einer Förderung über und durch die Neuen Medien zu gewinnen, sollten sich die Bildungs- und Begabungsförderungsbeteiligten darüber im Klaren sein, dass Wis11 Platons Lysis, a. a. O., S. 96 Platons Charmides, a. a. O., 19f 13 Deutsche Shell (Hrg.) / Hurrelmann, Klaus / Linssen, Ruth / Leven, Ingo in Arbeitsgemeinschaft mit Infratest Sozialforschung: „Jugend 2002“ – Wachsende Ungleichheit der Zukunftschancen?, a. a. O., S. 73 14 Grob, Alexander (Hrsg.): „Kinder und Jugendliche heute: belastet – überbelastet?“ – Ressourcen, a. a. O., S. 16 12 14 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet sensvermittlung nicht nur über ein einziges Umfeld, wie beispielsweise die Schule geführt werden kann, sondern erst „einen umfassenden Blick auf das Verhältnis von Familie und Bildung gewinnen muss, sofern Bildung nicht inhaltlich auf den Kanon der Schulen und verwandter Einrichtungen eingeschränkt wird, sondern die Voraussetzungen der schulischen Bildung und die weiteren Fähigkeiten einbezogen werden, die erforderlich sind, um in Gemeinschaft mit anderen sein Leben zu führen.“15 Deswegen beginnt in diesem Kapitel ein grundlegender Appell zur Erkenntnisgewinnung, dass das Internet nicht einfach nur ein Tummelplatz des Marketing und der freizeithaften oder berufsmotivierten Kommunikation und Informationsbeschaffung darstellt, sondern allein schon historisch betrachtet, seine Daseinsberechtigung aus unverbindlicher, aber dennoch verpflichtender Wissensvermittlung durch Netzwerkgemeinschaften erworben hat. Jedem dürfte heutzutage klar sein, dass das Internet ein „globales Dorf“ darstellt. Doch wie lässt sich dieser Begriff auf die Begabungsförderung Heranwachsender in einem solchen Dorf anwenden? Was bedeutet in diesem Zusammenhang „global“? Das Internet hebt örtliche Trennung auf. Das dürfte jedem Anwender bewusst sein. Weniger bewusst scheint vielmehr zu sein, dass das Internet auch im Stande ist, soziale und gesellschaftliche Trennlinien zu verwischen. Die Morphose solcher Trennlinien fördert meiner Erfahrung nach die Begabung Heranwachsender im erheblichen Ausmaß. Das Internet bietet den Spiel- und Zeitraum, die ansonsten doch recht scharfen sozialen Trennlinien des wirklichen Lebens der drei im Folgenden näher zu beschreibenden Ebenen nach BRONFENBRENNER16 aufzuweichen: - die Mikroebene Lehrern) (soziale Beziehung zu Gleichaltrigen, Familie, Die Beziehungen zwischen Gleichaltrigen im Internet verlieren an physischer Brisanz, die im realen Leben häufig zu Konflikten führt. Das optische Erscheinungsbild ist auf anderer Ebene relevant als die Begabung zur Phantasie im virtuellen Raum der Gleichaltrigen. Gleichaltrige Heranwachsende lernen im Austausch Rollenkompetenzen und fördern ihre Talente in kreativer Hinsicht auf unterschiedliche Weisen zu Tage. Idealerweise könnte ein Heimnetzwerk innerhalb der Familie dafür sorgen – vorausgesetzt die Familienmitglieder verfügen über die nötige Medienkompetenz – dass sich Konflikte besser lösen und Begabungen untereinander stärker fördern ließen. Das Maß an Unverbindlichkeit für beide an dem interaktiven Austauschprozess Beteiligten ließ klare Ergebnisse des Scheiterns oder des Erfolges hervortreten. Auf die Bedingungen hierzu werde ich im vierten Kapitel dieser Ausarbeitung näher eingehen. Lehrer sollten stärker ihre Kompetenzen auf die Neuen Medien ausrichten und Schülerinnen und Schüler auch außerhalb des Klassenzimmers virtuell begleiten können und dürfen. - die Exoebene (Institutionen wie Schule, Schultypen, Schulstufen, Freizeitorganisationen) 15 Grundmann, Matthias / Huinink, Johannes / Krappmann: : „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“ – Familie und Bildung, Empirische Ergebnisse und Überlegungen zur Frage der Beziehung von Bildungsbeteiligung, Familienentwicklung und Sozialisation, a. a. O., S. 46 16 Grob, Alexander (Hrsg.): „Kinder und Jugendliche heute: belastet – überbelastet?“ – Ressourcen, a. a. O., S. 16 15 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Damit Lehrerinnen und Lehrer eine Möglichkeit haben, ihre Schützlinge außerhalb des Schulalltages zu erreichen, sollte die Schule über ein Netzwerk verfügen, dass mit den Familien der Schülerinnen und Schüler verpflichtend über das Internet verbunden ist. Zurzeit werden bundesweit an 40.000 Schulen 950.000 Computer eingesetzt, von denen 69 Prozent einen Internetzugang haben. 17 Um dieses Potenzial stärker zu nutzen, sollte auf der Makroebene allerdings das Schulwesen stärker als bisher reformiert werden und die Schule ihren allgemeinverbindlichen Charakter aufgeben. Schule sollte erkennen, dass im Zeitalter des lebenslangen Lernens nicht nur die Schülerinnen und Schüler von der Wissensvermittlung der Schule profitieren, sondern auch die nahen Verwandten der Schülerinnen und Schüler. Das Internet würde eine Plebiszität für Schulangelegenheiten und eine Partizipation an der Einrichtung Schule ermöglichen. Mithilfe des Internets sollten sich auch die Schultypen untereinander stärker vernetzen und das nicht nur formal, sondern auch inhaltlich. Ein interdisziplinärer Wissens- und Erfahrungsaustausch unter Haupt-, Real-, Förder-, Gesamtschulen und Gymnasien könnte dazu beitragen, dass unterforderte Schülerinnen und Schüler den Weg zum Höheren Schultyp und überforderte Schülerinnen und Schüler den ersten Annäherungsversuch zu einem begabungskompatiblen Schultyp unternähmen. Freizeitorganisationen sollten im Umgang mit dem Internet etwas kreativer und flexibler werden, um ihre Zielgruppe, die Jugend, entsprechend zu erreichen. Da reicht keine knappe Homepage, die von irgendwelchen sportlichen oder sonstigen Ereignissen zu berichten weiß. Freizeitorganisationen sollten mit in ein neuartiges Schulnetzwerk eingebunden werden und mittels diesem regelmäßig Eltern, Lehrer und Schüler erreichen zu können. Wie dies aussehen könnte, wird im Anhang dieser Ausarbeitung näher erläutert. - der Makroebene (gesellschaftliche Verhältnisse) All diese Ideen, die mit dem Internet sich verbinden lassen, stoßen auf taube Ohren, wenn die Gesellschaft nicht bereit ist, selbst eine entsprechende Medienkompetenz zu erwerben und in eine solche zu investieren. Dass für eine solche Begabungsförderung Heranwachsender mittels Internet zusätzliche Ressourcen in Anspruch genommen würden, darüber sollte die Informationsgesellschaft sich im Klaren sein, um die Verhältnisse im Bildungsbereich den globalen Gegebenheiten anzupassen. Unumstritten ist, dass Deutschlands Kinder und Jugendliche im Umgang mit PC und Internet ein Schlusslicht im internationalen Vergleich bilden, auch wenn sie über eine verhältnismäßig moderne Ausstattung im Bereich der Informations- und Telekommunikationstechnologien verfügen.18 17 dpa-Meldung vom 06.12.2004 aus der Süddeutschen Zeitung, #283, mit dem Titel „Einer für zwölf – Immer mehr Computer an Schulen“ 18 ebd. 16 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Als Indikatoren zur Begabungsförderung für die Funktionsfähigkeit wachsender gelten hierbei: - 19 Heran- das Alter das Geschlecht die kognitive Entwicklung die Selbstwirksamkeits- oder Kontrollerwartungen die Bewältigungsstrategien bedeutsame Lebensereignisse biologische und physische Veränderungen Nebst Alter als Indikator für die Funktionsfähigkeit bezogen auf die Begabungsförderung spielt das Geschlecht eine besondere Rolle für die Definition des Heranwachsens. Im besonderen Maße gelten nebst Kindern und Jugendlichen im Sinne des Begabungsförderungsprojektes Frauen unter bestimmten sozialen Umständen als Heranwachsende. Denn bei Frauen – gerade zwischen 30 und 40 Jahren – üben Indikatoren der Selbstwirksamkeits- oder Kontrollerwartung, der Bewältigungsstrategien, der bedeutsamen Lebensereignisse, der biologischen und physischen Veränderungen einen stärkeren Druck auf ihre Funktionsfähigkeit aus, als dies bei gleichaltrigen Männern der Fall sein dürfte. Trotz gesetzlich vorgeschriebener Gleichberechtigung sind die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen nach wie vor immens. Wie die Studie der DEUTSCHEN SHELL 2002 nachweist, dass „im Zeitalter der Individualisierung die stereotypen Vorgaben an die Rolle der Frau und des Mannes nicht mehr so eng sind wie noch vor zwei oder drei Generationen, aber gesellschaftliche Grundvorstellungen über die ‚typischen‘ und ‚normalen‘ Verhaltensweisen von Männern und Frauen nach wie vor existieren“20, ist es von tragender Bedeutung, diese Unterschiede gerade hinsichtlich der Familiensozialisation deuten zu können, um etwaige Schlüsse zur Begabungsförderung von Frauen schließen zu dürfen. Es darf vor allem in Deutschland als unumstritten gelten dürfen, dass die Erziehung der Kinder meistens zu Lasten der Frauen geht. Gleiches gilt auch für die Familienplanung. Frauen überlässt man immer noch die Entscheidung zwischen Karriere oder Kinder, während für Männer eine solche Entscheidung oft indiskutabel ist, da sie wie selbstverständlich davon ausgehen, dass Frauen ihre berufliche Laufbahn unterbrechen oder gar aufgeben, um eine Familie zu gründen. Das gesellschaftliche Bild der fürsorglichen Mutter herrscht in Deutschland immer noch über das Bild eines fürsorglichen Vaters. Eine Mutter, die ihren beruflichen Weg dem Vorzug der Kindererziehung gibt, erhält hierzulande sehr schnell das Stigma einer „Rabenmutter“ – eines Ausdrucks also, der sowohl im Tierreich ungerechtfertigt ist (Rabenmütter haben ein besonders inniges Verhältnis zu ihrem Nachwuchs), als auch international keine Vergleichsform kennt (kein anderes Land der Welt kennt einen ähnlich sinngemäßen Ausdruck). Ein wichtiger Schritt, Mütter in Deutschland zu ermutigen ihre Erwerbsbiographie ohne Doppelbelastung von Erziehung und Bildung fortzusetzen, wäre vor allem die gesellschaftliche Einsicht, nebst dem klassischen so genannten intakten Familienkonstrukt auch andere Formen des familiaren Zusammenlebens anzunehmen, damit soziale Netzwerke auf den ebengenannten Ebenen nach BRONFENBRENNER auch weiterhin als unabdingbare Konstante jeglicher Förderung anzusehen sind. 19 Grob, Alexander (Hrsg.): „Kinder und Jugendliche heute: belastet – überbelastet?“ – Ressourcen, a. a. O., S. 16ff. 20 Deutsche Shell (Hrg.) / Hurrelmann, K. / Albert, M. / Linssen R. in Arbeitsgemeinschaft mit Infratest Sozialforschung: „Jugend 2002“ – Geschlechtsspezifische Muster der Lebensführung, a. a. O., S. 37 17 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Soziale Netzwerke sind immer in einem soziokulturellen Kontext eingebunden. Die Erkenntnis von GRUNDMANN u. a. ist hierbei besonders hilfreich um zu verstehen, in welchem soziokulturellen Kontext Familien eingebunden sind: „Vor allem für Alleinerziehende und Scheidungsfamilien sind soziale Netzwerke besonders wichtig. Gerade lockere und offene Beziehungen zu Freunden, Nachbarn, informellen Gruppen und Beratungsstellen eröffnen den Zugang zu Informationen über Betreuungsmöglichkeiten, finanzielle Unterstützung und psychologische Beratung. So konnte für geschiedene Frauen, die in ein weitmaschigeres Netzwerk freundschaftlicher Beziehungen eingebunden waren, nachgewiesen werden, dass sie über vielfältigere Informationen über Selbsthilfeinitiativen und staatliche Hilfsmaßnahmen verfügten als Frauen mit einem stark verwandtschaftlich geprägten Netzwerk. Die in den traditionellen, durch Verwandtschaftsbeziehungen geprägten engeren Netzwerke, die vor allem in ländlichen Regionen vorherrschen, hemmen hingegen eher die Möglichkeit, über den engeren Familienkreis hinaus nach Hilfe in psychosozialen, familialen und schulischen Konflikten zu suchen.“ 21 Hier hat die Institution Schule einiges nachzuholen. Einen solchen Kraftakt zu bewältigen, um als eine bildungsund erziehungstechnische Einrichtung zwischen Familienkonstrukten auf der Mikround Exoebene zu fungieren, bedarf es einer grundsätzlichen Reformdiskussion auf der Makroebene. Einfach ausgedrückt: der klassische Familienbegriff muss öffentlich in Frage gestellt werden. Dabei wäre es schon hilfreich, den Begriff Familie nicht allzu eng zu fassen. Eine Familie muss nicht zwingend aus Mutter, Vater und Kind bzw. Kinder bestehen. Eine Familie kann auch heißen: Mutter und Kind bzw. Kinder, Vater und Kind bzw. Kinder, Großvater bzw. Großmutter und Kind(er), Mutter und Mutter und Kind(er), Vater und Vater und Kind(er), Vater, Onkel, Tante und Kind(er), Mutter, Tante, Onkel und Kind(er), Wohngemeinschaft und Kind(er), Mutter, Lebensabschnittspartner und Kind(er), usw. Bezeichnenderweise bilden solche Familienkonstrukte wieder etwas, was uns insbesondere nach der Industrialisierung verloren gegangen ist: eine Klan- bzw. Sippenbildung. Politisch entscheidend für den Familienbegriff sollte einzig und allein die Tatsache gelten dürfen, dass eine Familie aus mindestens zwei Generationen bestehen sollte.22 Unabhängig von der Struktur der Familie stand und steht nach wie vor die Schule vor einer Herausforderung, die sie laut BÜCHNER nicht außer Augen verlieren darf: „Das Generationsverhältnis ist auf diesem Hintergrund durch eine ‚Enttraditionalisierung‘ der Beziehungsformen und durch eine frühe Verselbstständigung der Kinder von elterlicher Betreuung und Fürsorge gekennzeichnet, was freilich nicht bedeutet, dass Kinder heute mit einer verringerten Sozialkontrolle aufwachsen. Vielmehr müssen Kinder lernen, sich auf kontrastierende (statt auf klare, allein von den Eltern vorgegebene) Anforderungen einzustellen und möglichst selbstkontrolliert zu bewältigen. Eltern ihrerseits delegieren Teile ihrer (traditionellen) pädagogischen Zuständigkeit an die Schule und eine Vielzahl anderer Instanzen und Institutionen. Trotzdem haben die meisten Eltern aber auch weiterhin mehr oder weniger präzise, zumindest aber grobe Vorstellungen darüber, was sie von außerfamilialen Instituten (also auch von Schule!) erwarten. Erst im Konfliktfall kommt es dann zu Irritationen, die teils offensiv, teils defensiv ausgetragen werden.“ 23 Also gilt in besonderem Maße zur Begabungsförderung Heranwachsender innerhalb wie außerhalb des Internets die „Enttraditionalisierung“ 21 Grundmann, Matthias / Huinink, Johannes / Krappmann: : „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“ – Familie und Bildung, Empirische Ergebnisse und Überlegungen zur Frage der Beziehung von Bildungsbeteiligung, Familienentwicklung und Sozialisation, a. a. O., S. 83 22 vgl. Kapitel 3.2. Die Rolle des Internets im sozialen Umfeld der Familie und Freunde 23 Büchner, Peter: „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“ – (Schul-)Kindsein heute zwischen Familie, Schule und außerschulischen Freizeiteinrichtungen - Zum Wandel des heutigen Kinderlebens in der Folge von gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen, a. a. O., S. 15 18 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet ernstzunehmen. Das bedeutet für die Institution Schule, dass sie die Erziehungsverantwortung der Heranwachsenden nicht allein auf die Rolle der Eltern und Lehrer spezifizieren darf, sondern berechtigt werden muss, andere Erwachsene im sozialen Umfeld des Heranwachsenden zur Verantwortung zu ziehen. Das Internet würde eine solche Plattform zur Verantwortungsdelegation bieten können. Wie diese Delegation aussehen könnte, will diese Ausarbeitung in weiteren Kapiteln erläutern. 1.2.1. Untersuchungen zur Identität und zum Verhalten Jugendlicher im Internet Ein wesentlicher Bestandteil unserer Gesellschaft ist der stetige Wechsel von Trends und Moden. Kaum hat sich eine Mode durchgesetzt wird sie von einer anderen abgelöst. Dieses Phänomen ist in allen Bereichen unseres täglichen Lebens zu beobachten. Was heute „in“, ist morgen bereits „out“. Einen solchen rasanten Wandel bedarf einer enormen Anpassungsfähigkeit und ist besonders dadurch gekennzeichnet, dass „ein Teil der Kinder sich im Besitz der Modernität fühlt. Es gibt da nichts Altvorderes wegzuräumen. Es gibt kaum autoritative Überbleibsel, gegen die man sich wehren müsste – die brechen von selbst zusammen und lassen, bis es schließlich soweit ist, ihre antimoderne Schwäche überdeutlich erkennen.“ 24 Eine solche Assimilation birgt Schwächen wie Stärken. Die Schwäche ist der Mangel an Bereitschaft des sich Auseinandersetzen-zu-Wollens zu suchen, da „diese Kinder nicht gelernt haben, sich zu wehren. Wenn heute ein kräftiger institutioneller Druck oder irgendeine Art Zwang auf sie ausgeübt wird, dann wissen sie sich nicht zu helfen. In gewisser Weise fehlt ihnen wohl auch die Auseinandersetzung mit Institutionen, die von älteren Generationen dominiert werden.“25 Die Stärke dieser Anpassung an Trends und Moden liegt darin, dass die Jugendlichen „darauf vertrauen, dass die Modernität auf ihrer Seite ist, oder sie fügen sich und passen sich auf manchmal atemberaubende Weise einfach an.“26 Diese grundlegende Beobachtung des Kinderpsychologen BERGMANN tritt innerhalb des Internets besonders stark in Erscheinung und ist nur dann zu verstehen, wenn zum einen der Begriff der Verhaltensweise klar abgegrenzt wird und zum anderen die Unterschiede des gesellschaftlichen Sozialverhaltens außerhalb und innerhalb des Internets näher beleuchtet werden. Um jedoch auf das Sozialverhalten Heranwachsender näher eingehen zu können, bieten sich sozialwissenschaftliche Perspektiven geradezu an, da ja, wie AEBLI27 es formulierte, der Gegenstand der Sozialwissenschaften „der Strom des menschlichen Verhaltens ist.“ Aus einer solchen Sicht ist nach AEBLIS Definition unter einer „Verhaltensweise ein Prozess in einem lebendigen Organismus zu verstehen, der mit oder ohne sichtbare Tätigkeit der Körperorgane darauf gerichtet ist, einen bestehenden Zustand zu verändern und damit einen neuen, meist befriedigenderen Zustand herbeizuführen.“28 Da Verhaltensweisen ganz offenkundig immer mit der Absicht der Veränderung verbunden sind, die mit der individuellen Intention „etwas verbessern zu wollen“ einherzugehen scheinen, sind Mittel und Möglichkeiten gefragt, die Menschen nutzen können, um diese Absicht umzusetzen. Die Mittel darf ich hier mit 24 Feibel, Thomas zitiert a. a. O. in „Die Internet-Generation“ auf S. 101 den Kinderpsychologen Wolfgang Bergmann 25 ebd. 26 ebd. 27 Aebli, Hans: "Die geistige Entwicklung als Funktion von Anlage, Reifung, Umwelt- und Erziehungsbedingungen" in Roth, Heinrich: "Begabung und Lernen", a. a. O., S. 152 28 Aebli, Hans: "Die geistige Entwicklung als Funktion von Anlage, Reifung, Umwelt- und Erziehungsbedingungen" in Roth, Heinrich: "Begabung und Lernen", a. a. O., S. 152 19 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet den Medien gleichsetzen, die dem handelnden Individuum zur Verfügung stehen und die Möglichkeiten sind meiner Ansicht nach adäquat zum Bildungsstand der jeweiligen Akteurinnen und Akteure, die einen befriedigenderen Zustand nicht nur herbeisehnen, sondern mithilfe ihres Verhaltens diesen auch herbeizuführen vermögen. 1.2.1.1. Das Sozialverhalten von deutschen und MigrantInnenkindern NAUCK 29 unterscheidet die hiesige Bevölkerung in Migranten und stationärer Bevölkerung und unterstellt Migranten ein anderes Bildungsverhalten als der stationären Bevölkerung: „In jedem Falle spricht einiges dafür, dass ökonomische Migrationsmotivation nicht unwirksam für das Bildungsverhalten ist: Migranten zeichnen sich im Vergleich zur stationären Bevölkerung dadurch aus, dass sie der Statusmobilität und an materiellem Wohlstand orientierten Lebenszielen hohe Priorität einräumen und zur Erfüllung solcher langfristigen (auch integrativen) Ziele große Opfer in Kauf zu nehmen bereit sind, wie z. B. einen vergleichsweise individualisierten Lebensstil in einem weitgehend fremdkulturellen Kontext.“ Hinter dieser Feststellung verbirgt sich die Behauptung, dass Migrantinnen und Migranten bereit sind, Opfer zu leisten, wenn sie in einem anderen Land ihren kulturellen Kontext auszublenden vermögen, um im fremden Land an Status zu gewinnen und materiellen Wohlstand zu erlangen. Zwischen diesem Axiom und dieser Ausarbeitung liegen allerdings bereits mehr als zehn Jahre und die Grundlagen einer solchen Ansicht haben sich generativ enorm verändert. MigrantInnen der zweiten Generation wandeln sich bereits in die dritte Generation und betrachten zum großen Teil den hier angesprochenen Integrationsprozess in gewisser Weise als abgeschlossen. Aktuell ist jedoch weiterhin, dass die „stationäre“ Bevölkerung – zu der bereits die dritte Generation der MigrantInnenkinder gezählt werden sollte – noch nicht vollständig erkannt hat, welches Förderungs- und Begabungspotential solche Kinder aufzubringen im Stande sind: „Mehr noch als es in den sechziger Jahren auf die Landkinder, die Katholiken, die Arbeiterkinder und die Mädchen zutraf, wenn von einer ‚Begabungsreserve‘ gesprochen wurde, können wir heutzutage davon ausgehen, dass die hier zur Diskussion stehende Schülergruppe (der MigrantInnen) eine große Zahl überdurchschnittlich begabter und motivierter Kinder aufweist, die bislang lediglich aufgrund der schwierigen Bedingungen, unter denen sie leben und lernen, ihr Potenzial nicht voll haben entfalten können.“30 In dieser Hinsicht hat sich das Sozialverhalten der ‚stationären Bevölkerung’ – zumindest bezogen auf die Integrationsmotivation von MigrantInnenkindern – nicht wesentlich verändert, so dass NAUCK mit seiner Hypothese weiterhin Recht behalten dürfte; wobei auch seiner Ansicht nach dieses Phänomen gerade bezogen auf das Geschlecht und die Herkunft intensiver beachtet werden sollte. RUBNER zeigt in der ‚Süddeutschen Zeitung‘, dass das Integrationsthema auch in der schulischen Praxis immer wieder von aktueller Brisanz ist: „Kinder der zweiten und dritten Generation sprechen oft schlechter Deutsch als kleine Ausländer früher. In der ersten Klasse fallen die Defizite oft noch nicht auf, doch spätestens wenn die Kinder viel schreiben oder Textaufgaben lösen müssen, treten enorme Lücken zutage. Die sind dann kaum mehr zu füllen, schon gar nicht durch die in der Regel angebotenen ein bis zwei Förderstunden pro Woche. – Die HELLERHOFSCHULE hat das Modellprojekt ‚Deutsch und PC‘, das seit vier Jahren von der HERTIE-Stiftung unterstützt wird, Schritt für 29 Nauck, Bernhard: „Bildungsverhalten in Migrantenfamilien“ in: „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“, a. a. O., S. 117 30 ebd., S. 119 20 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Schritt auf alle Klassen ausgeweitet. Die Drittklässler gehen in den Hörclub, in eine PC-Schreibwerkstatt und besuchen regelmäßig die Stadtbücherei.“31 Darüber hinaus sollte bei der Migrationsfrage hinsichtlich der deutschen Sprachbegabung nicht vergessen werden dürfen, dass es reichlich „Fremde“ in diesem Land gibt, die Deutsch besser beherrschen, als die Muttersprachler selbst. Es sind oftmals Menschen, die in den 80igern als Studierende nach Deutschland gekommen waren und ihre Deutschkenntnisse in professionellen Sprachschulen erworben haben. Diese Generation der „Wissensmigranten“ haben bereits ihre Sprachkenntnisse an die nachfolgende Generation weiter gegeben. So finden sich vor allem in CallCentern reichlich junge Migrantenkinder, die nebst ihrer Muttersprache über hervorragende Deutschkenntnisse verfügen. Nebst Türkinnen und Türken finden sich dort vor allem MigrantInnenkinder aus Afghanistan, Indien und dem Nahen Osten. Des Weiteren sollte den Bildungsträgern unmissverständlich klar sein, dass die Erziehungsbedingungen für Mädchen – unabhängig von der Herkunft – ungleich härter sind als für Jungen. Dabei spielt es eine nebensächliche Rolle, dass oft verschärfend hinzukommt, wie Mädchen aus muslimischen Kulturkreisen unter einem stärkeren Erwartungsdruck innerhalb und außerhalb ihrer Familien aufwachsen. Dies zur Kenntnis zu nehmen, spielt eher eine dominante Rolle in der hiesigen gesellschaftspolitischen Haltung und spiegelt sich in Form von öffentlichen Diskussionen der Akzeptanz und Toleranz kultureller Unterschiede wider. Diese Diskussion darf zur Gleichbehandlung von Mädchen – gleich welcher Herkunft – im Begabungsförderungsbereich eigentlich keinerlei übergeordnete Rolle spielen. Vielmehr gilt es, die unterschiedlichen Probleme gerade der muslimischen Mädchen stärker im Auge zu halten, da einige ihrer Probleme spezifischer Begabungen eigenartigerweise zwar förderlich, aber bei genauem Hinsehen von hoher gefährlicher Natur sein können. Im folgenden Kapitel soll dies näher skizziert werden dürfen, ohne sich der Gefahr ausgeliefert zu sehen, eine strikte Trennung der Geschlechter und der Herkunft beim Unterrichten von jungen Heranwachsenden befürworten zu wollen. Es geht hier lediglich um die Unterstreichung der existierenden Unterschiede sowohl im Geschlechter- als auch im Herkunftsverhalten. Diese Unterschiede sollten hinsichtlich ihrer Bildungsaspirantinnen und -Aspiranten als Trägerinnen und Träger solcher Unterschiede akzeptiert, gefördert oder mindestens hinreichend geschützt und unterstützt werden. Das Internet könnte hierbei eine wichtige Alternative darstellen, so dass sich auf eine räumliche Trennung bei der schulischen Erziehung zwischen Geschlechtern oder Herkunft meiner Auffassung nach sogar verzichten ließe. 31 Rubner, Jeanne: „Gezielt getrennt – Gute Schulen nach Pisa: In Frankfurt werden Ausländerkinder intensiv an der Hellerhofschule gefördert“ – Süddeutsche Zeitung, #283, 06.12.2004 21 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet 1.2.1.1.1. Spezifisch weibliche Verhaltensweisen Jugendlicher Wie schon in Kapitel 1.1. begründet wurde, zeichnet sich die Pubertät als verantwortlich, um aus einem Jugendlichen einen Erwachsenen werden zu lassen. Die biologische Reifephase lässt sich altersmäßig nicht exakt bestimmen. Die einen reifen früher, die anderen reifen später. Aus beiden, sowohl der Früh- als auch der Spätreifung ergibt sich ein Mittelwert, der unter den Kinderpsychologen als relative Reifung bezeichnet wird. Diese Lebensphase bedarf einer besonderen Aufmerksamkeit aller Erziehungsbeteiligten. Denn diese Entwicklungsphase kann, je nach dem sehr sensibel sein, und das vor allem bei Mädchen, denn „wenn die relative Reifung einen Effekt auf die psychosoziale Gesundheit der Jugendlichen hat, dann vorwiegend bei den Mädchen, und zwar bei den frühreifen.“32 Als Konsequenz heißt das, dass die Pubertät eine soziostrukturelle Phase heranwachsender Frauen darstellt, die einer sorgfältigen und aufmerksamen Beobachtung und Begleitung bedarf. Dies gilt insbesondere für weibliche Sozialstrukturen frühreifer Mädchen. GROB33 hat dabei erkannt, dass „(...) negative Effekte der Frühreife bei den Mädchen zu einem großen Teil (aber nicht vollständig) mit der pubertären Fettzunahme verbunden zu sein scheinen.“ Werden frühreife Mädchen zu sehr in ein Rollenbild gedrängt, verweigern sie sich, diesem Rollenbild zu entsprechen, weil früher oder später „orientieren sich junge Frauen im Vergleich (zu den Männern) an einem Rollenbild, das durch Emotionalität und Beziehungspflege gekennzeichnet ist. Ihr Verhalten ist typischerweise durch den Wunsch geprägt, Teil eines sozialen Gefüges zu sein, in das sie fest integriert sind und in dem sie sozialen Halt finden. Im Unterschied zu jungen Männern sind sie deswegen viel weniger um individuelle Selbstbehauptung bemüht, sondern eher an der Bildung von sozialen Netzwerken und Zusammengehörigkeitsmustern orientiert.“ 34 Dieser Umstand sollte bei der Begabungsförderung junger Heranwachsender im Internet, unabhängig von der Herkunft der jungen Frauen, unbedingt berücksichtigt werden. Dazu bedarf es vor allem einer Kontaktpflege zu den Erziehungsberechtigten, die in diesem Falle unter einer besonderen Verantwortung stehen. Kulturelle Unterschiede müssen in dieser Phase in jedem Fall zweitrangig sein und dürfen nicht zum Vorwand dienen, frühreifen heranwachsenden Frauen eine Sonderstellung religiös intendierter Art unter Berufung auf Freiheit einzuräumen, die nur Mittel zum Zweck zur Wahrung und zum Konservieren tradierter Vorstellungen darstellt. Eine junge Frau sollte beispielsweise selbst darüber zu entscheiden haben, welchen Moden und Trends sie folgt und welchen nicht. Denn lernen kann nur, wer Fehler macht, die auf eigene Entscheidungen zurückgehen. Fremdentscheidung wird kaum das eigene Einschätzungsvermögen wirkungsvoll unterstützen können. Dass junge Frauen bei ihren Entscheidungen darum nicht alleingelassen werden müssen, versteht sich meines Erachtens fast von selbst. Vielleicht sollte – für Jungen wie für Mädchen – bei der Kleiderfrage besonders im Schulalltag nicht so sehr die Diskussion nach einem ‚einheitlichen Look’ in Vordergrund stehen, sondern stattdessen die Überlegung aufgegriffen werden, ob nicht auch auf dem Schulgelände eine professionelle Stilberatung in Anspruch genommen werden darf. Denn eine solche ließe sich im Unterricht – wie viele andere Beratungsfragen – integrieren. Ob nun die Beraterinnen und Berater Lehrerinnen und Lehrer genannt werden sollten oder das Lehrpersonal 32 Grob, Alexander (Hrsg.): „Kinder und Jugendliche heute: belastet – überbelastet?“ – Pubertät als Belastung, a. a. O., S. 142 33 ebd. 34 Deutsche Shell (Hrg.) / Hurrelmann, K. / Albert, M. / Linssen R. in Arbeitsgemeinschaft mit Infratest Sozialforschung: „Jugend 2002“ – berufen sich in Geschlechtsspezifische Muster der Lebensführung, a. a. O., S. 37 auf Helfferich, 1994 22 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet eine solche Funktion bereits verkörpert ist ein formaler Aspekt, den die Schülerinnen und Schüler im Augenblick der effizienten Beratung wenig interessiert. In diesem Zusammenhang habe ich in meiner nicht-repräsentativen Befragung von 52 fünfzehnjährigen Hauptschülerinnen erfahren, dass bei Unsicherheiten bezüglich lernbedingter Fragen, Mädchen die Kontrolle ihrer Antworten sich durch die Lehrerin bzw. den Lehrer einholen, somit das Lehrpersonal eine starke Beratungsfunktion für junge Frauen hat. 46 Prozent der Mädchen fragen den Lehrer bzw. die Lehrerin, wenn es darum geht, herauszufinden, ob ein Wort so oder anders geschrieben wird, 35 Prozent der Mädchen schauen in einem Wörterbuch nach, zwei Prozent fragen den Klassenbesten oder erkundigen sich im Internet. Zeigt dieses Ergebnis – auch wenn es nicht repräsentativ ist – meiner Ansicht nach doch sehr präzise, dass Mädchen ihre Orientierung in sozialen Netzwerken stärker zu suchen scheinen, als dies bei Jungen der Fall ist.35 Die frühe Abhängigkeit einiger junger Frauen nach Anerkennung, die ja zwangsläufig mit der Akzeptanz zu sozialen Netzwerken verbunden zu sein scheint, kann allerdings auch unter Umständen zu psychosozialen Belastungsstörungen führen. Denn „im Unterschied zu Männern reagieren Mädchen und junge Frauen bei Belastungen und Überforderungen nicht mit nach außen gerichteten, extrovertierten und fordernden Haltungen, sondern eher mit nach innen gerichteten, introvertierten Mustern. Bei Überforderungen zeigen sie schnell Hilflosigkeit und Depression, ziehen sich auf sich selbst zurück oder entwickeln psychosomatische Beschwerden. Sie reagieren also auf Belastungen zwar mit einer Steigerung ihrer Anstrengungsbereitschaft, aber sie tun das in einer auf ihre Persönlichkeit bezogenen, individualisierenden und privatisierenden Form und nicht in Gestalt einer aktiven Herausforderung oder Protest.“36 Und diese Gestalt kann die unterschiedlichsten Formen annehmen. Sie kann äußerliche Formen haben; mit einem starken Hang zum Körperkult, der im Extremfall zu bulemischen Reaktionen führt oder sie kann die Form eines strebsamen Menschen nach schulischer Leistung annehmen. Die erste Variante soll hier nicht weiter ausgeführt werden müssen, da das Thema der Essstörung bei jungen Heranwachsenden zu vielschichtig ist und damit drohen würde, diese Arbeit dann an ihren eigenen Zielen vorbeiführen zu lassen. Die zweite, mögliche psychosoziale Gestaltung junger Frauen mit Herausforderungen umzugehen, nämlich die der schulischen Leistungssteigerung, erzielt zwar auf dem Bildungssektor ein wünschenswerten Effekt, lässt aber gesamtgesellschaftlich gesehen die Frage immer noch offen, warum Frauen mit hohem Bildungsniveau nicht die gleichen Zugangschancen auf dem Arbeitsmarkt genießen, wie Männer mit gleicher Qualifikation. Wünschenswert wäre, wenn die Prognose der DEUTSCHEN SHELL-Jugendstudie 2002 im Hinblick auf die Chance der Gleichberechtigung von Frauen und Männern sich tatsächlich eines Tages erfüllen könnte: „Schon heute haben Mädchen, zumindest hinsichtlich ihrer Bildungsqualifikationen, die besseren Ausgangspositionen für den Arbeitmarkt und damit auch zumindest potenziell bessere Zukunftschancen. Zum Zweiten ist zu erwarten, dass Mädchen mit der Etablierung des hohen Bildungsstands sich auch zunehmend das politische Terrain erschließen und dort ihre Eigeninteressen durchsetzen werden. Dazu gehören Themen wie die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. 35 vgl. Kap. 1.2.1.1.2. und Shell-Studie 2002 Deutsche Shell (Hrg.) / Hurrelmann, K. / Albert, M. / Linssen R. in Arbeitsgemeinschaft mit Infratest Sozialforschung: „Jugend 2002“ – Geschlechtsspezifische Muster der Lebensführung, a. a. O., S. 40 36 23 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Langfristig impliziert der zunehmende Bildungsaufstieg von Mädchen und Frauen, dass sich ihre Chance auf Gleichberechtigung in der Gesellschaft weiter erhöht.“37 Doch dazu müssten sich die geschlechtlich unterschiedlichen Sozialstrukturen aufeinander abstimmen lassen können und zu einer Einigung gelangen, die über den beruflichen Rahmen hinausginge und das familienpolitische Umfeld mit einbezieht. Solange die Familienplanung vorwiegend in den Händen der Frauen zu liegen scheint, wird sich in unmittelbarer Zukunft an den bisherigen Verhältnissen der Gleichberechtigung wenig ändern. Das ginge nur, wenn sich die männlichen Sozialstrukturen und Verhaltensmuster stärker als bisher in die Kindererziehung und Familienplanung einbringen würden. Da ich im zweiten Kapitel dieser Arbeit intensiver auf das Sozialisationsverhalten der Heranwachsenden im Internet eingehen werde, möchte ich an dieser Stelle lediglich die Hypothese stellen, dass junge Frauen stärker das Internet zu Kommunikationszwecken verwenden, als es junge Männer tun. 1.2.1.1.2. Spezifisch männliche Verhaltensweisen Jugendlicher Wenn die heutzutage so hochgeschätzten soft-skills, also die sozialen Kompetenzen, einen wesentlichen Anteil am Erwerbsleben spielen, dann sollte hinterfragt werden dürfen, ob zur sozialen Kompetenz es ausreicht, über ein gehöriges Maß an Selbstbehauptung und -kontrolle zu verfügen und in wieweit zu einer solchen Kompetenz skills gehören wie Empathie und die Bereitschaft zur Rollenübernahme, zu der dann freilich auch ein flexibles Rollenwechselverhalten mit einbezogen sein müsste. Laut der Studie der DEUTSCHEN SHELL von 2002 zeigen junge Männer im Rollenwechselverhalten noch erhebliche Defizite, denn „die Mehrzahl der jungen Männer orientiert sich an der Rollenvorstellung, durch aktive Demonstration von Einfluss und Stärke einen angemessenen Platz in Beruf und Gesellschaft zu sichern. Diese Vorstellung schlägt sich in einem deutlichen Bemühen um Selbstbehauptung und Abgrenzung gegenüber anderen nieder, mit einem hohen Ausmaß an Selbstkontrolle, verbunden mit dem stetigen Versuch einer größtmöglichen Ausweitung des eigenen Machtbereiches.“38 Dies zeigt sich deutlich in den Städten und Vorstädten, aber auch in ländlichen Gebieten, wo junge Männer territoriale Macht durch Cliquenbildung beanspruchen. In solchen Cliquen ersetzt sich die Selbstkontrolle eines Heranwachsenden durch die Fremdkontrolle der ‚Gang’ und seiner Führung. Regeln werden nicht laut hinterfragt, sondern aus den verschiedenen Milieus und Subkulturen übernommen. Dabei spielen Moden und Trends, welche von den Jugendmedien vorgegeben werden eine entscheidende Rolle. Wer fragt, könnte missverstanden werden und eine Frage wird schnell als ein Hinterfragen angesehen, was wiederum dazu führt, dass die bestehende Gruppenhierarchie angezweifelt werden könnte. Somit wird Selbstkontrolle innerhalb einer Clique aus jungen Männern nicht als eine Selbstreflexion verstanden, sondern als Feigheit oder gar Verrätertum. Das lässt darauf schließen, dass sich Jungen Antworten ihrer Fragen eher im Stillen holen, um persönliche Unsicherheiten zu minimieren. Ich glaube diese These durch meine nicht-repräsentative Befragung von 41 fünfzehnjährigen Hauptschülern hinsichtlich einer derartigen Selbstkontrolle bestätigt zu wissen, dass bei Unsicherheiten bezüglich lernbedingter Fragen, Jungen nur 37 Deutsche Shell (Hrg.) / Hurrelmann, Klaus / Linssen, Ruth / Leven, Ingo in Arbeitsgemeinschaft mit Infratest Sozialforschung: „Jugend 2002“ – Wachsende Ungleichheit der Zukunftschancen?, a. a. O., S. 62f. 38 ebd. Geschlechtsspezifische Muster der Lebensführung, S. 37 24 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet bedingt und in geringerem Maße als Mädchen die Kontrolle ihrer Antworten sich durch die Lehrerin bzw. den Lehrer holen. 29 Prozent der Jungen fragen den Lehrer bzw. die Lehrerin, wenn es darum geht, herauszufinden, ob ein Wort so oder anders geschrieben wird. Das sind 17 Prozent weniger als bei den befragten Mädchen gleicher Altersklasse. 44 Prozent der Jungen schauen in einem Wörterbuch nach, also neun Prozent mehr Jungen kontrollieren sich selbst, als es Mädchen tun. Zwei Prozent erkundigen sich im Internet und den Klassenbesten fragt in dieser Umfrage nach eigenen Angaben keiner der Jungen. Allein in der Pubertät lässt sich vielfach beobachten, dass heranwachsenden Männern innerhalb und außerhalb der Familie eine größere Anerkennung und Aufmerksamkeit zu Teil wird, als gleichaltrigen jungen Frauen. Ganz extrem tritt dies zu Tage bei traditionalistischen Familienstrukturen, wo der jüngere Bruder sogar über die ältere Schwester „bestimmen“ darf. Ich möchte an dieser Stelle behaupten, dass junge Männer das Internet stärker zur Befriedigung ihres Spieltriebes nutzen, als zur Kommunikation. Auch auf diese Hypothese möchte ich im zweiten Kapitel näher zu sprechen kommen dürfen. 1.2.1.1.3. Generationskonflikte und ihr Einfluss auf die Entwicklung Heranwachsender Tab. 1.2.1.1.3.: Reibungspunkte oder Chancenausgleichung im Generationenkonflikt? • • Jugendliche Etwa 15 Jahre auf der Welt und damit etwa 25 Jahre neuer und moderner als die Eltern. Zunehmen der Triebwünsche, „sexuelle Abenteuer“, „erste Liebe“ • • • Suche nach Perspektiven für Leben, Arbeit, Freizeit • • Träume vom schnellen Auto oder Motorrad Noch Taschengeld oder geringes´Lehrgeld Neugierde, Unternehmungslust Auf dem Weg zum Höhepunkt physischer und kognitiver Leistungsfähigkeit Unerfahren mit Behörden, Karrierebahnungen oder gesellschaftlichen Aufgaben Wenig Mittel, das Leben eigenständig zu gestalten • • • • • • • Erwachsene Etwa 40 Jahre auf der Welt und damit etwa 25 Jahre „weiter“ und gereifter als die Jugendlichen. Nachlassen der Triebwünsche, stabilisierte Sexualität, Ehekrise, Streit, Trennung Gefestigte Verhältnisse in Beruf und Beziehungen, auch Enttäuschungen / Arbeitslosigkeit Wiederentdeckung des Fahrrads (auch zur Gesunderhaltung) Materiell geregeltes Auskommen • • Planung, Routine Abnahme physischer und auch kognitiver Leistungsfähigkeit • Erfahren und „besser-wissend“ • Mehr Einfluss auf eigene Gestaltung und persönlich gemäße Lebensweise39 Eines der sinnbildlichsten Vergleiche, den ich in der Literatur zum Thema Generationskonflikte im Zusammenhang mit der hier zu erörternden Fragestellung gefunden habe, ist bei THOMAS FEIBEL auf erfrischend leichte Art zu lesen: 39 aus einer Leseprobe der Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie e. V. 25 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet „Unsere Auflehnung galt allem. Wir waren gegen die Diktatur in Spanien, gegen die Diktatur in Griechenland, gegen die Diktatur in Portugal, gegen die Diktatur in Chile, gegen die Diktatur in Argentinien, Waldsterben, Pershing II, Tierversuche, Startbahn West, Gorleben – wir ließen nichts aus. Was die deutschen Jugendlichen eben so taten, als es nur drei Fernsehsender gab. Wir hatten Stolz, wir hatten Ideale, wir hatten GEORG DANZER. Und eine gehörige Portion Aggressivität. Warf jemand bei den Auseinandersetzungen auf der Straße mit Steinen, musste er schnell sein, erwarb sich so die Konstitution eines Marathonläufers und ergriff später durchaus auch eine politische Karriere. Als Jugendliche setzten wir uns kritisch mit der von Erwachsenen geschaffenen Gesellschaft auseinander und schufen eigene Identitäten. Notfalls durch exzessiven Haarwuchs. Junge Männer verweigerten Ende der siebziger Jahre entschlossen den Dienst an der Waffe und verhalfen ausgerechnet olivgrünen Armeejacken zu einem modischen Status. Der Rest trat sauber gescheitelt der Jungen Union bei oder ergriff eine sichere Lehre als Bankkaufmann. Dann kamen Punk und No Future. Plötzlich hatten Jugendliche auf nichts mehr 'Bock'. Alles war egal. Bis auf das Outfit. Manche Punker schmieren sich Eier und andere Lebensmittel in die Haare, aus denen jede Nachkriegsmutti ein halbwegs vernünftiges Abendessen gezaubert hätte. Heute stehen die letzten Punker mit ihren Hunden an Berliner Kreuzungen, wischen für ein paar Münzen freundlich die Scheiben der Autofahrer sauber und symbolisieren auf tragische Weise die letzten Revolutionäre. Von den Veganern mal abgesehen. Außerdem führte Rebellion immer zum Tod. Che Guevara? Tot. James Dean? Tot. John Lennon? Tot. Sid Vicious? Tot. Kurt Cobain? Tot. Und was ist aus all jenen geworden, die keine Idole waren und überlebt haben? Eltern.“ 40 Mittlerweile ist in den Publikationen bereits von den „Neuen Konservativen“ 41 die Rede. Ich selbst, Baujahr 1964, kann aus eigener, mittlerweile rückblickend auf mehr als zwölf Jahre Campus-Erfahrung an der Ruhr-Universität Bochum feststellen, dass sich die Generationen auf dem Campus besonders innerhalb der letzten fünf Jahre verändert haben. Die Campus-Generation „Tu Was!“ ist Geschichte – war sie doch auf dem Campus der Ruhr-Universität Bochum die studentische Stellvertretung, die dafür sorgte, dass Einwegkaffeebecher für eine Weile aus den Cafeterien verschwanden und gegen 3-DM-Kaffeetassen abgelöst wurden. Eigenverantwortlichkeit machte sich bezahlt. Wenn ein Studierender Ende der 90iger seine Kaffeetasse vergaß, musste er entweder auf Kaffee vom Tresen verzichten oder aber 3 DM als Pfand für eine ausleihbare Tasse hinterlegen. Jenseits des Jahres 2000 ließ der ‚Mülltrennungs-Hype’ langsam und nachhaltig nach – Mülltrennung wurde mehr und mehr zur Frage der eigenen Einstellung und nicht eine erzwungene Angelegenheit. Die „Generation Golf“ und die „Generation der rutschenden Hosen“ rückte nach oder wie ich sie nennen würde, eine Generation der Beliebigkeit wechselte die Generation der studentischen Dogmen ab. Das vertraute „Du“ zwischen den Studierenden wich einem höflichen und distanzierten Kult des „Siezens“. Ich kann mehr und mehr beobachten, wie die Höflichkeit im Umgang der jungen mit der alten Generation zunimmt und zwar im gleichen Maße wie die Aggression der Alten gegenüber der Jungen und auch umgekehrt. Offensichtlich sind die Trennlinien, genauso wie die Schnittstellen zwischen der jungen und der alten Generation schärfer geworden. Das zeigt sich auch in einer Feststellung von HURRELMANN, LINSSEN und LEVEN in der 40 Feibel, Thomas: „Die Internet-Generation“ – Tschüss, Jugendkultur, a. a. O., S. 92f. Lau, Mariam: „Gott bewahre!“ – Die 68er sind angeblich am Ende und wir müssen uns mit den neuen Konservativen anfreunden. Auch wenn’s verdammt schwer fällt. Ein Annäherungsversuch, Magazin der Süddeutschen Zeitung, #26, 1. Juli 2005 41 26 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet DEUTSCHEN SHELL-Jugendstudie 2002: „Vielmehr ist hervorzuheben, dass gerade Jugendliche, die mit ihren Eltern größere Probleme haben, seltener bei Gleichaltrigen auf Verständnis stoßen werden, wie das noch in den 80er Jahren der Fall war.“42 „Take it or leave it!“ scheint hier die Umgangsformel der Jugend mit der älteren Generation zu lauten. Andererseits lässt sich auch vermuten, „dass eine Mehrheit der Jugendlichen in Erziehungsfragen keine große Distanz zu den Eltern aufweist und vielmehr die erlebten Erziehungsstile für sich auch übernehmen will.“43 Zu beobachten ist auch ein zum Teil gehöriger Autoritätsverlust zwischen Eltern und Kindern. Durch die pädagogische Doktrin der 70iger Jahre, dass Kinder alles begreifen, wenn man es ihnen ausführlich und eindeutig erklärt, scheint eine Art Verzweiflung geboren zu sein, die das Scheitern einer solchen Theorie hervorbringt. Das, was in der Geschichte der Pädagogik noch nicht hinreichend genug ausprobiert worden ist – und zwar die Gleichberechtigung zwischen Kindern und Eltern praktizieren zu wollen – scheitert auf klägliche Weise. Stattdessen ist heutzutage „ein Elternpaar rasch (wieder) bereit, seinen Kindern irgendetwas zu befehlen. Es achtet aber nicht immer darauf, dass seinen Forderungen auch Genüge getan wird. Schließlich lernen die Kinder am Tonfall. Der wachsende Ärger der Eltern wird zu einem Hinweisreiz, der vorhersagt, dass nun auf die Befolgung der Befehle gedrungen wird. Die Eltern setzen sich schließlich nur noch durch, wenn sie laut brüllen. Daher kommt es, dass familiäre Auseinandersetzungen häufig mit so beträchtlichen Phonstärken abgewickelt werden.“ 44 Meiner Ansicht nach ist dieser Umstand sicherlich ein Phänomen, das sich durch die Erziehungsgeschichte der Menschheit zieht. Allerdings fehlen in diesem Fall oft die sozialen Puffer, die es in Großfamilien früher gegeben hat. Diese Puffer sind Geschwister, Großeltern, Onkel und Tanten. PLATON hatte schon sehr früh erkannt, dass „viele zwar die Erkenntnis dessen besitzen, was für sie das Beste ist, wollen es aber trotzdem nicht tun, obschon sie es könnten, sondern entscheiden sich für ihr Tun anders.“45 Bezogen auf die Nutzung des Internets bekommt diese Erkenntnis eine völlig neue Dimension gerade für die „Generation 40 plus“. Dieser Generation lässt sich unterstellen, dass sie fern von privaten Ambitionen möglicherweise auch beruflich im Internet zu tun haben. Und wenn nicht beruflich, so dann aus anderen Zwängen heraus das Internet nutzen. Seltener geben sie zu, zum reinen Vergnügen sich ins Internet zu begeben. Sind sie erst einmal im Internet und drohen an ihren eigenen persönlichen Vorgaben zu scheitern, entscheiden sie sich für ihr Tun anders und geben die vermeidliche Suche nach präferenzorientierten wichtigen Informationen vorerst auf oder stellen sie zugunsten eines schnellen Chats oder Spiels zurück. Angesichts der heutigen Ratlosigkeit im Umgang mit dem digitalen Zeitalter und seiner Probleme und Kontroversen, wie zum Beispiel urheberrechtliche Fragen beim Programmieren für Anwendungen im Internet (OPEN-SOURCE-BEWEGUNG gegen Monopolisierung von WINDOWS durch die MICROSOFT CORPORATION) oder der Gerissenheit der Jugend, die darum weiß, den Älteren im Umgang mit dem Medium Internet immer einen Schritt voraus zu sein, lässt mich an die Apologie des SOKRATES 42 Deutsche Shell (Hrg.) / Hurrelmann, Klaus / Linssen, Ruth / Leven, Ingo in Arbeitsgemeinschaft mit Infratest Sozialforschung: „Jugend 2002“ – Wachsende Ungleichheit der Zukunftschancen?, a. a. O., S. 61 43 ebd. 44 Bandura, Albert: „Sozial-kognitive Lerntheorie“, a. a. O., S. 93 45 Platons Dialog Protagoras, Einleitung von Otto Apelt in Bezug auf den Widerstreit zwischen Handeln und Wissen, a. a. O., Seite 14 27 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet erinnern. In dieser Apologie braucht man nur ein paar Begriffe auf die heutige Zeit zu übertragen, um eine Übereinstimmung mit dem antiken Text zu erzielen. Da ist zum Beispiel von einem Orakel die Rede, dass sich als das Internet schlechthin verstehen lässt, die Gottheit steht für den Software-Konzern MICROSOFT, der Gott ist demzufolge kein anderer als BILL GATES persönlich, die Handwerker sind hierbei die professionellen Programmierer und Anwender, ein Weiser ist jener, der sich mit diesem Widerspruch des patentierten Programmierens zur OPEN-SOURCE-BEWEGUNG vertraut macht, der Philosoph ist hier als freier Programmierer zu verstehen und SOKRATES ist in diesem Fall niemand anderes als der Linux-Entwickler LINUS THORVALD46. Die Jünglinge stellen hier die OPEN-SOURCE-BEWEGUNG selbst dar, die für einen freien Zugang der Software plädiert und sich vor allem aus jungen Leuten rekrutiert: „Ich richtete also an mich selbst im Namen des Orakels die Frage, was ich vorziehen würde: der zu bleiben, der ich bisher war, also weder weise zu sein auf die Art dieser Handwerker noch auch ihren Unverstand zu teilen, oder aber beides mit ihnen zu teilen. Die Antwort, die ich mir und dem Orakel gab, lautete dahin, es sei besser für mich, zu bleiben wie ich bin. Dieses Prüfungsverfahren, meine Mitbürger, war für mich die Quelle vieler Feindschaften, und zwar von Feindschaften der gefährlichsten und schwersten Art: daher die zahlreichen Verleumdungen wider mich, daher der Ruf, in den ich kam, ein Weiser zu sein. Denn die Zuhörer sind in der Regel des Glaubens, ich selbst sei im Besitze der Weisheit, die ich durch Prüfung und Widerlegung anderer suche. In Wahrheit aber kommt, so scheint es, meine Mitbürger, diese Weisheit nur der Gottheit zu, und ihr Orakelspruch kann nur dieses besagen, dass die menschliche Weisheit herzlich wenig, ja gar nichts bedeutet. Und allem Anschein nach gilt dieser Spruch nicht eigentlich dem SOKRATES, sondern der Gott bedienet sich meines Namens nur beispielsweise, als wollte er sagen: ‘Derjenige unter euch, ihr Menschen, ist der Weiseste, der wie SOKRATES erkannt hat, dass seine Weisheit in Wahrheit keinen Heller wert ist.‘ Dieses also im Sinne der Gottheit zu erforschen und zu ergründen, mache ich auch jetzt noch immer die Runde bei Bürgern und Fremden, wo ich einen für weise halte; stellt sich mir dies aber als nicht zutreffend heraus, dann mache ich mich zum Helfer des Gottes und erbringe den Nachweis, dass er nicht weise ist. Und diese Tätigkeit hat mir keine Zeit übrig gelassen, mich irgendwie den staatlichen und häuslichen Geschäften zu widmen: der Dienst, den ich der Gottheit leiste, bringt tausendfältige Armut über mich. Dazu kommt noch folgender Umstand: es schließen sich mir Jünglinge, die als Söhne der wohlhabendsten Bürger sehr viel freie Zeit haben, freiwillig an, und diese finden nicht wenig Vergnügen daran, zuzuhören, wenn ich die Menschen ins Gebet nehme. Oft machen sie es mir auch nach und probieren an anderen ihre Überführungskunst; und dabei finden sie gewiss mehr als genug Menschen, die da glauben, etwas zu wissen, tatsächlich aber wenig oder nichts wissen. So kommt es denn, dass die von ihnen Überführten gegen mich voller Zorn sind statt gegen sich selber und von einem gewissen SOKRATES reden, einem gottlosen Menschen und Verführer der Jugend. Und fragt man sie nach Beweisen, also nach Taten und Lehre des Mannes, dann wissen sie nichts zu sagen, sondern sind wie vor den Kopf geschlagen; um aber nicht völlig ratlos zu scheinen, kramen sie die bekannten Schlagworte aus, die man gemeinhin den Philosophen entgegenhält, nämlich er lehre die himmlischen Erscheinungen und die Dinge unter der Erde, lehre den Unglauben in Bezug auf die 46 Thorvald ist von Hause aus kein Programmierer, sondern ein Ingenieur, der mit etwas Programmierkenntnissen zu Beginn der 90iger Jahre die Microsoft Windows-Programmierung umschrieb, den Programmcode ins Netz stellte und Netznutzer aufforderte, an dieser Programmierung weiter zu basteln 28 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Götter und lehre die Kunst, die schlechtere Sache zur besseren zu machen. Denn den wahren Grund ihres Hasses einzugestehen, das bringen sie nicht über sich; sie wollen nicht gestehen, dass sie durch SOKRATES bloßgestellt werden als Leute, die vorgeben, etwas zu wissen, in der Tat aber nichts wissen. Bei ihrem vorauszusetzenden Ehrgeiz aber, bei ihrer Leidenschaftlichkeit, ihrer großen Zahl, ihrem vollen Krafteinsatz und der Überredungskunst in ihren Aussagen wider mich ist es begreiflich, dass sie auch euer Ohr schon längst mit ihren leidenschaftlichen Verleumdungen gegen mich gewonnen haben.“47 Das, was zum Teil auch an die Überlieferung des ‚Rattenfängers von Hameln’ erinnern dürfte, ist nicht nur auf die oben erwähnte Struktur des Internets und seiner Entwicklung zurückzuführen, sondern erlebt im sozialpädagogischen Diskurs eine Art Renaissance, die sich nach REUTLINGER in den Zeiten des so genannten digitalen Kapitalismus neu zu bewähren hat.48 1.2.1.1.4. Bildungsnahe und -ferne Heranwachsende im Internet Gäbe es eine Untersuchung darüber, welche Herkunft junge Heranwachsende in den Internetcafés in Deutschland die Mehrheit bildet, so würde ich fast darauf wetten wollen, dass die meisten jungen Besucherinnen und Besucher – und das besonders zur schulpflichtigen Vormittagszeit – einen Migrationshintergrund haben. Eine solche Hypothese lässt sich sicherlich nicht ohne einen enormen statistischen Aufwand verifizieren, jedoch unter der Prämisse, sie sei wahr, ließen sich Rückschlüsse ziehen, die für die Verhaltensweisen und Sozialstrukturen von Heranwachsenden und insbesondere von pubertierenden Jugendlichen interessante Ergebnisse erwarten ließen. Gerade Internetcafés sind die entscheidenden Orte, um Verhaltensweisen Heranwachsender im Internet besonders gut studieren zu können. Während meiner Studien in Internetcafés, sind mir besonders an Vormittagen jugendliche Ausländerinnen und Ausländer aufgefallen, die dort chatteten49. Als Grund vermute ich unter anderem die Möglichkeit für Ausländerinnen und Ausländer, die Kontaktaufnahme zu ihren Heimatländern. Hierbei ist vor allem bei Heranwachsenden asiatischer Herkunft, insbesondere aus China, Vietnam, Indien, Sri Lanka und Indonesien besonders die Zeitverschiebung erwähnenswert, weil während für die hiesigen Heranwachsenden mit Migrationshintergrund aus genannten Regionen eigentlich Schule angesagt sein müsste, für die dortige Bekanntschaft bereits später Nachmittag oder früher Abend ist. Vor allem in sozialen und multikulturellen Brennpunktbezirken Deutschlands schießen Internetcafés wie Pilze aus dem Boden. Kaum ein Internetcafé, welches ohne Messenger50 dort auskommt. Zurzeit lassen sich hinsichtlich der Infrastruktur innerhalb von Internetcafés zwei besondere informationstechnologische Besonderheiten ausmachen: Internetcafés in innerstädtischen Bereichen kommen lieber ohne Messenger aus, da diese Cafés über eine stattliche Größe und eine große Anzahl von Einzelrechnern verfügen und ihre Klientel in erster Linie Erwachsene und Spieler sind, die solche Messenger nicht benötigen. Das kommt einem großen Internetcafé zugute, da Messenger die Gefahr bergen, dass das ganze interne Rechnernetz durch die offene Struktur, die Messenger von Natur aus benötigen, kollabieren 47 Apologie des Sokrates (Verhältnis der Jugend zu Sokrates) Seite 33, aus Platons Dialoge, Bd. I weiterführende Erläuterungen vgl. 1.2.2.1.1. Theorie des Jugendraums – Aneignungsansatz und Entfremdungstheorie 49 vgl. Kapitel 2.2. 50 ebd. 48 29 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet lassen könnte. Die Kundschaft in solchen innerstädtischen Internetcafés ist jedoch auf einen reibungslosen Verlauf des „Surfens“ bzw. des Spielens angewiesen und würde bei gelegentlichem Rechnerausfall – der sei es auch nur wenige Minuten in Anspruch nähme – einfach künftig ausbleiben. Die andere Variante sind kleine Internetcafés in den städtischen Randbezirken, die oftmals in Kiosken eingebettet sind und nur über ein paar wenige Rechner verfügen. Dort finden sich – in einem weniger gesicherten intrastrukturellem Netzwerk – auch Messenger und Webcam zur freien Verfügung an den einzelnen Rechnern. Die Klientel sind vorwiegend ausländische Jugendliche, die sich dort ihre Zeit vertreiben und die Messenger extensiv nutzen. Fällt in einer solchen Umgebung die gesamte Rechenanlage aus, dann ist das für den Betreiber nicht weiter tragisch – sofern das nicht mehrmals zur Tagesordnung gehört. Außerdem ist bei einem Virenbefall, verursacht durch ungeschützte Rechner mit Messengerbetrieb, oftmals nur ein Rechner betroffen, so dass dieser eine Rechner erst einmal stillgelegt wird, was sich wiederum ein innerstädtisches großes Internetcafé, welches auf die Einnahmen durch jeden einzelnen Rechner angewiesen ist, nicht leisten könnte. In einem kleinen kioskhaften Internetcafé nimmt die Kundschaft einen Rechnerausfall gelassen hin und wechselt zum nächst besten, freien funktionsfähigen Rechner oder gönnt sich mit einer Cola eine cliquenmäßige Auszeit. Wie eingangs in diesem Abschnitt von mir unterstellt wurde, handelt es sich bei vielen MigrantInnnenkindern, die tagsüber sich in Internetcafés aufhalten, um Schulverweigerer. Das trifft aber nicht ausschließlich auf Kinder mit Migrationshintergrund zu. Vormittags treffen sich auch viele deutsche Heranwachsende im Internet, was diese Studie anhand von den im Anhang dieser Arbeit aufgeführten Aufzeichnungen nahe legen lässt. Ich möchte hier eine Hypothese anführen dürfen und behaupten, dass sich viele Kinder deutscher Familien während der Schulzeit in ihren Zimmern befinden, statt in Klassenzimmern und die Gelegenheit mangelnder elterlicher Aufsicht nutzen, um zu chatten. Möglich macht dies häufig die Tatsache, dass viele Familien aus Doppelverdienern bestehen, wo beide Elternteile frühzeitig arbeiten und darauf vertrauen, dass ihre Kinder selbständig und eigenverantwortlich den Schulunterricht besuchen. Oder aber es sind Kinder aus bildungsfernen Milieus, wo die Eltern den Tagesablauf ihrer Kinder selten kontrollieren und noch nicht einmal mit ihren Sprösslingen morgens früh den Tag beginnen. In einigen Fällen – und das sind nach meiner halbjährigen Studie aus dem Jahr 2004 überhaupt nicht wenige – wissen vor allem deutsche Kinder auch elterliches Vertrauen zu missbrauchen, indem sie so tun, als gingen sie zur Schule, in Wirklichkeit jedoch den Vormittag ggf. zuhause verbringen – oder aber in Internetcafés – um dort ihrer bevorzugten Neigung des Chattens oder des Spielens nachzugehen. Es dauert oftmals Monate oder länger, ehe die Erziehungsberichtigten und Lehrer überhaupt dahinter kommen, was ihre Schützlinge mit der vermeintlichen Schulzeit anfangen. Unabhängig von der Herkunftsbetrachtung dieser Art von Schulverweigerung junger Heranwachsender bleibt noch ein anderes Phänomen, welches ich während meiner Internetstudien im ersten Halbjahr 2004 beobachten konnte. Meiner eigenen Schätzung zu folge sind mehr als die Hälfte aller sich vormittags in deutschsprachigen Chats aufhaltende jugendliche Heranwachsender im Schulunterricht. Was zuerst etwas paradox klingen mag, hat einen relativ leicht verständlichen, pädagogischen Hintergrund, sofern einem der schulische Alltag vertraut ist. Wie im Kapitel 1.2. bereits angeführt wurde, haben derzeit mehr als 69 Prozent aller Schulen in Deutschland Rechner mit Internetanschluss für ihre Schülerinnen und Schüler zu 30 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet bieten. Diese Tatsache lässt den Schluss zu, dass eine intensive Nutzung des Schulunterrichts mithilfe der Rechner nicht auszuschließen ist. Im Gegenteil: wenn vor wenigen Jahren möglicherweise Rechner genutzt wurden, um ausschließlich den Umgang der Medienkompetenz zu schulen, so werden Rechner heutzutage im Schulunterricht verstärkt auch als Hilfsmittel für die klassischen Schulfächer eingesetzt. Ausführlicher wird dieses Thema im fünften Kapitel dieser Ausarbeitung zur Sprache kommen. Wo außerhalb des Internets eine Vermengung der Schnittstellen von radikalen Verhalten (sei diese politisch, religiös oder gesellschaftlich motiviert) festzustellen ist, so ist innerhalb des Internets eine klare Abgrenzung von Einstellungen über Herkunft, politische oder religiöse Meinung unter den Heranwachsenden feststellbar und bietet einen Nährboden radikaler Zugehörigkeiten, wie sie sich außerhalb des Internets heutzutage nicht mehr so schnell finden lassen. Mehr oder weniger einwandfrei dagegen ist der Unterschied im Verhalten und der Sozialstruktur innerhalb des Internets zwischen den Geschlechtern zu interpretieren. 1.2.2.1. Die sozialpsychologische Persönlichkeitsstruktur Heranwachsender im Internet Ob das Internet nun ein Fluch oder ein Segen in unserer modernen und globalen Gesellschaft darstellt oder nicht, darüber ließe sich lange philosophieren, ohne dass dabei jemals eine Aussicht auf einen gesellschaftlichen Konsens bestünde. Zweifelsohne kann jedoch kein Medium, ob das nun Literatur, Fernsehkonsum, Videospiele, Musik oder Internetnutzung ist, für eine einzige Verhaltensweise verantwortlich gemacht werden. Schließlich ist an der Tötung eines Menschen auch nicht das Mordinstrument Schuld. Vielmehr ist es eine Frage der Kompetenz mit Medien umzugehen. Das Kapitel 4 dieser Arbeit widmet sich dem Thema der Medienkompetenz ausführlicher. Ein wesentlicher Punkt, der sich aus der Medienkompetenz tatsächlich ergibt, ist die zu vermeidende Überforderung, die sich zur Belastung auswirken kann. Überforderung lässt sich nicht auf den Umgang mit einem einzigen Medium reduzieren, sondern resultiert aus Erwartungen und Ansprüchen, denen nicht genüge getan wurden. Die Reaktion auf Überforderung gerade bei Heranwachsenden äußert sich unter Umständen in Gewalt, Schmerz, Aggression und Extremismus. Diese Verhaltenserscheinungen stellen für viele Jugendliche eine Strategie dar, um ein Ventil gegen zu große Belastungen zu öffnen. Darauf weist die DEUTSCHE SHELL-Jugendstudie 2002 eindringlich hin: „Aggressivität, Gewalttätigkeit und extremistische politische Orientierungen stellen neben den psychosomatischen Symptomen und introvertierten Reaktionen eine Strategie Jugendlicher dar, um mit Belastungen fertig zu werden.“51 Das Internet, welches in der Regel die Gesellschaft zu spiegeln weiß, gibt in diesem Fall kein Zerrbild ab, welches erst auf die Wirklichkeit übersetzt werden müsste, sondern ist bereits ein originalgetreues Abbild, was die Jugendkultur angeht. Der sonstige ‚Spiegel Internet‘, der die Dinge manchmal geschickt zu verdrehen weiß, bringt sie hier auf den Punkt: Jugendliche finden in diesem Medium vor, was sie auch unter ihres gleichen vorfinden. Der einzige Unterschied ist, dass sie sich schnell aus Interaktionen verabschieden können, schneller als es in ihrer häuslichen Umgebung möglich ist, um Belastungen zu vermeiden. Denn laut GROB „ergibt sich Belastung aus einer Interaktion zwischen persönlichen, sozialen und kulturellen Ansprüchen 51 Deutsche Shell (Hrg.) / Hurrelmann, K. / Albert, M. / Linssen R. in Arbeitsgemeinschaft mit Infratest Sozialforschung: „Jugend 2002“ – Geschlechtsspezifische Muster der Lebensführung, a. a. O., S. 42 31 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet und persönlichen, sozialen und kulturellen Ressourcen.“ 52 Diese Ansprüche und Ressourcen wissen die Jugendlichen im Internet zu schonen, da diese Postulate dort nicht so präsent und penetrant sind, wie in der sozialen Wirklichkeit vieler Heranwachsender. 1.2.2.1.1. Theorie des Jugendraums – Aneignungsansatz und Entfremdungstheorie Ähnlich der Frage nach dem Huhn und dem Ei, ob der erste Mensch ein Säugling gewesen sei oder von vornherein erwachsen und damit fortpflanzungsfähig, dürfte weniger von Belang sein, als die Tatsache, dass ein Kind „von Geburt an in einer von Menschen geschaffenen objektiven Welt lebt. Zu ihr gehören die Gegenstände des täglichen Bedarfs, die Kleidungsstücke, die einfachen Werkzeuge, zu ihr gehört auch die Sprache, durch die Vorstellungen, Begriffe und Ideen widergespiegelt werden. Selbst den Naturerscheinungen begegnet das Kind unter den von Menschen geschaffenen Bedingungen (…). Die psychische Entwicklung des Kindes beginnt in einer menschlichen Welt.“53 Ohne Frage leben wir in einer gegenständlichen Welt. Ein Kind lernt das sehr schnell, in dem es den Gegenstand, den es in die Hand nimmt, zunächst ohne weitere Umstände in das System der natürlichen Bewegung einbezieht: „Das Kind führt zum Beispiel den Löffel wie jeden anderen natürlichen Gegenstand, der keinen Werkzeugcharakter hat, an den Mund und achtet nicht darauf, dass es ihn waagerecht halten muss. Durch das unmittelbare Eingreifen des Erwachsenen werden die Handbewegungen des Kindes beim Gebrauch des Löffels allmählich grundlegend umgestaltet und ordnen sich der objektiven Logik des Umgangs mit diesem Gerät unter.“54 Der altbekannte pädagogische Grundreim „Messer, Schere, Feuer, Licht, sind für kleine Kinder nicht“ verliert im Laufe des Heranwachsens eines Menschen seine Bedeutung, weil schließlich „Werkzeuge und Gegenstände des täglichen Bedarfs, denen das Kind begegnet, von ihm in ihrer spezifischen Qualität erschlossen werden müssen.“55 Das funktioniert jedoch nur, „indem das Kind mehr oder weniger genau die Handlungen der Erwachsenen reproduziert, und es sich nicht nur dem Ideal annähert, so zu sein wie sie, sondern es erfährt zugleich auch etwas über die Eigenschaften der Gegenstände, mit denen die Erwachsenen umgehen, das heißt, es erkennt sie als menschliche Gegenstände mit gesellschaftlichen Funktionen, die an ihnen fixiert sind.“56 Dass Geschirr und Besteck zum Beispiel in die Küche gehören, lernt ein Kind durch die Gegenstandsbedeutungen. Denn diese finden „ihre konkreten Zuweisungen in der Einbettung in Räume; die Kategorie des Raumes spiegelt mit seinen Strukturen auch die Strukturen der Gesellschaft wieder. Gegenstandsbedeutung und Raumbezug haben (…) gerade in der Altersstufe der Kinder und jüngeren Jugendlichen direkten Verweisungscharakter. (…) Die Umwelt des Kindes stellt nicht nur ein Netz unsicht-barer und durch vergegenständlichte Bedeutungen überzogener Räume dar, die im Aneignungsprozess erschlossen werden müssen, sondern ist 52 Grob, Alexander (Hrsg.): „Kinder und Jugendliche heute: belastet – überbelastet?“ – Ressourcen, a. a. O., S. 15 53 Leontjew, „Probleme der Entwicklung des Psychischen“, a. a. O., S. 451 54 ebd. S. 292 55 ebd. S. 281 56 Keiler, P.: „Das Aneignungskonzept A. N. Leontjews“, a. a. O., S. 96 32 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet entsprechend der Struktur der kapitalistischen Gesellschaft auch ein Raum, der durch kodifizierte Regelungen, Machtbefugnisse, Herrschaftsund 57 Somit erhält ein spielendes Kind, das Eigentumsansprüche verregelt ist.“ beispielsweise Geschirr aus der Küche entwendet und zweckentfremdet, möglicherweise von seinen Eltern schnell die Lektion, diese Gegenstände entweder nicht weiter zweckentfremden zu dürfen oder aber diese Gegenstände nach (zweckentfremdeten) Gebrauch wieder an ihren Bestimmungsort zurückzulegen. Widersetzt sich ein Kind auf Dauer dieser Gebrauchslogik muss das nicht unbedingt heißen, dass damit eine Entwicklungs-schädigung einhergeht, weil die menschliche Entwicklung nicht gleichbedeutend mit der Anpassung an seine Umwelt sein muss, sondern im Gegenteil eine Auseinander-setzung mit der ihm umgebenden Umwelt bedeutet. Dies meint dementsprechend, dass ein Mensch sich auch dann entwickelt, wenn „er den Rahmen seiner begrenzten Natur verlässt, dass er sich ihr nicht anpasst, weil er durch sie daran gehindert wird, den Reichtum echter menschlicher Züge und Fähigkeiten voll zu entfalten.“58 Während Erwachsene Sanktionen oft im Zusammenhang mit rollenspezifischen Interaktionen erleben, etwa in Familie und Beruf, „erfahren Kinder und Jugendliche das ‚was geht und nicht geht‘ oft viel stärker in ihrer räumlichen als in ihrer rollenspezifischen Interaktion.“59 Sie werden belohnt oder gelobt, wenn ihr Zimmer ‚ordentlich’ gehalten wird oder bestraft und getadelt, wenn sie Räume zweckentfremden und somit ‚durcheinander’ bringen. Der Aneignungsprozess von Räumen wird besonders deutlich, wenn sich vor Augen gehalten wird, dass Kinder unter Umständen eine ganz andere Vorstellung von der Einrichtung eines Raumes haben als Erwachsene.60 „Beim Handeln im Jugendalter grenzt sich der Jugendliche von etwas Bestimmten ab. Damit ist die räumliche Dimension in den Handlungen, die Möglichkeit, sich (räumlich) von etwas abgrenzen zu können, für die Identitätsbildung in der Jugendphase besonders wichtig.“61 Diese Option steht jedoch oft nur Kindern aus der Mittel- oder Oberschicht zur Verfügung. „Jugendliche des subkulturellen Milieus haben weite Einschränkungen in den Verfügungsmöglichkeiten über räumliche Ressourcen (zum Beispiel haben sie kein eigenes Zimmer, keine finanziellen Ressourcen, um ins Kino oder in die Disco oder in eine Bar zu gehen, keine soziokulturellen Ressourcen, um ihre Bewältigungsformen in einem Jugendhaus zu machen etc.). Durch diese Faktoren wird die Straße zum sozialen Ort.“62 Doch um möglichen Missverständnissen an dieser Stelle vorzubeugen, sei erwähnt, dass „es nicht nur der Raum als territorialer Raum ist, der da sein muss, sondern die sozialen und emotionalen Möglichkeiten, die in ihm stecken und die von Kindern und Jugendlichen aus ihrer emotionalen Befindlichkeit und ihrem sozialen Wollen heraus er57 Deinet, U.: „Das Konzept ‚Aneignung’ im Jugendhaus“, a. a. O., S. 41 Leontjew, „Probleme der Entwicklung des Psychischen“, a. a. O., S. 232f 59 Reutlinger, Christian Thomas: „Unsichtbare Bewältigungskarten von Jugendlichen in gespalteten Städten“, a. a. O., Seite 52 60 besonders deutlich macht dies eine Unterhaltungssendung des Privatsenders RTL, wo Kindern die Möglichkeit gegeben wird, in (erzwungene) Abwesenheit ihrer Eltern das Elternhaus nach ihren Wünschen mithilfe von (fremden) Erwachsenen umzugestalten. Nicht umsonst trägt diese Unterhaltungssendung den Titel: „Zuhause ist der Teufel los“. 61 Reutlinger, Christian Thomas: „Unsichtbare Bewältigungskarten von Jugendlichen in gespalteten Städten“, a. a. O., Seite 53 62 Reutlinger, Christian Thomas: „Unsichtbare Bewältigungskarten von Jugendlichen in gespalteten Städten“, a. a. O., S. 63 58 33 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet schlossen werden können.“ 63 Denn so manches Kind entwickelt sich nur unzureichend, wenn es einen territorialen eigenen Raum zwar beansprucht, der allerdings ‚vollgestopft mit Spielzeug’, aber nicht mit Leben erfüllt werden kann, weil dem Kind die eigene Gestaltung seines Raumes beispielsweise durch die Vorstellungen der Eltern verwehrt bleibt. Wenn Räume, ob nun in den geschlossenen vier Wänden oder außerhalb des Hauses ausschließlich funktionalen Charakter aufweisen, der auf Heranwachsende fremdbestimmt wirkt, dann löst dieser Umstand Aggressionen aus. Solche Aggressionen führen „(…) beim Aneignungshandeln von Kindern und Jugendlichen zu ‚abweichendem‘ oder ‚deviantem‘ Verhalten, denn um handlungsfähig zu bleiben, haben die Heranwachsenden gar keine andere Möglichkeit, als die (räumlichen) Strukturen anzugreifen.“64 Hier muss die Jugendraumdiskussion greifen dürfen, denn es „geht um das Aufzeigen der entfremdeten Welt und der daraus entstehenden (negativen) Folgen für die Heranwachsenden; des Weiteren um die Forderung nach ‚Räumen‘ und räumlichen Gegebenheiten, in denen Kinder und Jugendliche sich selbst als Subjekte einbeziehen können, in denen nichtentfremdete Arbeit im Sinne von Aneignung möglich ist.“ 65 . Im besonderen Maße gilt dies für die Gestaltung von Plätzen, die kinder- und jugendgerecht sind und ihnen Möglichkeiten und Freiräume zur Entfaltung bieten. Das fängt im eigenen familiären Umfeld an, Kindern eigene Räume zur Verfügung zu stellen, wo sie sich austoben und entfalten können; geht darüber hinaus zur Schaffung von öffentlichen Nischen und Plätzen, wo Jugendliche Gestaltungsspielräume haben, wie zum Beispiel das zur Verfügungstellen eines Abenteuerspielplatzes oder eines Jugendheimes und wirkt bis hinein ins Klassenzimmer durch die Bereitstellung eines Trainingsraumprogramms nach FORD (auf das ich im Anhang dieser Arbeit praxisbezogener und ausführlich zu sprechen kommen werde) und weit darüber hinaus bis in die moderne virtuelle Medienwelt hinein, wo die Schaffung auch von virtuellen Räumen im Cyberspace66 eine enorme Rolle spielt, denn dadurch werden „Plätze als Treffpunkte durch ihre regelmäßige Benutzung zu einer Art informellen Institution dieses Milieus.“ 67 , welches sich ansonsten außer Stande sieht, derartige Räume selbst zu organisieren. 1.2.1.1.5. Geografien von Jugendlichen – Verregelungsthese „Alltägliche Routinen sind in ihrer räumlichen und zeitlichen Strukturierung die Basis der Seinsgewissheit und nicht mehr die traditionalen Elemente wie Verwandtschaftsbeziehungen, Traditionen usw.“68 Meiner Meinung nach zeigt REUTLINGER mit dieser Aussage auch deutlich auf, dass ein wesentliches Element gesellschaftlicher Regulierungen ganz besonders für traditionsbewusste Gruppierungen an Bedeutung verloren hat und weiter an Bedeutung verlieren wird. Dass der Sohn beispielsweise das berufliche Erbe seines Vaters antritt, ist heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr. Dass der Clan über die Funktion eines innerfamilialen Schutzraums mit Beziehungen zu gesellschaftlichen Organisationen verfügt, wird mehr und mehr zur 63 Böhnisch, L.: „Pädagogische Soziologie.“, a. a. O., S. 150 Reutlinger, Christian Thomas: „Unsichtbare Bewältigungskarten von Jugendlichen in gespalteten Städten“, a. a. O., S. 54f 65 ebd., S. 57 66 vgl. zum Beispiel www.knuddelz.de 67 Becker, H./ Eigenbrodt, J./ May, M.: „Unterschiedliche Sozialräume von Jugendlichen in ihrer Bedeutung für pädagogisches Handeln“, a. a. O., S. 209f 68 Reutlinger, Christian Thomas: „Unsichtbare Bewältigungskarten von Jugendlichen in gespalteten Städten“, a. a. O., S. 68 64 34 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Geschichte. Chancenlose Jugendliche genießen nicht mehr die Protektion des Patriarchalen, um beruflich weiterzukommen. Der Clan und die Familie stellen im besten Falle für Jugendliche gerade mal eine Rückzugsmöglichkeit und einen Trostraum dar. Zunehmender Konkurrenzdruck in den Zeiten der Globalisierung bietet nur noch in den seltensten Fällen der Familie in den Industrienationen die Chance, dass sie sich als ‚Clans’ behaupten können. Kinder wachsen ebenso in den seltensten Fällen unter den behüteten Verhältnissen einer Großfamilie auf. Und wenn sie doch aus einer großen Familie stammen, dann ist diese Institution oftmals verarmt und nicht dazu in der Lage, Kindern und Jugendlichen eine Perspektive zu vermitteln, die dem Heranwachsenden später verbindlich sein könnte. Die soziale Transformation Mensch in ein gesellschaftliches Wesen während der Kindheit und im Jugendalter „vollzieht sich nicht mehr entlang einer allgemein vorgegebenen, institutionell abgesicherten und gewährleisteten Normalbiographie, sondern auf individuelle Art und Weise.“69 Die noch vor wenigen Jahrzehnten gängige ‚Normalbiografie’, dass ein Heranwachsender spätestens mit 20 Jahren im Erwerbsleben Fuß gefasst hat, ist selten geworden. „Die Biografie wandelt sich von der Normalbiografie zur ‚Wahlbiografie’70, resp. ‚Bastelbiografie’71 oder gar zur ‚Risikobiografie’ oder ‚Drahtseilbiografie’ 72 .“ Im dritten Kapitel dieser Arbeit werden jene Abwandlungen von der Normalbiografie detaillierter durchleuchtet. In den traditionellen Lebenswelten konzentrierte sich das Heranwachsen eines Menschen in schwerpunktartiger Hinsicht auf seine physische Entwicklung. Das soziale Umfeld der Großfamilie gab Hierarchien vor, die sich vor allem aus verschiedenen Generationen speiste, die auf mehr oder weniger engen Raum miteinander zusammenlebten und selten in Frage gestellt wurden. Soziale Probleme wurden in Form von Herausforderungen an Heranwachsende gestellt, indem sie in innerfamiliäre Aufgaben eingebettet wurden, unter anderem durch Kinderarbeit, wie sie in westlichen Industrienationen heute kaum noch denkbar ist. Umgangsformen im sozialen Miteinander lernten Kinder durch festgelegte und oft patriarchale Strukturen. Heutzutage „müssen Heranwachsende (…) gleichzeitig Entwicklungsaufgaben und soziale Probleme lösen.“73 Sie sind, wie BECK es ausdrückt, eine Art „Planungsbüro in Bezug auf den eigenen Lebenslauf, die Fähigkeiten, Orientierungen, Partnerschaften usw. begreifen“74 geworden. An die Stelle personeller Institutionen innerhalb von Verwandtschaft und Familie greifen nun fremde Institutionen in den Lebenslauf der Heranwachsenden ein. Die Regeln der Erziehung und Entwicklung von jungen Menschen werden nicht mehr ausschließlich von der Familie und der Verwandtschaft ge- bzw. erstellt, sondern von familienexternen Institutionen, wie Jugendämtern und Behörden, Familiengerichten, Schulen, Ausbildungsstätten, etc. Die Intimität und die auch damit verbundenen Verlässlichkeit von verwandtschaftlichen Beziehungen haben sich durch die Sterilität und Funktionalität zu außerfamilialen Beziehungen abgelöst. An die Stelle des Verhaltenskodex innerhalb der Familie ist das Regelwerk der Institutionen getreten. Dieses Regelwerk kennt wenig Spielraum für soziale Parameter wie Mitgefühl und Solidarität, sondern eher für 69 ebd., S. 68 Beck, U.: „Risikogesellschaft“, a. a. O., S. 217 71 Beck, U.: „Die Erfindung des Politischen“, a. a. O., S. 152 72 Beck, U./ Beck-Gernsheim, E.: „Individualisierung in modernen Gesellschaften“, a. a. O., S. 13 73 Böhnisch, L. (1993): „Sozialpädagogik des Kindes- und Jugendalters“, a. a. O., S. 74ff 74 Beck, U.: „Risikogesellschaft“, a. a. O., S. 217 70 35 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Mitleid und Subsidiarität. Diese Parameter gelten lediglich in Form von abstrakten und anonymisierten gesellschaftlichen Werten und somit gewissermaßen als soziale Referenz für das Erstellen von komplexen Regeln, um die Kontrolle gerade über die Heranwachsenden nicht zu verlieren. Dieses Regelwerk als räumliche Umwelt wird von den Heranwachsenden „als verregelt, institutionalisiert und durchfunktionalisiert erlebt. Es ist eine physisch-materielle Welt, die unangreifbar, verstellt und verschlossen scheint, und deshalb erscheint es unmöglich, sich in diese Welt selbst einzubringen.“75 1.2.2.1.2. Überflüssigkeitsthese Jugendliche sehen in dem Verlust gesellschaftlicher Anerkennung beispielsweise durch Jugendarbeitslosigkeit eine Bedrohung und sind noch nicht dazu befähigt, darin auch eine Chance zu erkennen, da diese sich auch nicht so ohne weiteres offenbart, weil „Freiheit und Bedrohung gleichermaßen gespürt werden, aber nicht mehr durch rationale Verfahren einfach auszubalancieren sind.“ 76 Beispielsweise erkennen sie dann weniger deutlich, dass wenn sie in ihrem Heimatort keinen Ausbildungsplatz finden, sie möglicherweise an einem weiter entfernt liegenden Ort unter Umständen gute Chancen auf einen freien Ausbildungsplatz hätten. Durch solche und ähnliche Umstände werden „bei denen, die nicht mithalten können, die Spielräume der Lebenslagen eingeengt, übersteigen die Belastungen ihrer Ressourcen und treiben sie in kritische Lebenskonstellationen“77 In solchen Lebenslagen erleben sich chancenlose Heranwachsende als überflüssig und sehen sich unreflektiert einem System gegenüber gestellt, das REUTLINGER als den ‚digitalen Kapitalismus’ umschreibt, in dem „der Mithaltedruck für Jugendliche immer größer wird und vermehrt Menschen freigesetzt werden, überflüssig sind.“78 Hinzukommt, dass die abwehrende Haltung der Jugendlichen nicht wie in den 70er Jahren von der Bevölkerung „als Systemkritik (Kapitalismuskritik) verstanden wird, sondern als Störung der sozialen Ordnung.“ 79 Wobei die soziale Ordnung heutzutage weniger durch das System als solches repräsentiert, sondern stark von individuellen Lebensstilen geprägt wird, die allenthalben vor allem durch werbewirksame Medien vorgegeben werden. Dadurch entstehen soziale Räume, die einem Ideal der Lebensstiltypen entsprechen oder aber widersprechen. Wohlhabende Vororte oder Stadtteile entsprechen einem solchen Ideal. Mitunter entstehen auf Landes- oder Bundesebene gar gewisse Vorstellungen von der idealen Stadt, in dem die Städte untereinander um gesellschaftliche Anerkennung konkurrieren. In einem solchen sozialen Konkurrenzkampf bleiben dann ganze Städte oder Stadtteile auf der Strecke und zurückbleiben vor allem „Jugendliche aus ‚Stadtteilen der Abgehängten‘ oder in der ‚abgehängten Stadt‘, welche nicht dem Ideal der Lebensstiltypen entsprechen und sich auch nicht daran orientieren können. Sie lassen sich nicht ‚fit für den Arbeitsmarkt‘ machen, haben auch nicht die Ressourcen, um aufgefangen zu werden.“80 75 Reutlinger, Christian Thomas: „Unsichtbare Bewältigungskarten von Jugendlichen in gespalteten Städten“, a. a. O., S. 70 76 Böhnisch, L./ Schröer, W. : „Pädagogik und Arbeitsgesellschaft“, a. a. O., S. 229 77 ebd. S. 228 78 Reutlinger, Christian Thomas: „Unsichtbare Bewältigungskarten von Jugendlichen in gespalteten Städten“, a. a. O., S. 141 79 ebd. S. 141 80 Reutlinger, Christian Thomas: „Unsichtbare Bewältigungskarten von Jugendlichen in gespalteten Städten“, a. a. O., S. 141 36 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Dieses Erleben aus Sicht der Heranwachsenden schwächt das Selbstwertgefühl in erheblichem Maße und Umfang. Die sich zunehmend einengenden Handlungsspielräume und Gestaltungsmöglichkeiten junger Heranwachsender ergeben nicht mehr wie noch in den 70er und 80er Jahren bei vielen Jugendlichen das Bild einer Perspektivlosigkeit, das sich unter dem Slogan ‚No Future’ zusammenfassen ließe, sondern hinterlässt bereits ein Bild von Resignation, welches sich unter dem Motto ‚No Present’ exakter formulieren ließe, weil „anstelle von Aneignung und Integration sich heute die räumliche und soziale Exklusion vergrößert, und die Jugendlichen in die Unsichtbarkeit abgedrängt werden.“ 81 Schuldzuweisungen sind für dieses Dilemma unvorteilhaft, da eine Systemkritik allein keine Aussichten auf eine Entbindung der Überflüssigkeitsthese mit sich bringen würde. Denn auch ein großer Teil der Jugendlichen selbst tragen Mitverantwortung, da sie ja nicht komplett handlungsunfähig sind, „jedoch sich die soziale Integration aus ihren Handlungen verflüchtigt hat. Es wird immer weniger nach den Bedürfnissen der Überflüssigen gefragt und kaum danach, wo die Gewinner der globalisierten Prozesse die Spannungen und Widersprüche, die sich mit dem Mithaltedruck ergeben, bewältigen. Erstere werden tendenziell als ‚kriminell‘ oder als ‚arme Schweine‘ bezeichnet, die von vornherein von der gesellschaftlichen Entwicklung ‚abgehängt‘ sind, den letzteren wird das Label des Lebensstiltypen aufgedrückt, was sie zum Erfolg ‚verdammt‘ und ihren Leistungsdruck und die Angst vor dem Versagen noch weiter erhöht.“82 1.2.2.1.3. Aneignung und Integration Mangelnde Integration, die im Bewusstsein mancher Jugendlicher verankert zu sein scheint, kommt aber nicht von irgendwoher, da „Kinder und Jugendliche (…) in einer räumlichen Welt aufwachsen, die von Sozialraumforschern als industrialisiert und durchkapitalisiert, gleichförmig und unangreifbar beschrieben wird.“ 83 Eine solche Uniformität des Lebensraums eignet sich nicht besonders dazu, das Bedürfnis des ‚Sich Einbringenwollens’ zu fördern. Gäbe es zur gesellschaftlichen Nomenklatur wenigstens auch eine Norm, die Zugeständnisse zum Abweichen von der Norm in Betracht ziehen würde, dann würde der Orientierungslosigkeit mancher Jugendlicher hilfreiche Grenzen gesetzt werden können. Denn um in dieser gesellschaftlichen Nomenklatur „dennoch handlungsfähig zu sein und dies zu bleiben, machen Jugendliche spezifische Formen der Aneignung außerhalb der Normorientierung. Gleichzeitig verstoßen sie mit diesen Formen der Aneignung gegen die gesellschaftlichen Normen und Regeln. Aus diesem Grund werden sie aus der gesellschaftlichen Perspektive als ‚sozial auffällig‘ bezeichnet und zeigen von der allgemeinen Norm ‚abweichendes Verhalten‘.“84 Dieses Verhalten kann durchaus auch selbstzerstörerische Züge annehmen und ist mithin besorgniserregend. Nur „durch das Aneignen der jugendgerechten (räumlichen und sozialen) Welt können sich die Jugendlichen in die Gesellschaft integrieren. Damit hat das ‚abweichende Verhalten‘ (die nonkonforme Aneignung) automatisch über die sozialpädagogische Intervention eine soziale Integration zur Folge bzw. in ihm liegt ein integratives Moment.“ 85 Erst mit diesem integrativen 81 ebd. S. 141 ebd. S. 143 83 ebd. S. 109 84 Reutlinger, Christian Thomas: „Unsichtbare Bewältigungskarten von Jugendlichen in gespalteten Städten“, a. a. O., S. 109 85 ebd. S. 110 82 37 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Moment ergibt sich die Chance, Heranwachsende und ihre spezifischen Begabungen erfolgreich zu fördern. 1.3. Der Begabungsbegriff Begabung wird oft als eine Fähigkeit zu überragenden Leistungen interpretiert. In den 50iger Jahren des letzten Jahrhunderts etablierte RÉVÈSZ eine Definition zum Begriff der Begabung als eine „angeborene, durch Übung zu entfaltende Fähigkeit, die in einem begrenzten Gebiet der menschlichen Tätigkeit den Durchschnitt weit übertreffende Leistungen hervorzubringen vermag“. 86 Ganz offensichtlich wird hier die Fähigkeit als solche mit überdurchschnittlicher Leistung und Effizienz gleichgesetzt, die sich in den Anlagen einiger weniger Menschen verbirgt und durch Übung einer gewissen Förderung bedarf. Dabei sind Begabungen nicht nur „irgendwelche Fähigkeiten, sondern Voraussetzungen zu gestaltendem Tun.“87 Die Meinungen, Ansichten und Interpretationen des Begabungsbegiffes gehen in der Literatur weit auseinander. Dort, wo SCHENK-DANZIGER und THOMAE 88 in der Begabung eine „anlagemäßig vorgegebene Leistungsdisposition“ erkennen, sehen ENGELMAYER und STRUNZ 89 in der Begabung lediglich die „Grundlage für die Möglichkeit, Leistungen zu vollbringen“. GOTTSCHALDT90 geht gar einen Schritt weiter und reduziert Begabung auf die „individuelle Struktur der Persönlichkeit im Hinblick auf ihre generelle Leistungsdisposition.“ Dabei führt GOTTSCHALDT 91 die generelle Leistungsdisposition (Begabung) auf drei wesentliche Unterschiede menschlichen Verhaltens und menschlicher Veranlagung zurück: a) Unterschiede der intellektuellen Befähigung, der intellektuellen Ausstattungen und ihrer jeweiligen Differenzierung durch Schulung, Erziehung, Erfahrungen b) Unterschiede dynamisch-energetischer Art, der Aktivierbarkeit und Ansprechbarkeit für geistige Inhalte und Betätigungen, der Interessierbarkeit und Zuwendungsbereitschaft, des „Denktemperaments“ (W ENZEL) und letzten Endes des Vitaltemperaments c) Unterschiede der mentalen Haltungen und Interessen für bestimmte Inhalte geistiger Art, abhängig unter anderem von den Arbeits- und Berufsbereichen, von den sozialen, wirtschaftlichen und geistigen Räumen, in denen der einzelne aufwächst. Wird SCHENK-DANZINGERS und THOMAES' Auffassung der Begabung als eine ‚vererbte‘ Leistungsdisposition zugrunde gelegt, dann darf dabei nicht übersehen werden, dass „über die Vererbung von Talentbegabung (...) entsprechende genealogisch-statistische Untersuchungen (zwar) vorliegen. Hervorragende musikalische Begabung kommt familienweise häufig vor (Bach, Mozart, Weber, Schubert), 86 Mühle, Günther: „Definitions- und Methodenprobleme der Begabtenforschung“ in Roth, Heinrich (Hrg.): „Begabung und Lernen“, a. a. O., S. 72 87 ebd. S. 75 88 ebd. S. 71 89 ebd. S. 71 90 ebd. S. 71 91 Gottschaldt, Kurt: „Begabung und Vererbung, Phänogenetische Befunde zum Begabungsproblem“ in Roth, Heinrich (Hrg.): „Begabung und Lernen“, a. a. O., S. 135 38 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet andererseits (aber) finden sich auch Ausnahmen (wie) z. B. Schumann oder, auf dem Gebiet der mathematischen Begabung, Gauß.“92 Deswegen kann in der Begabungsförderung Heranwachsender im Internet nur mitnichten von einem Begabungsbegriff ausgegangen werden, der sich aus vererbter Veranlagung konstruiert. Auch kann in einem solchen Begabungsförderungsprojekt nicht die ‚Elitisierung junger Heranwachsender‘ im Vordergrund stehen. Vielmehr wird in dem Projekt die Begabung „weder als singuläre Anlage noch als eine Gesamtqualität der leistungsstrebigen Ausstattung der Persönlichkeit angesehen, sondern als eine Leistungsbereitschaft, die in der Hinordnung auf ein bestimmtes Betätigungsfeld selbst erst strukturiert worden ist und ihrerseits wieder durch die Ausformung und Spezifizierung der Antriebe, Interessen und Motive die Persönlichkeit verändert.“93 Der Auffassung von GÜNTHER MÜHLE zum Begriff Begabung soll also hier Rechnung getragen werden dürfen, da „im Worte Begabung mehr als nur die Bewährung gegenüber Aufgaben und Situationen liegt. Es ist damit nicht allein gemeint, dass jemand etwas besser kann als ein anderer weniger Begabter, sondern vor allem, dass er etwas kann, wofür ein anderer ‚keinen Sinn hat'.“94 Es ist gerade der Zusammenhang innerhalb der heutigen ‚Bildungsmisere‘, die sich durch regionales und internationales Ranking als eine solche in Deutschland bezeichnet, der deutlich macht, dass der Bildungsstandort Deutschland international sich im Mittelfeld aller OECD-Länder bewegt (vgl. PISA-Studien 2000, 2003 und 2006). Denn hierzulande ist es wichtig zu erkennen, dass Begabung nicht durch eine „Divergenz des Leistungsverhaltens in einer begrifflichen Unterscheidung aufgefangen wird, was sicher nicht unproblematisch ist, wichtig ist nur, dass der Unterschied, der als solcher gerade für die pädagogische Zielsetzung bedeutsam sein kann, nicht übersehen wird.“95 Mag sein, dass wenn von ‚Hochleistung als Ausdruck vererbungsmäßig verankerter Begabung‘ die Rede ist, diese Begabungsbezeichnung im Alltag wenig Schaden anrichtet, „aufs höchste problematisch und unzulässig aber ist die Erklärung einer weniger guten oder gar nicht erbrachten Leistung aus dem Mangel an spezifischer Begabung. Leistungsmängel mit Begabungsmängeln gleichzusetzen ist ein zwar bequemes, häufig gedankenlos angewendetes Verfahren, im pädagogischen Bereich aber kommt es einem ‚Entlastungsurteil' gleich, das den Erzieher freispricht. Er fragt dann nicht weiter und auch nicht anders, weil er nicht weiter und anders fragen will.“96 Bleibt bei aller Begriffsfindung dann wiederum die Trennung einer allgemeinen von einer besonderen Begabung im engeren wie im weiteren Sinne aufrecht zu erhalten. Bei einer solch dichotomischen Sichtweise für Begabung weist MÜHLE zwar darauf hin, dass die Allgemeinbegabung der Intelligenz und die Sonderbegabung dem Talent entspricht, ergänzt allerdings die gesellschaftliche Anschauung, die in den Begriffen Begabung und Intelligenz eine unüberwindliche Diskrepanz zu erkennen scheint: „Der Sprachgebrauch unterscheidet nun Begabung von Intelligenz derart, dass er die Begabung in eine besondere Beziehung zu einem enger oder weiter umgrenzten Bereich des Lebens, des Berufs oder – allgemein – der Kultur stellt. Man kann für mancherlei begabt sein, immer aber ist man ‚für etwas' begabt. Eine Begabung ist also nach dieser Ansicht auf einen bestimmten Leistungsbereich 92 Gottschaldt, Kurt: „Begabung und Vererbung, Phänogenetische Befunde zum Begabungsproblem“ in Roth, Heinrich (Hrg.): „Begabung und Lernen“, a. a. O., S. 130 93 Mühle, Günther: „Definitions- und Methodenprobleme der Begabtenforschung“ in Roth, Heinrich (Hrg.): „Begabung und Lernen“, a. a. O., S. 75 94 ebd. S. 74 95 Mühle, Günther: „Definitions- und Methodenprobleme der Begabtenforschung“ in Roth, Heinrich (Hrg.): „Begabung und Lernen“, a. a. O., S. 76 96 ebd. S. 69 39 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet ausgerichtet.“ 97 Die Frage, ob dieser Leistungsbereich Intelligenz erfordert, die in einer bestimmten Form verifizierbar wäre, dürfte umstritten sein. Vielleicht ist dennoch eine gewisse messbare Intelligenz vorhanden, um einen ‚eigengearteten Weltausschnitt‘ überhaupt erkennen zu können, da nach MÜHLE „zu jeder Art von Begabung also die besondere Weise der Begegnung mit einem eigengearteten Ausschnitt der Welt“98 zusammenhängt. Intelligenz bewährt sich im Leistungsbereich vom „Finden, Erfinden und Sichzurechtfinden im Rahmen neuer, ungewohnter Lebenslagen, und damit grenzt sich die Intelligenzleistung ab gegen vorgeformte Problemlösungen durch die Schablonen von Instinkt und Gewohnheit, durch Versuch und Irrtum oder durch Rückgriff auf bloße Gedächtnisleistungen.“99 Intelligenz kennt dementsprechend kein Schema X, das Schablonen wie Versuch und Irrtum oder Instinkt und Gewohnheit benötigte. Und sollten Intelligenz und Begabung einhergehen, dann ließe sich beider Intensität vielleicht an den Interessen der Probanden ablesen, da nach MÜHLE das Wertvolle der Begabung nicht in der „Art von Tätigsein entsteht, vielmehr wird beharrliche, hingebende Arbeit als Eigenwert erlebt und hält ein leidenschaftliches, alles andere absorbierendes Interesse wach.“100 Der angesprochene gesellschaftliche Kodex der Begriffe Begabung und Intelligenz assoziiert geradezu eine Brücke über die Diskrepanzen der beiden Begriffe hinweg, weil schließlich von einem intelligenten Menschen eine Begabung ex-ante erwartet wird: „Von einem als ‚intelligent' bezeichneten Menschen erwartet man, dass er in problematischen Situationen den Überblick behält und einen Ausweg findet, dass er sich auf neue Lagen einzustellen weiß, die ihm gestellten Aufgaben im Rahmen des Möglichen sachgemäß und zielgerecht bewältigt, und nicht nur versteht, sich den Anforderungen anzupassen, sondern die Situation unter Umständen aus eigener Eingebung so abändert, dass er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und auf den ihm offen liegenden Wegen zum Ziel kommt.“ 101 Wird auch von einem begabten Menschen ex-ante Intelligenz erwartet? Dazu gibt es einen Cartoon von GARY LARSON, der zeigt einen Eliteschüler, wie er sich beharrlich und mit seinen Büchern unterm Arm gewappnet, gegen die Eingangstür einer Begabtenförderschule stemmt, um hinein zu gelangen, auf der der Hinweis „pull“ deutlich zu lesen ist. Von der Hand zu weisen ist es nicht, dass es außergewöhnlich begabten jungen Menschen an sozialer Intelligenz fehlen mag, was ich als ein exhorbitantes Phänomen sozialer Disintegragtion begabter Heranwachsender verstehe. 1.4. Der Zugang zu Heranwachsenden mittels kostenloser Begabungsförderung im Internet Jugendliche wissen es zu schätzen, dass im Internet niemand da zu sein scheint, der sie sanktioniert. Allerdings verkennen sie gelegentlich, dass Sanktionen nicht unbedingt negativ sein müssen. Deswegen möchte ich mit dem Begabungsangebot für Heranwachsende im Internet auf eine gewisse Form der Sanktionierung plädieren, damit die Erkenntnis des SOKRATES einen positiven Einfluss auf das moderne Coaching junger Leute erfährt: „Denn wenn jemand eine Wohltat anderer Art erfahren hat, z. B. schnellfüßig geworden ist durch einen Turnlehrer, so könnte er ihm vielleicht die Entgeltung vorenthalten, wenn ihm der Turnlehrer freie Hand gelassen und nicht sich die Zahlung so ausbedungen hätte, dass er womöglich ganz 97 ebd. S. 73 ebd. S. 74 99 ebd. S. 72 100 ebd. S. 75 101 Mühle, Günther: „Definitions- und Methodenprobleme der Begabtenforschung“ in Roth, Heinrich (Hrg.): „Begabung und Lernen“, a. a. O., S. 72 98 40 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet gleichzeitig mit der Darbietung der Schnelligkeit aus sein Geld bekomme. Denn ich meine, nicht die Langsamkeit ist es, auf Grund deren die Menschen Unrecht tun, sondern die Ungerechtigkeit.“102 Im Frühjahr 2004 habe ich versucht, dem Projekt der Begabungsförderung Heranwachsender im Internet mit der Entschlossenheit zur Vereinsgründung ein solides Fundament zu geben, was aber im Herbst desselben Jahres in letzter Vollendung kläglich gescheitert ist. Das lag ausschließlich an den divergenten Interessengruppen, die sich für diese Arbeit mitverantwortlich fühlten. Ein Verein braucht eine homogene Interessengruppierung, die im Falle der Bildungspolitik nicht so ohne weiteres vorzufinden ist. Die Diskrepanz zwischen Eltern, Lehrern und Schülern scheint oft unüberwindbar zu sein. Vor allem dann, wenn als Medium zur Kommunikation in erster Linie die Schriftsprache gebraucht wird. Die Kontaktaufnahme und Kontaktpflege im Internet verläuft nun mal fast ausschließlich über die Schriftsprache. An ihr knüpft sich jedoch eine Symbolik, die einer gewissen Analyse im Sinne der Begabungsförderung Heranwachsender nur dann standhalten kann, wenn eine Grundkenntnis der Jugendkultur vorhanden ist. Auf eine solche Grundkenntnis der Symbolanalyse jugendlicher Kommunikationsformen im Internet bauen sich die weiteren Bildungs- und Begabungsvoraussetzung für die berufliche Kompetenz in der Medienpädagogik auf. Förderlich für die soziale Kompetenz ist keinesfalls ein stetiges und permanentes Coachen junger Talente. Das Coaching sollte für alle – von den gar nicht bis wenig Begabten zu den außerordentlich Begabten – vor allem eins sein: verlässlich. Wer sich der Aufgabe der Begabungsförderung Heranwachsender im Internet stellt, freiwillig und tatkräftig das Projekt insbesondere vormittags unterstützen zu wollen, sollte sich a priori bewusst sein, dass ein solches Begabungsförderprojekt nicht ad hoc und ohne strategischsozialpädagogische Anweisungen und Empfehlungen umgesetzt werden darf. Durch meine gesammelten Erfahrungen via Internet mit jungen Heranwachsenden 103 als auch mit Erwachsenen104 in dem Zeitraum August 2003 bis Mai 2005 ist mir Schritt für Schritt klar geworden, dass eine solche Förderung weder im Alleingang noch im Sinne einer Vereinsarbeit erfolgreich durchgeführt werden kann. Nur eine institutionell organisierte Arbeitsweise kann die Didaktik der Begabungsfördermethoden sichern. Dass Bedarf an solchen Methoden besteht, zeigt das bisherige Forum für die Begabungsförderung Heranwachsender im Internet105, dessen Arbeit ich zum größten Teil zurzeit allein bewerkstellige. Ohne täglichen und unbegrenzten Internetzugang ist diese Arbeit nicht zu gewährleisten. 2.1. Heranwachsende im Internet und ihre Gruppensozialisation Vorweg zur Erinnerung, dass Heranwachsende in einer Epoche leben, die noch nie so ‚globalisiert‘ war, wie sie heute ist. Noch sind zwar die wenigstens von ihnen mit dem Internet aufgewachsen, Internet-Generationen rücken jedoch heran. Wenn von jetzigen Heranwachsenden in der Pubertät die Rede ist, dann lässt sich mutmaßen, dass es die einen oder anderen bereits gibt, die das Internet aus der Kindheit her kennen. Doch das sind dann die Sprösslinge so genannter Netzwerkpioniere, deren Eltern bereits zu Beginn der 90iger die ersten zaghaften Schritte des beginnenden Internetzeitalters in Deutschland gegangen sind. Zum richtigen Trend wurde das 102 Platons Gorgias, 75. Kapitel, Sokrates zur Bezahlung von Belehrung, S. 154, aus Platons Dialoge, Bd. I Jungen wie Mädchen zwischen 11 und 17 Jahren aus Deutschland, Österreich und Ho-Chi-Mingh-City in Vietnam 104 Erwachsene von Mitte zwanzig bis Ende vierzig aus ganz Deutschland und Wien in Österreich 105 siehe Forum unter rasanthaus.de 103 41 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Internet in Deutschland zu Beginn des neuen Millenniums. Und wie bereits im vorangegangenen Kapitel erläutert wurde, steckt das Internet noch in einer Entwicklungsphase und Heranwachsende als Anwenderinnen und Anwender stecken mit ihm in einer solchen. Wie im ersten Kapitel deutlich geworden sein sollte, unterscheiden sich die zu betrachtenden Sozialisationshintergründe der so genannten Realen Wirklichkeit (RW) und der Virtuellen Realität (VR) bei genauer Betrachtung im soziologischen Sinn nur unwesentlich voneinander. Soziale Verhaltensweisen des Wirklichen Lebens haben auch in der Virtuellen Wirklichkeit ihre Bedeutung (z. B. die Netiquette106). Die Ursprünge für die Anforderungen des sozialen Miteinanders in der RW heben sich im Internet (VR) nicht zwangsläufig auf. Das gilt für Heranwachsende wie Erwachsene gleichermaßen. Aus diesem Grund erscheint es mir plausible zu sein, die Gruppensozialisation Heranwachsender nicht auf das eine oder das andere Phänomen begrenzen zu müssen, sondern sie nach den sechs Ursprüngen von FLAMMER, GROB und ALSAKER107 zu unterscheiden. Diese nun folgenden Ursprünge sind ursächlich dafür, dass junge Heranwachsende ihren Anforderungen im sozialen Miteinander auch im Internet gerecht werden wollen: - Ursprung der persönlichen Zielsetzungen Während in der RW sich die persönlichen Ziele mit gezielter Organisation, Planung und Aufgabensetzung an die persönliche Herausforderung verbinden und durch gezieltes Training einhergehend mit effizienter Schulung durch entsprechende Instanzen erreichen lassen, ist es in der VR nicht immer einfach, seine persönlichen Ziele konsequent verfolgen zu können. Zum einen ist das Internet als solches ein sehr unverbindliches Medium, welches einer hohen Kompetenz bedarf, die im letzten Kapitel dieser Ausarbeitung detaillierter besprochen wird, und zum anderen ist das Internet nicht so leicht überschaubar, wie der eigene persönliche Rahmen in einem mehr oder weniger gefestigten sozialen Umfeld eines Heranwachsenden. - Ursprung der informell-sozialen Anforderungen Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, ist die VR ein geschützter Ort, der dem informellen Handeln einen optimalen Spiel- und Zeitraum lässt. Informeller Austausch hat etwas Unverbindliches. Während möglicherweise in der RW informellsoziale Anforderungen fest an einem sozialen Kontext gekoppelt sind und sich Generationen voneinander abgrenzen, gilt im Internet oft die Feststellung „dass junge Heranwachsende den Erwachsenen im Internet meistens mehr Aufmerksamkeit und Vertrauen schenken, als ihren eigenen erwachsenen Angehörigen. Dass es Erwachsene, sowie Heranwachsende gibt, die das auszunutzen verstehen, ist ein zum Teil negativer wie positiver Nebeneffekt einer solchen Tatsache.“108 Negativ in so fern, dass die Gefahr, Kinder leicht locken und auf verschiedenste Weise missbrauchen zu können durchaus real gegeben ist. Andrerseits ist mit der Aufhebung generationsbedingter Abgrenzungen eine wichtige Komponente für die pädagogische Arbeit verbunden, die sich ja bekanntermaßen mit einem gesunden Maß an Nähe und Distanz besser koordinieren und steuern lässt. Heranwachsende schätzen im 106 Mandel, Thomas / van der Leun, Gerhard: „Die Zwölf Gebote des Cyberspace“ – a. a. O., S. 59ff. Grob, Alexander (Hrsg.): „Kinder und Jugendliche heute: belastet – überbelastet?“ – Das Zusammenwirken von Anforderungen, Ressourcen und Funktionsfähigkeit, a. a. O., S. 12ff 108 Bistro-Bingo.de 107 42 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Internet eine schützende informelle und doch institutionelle Instanz als Bezugsperson.109 - Ursprung der formell- oder institutionell sozialen Aufgabenstellung Bei dieser Aufgabenstellung tun sich die institutionellen Wirklichkeiten leichter als die Angebote des Internets. Die Institutionen in der RW sind verbindlicher. Sie verweisen auf Regeln, deren Nichtbefolgung u. U. eine sofortige Sanktion zur Folge haben kann. Eine solche unmittelbare Sanktionierung kann im Internet nicht gewährleistet werden. Prinzipiell steht die formelle Aufforderung der Eltern- und Lehrerschaft – sozusagen der Erstverantwortlichen und Erziehungsberechtigten – ihren Kindern und Jugendlichen Schutz im weltweiten Netzwerk zu bieten seit langem im Raum. Ein Computerprogramm allein kann keinen solchen Schutz gewährleisten. Dies erfordert ex ante soziologische Forschung und ex post sozialpädagogische Arbeit. - Ursprung der intentional-pädagogischen Anforderungen Die Initiative Schulen-ans-Netz e. V. und der Deutsche Bildungsserver bieten bereits die ersten Ansätze, intentional-pädagogische Anforderungen umsetzen zu wollen. Was meiner Meinung nach für eine solche Anforderung fehlt, ist die Rund-Um-DieUhr-Betreuung, ähnlich dem Sorgentelefon für Kinder und Jugendliche, so sollte eine solche Betreuung auch für intentional-pädagogische Anforderungen im Bildungsbereich über das Internet gelten dürfen. Wenn dies als unnötig abgetan wird mit dem Argument, dass nicht zu erwarten sein dürfte, schulische Fragen von Heranwachsenden in der Nacht mittels Internet beantworten zu müssen, dann halte ich dagegen und weise darauf hin, dass es sich beim Internet um ein globales Netzwerk handelt, welches impliziert, dass deutsche Schülerinnen und Schüler sich nicht unbedingt in Deutschland aufhalten müssen. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen helfen: Zwischen einer Austauschschülerin in Denver / USA und ihrer pädagogischen Onlinebetreuerin in Berlin besteht ein Zeitunterschied von 8 Stunden. Angenommen, diese Schülerin kommt nachmittags aus ihrer Gastgeberschule und hat ein Problem mit dem sie sich nicht an ihre Gastgeberfamilie, aber auch nicht an ihrer Heimatfamilie direkt wenden, doch dieses Problem unbedingt ansprechen möchte und sich ein unmittelbares Feedback wünscht. Erfreulich wäre dann ein intentional pädagogischer Anspruch, dieser Schülerin online zur Verfügung zu stehen. Dazu müsste jedoch während der Nacht in Deutschland ein Pädagoge bzw. eine Pädagogin mithilfe des Internets ansprechbar sein. - Ursprung der ethischen Anforderungen Es lässt sich nicht von akut oder chronisch erkrankten Schülerinnen und Schülern erwarten, dass sie den Unterricht besuchen. Denkbar ist jedoch – je nach physischer und psychischer Verfassung – den Unterricht online zu verfolgen. Wenn früher Mitschülerinnen und Mitschüler dafür gesorgt haben, dass sie einem erkrankten Schüler bzw. einer erkrankten Schülerin die Unterrichtsmaterialien nach Hause brachten, so wäre es heutzutage durchaus denkbar, dass erkrankte Schülerinnen und Schüler je nach Gesundheitszustand den Schulunterricht zumindest teilweise zuhause mittels Internet mitverfolgen könnten. 109 diese Arbeitshypothese ist Grundlage des Projektes einer gezielten Begabungsförderung Heranwachsender im Internet 43 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet - Ursprung der sozialen Anforderungen Einen wesentlichsten Bezugspunkt in der Sozialisation Heranwachsender – seien sie im Internet vertreten oder nicht – nimmt die Erstausbildung, sowie die damit verbundene bzw. geforderte sprachliche Kompetenz ein. Ist allein schon ein deutscher Bildungsanspruch im Internet zwei- oder mehrsprachig vertreten, so ist ein gewisser sozial-ethnischer Anspruch des Sitebetreibers und seiner Community bereits erkennbar. Wird zudem den Jugendlichen in der Erstausbildung die Möglichkeit geboten sich auf diesen Seiten kostenfrei fort- und weiterzubilden, so ist das Wesentlichste für die weitere Begabungsförderung junger Heranwachsender im Internet bereits vorbereitet. In einer Jugendeinrichtung in der RW, die sich aus Heranwachsenden unterschiedlicher Nationalitäten und Herkunft als Besucherinnen und Besucher zusammensetzt, ist es schließlich sinnvoll, über pädagogisch geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verfügen, die die Sprache der Jugendlichen sprechen und verstehen können. Die darüber hinaus vertretenen Anforderungen, die sich an die Gruppensozialisation stellen, richten sich auch an die Jugendkultur selbst: „Skater, Rapper und HipHopper bilden nach wie vor die so genannten Mehrheitskulturen, denen sich die meisten Kinder und Jugendlichen zuordnen bzw. die diese positiv bewerten. Während sich Skater in ihrer Freizeit bevorzugt mit Skateboards vergnügen, handelt sich bei den Rapper und HipHopper um vorwiegend an Musik interessierte Jugendkulturen. Neu zu diesen Gruppen dazu gekommen sind die Computerfreaks. Dabei ist sicherlich strittig, inwiefern bei dieser Gruppe von einer einheitlichen Jugendkultur gesprochen werden kann."110 2.2. Ausbildungsschwerpunkte Heranwachsender im Internet Kern jeder Ausbildung sollte heutzutage die Vorbereitung auf ein lebenslanges Lernen sein. Die Bildungskommission Nordrhein-Westfalens konstatierte bereits 1995, dass „jungen Menschen die Überzeugung vermittelt werden muss, dass ihre kontinuierliche Arbeit im Lern- und Bildungsumfeld ein wichtiger Teil ihres sozialen Handelns ist. Auf dieser Grundlage wird lebenslanges Lernen als Kern von Beruflichkeit, sozialem Engagement und Lebensführung zu einem 111 Grundverhalten.“ Allerdings gilt es bei diesem Postulat anmerken zu dürfen, dass erst die intensive Vermittlung von Kulturtechniken eine wesentliche Voraussetzung für das lebenslange Lernen schafft. Nur die Beherrschung solcher Kulturtechniken ermöglicht „intensives Lernen aus eigenem Antrieb (und) führt zu den Fähigkeiten und zu dem Wissen, auf deren Grundlage die Kenntnisse der Beschäftigten und der neu in den Arbeits-prozess Eintretenden mit den sich verändernden beruflichen Qualifikationsprofilen Schritt halten zu können. Es kann davon ausgegangen werden, dass angesichts zunehmender internationaler Konkurrenz dieser Faktor (des lebenslangen Lernens) an Bedeutung gewinnen wird.“112 Das Internet gibt für das intensive und lebenslange Lernen aus eigenem Antrieb reichliche Offerten.113 Viele dieser Angebote sind gratis nutzbar. Andere wiederum erlauben den Zugriff auf Lerninhalte ausschließlich durch einen zu entrichtenden Obolus.114 Unabhängig von 110 Frindte, Wolfgang: „Rechtsextremismus, Antisemitismus und akzentuierte Wertorientierungen junger Deutscher – sozialwissenschaftliche Befunde und Erklärungen“, pdf-Dokument, a. a. O., S. 38 111 Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ – Aufgaben für die Schule, 1995, a. a. O., S. 54 112 Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ – Aufgaben für die Schule, 1995, a. a. O., S. 54 113 ein kleiner Ausschnitt der Angebote findet sich im Anhang dieser Ausarbeitung 114 vgl. Kap. 3.5.1. Kommerzielle Lernhilfen im Internet 44 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet dem Nutzen der verschiedensten Lerninhalte im Internet betrachtet, bedarf es zur Ausund Weiterbildung mithilfe des Internets einer wesentlichen Schlüsselqualifikation und zwar einer soliden Lesekompetenz. Diese gilt es durch eine schulische Erstausbildung, unabhängig vom Schultyp sicherzustellen115: „Dazu gehört die Konzentration der Erstausbildung auf eine solide fachliche Grundausbildung mit einem höheren Anteil an fachübergreifenden Bildungsinhalten und dem Schwergewicht auf der Vermittlung von Schlüsselqualifikationen, Lern- und Arbeitskompetenz.“116 Ein adäquater Schulabschluss spiegelt in gewisser Weise die vermittelten Schlüsselqualifikationen wider. Je höher dieser Schulabschluss, desto eher ist zu erwarten, dass die Schlüsselqualifikationen im Umgang mit Kulturtechniken, gerade des Lesens, differenzierter ausfallen und die Aspiranten abstrakte Texte zu verstehen im Stande sind. Problematisch wird es vor allem dann, wenn kein Schulabschluss erreicht worden ist oder aber der Schulabschluss nicht die tatsächlichen Leistungen erworbener Schlüsselqualifikationen widerspiegelt bzw. widerspiegeln kann. Abb. 2.2.a: Jugend 2002 ohne Schulabschluss Abb. 2.2.b: Jugend 2002 mit Hauptschulabschluss 115 vgl. Kap. 4.1.3. Die Grundbildung Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ – Aufgaben für die Schule, 1995, a. a. O., S. 55 116 45 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Abb. 2.2.c: Jugend 2002 mit Fachoberschulreife Abb. 2.2.d: Jugend 2002 mit Fachhochschulreife Abb. 2.2.e: Jugend 2002 mit Hochschulreife Die dargestellten Diagramme sollen für sich sprechen dürfen. Das Diagramm 2.2.a soll uns allerdings davor warnen dürfen, dass vorallem die Schulverweigerung und das Schulversagen, als Ausgangshypothese für einen nicht erreichten Schulabschluss, offensichtlich mit 63 Prozent zwar die Domäne der Unterschicht ist, aber auch die Heranwachsenden der oberen Mittelschicht mit 16 Prozent einen nicht geringen Anteil am Versagen bzw. Verweigern beanspruchen. Wenn gerade die Unterschicht am stärksten von Schulabgängern ohne Abschluss bedroht ist, dann sollte hinterfragt werden dürfen, ob und wie in der praktischen Schulpolitik diese Schicht überhaupt und am besten erreicht worden ist bzw. erreicht werden kann. Ausgehend von der Annahme, dass die Unterschicht in sozialen Brennpunktbezirken überrepräsentiert ist, sei die Vermutung erlaubt, dass auch unter den Schulabschlussversagern Heranwachsende sind, die unter anderen sozialen Umständen den Schulabschluss ohne Weiteres erreicht hätten und so zu den Mitläufern der tatsächlichen Schulverweigerer gezählt werden dürften. Ich unterstelle hier eine negative Einflussnahme von hartnäckigen Schulverweigerern auf potentiell begabte Schülerinnen und Schüler, die anteilsmäßig nicht zu unterschätzen, allerdings auch schwer zu verifizieren sein dürften. Außerdem unterstelle ich auch für das Zustandekommen der Abbildung 2.2.a, dass Schulverweigerung und Schulversagen möglicherweise nicht nur mit Über- sondern auch mit Unterforderung im Schulunterricht einhergehen kann. Die Diskussion über den Sinn und Zweck einer frühzeitigen Orientierung der Heranwachsenden sich im Kindesalter für einen entsprechenden Schultyp entscheiden zu müssen, wobei die letzte Entscheidung dann eh von den Erziehungsberechtigten getroffen wird, bekäme in meiner Unterstellung wiederholt Nahrung. Gingen 1966 mehr als 2 Millionen Schüler auf die Hauptschule, so entsprach das 50 Prozent aller Sekundarschüler. Dagegen gab es 760.100 Schüler (16 Prozent aller Sekundarschüler) in den Realschulen und 1,2 Millionen die aufs Gymnasium gingen 46 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet (28 Prozent). 117 Das Gymnasium als Ausbildungsschwerpunkt rangierte dementsprechend auf dem zweiten Platz. Eigentlich sollten schon seit 1971 „Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien schrittweise zu einem Gesamtschulsystem zusammengefaßt“ worden sein, „als deren Kern die integrierte Gesamtschule angesehen“ 118 werden sollte. Vorgesehen war auch ein Abitur (Abitur I) nach 10 Jahren Schule.119 Das Bildungssystem hat sich allerdings in den vergangenen 30 Jahren nicht in diese Richtung bewegt. Bewegung in die Bildungspolitik und vor allem in die Ausbildungsschwerpunkte käme dabei vor allem durch eine intensivere und interaktivere Nutzung 120 der Neuen Medien in den nächsten Jahren, weil das Internet mehr und mehr zu einem Medium heranreift, das in allen sozialen Schichten zu finden und dem entsprechend bald eine gewisse Familiennähe zugeschrieben werden darf. Das Internet könnte somit ein ‚virtuelles Gymnasium‘ für alle schaffen und möglicherweise gar bildungsferne Milieus erreichen, denn „als das Schulwesen sich bemühte, das Gymnasium für Kinder aller sozialer Schichten zu öffnen, zeigte sich bald, dass Kindern aus bildungsferneren Milieus, gemessen am Bildungsstatus der Eltern, oft die Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen in diesen Schulen fehlten. Daher wandte sich die Forschung bald den Prozessen innerhalb der Familie zu, von denen die Entfaltung von Neugier, das sprachliche Ausdrucksvermögen, das Verhalten gegenüber Problemen und die Ausdauer bei der Auseinandersetzung mit Schwierigkeiten auf Seiten der Kinder, beeinflusst werden. Die Familie wurde als der Ort angesehen, an dem Sinnvorstellungen und Werte ebenso wie allgemeine Lebens- und spezifische Arbeitsplatzerfahrungen an die nächste Generation herangetragen und in psychische Dispositionen umgesetzt werden.“ 121 Das Internet könnte sozusagen als ‚schlaues und alles wissendes Familienmitglied‘ gelten und somit auch bildungsfernere Milieus erreichen. Der allgemein festzustellende Trend, dieses sozialwissenschaftliche Phänomen durch Elitenbildung vorantreiben zu wollen, verkehrt nahezu die Untersuchungen einer solchen Familienforschung. Die Kritik und vor allem die Misserfolge des beschriebenen innerfamiliären Forschungsversuchs werden ernüchternd auf weiteren Seiten von GRUNDMANN u. a. beschrieben und analysiert. Als Folge eines solchen Trends geht eine schrittweise Disqualifizierung von höheren Schulbildungsbereichen einher. Schon zu Beginn der 80iger Jahre des letzten Jahrtausends war „aus dem Kreis unserer Kultusminister zu vernehmen: Ein Abitur kann nicht mehr als Beleg für die allgemeine Hochschulreife, sondern lediglich als Nachweis für einen Gymnasialbesuch gelten.“122 Ausbildungsschwerpunkt der Begabungsförderung Heranwachsender im Internet könnte daher sein, den Bildungsstatus der Eltern und Lehrer immer wieder selbst überbieten und vielleicht auch herausfordern und somit fördern zu können, weil „Familien jeden Bildungsstatus und mit Kindern, die verschiedene Bereiche des 117 Schäfer, Hans-Peter: „Europäische Bildungssysteme zwischen Tradition und Fortschritt“ – Bundesrepublik Deutschland, a. a. O., S. 33ff. 118 ebd. S. 38 119 ebd. S. 38 120 Kluba, Markus: „Massenmedien und Internet“, a. a. O. 121 Grundmann, Matthias / Huinink, Johannes / Krappmann: „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“ – Familie und Bildung, Empirische Ergebnisse und Überlegungen zur Frage der Beziehung von Bildungsbeteiligung, Familienentwicklung und Sozialisation, a. a. O., zitieren auf S. 43 Oevermann, 1976: „Familienerziehung, Sozialschicht und Schulerfolg“, 1971 122 Göbel, Uwe / Kollenberg, Udo / Pieper, Ansgar / Schlaffke, Winfried: „Das Jugendsyndrom“ – Mut zur Technik – Vertrauen in die Zukunft, a. a. O., S. 48 47 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Bildungswesens besuchen, (jedoch) erleben, dass die Bildungswege verstopft sind, die Übergänge in Ausbildung und Beruf problematisch, dass Schulen zu Orten von Stress und psychischen Fehlentwicklungen werden können, dass die Schulen auf besondere Problemlagen kaum einzugehen vermögen und auch praktische Probleme im Verhältnis zu den Bildungsinstitutionen das Familienleben belasten.“123 Die Schule der Zukunft, wie der Gegenwart, die die wesentlichen Eckpfeiler für kommende Ausbildungspunkte setzen sollte – allein schon aus historischer Verantwortung heraus – muss wieder zu einem Ort werden dürfen, der Ruhe, geistigen, moralischen und physisch-emotionalen Ausgleich in die Lebenswelt der Heranwachsenden zurückzubringen vermag. Denn auf lange Sicht „(...) kann es nicht zufrieden stellen, wenn insgesamt ein Fünftel der Jugendlichen sich in der Schule explizit unwohl fühlt.“124 Wobei „Studien wie die von SYDOW, WAGNER, JÜLICH & KAUF (1999) belegen, dass ein Zusammenhang besteht zwischen der besuchten Schulform und dem subjektiven Wohlbefinden der jeweiligen Schülerinnen und Schüler.“ 125 Unabhängig von der Schulform sollten wir uns an GOETHE erinnern dürfen, der postulierte, dass Schulen Orte sein sollten, an denen die Kinder mit ‚Wurzeln und Flügeln‘ ausgestattet würden. Diese Diskussion um Veränderungen an der Schule und sein Wesen an dieser Stelle weiterzuführen, würde jedoch am Thema der Begabungsförderung vorbeiführen und darf auch nicht ausschlaggebender Inhalt für die Begabungsförderung Heranwachsender im Internet sein. Die Ausbildungsschwerpunkte für Heranwachsende im Internet sollten egalitär für alle Rezipienten zu entwickeln sein, wobei jedoch die Rezipienten eines geschulten selektiven Bewusstseins bedürfen, mit welchem Schwerpunkt sie sich herausgefordert sehen wollen und mit welchem nicht. Das ist auch mit ein wesentlicher Grund, warum ich in meiner Zusammenstellung der unterrichtlichen Inhalte auf meiner Internetplattform zur Begabungsförderung Heranwachsender126 keine Trennung hinsichtlich des Schultyps unternommen habe. Die Ausbildungsschwerpunkte dieser Plattform sind gemäß eines zu erreichenden Schulabschlusses gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern interaktiv und in dialektischer Form entwickelt worden, so dass in einigen Fällen der angestrebte Schulabschluss auch mithilfe dieser Plattform durch die Schülerinnen und Schüler erfolgreich gemeistert worden ist. Diese Plattform der Begabungsförderung stellt sich somit den Anspruch, den Schulunterricht ergänzen und nicht ersetzen zu wollen. Im Vorder- und Fördergrund steht in erster Linie die heranwachsende Person selbst, die ihre Begabung für die Erstausbildung mithilfe des Internets ausbilden oder erweitern möchte, wobei sich die Erstausbildung aus den gewünschten Schul- und Berufsabschluss als Zugangsqualifikation für den Ersten Arbeitsmarkt zusammensetzen soll. Was den zu erreichenden Schulabschluss angeht, da zeigte sich die Jugend 2002 nach Auskunft der Deutschen SHELL von einer optimistischen Seite. Die Werte, sich relativ sicher zu sein, den angestrebten Schulabschluss zu erreichen, liegen bei allen Schülerinnen und Schülern, unabhängig von der besuchten Schule bei 80 Prozent 123 Grundmann, Matthias / Huinink, Johannes / Krappmann: : „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“ – Familie und Bildung, Empirische Ergebnisse und Überlegungen zur Frage der Beziehung von Bildungsbeteiligung, Familienentwicklung und Sozialisation, a. a. O., S. 91 124 Deutsche Shell (Hrg.) / Hurrelmann, Klaus / Linssen, Ruth / Leven, Ingo in Arbeitsgemeinschaft mit Infratest Sozialforschung: „Jugend 2002“ – Wachsende Ungleichheit der Zukunftschancen?, a. a. O., S. 73 125 ebd. S. 73 126 vgl. www.rasanthaus.de/lehrer/main/subjects.hmtl 48 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet und oftmals darüber. Die nachfolgende Grafik verdeutlicht dies auf wie ich finde beeindruckende Weise. Abb. 2.2.f: Jugend 2002: eigene Einschätzungen zum Erreichen des angestrebten Schulabschlusses Schenkt man dieser Grafik 2.2.f Aufmerksamkeit, so läge der Schluss nahe, dass unter denjenigen, die dann an dem Prinzip Schule letzten Endes durch einen nicht erreichten Schulabschluss scheitern, ein gehöriger Anteil von ambitionierten Schülerinnen und Schülern zu finden sein dürfte. Als Quintessenz hieße dies, dass das Ambitionierende an der Schule selbst für die am Schulabschluss gescheiterten Heranwachsenden nicht als ein wesentlicher Ausbildungsschwerpunkt galt oder nur unzureichend zum Tragen gekommen war. Kurzum: Schule hätte seinen Auftrag, auf Heranwachsende lernmotivierend zu wirken in einer solchen Hinsicht verfehlt. Das mag nicht unbedingt an der Schule selbst, sondern die Gründe könnten diversifizierter sein und zum Beispiel auch in der Allokationsfunktion der jeweiligen Schule liegen. Ein gefährlicher Schulweg zum Beispiel, in dem Sinne, dass für den Schüler bzw. der Schülerin auf dem Schulweg ‚unüberwindbare Gefahren‘ lauern (zum Beispiel durch erpressende und gewalttätige Mitschülerinnen und Mitschüler), könnte ein solcher Störfaktor bei der Standortfunktion einer Schule sein. Genauso könnten auf dem Schulweg verführende Hindernisse liegen, die den Schülerinnen und Schülern es leicht machen, den Schulweg zu unterbrechen oder gar ganz auszusetzen (z. B. Internetcafés). Dies wären Herausbildungsschwerpunkte bei der ‚Allokationsfunktion Schule‘ der besonderen, wenn auch nicht unbedingt seltenen Art in den Standortdiskussionen. Solche inhaltlichen Diskussionsschwerpunkte würden sich in der Begabungsförderung Heranwachsender im Internet gar nicht erst herausbilden können. Heranwachsende sehen sich konfrontiert mit der Tatsache, dass ein gelungener Schulabschluss nicht gleichbedeutend sein muss, auch einen adäquaten Job zu finden. Ausgehend von der Hypothese, dass die berufliche Zukunftsperspektive einen wesentlichen Antrieb zum erfolgreichen Schulabschluss bietet, wurden in der Studie der DEUTSCHEN SHELL 2002 Schülerinnen und Schüler befragt, wie sie ihre beruflichen Perspektiven nach ihrem erfolgreichen Schulabschluss einschätzen. Wie die untenstehende Abbildung 2.2.g verdeutlichen soll, blickt die Mehrheit optimistisch in die Zukunft... 49 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Abb. 2.2.g: Jugend 2002: eigene Zuversicht zu Abb. 2.2.h: Jugend 2002: eigene Einschätzungen den Jobaussichten nach erreichtem Schulabschluss zum Erreichen des angestrebten Berufswunsches ...und die Selbstsicherheit der befragten Jugendlichen, dass ihre beruflichen Wünsche in Erfüllung gehen werden, ist laut dieser Studie von einem beruhigenden Optimismus geprägt. Bei aller Ausprägung von Selbstsicherheit der Schülerinnen und Schüler, der Auszubildenden und Studierenden, so stellen ihre Ausbildungsschwerpunkte Anforderungen, die sich nicht an einer solchen Selbstsicherheit messen lassen, sondern rigide Lernvorgaben an die Heranwachsenden darstellen. GROB formuliert die Frage bezüglich solcher Anforderungen an Ausbildungsschwerpunkte in einer alternativ gestellten Frage: „Kommt es auf die Quantität der Anforderungen an oder erzeugen bestimmte Kombinationen höhere Belastungen und entsprechende Auswirkungen als andere?“127 Eine solche Fragestellung dient hier eher als Anregung und die dazu passenden Antworten finden sich zu tief verzweigt in den Lehrplänen der einzelnen Gremien auf deutschen Landesebenen, als dass sie sich an dieser Stelle eingehender untersuchen ließen. Ein Verweis auf die Fußnote 22 sollte hier genügen dürfen. Eines meiner Meinung nach der wesentlichsten Ausbildungsschwerpunkte für Heranwachsende dürfte darin bestehen, vor allem den naturwissenschaftlichen Bereich einer ‚neuen Aufklärung‘ zu unterziehen und auch nach GÖBEL u. a. kommt es stark darauf an, dass bezüglich der Technologieentfremdung durch übertreibende kulturpessimistische oder -optimistische Kritiker eine „Gegenaufklärung“ zur „Aufklärung“ im naturwissenschaftlichen Bereich erfolgen muss. Dafür schlagen GÖBEL und andere128 drei Ebenen einer solchen Aufklärungsarbeit vor: - philosophisch-anthropologische Grundlagen langfristige Bildungs- und Informationsarbeit kurzfristige und praktische Aktivitäten Diese drei Ebenen halte ich für die wesentlichsten Ausbildungsschwerpunkte und das nicht nur auf naturwissenschaftlicher Grundlage, da diese drei Ebenen sich auf einer Plattform im Internet installieren und administrieren lassen. Zur Förderung auf allen drei Ebenen sollte es oberstes Ziel sein, dass die Erziehung oder noch besser, 127 Grob, Alexander (Hrsg.): „Kinder und Jugendliche heute: belastet – überbelastet?“ – Das Zusammenwirken von Anforderungen, Ressourcen und Funktionsfähigkeit, a. a. O., S. 14 128 Schlaffke, Winfried: „Das Jugendsyndrom“ – Mut zur Technik – Vertrauen in die Zukunft, a. a. O., S. 49 50 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet die Entwicklung der Heranwachsenden zum Erwachsensein nicht auf die ‚Erziehung zur Animalität‘ herabsinkt: „In polemischer Zuspitzung bezeichnete NIETHAMMER – HUMBOLDTS Kollege als Organisator des bayrischen höheren Schulwesens – ‚Industrie und Gewerbefleiß‘ als die Mächte, denen sich die Erziehung nicht verpflichten könne, ohne auf das Niveau einer ‚Erziehung der Animalität‘ herabzusinken. Was sich in der Richtung auf Industrie- und Gewerbefleiß äußere, sei die Forderung realer Nützlichkeit; reale Nützlichkeit aber heiße Einträglichkeit, materielle Produktion. Wahre Humanität, ‚cultura animi‘, indes könne sich nur abseits dieser Arbeits- und Produktionswelt recht entfalten. Schule und Bildung seien daher von ihr fernzuhalten.“129 Dieses Postulat hat in entsprechender Weise auch unter gewissen Vorbehalten bei der Begabungsförderung Heranwachsender im Internet zu gelten. NIETHAMMERS Forderung, Schule und Bildung von der Arbeits- und Produktionswelt fernhalten zu wollen, verstehe ich hier nicht als eine Aufforderung, weltfremde Schulung und Bildung Heranwachsenden zukommen zu lassen, sondern als eine Warnung für das komplexe Bildungssystem, die Lehrpläne nicht explizit den Erfordernissen der Industrie und des Gewerbes anzugleichen. Die Inhalte von Industrie und Gewerbe sollten sich auf die dritte Ebene der Aufklärungsarbeit nach GÖBEL beschränken dürfen. Viel mehr als eine kurzfristige und praktische Aktivität im ‚Lehrplan des Lebens‘ sollte die Industrie und das Gewerbe bei der Erziehung Heranwachsender nicht sein brauchen, weil erstens Industrie, als auch Gewerbe selbst ein relativ kurzfristiges Handeln erledigen und zweitens Heranwachsende auch außerhalb der Schule mit Industrie und Gewerbe bereits einige Erfahrungen allein schon als Verbraucherinnen und Verbraucher sammeln. Die Ausbildungsschwerpunkte der Begabungsförderung Heranwachsender im Internet dürfen in diesem Sinne nicht zu einer einseitigen Herausforderung an rein ökonomischen Zielen, ob diese nun volks- oder betriebswirtschaftlich orientiert sind, gesetzt werden. Im Gegenzug darf nun auch nicht Begabungsförderung als eine durchweg interdisziplinäre Bildungsaufgabe angesehen werden, vor allem, wenn Interdisziplinarität im Sinne eines multitasking-funktionalen Anspruchs an die Heranwachsenden gestellt wird, weil „einige Jugendliche zum Beispiel recht viele Aufgaben gleichzeitig auf sich nehmen können und von ihrer Umgebung darin unterstützt werden, während andere weniger auf einmal verarbeiten können und auch weniger mit der Hilfe von anderen rechnen können.“ 130 Ein wichtiger Ausbildungsschwerpunkt für die Begabungsförderung ist somit auch die Begabung jedes einzelnen an sich. Die Erläuterungen zum Begabungsbegriff sind im ersten Kapitel vorausgegangen und sollten bei der Schwerpunktsetzung der Förderung nicht ungeachtet bleiben. Beachtet werden sollen vorhandene, wie nicht vorhandene Ausbildungsschwerpunkte im Internet. In diesem und im vierten Kapitel dieser Ausarbeitung finden sich weitere Beispiele an Bildungsangeboten im Internet, wobei in Kapitel 4.2. die Problematik des Lernens stärker hervorgehoben ist als in den nachfolgenden Kapiteln. 129 Göbel, Uwe / Kollenberg, Udo / Pieper, Ansgar / Schlaffke, Winfried: „Das Jugendsyndrom“ – Mut zur Technik – Vertrauen in die Zukunft, a. a. O., S. 44 130 Grob, Alexander (Hrsg.): „Kinder und Jugendliche heute: belastet – überbelastet?“ – Ressourcen, a. a. O., S. 15 51 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet 2.2.1. Der Deutsche Bildungsserver (DBS) Der Deutsche Bildungsserver (DBS) ist ein zentraler Wegweiser und eine gemeinsame Kommunikationsplattform für das deutsche Bildungsnetz. 131 Aus dem weit verzweigten Netzwerk der DBS, dem auch die Initiative „Schule ans Netz“ e. V. angeschlossen ist, habe ich ein paar exemplarische Verbindungen herausgesucht, die auf den ersten Klick für einen Schüler bzw. eine Schülerin meiner Meinung nach unter sozialisations- und lerntheoretischen Aspekten interessant sein dürften. Unter dem Verweis „Schülerinnen / Schüler“ des Deutschen Bildungsservers ist als erste die Site Schulweb gelistet. Sie ist dreisprachig aufgebaut (Russisch, Französisch, Englisch) und in fünf Rubriken gegliedert: Schulen, Schulangebote, Service, Kommunikation und Information. Unter der Rubrik Schulen sind neben Deutschland die Länder Österreich und die Schweiz, sowie eine Rubrik unter der Bezeichnung weltweit gelistet. Eine deutsche Landkarte kartografiert die 16 Bundesländer und die neun Anrainerstaaten Dänemark, Polen, Tschechien, Österreich, Schweiz, Frankreich, Luxemburg, Belgien und die Niederlande. Per Mouseclick findet sich unter jedem kartografierten Land ein Verzeichnis mit Adressen und weiteren Verweisen von deutschen Schulen im In- und Ausland. Ebenfalls kartografiert ist auch der Link Österreich und seine zehn österreichischen Bundesländer, als auch der Link für die Schweiz mit ihren 23 Kantonen und der Link weltweit mit seinen sieben Kontinenten. Unter dem Link Schulangebote finden sich ein Schülerzeitungen-Verzeichnis, ein Schülerwebradio- und ein Klassenfahrten-Verzeichnis, ein Schulmaterialien-Verzeichnis und ein Schulwebring-Verzeichnis, welches ein freiwilliger Zusammenschluss von Web-Sites eines gemeinsamen Themas zu einem so genannten ‚Ring‘ darstellt. Jeder Teilnehmer am ‚Ring‘ verweist auf seine Nachbarn, und diese verweisen auf ihn. Der SchulWeb-Ring ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Schulen im Internet. Jeder Klick auf den durch vier miteinander vernetzten Schulhäusern symbolisierten Ring führt zur nächsten am Ring teilnehmenden SchulHomepage. Zum jetzigen Zeitpunkt befinden sich in dem werbefreien Webring von Schulweb 388 vernetzte Schulen mit eigenen Homepages (Stand: 26.11.2006 22:14). Neben vielen Features wie Kontaktbörse enthält die Website eine umfangreiche Mailingliste, Linktipps für die Schule, Fragen und Antworten zur Berufs- und Studienwahl in Zusammenarbeit mit dem Berliner und Brandenburgischen Bildungsserver, Onlineberatung bei Fragen zu Schule, Familie, Partnerschaft, Drogen und Medikamente, Computerhilfen für Webteams in der Schule, Medien und Kultur, sowie Treffpunkte für Schüler in Zusammenarbeit mit dem Jugendserver des Bundes und der Länder, als auch Jugendportale. Entertainment im Rock & Pop-, Hardrock und Heavy-Metal-, Film-, HipHop-, DJ-, DVD- und Gewinnspielbereich, Webseiten mit Schülerwettbewerbs-, Veranstaltungsangeboten und ein Verzeichnis mit verlinkten Institutionen, aufgeteilt in die Bereiche Schule (Landesinstitute, Bildstellen und Medienzentren, Studienseminare, Bibliotheken, Dokumentationen und Museen), Politik und Verwaltung (Ministerien, Wissenschaftsministerien in deutschsprachigen Ländern, Ministerien für Schule, Kultur oder Wissenschaft der deutschen Länder, Ministerien, Behörden Parteigremien, Verbände und Gewerkschaften, internationale Institutionen), sowie weitere Institutionen (Stiftungen 131 http://www.bildungsserver.de/ 52 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet und Förderinstitutionen, pädagogische Verlage und Medienanbieter, nicht-staatliche Bildungsanbieter und sonstige Institutionen im Bildungsbereich). Ansprechend für Schülerinnen und Schüler ist „Klassenarbeiten.net“ bzw. „Klassenarbeiten.de“ aufgebaut. Auf den Kontaktseiten dieses Auftritts wird klargestellt, wer sich zu den Pionieren von Klassenarbeiten im Internet zählen darf: „René und ich132 haben im Jahr 2000 die ersten kostenlosen Klassenarbeiten und Referate online gestellt.“ Sechs weitere Schülerinnen und Schüler arbeiten an diesem auf dem ersten Blick gelungenen Auftritt aus Gomaringen für den Rest des globalen Dorfes namens Internet.133 „Du suchst Hilfe bei deinen Hausaufgaben?“ heißt es im einleitenden Text bei Schoolwork.de.134 Etwas weiter unten finden sich unter dem Titel „Herbst-Wahnsinn“ zwei Ausarbeitungen von ‚Lisa‘, die sich mit dem ersten Schritt der Proteinbiosynthese und der Synthese von t-RNA und r-RNA, also der Transkription und der Translation, der eigentlichen Proteinbiosynthese im Fach Biologie auseinandersetzt. Und es findet sich direkt unter der Translation der Titel: „Ein Kind töten“. Als ich die untenstehende Einleitung: „Es ist ein leichter Tag, und die Sonne steht schräg über der Ebene. Bald läuten die Glocken, denn es ist Sonntag. Zwischen ein paar Roggenäc...“ las, wurde ich neugierig und klickte auf ‚mehr‘. Ich bekam einen Text von STIG DAGERMAN (1947)135 namens „Ein Kind töten“ zu lesen. Dort erzählt DAGERMAN aus der Perspektive dreier unterschiedlicher Darsteller und sozialer Gruppen in jeweils ihrem eigenen Interaktionskontext einen Handlungsablauf an einem Sonntagmorgen, irgendwo auf dem Lande, der einem Mädchen zum tödlichen Verhängnis werden wird. Immer wieder verweist der Erzähler bei seinen Beschreibungen der Handlungsabläufe darauf, dass an diesem Tag in wenigen Momenten ein Kind getötet werden wird. Und zwar ein ganz bestimmtes. Wie beiläufig arbeitet der Autor DAGERMAN einen Spannungsbogen auf, allein dadurch, dass er bewegliche und unbewegliche Momente des Glücks aller in dem Plot Erwähnten ausleuchtet und gelegentlich den Verweis auf ein kommendes Unglück einstreut. Ich, als Leser, glaubte während des Lesens, dass dieses Kind ermordet werden würde; denn DAGERMAN ließ im Glauben, es könnte so passieren. Doch dann kam alles anders und es stellte sich heraus, dass dieses Kind überfahren wird.136 Die Site Schoolwork.de ist interessant, spannend und zugleich benutzerfreundlich. Im linken Benutzerrahmen (Frame) findet sich ein gut verteiltes Navigationsmenü der einzelnen Schulfächer (Biologie, Chemie, Deutsch, Englisch, Eurythmie, Französisch, Geschichte, GMK, Kunst, Latein, Mathe, Musik, Philosopie, Physik und Religion). Das besonders Benutzerfreundliche von Schoolwork.de sind die Untermenues der einzelnen Fächer, die nicht erst angeklickt werden müssen, sondern sich in einem kleinen Fenster nebst des Fachbegriffes von selbst erschließen lassen (zum Beispiel Biologie: Anthropologie, Cytologie, Die Zelle, Evolution, Genetik, Krankheiten, Mikrobiologie, Nerven, Ökologie), sobald der Mousezeiger die Nähe eines Schulfaches erreicht. Auf dem ersten Klick ist der Stoff in Biologie gut gegliedert und geht immer weiter in die Tiefe. Am Thema angekommen, erwartet den Lernenden 132 Michael Hicke aus Gomaringen zeichnet sich im Impressum für klassenarbeiten.net verantwortlich http://www.klassenarbeiten.de/seiten/kontakt.htm, Stand: 16.09.2005 22:43 134 http://www.schoolwork.de/, Stand: 18.09.2005 11:53 135 „The Burnt Child“ von dem schwedischen Schriftsteller Stig Dagerman, geb. 25.10.1923 in Alvkarleby, gest. 4.11. 1954 in Enebyberg, Schweden 136 http://www.schoolwork.de/kurzgeschichte/kind_toeten_dagerman.php, Stand: 18.09.2005 12:12 133 53 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet eine bebilderte Lektion. Schoolwork.de stellt meiner Meinung nach ein besonders gelungenes Beispiel für die Sozialisation junger Heranwachsender im Internet dar. ‚OnlineMathe – Hilfe im Internet‘ ist ein kostenlos nutzbares Forum für Schülerinnen und Schüler, die Fragen in Mathematik haben. Das Forum wird laut Impressum von OnlineMathe.de durch die WP W ISSENSPORTAL GMBH in München betrieben und zeigt, dass es möglich ist kostenlose Begabungsförderung auch unter kommerziellen Gesichtspunkten betreiben zu können. School2000.de besteht aus fünf Rubriken. Verantwortlich für die Rubriken „Community, Schule, Kostenloses, Partnerseiten und Surftipp“ ist laut Impressum, die AK HANDELSGESELLSCHAFT mbH Frankfurt an der Oder. Das Schülerforum findet sich unter der Rubrik Community. Zum Zeitpunkt der Recherche137 fanden sich 256 Themen zu Hausaufgaben, Referate, Facharbeiten, Biographien und Klausurvorbereitung.138 Wer allein im Internet nicht weiter kommt, oder wie es bei School2000 heißt: „Hast du schlechte Noten in der Schule, erklärt der Lehrer so, dass du es nicht verstehst oder hast du andere Dinge im Kopf und einfach keine Lust mehr auf Schule?“139 , der findet eine Datenbank mit derzeitig 58 Nachhilfelehrern vor. Besonders bedienerfreundlich zeigt sich, dass die Suche nach einem geeigneten Nachhilfelehrer einen örtlichen Bezug hat. Die Suche geschieht mit Eingabe der Postleitzahl und orientiert sich am Schulfach, welches vom Anwender bzw der Anwenderin aus einem Drop-Down-Menue ausgewählt werden kann. Im Fach Mathematik unter meiner Postleitzahl fand ich vier Einträge von Nachhilfelehrern. Lehrer können sich in eine Datenbank eintragen und dadurch Nachhilfe anbieten. Eintragen in die Datenbank können sich Nachhilfelehrerinnen und -lehrer entweder unter privaten Voraussetzungen (müssen jedoch als ‚Communitymitglieder‘ eingetragen sein) oder aber unter kostenpflichtigen, gewerblichen Geschäftsbedingungen. 2.2.2. Schulen ans Netz e. V. Schulen-ans-Netz.de ist ein Verein, der „durch konkrete Online-Hilfen Lehrerinnen und Lehrer bei der Arbeit mit den Neuen Medien unterstützt“ 140 und dafür verschiedene Internet-Dienste und -Plattformen anbietet. Zum einen die Plattform Lehrer-Online (www.lehrer-online.de), die sich als ein aktueller Online-Dienst für Lehrende versteht: „Hier stellt Schulen ans Netz e.V. ein umfangreiches, individuell zugeschnittenes, fach- und schulbezogenes Portal mit Service-Angeboten für die Unterrichtsvorbereitung und -praxis vor. Im Mittelpunkt von Lehrer-Online stehen die Neuen Medien sowie das Aufzeigen von Strategien zu einer sinnvollen Nutzung und ihrem Einsatz innerhalb des Unterrichts.“141 Schulen ans Netz hält auch speziell Angebote für weibliche Lehrkräfte parat: „LeaNet (www.leanet.de) steht für ‚Lehrerinnen-Angebot im Netz‘ und bietet neben zahlreichen Informationsangeboten eine nur Frauen vorbehaltene Diskussions-, Lern- und Arbeitsplattform. LeaNet richtet sich insbesondere an Lehrerinnen und Referendarinnen. Über die Anmeldung erhalten alle LeaNet-Mitglieder automatisch einen kostenlosen E-Mail-Account sowie den Zugang zu allen Angeboten und Arbeitsbereichen.“142 137 Stand: 18.09.2005 13:59 http://www.school2000.de/community/pinnwand/index.php?pinnwand=21&thema=008232&seite=1 139 http://www.school2000.de/schule/nachhilfe/, Stand: 19.09.2005 09:43 140 HP Schule-ans-Netz.de, Verweis: „der Verein Schulen ans Netz“, Stand: 19.09.2005 10:08 141 ebd. 142 ebd. 138 54 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Speziell an Mädchen und junge Frauen richtet sich die Schulen-ans-Netz-OnlinePlattform LizzyNet (www.lizzynet.de) – Schülerinnen im Netz: „Neben Angeboten, mit der Cyberwelt zu kommunizieren und zu spielen, finden Schülerinnen Informationsund Lernplattformen, die Computer-, Berufs- und Lebenswelten aus dem Blickwinkel von Mädchen und jungen Frauen betrachtet. Das Projekt richtet seine Angebote sowohl an Anfängerinnen als auch an ‚Internet-Profis‘ und bietet innovative Möglichkeiten für die selbst bestimmte Nutzung und Gestaltung des Internets.“143 Als Informationsplattform rund um die Themen Schule, PC und Internet versteht sich die Homepage des Vereins: „Die Homepage von Schulen ans Netz e.V. ist Kommunikations- und Informationsmedium für die Initiative. Hier finden Interessenten aktuelle Meldungen aus dem Schulumfeld, Neuigkeiten zu den laufenden Aktionen sowie Hintergrundinformationen zu den Arbeitsbereichen von Schulen ans Netz e.V. Ein monatlicher Newsletter bringt den Abonnenten die neusten Meldungen der Schulen ans Netz e.V.-Webseiten nach Hause.“144 Die Betreiber der Site mit Sitz in Bonn vertreten durch den geschäftsführenden Vorstand RALF MÜNCHOW lassen auch wissen, dass zwar „die Ausstattung der Schulen mit einem Internetzugang nunmehr erfolgreich abgeschlossen ist“, jedoch nun aber ein „mit möglichst wenig Aufwand verbundenes IT-Management im Mittelpunkt stehen muss“, das den „Schulen die interne Vernetzung und ein auf Dauer angelegtes und für den Schulalltag“ nutzbaren Internetzugang sichern kann. Die Vermittlung von Unterrichtsinhalten per PC und Internet soll den Lehrkörpern so anwendungsfreundlich wie nur möglich gestaltet werden. Unterstützt werden sollen bundesweit Lehrkräfte von so genannten ‚Weblotsen‘, die in Schulen „kostenfrei und praxisnah in die Nutzung unserer Online-Dienste sowie weiterer lehrerrelevanter Angebote im Internet einführen“. 145 Schulen ans Netz e. V. verfügt über Visionen und will „innovativen Ideen, Erkenntnisse und Lösungen rund um den Einsatz der neuen Medien im Unterricht eine bundesweite Plattform bieten und Möglichkeiten und Visionen für Schule im digitalen Zeitalter aufzeigen.“ Redundant bei der Vorgabe ‚innovativ zu sein‘ und ‚Visionen zu haben‘ ist dabei auch der Blickwinkel über den Tellerrand hinaus. Schulen ans Netz stellt sich dieser Herausforderung im ‚Bereich Internationales‘ unter Bezugnahme des lifelonglearnings: „In der globalisierten Gesellschaft hat sich auch der Bezugsrahmen für das Lernen erweitert. Neue Inhalte verändern die Curricula. Gleichzeitig bieten die modernen Kommunikations- und Informationstechnologien Chancen für einen Wandel der Lernkulturen. Die weltweite Vernetzung ermöglicht ein Lernen über die Grenzen hinweg. Allgemeinen Zugang zu den Neuen Medien zu schaffen, ist daher eine zentrale bildungspolitische Aufgabe. Weitere Schritte sind die Vermittlung von Medienkompetenz und die transnationale Vernetzung. Um das Von- und Miteinanderlernen nachhaltig zu fördern, hat sich der neu gegründete Arbeitsbereich Internationales das Ziel gesetzt, Dialog und Zusammenarbeit über und mit den Neuen Medien zu fördern.“146 143 HP Schule-ans-Netz.de, Verweis: „der Verein Schulen ans Netz“, Stand: 19.09.2005 10:08 ebd. 145 ebd. 146 ebd. 144 55 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Grundsätzlich lässt sich von den hier aufgeführten Beispielen, die Sozialisation Heranwachsender online zu fordern und zu fördern Folgendes als Voraussetzung zusammenfassen, was bereitgestellt werden muss: - erstellte Lehr- und Lernanforderungen allgemein zugängliche Lehr- und Lernangebote spezifisch zugänglich Lehr- und Lernangebote Ausrichtung der Lehr- und Lerninhalte interaktive Anwendungsmöglichkeiten Navigationsbedingungen im Lehr- und Lernangebot 2.3. Sozialisationsverhalten Heranwachsender im Internet Das Sozialverhalten untersucht ceteribus causus gruppenorientierte Interaktionen mit der Umwelt (also das Verhalten eines Individuums in einer Gruppe eines bestimmten gesellschaftlichen Kontextes), während sich das Sozialisationsverhalten ceteribus causus mit dem Individuum in Interaktion mit sich und der Umwelt – und vor allem deren sozialen Verzweigungen und Vernetzungen – als auch mit Betrachtung auf den biografischen Kontext als Untersuchungsgegenstand auseinandersetzt (durchaus auch außerhalb einer sozialen Gruppe, wie zum Beispiel ROBINSON CRUSOE aus DANIEL DEFOEs gleichnamigen Roman). Im Sozialisationsverhalten Heranwachsender soll im Folgenden der Umgang mit dem Internet als Untersuchungsgegenstand und gesellschaftlicher Kontext betrachtet werden. 2.3.1. Das Internet als Mittel sozialer Kommunikation und Interaktion Zunächst einmal ist das Internet bisher zum größten Teil ein Informationsmedium. Die Informationssuche der Anwenderinnen und Anwender geschieht häufig über so genannte Suchmaschinen, die nach Eingabe eines Suchbegriffes Webseiten mit diesen Begriff(en) als Inhalt aufstöbern können. Die Tätigkeit ‚googlen‘ hat Einzug in die deutsche Sprach-Enzyklopädie gehalten. Gemeint ist damit, die Suchmaschine GOOGLE im Internet, um mithilfe von Einträgen Informationen zu finden. Gebe ich bei GOOGLE meinen Vor- und Nachnamen ein, erziele ich ungefähr 763.000 Treffer. Unter anderen Personen mit dem gleichen Namen ist auch meine eigene Person gleich unter den ersten Treffern zu finden. GOOGLE entwickelt sich zunehmend zum Global Player und bietet im internationalen Wettbewerb der Internet-Service-Provider dem Giganten MICROSOFT die Stirn. Zurzeit besticht GOOGLE den Markt mit einer Internet-Revolution namens GOOGLE-EARTH. Dieses Programm ermöglicht am heimischen Rechner unter der Voraussetzung moderner Standards die Möglichkeit, unseren Planeten mit Satellitenbildern zu orten und zu zoomen – gewissermaßen im Sturzflug aus tausende Kilometer Höhe bis auf Sichtweite auf parkende Autos, Häuser, etc. zu stoßen. Die großen Metropolen dieser Welt lassen sich bereits schon heute zoomen. Damit deuten sich nutzbare Szenarien für die heimischen Nutzer und Nutzerinnen an, die in ihrer Reife bereits jetzt in Umrissen erkennbar sind: Eine deutliche Zunahme von interaktiven Spielen mit unseren Planeten (virtuelle Zerstörungs- oder / und Aufbauspiele), Logistische Kommunikationsverstärkung (z. B. durch die Koppelung mit GPS ließe GOOGLEEARTH die Möglichkeit zu, einer Familie beim Picknick auf einer Sommerwiese aus der Vogelperspektive zuzusehen), Ereignispiraterie (bei großen Freiluftveranstaltungen hätten die Anwenderinnen und Anwender bei Echtzeitübertragungen freien Eintritt zum Rolling-Stones-Abschiedskonzert 2017 in Sydney) – und nicht 56 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet außer Acht lassen: die stetige Überwachung des Öffentlichen Raumes, durch wen, wann und wo auch immer. Doch ehe es soweit ist, genießt GOOGLE das vollständige Vertrauen der Informationssucher, genauso, wie W IKIPEDIA als interaktives Lexikon das Vertrauen seiner Online-Lernenden genießt. Wird das heißen, dass Informationsbasis von einigen wenigen Anbietern (EBAY, GOOGLE, W IKIPEDIA, AOL, MICROSOFT, u. a.) ausgeht? Mitnichten. Das Internet in Deutschland befindet sich in der Reifephase. Ist also streng genommen selbst ein ‚Heranwachsender‘ oder eine ‚Heranwachsende‘. Die Navigation im Dschungel der Unterhaltung und Information per Hyperlink, Adressvergabe und Mouseclicks obliegt nicht allein den großen Anbieterkonzernen. Sie bieten den möglichen Rahmen in Form von E-Mail-Programmen, Browsern, Inhalten und Software. Dadurch gerät das Internet mehr und mehr in die Sphären der interaktiven Kommunikation und in eine neue Epoche, die auch unter Web 2.0 bekannt ist. Als eine unverzichtbare Software der direkten Kommunikation via Internet gilt der Messenger (zu deutsch also einem ‚Nachrichtenübermittler‘). 2.3.1.1. Instant-Messenger als interaktive Kommunikationsmittel „Yahoo! Ich hab auch ICQ.“ Ob AIM (AOL-Instant Messenger), ob ICQ, ob MSN (MICROSOFT Netmeeting), ob SKYPE, TOM (T-ONLINE Messenger), oder YIM (YAHOO!-Instant Messenger), es ist nur eine begrenzte Auswahl an verfügbaren Plattformen, die ich hier nennen kann. Gemeinsam haben die genannten Messenger, dass sie den Anwenderinnen und Anwendern die Möglichkeit bieten, sich über Schrift, über Akustik (VoIP = Voice over IP) und Optik (Webcam) in Echtzeit147 verständigen zu können. Benutzerinnen und Benutzer können Internetadressen schreiben, die nach Eingabe in den Messenger zu einem Hyperlink umgewandelt werden, sie können sich gegenseitig Dateien zuschieben, Zeichnungen und Skizzen anfertigen, Online gegeneinander Schach, Backgammon, usw. spielen und vor allem können sie Gedanken, Gefühle, Botschaften und Informationen austauschen. ICQ Wenn ich mich so in meiner Heimatstadt in den öffentlichen Verkehrsmitteln unter den Schülerinnen und Schülern umhöre, dann scheint ICQ ein fester Bestandteil des Sprachgebrauchs unter Jugendlichen zu sein. Wer Internet und Handy hat, der hat auch ICQ. Über ICQ ist es möglich, dem Empfänger eine Nachricht direkt auf das Handy zukommen zu lassen. Die kurznachrichtenaustauschfreudige Jugend von Heute, weiß zu schätzen, dass sie – um zu chatten – nicht unbedingt vor dem Rechner sitzen muss. ICQ-Nutzerinnen und -Nutzer haben ihre neunstellige Nummer, die vom Anbieter vergeben wird, meistens wie ihre eigene Telefonnummer im Kopf und tauschen sie untereinander aus. Bei ICQ handelt es sich um einen internationalen Anbieter aus den Vereinigten Staaten. 147 "Echtzeitbetrieb ist ein Betrieb des Rechensystems, bei dem Programme zur Verarbeitung anfallender Daten ständig betriebsbereit sind derart, dass die Verarbeitungsergebnisse innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne verfügbar sind. Die Daten können je nach Anwendungsfall nach einer zufälligen zeitlichen Verteilung oder zu vorbestimmten Zeitpunkten auftreten." (DIN 44300 [DIN 1985]) 57 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet YAHOO! Auch der Internetdienstleister mit dem Ausrufezeichen aus den Staaten verfügt über ein Echtzeitnachrichtenaustauschsystem. Die mysteriöse Bezeichung „Yahoo!“ ist eigentlich eine amerikanische Interjektion als Ausdruck des Verstehens oder präziser ausgedrückt, ein Ausdruck fürs konnotative Weiterkommen während des Surfens oder Programmierens. Ganz anders, dass allgemein YAHOO! als „Jahu“ betont wird, ist die ursprünglich gemeinte Betonung „Jau!“ oder „Jo!“. Denn diese Interjektion heißt übersetzt in etwa: „Ich hab’s!“. Wie lokal das weltweite Netz sein kann, zeigte mir persönlich an einem Sonntag im Dezember des Jahres 2004 die Tatsache, dass ich völlig überraschend im YIM von einer Unbekannten angesprochen worden war, die irgendwo unter YAHOO! mein Profil gelesen hat. Und da wir uns auf Anhieb sympathisch fanden und außerdem aus dem gleichen Ort waren, verabredeten wir uns noch am gleichen Abend. Wir begannen von da an ein angenehmes drei Monate währendes Verhältnis und verstehen uns immer noch gut, da wir nicht im Streit auseinander gegangen sind. Liegt das vielleicht daran, dass wir uns nicht auf Anhieb physisch kennen-, sondern unvoreingenommen über unser in Worten ausgedrücktes Denken und Empfinden – also über getippte Sätze einschätzen gelernt und uns vor dem eigentlichen Treffen am Abend nicht gesehen haben? 2.3.1.2. Der Chatroom am Beispiel von Chat.de Der FOCUS Verlag in München betreibt eine jetzt kostenpflichtige, im Jahr meiner Studien, die dieser Arbeit vorausgingen, jedoch kostenlose Plattform zur schriftlichen Echtzeitkommunikation (dem Chat, engl. für Plaudern). Ich untersuchte während des 2. Schulhalbjahres 2003 / 2004 von Januar bis Ende Juni in den Chatrooms das Sozialisationsverhalten Heranwachsender im Internet.148 Vollständig dokumentiert und ausgewertet habe ich 24 Schultage zwischen dem 6. Februar und dem 17. Mai 2004 in der Zeit von 9 bis maximal 15 Uhr. Meine Mindestverweildauer betrug zwischen 20 und 60 Minuten pro Vormittagssitzung. Mein mir selbst gesetzter zeitlicher Grenzwert betrug 120 Minuten und durfte nur in Ausnahmefällen diese Zeitdauer überschreiten. Die dokumentierte Gesamtstundenzahl beträgt fünfzig. Ausgedruckt in Schriftgröße 10 bei dem Schrifttyp „Times New Roman“ ergäben die dokumentierten Chatprotokolle 1.205 DIN-A4-Seiten. Zu Chatbeginn fanden sich insgesamt während dieser untersuchten Zeiträume 391 Pseudonyme, wovon 228 die Räume der 10- und der 15-jährigen "inkognito" betraten. Statistisch davon erfasst, habe ich nur die Anwesenden zum Zeitpunkt meines Eintritts in den jeweiligen Chatroom. Die darauffolgenden während der Sitzung eingetretenen Pseudonyme sind statistisch nicht dokumentiert und um diese zu erfassen, müsste eine aufwendige stochastische Methodik in Zusammenarbeit mit dem Anbieter des Chatrooms entwickelt werden. Von den Inkognitos waren nach eigenen Angaben 123 weiblich und 105 männlich. 149 114 waren so genannte ‚Stammis‘, also jene, die sich bei Chat.de mit einem eigenen Pseudonym angemeldet haben. Wer über einen leistungsstarken Rechner, über Kenntnis und über zwei oder mehr Browserprogramme verfügte, der konnte in einem Chatroom mit mehreren 148 um zu beschreiben, wie es dazu kam, müsste ich zu weit ausholen. Nur soviel, es war mehr oder weniger unbeabsichtigt zustande gekommen, mithilfe einer Freundin aus Wien in Österreich und dem bereits vorhandenen Portal zur Schulwissensvermittlung verlief die Begabungsförderung wie in Bahnen... 149 vor Beginn eines Chats können all diejenigen (kurz auch bekannt als „Aldis“), die inkognito mit vorgegebenen Bezeichnungen eintreten wollen, ihre Geschlechtszugehörigkeit wählen 58 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Pseudonymen gleichzeitig anwesend sein. Die freiwilligen Administratorinnen und Administratoren beispielsweise verfügten mittels ihrer von der FOCUS-GMBH in München gestellten Software über wesentlich erweiterte Funktionen zur Nutzung des Chats als der gewöhnliche Besucher des virtuellen Raumes.150 Die Sozialisation Heranwachsender in den Chatrooms ist schnell auf den Punkt gebracht. In Chats finden sich nur Heranwachsende, die sich durch den sich auftuenden ‚Buchstabensalat‘ herausgefordert und nicht überfordert fühlen. Die Gruppe der Heranwachsenden teilt sich in solche, die dem Chatten nichts oder nicht viel abgewinnen können und trotzdem Internet- und Messenger-Nutzer sind und in solche, die durchs Chatten einer gewissen Magie anheim gefallen sind, die sich oft durch stetige Präsenz in meist ein und denselben Chatroom auswirken kann. Die Kunst zur Beherrschung von Echtzeitchats, wo mehrere Nutzerinnen und Nutzer gleichzeitig auf dem Monitor zu Wort kommen, ist dabei das selektive Lesen. Ein Chatter ist es gewöhnt, Zeilen zu überspringen oder gar nicht erst wahrzunehmen oder andrerseits auf gewisse Reizworte, die sich in seinem Hirn quasi zu Suchworten eingeprägt haben, entsprechend zu reagieren. Eine 2005 erschienene Studie 151 belegte die Korrelation von Medienkonsum und schlechten Schulleistungen von Schülerinnen und Schülern. Diese Untersuchung betraf vor allem den Fernsehkonsum und der festgestellten Tatsache, dass im Norden Deutschlands Kinder verstärkt über ein eigenes TV-Gerät im Zimmer verfügen, als im Süden der Republik. 152 Das legt den Schluss nahe, warum als eines von vielen Argumenten, das Nord-Süd-Gefälle bei den PISA-Ergebnissen gravierend ist. Umgekehrt wage ich, das jugendsoziologische Axiom aufzustellen, dass im Süden Deutschlands die Jugendlichen verstärkt über einen eigenen Internetanschluss im Kinder- bzw. Jugendzimmer verfügen, während im Norden der Republik Jugendliche verminderte private Zugangschancen zum weltweiten Netzwerk haben. Diese Schlussfolgerung leiste ich mir aus den gesammelten Erfahrungen im Umgang mit Heranwachsenden aus Chat.de im bereits genannten Untersuchungszeitraum. Gemeinsam scheint den jungen Neuen Mediennutzerinnen und -Nutzern zurzeit zu sein, dass sie aus mehr oder weniger geordneten und gesicherten finanziellen Familienverhältnissen stammen. Der Interaktionismus und der Erfahrungs- und Informationsaustausch unter den Heranwachsenden im Chat lässt dabei nicht zwangsläufig die schulische Leistungsverantwortung sinken. Dies scheint bei der Nutzung des Fernsehens offenbar stärker gegeben zu sein als bei der extensiven Nutzung des Mediums Internet. Der extensiven Nutzung von Chats haftet eine weitaus ernstzunehmende soziologische Wirkung an, sobald sich zu sehr der eigene Aktionsradius verstärkt auf die Umgebung eines netzwerkfähigen Rechners bezieht. Denn generell ist es Habitus in Chats, sich vom Ort des Geschehens entfernen zu können und diesen wieder zu betreten, ohne unbedingt etwas versäumt zu haben. Chat.de bot die Möglichkeit der Anwesenheit im Chatroom auch für Nutzer, die den Aktionsradius des Rechners verließen, um sich häuslicher oder sozialer Angelegenheiten zu widmen. Die hinterlassenen Eintragungen wie „indiana-jens hat gerade seinen vermieter zu besuch“ oder „dampfbuegeleisen bügelt oberhemden“ weisen das unterschwellige Bedürfnis 150 weitere Informationen zur Chatadministration im Anhang über Foren, Chats und Webspace als zentrale Plattformen der Lernhilfe per Internet – OnlineSchool: Wer blaumacht geht ins Netz 151 aus einer Radionachricht des WDR 2 vom 24. September 2005 152 anzumerken sei, dass das Fernsehgerät auch zur Nutzung von Playstations zur Verfügung steht 59 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet der Teilhabe sozialer Handlungen auf – so als bestünde die Chat-Community aus Familienmitgliedern, die in ihrem sozialen Raum sich träfen und sich aber auch voneinander entfernten. Andere Chats, wie das Tickern in verzögerter Echtzeit hinterlassen stets Nachrichten auf Abruf, da dort sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer direkt ansprechen lassen und eine eingehende Nachricht möglicherweise ein akustisches Signal mit sich bringt.153 In Chat.de ging ich im untersuchten Zeitraum vormittags immer nur mit einem so genannten Stammnick in die virtuellen Räume der 10- bis 15jährigen. Dabei habe ich an elf Stichprobentagen das Pseudonym "dampfbuegeleisen" und an dreizehn Stichprobentagen das Pseudonym "indiana-jens" benutzt: Tab. 2.3.1.2.a: Stichprobeergebnisse 10- bis 15jährige in Chat.de, 1. Halbjahr 2004 Mo Di Mi Do Fr Anzahl d. Stichprobe 7 4 3 4 6 Verweildauer in Min. 960 435 355 470 780 Tagesmittel in Min. 40 18,125 14,792 19,583 32,5 Mädchen Jungen 34 15 22 20 46 37 6 20 13 46 gesamt 132 45 65 52 165 In der Tabelle 2.3.1.2.a finden sich die zusammengefassten Daten einer eigenen Stichprobe aus Chat.de während des ersten Halbjahres 2004. Die Untersuchung fand generell an Vormittagen statt, wie bereits anfangs erwähnt. Die Grundgesamtheit der Stichprobe betrug 24 Chat-Sitzungen. Die gezählte Verweildauer in Minuten ist der von mir dokumentierte Zeitraum meines eigenen Aufenthaltes in den Chaträumen der 10 bis 15jährigen als einer der eben genannten Pseudonyme. Das Tagesmittel wurde aus der Verweildauer in Minuten, dividiert durch die Stichprobengesamtheit ermittelt. Bei den Mädchen und Jungen wurden nur diejenigen gezählt, die sich im eben genannten Zeitraum als Inkognitos angemeldet haben. So genannte Stammnicks tauchen in dieser Aufstellung nicht auf. Hier wurden nur die auch Aldis genannten Chatter betrachtet. Bis auf montags scheinen die Mädchen in der Gruppe der Aldis am häufigsten vertreten zu sein. Rein rechnerisch im arithmetischen Mittel betrachtet, betreten anonym an einem Montag Vormittag 5,464 Mädchen und 5,946 Jungen, am Dienstag Vormittag 9,31 Mädchen und 3,724 Jungen, am Mittwoch Vormittag 18,206 Mädchen und 16,552 Jungen, am Donnerstag Vormittag 12,414 Mädchen und 8,069 Jungen und am Freitag Vormittag 19,034 Mädchen wie Jungen innerhalb von einer Dreiviertelstunde einen überregional bekannten und beliebten deutschsprachigen Chatroom.154 Hochgerechnet auf einen Schulalltag von 6 Unterrichtsstunden ergäbe sich statistisch gesehen montags eine Zahl von ca. 33 ‚blaumachenden‘ Mädchen und 36 ‚blaumachenden‘ Jungen, dienstags ca. 56 ‚blaumachende‘ Mädchen und 23 ‚blaumachende‘ Jungen, mittwochs ca. 110 ‚blaumachende‘ Mädchen und 100 ‚blaumachende‘ Jungen, donnerstags ca. 75 ‚blaumachende‘ Mädchen und 49 ‚blaumachende‘ Jungen und freitags ca. 115 ‚blaumachende‘ Mädchen und genauso viele ‚blaumachende‘ Jungen (also mehr als 700 ‚schulschwänzende‘ Schülerinnen 153 z. B. bei fundialoge.de Anzahl der Schülerinnen bzw. Schüler dividiert durch die Stichprobe, dividiert durch das Tagesmittel, mulipliziert mit dem Minutenfaktor 60, dividiert durch 4 multipliziert mit 3 ergibt das arithmetische Mittel einer Schülerin bzw. Schülers pro Unterrichtseinheit von 45 Minuten an 154 60 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet und Schüler pro Woche) in einem einzigen Chatroom, von denen es Abertausende im Netz gibt.155 Laut eigenem Erfahrungsbericht während meiner Untersuchung in Chat.de sollten diese Zahlen jedoch nicht überbewertet werden. Nach eigenen Schätzungen befanden sich mehr als die Hälfte aller mir begegneten Pseuden im schulpflichtigen Alter nicht fern der Schule, sondern mitten im Schulunterricht. Darüber hinaus ist erwähnenswert, dass diese Zahlen letztlich nicht viel mehr als eine statistische Spielerei darstellen sollen, da folgende Grundkriterien eines Pseudonyms im Chat nicht so ohne Weiteres festgestellt werden können: - handelt es sich bei dem Pseudonym um einen Heranwachsenden oder einen Erwachsenen? findet regulärer Unterricht überhaupt für ein schulpflichtiges Pseudonym gerade statt? ist das Chatten möglicherweise Bestandteil und Inhalt des laufenden Schulunterrichts? befindet sich das Pseudonym überhaupt in Deutschland? Diese vier Fragen sollten bei der Berücksichtigung des Sozialisationsverhaltens Heranwachsender im Internet eine wesentliche Rolle spielen. Bei der ersten Frage gibt es durchaus einen großen, unüberschaubaren – teils kriminell organisierten – Anteil von Erwachsenen im Internet, die sich kindisch geben, sich als Kinder ausgeben, um dadurch vorzugsweise ahnungslose Kinder im Alter zwischen 8 und 12 anzulocken. Handelt es sich um einen schulpflichtigen Heranwachsenden, so sind die weiteren drei Fragen von elementarer Bedeutung: Schließlich macht es keinen Sinn, nur weil am eigenen Standort (hier NRW) noch keine Ferien – am Standort des Pseudonyms jedoch Ferien sind (z. B. Bayern), an den Schulbesuch zu erinnern. Es könnte auch gerade Unterrichtspause sein. Gleiche Zurückhaltung vor übereiligen Schlüssen, gilt für die weiteren beiden Fragen, wobei die dritte und vierte Frage ein ‚Hinterfragen‘ der aktuellen Bedingungen nötig erscheinen lässt und Transparenz der eigenen Person Bedingung ist. Globales Denken und lokales Handeln haben im Chat einen hohen Stellenwert; auch zur Erinnerungen an die Ortszeit, die für die vielen tausend Austauschschülerinnen und -Schüler gilt, die sich aus allen Teilen der Welt (z. B. Neuseeland, Australien oder den USA) in einem deutschsprachigen Chat anmelden. Den 228 Aldis 156 aus dem gesamten dokumentierten Untersuchungszeitraum standen 114 Stammnicks gegenüber. Hieraus lassen sich Mutmaßungen im Umgang unter-einander anstellen, wenn diese Zahlen im einzelnen gegenübergestellt werden. Aldis und Quicknicks157 genießen keine besonders große Aufmerksamkeit und ein gering-schätziges Ansehen bei den Stammnicks. „Ignoriere Aldis und traue keinem Quicknick“ ist die Devise der Stammgäste eines Chatrooms. Stammnicks machen sich einen Namen und unterscheiden sich selbst auch unter Nickwechsler und NichtNickwechsler. Zuerst gilt einmal der Grundsatz: „Nomen est Omen!“, um sich in einem Chat zurechtzufinden. Der wesentlichste Unterschied ist, dass Stammnicks das Bedürfnis haben, sich über ihr Pseudonym mitzuteilen. Das Pseudonym steht oft für den aktuellen Lebensinhalt eines Chatters. 155 lt. GOOGLE vom 23.09.2005 07:28 gibt es ca. 96.600 deutschsprachige Chats Bezeichnung für Chatter, die sich der vorgegebenen Pseuden des Anbieters bedienen 157 bei Chat.de konnte ein Nutzer sich ein nur für die laufende Chatsitzung ausgedachtes Pseudonym zulegen, also einen so genannten Quicknick 156 61 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Die meisten der hier erwähnten 65 Stammnicks dürften zwischen 8 und 17 Jahre alt sein. Einer dieser Pseudonyme war während des Untersuchungszeitraums 11 Jahre jung und chattete von Katmandu / Nepal aus (ursprünglich aus Weimar, ist er nun vorerst mit seiner Mutter in Nepal / Katmandu zuhause und gehört zu den OnlineSchülern des Jahres 2004 im ‚Blauen Kanal‘158). Meines Wissens sind allein unter diesen hier gelisteten Stammnicks mindestens fünf Erwachsene, die sich in Chatrooms, gedacht für 10- bis 15jährige aufhalten. Davon ist ein gehöriger Teil orientierungslos unterwegs auf der Suche nach Kontakten. Diese Kontakte müssen nicht unbedingt pädophil motiviert sein, sondern gehen auch aus dem Unkenntnisstand, einschließlich der eigenen Motivation und Absichten des jeweiligen Chatters, bzw. der jeweiligen Chatterin hervor. 2.4. Männliches Sozialisationsverhaltensmuster im Internet Auch für diese beiden folgenden Unterkapitel gilt, was bereits einleitend im zweiten Kapitel bemerkt worden ist, dass die Unterschiede zwischen RW und VR gar nicht so eklatant groß sind, wie sie auf den ersten Blick einem unbedarften Internetbenutzer möglicherweise erscheinen mögen. Durch meine Erfahrungen in diversen Chaträumen darf ich rein hypothetisch herausstellen, dass viele Männer das Berufs- dem Ehe- und Familienleben vorziehen. Dabei handelt es sich oft um Berufsangehörige, die viel unterwegs sind. Heute Hamburg. Morgen Berlin, Leipzig, München, Köln oder Frankfurt. Ein Chatroom ist dabei eine besondere Hilfe zur Kontaktanbandlung und bestens geeignet, um Verabredungen zu treffen. Dadurch treffen verheiratete, wie unverheiratete Männer auf wiederum verheiratete, geschiedene oder ledige Frauen und pflegen ihr offenes oder geheimnisvolles Verhältnis. Die daraus resultierenden Kontakte sollen an dieser Stelle nicht weiter einer soziologischen Untersuchung unterzogen werden müssen, um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen. Eine ausschweifende Betrachtung dieses sozialisationstheoretischen Phänomens liegt nun in der Phantasie und Vorstellungskraft meiner geneigten Leserinnen und Leser und im Studium weiterer Dokumentationen dieses Themas.159 Ein empirisch festzustellendes männliches Sozialisationsphänomen ist die im Internet recherchierbare Tatsache, dass viele Ehen vor sich hin dümpeln oder zu scheitern drohen, weil es oft „nur“ an zwischenmenschlicher Kommunikation beider Eheleute fehlt. Dies ist mir aufgefallen durch unzählige Begegnungen in Chatrooms mit Ehefrauen, die ihren Kommunikationshunger im Internet stillen (siehe Kap. 2.5.). Häufig berichteten mir diese Frauen am Abend, dass ihre Männer vor dem Fernsehgerät säßen. Manche Männer scheinen laut Darstellung ihrer frustrierten Ehefrauen passive Individuen zu sein, sofern oder vielleicht auch gerade weil sie sich nicht selbst aktiv in den interaktiven Räumen des Internets bewegen. Viele Männer suchen häufig im Internet das aktive Abenteuer. Sie sind oft mobil und auch in vielen Fällen beruflich unterwegs. Viele von ihnen sind zeitlich flexibel und nutzen den Chat um Verabredungen mit dem anderen oder dem gleichen Geschlecht zu suchen. Nicht wenige Männer suchen auch Gleichgesinnte, um ihre Partnerschaft aufregend zu halten. Auch nicht wenige bedienen sich des Internets, um mit ihren Ehefrauen wieder ins Gespräch zu kommen. Die meisten Männer geben sich 158 159 unter dieser Bezeichnung startete ich das Projekt der „Begabungsförderung Heranwachsender im Internet“ siehe Literaturverzeichnis im Anhang 62 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Pseudonyme, die ausdrücken sollen, was sie tun, welche Schwächen und Vorlieben sie besitzen oder über welche Macht sie verfügen wie Alkoholiker, Boss, Inquisitor, Wallach oder einfach nur ihre Berufsbezeichnung wie z. B. Tischler. Heranwachsende junge Männer genießen vor allem die Aufmerksamkeit junger Mädchen, die sich in der Vorpubertät finden. Denn diese Mädchen verstehen es von älteren Jungs zu schwärmen und nehmen freudig zur Kenntnis, dass sich hier die jungen Männer nicht durch ihr physisches Erscheinungsbild hervortun können und dadurch das sonst in der RW so entscheidende Gruppengehabe des jungen Mannes eine weitaus untergeordnete Rolle spielt.160 Andere Männer wiederum lassen durch eine permanente Anwesenheit in Chatrooms erkennbar werden, dass ihre berufliche und soziale Umwelt fast ausschließlich auf virtueller Basis, wie der Telekommunikation fußt. Dazu gehören auch Schwerstbehinderte, die nicht mehr dazu in der Lage sind, allein das Haus zu verlassen. „Was hast du an?“ So oder ähnlich intentional dürfte wohl einer der häufigst gestellten Fragen von Männern sein, die Frauen im Chatroom zu lesen bekommen. Oft unabhängig vom thematischen Schwerpunkt des Chatrooms wird dem CS 161 dabei eine hohe Aufmerksamkeit – und sei es nur unterschwellig – entgegengebracht. Männer als Frauen getarnt ist ein anderer sexualsoziologischer Aspekt, der nicht unerwähnt bleiben sollte. Weniger aus transsexuellen Gründen, sondern eher aus taktischen Überlegungen heraus geben sich einige Männer in Chaträumen als bisexuelle oder lesbische Frauen aus. Hintergrund ist das Verlangen nach Aufmerksamkeit vom weiblichen Geschlecht. Noch – und ich denke mal auch in ferner Zukunft – herrscht genereller Männerüberschuss in den Chatrooms des World Wide Webs. Hypothetisch ließe sich mutmaßen, dass dieser Überschuss auch mit SCHMERL und NESTMANNS gruppensoziologischer Erkenntnis zu tun hat, die zu Beginn des nächsten Unterkapitels angesprochen wird: Mutmaßlich wird dort latent den Männern unterstellt, über weniger verzweigte soziale Kontakte zu verfügen, als Frauen. Das Phänomen eines prinzipiell belegbaren Männerüberschusses in vereinzelten Chatrooms könnte jedoch nicht wirksam darüber hinwegtäuschen, dass sich dadurch kein Mangel am weiblichen Geschlecht erlesen lässt. Auch hier zeigt sich das Prinzip der RW wie ich finde überdeutlich. 2.5. Weibliches Sozialisationsverhaltensmuster im Internet „Heute kann als gesichert gelten, dass Frauen zum einen als Organisatorinnen und Empfängerinnen von sozialer Unterstützung gegenüber Männern in Führung liegen... Sie haben intensivere und ausgedehntere soziale Netzwerke als Männer, mehr enge Vertraute und Freundinnen, intensivere Beziehungen zur Verwandtschaft und somit insgesamt mehr potentiellere Helferinnen und Unterstützerinnen.“ 162 Dieses von SCHMERL und NESTMANN beschriebene Phänomen tritt bei Frauen, jung wie alt, auch im Internet auf. Vielleicht da sogar auf einer besonders phänotypischen Art und 160 so beobachtet bei einem heftigen Flirt einer zum Zeitpunkt der Untersuchung 13jährigen mit einem 17jährigen, die sich im Chat kennenlernten und ihren Flirt auf dem Forum der Online-Schule fortsetzten (vgl. Forum http://15174.rapidforum.com Pseudonyme: IceRose und Draiden) 161 CS = Cyber- bzw. Computersex 162 Schmerl, Chr. / Nestmann, F.: „Frauen und Helfen: Wie weit trägt die ‚weibliche Natur‘?“ – a. a. O., S. 19 63 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Weise. Der Informationsfluss nimmt bei den jungen Frauen einen gleichmäßigen Verlauf und oft müssen sie als ‚Objekt der Begierde‘ männlicher Obsessionen im Chat eine Menge Anfragen erledigen können, was wiederum eine gewisse Unterrepräsentation des weiblichen Geschlechts auf die Grundgesamtheit eines Chatrooms als Auswirkungen der verschiedensten Art und Weise nach sich zieht. Frauen finden sich nicht selten am frühen Morgen in den Chatrooms ein. Wochentags sind sie gesprächig, wenn die Kinder in der Schule und der Ehemann zur Arbeit gegangen sind oder aber Kind und Mann noch im Bette liegen. Ab 9 Uhr morgens nimmt die Anwesenheit von Frauen in Chatrooms drastisch ab und die Anwesenheit von Männern dramatisch zu. Hier zeigt sich arbeitssoziologisch interpretiert, dass viele Männer während der Arbeit uneingeschränkten Zugang zum Internet haben, dieses Privileg teilen sich Männer jedoch nicht mit Frauen. Entweder sind Frauen vormittags gar nicht präsent oder aber sie dürfen zwar einen uneingeschränkten Internetzugang nutzen, unterbrechen jedoch viel häufiger einen Dialog im Chat aufgrund von am Arbeitsplatz angetragene Tätigkeitsvorgaben oder familiären und häuslichen Pflichten. Am frühen Nachmittag steigt die Präsenz der Frauen in den Chatrooms wieder leicht an und sinkt am späten Nachmittag bis zum frühen Abend drastisch. Erst am späten Abend nimmt die Anwesenheit der Frauen in den Chaträumen wieder zu, wenn Kind und Mann schon im Bette liegen. Viele Frauen suchen die Gespräche, die sie mit ihren Ehemännern oder Partnern nicht führen können oder wollen. Je nach Chatroom verhalten sie sich unauffällig bis angepasst. Selbst ihre Pseuden entsprechen einer unauffälligen aber nicht einfältigen Auswahl. Frauen nennen sich Kätzchen, Kuschelmaus, Lady Kandy, Madame Butterfly, Rosi oder Gina. Auffällig oft verändern Frauen Schriftgrößen, Schriftfarben und Schriftarten. Es scheint, wie im Leben außerhalb des Internets auch erkennbar ist, dass Frauen sich weniger mit dem Gegebenen abfinden und nach Gestaltungsmöglichkeiten suchen. Frauen drücken beim Schreiben ihre Gefühle aus (z. B. durch die Zugabe von ‚lach‘ oder ‚smile‘). „Wie groß bist du?“ So oder ähnlich intentional dürfte wohl einer der häufigst gestellten Fragen von Frauen sein, die Männer im Chatroom zu lesen bekommen. Oft unabhängig vom thematischen Schwerpunkt des Chatrooms wird dem CS 163 eine hohe Aufmerksamkeit entgegengebracht („schreib mich bitte nicht an, mir ist noch lange nicht jeder Mann recht!“164) 3.1. Das Internet aus einer soziologischen Perspektive heraus betrachtet Kapitel 2 dürfte bereits zu der Erkenntnis angeregt haben, dass „das Internet mit seinen Kommunikationsmöglichkeiten auch, wenn es massenhaft als Medium genutzt wird, kein Massenmedium ist, denn es ist ja gerade keine einseitige technische Kommunikation, sondern kann individuell genutzt werden." 165 Genau genommen und wenn auch ein wenig technokratisch betrachtet, ist das Internet „ein globales Netz lokaler und dezentralisierter Computernetzwerke, das von seinen Teilnehmern genutzt wird um Informationen unterschiedlichster Art abzurufen und um 163 CS = Cybersex dem Untertitel einer Chatterin im Joy-Ticker (www.fundialoge.de) entnommen 165 Luhmann, Niklas: "Das Internet ist kein Massenmedium. Über Medien, Journalisten und die Wahrheit." Interview mit Laurin, Stefan in: UNICUM Das Hochschulmagazin. UNICUM-Verlag, Bochum, 15/1997, S. 20 164 64 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet zu kommunizieren.“ 166 Dabei „erlaubt die Kommunikationssituation des Internets massive und direkte Einflussnahme des Informationssuchenden auf das Angebot der bereitgestellten Daten.“ 167 Diese Feststellungen von LUHMANN, von RUHNKEHL und von KRAJEWSKI untermauern meine Erläuterungen aus dem ersten Kapitel dieser Aus-arbeitung, bezüglich der Arbeitshypothese, dass alle Anwenderinnen und Anwender im Cyberspace grundsätzlich zurzeit zu den Heranwachsenden gezählt werden dürfen, da das Internet selbst sich in der Heranreifungsphase befindet und die sich daraus ergebenden soziologischen Konsequenzen sich gerade einmal abzuzeichnen beginnen; in ihrer Reife jedoch noch fern der Vollendung sind. Bei der soziologischen Wahrnehmung des Internets und seiner gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen, ist die Zukunftsbetrachtung der Informations- und Wissensgesellschaft ein wesentlicher Erkenntnisbestandteil geworden. Die aggressiv verlautbar anmutende Fragestellung in punkto einer totalen gesellschaftlichen Einflussnahme durch den Einsatz des Computers, respektive des Internets ist dabei zu einem der größten Bedenkenträger hinsichtlich der kritischen soziologischen Perspektive geworden: Aus dieser Fragestellung ergeben sich Gefahren, wie Chancen gleichermaßen. Eine Vision könnte dabei sein, dass die Gesellschaft sich mithilfe des Cyberspace von seinen politischen Entscheidungs- und Rollenträgern zu emanzipieren verstehen lernt und sie die Chance nutzt, das Medium für sich so zu nutzen, dass keine oder nur noch geringe Interdependenzen zwischen den drei vertikalen Gewalten nötig sind, die die bisherigen Teilnehmer einer demokratischen Gesellschaftsform in Abhängigkeit an gewählte und repräsentative Entscheidungsträger binden, weil das ‚einfache Volk‘ bisher wenig Zugang zu Informationen hatte, um politische Plebiszität wahrnehmen zu können und somit durch die komplexen und komplizierten Strukturen einer globalisierten Epoche weniger durchblickte als in Zeiten des Internets. Es dürfte auf der Hand liegen, dass eine Regierungskommission, wie die der Landesregierung in Düsseldorf, diesen Aspekt in umgedrehter Reihenfolge prognostiziert: „Die Gesellschaft der Zukunft wird nicht das Resultat der Eigendynamik von Entwicklungen sein, sondern vor allem von politischen Entscheidungen, die zwischen verschiedenen Möglichkeiten eine Wahl getroffen haben.“168 Auf welchem Wege diese Entscheidungen zustande kommen, sei damit nicht ausgesagt. Auch oder gerade wenn diese Aussage nicht explizit von den gewählten Repräsentanten einer Legislaturperiode ausgeht, die politische Entscheidungen treffen, so vermittelt diese Ansicht implizit, dass die Gesellschaft sich auf einen Punkt der Betrachtung hin bewege – und zwar zum Resultat. Eine Gesellschaft resultiert sich meiner Ansicht nach nicht. Sie ist in steter Entwicklung. Sie ist an sich dynamisch und in einem fortwährenden Entwicklungsprozess, der Gleichheitszeichen nur in Zusammenhang mit Variablen zulässt. Konjunktur- und Generationsverläufe, Moden, Trends, Innovationen, Stadt-, Land- und technische Entwicklung, Familienstrukturen, Haushaltsbestände, Arbeitslosen- und Beschäftigtenzahlen, Reformen, Krisen, Kriege, Katastrophen, um nur ein paar wenige dynamische Termini aus gesellschaftsrelevanten Themen heranzuziehen, die meine Ansicht unterstützen sollen, dass die Gesellschaft – und auch die der Zukunft – sich nicht resultieren, sondern höchstens bilanzieren lässt. 166 Runkehl, Jens / Schlobinski, Peter / Siever, Torsten: "Sprache und Kommunikation im Internet.“, a. a. O., S. 25 167 Krajewski, Markus: „Spür-Sinn. Was heißt einen Hypertext lesen?“, a. a. O., S. 61 Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“, Kapitel: „Zeitsignaturen – Elemente eines zeitgemäßen Bildungsbegriffs“, 1995, a. a. O. , S. 23 168 65 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Bei der soziologischen Betrachtung des Internets mit all seinen gesellschaftlichen Auswirkungen, weiche ich persönlich von meiner eigenen noch 1983 vertretenen Vorstellung, dass „Menschen eines Tages durch Computer total kontrolliert werden“169 ab. Denn jener Zeit glaubten der DEUTSCHEN SHELL Stiftung zufolge über die Hälfte der Jugendlichen (57 Prozent) daran, dass dieses passiert. Allerdings waren zu jener Zeit die Vorstellungen über die Rolle des Computers in der Gesellschaft noch relativ vage und die ersten Computer sahen in ihrem Design aus, als seien sie Aufbewahrungsorte für die Ausstattung eines Pförtners. Der zunehmende Schwung in dem nicht nur jugendlichen Glauben, der Computer würde eines Tages die Welt ‚beherrschen‘, wurde in einer der kühlsten Epochen des Kalten Krieges geboren. Zu Zeiten, wo sich die beiden Großmächte USA und UdSSR noch zähneknirschend in der Absicht, vielleicht doch aufeinander zuzugehen, jedoch nur bis an die Zähne bewaffnet, gegenüberstanden und das Halbwissen um den Großen Bruder Computer, der in der Lage sei, eine Atomrakete auch versehentlich zu zünden. Der Mensch – gerade auch der junge Mensch – hat heutzutage gelernt, dass die eigentliche Gefahr vom Menschen an sich ausgeht; ob es sich dabei nun um durch ökologische Instabilität entstandene und von Menschenhand verursachte Naturkatastrophen handelt oder um die Gefahr des zunehmenden weltweiten Terrorismus. Big Brother ist nicht mehr der Computer, sondern das Auge der Webcam. Herrschte noch in den 80iger Jahren die Ahnung vor, dass die Kameras mit denen wir beobachtet würden nur von Kontrollinstanzen auf uns gerichtet waren, so ist es nun die Erkenntnis, dass diese Kontrollinstanzen wegfallen, da wir uns gegenseitig filmen. Wer hätte in den 80er Jahren geglaubt, dass Foto-Handys eines Tages zur Grundausstattung eines jeden modernen Mobilfunktelefons gehören? Am deutlichsten unterstreicht vielleicht mein Versuch, diese hier beschriebene Wahrnehmungsverschiebung innerhalb von 20 Jahren unter den Heranwachsenden, folgende These mit einer Antithese zu verbinden: Mögen die Jugendlichen im Jahr 1983 gefragt worden sein, ob es möglich sei, dass die weltweite Bevölkerung unter den momentan gegebenen Umständen in der Lage dazu wäre, genügend Druck durch die Entdeckung eines Skandals mithilfe von Beweismaterial aufzubauen, dass die politischen Entscheidungsträger arg in Bedrängnis führen könnte, so hätten meiner These entsprechend, die Jugend Szenarien entwerfen müssen, um zum Schluss und folgerichtig diese These zu verneinen. Die Antithese hieße daraus folgend: Mögen die Jugendlichen im Jahr 1983 gefragt worden sein, ob es möglich sei, dass die weltweite Bevölkerung unter ceteribus causus Bedingungen zwanzig Jahre später in der Lage dazu wäre, genügend Druck durch die Entdeckung eines Skandals mithilfe von Beweismaterial aufzubauen, dass die politischen Entscheidungsträger arg in Bedrängnis führen könnte, so hätten meiner Antithese entsprechend, die Jugend Szenarien entwerfen müssen, um zum Schluss und folgerichtig diese Antithese zu bejahen. Eines dieser Szenarien ist das Zeitalter zunehmender mobiler und multimedialer Kommunikationsmöglichkeiten der Einsatzkräfte in Krisengebieten. Die Fotos der Soldatinnen und Soldaten von den Misshandlungen politischer Gefangener im irakischen Militärgefängnis ABU GRAIBH, aufgenommen per Fotohandy und weiter verschickt per MMS und Email, die zum Folterskandal der USA führten, ist u. a. ein Szenario dieser Antithese. 169 Schlaffke, Winfried: „Das Jugendsyndrom“ – berufen sich auf die vom Jugendwerk der Deutschen Shell durchgeführten Untersuchung, a. a. O., S. 46f 66 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Das wohl wesentlichste Element, welches eine totale Kontrolle durch Computer auf Menschen verhindert, ist der Umgang mit Informationen selbst. Ohne Kognition, die sich mit einer relevanten Information verbindet, nützt der Wissensgehalt einer Information wenig. Nicht das ‚was‘, sondern auch das ‚wie‘, ‚wo‘ und ‚woher’, ‚wer‘ und ‚wann‘ und die Beurteilung der Antworten lässt erst eine Information zu einem Wissensabschnitt reifen. Die kognitiven Fähigkeiten Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Erkenntnis, Schlussfolgerung, Abstraktions- und Urteilsvermögen, Erinnerungs- und Merkfähigkeit als auch Rationalität müssen für die Informationsaufnahme und -Verarbeitungen geschult sein. Das gilt ganz besonders fürs Internet: „Wer beispielsweise die Seiten des Weißen Hauses in Washington aufsuchen möchte und nicht weiß, dass die Internetadresse www.whitehouse.org lautet und statt dessen www.whitehouse.com eingibt, landet unwillkürlich bei einem Hardcoreanbieter.“ 170 Die Internet-Anwenderinnen und -Anwender sollten in Symbolanalyse (ROBERT REICH) geschult sein. Sie sollten wissen, was eine Domain ist, wie sie sich zusammensetzt und welchen Sinn und Zweck sie erfüllt. Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass „was sie sehen, das sie bekommen“-Prinzip (WYSIWYG171) gilt; was jeder wissen sollte: hinter jeder Seite des Internets verbirgt sich die eigentliche Seite – im so genannten Quelltext geschrieben. Sie sollten wissen, dass SMS auf Email basiert und nicht umgekehrt. Sie sollten wissen, dass der größte Datentransfer im Internet nicht das Aufrufen von Seiten oder das Downloaden von Programmen und Dateien ausmacht, sondern der Emailverkehr. Sie sollten wissen, dass eine Schreibweise nach Vorgabe (Syntax) einen Sinn macht: spätestens bei der Eingabe eines Passwortes oder einer Benutzerkennung. Sie sollten den Stellenwert von Rechtschreibung nicht außer Acht lassen: vor allem beim googlen. Wer Talcot Parsons falsch schreibt, der findet unter GOOGLE immerhin einen Eintrag (und zwar einen südost-asiatischen Nutzer eines Forums, der sich diesen Namen als Pseudonym gegeben hat). Wer Talcott Parsons aber richtig schreibt, der findet ungefähr 302.000 Einträge.172 3.2. Die Rolle des Internets im sozialen Umfeld der Familie und Freunde Vorab sollte die Definition einer Familie ins Rampenlicht dieses Kapitels gestellt werden und klar sein, dass die moderne Familiensoziologie mit der Auffassung des Funktionalisten TALCOTT PARSONS 173 über die drei Faktoren, die eine Kernfamilie ausmachen 1. unterschiedliche Geschlechter (Vater, Mutter, Sohn und Tochter) 2. Unterschiede zwischen alt und jung, mündig und unmündig 3. eine sexuelle Einheit zweier spezifischer Individuen von unterschiedlichen Geschlechts, die für Schwangerschaft und Reproduktion erforderlich sind ohnehin nicht weiterkommt. Es müsste sich eine ‚geglückte‘ Definition des Wortes Familie finden lassen dürfen, ohne dabei in traditionelle Denkmuster zu verfallen, die familiensoziologische Werte einer ganz bestimmten Familienzusammensetzung deklarieren, bestehend aus leiblicher Mutter, leiblichen Vater und zwei leiblichen Kindern (im Idealfall Sohn und Tochter), und diese an die Definition einer Kleinfamilie nach TALCOTT PARSONS als verbindlich betrachten zu mögen. Ein Denkmodell, das 170 Richard, Rainer: „Jugendschutz im Internet“ – Gefahren im Umgang mit dem Internet, a. a. O., S. 25 what you see is what you get 172 Stand: 04.10.2005 07:35 173 Parsons, Talcott: „An Outline of the Social System“ (TS: 30-79), entnommen der website: http://ssr1.uchicago.edu/PRELIMS/Theory/parsons.html, Stand: 03.10.2005 21:15 171 67 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet nicht ausgrenzt, sondern alle erdenklichen Formen des menschlichen Zusammenlebens inkludiert, scheint in der modernen Familiensoziologie angebrachter, denn Familie muss heutzutage mehr sein, weil sie „sowohl eine gesellschaftliche Institution als auch eine Gruppe mit interner psychosozialer Dynamik ist.“174 Eine gesellschaftliche Institution ist die Familie soziologisch gesehen bereits aus der Zusammensetzung von mindestens zwei Generationen. In diesem Punkt gibt es keinerlei kritische Anmerkungen zu PARSONS‘ funktionalistischer Familiendefinition. Im 3. Punkt nach PARSONS‘ würde der zoologische Terminus ‚den Bestand zu sichern‘ bereits greifen, um zu beschreiben, dass eine Institution wie die Familie eine ist, die eine gesellschaftliche Funktion erfüllt, der heißt, den Ahnen-Fortbestand einer verwandschaftlichen Gruppe bis zum ungewissen Ende der Menschheit fortführen zu müssen. Weniger eingegrenzt ist der verwandtschaftliche Grad den die Familienmitglieder zueinander haben, um als eine Gruppe mit interner psychosozialer Dynamik zu gelten. Psychosoziale Dynamik findet sich auch in anderen sozialen Gruppen, dazu braucht es nicht zwingend einer Familie. Auf verwandtschaftlicher Ebene erhält diese Dynamik jedoch eine andere Qualität als in jeder anderen Gruppe (‚Blut ist dicker als Wasser‘). Dabei könnte auch unwillkürlich der Begriff ‚Mafia‘ fallen, der aus dem altarabischen kommt und übersetzt ‚Familie‘ heißt. Die Familie, in die jeder von uns hineingeboren wird, lässt sich nun mal nicht a priori aussuchen. Doch später – zur Gründung einer neuen Familie – lässt sich der Partner oder die Partnerin und alle weiteren Konstellationen des familiaren Zusammenlebens selbst mehr oder weniger entwerfen, sofern gesellschaftliche Zwänge dies nicht zu verhindern verstehen. Unterworfen dem Kriterium der ‚psychosozialen Dynamik‘ ist eine Familie bereits Mutter und Tochter oder Schwester und Schwester oder Großeltern und Enkel oder Tante, Onkel, Neffe und Sohn oder Pflegeeltern und Adoptivtochter aus einem Moskauer Kinderheim. Es lassen sich noch viele weitere Lebensmodelle einer Familie entwerfen. Der Kombination der Akteure scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein, sofern sie dem Kriterium einer Zwei-Generationen-Gruppe konform laufen. Da kann auch die Messlatte für den Altersunterschied zwischen den Generationen tiefer gelegt werden, wenn eine bereits erwachsene Frau für ihre minderjährige Schwester erzieherisch allein verantwortlich ist. Verschärfend kommt in diesem Zusammenhang noch hinzu, dass eine Familie sich nicht nur auf eine Lokalität beschränken muss. Vor allem bei getrennt lebenden Eltern, kennt das Kind – vorausgesetzt ihm bleibt der Kontakt zu beiden Elternteilen nicht versagt – zwei familiäre Lebenswelten zwischen denen es hin und her pendelt. Als Institution Familie gesehen, zollt vor allem auch der Aspekt, Wirtschaftssubjekt zu sein, eine hohe gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Eine Familie ist immer auch eine Wirtschaftsgemeinschaft, die im volkswirtschaftlichen Gesamtbild als eine haushaltende Einheit agiert. Dementsprechend stünde dem Privathaushalt an, als Familie anerkannt zu werden. Hier braucht es nicht mehr dem an psychosozialer Dynamik angelegten Kriterium der Generationenversammlung. Ein kinderloses Ehepaar gilt dann als Familie genauso wie der Single-Haushalt? In der soziologisch und populär bestimmten RW wohl kaum. In der interaktiv verknüpften und der individualisiert gestalteten VR sehr wohl. Im Internet suchen sich Heranwachsende in den Chatrooms Erwachsene oder andere Heranwachsende, die sie dann als ihre ‚Eltern‘ oder ‚Geschwister‘ deklarieren. Somit kommt ein männlicher Single in den Genuss, 174 Grundmann, Matthias / Huinink, Johannes / Krappmann: „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“ – Familie und Bildung, Empirische Ergebnisse und Überlegungen zur Frage der Beziehung von Bildungsbeteiligung, Familienentwicklung und Sozialisation, a. a. O., S. 44 68 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet plötzlich ‚Vater‘ oder eine verwitwete Frau mit bereits einem heranwachsenden Sohn noch mal ‚Mutter‘ zu werden, ohne mit den ex-ante Bedingungen des Zeugens, der Schwangerschaft und der Erziehung konfrontiert worden zu sein. Das Generationenkriterium – wenn auch ‚nur‘ virtuell – ist somit wieder hergestellt. Die Eltern- und Geschwisterrollen im Internet sind allerdings noch weitaus differenzierter als in der RW und können erst in zweiter Auflage dieser Ausarbeitung beschrieben werden.. Eingebettet in Kriterien zur Betrachtung der Familie als gesellschaftliche Institution sind in der Tabelle 3.2.a Merkmalsträger des Familienstandes in Kombination zueinander aufgestellt. Sie sollen die vom Statistischen Bundesamt 1992 gemessene Zusammensetzung der Institution Familie in der deutschen Bevölkerung aus dem Jahr 1990 aufzeigen. Tab. 3.2.a: Familien mit und ohne Kinder Anfang der 90er Jahre 1990 Familienstand: Familien, Alleinstehende ohne Kinder: davon weitere Personen im Haushalt: Ehepaare ohne Kind(er) 6.525.000 4,6% Ehepaare mit Kind(ern) 8.778.000 4,8% Alleinerziehende 1.822.000 19,7% Ledige 287.000 42,8% Verheiratete, getrennt Lebende 201.000 14,8% Geschiedene 661.000 19,2% Verwitwete 672.000 11,7% Alleinstehende ohne Kinder 6.639.000 19,5% Verheiratete, getrennt Lebende 577.000 26,5% Geschiedene 1.672.000 26,5% Verwitwete 4.390.000 15,9% (Quelle: Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Reihe 3, Haushalte und Familien 1992, S. 23) 69 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Abb. 3.2.a: Familien mit und ohne Kinder Anfang der 90er Jahre (Quelle: vgl. Tabelle 3.2.a) Der Tabelle 3.2.a gemäß lebten zu Beginn der Neunziger Jahre in der Bundesrepublik 18,95 Mio. Familien mit Kindern und 13,28 Mio. Familien ohne Kinder. Die Tortendiagramme in Abbildung 3.2.a sollen den Unterschied des Anteils an Familien mit identischen Familienstand im Vergleich mit und ohne Kinder deutlich werden lassen. Aus den drei Diagrammen lässt sich ablesen, dass die Trennung der Paare (durch Scheidung oder Tod) letztlich im stärkeren Maße eine Auseinandersetzung ohne Kinder ist. Vielleicht gilt als Ursache dafür auch das Phänomen anzusehen, dass sich viele Paare erst dann trennen (oder durch Tod voneinander getrennt werden), wenn die Kinder bereits aus dem Haus sind. Im Gesamtverhältnis gesehen, hat der Anteil der Alleinerziehenden unter den Familien mit 17 Prozent einen relativ hohen Bestand. Etwas aufgerundet zeigt Abbildung 3.2.b, dass unter den Familien mit Kindern ein Fünftel aus Alleinerziehenden besteht. Bei der Diskussion um die Zusammensetzung der Familienmitglieder gilt vor allem der progressive Blick auf das Wohl und die Entwicklung des Kindes. Der Terminus der oder des Alleinerziehenden verschwimmt in seinen Umrissen, wenn wahrgenommen wird, dass Alleinerziehende und ledige Familien einen großen Anteil im Vergleich zu Ehepaaren und Geschiedenen unter denjenigen ausmachen, die weitere Personen im Haushalt zählen.175 Dabei kann es sich zum Beispiel um Wohngemeinschaften handeln. 175 vgl. Abbildung 3.2.d, S. 74 70 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Abb. 3.2.b: Anteil Alleinerziehende und Paare mit Kind(ern) Anfang der 90er Jahre (Quelle: Statistisches Bundesamt Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Reihe 3, Haushalte und Familien 1992, S. 23 und Tortendiagramm 1997: Mütter nach Familienstand und Alter der Kinder176) Einflussnehmend auf das soziale Umfeld einer Familie ist die Zahl und die Zusammensetzung ihrer Mitglieder, als auch die ‚Qualität der familiensoziologisch relevanten Beziehungen‘. Sicherlich macht es einen Unterschied aus, ob Heranwachsende in einem sozialen Umfeld, bestehend aus Geschwistern und Eltern oder aus einem Elternteil und Mitbewohnerinnen bzw. Mitbewohnern aufwachsen. Genauso, ob ein junger Mensch als Einzelkind aufwächst oder nicht. Auf die soziale Entwicklung hin betrachtet haben „einerseits die Eltern von Einzelkindern mehr zeitliche und ökonomische Ressourcen; das Einzelkind entwickelt sich im kognitiven Bereich besser, da es hauptsächlich an Erwachsenen orientiert ist; es hat im Durchschnitt bessere Bildungschancen und ist erfolgsorientierter als Geschwisterkinder. Anderseits konzentrieren sich Eltern von Einzelkindern weniger auf innerfamiliale Interaktionen und sind stärker außerfamilial orientiert; das Einzelkind macht demzufolge weniger Interaktionserfahrungen mit relativ Gleichaltrigen und kann die von den Erwachsenen herangetragenen Werte und Handlungsperspektiven deswegen nicht im gleichen Maße spielerisch umsetzen wie Geschwisterkinder.“177 Einzelkinder sind in einer Weise ohne diese Orientierung auf innerfamiliale Interaktionen dissozial, weil ihnen die Geschwister fehlen, die „häufig einen kompensatorischen Einfluss auf die Entwicklung der Kinder haben.“178 Weniger entscheidend in der Erziehungsqualität scheint die Erziehung durch zwei gleichberechtigte Elternteile zu sein, sondern eher die Frage des Erziehungsstils und die zu vermittelnde Erfahrung der Erwachsenen an die Heranwachsenden mit sozialen Verhandlungspartnern (wie z. B. Geschwistern) umgehen zu können, denn „erkennbar schwierig wird es nicht nur dann, wenn Eltern oder andere Erwachsene nach herkömmlichem Muster keine ‚‘Befehle‘ mehr erteilen; Schwierigkeiten entstehen auch dann, wenn es am Verhandlungspartner (u. a. auch in der Form von Geschwistern) fehlt - innerhalb und außerhalb der Familie. Insofern kommt es darauf an, entsprechende soziale Lernmöglichkeiten für Kinder dort bereitzustellen, wo diese nachweislich fehlen. Gerade hier kommt neben der Familie auch der Schule eine wichtige ergänzende Aufgabe zu, um nicht nur, aber auch Defizite auszugleichen, die sowohl im Elternhaus als auch von der Schule selbst verursacht werden. Soziales Lernen in der Schule bekommt auf diese Weise eine neue Qualität, die im Zusammenhang mit einer notwendigen deutlichen Aufwertung und Neuorientierung der Sozialisationsfunktion der Schule zu sehen und die - im Kontext und 176 http://www.destatis.de/presse/deutsch/pm1998/p1440024.htm, Stand: 07.10.2005 18:32 Grundmann, Matthias / Huinink, Johannes / Krappmann: : „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“ – Familie und Bildung, Empirische Ergebnisse und Überlegungen zur Frage der Beziehung von Bildungsbeteiligung, Familienentwicklung und Sozialisation, a. a. O., S. 82 178 ebd. 177 71 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet in Kooperation mit außerschulischen Sozialisationsinstanzen - neu zu bestimmen ist.“179 Ich möchte die Aussage von BÜCHNER hier deutlich unterstreichen dürfen. Nicht unbedingt aus der Not heraus, dem Phänomen Familie an sich sozialpädagogisch relativ hilflos gegenüberzustehen, ergibt sich der Handlungsbedarf der Kooperation zwischen Elternhaus, Schule und außerschulischen Sozialisationsinstanzen. Eine der außerschulischen Instanzen sollten die Medien sein; und hier ganz besonders die Neuen Medien. Es ist eher eine Chance, das Internet als eine etablierte Einrichtung im Umfeld vieler Familien anzuerkennen – und dort, wo nicht vorhanden, diese Chance bereitzustellen bzw. zu fördern, damit die Erreichbarkeit unter den drei eben genannten Instanzen nach BÜCHNER erhöht und somit die Kooperation aller drei verbessert werden kann. Nebst einer solchen Bereitstellung bedarf es desweiteren und insbesonderen einer Förderung bzw. Schulung im Umgang mit den Neuen Medien. Diese Förderung auf die Basis der zu vermittelnden Symbolanalyse zur Medienkompetenz zu stellen, wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Ein anderer wäre die Konfliktfähigkeit und Frustrationstoleranz zu schulen, die es sowohl in der Interaktion mit dem Medium selbst, als auch innerhalb des sozialen Umfelds Heranwachsender auszuhalten gilt. Gerade Konfliktfähigkeit und Frustrationstoleranz ist ein leicht festzustellender Mangel unter einigen Heranwachsenden heutzutage. Zurückzuführen ließe sich das auf die Feststellung von FEIBEL, dass manchen – vor allem jungen Eltern ihren Nachwuchs von Konflikten oft manisch verschont wissen wollen: „Es darf mit diesem kleinen Sonnenschein keine Konflikte geben, weil damit gleich die Gesamtfamilie aus dem Ruder liefe.“180 Das Harmoniebedürfnis unter den neuen Generationen, die sich in einer neu beginnenden Epoche behaupten müssen und unter Druck von Zwängen und Veränderungen stehen, wächst indes beständiger in die private Sphäre hinein. Aus der Spaßgesellschaft der Neunziger Jahre entwickelt sich eine zunehmend konservative Generation, die eine Renaissance traditioneller Werte einleiten wird. Oder, wie es der Kinderpsychologe BERGMANN ausdrückt: „Ich bin überzeugt, dass es eine Renaissance der Familie geben wird. Was sich in Amerika bereits andeutet, ist eine Wiederkunft der alten Werte, wohl auch des Autoritären.“181 Das Autoritäre ist im Grunde genommen nicht als ein erzieherisches Mittel an sich anzusehen. Autorität kann nur dann als vorhanden angenommen werden, wenn die Autorität selbst als Orientierungshilfe von den Heranwachsenden anerkannt und angenommen wird. Orientierung lässt sich nicht erzwingen. Wenig sinnvoll ist daher etwas zwanghaft Autoritäres, das sich allein aus ihrer selbst erklären und somit beanspruchen will (zum Beispiel durch klassische väterliche Imperative wie: „So lange du noch deine Beine unter meinen Tisch stellst, hast du zu tun, was ich dir sage!“). Gewandelte Rollenbilder und -Verteilungen tun ihr Übriges, um der zwanghaften Autorität eines einzigen Familienoberhauptes heutzutage zu entgehen. Von TALCOTT PARSONS Verständnis von der Rolle der Mutter (expressive Rolle) und die des Vaters (instrumentelle Rolle) darf heute nicht mehr ausgegangen werden. Allein schon wirtschaftswissenschaftliche Beweise der gestiegenen Erwerbstätigkeit von Frauen und gleichermaßen einhergehend mit der sinkenden Erwerbslosigkeit von Männern 179 Büchner, Peter: „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“ – (Schul-)Kindsein heute zwischen Familie, Schule und außerschulischen Freizeiteinrichtungen - Zum Wandel des heutigen Kinderlebens in der Folge von gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen, a. a. O., S. 16 180 Feibel, Thomas zitiert a. a. O. in „Die Internet-Generation“ auf S. 105 den Kinderpsychologen Wolfgang Bergmann 181 ebd. S. 104 72 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet zeigt, dass das parsonssche Rollenverständnis als überholt anzusehen ist. Heißt allerdings nicht, dass sich die Rollenvorstellungen von TALCOTT PARSONS ausgetauscht haben, sondern – wenn es sie denn je gab – nun allein mehr den Müttern komplett zu fallen oder aber auf andere Haushaltsangehörige übertragen werden. Oder wie es Büchner ausdrückt, „lässt sich über sekundäre Indikatoren (Wertewandel, veränderte Erziehungsleitbilder, Kindeswohldiskussion) dieser Trend vom ‚Befehlshaushalt‘ zum ‚Verhandlungshaushalt‘, wie er auf zivilisationstheoretischem Hintergrund behauptet wird auch für das moderne Eltern-Kind-Verhältnis als dominierender Beziehungsmodus bestätigen.“182 Abb. 3.2.c: Haushaltsangehörige Anfang der 90er Abb. 3.2.d: Anteil der Haushaltsangehörigen Jahre Anfang der 90er Jahre in allen gemessenen Familienstandzusammensetzungen (Quelle: vgl. Tabelle 3.2.a) Um den ebengenannten Beziehungsmodus innerhalb von Familien zu bestätigen oder zu falsifizieren, braucht es der drei Aspekte zur Diskussion der Familienentwicklung183: - Präferenz Timing Prävalenz Dass sich das Internet als eine Schnittstelle zwischen Eltern, Lehrern, Schülern und Gesellschaft erweisen kann, wird auch erst deutlich, wenn die Diskussion um das Für und Wider einer verstärkten modernen Mediendiskussion beigelegt ist, da sich „für die Eltern- und Familienbildung besonders die Fragen nach der veränderten Medienwelt der Kinder, Jugendlichen und Eltern und den Wirkungen von Medien“ 184 täglich neu stellen. Die Akzeptanzstufe dürfte wohl weitestgehend vollzogen sein. Entscheidender als das ‚ob‘ in der Diskussion geht es in der Medienerziehung mehr 182 Büchner, Peter: „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“ – (Schul-)Kindsein heute zwischen Familie, Schule und außerschulischen Freizeiteinrichtungen - Zum Wandel des heutigen Kinderlebens in der Folge von gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen, a. a. O., S. 16 183 Grundmann, Matthias / Huinink, Johannes / Krappmann: : „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“ – Familie und Bildung, Empirische Ergebnisse und Überlegungen zur Frage der Beziehung von Bildungsbeteiligung, Familienentwicklung und Sozialisation, a. a. O., S. 50 184 Hufer, Klaus-Peter / Weißeno, Georg (Hrg.): „Lexikon der politischen Bildung“ des Begriffs „Medien“ beschrieben von Hermann Buschmeyer, a. a. O., S. 168 73 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet um die Frageworte ‚ab wann‘ und ‚wie‘. Ab wann darf eine moderne Medienerziehung beginnen und wie sollte sie aussehen? Sicher ist es pädagogisch nicht sinnvoll, einen Computer ins Kinderzimmer zu stellen. Computer sollten meiner Ansicht nach nichts in Kinderzimmern zu suchen haben. Computer sind eher was für Jugendzimmer, wo sie die bessere Wahl zwischen eigenem TV oder Internetanschluss darstellen. Computerbegeisterte Eltern, die der Ansicht sind, dass ihre Sprösslinge gar nicht früh genug mit den Neuen Medien in Berührung kommen können, weil sie daran glauben, dass der Computer das Leben vereinfacht, wenn man ihn denn früh genug beherrschen lernt, die sollten daran erinnert sein, dass „der Computer niemals etwas daran ändern wird, dass der Mensch als soziales Wesen aufwächst. Auch wenn man es ihm nicht anmerkt. Das soziale Wesen wiederum wächst nur im direkten Kontakt mit Menschen auf, weil der Computer das, was ein Kind braucht, nicht leisten kann: Zuwendung und Zärtlichkeit.“185 FEIBEL macht hier sehr deutlich, dass Computer weder Familie noch Freunde ersetzen können. Eine wesentliche Komponente in der Erziehung spielt die Frage, ab wann es denn sinnvoll ist, Kinder mit den Neuen Medien zu konfrontieren. Rein kognitiv gesehen, sind Kinder bereits im Einschulalter in der Lage dem Computer einiges abzuverlangen und -zugewinnen. Nicht unbedingt seltsamerweise reagiert der Computer gelassener, je unbedarfter der Anwender ist. Ist der Anwender dazu auch noch neugierig und mit starker Lernfähigkeit einhergehend mit Begeisterung ausgerüstet, so wie es bei einem Schulkind nun mal der Fall ist, dann ist es kaum verwunderlich, warum manche Kinder Anwendungsprobleme mit dem Rechner schneller und erstaunlicher in den Griff bekommen, als es Erwachsene schaffen. Der Rechner im Jugendzimmer unterstützt die Kreativität und Phantasie der Heranwachsenden. Ein Rechner mit Internetanschluss im Jugendzimmer bietet „bestimmte Räume an, in denen ich mich relativ alleine aufhalten kann. Er liefert eine Möglichkeit der Intimität, die mir vielleicht meine unmittelbare Umgebung nicht gibt. Insofern bekommt er eine zunehmende Bedeutung für das tägliche Leben, aber auch für die Konstruktion und Vorstellungen des Lebens. Er offeriert mir zusätzlich Dinge, die an Attraktivität gewinnen, weil sie mir von der Realität nicht geboten werden. Dadurch wird die Realität attraktiver, weil sie etwas Einmaliges ist.“186 Im sorgsamen Umgang der Medienpädagogik dürfte festhalten zu sein, dass das Internet einen wesentlichen Beitrag leistet und seinen Lehrauftrag dahingehend erfüllt, das es am besten versteht, Heranwachsenden die Globalisierungseffekte in komprimierter Form nahe zu legen. Ohne Zweifel ist der Unterschied dabei erheblich, ob ein Heranwachsender bzw. eine Heranwachsende in einem bildungsnahen oder bildungsfernen Milieu aufwächst. Geografie lässt sich mit Begeisterung lernen, wenn man die Welt bereist. Eine Fremdsprache wird im Land der gesprochenen Sprache am effizientesten gelernt. Immer zuhause auf dem neuesten Stand der Technik sein zu können, erleichtert einem den Zugang zu Anwendung und Wissen, zu Praxis und Theorie. Es hilft die ganze Anstrengung nichts, wenn die Türen verschlossen bleiben, wenn der Raum nicht reicht und wenn die Förderung und Unterstützung nicht gegeben sind. Da bringen es GRUNDMANN u. a. auf den Punkt in dem sie schreiben: „Bildungsnähe ist entscheidender als Bildungsaspiration.“187 185 Feibel, Thomas zitiert den Medienpädagogen Bernd Schorb aus Leipzig in „Die Internet-Generation“, a. a. O., S. 183 186 ebd. S. 184 187 Grundmann, Matthias / Huinink, Johannes / Krappmann, Lothar: „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“ – Empirische Ergebnisse und Überlegungen zur Frage der Beziehung von Bildungsbeteiligung, Familienentwicklung und Sozialisation, a. a. O., S. 80 74 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Wie die Abbildung 3.2.b deutlich macht, scheint der Trend zur Ehe leicht zuzunehmen. Die Prozente der Alleinerziehenden sind innerhalb von 7 Jahren um drei Prozentpunkte gesunken, dementsprechend die der Ehepaare unter den Erziehenden um drei gestiegen. Zugenommen hat auch die Hysterie vieler junger Eltern: „Bei fast allen Erziehungsberatungsstellen und Sorgentelefonen für Eltern hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre die Zahl der Ratsuchenden verdoppelt. Nicht ganz so fest steht, wo Ursache und wo Wirkung liegen. Hat die Flut der Ratgeber, die Berichterstattung über kaum mehr zu bändigende Kinder, die Welle der Erziehungssendungen die Eltern so sensibilisiert, dass sie beim kleinsten Wutanfall ihrer Kinder das Gefühl beschleicht, pädagogische Versager zu sein? Dazu passt die Feststellung des Hamburger Erziehungswissenschaftlers PETER STRUCK, dass noch vor zwanzig Jahren Mütter beim Elterntelefon anriefen, wenn ihr Kind in der Pubertät Schwierigkeiten machte: ‚Inzwischen rufen sie bereits an, wenn es drei Jahre alt ist. Eltern haben heute viel früher Angst, dass ihr Kind nicht oben ankommt in der Gesellschaft’.‘“188 Die Ursache dieser Hysterie hat möglicherweise mit einer starken Verunsicherung der Erziehenden zu tun, aber auch fortschrittliche Technik tut ihr Übriges. Als Beispiel verweise ich hier – ohne es selbst und seine Nutzerinnen und Nutzer disqualifizieren zu wollen – auf das Babyphone. Als das Babyphone noch unbekannt war, da mussten Eltern auf den gesunden Schlaf ihrer Säuglinge vertrauen. Nun wird jedes noch so verdächtige Geräusch aus dem Kinderzimmer analysiert und die Eltern hocken argwöhnisch am Babyphone. Die Sorge um das Wohlergehen allein ist es nicht, sondern es ist die Ängstlichkeit der Eltern vor dem Vermeidbaren, welches sich in letzter Konsequenz meist als unvermeidbar herausstellt. Ein Babyphone lässt vielleicht schnell hellhörig werden, aber vielleicht lässt es auch zu sehr die eigentliche Aufmerksamkeit um den Nachwuchs verkümmern, da das Babyphone eine verlässliche und komfortable Alternative zur eigenen behütenden Anwesenheit am Kinderbett darstellt. Ähnlich verhält sich die Einstellung, wenn der Nachwuchs im pubertären Alter ist. So lange sich das Kind zuhause aufhält, glauben die Eltern ihre Kinder als vermeidlich im sicheren Umfeld zu wähnen. Viele Eltern realisieren langsam, dass das Kinderzimmer nicht unbedingt ein Rückzug ins Private bedeuten muss. Der Fall des minderjährigen Sassa-Wurm-Programmierers nur als ein Beispiel, sollte diese Tatsache belegen dürfen. Bei allen in Erwägung zu ziehenden familiensoziologischen Konstrukten, sollte das nicht zur pauschalisierten Deduktion der Konstrukte auf Verhaltens- und Lernstörungen von Heranwachsenden in der Diskussion der Begabungsförderung führen dürfen, denn „nicht das Aufwachsen in einer bestimmten Familienkonstellation selber, sondern erst das Auftreten mehrerer Belastungen beeinträchtigen die schulische Entwicklung der Kinder. Dazu zählen vor allem ökonomische Probleme und eine konflikthafte beziehungsweise gestörte innerfamiliale Kommunikation. Diese Faktoren gelten aber für alle Familien, ob es sich dabei um ‚vollständige‘ Familien oder aber um Familien mit nur einem Elternteil, um Ein-Kind-Familien oder um Scheidungs- und Stieffamilien handelt.“189 188 Susanne Schneider „Folgen? Unbekannt. – Eltern erziehen ihre Kinder nicht mehr. Darüber klagt inzwischen wirklich jeder. Und jeder kennt ein Rezept. Nur die Eltern nicht. Was ist eigentlich los?“ aus der Wochenendbeilage der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG #12 vom 24. März 2005, Seite 7 189 Grundmann, Matthias / Huinink, Johannes / Krappmann: : „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“ – Familie und Bildung, Empirische Ergebnisse und Überlegungen zur Frage der Beziehung von Bildungsbeteiligung, Familienentwicklung und Sozialisation, a. a. O., S. 85 75 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Bei der Einschätzung der Rolle des Internets im Familienleben sollte die Möglichkeit nicht unterschätzt werden, in wieweit es in der Lage ist, dem heranwachsenden Nutzer bzw. der heranwachsenden Nutzerin eine Zuflucht gegen Über- oder Unterforderung zu sein: „Der Hamburger Erziehungswissenschaftler PETER STRUCK spricht darüber hinaus von 15 Prozent aller Kinder, die von ihren Eltern als störend empfunden werden, weil beispielsweise Mutter und Vater Beziehungsprobleme haben. Am anderen Ende des Spektrums stehen 15 Prozent der Kinder, deren Eltern so leistungsorientiert sind, dass sie die komplette Kindheit verplanen: ‚Englisch lernen mit drei, Geige und Ballett mit fünf, ins Sportcamp mit elf, Sprachferien in England mit 14, Austauschjahr in den USA mit 16. Das sind jene, die die Erwartungen ihrer Eltern niemals erfüllen können und den größten Frust erleben‘, sagt PETER STRUCK. Und die Zahl der so genannten hilflos erziehenden Eltern wächst obendrein: jene, die ihr Kind zwar lieben, ihnen aber keine Grenzen setzen und auch sonst nicht recht wissen, wie man das macht mit der Erziehung.“190 Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG sah in ihrer Wochenendausgabe im März 2005 die Bestätigung gefunden, dass es gravierende Mängel in der häuslichen Erziehung gibt: „Die Beziehungslosigkeit unter den Familienmitgliedern nimmt zu, dem PC und dem Fernseher wird mehr Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet als den Familienmitgliedern. Regelsysteme würden nicht mehr aufgestellt oder wenn, dann nicht beachtet, Konsequenzen allenfalls angedroht, kaum jemals ausgeführt. Konsequenzen auch wirklich zu ziehen setzt voraus, Eltern akzeptieren, dass es eine Hierarchie gibt zwischen ihnen und ihren Kindern. Andernfalls drehen sich die Verhältnisse um: Das Kind wird groß, die Eltern klein. Heute bitten Eltern, dass die Kinder sie verstehen.“191 Dabei scheint auch eine gewisse Leichtigkeit im Umgang mit Heranwachsenden zu fehlen. Verkrampfungen entstehen aus der kompromisslosen Entschlossenheit, dass „junge Eltern auf keinen Fall die Fehler ihrer Eltern wiederholen wollen. Sie machen lieber ihre eigenen Fehler - und die ihrer Eltern dazu. Mit einem Unterschied: Während Eltern früher im leidenden Tonfall 'Mein Kind ist so anstrengend' sagten, nennen sie das heute voller Stolz 'hochbegabt'.“192 Es gibt genügend Phänomene, die den einen oder anderen Rückschluss auf die innerfamiliale Erziehung und die damit verbundene Begabungsförderung oder Begabungsverhinderung zulassen. Alle diese Phänomene auf eine analytische Grundlage gestellt, besteht diese aus fünf Spannungsfeldern, die sich dann zwischen Familien- und Bildungswesen laut GRUNDMANN u. a.193 aufbauen und sich dementsprechend auswirken: - Spannungsfeld der zeitlichen Koordination von Familienleben, beruflichen Verpflichtungen und Kindergarten- und Schulzeiten 190 Susanne Schneider „Folgen? Unbekannt. – Eltern erziehen ihre Kinder nicht mehr. Darüber klagt inzwischen wirklich jeder. Und jeder kennt ein Rezept. Nur die Eltern nicht. Was ist eigentlich los?“ aus der Wochenendbeilage der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG #12 vom 24. März 2005, Seite 8 191 Susanne Schneider zitiert in ihrem Artikel: „Folgen? Unbekannt. – Eltern erziehen ihre Kinder nicht mehr. Darüber klagt inzwischen wirklich jeder. Und jeder kennt ein Rezept. Nur die Eltern nicht. Was ist eigentlich los?“ aus der Wochenendbeilage der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG #12 vom 24. März 2005, Seite 10 die Familientherapeutin MECHTHILD SKELL 192 Feibel, Thomas: „Die Internet-Generation“ – Warum Eltern ihre Kinder nicht mehr verstehen, a. a. O., S. 60 193 Grundmann, Matthias / Huinink, Johannes / Krappmann: : „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“ – Familie und Bildung, Empirische Ergebnisse und Überlegungen zur Frage der Beziehung von Bildungsbeteiligung, Familienentwicklung und Sozialisation, a. a. O., S. 92f 76 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Ein einheitliches und einfach zu handhabendes Kommunikations- und Informationssystem scheint nur dann in seiner Wirkung anspruchsvoll, wenn es den Akteuren einen nötigen Anreiz – negativ wie positiv – gäbe, um eine bestehende wie auch zu entwickelnde Planung durchzuführen und einzuhalten. Außerdem braucht dieses System eine Verbindlichkeit und somit eine Herausforderung für die bereits jetzt überforderten Einrichtungen Kindergärten oder Schule. Was wäre denn zum Beispiel, wenn Schulen das Recht hätten, empfängerseitig zu bezahlende SMS an Blaumacher zu versenden und das pro versäumter Schulunterrichtsstunde? - Spannungsfeld der psychischen Belastungen im Schulsystem Eine psychische Belastung kann sich aus traumatischen Ereignissen oder aus temporären Stresssituationen ergeben. Vernetzte fest im Schulsystem integrierte therapeutische Einrichtungen könnten Heranwachsenden eine wichtige Stütze sein. Sind Stresssituationen akut oder chronisch im Alltag der Heranwachsenden verankert, so dass die Schülerinnen und Schüler den Schulunterricht nicht folgen und darum notorisch störend auffällig werden, so gibt es bereits das erfolgreich praktizierte Trainingsraumprogramm 194 , welches bei Stresssituationen in den Klassenzimmern wirkungsvoll entgegensteuern kann. Diese Steuerung ließe sich mit dem Einsatz der Neuen Medien im Trainingsraum wesentlich verfeinern. - Spannungsfeld der familialen Problemlagen und Bildungsprozesse Es gibt dutzende aufzuzählende Problemlagen innerhalb von Familien. Einige sind angesprochen worden. Auf manche Problemlagen in der Familie können Lehrer und Pädagogen Einfluss nehmen, weil sie die Eltern – oder zumindest ein Elternteil erreichen. Zu vielen Eltern scheint jeder Zugang jedoch unmöglich zu sein. Dabei greifen dann auch keine Maßnahmen des Ordnungs- oder Jugendamtes mehr. Die einzige Möglichkeit in solchen Fällen tiefer vorzudringen, könnte für den Lehrer mithilfe des Internets möglich sein, wenn der Lehrer über dieses Medium einen anderen nahen erwachsenen Verwandten oder Vertrauten des Heranwachsenden erreichen kann. - Spannungsfeld der Entscheidungsfindung über den Bildungsweg der Heranwachsenden Wenn die OECD im Rahmen ihrer PISA-Studien besonders rügt, dass in Deutschland im internationalen Vergleich Kinder zu früh in die Sekunda entlassen werden und der Blick von dieser Metaebene dann auf die Ebene der Familie führt, braucht es nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass Bildungsentscheidungen oft vorrangig den Entwicklungsentscheidungen getroffen werden. Anstatt einem Heranwachsenden die Möglichkeit zur Entfaltung seiner Kindheitsphase zu geben, um dann im Pubertätsstadium die Entscheidung gemeinsam mit Lehrern, Eltern und Schülern für einen neu zu beschreitenden Bildungsweg finden zu dürfen, beharren die Bundesländer im Streit um die Bildungspolitik weiter auf ihre Kompetenzen, bezogen auf das etablierte vier- bis sechsjährige Grundschulsystem. - Spannungsfeld der elterlichen Mitwirkungsrechte in Bildungseinrichtungen 194 von Ford, siehe Anhang – Trainingsraumprogramm und Droutcafés: eine kurze Methodenskizze des Begabungsförderungsprojektes Heranwachsender Internet 77 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Es gibt einen Dissens darüber, ob die Mitwirkungsrechte an den Mitbestimmungsrechten der Eltern in den Bildungseinrichtungen noch konform laufen. Anstatt nach kooperativer Partnerschaft in der Lehrer-Eltern-Beziehung zu streben, ist eine Tendenz dahingehend zu verzeichnen, dass anstelle von konstruktiver Zusammenarbeit zum Wohle des Heranwachsenden ein Kompetenzgerangel und eine Statusdiskussion in vielen Fällen getreten sind. Des Weiteren fällt auf, dass meist Frauen diejenigen sind, die sich um die schulischen Angelegenheiten kümmern und sich mit den schulischen Problemen der Heranwachsenden auseinandersetzen. Erst wenn es um die Mitbestimmung geht, dann werden Männer aktiv. Eine gleichberechtigte Auseinandersetzung beider Elternteile um die Übernahme von Verantwortung über erzieherische Belange und Aufgaben scheint kein Standard zu sein. Wieder wird deutlich, welche Rolle vor allem den Elternteilen in der Familienpolitik zu Teil wird. Diese Rolle verantwortungsbewusst zu übernehmen, wird dann wieder auf das Verhältnis des Elternpaares zueinander bezogen. Oder mit anderen Worten: harmonische wie disharmonische Partnerschaften der Eltern haben einen Einfluss auf das Bildungsrisiko der Heranwachsenden: „So ist bei den Jugendlichen, die eine diskontinuierliche Elternschaft erleben oder erlebt haben, ein höheres Bildungsrisiko erkennbar als bei denen, deren Eltern konstant zusammen leben. Auch weisen diejenigen Jugendlichen, die angeben, dass ihre Eltern getrennt leben, zu knapp zwei Dritteln ein Bildungsrisiko auf, ähnliche Tendenzen zeigen sich für Kinder geschiedener Eltern. Ferner korrelieren die Konflikte mit den Eltern mit dem Bildungsrisiko.“195 Dabei bleibt festzustellen, dass es ein perfektes Elternpaar nicht gibt, nicht gegeben hat und wohl auch nicht geben wird und „wann immer Eltern sich Gedanken über Erziehung machen, darüber reden, Fernsehsendungen zu diesem Thema ansehen, Ratgeber oder Zeitungsartikel lesen, ist schon etwas gewonnen. Wichtig ist vor allem, dass sie sich mit diesem Thema beschäftigen.“196 Nebst Familie spielen Freunde eine große Rolle im sozialen Umfeld von Heranwachsenden. Der folgende Text, den ein ca. 16- oder 17jähriger Mitschüler einem Gleichaltrigen gab, um ihn auf seiner Homepage zu veröffentlichen, soll für sich sprechen dürfen, wenn es um die Rolle des Internets zwischen Freunden geht: „Also auf deiner Homepage hast du ja darum gebeten, dass jeder mal so einen Text von/zu dir schreibt und da ich eh nicht anderes zu tu hab im Moment, mach ichs glatt auch mal, also zuerst einmal ich kenn dich, deine Art und dein Verhalten nicht, wenn du Online bist, im Chat oder sonst wo und im ICQ wechseln wir immer nur ein paar Sätze von daher reicht es nicht um mir eine Meinung darüber zu bilden, das einzige was ich sagen kann, ist dass ich mir deine Gästebucheinträge durch gelesen habe und ziemlich verwirrt war/bin, den scheinbar bist du Online ein ganz anderer Mensch wie im „Reallife“, auf einer Art beunruhigend und mir persönlich unverständlich. Ich weiß, dass du es in der Schule (ich kann jetzt nur von der Schule ausgehen, da ich dich ja Mittags noch nicht gesehen oder getroffen habe) ziemlich schwer hast, ich mein jetzt nicht Arbeiten oder notenmäßig, sondern freundschaftlich, denn wirkliche 195 Deutsche Shell (Hrg.) / Hurrelmann, Klaus / Linssen, Ruth / Leven, Ingo in Arbeitsgemeinschaft mit Infratest Sozialforschung: „Jugend 2002“ – Wachsende Ungleichheit der Zukunftschancen?, a. a. O., S. 71 196 Susanne Schneider zitiert in ihrem Artikel: „Folgen? Unbekannt. – Eltern erziehen ihre Kinder nicht mehr. Darüber klagt inzwischen wirklich jeder. Und jeder kennt ein Rezept. Nur die Eltern nicht. Was ist eigentlich los?“ aus der Wochenendbeilage der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG #12 vom 24. März 2005, Seite 11 den Hamburger Erziehungswissenschaftler Peter Struck 78 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Freunde hast du ja nicht in der Schule. Klar stehst du in der Pause mit diesen ichweiß-nicht-wie-ich-das-ausdrücke-soll-ohne-bestimmte-Personen-zu-gruppierenalso-lass-ich-lieber-aber-du-weißt-sicherlich-wen-ich-meine, rum. Doch da kann ich mir nur am Kopp packen auf einer Art meinen sie Punks zu sein und auf der anderen Seite Nazis, so kommt es einen vor, wenn man manchmal ein paar Kommentare oder Gesprächsfetzen mitbekommt. Also entweder wissen diese Personen nicht was es heißt ein Punk/Linker zu sein oder sie sind einfach nur dumm und dämlich! Aber jetzt zu dir: du integrierst dich nicht, bist ruhig, verschlossen eben ein Mensch mit zwei Gesichtern. Aber damit wird man auf Dauer auf die Schnauze fallen, denn nicht der Kack-Chat oder sonst welche Deutschland Bekanntschaften werden dir hier und jetzt was bringen! Klar können das „Freunde“ sein/werden, aber wer kann dir die Gewissheit geben, dass sie sich nicht verstellen, also ich persönlich möchte nichts mit jemanden zu tun haben, der in Wirklichkeit ein ganz anderer ist, aber zum Glück kann man das ja nicht auf alle beziehen, was ich auch nicht tue. Aber hast du schon mal drüber nachgedacht, wie viele du davon persönlich kennenlernen wirst? Also das kann es doch nicht sein! Du bekommst von der Außenwelt doch absolut nichts mehr mit. Aber ich will hier jetzt auch nicht nur negatives schreiben, also du bist ein wirklich netter und hilfsbereiter Mensch, obwohl du einen auch manchmal ein nazistisches Verhalten entgegen wirfst was einen abschrecken könnte, doch darüber kann man hinwegsehen ;). Also ich habe dir hiermit versucht zu helfen und ich denke ich hab es so objektiv wie möglich verfasst. Auch du kannst ruhig mal deinen Mund aufmachen und deine Meinung sagen wenn dir was nicht passt und das ist auf alle Situationen bezogen.“197 Tab. 3.2.b: Zugang der Heranwachsenden 2002 zum Internet (privat, in der Ausbildung oder im Beruf) und Umfang der Nutzung des Internets nach relevanten und persönlichen Merkmalen198 Jugendliche im Alter von 12 bis 25 durchschnittliche Nutzung pro Jahren in Prozent: Woche in Stunden: gesamt 65 7 männlich 68 8,8 weiblich 62 4,8 12 bis 14 52 4,5 15 bis 17 67 6,4 18 bis 21 69 7,8 22 bis 25 71 7,8 Hauptschüler 42 5,4 Realschüler 62 6,1 Gymnasiasten 76 6,4 Studierende 95 8,6 Auszubildende 60 7,1 Erwerbstätige 60 7,4 nicht 60 5,2 Erwerbstätige Arbeitslose 29 8,9 Unterschicht 38 7,1 untere 55 6,7 Mittelschicht 197 ein 15jähriger Realschüler aus Gronau / Westfalen schreibt im Forum eines Mitschüler über diesen Mitschüler, 2004 198 Deutsche Shell (Hrg.) / Hurrelmann, Klaus / Albert, Mathias (Konzeption & Koordination) in Arbeitsgemeinschaft mit Infratest Sozialforschung: „Jugend 2002“ – Zwischen pragmatischem Idealismus und robustem Materialismus, 14. Shell Jugendstudie, 2002, a. a. O., S. 83 79 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Mittelschicht obere Mittelschicht Oberschicht 68 5,8 77 84 8,1 8,1 3.3. Die Rolle des Internets im ökonomisch-sozialen Umfeld der Schule und Ausbildung Die Ausbildungsphase ist wohl eines der entscheidenden Epochen eines jungen Menschen. Um diese Phase darf kein Heranwachsender betrogen werden dürfen, weil „die Ausbildungszeit Teil der Phase ist, in der die Konturen der zukünftigen Lebensgestaltung erst allmählich entstehen, in der Klarheit über den zukünftigen Partner oder die zukünftige Partnerin, womit man zu einem längerfristigen Zusammenleben bereit wäre, und Klarheit über die Vorstellungen zu einer eigenen Familien noch zu gewinnen sind.“199 Wer ohne Ausbildung bleiben muss, dem fehlen nicht nur wichtige Schlüsselqualifikationen, Allgemeinbildung und Fachwissen, sondern ist auch um sozial-relevante Kontakte ärmer. Heranwachsende ohne Ausbildung finden sich in einem Dilemma wieder: „Haste was, biste was. Haste nix, biste nix.“ Und dabei scheinen „nicht nur Männer, sondern auch Frauen ohne Berufsausbildung und eigene berufliche Perspektiven heute den Makel zu tragen, wichtige Voraussetzungen für die zukünftige Lebensbewältigung nicht erfüllt zu haben.“200 Das lebenslange Lernen als der Schlüssel für qualifizierte Arbeit und Beschäftigung ist nicht der alleinige Grund für die oft langen Ausbildungsphasen junger Heranwachsender. Viele junge Leute jobben heutzutage übergangsweise zum Beispiel in Call-Centern, um die Wartezeit für eine freie Ausbildungsstelle oder einen Studienplatz zu überbrücken. Der Mangel an Beschäftigungsverhältnissen wirkt sich auf die zunehmend knapper werdenden Ausbildungsplätze aus. Oft stehen Heranwachsende nach absolvierter Ausbildung wieder ohne Beschäftigung da und sehen sich gezwungen, auf einen anderen Beruf umzuschulen, sich weiterzubilden, Praktika zu absolvieren oder sich mit Mini- bzw. Midijobs über Wasser zu halten. Somit dauert „für immer mehr junge Erwachsene die Ausbildungsphase bis in das dritte Lebensjahrzehnt hinein an, sie kann mitunter bis ins vierte Lebensjahrzehnt reichen.“201 Ein weiteres Indiz, warum die kostenlose Förderung der Begabungen Heranwachsender stärker als bisher von Bedeutung gewinnen wird, ist die Tatsache, dass es nicht mehr als selbstverständlich anzusehen ist, dass eine fundierte Ausbildung einen Platz am Ersten Arbeitsmarkt sichert. Einhergehend mit diesem arbeits- und verteilungspolitischen Phänomen der zeitlichen Ausdehnung von Ausbildungsphasen auf der einen Seite und der knapper werdenden Ausbildungsplätze auf der anderen, können „die Berufe der Zukunft nicht sofort nach Beendigung der Schulzeit ergriffen werden, in sie wächst man durch Weiterbildung hinein. Dazu bedarf es entsprechender Weiterbildungsangebote. Der Strukturwandel wird in Zukunft in 199 Grundmann, Matthias / Huinink, Johannes / Krappmann: : „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“ – berufen sich in Familie und Bildung, Empirische Ergebnisse und Überlegungen zur Frage der Beziehung von Bildungsbeteiligung, Familienentwicklung und Sozialisation auf Oppenheimer von 1988, a. a. O., S. 48 200 Grundmann, Matthias / Huinink, Johannes / Krappmann: : „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“ – Familie und Bildung, Empirische Ergebnisse und Überlegungen zur Frage der Beziehung von Bildungsbeteiligung, Familienentwicklung und Sozialisation, a. a. O., S. 47 201 ebd. S. 48 80 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet immer bedeutenderem Ausmaß von den Erwerbstätigen mittleren und höheren Alters bewältigt werden müssen.“ 202 Eines der entsprechenden Weiterbildungsmöglichkeiten, dessen Ausgaben von einer zahlungswilligen Allgemeinheit meiner Ansicht nach aufgebracht werden könnten, und mit der eine künftige Kostenexplosion im Bildungswesen ex ante vermieden werden könnte, stellt die Begabungsförderung Heranwachsender im Internet dar: „Die immer dichter werdenden Medienangebote schaffen durch Breite und Intensität ihrer Wirksamkeit auch für die Schule neue Lernund Arbeitsmöglichkeiten, stellen sie aber auch in Frage. Interesse und Motivation vieler Schülerinnen und Schüler verlagern sich in den Medienbereich. Die notwendige und gewollte Begrenztheit der von der Schule bearbeiteten Themen scheint den Medienangeboten immer mehr Bildungswirksamkeit zu verleihen. Die inhaltlichen und methodischen Sicherheiten, mit denen die Unterrichtsgestaltung bisher ihre Erfolge kalkulieren konnte, erweisen sich oft als nicht mehr tragfähig. Schulisches Lernen wird das Lernen mit und durch Medien mitsehen müssen. Dies kann einen Verzicht auf Ziele und Inhalte, die traditionell den Unterricht getragen haben, ebenso bedeuten wie die Veränderung des Vorgehens, sogar die Auslagerung von Lerneinheiten in individuelle, mediengestützte Selbstlernphasen.“203 Wie das Beispiel des Deutschen Bildungsservers, der in seinen Umrissen im zweiten Kapitel bereits vorgestellt wurde, zeigen soll, gibt es eine Anstrengung hinsichtlich der Zusammenführung von Schule und Neuen Medien. Was aber das Angebot im Internet für schulische Bildung angeht, so könnten für die unbedarften Nutzer Irritationen zur Tagesordnung werden: „Die pädagogische Perspektive, den mündigen Umgang mit Medien zu fördern, bzw. Lernende kompetent im Umgang mit Medien zu machen, berührt nicht nur die Rezipientenrolle, sondern auch die Produzentenrolle des Adressaten. In der Rolle des Rezipienten tritt beispielsweise für den einzelnen Bürger zunehmend das Selektionsproblem in den Vordergrund.“ 204 Zählt GOOGLE beim Suchbegriff ‚Schule‘ fast zweiundzwanzigeinhalb Millionen Einträge, so dürfte es eine Weile dauern, um die ‚Perle der interaktiven Bildung‘ ausfindig zu machen. Ich bemängel hier nicht den Dezentralitismus der gestellten Informationen, die das Internet ohne Zweifel attraktiv machen, sondern eine mangelnde Uniformität der Schulbildungsangebote, wenn es um das einheitliche Ziel der Bildungsaspiration geht, welches schließlich und endlich verfolgt wird. Dieses Ziel sollte der Hoheitsauftrag im Lernprozess der Schule off- wie online sein, weil „die Ziele der Allgemeinbildung und der Berufsbildung so gesetzt werden müssen, dass eine Teilnahme am Wandlungsprozess und auch an der Gestaltung neuer Perspektiven im Wirtschafts- und Arbeitsleben möglich wird. Es geht um die Frage, mit welchen Zielen, mit welchen Mitteln, in welchen Formen und mit welchen zukünftigen Folgen heute und morgen gearbeitet wird bzw. gearbeitet werden soll. Darauf müssen Lernprozesse der Schule sich einstellen, auf diese Fragen müssen sie vorbereiten.“ 205 Dementsprechend trägt der Appell der BILDUNGSKOMMISSION NRW den Schulen damit auch Rechnung, dass sie sich mit der Frage eines einheitlichen Auftritts im Internet befassen sollten. Unser Nachbar Österreich macht vor, wie es meiner Meinung nach gehen könnte. Für www.schule.at zeichnet sich das österreichische Bildungsministerium in Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft verantwortlich. Dass Deutschlands Schulen zum Teil bereits den Anschluss ans 202 Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ – Aufgaben für die Schule, 1995, a. a. O., S. 55 203 ebd. S. 136 204 Thilo Harth, „Das Internet als Herausforderung politischer Bildung“, a. a. O., S. 83 205 Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ – Aufgaben für die Schule, 1995, a. a. O., S. 53 81 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Internet bislang verpasst haben, zeigt ein Beispiel. Unter der Domain www.lehrer.de findet sich eine Seite im Aufbau (Stand: 05.12.2006 06:09). Unter der österreichischen Sublevel-Domain ‚at‘ findet sich bei den Lehrern auch das, was der unbedarfte User erwartet; einen unmittelbaren Zusammenhang zu Schule und Bildung. Die Ursache eines solchen ‚Verschlafens der Beschaffung von wichtigen Domains über die DENIC‘, dürfte sich meiner Ansicht nach auch und vor allem in der föderalistischen Bildungspolitik der Bundesrepublik Deutschland selbst liegen, die den Schulen zu wenig finanzielle Handlungs- und Entscheidungsspielräume lässt. Aber auch manche Schulen tragen selbst Verantwortung für eine unübersichtliche Struktur ihrer Angebote im weltweiten Netz, denn schließlich hat es relativ lange gedauert und hält bisweilen an, bis die Diskussion über die Notwendigkeit der Neuen Medien als lerninhaltliches Angebot und somit als Anspruch wahrgenommen wurde bzw. wahrgenommen wird. Darum halte ich auch den Appell der nordrheinwestfälischen Bildungskommission von 1995 diesbezüglich an die Schulen für durchaus gerechtfertigt: „Schulen sollen die Medienwelt als Bildungswelt und Miterzieher nicht nur in Kauf nehmen; sie sollen sich nicht in erster Linie gegen sie abgrenzen, sondern sie bei der Gestaltung von Unterricht und Erziehung annehmen, als Partner sehen und nutzen.“206 Bisher waren Schule und ihre Lehrinhalte mehr oder weniger darauf begrenzt, in der Gegenwart die Vermittlung von Vergangenheit leisten zu müssen und auch zu wollen. Doch dies allein reicht heutzutage nicht mehr aus, um den Anspruch von Schule an die Institution Schule sozial gerecht werden zu können, denn „Bildung kann sich nicht der schwierigen Aufgabe entziehen, in der Gegenwart die Vermittlung zwischen Vergangenheit und Zukunft leisten zu müssen. Ihre Institutionen werden lernen müssen, auf sich verändernde Rahmenbedingungen und auf neue, häufig noch ungewisse Herausforderungen flexibel und rechtzeitig zu reagieren.“207 Darum fordert meiner Ansicht nach die BILDUNGSKOMMISSION NORDRHEIN-W ESTFALENS zu recht, dass „Schulen (deshalb) ihre medien-pädagogische Arbeit im Rahmen eines entsprechenden pädagogischen Gesamtkonzeptes verwirklichen sollen.“208 Ein Gesamtkonzept könnte die Begabungsförderung Heranwachsender im Internet unter klaren methodischen Angehensweisen nicht nur für Schüler, Eltern und Lehrer, sondern für alle Beteiligten (Verwandte, Freunde, Bekannte, Gönner, Spender und Sponsoren) darstellen. In dieser Methodik sollten die Neuen Medien unter den Gebrauch von Lehr- und Lernsituationen gesehen werden, auf die in diesem Kapitel und im Kapitel 4 noch detaillierter eingegangen wird. Denn „betrachtet man Medien zunächst zum Gebrauch in Lehr- / Lernsituationen, so ist zu berücksichtigen, dass Medien ‚tiefgefrorene‘ Ziel- Inhalts- und Methodenentscheidungen sind, die durch das methodische Handeln von Lehrenden und Lernenden wieder ‚aufgetaut‘ werden.“ 209 Wobei in der Begabungsförderung, wie im Kapitel 1 ausführlichst geschildert wurde, die Lernenden nicht nur eine Zielgruppe der Schülerinnen und Schüler darzustellen haben, sondern auch Eltern und – in lehrbezogener Didaktik und Dialektik – auch die Lehrer selbst unter diese Förderung einbezogen werden müssen. Prinzipiell hat THILO HARTH in zwei Sätzen zusammengefasst, was eine Begabungsförderung Heranwachsender mithilfe des Internets bedeuten könnte: 206 ebd. S. 137 Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ – Anforderungen an Bildung und Schule, 1995, a. a. O., S. 24 208 ebd. – Leitvorstellungen, 1995, a. a. O., S. 138 209 Thilo Harth zitiert in „Das Internet als Herausforderung politischer Bildung“, a. a. O., S. 83, H. Meyer aus „UnterrichtsMethoden“ I: Theorieband“, 4. Auflage, Frankfurt am Main 1987, S. 150 207 82 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet „Ziel-, Inhalts- und Methodenentscheidungen, die sich mit dem Internet verknüpfen lassen, sind aufgrund der heterogenen Eigenschaften des Online-Mediums äußerst vielschichtig. Die Entscheidung, in der jeweiligen Lehr- / Lernsituation etwa Selbsttätigkeit des Lernenden zu fördern, wird durch die besonderen Eigenschaften des Mediums zur interaktiven Nutzung, durch die vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten in einem ‚echten‘ Kommunikationsraum oder durch die synergetische Nutzung des Medienverbundes etwa bei der Informationsrecherche und der gleichzeitigen Zusammenarbeit mit anderen Netznutzern unterstützt.“210 Die Zeiten, als sich Deutschland noch im ‚Internet-i-Männchen-Zeitalter‘ befand, sind vor etwa fünf Jahren vorläufig zu Ende gegangen. Als die Einzelhandelskette ALDI Anfang des Milleniums seine ersten ‚Volksrechner‘ auf den Markt warf, gab es im Zuge dessen einen starken Andrang auf PC-Kurse in den Volkshochschulen. Vor allem Internetkurse und der Erwerb von Grundlagenkenntnisse im Umgang mit dem PC (ECTL) – im Volksmund auch Computerführerschein genannt – waren als VHSKurse bei Alt und Jung besonders gefragt. Kurzum ergab sich eine Notwendigkeit des Lernens bezogen auf die neuen Technologien. Als dann Technologien hinzukamen, die die Anwendung des Internets durch die Einführung beispielsweise mittels DSL die Datenübertragung schnellerer und die ersten Flat-Rates preiswerter werden ließen, führten vor allem diese Marktinnovationen dazu, dass Selbstlernprozesse am Rechner möglich wurden, ohne der besonderen Didaktik eines geschulten Dozenten zu bedürfen. Mittlerweile ergibt sich diese „Notwendigkeit des Lernens heute nicht mehr durch die Technik selbst, sondern durch das Selektionsproblem, das mit der Informationsfülle entsteht.“211 Genau dieses Selektionsproblem für Schule und Ausbildung ökonomisch und sozial in den Griff zu bekommen, dürfte die größte Rolle beim Gestalten des Internets spielen, wenn es um die Begabungsförderung Heranwachsender geht. Abb. 3.3.: Internetnutzung 2002 Heranwachsender bis 25 Jahre nach ihrem beruflichen Stand212 3.4. sozialpsychologische Hypothesen im Umgang mit dem Internet an deutschen Schulen 210 ebd. S. 83 B. Koring, „Lernen und Wissenschaft im Internet“ – Anleitungen und Reflexionen zu neuen Lern-, Forschungs-, und Beratungsstrukturen, a.a.O., S. 24 212 vgl. Tabelle 3.2.b. 211 83 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet „Das Internet beeinflusst die ‚Möglichkeiten der Pädagogik, die es zwar auch früher schon gab, die aber erst jetzt umgesetzt werden können. Es fordert die Pädagogen heraus, das Beste aus diesen Möglichkeiten zu machen und die Schüler mit den potentesten Lernwerkzeugen der digitalen und multimedialen Telekommunikation auszustatten, die wir in unserer Kultur zur Verfügung haben.“ 213 Das ist leichter gesagt, als getan. Solange Lehrerinnen und Lehrer wenig Einfluss und Mitspracherecht auf die Anschaffungen digitaler und multimedialer Telekommunikationsausstattungen ihrer Schule ausüben dürfen und können, werden sie sich mit denen ihnen vorgesetzten Möglichkeiten zufrieden geben müssen. In der Informationstechnologie engagiertes Lehrpersonal verfügt daheim u. U. über modernere Technologien und muss im Unterricht sein Arbeitsmaterial den gegebenen Technologien der Schule anpassen, was wiederum zeitaufwändig ist. Darum verzichten möglicherweise Lehrerinnen wie Lehrer darauf, den digitalen Unterricht zuhause vorzubereiten, aus Sorge, dass mögliche Konvertierungsprobleme des Datenmaterials die Unterrichtspräsentation scheitern lassen könnte. Das Unterrichtsmaterial im Internet zu publizieren könnte für versierte Lehrkörper die Alternative sein, um einen Unterricht gestützt auf digitale und multimediale Telekommunikationsausstattungen aufbauen zu können, obwohl auch dort gewisse Konvertierungsprobleme eine Rolle spielen könnten. Aus eigener Erfahrung aus meiner Dozententätigkeit weiß ich, dass jede zu bedenkende Möglichkeit, die den vorbereiteten Unterricht zu kippen droht, a priori aus der Planung des Lehrenden gestrichen wird. Geneigt zu behaupten, dass die Anwendungen im Internet einen einzelnen Schüler bzw. eine einzelne Schülerin ansprechen sollen, so steht der Gruppengedanke latent dieser Neigung gegenüber. Eine Schulklasse, die den Unterricht in mediengestützten Räumlichkeiten verbringt und aufgrund der Klassengröße nicht jede Schülerin und jeder Schüler einen eigenen Rechner beanspruchen kann, weil die Medienausstattung auf kleinere Klassen ausgelegt ist, wird mit Gruppenleistung konfrontiert sein. Zusammenarbeit im Team wird zur Notwendigkeit. Dieses Zusammenarbeiten kann sowohl leistungsfördernde als auch leistungshemmende Wirkungen haben. Das korreliert mit der Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler in der Klasse. Diese Zusammensetzung ist wörtlich zu nehmen, da sich dem sozialpsychologisch geschulten Pädagogen die Frage stellt, wie sich der Klassenverband an den Rechnern am wirkungsvollsten zusammensetzen lässt. Den Lehrerinnen und Lehrern ist schließlich Gruppenproduktivität wichtig, die sich aus folgender Gruppenleistungsformel zusammensetzt: „Gruppenproduktivität = potentielle Produktivität – Motivationsverlust – Koordinationsverluste“ 214 Dementsprechend ist den Lehrenden a priori bewusst, dass die Lernenden mit dem gruppenspezifischen Phänomen des Social Loafings, also des ‚Trittbrettfahrens‘ konfrontiert werden; und zwar auf eine Weise, wie es im konventionellen Unterricht ohne den Einsatz der Neuen Medien nicht zu Tage tritt. Wobei zu Tage treten in diesem Fall einen leicht sarkastischen Einschlag bekommt, weil genau dieses Social Loafing eben nicht offensichtlich zu Tage tritt, sondern erst dann am einzelnen Schüler bzw. an der einzelnen Schülerin beobachtet werden kann, wenn eine ex213 Thilo Harth rezitiert in „Das Internet als Herausforderung politischer Bildung“, a. a. O., S. 145, Robert McClintock, Erziehung für das 21. Jahrhundert, in: C. Leggewie u. C. Maar (Hg.), Internet & Politik. Von der Zuschauer- zur Beteiligungsdemokratie, Köln 1998, S. 401 bis 415 214 vgl. Experimente zu Motivations- und Koordinationsverluste von LATANÉ, WILLIAMS & HARKINS 1979 84 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet post-Betrachtung vorgenommen wird oder anders ausgedrückt: Bei der Prüfung der Einzelleistungen von Schülerinnen und Schülern im Umgang mit den Neuen Medien lässt sich erst erkennen, ob der mediengestützte Lerninhalt vermittelt werden konnte. Das Problem des Social Loafing lässt sich durch zwei Vorgehensweisen lösen: zum einen das Wissen um jedes einzelne Gruppenmitglied und deren Zusammensetzung oder zum anderen durch eine zu lösende Gruppenaufgabe, wobei drei Aufgabenphänomene voneinander zu unterscheiden sind: - additive Aufgaben (alle ziehen an einem Strang) disjunktive Aufgaben (jedes Gruppenmitglied löst die selbe Aufgabe, um zu einem Schluss zu gelangen) konjunktive (komplementäre) Aufgaben Bei den zu lösenden Gruppenaufgaben ist es wichtig, dass die Heranwachsenden über ein Urteilsvermögen verfügen. Menschen möchten auf der einen Seite eine richtige Beurteilung abgeben und sie möchten aber auch auf ihre Mitmenschen einen guten Eindruck machen. Zur Urteilsbestimmung gibt es zwei Informationsquellen: das, was die Sinne und die physikalische Realität mitzuteilen im Stande ist und das, was andere sagen. Akzeptiert ein Individuum das Urteil anderer, so wird dieser Umstand Informationseinfluss genannt, was bedeutet, dass der Mensch dem Urteil anderer mehr Glauben schenkt, als seinem eigenen Urteilsvermögen. Akzeptiert ein Individuum das Urteil anderer nicht, beugt sich aber trotzdem dem Gruppendruck, um eine Ablehnung durch die Gruppe nicht fürchten zu müssen, so wird dies normativer Einfluss genannt. Der Informationseinfluss ist beim kooperativen Umgang der Schülerinnen und Schüler mit den Neuen Medien weitaus häufiger anzutreffen, da die Unsicherheit weniger versierter Schüler sich den Herausforderungen beim Lernen digitaler Zusammenhänge stellen zu können oder zu wollen groß ist, beugen sie sich den Erkenntnissen der technisch versierteren Mitschülerinnen und -Schüler, ohne eigene Erkenntnisse zu reflektieren. Da sich auch ein Rechner meistenteils nur von einem Anwender bedienen lässt und nicht von mehreren gleichzeitig, löst das bei Engpässen hinsichtlich einer unterstellten Unterausstattung digitaler Medienwerkzeuge an den Schulen, eine gruppendynamische Achsenverschiebung im Vergleich zum konventionellen Unterricht aus. Während beim konventionellen Unterrichten alle Schülerinnen und Schüler ‚gefragt‘ sind, das heißt zur Mitarbeit aufgefordert werden, ist es beim mediengestützten Unterricht auch immer nur der Schüler bzw. die Schülerin, die vor dem zu steuernden Medium sitzt. Der ‚Co-Pilot‘ könnte unter gewissen Umständen in den Informationseinfluss seines steuernden Mitschülers geraten. Der normative Einfluss im Klassenzimmer ist zwar im konventionellen Unterrichtsbetrieb häufiger zu beobachten, als im mediengestützen; ist aber auch im Unterricht mit den Neuen Medien nicht völlig auszuschließen. Vor allem dann, wenn Schülerinnen und Schüler dem Neuen Medium abgeneigt gegenüberstehen und im Informations- und Telekommunikationszeitalter ein Gräuel sehen, so entsteht normativer Einfluss im computergestützten Klassenraum. Will also heißen, dass mit dieser Feststellung eine Hypothese einhergeht, die besagt, dass Schülerinnen und Schüler mediengestützten Unterricht dem konventionellen Unterricht vorziehen. Jede Gruppe hat ihren eigenen Altersdurchschnitt. In der Gruppe der Sekunda sind die Streuungen und Abweichungen um den Mittelwert des Gruppenalters gering. Und doch erzwingen neue Zeitphänomene dem Lehrenden eine psychologische Flexibilität, die es noch nicht so lange gibt: „Bis vor zwanzig Jahren galt, dass sich Lehrer alle sieben Jahre auf eine neue Schülergeneration einstellen mussten, auf 85 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet neuen Musikgeschmack, veränderte Jugendsprache, andere Haarlängen und Weltanschauungen, neue technische Geräte, die Einzug ins Kinderzimmer gehalten haben und die Erwachsene nicht begreifen. Heute haben es Lehrer schon nach drei Jahren mit einer komplett verwandelten Schülergeneration zu tun.“ 215 Ein guter Pädagoge muss sich empathisch verhalten und dennoch als Autorität abgrenzen können. Wenn sich Pädagoginnen und Pädagogen auf eine Generation einstellen und einlassen können, dann nur unter der Bedingung, dass sie es auch mit einer einzigen Generation im Klassenzimmer zu tun haben. Diese Wahrscheinlichkeit wird durch die Feststellung STRUCKS ad surdum geführt. Auszuschließen ist keinesfalls, dass bei zunehmenden Klassengrößen und abnehmenden Schulleistungen einiger Schülerinnen und Schüler, sich demnach zwei Schülergenerationen in einer Klasse wiederfänden. Im konventionellen Unterricht könnten diese zwei Generationen zur Hemmung der Gruppenleistung führen – im rechnergestützten Unterricht könnten diese zwei Generationen die Gruppenleistung gar fördern. Das Phänomen lässt sich sozialpsychologisch durch eine ‚Autoritätsverschiebung‘ erklären: Ist im konventionellen Unterricht die Orientierung des Lernens und Lehrens an die Autorität des Lehrers selbst gekoppelt, so ist im mediengestützten Unterricht das Medium selbst eine Autoritiät, welches sich auf recht eigenwillige Weise durchzusetzen versteht. Im Falle von falschem Umgang mit dem Medium selbst, ist die darauf folgenden Sanktion selbstläuferisch. Die Autorität des Mediums Computer generiert sich aus der Angst vor ‚falscher Bedienung‘ seitens des Anwenders. Diese Angst ist allerdings pseudonal, denn tatsächlich ist es die Angst der eigenen Grenzen intellektueller Fähigkeiten (wie der des Lesens bzw. des Leseverständnisses an sich auf das im vierten Kapitel näher eingegangen wird) und die Angst vor Überforderung im Umgang mit neuen Technologien: Dass ein Computer nicht auf herkömmliche Weise ‚zu Bruch‘ geht, wenn er falsch bedient wird, weiß eigentlich fast jeder. Der Respekt rührt eher von einer Ungewissheit her, welche Folgen welche Tastensteuerungskombination oder welcher Mouseclick auslösen könnte. 3.5. Soziologische Größenordnungen des Internetzugangs und der Nutzung im Vergleich Schule und Elternhaus Auf hundert Haushalte kamen laut Berechnungen des Statistischen Bundesamtes 2004 47 Haushalte, die über einen Internetanschluss verfügten. Ein Fünftel aller gezählten Haushalte waren davon mit einem schnelleren Internetzugang mittels ISDN-Modem-Anschluss ausgerüstet. 216 Somit ist anzunehmen, dass mittlerweile wesentlich mehr als die Hälfte aller bundesdeutschen Haushalte mit einem Internetzugang versorgt sind. Angenommen, die gezählten Bedingungen zum Internetzugang träfen auch heute noch (Ende des Jahres 2006) zu, dann gäbe es im Internet eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, wobei die „niedrigere“ Klasse sich per AnalogModem bewegte, während die „höhere“ Klasse über einen digitalen Zugang (ISDN, DSL oder Fernsehkabelnetz) verfügte. Es gilt dabei in technischer Hinsicht anzumerken, dass der analoge Internetzugang über eine vielfach kleinere Übertragungsrate läuft (die letztlich die Fortbewegungsgeschwindigkeit im Internet maßgeblich mitbestimmt; sprich: den Seitenaufbau, die Up- und Downloadgeschwindigkeit, etc.). Oder praktisch formuliert: ein Herunterladen kann für ein und dasselbe Produkt aus dem Internet per Analog-Modem (59 kB/s) eine Stunde, per ISDN-Modem (64 kB/s) 215 Susanne Schneider zitiert in ihrem Artikel: „Folgen? Unbekannt. – Eltern erziehen ihre Kinder nicht mehr. Darüber klagt inzwischen wirklich jeder. Und jeder kennt ein Rezept. Nur die Eltern nicht. Was ist eigentlich los?“ aus der Wochenendbeilage der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG #12 vom 24. März 2005, auf Seite 8 den Hamburger Erziehungswissenschaftler Peter Struck 216 http://www.destatis.de/basis/d/evs/budtab2.php, Stand: 18.10.2005 08:09 86 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet 29 Minuten und per DSL-Modem (ab 720 kB/s) drei Minuten oder per Glasfaserleitung ein paar dutzend Sekunden dauern. Beim intensiven Austausch von Dateien per Messenger beispielsweise ist ein solches Vorgehen für Analogmodem-Nutzer ein hoffnungsloses Unterfangen. Die Option des schnellen Dateienaustausches ist eine bedeutsame Funktion für das Begabungsförderprojekt Heranwachsender im Internet (BHI) und wird im Anhang dieser Arbeit kurz erläutert. Käme man daher, eine Verteilung von grob geschätzten 6,5 Mio. Haushalten mit schnellerem Internetzugang auf die Tabelle 3.2.a (S. 70) vorzunehmen, so könnten diese schnellen Anschlüsse allein schon den Familien ohne Kindern zufallen. Ein solches Denkmodell – auf ersten Blick absurd anmutend – macht allerdings in der Theorie den Sinn, den Blick für die praktisch gegebenen Verhältnisse nicht zu verlieren, gar zu erweitern. Eine solche Verteilungsunterstellung hieße demnach nicht viel anderes, als dass den Familien mit Kindern das Geld fehlen würde, um einen schnellen Internetzugang bereitzustellen. Ganz so diametral stellt sich diese Situation allerdings doch nicht da. Es sei einfach an dieser Stelle unterstellt, dass es ca. 10 Millionen Privathaushalte mit Kindern in Deutschland gibt. Bei einigermaßen sozialgerechten Bedingungen sei des weiteren davon auszugehen, dass eine knappe Mehrheit dieser Familien mit einer monatlichen Auskommensgrenze leben muss, die einen privaten innerfamilialen Zugang zum Internet nicht ermöglicht oder nur unter wettbewerbsverzerrenden Bedingungen erlaubt (schließlich hat ein schnellerer Internetzugang und eine gewisse regelmäßige Nutzung ihren monatlichen Preis). Mögen 4,9 Millionen Haushalte den Kindern einen mehr oder weniger regelmäßigen Internetzugang ermöglichen. Und von diesen wiederum ein Fünftel über einen schnellen Internetzugang per ISDN verfügen, so betrüge diese Schätzung etwa eine Millionen Familien mit Kindern. Hochgerechnet bei einem angenommenen arithmetischen Mittelwert von 1,2 Kindern pro Familie, verfügten rund 1,2 Mio. Heranwachsende von grob geschätzten 13 Millionen Heranwachsenden über einen regelmäßigen, zuverlässigen und schnellen Internetzugang. Unter diesen 1,2 Millionen mutmaße ich zwar einen Promilleanteil derjenigen Schülerinnen und Schüler, die in Internaten heranwachsen; dass dieser Promilleanteil eine wesentliche Rolle in der soziologischen Größenordnung der Heranwachsenen im Internet spielen kann, darauf möchte ich im Anhang kurz zu sprechen kommen. Nach meiner groben Schätzung stünden den 1,2 Mio. Jugendlichen 11,8 Millionen Heranwachsende gegenüber, die nicht über einen regelmäßigen, schnellen und zuverlässigen Internetzugang in ihrem Privathaushalt verfügen. Darum weicht ein großer Teil von diesen 11,8 Millionen auf den Internetzugang von Freunden aus.217 Eine genaue Untersuchung dieser hier willkürlich geschätzten Zahlen, die auf Grundlage des Datenmaterials des Statistischen Bundesamtes von 2005 erstellt wurden, würde den Rahmen dieser Arbeit zwar nicht unbedingt sprengen, allerdings könnte eine solche Untersuchung eher dazu führen, einen mehr oder weniger übersichtlichen ‚Datenzoo‘ von Internetnutzern erstellt zu haben; für eine weitere theoretische Ausführung über die Heranwachsenden als solche – vor allem unter soziologischen Gesichtspunkten – bliebe dann jedoch nur noch wenig Raum. Deswegen soll es in diesem mit Größenordnung überschriebenen Titel dieses Kapitels darum gehen, eine solche Ordnung durch einfache Andeutung der Dimension von Heranwachsenden im Internet zu begegnen, wobei nach einer jüngsten Langzeit-Studie von ARD und ZDF, die zeigt, dass „der Bundesbürger im Durchschnitt insgesamt täglich zehn Stunden mit dem Konsum von Medien verbringt 217 vgl. Kapitel 3.9. sozialer Scheineinflussbereich Internet 87 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet – ein Anstieg um eineinhalb Stunden im Vergleich zum Jahr 2000. (...)“ 218 verzeichnet und unter diesen Bundesbürgern etliche Heranwachsende sind: „Für die Umfrage werden 4500 Leute (ab 14 Jahre) alle fünf Jahre befragt.“219 eine solche Begegnung theoretisch zu untermauern. Der gemessene zehnstündige Medienkonsum erstreckt sich nicht auf ein einziges Medium: „Spitzenreiter ist das Radio mit 3,41 Stunden täglich; das Fernsehen liegt mit einer Minute weniger knapp dahinter. Es folgen Musikhören über CD, MC oder MP3 (45 Minuten), Surfen im Internet (44 Minuten) sowie das Lesen von Tageszeitungen (28 Minuten), Büchern (25 Minuten) und Zeitschriften (zwölf Minuten).“220 Dabei scheint das Medium Internet noch relativ moderat genutzt zu werden. Das Fernsehen ist einfach nicht totzukriegen. Aus dieser Statistik sollte der Querschnitt gelesen werden, denn schließlich unternimmt eine 14jährige Gymnasiastin eine andere Art die Medien täglich für sich zu nutzen, als ein 40jähriger Journalist. Ein 14jähriger Hauptschüler nutzt die Medien für sich sicherlich auch anders als eine 40jährige Gärtnerin. Sollte der Querschnitt weit über die 40jährigen in der Bevölkerung bei dieser Untersuchung hinausgehen, dann ist auch nicht mehr klar zu deuten, ob der Fernsehkonsum im zunehmenden Alter sinkt oder steigt, weil die Freizeit im zunehmenden Alter quantitativ, aber zwangsläufig nicht qualitativ steigen muss. Wird der tägliche ‚Internetkonsum‘ auf 45 Minuten rund gerechnet und von einem derzeitigen Durchschnittstarif von 1,2 Eurocent pro Minute ausgegangen, so betrügen die monatlichen Durchschnittskosten 16,20 € pro Bundesbürger. Aus meiner Sicht nicht gerade wenig Geld für 14jährige Heranwachsende im Monat, die schließlich in diesen Durchschnitt mit hineinfallen. Dieser Betrag könnte somit um einiges höher als die Hälfte des verfügbaren Taschengeldes eines pubertierenden Jugendlichen sein. Der Konsum Neuer wie herkömmlicher Medien ist qualitativ gemessen bedeutsamer als die relativ leicht messbare Dauer des täglichen Medienkonsums. Die Frage ist doch, wie Medien genutzt werden. Dient das Fernsehen der tristen Unterhaltung und läuft quasi wie ein ‚zweite Leuchte‘ in der Wohnung (Flimmerkiste)? Oder wird aktiv ferngesehen? Was wird, wenn aktiv ferngeschaut, angesehen? Dokumentationen, auch kurz ‚Dokus‘ genannt? Tägliche Fernsehserien mit inhaltlich ‚leichter Kost‘ auch als ‚Daily-Soaps‘ und ‚Telenovelas’ bekannt? Filme per DVD? Nachrichten- oder Musiksender? Sportkanäle? Wird der Internetanschluss genutzt, um mit anderen Menschen an anderen Orten sich relativ zeitunverzögert auszutauschen? Oder dient es mehr der Informationssuche? Werden eigene Seiten im Netz publiziert und gepflegt? Oder dient ein schneller Internetanschluss allein dem Spiel mit sich gegen die Maschine bzw. mit anderen zusammen und gegeneinander? Oder wird aus dem Internet ‚gesaugt was das Zeug hält‘ – sprich: dass per Flatrate die Maschine fast Tag und Nacht Material aus dem Internet lädt? Bei den Medien Radio, Ton- und Bildträgern, sowie Bücher dürfte die Nutzung relativ eindeutig sein. Gilt es also herauszufinden, wie gerade die digitalen Medien (zu dem auch das Fernsehen durch ausschließlich digitale Übertragung seit Mai 2005 in Deutschland dazugehört) im Elternhaus und in der Schule zum Einsatz gelangen. Abb. 3.5.a.: Schülerinnen und Schüler im Internet Abb. 3.5.b.: Wöchentliche Internetnutzungszeit 2002221 2002 von Schülerinnen und Schüler von 12 bis 25 Jahren222 218 12. Oktober 2005, Süddeutsche Zeitung # 235, S. 35 ebd. 220 ebd. 221 vgl. Tab. 3.2.b 219 88 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Im Jahr 2002 waren laut Berechnungen der DEUTSCHEN SHELL Jugendstudie 35 Prozent aller befragten Heranwachsenden zwischen 12 und 25 Jahre ohne Zugang zum Internet, weder zuhause noch an ihren Schul- und Ausbildungsplätzen. Das entspricht mehr als einem Drittel der über 4000 befragten Jugendlichen, die am Neuen Medienzeitalter aus drei Gründen nicht teilhaben: entweder aus fehlenden Möglichkeiten (armutsbedingt) oder aus innerer Selbstverweigerung oder aus elternhausbestimmter Verweigerung (z. B. Sektenschulen). Von diesen Heranwachsenden ohne Internetzugang waren 32 Prozent männlich und 38 Prozent weiblich. Nahezu die Hälfte aller Pubertierenden (12 bis 14 Jährige) haben keinen Zugang zum Internet. Bei den Jugendlichen, die in die Endphase ihrer ersten Schulausbildung eintreten (15 bis 17 Jährigen) sind 33 Prozent ohne Internetzugang und es sind nicht viel weniger (2 Prozentpunkte), wenn die Heranwachsenden ins Erwachsenenalter eintreten (18 bis 21 Jährigen). Ein ausbleibendes weiteres Ansteigen der internetzugangslosen Heranwachsenden ist im Erwachsenendasein (22 bis 25 Jährigen) mit 29 Prozent nicht festzustellen, was den positiven Schluss zulässt, dass der Internetzugang mit Eintritt in die Eigenverantwortung nicht wesentlich abnimmt. Wird der Mittelwert aus der Abbildung 3.5.b. zu Rate gezogen, dann ergibt sich im Vergleich zur ARD/ZDF-Langzeitstudie eine kleine, aber vielleicht doch nicht ganz unwesentliche Verzerrung des ‚Internetkonsums‘. Laut SHELL-Studie aus dieser Abbildung ergibt sich zwischen den 12- und 25jährigen Heranwachsenden ein täglicher Durchschnittskonsum von gerundeten 57 Minuten. Werden die Jugendlichen im maßgeblich schulpflichtigen Alter nach dieser Abbildung zum Tagesdurchschnitt im Internet herangezogen, so kommt die Gruppe der 12- bis 21jährigen mit 40 Minuten ‚glimpflicher‘ davon. Die Frage in der Größenordnung der Internetnutzung und des -Zugangs im Elternhaus oder bzw. und an den Schulen nimmt expliziten Einfluss auf den Umgang mit den Neuen Medien an den deutschen Schulen und prägt das Sozialverhalten der Schülerinen und Schüler nachhaltig, was das nächste Kapitel näher erläutern möchte. 3.6. Der Einfluss des Computereinsatzes an deutschen Schulen auf das Sozialverhalten der Schülerinnen und Schüler Unter den Heranwachsenden im Alter zwischen 12 und 25 Jahren der Jugendstudie aus dem Jahr 2002 der DEUTSCHEN SHELL-Stiftung haben nun mehr als 65 Prozent einen Internetzugang und nutzen sieben Stunden durchschnittlich die Woche das Internet. Demzufolge ca. eine Stunde am Tag. Die Mehrzahl der heranwachsenden 222 ebd. 89 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Schülerinnen und Schülern im Alter von 12 bis 25 Jahren, die über einen freien Zugang zum Internet verfügten, waren Gymnasiasten, gefolgt von Real- und dann von Hauptschülern. Mit 95 Prozent schon fast überrepräsentiert waren unter den bis 25jährigen die Studierenden. Unter den Beschäftigungslosen fand sich fast ein Drittel der Heranwachsenden.223 Abb. 3.6.a.: Heranwachsende Internetnutzer im Jahr 2002224 Abb. 3.6.b.: Schülerinnen und Schüler im Jahr 2002 nach Schultyp und wöchentlicher Internetnutzungsdauer225 Die Abbildung 3.6.b. verdeutlicht wiederum die bereits in Kapitel 3.5. angesprochenen Aspekte der soziologischen Größenordnungen des Internetzugangs und der Nutzung im Vergleich Schule und Elternhaus. Sehr wahrscheinlich gibt es eine Reihe von Jugendlichen, bei denen sich die Nutzung des Internets auf den schulischen Rahmen beschränkt, weil sie zuhause nicht über einen Internetanschluss verfügen oder ihn nicht nutzen dürfen, können oder wollen. Jugendliche vielleicht, für die die Nutzung der Neuen Medien ein einziges Pflichtprogramm darstellt. Ungeachtet dieser Hypothese gilt für alle heranwachsenden Internetnutzer im schulpflichtigen Alter die Tatsache, dass die Nutzung der Neuen Medien nicht uneingeschränkt im häuslichen Rahmen verlaufen, sondern von der Schule mitbestimmt und gestaltet werden. Ein nicht empirisch erhobener Bruchteil dieser wöchentlichen Nutzungsdaten – erhoben unter Heranwachsenden im Internet – fällt somit kategorisch dem Schulunterricht zu. Tab. 3.6.a.: Besuchte Schulform nach Alter und Geschlecht226 Heranwachsende in Prozent im Alter von 12 bis 21 Jahren, die noch zur Schule gehen: Hauptschule: Realschule: Gymnasium: Gesamtschule: sonstige Schulform: männl. 12 bis 14: 33 27 27 6 7 weibl. 12 bis 14: 26 31 27 10 5 männl. 15 bis 17: 23 30 37 8 3 weibl. 15 bis 17: 17 32 43 6 2 männl. 18 bis 21: 4 8 74 3 12 weibl. 18 bis 21: 4 3 83 4 7 männl. gesamt: 24 24 39 6 7 weibl. gesamt: 19 26 43 7 4 223 vgl. Tabelle 3.2.b: Zugang zum Internet (privat, in der Ausbildung oder im Beruf) und Umfang der Nutzung des Internets nach relevanten und persönlichen Merkmalen 224 vgl. Tabelle 3.2.b: Zugang zum Internet (privat, in der Ausbildung oder im Beruf) und Umfang der Nutzung des Internets nach relevanten und persönlichen Merkmalen 225 ebd. 226 Deutsche Shell (Hrg.) / Hurrelmann, Klaus / Albert, Mathias (Konzeption & Koordination) in Arbeitsgemeinschaft mit Infratest Sozialforschung: „Jugend 2002“ – Zwischen pragmatischem Idealismus und robustem Materialismus, 14. Shell Jugendstudie, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 2002, S. 63 90 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Der Anteil an Gymnasiasten in der deutschen Bevölkerung ist mit fast zur Hälfte vertreten. Die klassischen Bildungsverhältnisse sind ganz offensichtlich Jahrzehnte hinweg unverändert geblieben. Aus der Unterschicht findet sich fast die Hälfte demnach an Hauptschulen und in der Oberschicht weit mehr als die Hälfte an den Gymnasien. Es befinden sich mehr weibliche Heranwachsende an den Gymnasien als männliche. Auf den Hauptschulen ist dieses Verhältnis zwischen den Geschlechtern umgekehrt proportional. Tab. 3.6.b.: Besuchte Schulform und soziale Herkunft227 Heranwachsende in Prozent im Alter von 12 bis 21 Jahren, die noch zur Schule gehen: Haupschule: Realschule: Gymnasium: Gesamtschule: sonstige Schulform: Total: 21 25 41 7 6 Unterschicht: 49 22 15 8 5 untere 33 26 25 10 5 Mittelschicht: Mittelschicht: 20 30 41 4 6 obere Mittelschicht: 8 23 54 7 8 Oberschicht: 8 18 65 6 3 Bei Tabellen 3.6.a. gilt es zu berücksichtigen, dass sich auf die Akkumulation der Zeilen keine runden 100 Prozent bei den 12 bis 14jährigen Mädchen, 15 bis 21jährigen Jungen und den weiblichen Gesamtanteil der Erhebung ergibt. Auch bei Tabelle 3.6.b. gilt es zu beachten, dass sich auf die Akkumulation der Zeilen keine runden 100 Prozent bei der Unterschicht, der unteren Mittelschicht und der Mittelschicht selbst ergibt. In beiden Tabellen handelt es sich jedoch nur um geringfügige Rundungsfehler der nächsthöheren Dezimalstelle. Die Rundungsfehler verursachten eine leichte Abweichung von hundert Prozent um lediglich +/- 1 Prozentpunkt. Welche Schlüsse lassen sich aus den bisherigen Angaben auf das Sozialverhalten der Schülerinnen und Schüler an deutschen Schulen ziehen? Um diese Frage zu beantworten, gilt es das Handy erwähnen zu dürfen. Heutzutage verfügt fast jeder Jugendliche zwischen 13 und 16 Jahren über ein Mobiltelefon. Wobei die finanziell schwächer gestellten Heranwachsenden sich oft zum einem mit einem weniger komfortablen Gerät und zum anderen mit einer so genannten Prepaid-Karte zufrieden geben müssen. Während die finanziell gut gestellten Jugendlichen alle ‚Services‘ ihrer Telekommunikationsanbieter fast uneingeschränkt mit ihren modernsten Mobilfunkgerätschaften nutzen können, weil sie über ein Vertragshandy (ihrer Eltern) verfügen, haben die weniger gut gestellten das Nachsehen. Sah die Nachrichtenübermittlung zwischen Schülerinnen und Schülern im Klassenzimmer untereinander in Zeiten vor der Nutzung des Handys so aus, dass per Hand notierte Zettel vom Sender zum Empfänger über einen Mitschüler bzw. einer Mitschülerin als Medium weiter gereicht wurden, so dienen heutzutage seltener die Mitschüler als Medium zur Nachrichtenübermittlung, weil es sie nicht mehr benötigt, um einen Zettel weiter zu reichen. Die Nachrichtenübermittlung geschieht per SMS. Diese Form der Kommunikation mittels Short-Message-Services (SMS), die prinzipiell eine email-basierte Kommunikationsform darstellt, verändert das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer nachhaltig. Riskierte früher ein Schüler eine Blammage, 227 Deutsche Shell (Hrg.) / Hurrelmann, Klaus / Albert, Mathias (Konzeption & Koordination) in Arbeitsgemeinschaft mit Infratest Sozialforschung: „Jugend 2002“ – Zwischen pragmatischem Idealismus und robustem Materialismus, 14. Shell Jugendstudie, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 2002, S. 63 91 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet wenn er sich in seine Mitschülerin verliebt hat, weil er seine Angebetete eine handgeschriebene Notiz zukommen lassen wollte, die sie aber nicht persönlich erreichte, weil die diskrete Botschaft seiner Gefühle eine öffentliche Enttarnung durch einen Mitschüler verursachte, der wider Erwarten nicht als Medium, sondern als Empfänger fungierte, so besteht diese ‚Gefahr‘ heutzutage nicht mehr. Es bedarf keinen Mitschüler als Medium mehr, um eine Nachricht auszutauschen. Allerdings auch nur unter den ceteribus causus Bedingungen, dass Sender wie Empfänger über ein Handy verfügen (was in den meisten Fällen – auch im Klassenzimmer – der Fall sein dürfte) und dass der Sender informiert ist; was in diesem Beispiel soviel heißt wie, dass der verliebte Schüler die Handynummer seiner Angebeteten kennen muss, um ihr eine Liebesbotschaft per Kurzmitteilung zukommen zu lassen. War in den Zeiten vor der Handynutzung, die konventionelle Übermittlung von Nachrichten per Zettel minimal kostenaufwändig (Papier und Stift), so ist in Zeiten der SMS für jede Botschaft eine Übertragungsgebühr von durchschnittlich 10 bis 20 Eurocent an den Telekommunikationsanbieter fällig. Neuere Möglichkeiten wie die Nutzung von MMS (Multi-Media-Services) und darüber hinaus die Nutzung von UMTS (Unified Messaging Telecommunication Services) verursachen im Sozialverhalten der Schülerinnen und Schülern an den deutschen Schulen eine Reihe von Veränderungen hinsichtlich sozialer Interaktionen. Wenn der Zugriff aufs Internet immer mobiler und einfacher wird, so dass die herkömmlichen PC’s nicht mehr die Domäne des Internetzugangs bedeuten, dann steckt das WorldWide-Web bald in den Hosentaschen der Heranwachsenden. Mit diesem kontrastieren Beispiel der Nachrichtenübermittlung möchte ich aufzeigen, dass die Chance, Kurznachrichten auszutauschen, ohne unmittelbare Gefahr zu laufen, öffentlich ‚enttarnt‘ zu werden, den Anwender bzw. die Anwenderin von Nachrichtenübermittlungsdiensten dazu verführt, sich enthemmter auszudrücken. Ein Habitus einer enthemmten Kommunikation zieht dann mit Sicherheit Konsequenzen im Sozialverhalten nach sich. Hier sind dann nicht nur Eltern und Lehrer aufgerufen, präventiv solche Konsequenzen zu vermeiden, sondern auch die Anbieter von Telekommunikationsdiensten sind auf den Plan zu rufen. Die Gefahrenpotentiale der Nutzung Neuer Medien als Kommunikationsmittel, die schließlich ein bestehendes Sozialverhalten in ein dissoziales Verhalten als interaktionistische Veränderung überführen können, sollten nicht unterschätzt werden dürfen. 3.7. Die Möglichkeit einer sozialverträglichen und kollektiven Förderung von Schülerinnen und Schülern mithilfe des Internets Zugegebenermaßen ist diese Arbeit ein Plädoyer ans vernetzte Lernen. Unter ‚vernetztes Lernen‘ wird vor allem die Eigenschaft der Erwachsenen, sich neuen Lernstoff mittels vernetzter Erfahrungen und Wahrnehmungen zu erschließen, verstanden. Durch die Neue Technologie, also dem Internet ist nun an die Stelle der rein didaktischen Lernstoffvermittlung auch eine Variante des vernetzten Lernens mittels Erfahrungen und Wahrnehmungen anderer, völlig fremder und möglicherweise weit voneinander entfernten Gruppen und Einzelpersonen getreten. Das Internet – so wie alle anderen Medien auch – bietet jedoch keine fingerfertigen Lösungen an, sondern größtenteils auch unvollkommen und somit unbrauchbare Informationen. Diese Unvollkommenheit stellt didaktisch eine Ressource zum gruppenorientierten Lernen dar und fördert soziale Kompetenzen durch den stetig aufrecht zu erhaltenden Informationsfluss. Schlussfolgernd „verengt die Organisation 92 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet des Unterrichts aus-schließlich in 45-Minuten-Stunden die didaktischen und methodischen Gestaltungs-möglichkeiten entscheidend.“228 Wird es damit nun Zeit, dass sich die Schule von ihren altbewährten und tradierten Methoden zu verabschieden hat? Das nicht unbedingt, denn vorstellbar wäre, wenn Schule begänne, sich selbst als ein Modell zu verstehen, dass nur das eine Ziel kennt: Schülerinnen und Schüler zum Lernen zu bewegen. Doch oft ist Schule darauf ausgelegt oder gar beschränkt, dass schulische Leistungen erbracht werden und die Erhebung dieser Leistungen mit Zeugnisvergaben ihren Höhepunkt finden. Ein neuer Anspruch erforderte ein rein dialektisches Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern. Eine Abhängigkeit der beiden Interessengruppen entstünde. Alternativen zur klassischen Lehrer-Schüler-Beziehung gibt es offensichtlich an staatlichen deutschen Schulen wenige, wenn überhaupt: „Erfahrungen mit altersheterogenen Gruppen in anderen Staaten und in Schulen im nichtöffentlichen Bereich werden von den Schulen bislang nicht aufgegriffen. Ein Tutorensystem, in dem Jüngere von Älteren in ihrem Lernen unterstützt werden, ist unter den gegebenen Bedingungen kaum realisierbar.“229 Dabei gibt es genügend Beispiele aus denen die Institution Schule sich Inspirationen holen und so aus dem Vollen schöpfen könnte, wie „die Entwicklung neuer Formen der Bildung und Weiterbildung in der Wirtschaft, zum Beispiel ‚learning on demand‘ und tutorunterstütztes ‚distant learning‘, muss von der Schule aufmerksam registriert, die Übertragbarkeit außerschulischer Lernformen auf schulisches Lernen überprüft werden.“230 Ob und wie weit eine sozialverträgliche Förderung gerade mithilfe der Neuen Medien an einer staatlichen Schule einen tatsächlichen Einfluss auf das Lernverhalten der Schülerinnen und Schüler hat, zeigt sich durch messbare Indikatoren. Eine Beurteilung von Schülerleistungen ist dabei ein unverzichtbares Messinstrument der Schule. Nicht ganz unwesentlich sind allerdings auch andere messbare Phänomene, die für oder gegen eine kollektive Förderung sprechen könnten, wie zum Beispiel die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die zusätzlichen privaten Nachhilfeunterricht nehmen: „Nachhilfebezug kann zum einen als Bemühen verstanden werden, individuelle Defizite von Fachinhalten eigeninitiativ aufzuholen, also als Indikator eines besonders hohen Aktivierungsgrades – nicht nur Schülerinnen und Schüler mit Bildungsrisiko nehmen Nachhilfe in Anspruch, sondern durchaus auch die, die sich interessiert zeigen und eine hohe Bildungsaspiration haben –, zum anderen kann es aber auch als Hinweis auf die Vernachlässigung einer wesentlichen Aufgabe von Schule gesehen werden, den Jugendlichen notwendige Sachinhalte zu vermitteln.“231 Das Thema Nachhilfe lässt sich nicht allein an einer Notwendigkeit versäumten Lernstoff nachzuholen oder – wie auch möglich – Lernstoff aus bildungsaspiranten Ansprüchen vorzuarbeiten abhandeln. Wichtig ist auch zu beobachten, ob die Nachfrage nach zusätzlichen Unterricht außerhalb der Schulzeiten tendentiell steigt oder sinkt: „Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die Nachhilfe erhalten, liegt mit knapp einem Fünftel etwa auf dem Niveau bisheriger Erhebungen. Mit zunehmendem Alter wird das Quantum der Mädchen größer, während die Inanspruchnahme 228 Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ – Gestaltungsfreiraum der Schulen, Ausgangslage, 1995, a. a. O., S. 140 229 Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ – Gestaltungsfreiraum der Schulen, Ausgangslage, 1995, a. a. O., S. 141 230 ebd. – Aufgaben für die Schule, 1995, a. a. O., S. 55 231 Deutsche Shell (Hrg.) / Hurrelmann, Klaus / Linssen, Ruth / Leven, Ingo in Arbeitsgemeinschaft mit Infratest Sozialforschung: „Jugend 2002“ – Wachsende Ungleichheit der Zukunftschancen?, a. a. O., S. 70 93 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet zusätzlichen Unterrichts bei Jungen leicht zurückgeht. Die Differenzierung nach sozialer Schichtung zeigt sich in graduellen Abstufungen zwischen unterer Mittelschicht (20 %), Oberschicht (18 %) und Unterschicht (14 %). Äquivalent stellt sich die Verteilung bei den einzelnen Schulformen dar. Den status-niedrigeren Gruppen fehlen wohl zum einen die finanziellen Ressourcen für Nachhilfeunterricht, zum anderen auch die Perspektive, durch geringfügige Verbesserung der Noten eines niedrig qualifizierenden Abschlusses ihre Zukunftsaussichten wesentlich zu verbessern.“232 Wenn Kosten, die die Familien zu tragen haben, letztlich darüber entscheiden, ob Nachhilfe erfolgt oder nicht, wenn Aussichten auf die Chancen in die berufliche Zukunft nicht rosig sind und dafür dann eine nötige Förderung unterbleibt, dann ist die Schule gefragt, den ‚hinterherhinkenden‘ Schülerinnen und Schülern eine kollektive und somit kostengünstige Förderung anzubieten. Dies geht meiner Meinung nach nur mit einem tutorialen Netzwerk. Dieses zu erstellen, einzurichten und rund-um-die-Uhr zu versorgen und zu pflegen ist eines der zentralen Herausforderungen in der Begabungsförderung Heranwachsender im Internet, die ohne Schule nicht funktionieren kann und auch nicht soll. 3.7.1. Die Wirksamkeit der aktuellen Bildungssysteme für Lehrer Einleitend zum Thema der sozialverträglichen und kollektiven Förderung Heranwachsender muss ergänzt werden, dass Lehrer selbst in die Förderungsklientel einbezogen werden sollten. Häufig fehlt es Lehrerinnen und Lehrern an Kompetenz einen Rapport zwischen ihnen und ihren Schülerinnen und Schülern herzustellen. Ohne Rapport finden sie jedoch keinen Zugang zu ihren Schülerinnen und Schülern, den sie allerdings grundlegend brauchen, um ihnen etwas beibringen zu können. Diesen Rapport zu finden ist nicht jedem Lehrer respektive jeder Lehrerin gegeben oder durch das Studium vermittelt worden. Ungefähr so, wie HARTH schon für sich und die Lehrenden beklagte, dass „wir ellenlange Beschreibungen der kritischen Moderne und ihren Anforderungen an Erziehung und Schule in einer neuen - und wie es so schön heißt - gewandelten Zeit finden, wir finden aber keine minimalen, verbindlichen Festlegungen darüber, was denn eigentlich an sicheren Fähigkeiten notwendig sei, um effektiver intervenieren und unterrichtlich handeln zu können.“233 Nach einer Studie von OSER und OELKERS ließe sich das derzeitige ‚Bildungsdesaster‘ aus Sicht des Lehr- und Pädagogikpersonals an staatlich-deutschen Schulen wissenschaftlich als einen zu engen Spielraum um die Kompetenz, also die Fähigkeit der pädagogischen und lehrhaften Gestaltung der Schule selbst interpretieren. Erst wenn Routine und Performanz im Unterrichtsumgang einen weiten und dennoch überschaubaren Spielraum bilden, wobei weder Routine noch Performanz zu erstarren drohen dürfen, dann bildet sich ein wirkungsvolles Bildungssystem für den Lehrenden heraus: „Performanz ist gegeben, wenn der Kontext, die zur Verfügung stehende Zeit oder die persönliche Disposition es nicht zulassen, dass man eine Kompetenz in ihrer vollen Entfaltung zum Zuge kommen lässt. Zweitens ist eine professionelle Kompetenz immer gestört durch die Routine, die aus erlebter Praxis kommt. Die Routine verhindert mehr, als sie fördert; sie schließt die reflexive professionelle Episteme in das Gefängnis erstarrter Rituale 232 Deutsche Shell (Hrg.) / Hurrelmann, Klaus / Linssen, Ruth / Leven, Ingo in Arbeitsgemeinschaft mit Infratest Sozialforschung: „Jugend 2002“ – Wachsende Ungleichheit der Zukunftschancen?, a. a. O., S. 70f. 233 Thilo Harth, „Das Internet als Herausforderung politischer Bildung“, a. a. O., S. 215 94 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet ein.“234 Eine solche ‚Einengung‘ nach OSER und OELKERS ist andererseits „im Sinne eines kompetenten Lehrerverhaltens immer nur auf dem Hintergrund des Biotops Alltagswelt Schule zu sehen und zu verstehen.“235 Der Anspruch an den Lehrerberuf sollte meiner Meinung nach gerade im Zeitalter der Mobilität, der Kommunikations- und Informationsverarbeitung stärkeren Bezug auf die Individualität der Lehrerin bzw. des Lehrers nehmen. Denn schließlich wird weniger „nach der Person des Lehrers oder nach dem Lehrer als Repräsentant eines bestimmten Verhaltensstiles gefragt, sondern man fragt nach dem Lehrer als Glied des übergreifenden Funktionszusammenhanges des Konstruktionsprozesses und gewinnt die Kriterien für sein Verhalten aus den für diesen Zusammenhang notwendigen Aufgaben.“236 Eine solche Anschauung hindert wiederum die Institution Schule daran, sein durch die Lehrerinnen und Lehrer repräsentiertes implizites Wissens- und Bildungspotential explizit voll auszuschöpfen, um es den Schülerinnen und Schülern durch das LehrerInnenkollegium weitergeben zu können. Einen übergreifenden Funktionszusammenhang eines Konstruktionsprozesses herstellen zu wollen ist heutzutage entbehrlich, da es „mehr und mehr nicht um die Imitiation des Meisterlehrers wie ehemals geht, sondern um die Meisterung erfahrungswissenschaftlich unterbauter Modelle von Lehrverfahren, die es zu verstehen und einzuüben gilt."237 Diese Modelle zeigen bereits einen Funktionszusammenhang auf und brauchen nicht erst konstruiert zu werden. Wenn dieser persönliche Bezug zum Lehrer als Repräsentant eines Verhaltensstils meiner Meinung nach a priori gegeben ist oder wenigstens gegeben sein sollte, dann können die wesentlichen vier professionellen Standardkriterien im Lehrerberuf nach OSER und OELKERS als Essenz für erfahrungswissenschaftlich zu unterbauende Modelle von Lehrverfahren reifen und auch greifen238: a) „Theorien (und Modelle, Anm. d. V.), die über Wenn-dann-Sätze diagnostisch und prognostisch Zusammenhänge zwischen Anwendung und Wirkung hinsichtlich der professionellen Standards im Lehrerberuf ermöglichen b) eine Reihe von empirischen Ergebnissen, die direkt oder indirekt diese Theorien falsifizieren oder bestätigen bzw. sie wenigstens für eine Zeitlang am Leben lassen c) Qualitätsmerkmale, die sich von den Theorien und den empirischen Befunden einerseits, aber auch lebensweltlich andererseits speisen und begründen lassen; und schließlich d) eine Handlungstradition im Feld, die ebenfalls zwei Ressourcen hat, nämlich eine aus Theorien und Expertentum abgeleitete und eine, die durch die Kultur der Praxis bestimmt wird.“ Bezüglich a) ist zu bedenken: „Kinder wollen ein Wissen und eine Kontrolle darüber haben, was von ihnen erwartet wird und was erwartbar ist. Sie sollten wissen, wann etwas als gut, mittel oder schlecht beurteilt wird.“239 Kriterium b) ist zuständig für den „engeren Handlungsbereich des Unterrichts bzw. der Schule (...)“ 240 wobei „keine 234 Oser / Oelkers, „Die Wirksamkeit der Lehrerbildungssysteme“, a. a. O., S. 216 ebd. S. 216 236 Roth, Heinrich (Hrg.): „Begabung und Lernen“, a. a. O., S. 59 237 ebd. S. 59 238 Oser / Oelkers: „Die Wirksamkeit der Lehrerbildungssysteme“, a. a. O., S. 217ff. 239 ebd. S. 219 240 ebd. S. 220 235 95 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Empirie je die Komplexität der kommunikativen Dynamik der Arbeit im Klassenraum abdecken kann“241 Das Kriterium c) ist schwer über Normen messbar, auch wenn „Erfahrungsaustausch wertvoll ist, führt (er) aber nicht dazu, schlüssig über den Grund zu urteilen, warum eine Kompetenz tatsächlich ein qualitativ genügend wirksames Ausmaß erreicht.“ 242 Und schließlich Kriterium d), das der Praxis, welche erreicht ist, „wenn das handlungsbedeutsame Wissen von Lehrenden, das sich bewährt hat oder das sogar neu sein kann, mit allen Nebenwirkungen sichtbar gemacht wird, wenn die Ziele und Kontexte auch den Beitrag der Lernenden herausfordern (...).“ 243 Um diese genannten vier Standardkriterien zu erfüllen, reicht das aktuelle Potential der Schule nicht mehr aus. Sie ist nicht in der Lage, sowohl die Lernenden als auch die Lehrenden entsprechend aufzufangen, was ja eigentlich auch gar nicht die vorrangige Aufgabe von Schule sein sollte. „Vorrangig ist eine Sensibilisierung der Schulen, und damit in erster Linie der Lehrerinnen und Lehrer, für die Bedeutung der Medien im Bildungs- und Erziehungsprozess. Deshalb muss eine verpflichtende medienerzieherische und mediendidaktische Fortbildung, möglichst auf der Ebene der einzelnen Schulen eingeleitet werden. Sie soll eine Aktivierung von Mediennutzung und Medienerziehung zur Folge haben und auch die veränderte Rolle der Lehrertätigkeit berücksichtigen.“244 An dieser Stelle gilt es, der Medienkompetenz der Lehrenden näher auf den Zahn zu fühlen. Gibt es heutzutage tatsächlich stereotypisches Lehrpersonal an den staatlichen, wie privaten deutschen Schulen, das apathisch auf das Medium Internet reagiert, sobald es zur Sprache kommt? Danach sollten die Schülerinnen und Schüler aus allen Schultypen gefragt werden. Ich persönlich kann es mir vorstellen, wobei ich auch an einen starken Wandel nicht nur glaube, sondern ihn explizit als einen anhaltenden Trend zur Umkehr der Lehrergenerationen verstehe. Mehr und mehr ältere Lehrerinnen und Lehrer verabschieden sich in den Ruhestand, wodurch nicht zwangsläufig sich das Lehrpersonal an den Schulen verjüngt, da – um Steuerausgaben zu sparen – auf Neueinstellungen in vielen Fällen verzichtet wird. Das Verhältnis jung zu alt ist aktuell in den deutschen Lehrerzimmern nicht proportional. Die ältere Generation, die der über 50jährigen, bildet einen großen Bestand an Unterrichtserfahrung und Wissen. Und in der Wirksamkeit der Bildungssysteme gerade der älteren Lehrergeneration sehe ich einen großen Handlungsbedarf auf allen Ebenen. Solche Lehrer brauchen zeitlich große Freiräume, die sie vom Unterrichten entbinden, um selbst zu lernen. Denn ihnen ist der Zugang zu neuen Erkenntnissen leichter und damit schneller möglich, da sie mit dem Lernen und Lehren vertraut sind. Gerade an den älteren Lehrerinnen und Lehrern ließe sich das Exempel des Lebenslangen Lernens gut statuieren. Sie kämen nach dem auf sie abgestimmten Seminaren im Umgang und mit dem Einsatz von Neuen Medien aufgetankt in den Unterricht zurück und könnten ihre neu gewonnenen Erkenntnisse in ihre eigene Methodik und Didaktik einbauen. Auch ein Tutorensystem unter den Lehrkörpern selbst, würde gruppendynamische und interaktionistische Prozesse und Beziehungen im Umgang mit den Informations- und Präsentationsmedien zwischen alt und jung aufbauen helfen. Und da Lehrerinnen und Lehrer am besten wissen, 241 ebd. Oser / Oelkers: „Die Wirksamkeit der Lehrerbildungssysteme“, a. a. O., S. 221 243 ebd. S. 223 244 Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ – Lernen in der Informationsgesellschaft, Empfehlungen, 1995, a. a. O., S. 138 242 96 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet dass sie prinzipiell keine Freizeit kennen, weil sie sich stets im Einsatz sehen. Die Vorstellung von Lehrern, die ständig dann Ferien haben, wenn ihre Schüler auch Ferien haben, dürfte ein Mythos sein (allzu gern übersehen Laien, welchen Aufwand es bedeutet, allein das in diesem Kapitel erwähnte erste der vier Standardkriterien des Lehrerberufes nach OSER und OELKERS zu erfüllen). Möge der Laie nicht Zeuge werden brauchen, welchen Aufwand und welcher Methodik es bedarf, die Fachklausuren von drei Klassen, bestehend aus je bis zu 30 Schülerinnen und Schülern, innerhalb einer relativ kurzen Frist nicht nur zu erfassen, sondern auch bewerten zu vermögen. Der Lehrerberuf ist in verschiedenen Portfolios zu erfassen. Zum einen verfügt jede Lehrerin und jeder Lehrer über sein eigenes Filofax (Querkalender, Tageskalender, etc.) und zum anderen die Schulorganisation selbst, die das Lehrpersonal zeitlich so präzise wie möglich auf einen Schedule festlegt. Dort findet sich der Lehrerberuf als ‚Glied des übergreifenden Funktionszusammenhanges des Konstruktionsprozesses‘ – wie ROTH245 es nennt – wieder. Das wird auch deutlich in der Regelung des Anteils Schulfächer am Zeitbudget der Schule, der durch Stundentafeln geregelt wird: „Die Stundentafeln sichern den Anspruch der Schülerinnen und Schüler auf Unterricht in einem bestimmten Umfang als Voraussetzung für den Erwerb von Abschlüssen, außerdem sind sie eine der Grundlagen für die Feststellung des Lehrerbedarfs und für den Unterrichtseinsatz des Lehrpersonals.“246 Ich persönlich vermisse dabei die aktive Einbindung der Schülerinnen und Schüler in die konventionelle Zeitorganisation der Schule. Auf eine innerschulische Zeitplanung, die nicht die aktuellen Bildungssysteme der Lehrer einschränkt, sollten die Schülerinnen und Schüler einen stärkeren Einfluss ausüben dürfen. 3.7.2. Die Wirksamkeit der aktuellen Bildungssysteme für Schüler Weniger als zum Beispiel in den USA sind die Schülerinnen und Schüler in Deutschland am Programm ihrer Schule beteiligt. Sie werden in organisatorischen, strukturellen oder konzeptionellen Angelegenheiten an und in ihrer Schule kaum gefragt. Genau genommen sind doch die Lernenden die Klientel der Schulen. Doch manchmal drängt sich das Gefühl auf, als habe sich die Schule den neuen Gegebenheiten am Markt nicht angepasst und eine ‚Kundenbefragung‘ bisher noch nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Oder anders ausgedrückt: Schule hat ihr eigenes Lehrangebot weder strukturell noch inhaltlich genügend hinterfragen lassen. Als ein Beispiel ist an fast allen staatlichen Schulen festzustellen, dass das Lernen von schulischem Wissen immer noch nach linearen, statt nach modularen Prinzipien verläuft. Interdisziplinarität ist in vielen Fällen in der Unterrichtsgestaltung noch ein Fremdwort. Dabei kennt die Wirtschaft schon seit geraumer Zeit den Bedarf an geistes- und naturwissenschaftlichen Querverbindungen diverser Fachkombinationen. Sei es Bioethik, Wirtschaftsinformatik, Rechtsmedizin, etc. Selbst innerhalb der Fachbereiche Geisteswissenschaften gibt es Querverbindungen von Fächern wie Soziologie und Psychologie (Sozialpsychologie), Wirtschaft und Soziologie (Wirtschaftsoziologie), Mikroökonomik und Sozialpädagogik bzw. Sozialarbeit (BWL fürs Sozialwesen) oder bei den Naturwissenschaften aus Geologie und Physik (Geophysik). Es ließen sich noch eine Reihe anderer Möglichkeiten zu interdisziplinaren Kombinationen aufzählen. In den allgemeinbildenden Schulen 245 vgl. Fußnote 75 Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ – Gestaltungsfreiraum der Schulen, Ausgangslage, 1995, a. a. O., S. 140 246 97 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet finden sich solche Kombinationen nicht oder nur selten. Zum einen mag es daran liegen, dass die didaktische Konzeptionalisierung nach einzelnen Fächern eine notwendige Voraussetzung zum Erwerb von Grundlagenwissen ist, die an dieser Stelle über die Wirksamkeit der Bildungssysteme für Schüler auch gar nicht in Frage gestellt wird. Zum anderen sehe ich darin auch ein Zeichen für geringe Flexibilität im Bildungssystem selbst. Statt Kurse anzubieten, werden Fächer gepaukt. Da verwundert es nicht, dass „besonders von den Schülerinnen und Schülern die schulische Lernarbeit, aber auch das Schulleben als fremdbestimmt und wenig lebensnah wahrgenommen wird.“247 Denkbar wäre doch eine Leistungsmotivation im Bildungssystem durch das Angebot der Schulen, spezifische Lehrangebote zu entwickeln und anzubieten, die ein nötiges Grundwissen oder Grundinteresse als Teilnahmebedingung voraussetzen. Ähnlich, wie es an allgemeinen Hochschulen der Fall ist. Durch das Angebot von konkreten Ereignissen, statt trockenen Fächern, ließe sich die Spannung als ein wesentlicher, lernmotivierender Aspekt zur Leistungsbereitschaft unter den Schülern dadurch forcieren. Es ließe sich doch vorstellen, dass ein Kurs unter dem Thema ‚Hatte Mendel Söhne?‘ reizvoller klingt, als dass im Fach Biologie der Lehrer die Thematik zu Stundenbeginn mit dem einleitenden Satz beginnt: ‚Kommen wir nun zu Mendels Kreuzungsversuchen...‘ Mendels Versuche mit Kreuzungen diverser Erbsen ließe sich im Schulgarten nachvollziehen. Doch welche Schule hat schon einen Schulgarten? Zumal Schule allzu sehr damit beschäftigt ist, einige Heranwachsende wie Störfaktoren behandeln zu müssen und sich „im Kern die (teilweise kontroverse) Diskussion aus der Sicht der Schule auf die Frage zuspitzt: Ist der Störfaktor bei den immer weniger ‚pflegeleichten‘ Kindern zu suchen, wie sie der Schule ‚angeliefert‘ werden, oder ist die Schule in ihrer derzeitigen Verfassung eine mehr oder weniger untaugliche Einrichtung, um für diese Kinder geeignete Lern- und Lebensformen bereitzustellen?“248 Meine Vision von moderner Schule wäre an zwei Verantwortungsbereiche geknüpft. Zum einen die Selbstverantwortung der Freunde, Familien, Eltern und Schüler und zum anderen die Angebotsverantwortung der Schule, also allen voran der Lehrerinnen und Lehrer. Das Vermitteln von Grundlagen ließe sich bei vielen Schülerinnen und Schülern auch ohne dauernden Frontalunterricht bewerkstelligen. Die Neuen Medien würden dies leicht möglich machen. Lernbedingte Herausforderungen, die hoher Konzentration bedürfen, könnten in Eigenarbeit am heimischen Rechner oder aber in schulischen bzw. außerschulischen Droutcafés249 (siehe Anhang!) geleistet werden. Studentische und nicht-studentische Tutoren und Autoren könnten dieses Arbeiten aus der Ferne übers Internet und auch aus der Nähe in den örtlichen Droutcafés unter fachkundiger Anleitung ihrer schulischen Fakultäten begleiten und so konkret dazu beitragen, dass neu gewonnene und zu gewinnende Grundlagenerkenntnisse im Nu übers Netz verbreitet und von den daheimbleibenden Schülerinnen und Schülern verarbeitet würden. Was nicht zwangsläufig heißen muss, dass die Schulen derweil geschlossen bleiben. Sie zeichnet sich nur nicht mehr als 247 Büchner, Peter: „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“ – (Schul-)Kindsein heute zwischen Familie, Schule und außerschulischen Freizeiteinrichtungen - Zum Wandel des heutigen Kinderlebens in der Folge von gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen, a. a. O., S. 12 248 ebd. S. 12 249 Drouts ist die von mir gewählte Kurzform von dem anglistischen Wort dropout, das im allgemeinen Sinne den Aussteiger beschreibt und im besonderen, schulischen Sinne der Ausdruck für Blaumacher ist. Diese Schülerin-nen und Schüler haben eins gemeinsam: Sie werden zu einer Art Aussteiger des klassischen Bildungssystems, das sich langsam, aber stetig verabschiedet und sich mit neuen Methoden zu arrangieren hat. 98 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Generalvertretung für den unmittelbaren Erwerb von Grundkenntnissen mittels Frontalunterricht aus. Grundlagenerwerb allein mittels Internet und einem effizienten Autoren-/Tutorensystem könnte die Lehranstalt Schule attraktiver machen, denn „Lehrplanrevisionen, welche die Lernmöglichkeiten mit elektronischen Medien nicht entschieden einbeziehen, sind kaum geeignet, das Lernen in der Schule neu und wirksam weiterentwickeln zu helfen.“ 250 Schule gewissermaßen dahin zu führen, dass sie ihren Klienteln einen Service anbietet, muss nicht unbedingt eine marktliberale Reduktion der Institution Schule an sich bedeuten, sondern kann eine Chance sein, verloren geglaubte Schülerinnen und Schüler nicht nur in physischer Präsens in die Institution der Schule zurückzuholen. Wenn Schülerinnen und Schüler während des ganzen Bildungssystems immer und immer wieder in der gleichen Gruppenzusammensetzung (der Schulklasse) arbeiten (müssen), dann darf es auch nicht (ver)wundern, dass soziale Kompetenzen, die mehr und mehr auf die Fähigkeit fußen, dazu im Stande zu sein, sich auf stetig wechselnde Interaktionspartner einstellen zu können, dann kann ein immer gleich zusammengesetzter Klassenverband für den Erwerb einer solchen Kompetenz wenig förderlich sein. Wenn mehr Bewegung in die Anstalt Schule käme und der Schulbesuch weniger vom ‚Absitzen‘ oder ‚Sitzenbleiben‘ geprägt wäre, sondern Sport und lehrreiche Erlebnisse durch verschiedenartigste Gruppenzusammensetzungen zustande kommen könnten, dann wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung gegen die Schulmüdigkeit vieler junger Heranwachsender getan. Wenn sich Schüler und Lehrer in den Schulen träfen, um eine gemeinsame Interessengruppe zu bilden und für einen auf das Projekt bezogenen Zeitraum erfolgreich erhalten und dadurch ein gemeinsames Ziel verfolgen (wie zum Beispiel den Sieg im sportlichen Wettkampf gegen ein anderes Schulteam oder zum Erreichen eines Forschungspreises oder zur Initiierung eines Schulprojektes), dann wäre die Wirksamkeit von Schülerbildungssystemen nicht nur besser gestellt, sondern es würde auch Bewegung auf dem Arbeitsmarkt kommen. Allein das nachfrage- und angebotsseitige Prinzip der Gestaltung Schule als Anbieter von Bildungssystemen für Schüler und Lehrer auf der einen Seite, als auch der Schüler, Eltern und Lehrer als Nachfrager für Erwerb erforderlicher Grundkenntnisse mittels Neuer Medien auf der anderen Seite, ließe neue Märkte entstehen. Wichtig ist dabei vor allem, dass „die Einbeziehung der Medien als integrierte Medienpädagogik erfolgen und sich auf möglichst viele Fächer, Lern- und Arbeitsbereiche erstrecken soll.“251 Kreativität in der Lehrplanungsentwicklung bedeutet eine Chance für die Wirksamkeit von Bildungssystemen für Schülerinnen und Schüler aller Schulrichtungen, aller sozialer Schichten und jeder Herkunft. Kreativität setzt allerdings voraus, dass der Kreative flexibel bleibt und dabei stabil und verlässlich genug ist, um auch ggf. ein Scheitern hinzunehmen. Gerade in dieser Gefahr des Misserfolges ist es für einen Heranwachsenden wichtig, den Halt in der Gruppe zu erfahren. Wenngleich dann auch eine Schülerin oder ein Schüler die Wahl hat, zwischen der virtuellen Arbeitsgruppe auf der einen und der realen Arbeitsgruppe auf der anderen Seite und beide Seiten ihre Verbindlichkeiten durch Gruppenleistungen ausdrücken sollten, sich entscheiden zu müssen, so erfährt der Heranwachsende doch eine Gruppensozialisation (vgl. Kap. II), die sich dann auch später für sein eigenes Fortkommen auszahlt. 250 Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ – Lernen in der Informationsgesellschaft, Leitvorstellungen, 1995, a. a. O., S. 138 251 ebd. S. 138 99 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Wenn allerdings Uneinigkeit bereits in der Grundlagenvermittlung zu finden ist (z. B. bei der Erstellung und Durchführbarkeit von Lehrplänen) und „zudem die Nutzungsdauer der eingeführten Schulbücher, bedingt durch die Sparzwänge der Lernmittelfreiheit, häufig die Geltungsdauer von Richtlinien und Lehrplänen übersteigt“ 252, dann scheinen meiner Ansicht nach Bedenken an der Wirksamkeit der aktuellen Bildungssysteme für Schülerinnen und Schüler durchaus gerechtfertigt zu sein. Wobei Schulbücher „als die eigentlichen Planungsinstrumente und Leitmedien in viel direkterem Maße die Lehr- und Lernverfahren beeinflussen und häufig die Intentionen der Richtlinien- und Lehrplanentwicklung konterkarieren.“253 Andrerseits sehe ich jedoch auch, dass durch komplexe und komplizierte Entwicklung eines Lehrplans mit ihrem dezentralistischen und pluralistischen Entscheidungsmechanismen oft auch auf der anderen Seite die Kosten für die Entwicklung neuer Lehrmedien und somit auch Schulbücher konterkariert. Ich halte es für wichtig, dass der gemeinsamen Entwicklung von Grundlagenwissen und Ausbildung verschiedenartigster Kompetenzen von allen Bildungsbeteiligten, vor allem aber durch Freunde, Familie, Eltern, Lehrer und Schülern modell- und damit auch modulhaft erfolgen sollte254. Denn was BANDURA bewiesenermaßen in seiner Lerntheorie zugrunde legt, dass „wem es an Selbstvertrauen und Selbstachtung fehlt, wer abhängig ist und häufig für Nachahmungsverhalten belohnt wurde, der besonders geneigt ist, das Verhalten erfolgreicher Modelle zu übernehmen.“255 sollte ein Maßstab nicht nur für die kommenden, sondern schon für die aktuellen Bildungssysteme für Schülerinnen und Schüler sein. 3.8. zunehmender Realitätsverlust bei steigendem Internetkonsum Zahlreiche undokumentierte Unterhaltungen mittels Chat haben mich gelehrt, dass Eltern im Verlauf ihrer pädagogischen Lernhistorie ein inkongruentes Verhältnis in Bezug auf die Handhabung moderner Medien ihrer Kinder erleben. Vielen Eltern ist oftmals gar nicht bewusst, dass ihre Sprösslinge sich innerhalb der Medien ganz anders geben und verhalten als sie es für möglich halten mögen. Oft sind gerade junge Eltern davon überzeugt, dass der Medienkonsum ihrer Kinder sich auf ein vorgegebenes Maß und die dem Kind elterlich ‚vorprogrammierten‘ Inhalte beschränkt. Dass erworbene Verhaltensweisen, die Eltern an ihren Kindern in der RW gewöhnt sind, sich auch in der VR übertragen haben mögen, davon gehen viele Eltern oft irrtümlich von aus. Viele Beispiele des Alltags sprechen eine andere Sprache und beweisen, dass „Eltern in erster Linie ein Verständnis für die Medienrezeption, für das Medienhandeln ihrer Kinder entwickeln und z. B. begreifen müssen, dass Kinder einen anderen Blick auf Medienangebote haben, dass sie dort nicht nur Unterhaltung und Entspannung, sondern auch nach Orientierungen und Antworten auf ihre Fragen suchen, die sie im Zusammenhang mit ihrer Entwicklung und ihren aktuellen Problemen haben. Sie müssen verstehen lernen, dass Kinder ihre Medienerlebnisse in ihren Phantasiewelten aus- und umformen und sie zu den eigenen realen Erfahrungen in Beziehung setzen. Dabei haben die Medienfiguren, ob Menschen oder 252 Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ – Gestaltungsfreiraum der Schulen, Ausgangslage, 1995, a. a. O., S. 142 253 ebd. S. 142 254 vgl. Kapitel 4 255 Bandura, Albert: „Sozial-kognitive Lerntheorie“, a. a. O., S. 95 100 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Tiere, als ihre Stars und Helden für sie eine wesentlich stärkere Bedeutung als für Erwachsene.“256 Dieses Verständnis für Medienrezeption und Medienhandeln der Kinder (hier als Heranwachsende zu betrachten), soll in dieser Arbeit nicht nur vermittelt, sondern auch vorangetrieben werden dürfen. Deshalb widmet sich dieses Kapitel auch den Gefahren im Medienzeitalter, denen Heranwachsende vor allem im Internet gegenüberstehen. Ich sehe eine Gefahr des zunehmenden Realitätsverlustes nicht zwangsläufig durch übermäßigen Internetkonsum als gegeben. Entscheidend ist, was im Internet ‚läuft‘. Und weil das nicht so einfach zu kontrollieren ist, wie mit dem Fernsehkonsum beispielsweise (beim Fernsehen lässt sich durch terminbedingte Ausstrahlungen vielleicht ein gewisses Maß an Kontrolle über den Medienkonsum herstellen), gilt es im Bereich der Neuen Medien ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Heranwachsenden und Erwachsenen zu schaffen. Um ein solches Verhältnis aufzubauen, reicht es nicht aus, dass Eltern davon ausgehen, ihre Heranwachsenden gut zu kennen glauben, sondern sollten als Eltern auch aufgeklärt sein. Diese sollte nicht allein über die übliche Aufklärung der Neuen Medien erfolgen, da jene häufig ein Phänomen lediglich polemisieren, als diesem auf den Grund zu gehen, denn zunehmender Verlust der Realität ist wohl eher im heimischen Umfeld zu beobachten, als im Internet: „Jedes Mal, wenn ein Schüler für ein Massaker verantwortlich ist, zeigen ARD, ZDF, RTL und SAT.1 unisono den gleichen Ausschnitt eines veralteten Ballerspiels und lassen dabei aus dem Off verlauten, dass im 'Umfeld des Jungen auch viele Gewaltspiele' gefunden wurden. Kein Wort über den Vater, der Schusswaffen sammelt.“257 Insbesondere die Einstellung zur Gewalt, die Ursache und Wirkung von Medienkonsum in Zusammenhang mit Gewalt, sind die tragenden Säulen, die einen Realitätsverlust trotz steigendem Medienkonsum verhindern mögen. Wer die Wirkung darstellender Gewalt auf seine Kinder unvoreingenommen einzuschätzen vermag, weil ihm die fünf Hypothesen der Gewaltwirkung258 geläufig sind, der weiß dann auch die entsprechenden präventiven Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um einen zunehmenden Realitätsverlust ihrer Sprösslinge im Vorfeld zu verhindern: - die Katharsisthese Ein kurzfristig heilsamer Effekt von Affekterledigung, bedeutet in Zusammenhang von Computerspielen, eine eingetretene Katharsis. Also dass der Spielanfänger merkt, mit diesem Spiel nicht klarzukommen und das Weiterspielen demzufolge, wenn vielleicht auch nur vorübergehend unterlässt. Hier ergibt sich eine Chance der präventiven Intervention. - die Inhibitionsthese Es wird unterstellt, dass bei einigen Heranwachsenden allein das Spiel selbst, Hemmungen hervorruft. Zum Beispiel dadurch, dass es zu gewalttätig verläuft, auch wenn dieses Spiel die Geschicklichkeit fördern mag. Möglich, dass die Herausforderung eines Gewaltspiels (wie z. B. Egoshooter) auf einige – vor allem sensiblere Naturen – von vornherein abschreckend wirkt, weil das Ziel des Spiels Töten 256 Dritter Zwischenbericht der Enquete-Kommission Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft --Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft*), zum Thema Kinder- und Jugendschutz im Multimediazeitalter, a. a. O., S. 40 257 Feibel, Thomas: „Die Internet-Generation“ – Zu deutsch fürs Internet, a. a. O., S. 19 258 Richard, Rainer: „Jugendschutz im Internet“ – Gefahren im Umgang mit dem Internet, a. a. O., S. 45 101 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet bedeutet. In diesem Fall gilt es, diese Jugendlichen aufzufangen und ihnen ein Selbstbewusstsein zu vermitteln, damit der oder die Jugendliche nicht durch seine abwehrende Haltung gegenüber exzessiver Gewaltspiele kein Makel oder Stigma unter seines gleichen zu tragen hat, welches ihn in seiner Gruppe zu marginalisieren vermag. - die Stimulationsthese Wie bei der Katharsis ist auch hier ein Reiz der Affekterledigung zu beobachten. Nur in diesem Fall wirkt der Misserfolg nicht heilsam in Form der Unterlassung, sondern gegenteilig. Der Spieler fühlt sich gefordert, dieses Spiel beherrschen zu lernen. In einem solchen Fall ist es nicht so einfach, Jugendliche noch aufzufangen – auch dann nicht, wenn die Stimulationsthese rechtzeitig an einem Heranwachsenden beobachtet wurde. Dem Heranwachsenden Alternativen anzubieten, erweist sich häufig als sinnlos, da der Heranwachsende bereits zu sehr von diesem einen Spiel stimuliert ist. Professionelle therapeutische Hilfe kann in einem solchen Fall bereits angebracht sein. - die Habitationsthese Eine Gewöhnung tritt dann ein, wenn der Spieler mit dem Spiel vertraut ist und nicht mehr davon lassen kann. Ein solches Verhalten hat bereits enormes Suchtpotential. Wenn Eltern diesem Verhalten hilflos gegenüberstehen und keine therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, dann bleibt nur zu wünschen, dass wenigstens nicht die fünfte These nach einer Weile damit einhergeht. - die Imitationsthese Diese These besagt, dass bereits ein Realitätsverlust beim stetigen Spielen vorausgegangen sein muss und nun die Nachahmung des Spiels in der Realität probiert wird. Dies ist vor allem eine Gefahr unter den Heranwachsenden bis zur Pubertät und in einigen Fällen auch darüber hinaus. Erinnert sei an einem Fall, in dem ein 6jähriger seinen kleinen Bruder mit der Axt geköpft hat. Sein Motiv war die Nachahmung von Szenen aus einem zuvor konsumierten Horrorvideo. Gewalt gegen andere oder gegen sich selbst ist ein häufig zu beobachtendes Phänomen unter Heranwachsenden. FEIBEL führt dies unter anderem darauf zurück, dass „die Grunderfahrung körperlicher Konflikte, wie es sie in früheren Generationen gab, Kinder heute nicht mehr erleben, jedenfalls nicht mit der Selbstverständlichkeit, wie sie noch vor zwei Jahrzehnten gegeben war. Körperlichkeit in jeder Gestalt. In den Familien heißt das, dass es kaum körperliche Strafen gibt.“259, wobei körperliche Züchtigung von roher Gewalt und damit verbundenem Missbrauch zu differenzieren ist. Gewalt kann in keinem Fall eine Lösung sein. ‚Wer Gewalt säht, wird Gewalt ernten‘, heißt es bereits in der Bibel. FEIBEL bezieht sich mit seinen ‚körperlichen Strafen‘ eher auf den Umstand, dass körperliche Strafen vor zwei Jahrzehnten schon mit Stubenarrest verbunden gewesen waren. Heute würde Stubenarrest für viele Jugendliche eher eine positive Sanktion darstellen. Man muss ja quasi die Kids heutzutage schon aus ihren Kinderstuben ‚herausprügeln‘, so gemütlich und heimisch, wie es in den meisten Jugendzimmern zugeht, wo es an nichts fehlt: 259 Feibel, Thomas zitiert a. a. O. in „Die Internet-Generation“ auf S. 100 den Kinderpsychologen Wolfgang Bergmann 102 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Computer, Internet, Fernsehen. Stubenarrest wurde durch den Einzug der modernen Informations- und Unterhaltungselektronik in die Jugendzimmer ad absurdum geführt und ist in vielen Fällen somit als Strafe kontraproduktiv. Meiner Meinung nach ist mit ‚körperlichen Strafen‘ niemandem geholfen. Das war auch vor zwei Jahrzehnten nicht anders. Um einen frühzeitigen Realitätsverlust der Heranwachsenden zu vermeiden, hilft nur, Kinder so früh wie möglich zur Einsicht reifen zu lassen, die sich mit Gewalt definitiv nicht herstellen lässt, da sie nur Gegengewalt erzeugt. Die Grundkenntnis um die neurolinguistische Programmierung (NLP) würde meiner Ansicht nach eine verlässliche Grundlage zur Einsicht bieten können. NLP hier näher zu beschreiben, würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen. Das Internet könnte dabei nützlich sein, sich in NLP zu üben. Ein steigender Internetkonsum ließe in diesem Falle dann einen Realitätsverlust eindämmen und würde sogar dazu beitragen können, einen geschärften Sinn für die Realität zu entwickeln. 3.8.1. Verlust der sozialen Identität und Integrität Die Virtuelle Realität (VR) ist eine Welt zum ‚Hochfahren‘. Realitäten werden aufgebaut, in dem der Rechner als Medium seine Bits und Bytes organisiert und zusammenstellt (hochfährt), um eine Abbildung einer Realität zu schaffen, die den Erzeuger solcher Wirklichkeiten als Person selbst entbehrlich macht. Weder der Erzeuger noch der Benutzer muss allgegenwärtig sein, so wie es in der Wirklichkeit der Fall ist. Da drängt sich die Frage auf, ob Realität stattfindet, wenn kein Akteur da ist, der sie erzeugt, sondern lediglich wahrnimmt? Gibt es Realität im dunklen menschenleeren Raum? Die Reale Welt (RW) braucht Interaktionspartner, die ein Abbild von Wirklichkeiten schaffen, um aus sich selbst schöpfen zu können. Dort, wo weder Erzeuger noch Rezipienten aufeinander treffen, kann von einer RW im zwischenmenschlichen Sinne nicht die Rede sein. In der VR ist dies jedoch der Fall. Die VR benötigt gegebenenfalls lediglich einen Rezipienten. Der Erzeuger selbst kann manchmal ein programmierter Rechner oder ein Netzwerk von programmierten Rechnern darstellen. Die Interaktion in der VR verläuft asymmetrisch. Der Anwender begibt sich in eine Welt von der er weiß, dass sie ihm keinen körperlichen Schaden zufügen kann, sei die Situation noch so kritisch. Umgekehrt weiß der Anwender auch, dass bei gefährlichen Interaktionen sein Gegenüber keinen direkten Angriff auf seine Person befürchten braucht. Demzufolge ist das Handeln des Benutzers am Rechner nicht mit unmittelbaren Folgen verknüpft, wie das in der RW üblich ist: „Das Gewissen bildet sich im Handeln. Gewissen und Handeln hängen eben ganz eng zusammen. Handeln kann ich aber nur in der Realität, und das Gewissen kann sich nur ausbilden, wenn ich weiß, dass mein Handeln eine Folge hat. Das Dilemma am Computer ist, dass es keine Folgen hat.“260 Ohne Gewissen ist meiner Meinung nach schon ein Stück der sozialen Identität verloren gegangen. Die soziale Identität eines Menschen ist nicht angeboren. Ein Mensch kommt zwar in der Regel als Tochter oder Sohn zur Welt; allerdings nicht im Bewusstsein der Rollenübernahme. Wobei auch hier anzumerken ist, dass es selbst für den natürlichsten Vorgang der Welt einer Geburt in unserer hoch technologisierten Zeit Ausnahmen gibt. Ich möchte dabei an das Schicksal all jener erinnern dürfen (eine kaum wahrgenommene Minderheit, aber dennoch vorhanden), die auch ohne Mutter und Vater zur Welt kommen können, wie z. B. künstlich am Leben gehaltene Föten im Bauch einer bereits verstorbenen Frau oder Kinder ‚aus dem Reagenzglas‘. Ich will 260 Feibel, Thomas zitiert den Medienpädagogen Bernd Schorb aus Leipzig in „Die Internet-Generation“, a. a. O., S. 185 103 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet damit nur sagen dürfen, dass eine soziale Identität heutzutage alles andere als selbstverständlich ist, denn diese wird durch Prägung und Nachahmung der jeweiligen Vorbilder nach wie vor erzeugt. Um Nachahmen zu können, brauchen Heranwachsende Vorbilder und wenn diese Vorbilder im häuslichen Umfeld nicht als solche taugen oder gar nicht erst vorhanden sind, dann suchen sich junge Menschen ihre Vorbilder unter Umständen in den Medien. Haben früher noch Buch, Rundfunk und Fernsehen substitutive Vorbildrollen übernehmen können, weil sie Charaktere geschaffen haben, die jungen Menschen zum Vorbild dienen konnten, so haben nun in vielen Fällen künstlich geschaffene Idole aus dem Computer diese Rolle übernehmen können. Im Unterschied zu den herkömmlichen Medien wie Bücher, Rundfunk und Fernsehen haben „die Heroen in den Computerlandschaften keine Identität, haben keine Geschichte, keinen Charakter. Ihr Hintergrund ist entleert, sie erschöpfen sich in der reinen Präsenz der Aktionen. Eine Kontingenz der symbolischen Vorgänge, in denen das Narzisstische bezuglos zu sich selber kommt, damit aber die Realitätsbindung verliert und auch nicht mehr als Vorbild dienen kann.“261 Die flüchtige Präsenz der Benutzerinnen und Benutzer lässt die Kommunikation im Internet ebenfalls flüchtig erscheinen. Die massive Auswahl an Gesprächspartnern in der VR übersteigt die Anzahl der möglichen Kontaktbindungen in der RW um ein Vielfaches. Scheitert die Kommunikation mit einem Gesprächspartner im Cyberspace, dann suchen sich die Nutzerinnen und Nutzer fluchs einen neuen Kontakt. Integrative Anlaufformen, wie sie in der RW üblich sind, fallen in der VR einfach weg. Es gibt keine Begegnung mit Händeschütteln, Lächeln, Drohgebärden und dergleichen mehr. Die User brauchen ihr Kontaktverhalten im Internet nicht vorzubereiten. Sie können nackt und ungeduscht auf Kontaktsuche gehen und damit erfolgreich sein. In der Realen Welt ist das wohl kaum vorstellbar. Sie können sich in der Virtuellen Welt in viele Personen aufteilen und mannigfache Rollen spielen: „Wenn ich allein in meinen Internet-Kontakten vier oder fünf Ichs aufrufen kann, wenn ich mal hier und mal da in phantastische Bildwelten einsinke, dann wird das alte autonome Ich natürlich unsicher und ungefestigt. Dann kann es eben passieren, dass der Wunsch nach einem kollektiven wir, das die Ich-Diffusion auffängt, stark wird. Die gesellschaftliche Macht, der es gelingen könnte, die bewussten und unbewussten Wir-Bilder zu erzeugen und in Regie zu nehmen, wäre dann kaum noch zu kontrollieren. Da wird aber keine militärische oder politische Organisation oder ‚Bewegung‘ sein, sondern viel wahrscheinlicher etwa ein Medienkonzern. Ich sehe keine moralische Kraft in unserer Kultur, die dem etwas entgegensetzen könnte.“262 Für die gesellschaftliche Integrität jedoch ist ein relativ gefestigtes und sicheres ‚autonomes Ich‘, wie FEIBEL es nennt, von ausschlaggebender Bedeutung. Die soziale Fähigkeit, sich voll und ganz in eine Gesellschaft einzubringen, ist ein Muss. Nicht so in der VR: dort gilt es, auf sich aufmerksam zu machen und das am besten dadurch, indem vorgespiegelt wird, was in Wirklichkeit gar nicht oder nur wenig ausgeprägt vorhanden ist. Und da viele gern wären, was sie in der Realität nicht sind, nutzen sie die Freiheit im Cyberspace zu sein, was sie gern möchten. Diese Bedürfnisse erkennen auch die Medienkonzerne, die die Plattform für Virtuelle Welten schaffen, am schnellsten und nutzen sie für ihre Zwecke. Der gesellschaftliche Kodex für Anstand, Moral und Sitte verliert fast gänzlich an Bedeutung. Das ‚freudsche Über-Ich‘ gerät bei übermäßigen Internetkonsum unter 261 Feibel, Thomas zitiert a. a. O. in „Die Internet-Generation“ auf S. 103 den Kinderpsychologen Wolfgang Bergmann 262 ebd. S. 104 104 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Umständen schnell in Vergessenheit, was soviel bedeutet, dass die Selbstkontrolle im gesellschaftlichen Rollenspiel an Bedeutung verliert. Diese Kontrolle übernehmen im Extremfall – wenn FEIBELS Prognose zuträfe – eines Tages die Medienkonzerne. Diese würden dann in einem solchen Fall die soziale Identität und Integrität ihrer Kundinnen und Kunden neu auszurichten verstehen. 3.8.2. Die Sucht „Online zu sein“ Vorab ist diese Sucht keine stoffliche. Schließlich gilt es, Süchte zu unterscheiden in stoffliche und nicht-stoffliche Süchte. Zu den stofflichen Süchten gehören die Alkohol-, die Drogen- und die Esssucht. Zu den nicht-stofflichen Süchten gehören die Spiel-, die Kauf-, die Putz- und nicht zu guter letzt auch die hier kurz zu untersuchende Onlinesucht: „Nach neuesten Untersuchungen der Berliner Humboldt Universität gehen die Experten davon aus, dass von 1000 Internetbenutzern drei Prozent süchtig (Experten nennen dies internetgefährdet) sind. Das Hauptmotiv für den Gang ins Internet ist die Bereitschaft zur Kommunikation. Abhängige sind daher oft in den so genannten Chatrooms unterwegs. Erst dann kommen Motive wie Spiele, Musik und Erotik. Das Paradoxe an der Sucht ist, dass die Menschen das Internet nutzen, um soziale Kontakte aufzubauen, dadurch aber oft den Bezug zur Realität verlieren und einsam werden. Internetsüchtige sind laut Studie mindestens 35 Stunden in der Woche online (die Spanne beträgt zwischen 20 und 100 Stunden). Die Studie der Humboldt Universität ergab, dass vor allem Jugendliche, Arbeitslose und Hausfrauen gefährdet sind.“263 Wird das Kriterium ‚Online-Verweildauer‘ für das Suchtmerkmal herangezogen, dann bin ich bereits süchtig, denn 35 Stunden die Woche online zu sein, sind umgerechnet 5 Stunden am Tag. Mein Arbeitstag besteht aus 8 oder mehr Stunden. Mein Arbeitsinstrument ist der onlinefähige Rechner. Da es unzählige Arbeitsplätze heutzutage gibt, die sich in einem Netzwerk befinden, müssten laut Studie weitaus mehr als 3 Prozent von 1000 Internetbenutzern internetgefährdet sein. Vermutlich sind die Untersuchungskriterien etwas diffiziler, als sie in der Boulevardsendung ‚Volle Kanne Susanne‘ interpretiert worden sind. Bedenklich wird die Situation der Internetnutzung, wenn die eigentliche Absicht des Onlineseins fehlschlägt. Beispielsweise der Nutzer respektive die Nutzerin mit dem festen Vorhaben ins Internet geht, eine Information finden zu wollen und statt diese konsequent zu suchen, es dann doch vorzieht zu chatten, zu spielen oder nach sexueller Befriedigung zu suchen. Beobachten wir das Hauptmotiv der Internetgefährdung gemäß der Untersuchung der Humboldt-Universität, und zwar die Bereitschaft zur Kommunikation, so ist meiner Erfahrung nach hier ein ganz besonderes Kriterium ausschlaggebend, um eine Suchtgefährdung zu diagnostizieren: die Unfähigkeit sich ohne zu zögern aus einem Chat verabschieden zu können. Gerade in öffentlichen Chatrooms ist zu beobachten, dass für einige Chatterinnen und Chatter das Verabschiedungsritual nahezu unendlich lange vonstatten geht. Anstatt dass sich der Chatter nach dem angekündigten Abschied aus dem Chat ausklinkt, ist seine bzw. ihre Anwesenheit noch auf eine ungewöhnlich lange Verweildauer festzustellen. Diese Nutzerin bzw. dieser Nutzer verspürt eine gewisse Sorge, dass die Person, die er bzw. sie erwartet (ob nun eine bekannte oder unbekannte Person) gerade dann den Chatroom betreten könnte, wenn er bzw. sie sich gerade aus dem Chatroom ausloggt. Ähnlich wie in der stofflichen Drogensucht der Abhängige bereit ist, unverhältnismäßig lange auf seinen Dealer zu warten, so ist 263 www.hausfrauenseite.de/kinder/onlinesucht.html#kanne, Stand: 09.11.2005 21:16 105 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet der Chatsüchtige bereit, unverhältnismäßig lange auf der Suche nach Kontakten in einem Chatroom online zu sein, und um ja nichts zu versäumen. Onlinesüchtige stoßen gleich auf zwei Probleme: zum einen wird ihre Sucht zu selten wahrgenommen, da diese – ähnlich wie die anderen nicht-stofflichen Süchte – kaum öffentlichen Raum beansprucht, und zum anderen fehlen ihnen die Ansprechpartner in der RW, da sich Betroffene bereits zu sehr zurückgezogen haben, als dass sie sich noch jemanden mitteilen würden, der nicht auch irgendwo im Internet am Computer verweilt. Der sich um den Internetsüchtigen schließende Teufelskreis unterscheidet sich jedoch nicht von denen anderer Süchtiger. Die einzige Ausnahme ist, dass die VR sich selbst besser zu verhöhnen weiß, wie die Empfehlung eines interaktiven Spielcasinos an seine Spielerinnen und Spieler ‚Gambler Anonymus’ aufbzw. anzurufen: „Der Gipfel der Verhöhnung der Spieler ist dann ein Link auf den Server der anonymen Selbsthilfegruppe für Spielsüchtige namens ‚Gambler Anonymous‘.“264 3.8.3. Raubkopien aus dem Netz Wenn der Auffassung der Musikindustrie über die Definition einer Raubkopie Folge geleistet würde, dann sind die sich im Umlauf befindlichen Kopien bereits schon seit Jahrzehnten in analoger Form vorhanden. Spätestens seit der Erfindung des Tonbands gibt es demzufolge Raubkopien; allein durch die Möglichkeit, Musikstücke aufzunehmen und mitzuschneiden. Da bislang kein Fall bekannt geworden ist, dass ein Nutzer solcher analogen Aufnahmetechniken belangt worden ist, kann „für den Download einer MP3-Datei zum privaten Gebrauch deshalb nichts anderes gelten als für das private Aufnehmen eines Lieds auf Kassette oder Diskette. Dies gilt auch dann noch, wenn die MP3-Datei ohne Zustimmung des Inhabers der Rechte an dem Musikwerk ins Internet gestellt wurde. Dies kann weder straf- noch zivilrechtlich belangt werden.“ 265 Auch in den Zeiten als es noch keine digitalen Abspiel- und Aufnahmegeräte gab, war es unter Jugendlichen ‚normal’, Musik zu tauschen. Es gab immer jemanden, der eine musikalische Neuerscheinung käuflich erworben hat und bereit war, für Freunde diese Titel auf einem Tonband aufzunehmen. Es gab immer welche, die vor dem Radio saßen und Mitschnitte der modernen Radiosendungen machten. Diese Mitschnitte wurden dann weiterverbreitet. Vor allem als die so genannten Doppeldecks auf den Markt kamen, mit denen sich Aufnahmen von MC zu MC bequemer ermöglichen ließen, als es vorher der Fall war. Bevor es diese Innovation gab, waren noch zwei Casettendecks erforderlich, die dann ein Aufnehmen von MC zu MC mittels Überspielkabel ermöglichten. Dass die heutzutage doch recht umständlich anmutende Prozedur der magnetischen Vervielfältigung von Tonträgern dennoch mit dem Kopieren von Musikstücken aus dem Netz zu vergleichen ist, liegt einer einfachen Tatsache zugrunde: beide Verfahren erfordern ein gewisses Know-How und Geschick. Es ist nicht von der Hand zu weisen, wenn die Musikindustrie heutzutage berechtigte Klagen hat. Geht es doch vor allem um wirtschaftliche Daten, die für sich und gegen Raubkopien sprechen: „Eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung besagt, dass im Jahr 2002 622 Mio Mal nach Musikstücken im Internet gesucht und diese dann auf mobile Abspielgeräte übertragen wurden. Der Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft hat nachge- 264 265 Richard, Rainer: „Jugendschutz im Internet“ – Gefahren im Umgang mit dem Internet, a. a. O., S. 43 ebd. S. 36 106 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet rechnet und spricht von 165 Mio verkaufter Musik-CDs im Jahr 2002, denen 258 Mio verkaufte CD-Rohlinge gegenüberstehen.“266 Wesentlich brisanter wirken sich indes die kriminellen Machenschaften aus, die über digitale Aufnahmeverfahren möglich sind. Angefangen von massenhaften Kopien geschützter Titel in Ländern, die das Raubkopieren weniger oder gar nicht ahnden, bis hin zur Herstellung und Vervielfältigung krimineller Inhalte, wie Kinderpornografien oder die Filmdokumentationen mörderischer Rituale, wo die Hauptdarsteller solcher Filme vor laufenden Kameras zu Tode gequält werden (so genannte Snaff-Videos). Wobei jedoch zu unterscheiden ist, zwischen den Machern und den Anbietern von Raubkopien: „Die Tatsache, dass die Musikbörsen Napster, Gnutella oder Morpheus auch kinderpornographische Dateien enthielten, darf aber nicht zu einer Art 'Hexenjagd' führen. Auch wenn das Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz von Providern und Betreibern scharfe Kontrollen verlangt, so dürfen nicht Betreiber und Straftäter verwechselt werden. Vereinfacht: Wenn über das Telefon ein sexueller Kindesmissbrauch angebahnt und verabredet wird, kann man dafür kaum den Betreiber des Telefonnetzes verantwortlich machen.“267 3.8.4. vernetztes Rowdytum Es ist nicht gerade unbedeutend, mahnend Eltern, Lehrer und Erzieher darauf hinzuweisen, dass es zu beobachten gilt, ob eine ernstzunehmende Cliquenbeziehung zwischen ihren Schützlingen und anderen Heranwachsenden im Internet besteht, die eine gewisse soziale Kontrolle seitens der Erziehungsberechtigten unumgehbar werden lässt. Wenn Eltern darauf Wert legen, den Freundeskreis ihrer Kinder persönlich kennen lernen zu wollen, so bleibt es nahezu unverständlich, dass dieses Bedürfnis sich auf die Reale Welt beschränkt, anstatt dass Erziehungsberechtigte auch in besonderem Maße auf die Kontakte der Heranwachsenden in der Virtuellen Welt Bezug nehmen zu wollen. Der Einflussbereich und der Handlungsspielraum im Internet sind weit aus bedeutender als es auf den ersten Blick anmutet. Mag sein, dass ein Jugendlicher harmlos vor seinem Rechner sitzt und sich beispielsweise dabei mit Hooligans im Internet auf Seiten, die sich nur mit Codewörtern öffnen lassen, zum nächsten Schlägertreffen von Zweit- bzw. Drittligaspielen innerhalb oder Länderfußballspielen außerhalb Deutschlands verabredet. Zuhause macht er dann auf braves Familienmitglied und scheint auf dem ersten Blick angepasst. Im Internet sucht er dann seinesgleichen, legt die äußerlichen Zwänge, die ihn umgeben ab und kann dann bei Verabredung zum Rowdytum endlich mal aus seiner Haut raus. Deswegen scheint es auch kein Wunder zu sein, dass diese Schläger soziologisch gesehen nicht einem einfachen sozialen Unterschichtsmilieu zuzuordnen sind, sondern aus den verschiedensten gesellschaftlichen höheren Schichten und Berufsgruppen stammen. Obwohl Hooligans genauso wie Hobbyrennfahrer, die sich ebenfalls im Internet verabreden, gesetzlich und auch gesellschaftlich betrachtet oft als erwachsen gelten dürfen, sind sie doch nach dem im Kapitel 1 beschriebenen soziologischen Typisierungen Heranwachsende, deren Persönlichkeit in Richtung gesellschaftlicher Verantwortung nicht gereift ist. Die BILD-Zeitung lässt dazu in ihrer Ausgabe vom 30. März 2005, anlässlich des Vorkommens einer Massenschlägerei von Hooligans bei den WM-Qualifikationsspielen in Slowenien einen bekennenden Hooligan zu Wort kommen, der schätzungsweise Mitte zwanzig ist, seinen Namen 266 Graf, Bernd: „In Kopierisan“ – Das neue Urheberrecht wird an neuen Technologien scheitern, Süddeutsche Zeitung, #205, 6. u. 7. September.2003, S. 12 267 Braun, Gisela / Hasebrink, Marianne / Huxoll, Martina (Hrg.): „Pädosexualität ist Gewalt“ – Detlef Drewes: Pädosexuelle Netzwerke im Internet, a. a. O., S. 158 107 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet nicht in der Zeitung gedruckt sehen, aber sich sozial rechtfertigen will, dass diese Prügeleien dazu dienen, „beruflichen und familiären Stress und Druck abzubauen“. Die Familie selbst weiß selbstredend nichts von seinem Treiben, aber die Medien, in diesem Fall die Presse und das Internet geben ihm, wie auch anderen gewaltbereiten Heranwachsenden eine Plattform. Doch nicht nur die hier auszugsweise erwähnten gruppenorientierten Gewalteskapaden sind bei Heranwachsenden im Internet anzutreffen. Rowdytum und Gewaltbereitschaft, die das exzessive Ausleben gewalttätiger Fantasien zum grotesken Ideal berufen, um Gruppenzugehörigkeit zu proklamieren, finden im Internet eine ideale Plattform. Ob nun in der Öffentlichkeit bekannt wird, dass über das Internet ein Mensch einen anderen Menschen mit Suizidgedanken antrifft, diese sich verabreden, damit der eine den anderen nach eigenen Wünschen vor laufender Kamera und am lebendigen Leibe das Geschlechtsteil abschneidet und dadurch eine öffentliche Diskussion über die Beschaffenheit der deutschen Rechtsprechung geführt wird, oder aber im Zusammenhang mit dem Irakkrieg Geisel geköpft und diese Szenen im Internet sich wieder finden, so darf es nicht verwundern, wenn Jugendliche diese vorgelebte Wirklichkeit der Gewaltabbildung für sich selbst nachzelebrieren. ‚Happy Slapping‘ heißt daher auch ein relativ neuer Gewalttrend aus Großbritannien, wo Jugendliche aus Spaß Passanten angreifen und das mit dem Videohandy filmen. Die Filmsequenzen werden dann später ins Internet gestellt. Vorbild für „happy slapping“ sei „möglicherweise die Fernsehsendung ‚Jackass‘, in der Amateure vor der Kamera extreme Mutproben ablegen. Allerdings treten die Darbieter in der Stunt-Show freiwillig auf. Die Jugendlichen haben dagegen ihre eigenen Auswahlkriterien, wie beispielsweise der 16-jährige Manny Logan aus dem Süden Londons. ‚Du siehst jemanden rumsitzen und der sieht irgendwie dumm aus. Dann rennst Du einfach hin, schlägst ihn und rennst wieder weg. Das macht Spaß.‘"268 3.8.5. politische, religiöse und privat motivierte Hetze im Internet Oft ist politische oder religiös anmutende Gewalt eine leidige Konsequenz aus einem gesteigerten Trieb des unkontrollierten Aggressionsabbaus. Unter Umständen lässt sich dieser Aggressionsstau kanalisieren, wenn durch soziale Kontrolle die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen rechtzeitig entdeckt und nicht sanktioniert, sondern therapeutisch rehabilitiert wird. Schließlich handelt es sich bei Aggressionen um Energien, die sich auch positiv nutzen lassen, z. B. durch Sport. Notorisch gefährlich werden solch negativ gelebten Aggressionen immer dann, wenn sie mit Ideologien einhergehen. Der Einstieg in bestimmte politisch oder religiös motivierte Ideologien erfolgt „häufig über diverse Musikgruppen, die in ihren Texten rassistische und volksverhetzende Parolen als Inhalte haben. Die Songs können als Sounddateien kostenlos über das Internet geladen werden. Alleine 95.000 Platten mit Hassmusik sind in den USA erhältlich. Diese Gewalt schürenden Lieder fordern zum Teil ganz offen zur Begehung von Straftaten auf. Aufgepeitscht durch solche Musikwerke z. B. bei Skinheadpartys schwillt das Gewaltpotenzial an. Es erscheint als logische Konsequenz, wenn im Anschluss an solche Veranstaltungen die Teilnehmer ausländerfeindliche Anschläge durchführen oder andere Gewaltstraftaten begehen.“269 268 269 http://www.silicon.de/cpo/news-adn/detail.php?nr=21136, Stand: 27.11.2005 10:12 Richard, Rainer: „Jugendschutz im Internet“ – Gefahren im Umgang mit dem Internet, a. a. O., S. 38 108 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Demagogen haben ein leichtes Spiel im Internet und das haben sie schon relativ früh erkannt. „Vorreiter der Rechtsradikalen waren 1995 die Webseiten von Stormfront und die Seiten des Deutsch-Kanadiers Ernst Zündel, der sich als geistiger Nachfolger von Adolf Hitler sieht.“270 Dass Demagogen ein leichtes Spiel im Internet haben, zeigt sich auch an ihren simplen Methoden, die sie benutzen, um Jugendliche zu ködern. „So findet sich auf der Homepage eines rechtsradikalen Amerikaners ein Hinweis auf das Spiel ‚KZ-Rattenfänger‘, ein Spiel in Anlehnung an das populäre Spiel ‚Moorhuhnjagd‘, nur dass in diesem Fall keine Moorhühner, sondern Ratten mit dem Judenstern in einem virtuellen Konzentrationslager abgeschossen werden sollen.“271 Wenn leicht zu beeinflussende Heranwachsende erst einmal in solche Fallen getappt sind und ihren Spaß an jenen Spielen gefunden haben, mit deren Inhalte sie sich nicht auseinandersetzen müssen, obwohl oder gerade weil sie damit Tabus brechen, dann haben Demagogen weitergehende Möglichkeiten, den Jugendlichen ihre Ideologien einzuimpfen. Diese Demagogen benötigen keinerlei verständliche Erklärungen über die Grundlagen ihrer Ideologien, brauchen keine historische Auseinandersetzung mit den Heranwachsenden zu fürchten, weil dabei „die Ziele des Nationalsozialismus (beispielsweise) neu belebt und mit aktuellen Problemen wie Arbeitslosigkeit, hohem Ausländeranteil, Asylanten oder anderen Zukunftsängsten ursächlich miteinander verknüpft werden. Für solche Aussagen sind insbesondere Jugendliche anfällig, die verunsichert oder unzufrieden sind und die nach ihrem eigenen Verständnis nur ihren Anspruch auf eine gesicherte Zukunft und Gerechtigkeit anstreben.“272 Politische oder religiöse Sekten brauchen erst gar keine Ideologien. Für sie reicht das Spiel mit Symbolik aus. Heranwachsende sind besonders anfällig für symbolkräftige Polemik. Ob nun das Hexagramm, das eingekreiste Anarchisten-A, das Pax-Symbol, die Swastika (Hakenkreuz), usw. – all diese Symbole verbinden Jugendliche leicht mit einer bestimmten Zugehörigkeit. Sie tragen diese Symbole aufgemalt auf ihren Rucksäcken oder als Sticker auf ihren Jacken. Eine ganze Industrie lebt von dieser Symbolik. Symbole, die hierzulande verboten sind (wie z. B. die Swastika) sind in anderen Ländern käuflich zu erwerben und lassen sich somit übers Internet bestellen. Die magische Kraft der Symbolik wissen Sektierer für sich zu nutzen, um unterschwellig Politik zu machen. Der Satanskult beispielsweise gibt sich auf den ersten Blick unpolitisch. Bei genauem Hinsehen fällt auf, dass gerade dieser Kult stark faschistische Politik in den eigenen Reihen betreibt und dabei oft über die Grenzen jeglichen Demokratieverständnisses hinauszielt. Was wenigen Heranwachsenden, die sich vom Satanskult – vor allem übers Internet – leicht ködern lassen, anfangs auffällt, „ist die Tatsache, dass hier offen Verbindungen zu rechtsradikalen Organisationen bestehen. Da findet sich der alte deutsche Reichsadler mit dem Teufelsstern wieder und politische und satanistische Organisationen setzen gegenseitig Links auf ihre Webseiten.“273 Das Internet ist weder zu verharmlosen noch zu verteufeln. Gefahren und Chancen liegen in diesem Medium dichter beieinander als in jedem anderen Medium. Als Chance darf es beispielsweise betrachtet werden, wenn durch das Internet ehemalige, weit verstreute Mitschülerinnen und -schüler ausfindig gemacht werden können. Als Gefahr jedoch versteht sich das Internet, wenn ein Steckbrief 270 ebd. S. 37 Richard, Rainer: „Jugendschutz im Internet“ – Gefahren im Umgang mit dem Internet, a. a. O., S. 37 272 ebd. S. 38 273 ebd. S. 42 271 109 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet veröffentlicht wird und mit diesem jemand aus persönlichen, religiösen oder politischen Rachemotiven heraus gesucht und gejagt werden soll: „1998 fanden die Münchner Internetfahnder eine Webseite mit einem Mordaufruf: ‚Tötet Mazzi‘, lautete die Überschrift, womit Rechtsradikale steckbriefartig nach einem Aussteiger aus der Szene suchten.“274 Das liest sich auf den ersten Blick wie ein Einzelfall, doch in den Pionierzeiten des Internets wurde dieses Medium geradezu missbraucht, als eine Pinwand für Sekten und Organisationen, die durch Steckbriefe zur Jagd nach ihren Aussteigern aufrief: „Bis 1996 hatte die Scientology Organisation Webseiten veröffentlicht, auf denen nach den am meisten gesuchten Aussteigern der Organisation gefahndet wurde. Die Suchanzeigen waren steckbriefartig aufgebaut mit den Fotos, Namen, zuletzt bekannten Aufenthaltsorten und den verwendeten Fahrzeugen. Was nur noch fehlte, war die Höhe des Kopfgelds. Inzwischen sind diese Seiten wieder gelöscht worden, da sie offensichtlich nicht zum Image einer selbst ernannten Kirche passen.“275 Hetze – und gerade politisch motivierte – darf auch subtiler verstanden werden. Zum Beispiel in Form von Verführungen. Längst ist bekannt, dass sich im Internet Seiten finden, wie Bomben gebaut werden. Das ist insofern nicht unbedingt zu kritisieren, da ja bereits im Chemieunterricht der Mittelstufen Schülerinnen und Schülern beigebracht wird, wie sich explosive Gemische zusammensetzen und herstellen lassen. Geht es jedoch um den Zweck einer solchen Instruktion, der deutlich werden lässt, dass die zu erwerbenden Kenntnisse destruktiven Zielen gewidmet sind, dann ist die angesprochene Zielgruppe eindeutig als radikal und gesellschafts- und damit lebensfeindlich einzustufen: „Auf Webseiten in den Niederlanden sind Texte abrufbar, die die Überschrift wie ‚Kleiner Leitfaden zur Behinderung von Bahntransporten aller Art‘ tragen und nichts anderes darstellen als die Aufforderung zu Straftaten. Hier wird genau beschrieben, wie Signal- und Gleisanlagen funktionieren und was der potenzielle Angreifer tun muss, um diese Anlagen zu manipulieren.“276 RICHARD stellt fest, dass „nicht nur Extremisten das Internet für ihre Kampagnen nutzen, auch private Seitenbetreiber verwenden das Medium für Rachefeldzüge.“ 277 Das dachte sich sicherlich auch TIM S. 278 , damalig verantwortlich für die Seite www.rache.de. verlinkt mit onlinewahn.de: „Die Homepage bot jedem die Möglichkeit, eine unbeliebte Person an den Onlinepranger zu stellen. Erst aufgrund des starken Protests der Betroffenen und einem anschließend eingeleiteten Gerichtsverfahren wurde die Denunzierungsseite geschlossen. Als Alternative bietet jetzt www.racheist-suess.de die Möglichkeit, Vergeltung an seinen Mitmenschen zu üben. Ähnlich wie bei den rassistischen Inhalten verlagern immer mehr Anbieter ihre Webseiten auf amerikanische Server, da man sich hier dem Verfolgungsdruck deutscher Behörden entzieht.“279 Somit sollten Erziehungsberechtigte alle Anstrengungen unternehmen, ihren Schützlingen im Web folgen zu können. Und das nicht auf detektivische Weise, sondern in dialektischer. Was spricht dagegen, wenn Eltern und Kinder sich vielleicht einen ganzen Tag oder Abend ausschließlich über ICQ (siehe Kapitel 1) 274 ebd. S. 39 Richard, Rainer: „Jugendschutz im Internet“ – Gefahren im Umgang mit dem Internet, a. a. O., S. 40 276 ebd. S. 39 277 ebd. S. 42 278 der Autor wurde vom Urheber gebeten, den Namen zu kürzen; der vollständige Name ist dem Autor bekannt 279 ebd. S. 42 275 110 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet austauschen? Nicht, dass sich erwarten ließe auf diese Weise verlorenes Vertrauen der Heranwachsenden auf einen Schlag wieder zurück zu gewinnen. Mit Stetigkeit und Geduld würde es meiner Meinung nach dazu führen können, dass sich durch Messenger wieder Ansätze zum Gespräch entwickeln können. Ist das Vertrauen der Jugendlichen zu ihren Eltern erst einmal da oder wieder hergestellt, und der Erwachsene für den Jugendlichen nicht nur in der RW, sondern auch in der VR existent, dann besteht die Chance, dass Jugendliche schneller Alarm schlagen, wenn sie sich durch obskure Inhalte im Internet herausgefordert fühlen. Dabei ist es für jeden Erwachsenen im Netz unabdingbar Jugendliche ernst zunehmen. Das Thema Tod beschäftigt Jugendliche stärker als wir Erwachsene es ihnen oft zugestehen wollen. „Gerade aus Jugendschutzgründen bedenklich sind (daher) die Webseiten der Okkultisten und Satanisten oder die Onlineangebote der GothicAnhänger. Chaträume und spezielle Foren befassen sich ausgiebig mit dem Tod. Oftmals werden in den Foren Selbstmorde angekündigt.“ 280 Doch elterliche beziehungsweise erzieherische Fürsorge allein macht keinen Sinn in der Begabungsförderung Heranwachsender. Jugendliche brauchen Angebote in beiden Welten – der realen wie der virtuellen. Diese Angebote sollten nicht allein aus Möglichkeiten der Freizeitgestaltung zusammengestellt sein, sondern auch Perspektiven müssen her. Denn „gerade Jugendliche, für die sich wenig Perspektiven bieten, sei es aus Mangel an Freizeitgestaltungsmöglichkeiten, klagen über niedergedrückte Stimmungen, Langeweile, Sinnlosigkeit und Lebensunlust (…) führen zum Teil dazu, dass man nachts Schwarze Messen feiert oder sich zu Beschwörungsritualen auf Friedhöfen oder in zerfallenen Häusern trifft. Dann wird sich gegenseitig Blut abgenommen und dieses bei Kerzenschein und noch warm getrunken. Wie man solche Rituale feiert, erfahren die Jugendlichen aus dem Internet. In den so genannten Todesforen wird über das Leben und Sterben ausführlichst diskutiert, die besten Tipps für den besten Abgang ins Jenseits gegeben oder es wird Zyankali zum Verkauf angeboten.“281 3.8.6. Pornografie, Päderastie, Gewalt und Missbrauch im Internet Erst einmal ist festzustellen, was das menschliche Wesen sexualsoziologisch gesehen ausmacht. Sexualität ist genau genommen von Prägung bestimmt. Prägung wiederum ist ein Akt des Lernens. Sexualität ist also soziologisch gesehen mit Lernen verbunden. Die Komplexität menschlicher Sexualität ist demzufolge mit seiner Fähigkeit zu Lernen eng verknüpft. In erster Linie lernen Menschen durch Erfahrungen oder wie es BANDURA ausdrückt: „Menschen können sich ohne Schwierigkeiten in Ekelzustände versetzen, indem sie sich übelkeitserregende Erfahrungen vorstellen. Sie können sich sexuell erregen, indem sie erotische Vorstellungen heraufbeschwören. Sie können sich durch bedrohliche Gedanken in Angst und Schrecken versetzen. Sie können schließlich Ärger in sich wachrufen, indem sie sich vorstellen, wie sie von irgendwelchen Widersachern grundlos misshandelt werden.“282 Sexualität ist von Pornografie insofern zu unterscheiden, dass „da, wo wir es mit Pornografie zu tun haben, die Sexualität von der zwischenmenschlichen Komponente abgekoppelt und auf die Darstellung der Geschlechtsteile oder des vollzogenen Geschlechtsakts reduziert wird.“283 Zwischenmenschliche Nuancen, wie 280 Richard, Rainer: „Jugendschutz im Internet“ – Gefahren im Umgang mit dem Internet, a. a. O., S. 40 ebd. S. 40 282 Bandura, Albert: „Sozial-kognitive Lerntheorie“, a. a. O., S. 75 283 Richard, Rainer: „Jugendschutz im Internet“ – Gefahren im Umgang mit dem Internet, a. a. O., S. 28 281 111 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet die des Kennenlernens, die des Zärtlichkeitsaustausches, aber auch die der Abweisung, wie die der Ab- und die der Zuneigung sind alles wichtige Komponenten der zwischenmenschlichen Sexualität. In der Pornografie jedoch werden diese Nuancen entbehrlich, da die Art der darstellenden Sexualität in den Vordergrund rückt, um eine Zielgruppe zu bedienen, die im Moment des Konsums ihre eigene Sexualität auf den Voyeurismus reduziert. Die Konsumenten von pornografischen Inhalten erscheinen somit passiv und unbeteiligt zu sein. Diese vermeintliche Passivität sollte nicht in diesem Zusammenhang gleichgesetzt werden, dass die Konsumenten von Pornografie träge und nicht rege sind. Insofern könnte Pornografie einzig und allein eine Zielgruppe bedienen, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht in den Genuss von sexuellen zwischenmenschlichen Beziehungen kommt. Dies ist aber nicht ausschließlich der Fall. Pornografie erfüllt noch eine andere sexualsoziologisch fundierte Funktion und bedient nicht allein die Voyeure, sondern bedeutet auch Stimulanz. Die sozialromantische Vorstellung, dass Paare sich durch Pornografie Anregungen holen, um ihr eigenes Sexualleben aufzufrischen, ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist die wohl niemals endende Diskussion um die Wirkung von Pornografie auf den Menschen und seiner sexuellen Sozialibilität. Wird Pornografie als Kunst falsch- oder missverstanden? Oder gilt die eine oder andere künstlerische Darstellung als pornografisch? Interessanter neben einer hermeneutischen Diskussion um die Inhalte dürfte wohl auch die Auseinandersetzung um den Konsum pornografischer Darstellungen sein. Denn dort, so heißt es ja auch marktwirtschaftlich, wo eine Nachfrage besteht, besteht ein Angebot. Regeln Marktmechanismen also die Pornografie, dann steht das Künstlerische von und an erotischen Darstellungen an letzter Stelle. An erster Stelle steht marktökonomisch die Maxime: Masse geht vor Klasse. War früher der Zugang zu pornografischen Material nicht leicht, so hebt das Internet die sonst so beständigen Zugangsschranken auf. Eine Fülle von freizügigen Bildern – professionell wie amateurhaft – bieten sich dem Konsumenten pornografischer Inhalte. DREWES kommt zu dem leicht irreführenden Schluss, dass Befürworter für den Zugang zu freier Pornografie argumentieren, indem sie jedem Konsumenten pornografischer Darstellungen einen gewissen Sättigungsgrad beim Konsum unterstellen: „Vereinfacht gesagt liegt der Irrtum in dem Glauben, Bilder könnten satt machen. Das Gegenteil ist der Fall: Bilder machen hungrig, wie die Wirkungsforschung von Pornografie unstrittig ergeben hat.“ 284 Hier besteht unzweifelhaft eine Gefahr, die nicht allein auf die massenhafte Abbildung von Geschlechtsakten und -Teilen in Bild, Film und Ton abzielt, sondern ein Nimmersattsein könnte auch Auswirkungen auf die Form der Darstellungen haben, die der Voyeur zur freien Verfügung konsumieren will. Wobei DREWES es so ausdrückt, dass „die Gefahr der leichteren Verfügbarkeit pornographischer Darstellung im Internet gerade darin liegt, dass auch Menschen zu ihr Zugang haben, die sexuell diffus orientiert sind und selbst nicht die notwendigen Mechanismen zur Einordnung, zur Kontrolle, zur Distanz haben und dass deshalb diese Bilder eher reale Taten auslösen, denn verhindern.“ 285 Eine gefährliche, aber nicht von der Hand zu weisende Unterstellung. Denn wie bereits erwähnt, sucht sich nicht jedes Angebot seine Nachfrage, sondern jede Nachfrage trifft auf ihr Angebot. Denn unumstritten fällt „zunehmend im Internet auf, dass Pornografie mit Gewalt gekoppelt dargestellt wird. Da werden Geschlechtsteile mit Nadeln durchbohrt oder Frauen mit Fleischerhaken an den Brüsten aufgehängt. Wenn man bedenkt, dass Jugendliche, die sich in ihrer pubertären Phase befinden, mit solchem Bildmaterial konfrontiert 284 Braun, Gisela / Hasebrink, Marianne / Huxoll, Martina (Hrg.): „Pädosexualität ist Gewalt“ – Detlef Drewes: Pädosexuelle Netzwerke im Internet, a. a. O., S. 157 285 ebd. S. 157 112 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet werden, kann dadurch kein gesunder Eindruck von Sexualität entstehen, da sie gerade im Aufbau sind, ihr Selbstvertrauen und Triebpotenzial in soziales Verhalten umzusetzen.“286 DREWES spricht von sexuell diffus orientierten Menschen, „die 'childsex' oder 'kiddyporn suchen'. Und sie bieten 'younggirlpics' oder 'best videos'. Sie suchen Kontakte und Erfahrungsaustausch. Und sie bieten Informationen von ihren Reisen nach Thailand, den Philippinen oder Kenia. Sie chatten miteinander und ergötzen sich am verbalen Rollenspiel, bei dem 'die kleinen Schweinchen gelocht' oder durch einen 'erfahrenen väterlichen Freund gründlich erzogen' werden. Einige suchen 'Mu+To' (Mutter und Tochter), anderen ist eine 'Freundschaft mit Familienanschluss' lieb. Manche wollen nur 'Cumshots' (Oralverkehr), andere dagegen auch 'tierliebe' Kinder – soll heißen Sex zwischen Kind und Tier. Und ein paar schrecken auch vor Sex 'with a dead child' nicht zurück. Bildern vom Sex mit toten Kindern, wie sie Mitte der 90er-Jahre plötzlich auftauchten.“287 Dies ist eine von vielen eindeutig beschreibbaren Diffusionen menschlicher Sexualität und zeigt schonungslos, wie weit Sexualtrieb beim Menschen gehen kann. Kein anderes Wesen kann so dermaßen diffus sexuell orientiert sein, wie der Mensch. Mir selbst ist auch nicht geläufig, dass es – außer dem Menschen – überhaupt Wesen gibt, die in der Lage wären, sexuellen Kontakt zu ihrem Nachwuchs zu haben. Andererseits fressen einige Tierarten auch ihre Brut, was nicht als eine Rechtfertigung für Päderastie missverstanden werden sollte. Päderastie findet ihre Lobby im Internet, weil es als Medium „den weitgehend anonymisierten Kontakt zwischen Menschen möglich macht, die real sind, die nicht wie beim Film – professionell einem Drehbuch folgend und gegen Honorar Kundenfantasien erfüllen. Diese Wechselwirkung zwischen dem User und den OnlineBegegnungen ist völlig unerforscht, aber für das Thema deswegen so wichtig, weil man sich bei diesem Medium zum ersten Mal fragen muss, ob es Täter nicht nur bestärkt, sondern vielleicht auch neue Täter schafft.“288 Dieser Frage habe ich mit einer freiwilligen Mitarbeiterin zusammen im Februar und März 2004 mit leidigen Erfolg versucht nachzugehen und möchte die wesentlichen Ergebnisse hier so präsentieren, wie DREWES die ‚pädosexuelle Szene’ in fünf Strukturen geordnet hat. Dass mir das nicht präzise gelungen ist, mag sich jeder denken können, der sich in der Chatszene auskennt. Denn wenn ein ‚sexuell diffus orientierter’ Mensch „in Chats dann auch noch vermeintlich Minderjährigen begegnet, die ihm als willige Opfer entgegentreten, im Dialog sogar regelrecht provozieren, gibt es eigentlich keinen Grund, seine Neigung nicht auszuleben. Dass es sich bei diesen Chat-partnern nicht selten um Erwachsene handelt, die lediglich eine ganz andere, auch momentane erotische Stimmung ausleben wollen, ist zwar richtig, ändert aber nichts an der psychologischen Wirkung auf den zunächst unsicheren pädosexuellen User.“289 Die Beliebigkeit im Internet emphasiert psychologische Wirkungen nicht nur auf sexuell diffus orientierte Surferinnen und Surfer, weil das Web „die Terminologie auf den Kopf stellt, genauer gesagt: nicht das Internet, sondern die durch das Internet sich auflösenden Grenzen zwischen hartem Kern der Pädosexuellen-Szene und einer Grauzone, in der sich auch jene User tummeln, die nicht in das Schema der 'Pädophilie' passen, sich aber dennoch - zumindest gelegentlich - so verhalten, weil sie suchen und konsumieren, was ihrem Bedürfnis nach dem noch 'geileren' Kick 286 Richard, Rainer: „Jugendschutz im Internet“ – Gefahren im Umgang mit dem Internet, a. a. O., S. 28 Braun, Gisela / Hasebrink, Marianne / Huxoll, Martina (Hrg.): „Pädosexualität ist Gewalt“ – Detlef Drewes: Pädosexuelle Netzwerke im Internet, a. a. O., S. 151 288 ebd. S. 152 289 ebd. S. 157 287 113 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet entspricht - heute Sadomaso, morgen Tiersex, übermorgen eben auch mal ein missbrauchtes Kind.“290 Die Überschreitung auflösender Grenzen in der sich ein User tummelt, könnte dann zur Folge haben, dass „der brave Familienvater unerkannt zum Sadisten, zum Masochisten oder eben zum pädosexuellen Konsumenten werden kann. Er kann – vergleichsweise gefahrlos – probieren, was er in der Realität nie probieren würde.“291 Wobei nebst einer gewissen sexuellen Orientierungslosigkeit die Diffusion durch das Gezeigte oder Erlebte im Internet den User sein eigenes nachhaltiges Rechtsbewusstsein in dem Sinne beschert, sich auf der sicheren Seite zu wähnen, weil „wirklich schwer wiegt dabei die Tatsache, dass viele der Gefassten kaum ein Unrechtsbewusstsein hatten, weil sie sich bei den Vernehmungen nur allzu oft auf die Aussage 'Das sind doch nur Bilder' zurückzogen.“ 292 Welche Sichtweise dem Betroffenen fehlt scheint ganz offensichtlich zu sein: der Blick hinter die Kulissen. Geboten wird dem Betrachter eine pornografische Illusion, die sich auf das allein bezieht, was der Produzent dieser Illusion zur Ansicht freigibt. Dabei ist noch nicht einmal gesagt, ob die Darstellungen von sexuellen Handlungen in vollkommener Länge dargeboten wurden oder ob nicht einfach Ausschnitte gezeigt worden sind. Nur die Mitwirkenden und bei Missbrauch gerade die Opfer wissen, wie es hinter den Kulissen aussah und „aus Sicht der Opfer zählt nur, dass Bilder vom eigenen Missbrauch existieren, diese veröffentlicht werden, nie wieder gelöscht werden können und abgerufen werden. Ob der Konsument organisiert ist oder nicht, ob er einem Netzwerk angehört oder nicht, bleibt für die Wirkung auf das Opfer unwichtig.“293 Die Diffusion sexueller zwischenmenschlicher Orientierung hat seine vollkommene Plattform mit dem Internet gefunden. Eine solche Diffusion lässt sich nicht eindämmen oder abstellen. Was bleibt ist Eigenverantwortlichkeit zu schulen. Eine souveräne Medienkompetenz zu erwerben, denn „die Verantwortung für das eigene Handeln war nie so groß wie nach der Einführung und Verbreitung des Internet. Und grade deshalb wird es zusehends wichtiger, sich der Erziehung zur Medienkompetenz einerseits und zum Umgang mit eigenen Neigungen andererseits zu widmen. Wer gezielt Kinderpornographie sucht, wird sie auch künftig immer finden, weil es genügend kriminelle Energie gibt, rechtliche, technische, politische oder sonstige Schlupfwinkel zu finden, um solche Materialien anzubieten oder zu verbreiten. Allzu oft aber geschieht dies derzeit noch unter den Augen einer Öffentlichkeit im Netz, die widerspruchslos hinnimmt und schweigt.“294 Die Diffusion sexueller zwischenmenschlicher Orientierung sollte auch ein Eingeständnis der Erwachsenen gegenüber ihrer eigenen Sexualität sein. Das trifft vor allem auf „Männer, die im Internet gezielt nach Sex-Kontakten zu Kindern und Jugendlichen suchen (zu), nutzen die Langeweile, die Einsamkeit und die kindliche Suche nach Neuem und Aufregendem aus. Wissenschaftler der Universität New Hampshire veröffentlichten (…) die Ergebnisse einer Studie, der etwa 2500 entsprechende Fälle zugrunde liegen: Meist mussten die Männer ihre minderjährigen 290 ebd. S. 151 ebd. S. 152 292 Braun, Gisela / Hasebrink, Marianne / Huxoll, Martina (Hrg.): „Pädosexualität ist Gewalt“ – Detlef Drewes: Pädosexuelle Netzwerke im Internet, a. a. O., S. 153 293 ebd. S. 159 294 ebd. S. 158 291 114 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Opfer nicht einmal unter einem Vorwand an eine bestimmte Stelle locken, sondern gaben unumwunden zu, dass sie sich Sex wünschten.“295 Es ist für alle jene ein Trugschluss zu glauben, dass es reicht sich durch Systeme und Programme im Internet sicher zu fühlen, die glauben lassen, hier betreten nur sexuell Gleichgesinnte und vor allem autorisierte Erwachsene einen virtuellen Raum, der es ihnen erlaubt, ihren sexuellen Orientierungen zu frönen. Denn „ErwachsenenCheck-Systeme beruhen auf der Annahme der Anbieter jugendge-fährdender Webseiten, dass Kinder und Jugendliche nicht im Besitz von Kreditkarten sind. Die Anmeldung bei den System wie ‚Adult Check‘, ‚X-Check‘, ‚Control2000‘, ‚Age Check‘ usw. erfolgt durch Angabe der Kreditkartennummer. Im Gegenzug erhält der Nutzer das Zugangspasswort und -kennung. Möglichkeiten, wie man an Kreditkartendaten kommt, gibt es mehrere, z. B. - - Abschreiben der Kartendaten bei Berechtigten (z. B. elterliche Karte) Nutzung eines Kreditkartengenerators. Mehrere dieser Programme sind über das Internet zu beziehen. Das Programm generiert nach Eingabe fiktiver Personalien Algorithmen für mögliche gültige bzw. bereits vergebene Kreditkartennummern In speziellen Foren im Internet werden Kreditkartennummern verbreitet bzw. durch E-Mails getauscht.“296 Gerade spielsüchtige Heranwachsende aus wohlhabenden Elternhäusern haben durchaus enormes Zugangspotential unter anderem auch zu Glücksspieltempeln, die ihnen in der RW verschlossen blieben: „Zwar verfügen praktisch alle deutschen Spielbanken über eigene Webangebote, doch an die Zockerei um echtes Geld wagten sich bislang nur wenige. Da wird inzwischen schon auf deutschen Webseiten mit dem Glücksspiel geworben, der Spielwillige wird jedoch schnell per Link auf Server in karibischen Staaten umgeleitet.“297 Pornografie, Päderastie, Gewalt und Missbrauch in der RW wie in der VR sind so omnipräsent geworden, dass dadurch „Gewalttätigkeit durchaus zum Bestandteil eines gewählten Lebensstils auch marginalisierter Jugendlicher werden kann. Nicht umsonst wird versucht, der Gewaltbereitschaft von ‚Problemgruppen‘ mit so genannter ‚Erlebnispädagogik‘ zu begegnen, um andere Wege der Selbststilisierung aufzuzeigen.“298 Das Problem lässt sich nicht dadurch lösen, dass die vermeintliche Ursache angegangen und sie als Quelle allen Übels angesehen wird. Gerade dem international rechtsverbindlichen Neuen Medien lässt sich nicht der Garaus machen durch den Verweis regional und national bezogener ethischer, sozialer, moralischer und rechtlicher Werte und den daraus abzuleitenden Ansprüchen. Die USA beispielsweise mit ihrem Grundrecht auf Zurschaustellung von Bildmaterial, wird aufgrund von Hinweise auf gewaltverherrlichende oder sonstige Szenarien im Internet nichts veranlassen, dass eine Website vom Netz genommen wird: „Eine Mutter berichtete am Telefon, dass die 14-jährige Tochter seit dem letzten Nachmittag nur noch weinend zu Hause sitze. Nach mehrfach intensivem Befragen gab das Mädchen zu, zwei Webseiten aufgesucht zu haben, die vor allem Fotos mit missgebildeten Kleinkindern und grausam zugerichteten Unfallopfern zeigten. Das Mädchen hatten 295 Guido Kleinhubbert, „Verhängnisvolle Mausklicks“ – Nach dem Mord an einem homosexuellen 15-Jährigen aus Donauwörth führen die Spuren ins Internet, Süddeutsche Zeitung #188, 16.08.2004, S. 34 296 Richard, Rainer: „Jugendschutz im Internet“ – Gefahren im Umgang mit dem Internet, a. a. O., S. 23f. 297 ebd. S. 43 298 Funke, Harald, „Erlebnisgesellschaft“, Hg: Kneer, Georg / Nassehi, Armin: Soziologische Gesellschaftsbegriffe. Konzepte moderner Zeitdiagnosen, München, Wilhelm Fink Verlag, 1997, Seite 305 bis 328 115 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet diese Abbildungen derart geschockt und belastet, dass sie das Gesehene psychisch nicht verdauen konnte. Schließlich gab der Teenager zu, die beiden betreffenden Webadressen von Mitschülern erhalten zu haben, zwei URLs, die an einem Münchner Gymnasium als absoluter Geheimtipp gehandelt wurden. Ausnahmslos sind diese menschenverachtenden Webseiten allesamt auf Servern in den USA abgelegt, so dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden keinen Einfluss auf die Schließung der Inhalte haben, da die Amerikaner die Ansicht vertreten, die Zurschaustellung von Bildmaterial gehöre zum Grundrecht der Meinungsfreiheit.“299 „Die meisten Jugendlichen kennen die Webseite www.rotten.com. Auf dieser Seite werden Polizeifotos von Selbstmördern und Mordopfern abgebildet. Aufgeschwämmte Wasserleichen, gespaltene Schädel.“300 Rotten.com liegt allerdings auf einem US-amerikanischen Server und kann somit nicht ‚zensiert’ werden. Jugendschutz nach deutschem Recht und internationales Recht befinden sich dadurch im stetigen Zwist. Im deutschen Rechtssystem zählt „für den Bereich der Kinderpornografie, dass hier nicht nur die Weitergabe des Materials strafbar ist, alleine mit dem Besitz von Kinderpornografie wird der Tatbestand des § 184 Abs. 3 StGB erfüllt. Dabei sollte sich jedermann vergegenwärtigen, dass man sich im Grunde schon mit dem Aufsuchen einer entsprechenden Webseite strafbar macht. Ohne Zweifel ist dies der Fall, wenn kinderpornografische Bilddateien auf der Festplatte gespeichert werden.“301 Über den Missbrauch am und durch Menschen hinaus öffnet sich dem Anbieter wie dem Nachfrager in der VR ein Markt der schier unbegrenzten Möglichkeiten. Da ist es nicht verwunderlich, wenn auf diesem globalen Markt auch „nach deutschem Recht illegale Arzneimittel wie Hormonpräparate oder so genannte ‚Anti-Aging-Pills‘ gleichermaßen angeboten werden wie die Küchenrezepte, also Syntheseanleitungen, nach denen auch Personen mit geringer chemischer Vorbildung einfache Synthesen zu Hause ohne großen Aufwand nachvollziehen können.“302 3.9. sozialer (Schein)einflussbereich Internet-Chat Wer versucht, Anziehungskräfte ins Spiel zu bringen, die nicht von selbst wirken, der versucht sein Glück vergebens im Chat. Damit meint vor allem, ein übers ‚Verwirrspiel’ hinausgehendes Gehabe, das sich an der RW des Darstellers nicht mehr ermessen lässt. Das trifft nicht nur auf den Kontaktsuchenden im Internet zu, sondern auch auf jene, die mithilfe des Chats versuchen, soziale Kontrolle ausüben zu wollen. Eine solche Kontrolle sollte sich an die jeweiligen Umstände anzupassen verstehen. Doch das setzt voraus, dass die kontrollausübende Person ein hohes Maß an Flexibilität und Gelassenheit an den Tag legen muss, wenn er denn gezielt die Begabung (s)eines Heranwachsenden mithilfe des Internets fördern und die sozialen Kontrollmöglichkeiten erweitern möchte. Welchen Beitrag eine solche Förderung leistet, wenn sie Beschränkungen ausgesetzt sind, die keine ultimative Gültigkeit besitzen, zeigt die Untersuchung an Kindern im Vorschulalter: „In einer anderen Gruppendiskussion und diversen Einzelinterviews wurde die jüngste Gruppe der 6- bis 8Jährigen mal gebeten, ihre Lieblings-Webseite mit Filzstift und Knetgummi nachzubilden. Schnell wurde klar, dass die Kids, bevor sie sich emanzipiert haben, bekannte Avatare als Partner im Netz wollen, also bekannte Zeichentrickfiguren beispielsweise, die sie durch das Netz begleiten. Aber noch etwas wurde klar. Die Kids malten 299 Richard, Rainer: „Jugendschutz im Internet“ – Gefahren im Umgang mit dem Internet, a. a. O., S. 31 Feibel, Thomas: „Die Internet-Generation“ – Zu deutsch fürs Internet, a. a. O., S. 31 301 Richard, Rainer: „Jugendschutz im Internet“ – Gefahren im Umgang mit dem Internet, a. a. O., S. 26 302 ebd. S. 44 300 116 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet häufig irgendwo auf den fiktiven Bildschirm eine waagerechte Leiter. Unsere Marktforscher fragten nach und erfuhren, was diese Leiter zu bedeuten hatte: 'Das ist das Feld, in das Papa das Passwort einträgt.' Papa öffnet also dieser jungen Einsteigergruppe das Tor zur Internetwelt. Das Passwort ist natürlich nur ein kurzzeitiger Kontrollmechanismus, denn schon ab sieben Jahren verschwindet die waagereche Leiter aus den Skizzen der Kids.“303 Das Dilemma regelmäßig neue Schwellen und damit Zugangschancen zu setzen, dem sich ein erziehungsberechtigter Erwachsener im Umgang mit Heranwachsenden im Internet aussetzen könnte, dem sollten sich die Erziehungsberechtigten zu stellen vermögen, weil „noch nie seit der Erfindung der Kindheit in der Neuzeit Kinder so sehr sich selber überlassen wurden wie heute, und noch nie wurde so viel von Selbstverantwortung der Kinder gesprochen. Trotzdem sind die ersten Vokabeln, die in jedem Elterngespräch, Interview für Elternmagazine und dergleichen auftauchen: Kontrolle, Sicherung. Kurz und präzise: Wo Vater und Mutter sich als Eltern abgeschafft haben, gibt es keine Selbstverantwortung eines Kindes. Die muss gelernt werden, die wächst nicht wie das Grün im Frühjahr. Kontrolle hilft überhaupt nicht. Man kann Kinder nicht ständig kontrollieren. Und soll es natürlich auch nicht.“ 304 Dass Kontrolle überhaupt nicht helfe, dem möchte ich doch rigoros widersprechen. Die Dynamik sowie die Beständigkeit und damit die Qualität der sozialen Kontrolle ist gefragt und nicht die bloße Reduktion auf Wirkung und Existenz. Bei der Ausübung sozialer Kontrolle, die zur Grundlage mindestens die erzieherische Verantwortung nennt, sollte peinlichst genau auf die Dosis Acht gegeben werden. Die Frage „Werden chattende Kinder Diebe und Schwarzfahrer? (stellt sich) Wohl kaum. Sie halten ihr Gewissen ganz gut im Lot. Chats haben eben einen stark spielerischen Charakter. Zehnjährige glauben behaupten zu müssen, 18 Jahre alt, gut aussehend, muskulös und reich zu sein. Kinder und Jugendliche reden darüber ganz offen. Da geschieht nichts heimlich. Und sie bringen die Dinge auf den Punkt. Bei einer Lesung meinte einmal ein schmächtiger 11-jähriger Junge auf die Frage, warum er sich im Chat älter ausgebe: 'Mann, sonst antwortet doch keiner.'“305 FEIBEL hält bewusst den Chat für einen „Maskenball oder Tanzcafé. Hier finden sich Kinder und Jugendliche aus ganz Deutschland. Kaum jemand kennt den anderen. 72 Prozent der Befragten lernen dort Unbekannte kennen. 63 Prozent können mit denen über alles reden. Diese Freunde können niemanden enttäuschen.“ 306 Diese Entscheidungen soziale Interaktionspartner gezielt suchen und finden zu können ist das wesentlichste Element in der Begabungsförderung Heranwachsender. Denn im Chat sind „plötzlich alle gleich und lassen sich nur an ihren verbalen Fähigkeiten messen, die dann schon gerne bestimmte Grenzen des Anstands überschreiten. Bei moderierten Chat-Seiten achtet eine kostengünstige Arbeitskraft mit Lesekenntnissen, meistens ein Schüler oder Student, darauf, dass niemand bedroht, beschimpft oder sexuell belästigt wird (...) Aber weil das Aufwand bedeutet, bieten viele Webseiten unmoderierte Chats an und distanzieren sich von den Inhalten. Denn im Chat kommt es dann mitunter zu Pöbeleien und anderen Unannehmlichkeiten. (Ein Chatter namens) Jupii beschimpfte kürzlich in einem unmoderierten Harry-Potter303 Feibel, Thomas zitiert a. a. O. in „Die Internet-Generation“ auf S. 121 den Kinderpsychologen Oliver Leissse vom Marktforschungsinstitut EARSandEYES (Anm.: Im Übrigen lese ich aus dieser Untersuchung eine zunehmende Müdigkeit der Eltern, regelmäßig neue Schwellen zu setzen, dementsprechend auch neue Passwörter und Zugänge fürs Internet) 304 Feibel, Thomas zitiert a. a. O. in „Die Internet-Generation“ auf S. 105 den Kinderpsychologen Wolfgang Bergmann 305 Feibel, Thomas: „Die Internet-Generation“ – Sexy Bienchen knuddelt Lang-Schwanz 0787, a. a. O., S. 173 306 ebd. S. 175 117 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Chat sämtliche Teilnehmer mit Schimpfwörtern aus der Fäkalsprache. Die Teilnehmer grenzten den Störenfried aus, indem sie ihn ignorierten.“307 3.10. Konsumorientierung im Internet „Genauer betrachtet ist die Marketingwelt voller Frauen, die knappe Kostüme und schlechte Schuhe bevorzugen, Kette rauchen, zu Kaffe ‚Käffchen‘ sagen und einen M.A.-Titel in Betriebswirtschaft präsentieren. Sie nehmen die Pille aus tiefster Überzeugung und überschütten auf Messen hilflose Kinder mit dem wertlosen Plüschmüll ihrer Merchandising-Kampagnen. Reden sie bei Veranstaltungen und intimen Zwiegesprächen von Kindern, nennen sie sie mit einer seltsamen Vertrautheit 'Kids', als könnten sie den gesamten Piaget zitieren. In einer Mischung aus Gönnerhaftigkeit und Todesverachtung sagen sie auch 'Kiddies' oder sprechen einfach nur nüchtern von der ‚Zielgruppe‘.“ 308 Ganz so drastisch wie FEIBEL die Marketingwelt der Neuen Medienvertreter und hier besonders der -Vertreterinnen umschreibt ist es sicherlich nicht. Doch dieses Klischee soll – geschlechtsunspezifisch – die Schizophrenie verdeutlichen helfen, welche Gruppe im Internet am meisten umgarnt wird einerseits und doch letztlich bildungs- und perspektivenpolitisch so auf sich allein gestellt ist. Es verwundert nicht, dass die junge Generation vom Markt innerhalb wie außerhalb der Neuen Medien eine stark umworbene Zielgruppe darstellt. Denn an ihnen misst sich das rasante Wachstum und das steigende Konsumverhalten: „Im Jahr 2000 besaßen etwa 49 Prozent der Kinder und Jugendlichen ein Handy, stellt die Studie Jim 2000 des Medienpädagogischen Verbundes Südwest (SWR Medienforschung) fest. 1999 waren es noch 14 Prozent.“309 Dass dieses steigende Konsumverhalten der Jugendlichen heutzutage in einem ganz bestimmten Verhaltensmuster verläuft, zeigt die Anschaffung und der Gebrauch von Mobiltelefonen. „Das mobile Telefon gehört heute zum 'Ausdruck der individuellen Persönlichkeit', stellt die Bravo-Studie Faktor Jugend 3 fest. Demnach halten 84 Prozent das Design des Telefons für entscheidend, und schon 35 Prozent besitzen farbige Oberschalen zum Wechseln. Die BRAVO-Studie, die sich auf Markenbildung konzentriert, liefert dazu noch mehr Informationen im besten Marketingkauderwelsch. 'Markenbildung ist möglich', lautet die frohe Botschaft. Und: 'Voraussetzung ist die Verknüpfung der Marke mit einem klaren, uniquen Benefit. Eltern erkennen die Notwendigkeit, ihre Kinder mit moderner Kommunikationstechnologie vertraut zu machen - und sie sind zunehmend bereit, hier zu investieren. Wenn die Anschaffung erst mal beschlossen ist, entscheiden die echten Experten die Details: die Jugendlichen.'“310 Jugendliche disponieren heutzutage immer früher. Sie legen die Standards zur Anschaffung und Weiternutzung von Neuen Medien. Sie laden sich Musik, Videos und Klingeltöne (warum die Klingeltöne heißen ist mir ein Rätsel, denn welches Handy klingelt heutzutage noch?) noch aus dem Internet. Nicht mehr lang wird es dauern und sie tun dies mit dem Mobiltelefon. 4.1. Fördern der Kulturtechniken 307 ebd. S. 172f Feibel, Thomas: „Die Internet-Generation“ – Tschüss, Jugendkultur! a. a. O., S. 110 309 Feibel, Thomas: „Die Internet-Generation“ – Sexy Bienchen knuddelt Lang-Schwanz 0787, a. a. O., S. 155 310 ebd. S. 155f. 308 118 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Unbestritten dürfte es wohl sein, dass es sich bei den Kulturtechniken in erster Linie um Schreiben, Lesen und Rechnen handelt. Alle drei Techniken dienen der Verständigung unter Menschen. Jener, der schreibt, erwartet vom Leser, dass er seine Schrift liest und den Inhalt versteht. Jener, der liest, erwartet vom Schreibenden, dass der Lesetext verständlich geschrieben und die Schrift zu lesen ist. Jemand, der eine Aufgabe berechnet und zu einem Ergebnis kommt, erwartet vom anderen, ihn von dem Ergebnis überzeugen zu können; erwartet, dass der Andere seinen Rechenweg folgen konnte und das Ergebnis als richtig oder falsch anerkennen kann. Demzufolge sind alle drei Kulturtechniken mit Erwartungen verknüpft. BANDURA unterscheidet in seiner ‚sozial-kognitiven Lerntheorie‘ zwei elementare Erwartungshaltungen voneinander; und zwar die Ergebnis- von der Leistungseffizienzerwartung: „Eine Ergebniserwartung heißt hier, dass ein Mensch meint, ein gegebenes Verhalten werde zu bestimmten Ergebnissen führen. Eine Leistungseffizienzerwartung ist die Überzeugung, dass man jenes Verhalten erfolgreich ausführen könne, das die Voraussetzung der angezielten Ergebnisse ist. Zwischen Ergebnis- und Leistungseffizienzerwartung unterscheiden wir, weil Menschen die Überzeugung gewinnen können, dass ein besonderer Handlungsverlauf bestimmte Ergebnisse hervorruft, jedoch möglicherweise bezweifeln, ob sie selbst diese Handlungen ausführen können.“311 Soziologisch gesehen, heißt es demzufolge, dass jedes Individuum mit sich selbst, mit anderen und der Umwelt eine Ergebniserwartungshaltung verknüpft. Unser Denken folgt dabei einem konsequenten ‚WennDann-Shema‘. Jedes Handeln erzeugt ein Ergebnis. Ob dieses Ergebnis positiv oder negativ ausfällt, ist eher einer weitgehend hermeneutischen Betrachtung zu unterziehen. Bezüglich der Leistungseffizienzerwartung lässt sich wohl weniger sagen, dass jedes Individuum über eine solche verfügt. Oder anders ausgedrückt, die Intensität der Leistungseffizienzerwartungen ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Diese Sichtweise bezieht sich dabei vor allem auf meine eigene Wahrnehmung. Wenn es jedoch um die Fremdbestimmung geht, was nun mal bei Leistungseffizienzerwartungen naturgemäß der Fall ist, dann wird diese Erwartungshaltung a priori vorausgesetzt. Der Mensch stellt sich und seine Umwelt unter Leistungsdruck: „Je stärker die Leistungseffizienz- oder Erfolgserwartungen sind, um so intensiver werden die Anstrengungen ausfallen. Auch während Menschen bestimmte Tätigkeiten noch beibehalten, die zwar subjektiv bedrohlich, doch objektiv relativ sicher sind, werden sie korrektive Erfahrungen machen können. Dadurch wird ihr Selbstvertrauen gestärkt, auf lange Sicht werden ihre Ängste und ihr Abwehrverhalten eliminiert. Wenn Menschen vorzeitig aufgeben, werden sie ihre sie beeinträchtigenden Erwartungen und Ängste über lange Zeit beibehalten.“312 Bei den Ängsten um die Beherrschung der Kulturtechniken haben wir es mit Leistungseffizienzerwartungshaltungen zu tun. Die wichtigste Kulturtechnik bezogen auf das Internet ist eine ausreichende Lesekompetenz. Sie ist die wesentliche Schlüsselqualifikation für die Internetnutzung überhaupt. Mit ausreichender Lesekompetenz ist in der Nutzung des Internets nicht das Erfassen von Texten allein ausschlaggebend, sondern einhergehend mit dieser Fähigkeit auch die vom ehemaligen US-Arbeitsminister ROBERT REICH formulierten symbolanalytischen Fähigkeiten. Sind wir als Nutzer im Internet nicht in der Lage, die mannigfachen Symbole zu erkennen und darüber hinaus diese auch zu analysieren, 311 312 Bandura, Albert: „Sozial-kognitive Lerntheorie“, a. a. O., S. 85 ebd. S. 86 119 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet das heißt, die Symbolik auch mit verständlichen Worten beschreiben zu können, so werden wir früher oder später auf unüberwindbare Grenzen in der Kommunikation stoßen. BANDURA bezeichnet Symbole als „Werkzeuge des Denkens.“313 Diese Werkzeuge haben in unserer heutigen Gesellschaft mehr denn je ein enormes Gewicht. Wer die zahlreichen Symbole lediglich in seine Sprache aufnimmt, ohne deren Bedeutung exakt zu kennen, mag für eine Weile auf der Oberfläche einer symbolhaften Kommunikation mitschwimmen können; wenn es aber dann auf die Anwendung der symbolträchtigen Inhalte ankommt, wird der- oder diejenige unter Umständen in der Kommunikation scheitern können, falls ihm oder ihr die Bedeutungen der benutzten Symbole nicht eindeutig bekannt ist. Bei der Vielzahl der notwendigen Symbole, die im heutigen Informationszeitalter benutzt werden, können schnell gravierende Verwechslungen zu bedeutenden Missverständnissen führen. Oder vereinfacht ausgedrückt, wer mit einem Kreuzschraubendreher eine Schlitzschraube zu lösen versucht, wird kläglich an seiner Aufgabe scheitern – umgekehrt jedoch, lässt sich mit einem Schlitzschraubendreher eine Kreuzschraube lösen. Um Aufgaben zu lösen, ist nicht nur das Werkzeug von Bedeutung, sondern auch die entsprechende Handhabung dieser Werkzeuge. Entsprechendes gilt für die ‚Werkzeuge des Denkens‘, also für die Symbole, denn „durch Manipulation von Symbolen lassen sich Gedanken hervorrufen, die sich möglicherweise auch nicht mehr unmittelbar in äußere Ereignisse übersetzen lassen. Viele Phantasiegebilde und aus dem Rahmen fallende Ideen sind neuartige Symbolkonstruktionen, die die Grenzen der Realität überschreiten. Man hat keine Schwierigkeiten, sich Kühe vorzustellen, die über den Mond springen, und Elefanten, die auf Fliegen reiten, obwohl diese Ereignisse sich nicht in die Wirklichkeit umsetzen lassen. Die bemerkenswerte Flexibilität der Symbolisierung und ihre Unabhängigkeit von allen Einschränkungen der Realität erweitern den Horizont des Denkens.“ 314 Praktisch gesprochen ließe sich sagen, dass der Seitenschneider eigentlich produziert wird, um Kupferkabel oder Isoliermaterial zu lösen. Dass ein Seitenschneider sich auch zu kosmetischen Zwecken, wie dem Fingernagelschneiden benutzen lässt, ist eine Frage des (erweiterten) Horizonts seines Benutzers bzw. seiner Benutzerin. Die Anwendung und Handhabung von Werkzeugen mag nicht unbedingt als ein geeignetes Sinnbild gelten, um die wirklichen Probleme im Umgang mit Neuen Technologien aufzuzeigen. Allerdings vereinfachen gewisse Gedankenspiele vom Umgang und Gebrauch von Werkzeugen, um die Kausalität aufzuzeigen, das richtige Werkzeug für die entsprechende Anwendung zu benutzen oder aber ein Werkzeug Zweck zu entfremden oder ganz auf Werkzeuge zu verzichten. Ähnliches gibt es auch bei dem breiten symbolischen Spektrum in den Neuen Technologien zu beobachten. Wer nur gelegentlich mal ins Internet geht, um eine Information zu suchen, der bedarf nicht notwendigerweise den komplexen Symbolen, die es auf Soft-, Hard- und Netwareebene zu kennen gilt. Wer jedoch sich als so genannter Power-User im Internet bewegt, also übers Internet mit anderen weltweit kommuniziert, dabei Dateien und Programme aus dem Netz herauf- oder herunterlädt und nebenher noch nach Informationen sucht, der sollte schon die vielfältigen Symbole nicht nur anwenden, sondern auch verstehen können. Denn „ohne Frage gibt es heute bereits sehr viele Leute – jüngere wie auch ältere – , die sich beruflich wie privat der Neuen Technologien brillant und hochkompetent bedienen. Andere 313 314 Bandura, Albert: „Sozial-kognitive Lerntheorie“, a. a. O., S. 173 ebd. S. 173ff 120 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet aber haben eben Probleme, sich zurechtzufinden. Die einen, weil ihnen die Entwicklungen zu schnell gehen und sich daher Ängste entwickeln. Die anderen, weil sie den Anforderungen intellektuell mangels solider Ausbildung nicht gewachsen sind – und das sind die gravierenderen Fälle. Die einen können ihr Problem lösen, wenn ihnen genug Zeit eingeräumt wird und sie entsprechend begleitet werden. Die anderen brauchen schlichtweg ein höheres Niveau an Bildung und Kenntnissen und an Übung, um damit umzugehen. Der Weg hierzu wurde bisher – und wird auch in Zukunft – durch das Lesen beschritten. Wir wissen durch verschiedene Untersuchungen, dass in der Regel die geübten Leser auch die besseren Internetnutzer sind. Der Führerschein für die elektronischen Datenautobahnen wird durch Lesen erworben und nur auf diese Weise. Durch das Wegbrechen des Lesens entstehen heute bereits erkennbare Defizite, die sich auch auf die 'Medienkompetenz' der Betreffenden auswirken werden.“315 Die Wahrnehmung mithilfe der Kulturtechnik „Leseverständnis“ bedarf a priori eines Wissensspektrums, das sich in einer einfachen Kategorisierung nach fachlichem Wissen nicht gliedern lassen kann. Es handelt sich beim Lesen schließlich um das Erkennen aut idem Übersetzen von Symbolen. Das Wissensverständnis soll im Folgenden etwas dabei helfen, dem Fördern von Kulturtechniken im Internet ein Stück näher zu kommen und zu erfassen, was das deutende Lesen von Symbolen als auch das Schreiben selbiger als Voraussetzung oder Grundlage mitzubringen hat. Die nachfolgenden Kapitel sollen dazu beitragen, den Unterschied zwischen Wissen und Information besser herauszustreichen, denn damit sich Kompetenzen im Umgang mit Informationen überhaupt erwerben lassen, braucht es ein fundiertes und breit angelegtes Wissen, das sich vom Informationsgehalt speist. 4.1.1. Der Unterschied zwischen Wissens- und Informationsverarbeitung Lässt sich Wissen in Kategorien wie ‚brauchbar’ oder ‚unbrauchbar’ unterteilen? Im Vergleich zur Information, wo es brauchbare und unbrauchbare Informationen gibt, ist für das Wissen als solches eine dichotome Unterteilung als unzulässig zu erachten. Was wir einmal wissen, können wir nicht als unbrauchbar entsorgen, auch wenn wir den Hang dazu haben, nach nützlichem und unnützlichem Wissen zu unterscheiden. Wissen beruht auf Erkenntnis und wer Erkenntnis erlangt hat, dem kann das daraus resultierte Wissen a priori nicht schaden. Und alles was nicht schadet, ist per se nützlich. Wissensaneignung und Wissensverarbeitung ist ein langwieriger Prozess. Wissen erlangt niemand von heute auf morgen und „zur langfristigen Bildungs- und Informationsarbeit gehört zum einen die Erkenntnis, dass wir eine Geisteselite und eine Praktikerelite brauchen, die mit Schöpferkraft und Einfallsreichtum neue Wege in die Zukunft weisen.“316 Dieser Forderung zu folgen hieße, dass Wissensbestände nicht mit Datenbanken gleichgesetzt werden. Es kommt eben nicht allein darauf an, Informationen oder Wissen anzuhäufen, sondern es kommt auf die kognitive Schulung an, Wissen und Informationen nicht nur auf-, sondern auch richtig wahrzunehmen. Eine Wissensvermittlung des althergebrachten Verhältnisses Auditor zu Auditorium wird in Zukunft auch unter Aspekten neuester Wissenstransfers nicht in Frage zu stellen sein. Doch es wird von zunehmender Bedeutung werden, das Wissen selbst auf einem Prüfstein zu stellen. Dass Wissen bereits schon in der griechischen Antike 315 316 Feibel, Thomas: „Die Internet-Generation“ – Der digitale Analphabetismus, a. a. O., S. 200 Schlaffke, Winfried: „Das Jugendsyndrom“ – Mut zur Technik – Vertrauen in die Zukunft, a. a. O., S. 51 121 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet als solches hinterfragt wurde und damit auch die Vermittlung dessen, findet sich bereits bei PLATON317 wieder. Die Frage, ob es Wissen ohne den Menschen gibt, erscheint hier müßig, gar überflüssig. Es braucht an dieser Stelle von daher eine bestimmte Form des Daseins, um bewusst wahrzunehmen. Die bestimmte Form des Daseins, das Sein an sich, welches zur Erkenntnisgewinnung nötig ist, besteht nach HERAKLIT aus Gegensätzen, die ineinander fließen (‚panta rhei’ also ‚alles fließt’). Dieses Fließen ist nach der heraklitischen Bewegungslehre ein Weltgesetz, das ‚Logos’ genannt wird. Logos, also zu Deutsch das Wort, erreicht erst dann einen wahrzunehmenden weitläufigen Sinn, wenn es nicht als solches allein dasteht, sondern in Sinneszusammenhänge und Kausalitäten überführt wird. In dem Wörter zu Worten werden, soll heißen, dass viele Wörter den zur Sprache nötigen Wortschatz bilden, doch erst die sinnstiftende Aneinanderreihung in Form von Sätzen, die den Wörtern somit erst eine Semantik verleihen und deshalb zu Worten werden. Dadurch kann der Mensch seine Wahrnehmung stetig ändern und es ergibt sich daraus nach PROTAGORAS das Wissen, welches auf eine gewisse Dauer Gültigkeit besitzt und somit als Wahrheit empfunden werden kann. Der dritte Aspekt, der Wissen als Wahrnehmung in Rechnung stellt, erkennt die Dynamik der Lernenden im Wahrnehmungsprozess als Verhältnis zum Lehrenden, der diese Dynamik frühzeitig zu erkennen vermag und Spannungen – die durch Dynamik entstehen, sich demzufolge gegen den Wahrnehmungsprozess richten könnten – dann entsprechend lösen kann. Das kann beispielsweise durch eine geschaffene Atmosphäre entstehen, die die Wahrnehmung der Lernenden positiv beeinflusst. Offenkundig ist nicht allein die Wahrnehmung dem Wissen gleichzustellen. Erstens hilft die präziseste Wahrnehmung dem Wissensstand nicht auf die Sprünge, wenn sich die eigene Wahrnehmung von denen der anderen differenziert, weil es welche gibt, die das ‚Weltgesetz panta rhei‘ nicht anerkennen können oder wollen und in den wahrzunehmenden Dingen kein ‚sowohl-als-auch‘, sondern eher ein ‚entweder-oder‘ akzeptieren. Und zweitens, die Wahrnehmung sich zwar in der Gegenwart abspielt, die Erkenntnisse jedoch in Erfahrungen geradezu konserviert werden. Solche empirischen Erfahrungen betten die Meinung, und die ist letztlich mitverantwortlich für die Beurteilung der Zukunftsperspektiven. Erfahrungen können niemanden abgesprochen, aber auch nicht als Parameter der Wahrheit anerkannt werden, obwohl genau die Erfahrungen dann die logische Konsequenz, sozusagen ein panta rhei der Wahrnehmung und damit des Wissens wären. Angesichts der unzähligen partikularen Wahrnehmungen, denen der moderne Mensch heutzutage ausgesetzt ist, müsste sein Wissensspektrum weit über das hinausgehen, was es letztlich darstellt. Es scheint nahezu unmöglich ein komplexes und komplettes Weltgesetz bewusst wahrnehmen zu können. Wie eine Filmszene aus JIM JARMUSCHS Werk ‚Night on Earth‘ deutlich gemacht hat, kann die Wahrnehmung dem Wissen nicht entsprechen. In diesem Film gibt es eine Szene in einem Taxi, wo sich eine Blinde und ein Taxichauffeur mit der Farbe Grün auseinandersetzen. Im Dialog werden unterschiedliche Wahrnehmungen deutlich, die unterschiedliches Wissen zutage 317 Sämtliche Dialoge, Seite 17ff, Bd. IV 122 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet fördern müssten, es jedoch nicht tun, da jeder der beiden um die Farbe Grün weiß. Erst der Verstand macht es den beiden möglich, Grün als ein Symbol anzuerkennen, welches in diesem Fall im Straßenverkehr bedeutet, dass der Verkehr fließen darf. Gäbe es unterschiedliche Meinungen über diese Symbolik, so wäre zu erfragen, welche denn nun die richtige Meinung wäre und ob diese dann zum Wissen um das Richtige führt. Der Mensch weiß, dass es Naturgesetze gibt. Einige davon sind bekannt, was soviel heißt, dass wir um diese Kenntnisse wissen und Gesetze daraus abgeleitet haben, die aus einer Folge von Beobachtungen entstanden sind, die uns vermittelt haben, dass wenn dies passiert, dass jenes daraufhin eintritt. Andererseits gibt es Phänomene, deren Ursachen uns gänzlich unbekannt sind. Genauso wie es Ursachen gibt, dessen Auswirkungen wir nicht abzuschätzen vermögen. Dieser Gegensatz vom Wissen um das Eine und dem Unwissen um das Andere schließt aus, dass wir uns um das Nichtwissen überhaupt eine Meinung bilden können. Etwas, was gar nicht vorhanden ist, kann somit auch nicht als falsch in Erscheinung treten. A priori muss eine falsche Meinung mit einem Irrtum gleichgesetzt werden. Bevor GALILEI die damalige These, dass die Erde eine Scheibe sei, widerlegen konnte, ging die Menschheit davon aus, im Besitz der richtigen Meinung zu sein. Sie hatte eine Vorstellung vom Ende der Welt. Dass die Erde weder Anfang noch Endpunkt hat, weil sie eine Kugel ist, lag zwar in der Vorstellungskraft des Menschen, wurde allerdings für absurd gehalten, da die richtige Meinung vorsah, dass der Mensch sich auf einer Kugel gar nicht halten könne und dass es einen Anfang wie ein Ende geben müsse. Ehe sich dieses Gewusste als ein Irrtum herausstellte, galt es als eine richtige Meinung, da das Wissen um die Erdanziehungskräfte und um das Sonnensystem nicht vorhanden war. Die Menschheit wusste, dass sich auf etwas Runden nicht so ohne weiteres wandeln ließe (außer mit der immer schon vorhandenen kollektiven Fähigkeit der von BANDURA erläuterten Symbolkonstruktion318) und wusste nicht, dass sie von den Rotations- und Erdanziehungskräften gehalten wurde, um nicht vom Planeten Erde herunter zu rutschen bzw. herunter zu fallen. In unserer Zeit gibt es zahlreiche Irrtümer der modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft. Angefangen an dem Zweifel nach der Erfindung von BELL und EDISON, dass die Menschheit niemals ein Telefon zu Kommunikationszwecken nutzen würde, bis zu der Annahme in der Chefetage von IBM vor der Markteinführung des Personal Computers (PC), dass niemand zuhause einen Computer haben wolle. Die richtige Meinung und damit das Wissen gelten als abhängig von der Präzision der Wahrnehmung und der Perfektion des Gedächtnisses. Bei der Wahrnehmung müsste zusätzlich sichergestellt sein, dass alle Sinnesorgane einwandfrei funktionieren. Ein Seh-, Hör-, Tastsinn-, Geruchs- oder Geschmacksgeschädigter dürfte dann nicht in den Genuss von Wissen kommen können. Selbst diejenigen, die über keinerlei Einschränkungen ihrer Sinnesorgane verfügten, müssten sicherstellen, dass sie immer Herr über ihr eigenes Wahrnehmungsvermögen wären. Als Erklärung der Wahrnehmung möge auch der Orientierungssinn dienen, wenn „man z.B. aus gutem Grund meint, dass eine bestimmte Straße, die man noch nie vorher gegangen ist, zum Bahnhof führt, aber wissen tut man es eben nicht. Dass man in dieser Frage nicht weiß, sondern bloß meint, gilt unabhängig davon, ob diese 318 vgl. Fußnote 4 123 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Straße wirklich zum Bahnhof führt oder nicht.“ 319 Denn hier könnte besonders deutlich werden, wenn die Straße zwar tatsächlich zu einem Bahnhof führt, dieser Bahnhof lediglich ein Güterbahnhof ist, obwohl das Wissen sich darauf bezieht, dass der Suchende weiß, diesen Ort mit einem Personenzug verlassen zu wollen, dass es sich bei der ‚richtigen Meinung‘ um ein Irrtum handelt. Um bei dem Beispiel von FLUCK zu bleiben, könnte jemand, der meint, dass diese Straße zum Bahnhof führt, den Ratsuchenden mit auf dem Weg geben, dass er deshalb meint zu wissen, weil diese Straße schon immer zum Bahnhof geführt hat. Dass der Ratgeber dabei nicht erwähnt, diese Straße schon lange nicht mehr zum Bahnhof gegangen zu sein und gar nicht weiß, dass der Bahnhof geschlossen worden ist, zeigt zwar, dass seine Meinung richtig ist, aber das Wissen um den geschlossenen Bahnhof nicht mit einbezogen worden ist, da dieses Wissen fehlte. Die Meinung des Ratgebers ist zwar richtig, aber das Wissen ist unvollständig und die Meinung des Ratgebers für den Ratsuchenden somit unbrauchbar. Das Wissen als solches ist nicht weiter zerlegbar. Jeder weiß, dass Halbwissen kein Wissen darstellt. Entweder wir wissen um eine Sache als solche oder wir wissen nicht. Erst die Komplexität des Wissens macht Wissen an sich erst brauchbar. Beispielhaft hierfür ist das Eintreten einer Expertin in ein neues Arbeitsumfeld. Ihr ganzes bisheriges Wissen hilft nicht weiter, weil sie den neuen Komplex, also ihren neuen Arbeitsbereich erst kennen lernen muss. Die Expertin kann den neuen Arbeitsbereich nicht zerlegen, sondern muss ihn als eine Einheit begreifen. Sie muss in ihrem neuen Aufgabengebiet angelernt werden und dort erst hineinwachsen. Auch die Kund getane Meinung statuiert sich nicht zum Wissen. Ein Lehrer, der seine Meinung beispielsweise im Politikunterricht öffentlich vertritt, vermittelt dadurch kein politisches Wissen, sondern seine politische Meinung. Kommen wir nun zu dem Schluss, erfahren zu haben, was Wissen alles nicht ist. Wissen ist also weder Wahrnehmung, noch richtige Meinung, noch richtige Meinung verbunden mit Erklärung. Wenn wir schon nicht wissen, was Wissen tatsächlich alles bedeutet, dann können wir wenigstens pauschalisieren, dass sich das Aneignen von Wissen, die Bildung zur Existenzgrundlage nimmt. Immer wieder ist die Rede davon, wie wichtig Bildung besonders dann für eine Volkswirtschaft ist, wenn sie keine anderen Ressourcen zur Verfügung hat („Bildung ist mehr als ‚nur’ ökonomische Schlüsselkategorie für ein rohstoffarmes, immer mehr auf den Produktionsfaktor Wissen setzendes Hochlohnland wie Deutschland.“ 320 ). Sie ist aber auch ein wichtiger Bestandsfaktor in der Epoche der Globalisierung, wo ein multikulturelles Miteinander von stärkerer Bedeutung als ein multinationales Nebeneinander ist. Bildung ist ein friedenssichernder Faktor und eine „Voraussetzung für das friedliche Zusammen-leben von Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen, und damit Be-dingung für den Zusammenhalt der Gesellschaft.“321 Darüber hinaus sorgt eine solide Bildung, die sich nicht erschöpft mit dafür, dass Fortschritt als wirtschaftlicher Sicherungsfaktor gewährleistet bleibt. Somit ist Bildung „gleichbedeutend mit dem Besitz von Verhaltensweisen, welche etwas zu leisten, 319 Fluck, Robert: „Zur Ironie des Sokrates“ – Wissen vs. Meinung, a. a. O. Bildungsnotstand in Deutschland, Es gibt Defizite an den Schulen, der Staat spart bei der Bildung, von Dr. Martin Höpner, Politikwissenschaftler des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, aus Mitbestimmung, Das Magazin der Hans-Böckler-Stiftung, Nr. 7, Juli 2004, S. 56 321 ebd. 320 124 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Veränderungen herbeizuführen vermögen.“ 322 Zusammenfassend konstituiert sich Bildung nach AEBLI323 aus: - kognitivem Verhalten - epistemischem Verhalten (Verhalten, das das Ziel verfolgt, Gegebenheiten zu erfassen, soll heißen: Erfahrungen sammeln) - dem Operieren - dem Problemlösen und dem schöpferischen Verhalten - Algorithmen des Verhaltens: Regeln, Methoden und Strategien Die Bildungskommission des Landes Nordrhein-Westfalen versteht unter Bildung „einen Begriff, der seit der europäischen Aufklärung die Mündigkeit in allen Orientierungszusammenhängen in den Mittelpunkt stellt“ 324 . Von daher wirkt es nahezu unverständlich, dass der hoheitspolitische Bildungsauftrag der Länder meiner Meinung nach seither so sträflich vernachlässigt worden ist, und somit „der Zusammenhang von Bildung und sozialer Schichtung derartig ausgeprägt ist, wenn man berücksichtigt, dass Deutschland im internationalen Vergleich eines der wenigen Länder ist, in denen für den gesamten Schulbesuch in der Regel keine Gebühren für die Eltern anfallen und auch das Entgelt für ein anschließendes Studium äußerst moderat bemessen ist.“ 325 Doch nicht allein die Länder dürfen für einen häufig beklagten Mangel an Allgemeinbildung der Heranwachsenden haftbar gemacht werden. Die Verantwortung zur Erziehung und Bildung tragen, wie in den vorangegangenen Kapiteln versucht wurde aufzuzeigen, auch in entsprechendem Maße die Eltern- und Schulhäuser, sowie die Gesellschaft als Ganzes mit. 4.1.1.1. Die Grundbildung Um eine stabile Konstitution der nach AEBLI genannten Kriterien für Bildung aufzubauen, ist eine solide Grundbildung eine unabdingbare Voraussetzung. Unser jetziges Schulsystem in Deutschland erfüllt die Förderung ihrer Schülerinnen und Schüler hinsichtlich der Ausbildung dieser Kriterien meiner Ansicht nach nur unzureichend. Wenn das Sitzenbleiben als ein Negativmerkmal für den Fortschritt hinsichtlich der Grundbildung an den Mittelstufen herhalten soll, dann müsste unter Maßgabe der Handlungsgerechtigkeit bezüglich der Stoffvermittlung statistisch gesehen das Verhältnis aller Schularten zu seinen Sitzenbleibern ausgewogen sein. Jedoch finden sich „unter Hauptschülerinnen und -schülern deutlich mehr als doppelt so viele ‚Sitzenbleiber‘ wie unter Gymnasiastinnen und Gymnasiasten. Ähnliches gilt für die Versetzungsgefährdung.“326 Lehren sollte nach dem protagoraschen Prinzip erfolgen. Soll heißen: nicht der Lehrplan ist das Maß aller (schulischen) Dinge, sondern die Schülerinnen, Schüler, Lehrerinnen und Lehrer. Die Grundbildung sollte für alle Schülerinnen und Schüler eine einheitliche Chance sein, um auf einer soliden Grundlage eine Weiterbildung zu ermöglichen. Die Grundbildung sollte Schülerinnen und Schüler den Umgang mit den ‚Werkzeugen des Denkens‘ (vgl. BANDURA) nahe bringen können. Lehrerinnen und Lehrer sollten die Zeitdisposition erhalten, ihren 322 Aebli, Hans: "Die geistige Entwicklung als Funktion von Anlage, Reifung, Umwelt- und Erziehungsbedingungen" in Roth, Heinrich: "Begabung und Lernen", a. a. O., S. 153 323 ebd. S. 153ff 324 Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“, Kapitel: „Zeitsignaturen – Elemente eines zeitgemäßen Bildungsbegriffs“, 1995, a. a. O. , S. 23 325 Deutsche Shell (Hrg.) / Hurrelmann, Klaus / Linssen, Ruth / Leven, Ingo in Arbeitsgemeinschaft mit Infratest Sozialforschung: „Jugend 2002“ – Wachsende Ungleichheit der Zukunftschancen?, a. a. O., S. 64 326 ebd. S. 68 125 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Schützlingen zu vermitteln, welche Bedeutung das Wissen im Leben des Menschen trägt und sie nicht dazu zwingen, Wissensbestände anzuhäufen, sondern Wissen für sich selbst begreifen zu lehren und zu lernen. Denn auch die Aneignung einer Grundbildung, wie sie zum weiteren Lernen nötig ist, bedarf a priori der Einsicht um den Stellenwert des Wissens. Eine solche Einsicht kann jedoch nicht erzwungen, sondern nur durch Neugier geweckt werden. Neugier wiederum verlangt vom Lernenden eine gewisse Einsicht. Offenbar scheint die Einsicht bei Heranwachsenden geschlechtsspezifisch unterschiedlich zu verlaufen. Ohne in Abrede zu stellen, dass Ausnahmen die Regel bestätigen, ist mutmaßlich offenkundig, dass bei heranreifenden jungen Frauen die kognitive Leistungsfähigkeit hinsichtlich der Einsicht und damit der Neugier naturgemäß oder erziehungsgeprägt stärker vorhanden zu sein scheint, als dies bei heranreifenden jungen Männern der Fall zu sein scheint. Denn „bei den Fragen nach Versetzungsgefährdung oder Wiederholung einer Klasse bestätigt sich wieder einmal, dass sich Mädchen offenbar leistungsstärker in der Schule zeigen als Jungen. Sie bleiben deutlich seltener sitzen und sind auch weniger oft versetzungsgefährdet. In der Differenzierung nach Altersgruppen zeigt sich, dass besonders die ganz jungen Mädchen sich hinsichtlich ihres Schulerfolgs von den Jungen abheben: Bei den 12- bis 14-Jährigen sind fast doppelt so viele Jungen versetzungsgefährdet wie Mädchen. Bei den ‚Sitzenbleibern‘ sind die Mädchen während der gesamten Schulzeit im Vergleich zu ihren männlichen Altersgenossen in der Minderheit.“327 Da der Erwerb der Grundbildung keinen verlässlichen Indikator für die weitere Lernbereitschaft und den beruflichen Erfolg darstellt, ist das Verhältnis der ebengenannten geschlechtspezifischen schulischen Leistungsunterschiede zu den späteren beruflichen Chancen unter den Geschlechtern nicht proportional. Somit schlummern Bildungsreserven, die hätten frühzeitig geschlechtsunspezifisch ge-fördert werden können. Geprüft wurde das vom Leiter der amerikanischen PISA-Studien GARY PHILLIPS bereits hier zitierte ‚Lernen unter Einflussnahme des jeweiligen länderspezifischen sozialen und pädagogischen Systems‘.328 Von den 10 untersuchten Kriterien ist ein Indexsystem in Paris entwickelt worden, indem der Gesamtvergleich der Untersuchung mit einem negativen Vorzeichen einer Auswertung besagt, dass die Schülerinnen besser als die Schüler abgeschnitten haben. Ist der Index positiv, dann haben die Schüler höhere Ergebnisse als die Schülerinnen erzielt329: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Leseverständnis (-60 bis 0) mathematische Grundbildung (0 bis 30) naturwissenschaftliche Grundbildung (-10 bis 15) wiederholungsbezogene Lernstrategien (-2 bis 0,5) differenzierte Übungsstrategien (-4 bis 0,5) kontrollbezogene Strategien (-0,2 bis 0,5) zielgerichtete Motivation (-0,25 bis 0,15) Interesse am Lernen (0 bis 1,2) 327 Deutsche Shell (Hrg.) / Hurrelmann, Klaus / Linssen, Ruth / Leven, Ingo in Arbeitsgemeinschaft mit Infratest Sozialforschung: „Jugend 2002“ – Wachsende Ungleichheit der Zukunftschancen?, a. a. O., S. 68 328 „PISA's focus on age 15 allows countries to measure outcomes of learning that reflect both societal and education system influences, and measure students' preparedness for adult life beyond compulsory schooling.“ said Gary Phillips, acting commissioner of the U.S. Education Dept.'s National Center for Education Statistics (nces.ed.gov), which directs the OECD study in the United States 329 „Bildung auf einem Blick“, OECD-Indikatoren 2004, Seite 155 bis 157 126 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet 9. Interesse an Mathematik (-0,6 bis 0,1) 10. Anstrengung und Dauer beim Lernen (0 bis 0,35) 4.1.1.2. Das Leseverständnis „Knapp die Hälfte (49 %) der Jugendlichen, die in einem Haushalt mit nur wenigen Büchern aufwachsen, weisen ein Bildungsrisiko auf, wogegen bei denen, die in Haushalten mit durchschnittlich vielen oder sehr vielen Büchern aufwachsen, nicht einmal ein Drittel (29 / 30 %) ein solches Bildungsrisiko trägt.“330 Diese Untersuchung könnte impulsgebend für die Kampagne ‚Deutschland liest vor’ mit DORIS SCHRÖDERKÖPF als Schirmherrin gewesen sein, in der betont wird, dass „Lesenkönnen eng an das Lesenwollen geknüpft ist. Deshalb sollte es immer zentral darum gehen, Kinder zum Lesen zu motivieren und über das Vorlesen ihre Freude am Lesen zu wecken.“331 Auch BANDURA betont, dass „die Voraussetzung bestimmter Fähigkeiten am ehesten dann gelernt werden, wenn die Bemühungen der Kinder so lange unterstützt werden, bis die neue Verhaltensweise einigermaßen beherrscht wird. Diese erzeugt dann natürliche Konsequenzen, die ihr Dauer verleihen. So müssen Kinder beispielsweise anfänglich dazu ermutigt werden, Lesen zu lernen. Sobald sie jedoch darin geübt sind, lesen sie aus eigenem Antrieb, weil es ihnen Freude macht und weil sie dadurch nützliche Informationen beziehen. Sobald Menschen die verbalen, kognitiven und konkreten Fertigkeiten gelernt haben, dank derer sie mit ihrer Umwelt zurechtkommen, braucht sie niemand mehr dazu aufzufordern, diese Fertigkeiten selbstständig anzuwenden.“332 Augenmerk sollte allerdings nicht nur auf das Lesen von spannenden und unterhaltsamen Inhalten gelegt werden. Oder platt ausgedrückt, darf sich die Lese- bzw. Vorlesestunde nicht nur auf ein bestimmtes Genre beschränken. Es gibt noch mehr als Harry Potter zu lesen, was jetzt nicht als bösartige Kritik gegen JOANNE K. ROWLINGS Phantasie-Roman-Reihe verstanden werden sollte. Es kann aber bei der Leseerziehung nicht ausschließlich um die Belletristik gehen, denn „um es mit dem Worten des Informatikers W EIZENBAUM auszudrücken: 'Medienkompetenz ist die Fähigkeit, kritisch zu denken; kritisches Denken lernt man durch kritisches Lesen; die Voraussetzung für kritisches Lesen ist eine hohe Sprachbeherrschung.' Wenn wir uns dazu durchringen könnten, diese Aussage ernst zu nehmen, dann wären wir wirklich auf dem Weg in eine moderne Wissensgesellschaft, die jedem seine Chance gäbe.“ 333 Doch wenn es bereits Defizite in der Integration von MigrantInnenkindern an deutschen Schulen gibt, dann können diese nur behoben werden, wenn an den Schulen selbst etwas passiert. Lesepatenschaften, wie sie an den Grundschulen in meinem Bezirk bereits Alltag sind, sind zwar nur kleine Schritte, aber sie zielen in die richtige Richtung. Ein weiteres Phänomen, dass sich beim Leseverständnis feststellen lässt und dessen Ursache nicht nur in der Früherziehung zu suchen ist, ist die Tatsache, dass es bei der Lesekompetenz einen Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt: „Frauen lesen mehr als Männer. Die Schätzungen der ‚Stiftung Lesen‘, der Bertelsmann-Stiftung und anderer Institute zur Beobachtung des Volksverhaltens gehen zwar ein wenig auseinander, im Kern aber bestätigen sie dasselbe: Knapp zwei Drittel der Leser belletristischer Werke sind Leserinnen. Den größten Anteil an Leserinnen schöner Literatur stellen Frauen zwischen dreißig und fünfundfünfzig, die 330 Deutsche Shell (Hrg.) / Hurrelmann, Klaus / Linssen, Ruth / Leven, Ingo in Arbeitsgemeinschaft mit Infratest Sozialforschung: „Jugend 2002“ – Wachsende Ungleichheit der Zukunftschancen?, a. a. O., S. 72 331 http://www.deutschland-liest-vor.de/modell/index.html, Stand: 09.12.2005 16:43 332 Bandura, Albert: „Sozial-kognitive Lerntheorie“, a. a. O., S. 108 333 Feibel, Thomas: „Die Internet-Generation“ – Der digitale Analphabetismus, a. a. O., S. 202 127 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet meisten von ihnen sind berufstätig, und sie lesen nicht nur aus Gründen der Weltflucht, der Selbstvergessenheit und des Tagtraums, sondern auch den größten Teil der Neuveröffentlichungen der ästhetischen Moderne wie der Großen der Weltliteratur. – Die Literatur ist eine der effizientesten Formen der Bewirtschaftung von Zeit: Sie ist auch nachholende Welterfahrung, Erprobung fremder Lebensverhältnisse, eine Schule der Lebensklugheit und ein zweiter Bildungsweg des literarischen Intellekts.“334 Gerade dieser zweite Bildungsweg des literarischen Intellekts ist eine wesentliche soziale Kompetenz. Die Anerkennung, die jemanden zuteil wird, der sich schulisch weiterbildet, steht weitgehend außer Frage. Wer die Chance zur schulischen Weiterbildung, aus welchen Gründen auch immer, nicht nutzen kann oder will, dafür aber als belesen in seinem sozialen Umfeld gilt, dem kann ein fast ebenso großer Respekt gezollt werden, wie dem, der Diplome, Examina oder sonstige akademische Abschlüsse vorweisen kann. Allerdings auch nur dann, wenn sich diese Belesenheit nicht auf ein einziges Genre beschränkt. Vielleicht gibt es einen Bezug zu der Tatsache, dass die westliche Gesellschaft sich seit Ende der 80iger Jahre mehr und mehr von einer Industrie- in eine Informationsund Wissensgesellschaft gewandelt hat und dem Wandel des Leseverhaltens der Heranwachsenden: „1986 las 21 Prozent der Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 20 Jahren täglich und 55 Prozent mindestens einmal pro Woche in einem Buch. Drei Jahre später stiegen diese Zahlen auf 27 Prozent, die täglich in einem Buch lasen und 64 Prozent wöchentlich. Im Jahr 1992 waren es 28 Prozent täglich und 66 Prozent wöchentlich.“335 Abb. 4.1.1.2.: Das Leseverständnis der 15jährigen Mädchen laut OECD-Studie im europäischen Vergleich (Quelle: Bildung auf einem Blick, OECD-Indikatoren 2004) „Vor allem die beiden Punkte Surfen im Internet und Bücher lesen sind zusammengenommen wichtig. Hier zeichnet sich aus, dass Hauptschülerinnen und -schüler den Anschluss an die moderne Kommunikationswelt im Vergleich zu anderen Schülerinnen und Schülern eher verpassen und auch in der Wissensgesellschaft 334 Steinfeld, Thomas: „Damenwahl – Zwei Drittel aller Leser sind heute Leserinnen. Die Frauen haben viel nachzuholen. Und die Männer viel zu verlieren.“, Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung, #223, 27. u. 28.09.2003 335 Grob, Alexander (Hrsg.) / Flammer, August / Alsaker, Francoise D.: „Kinder und Jugendliche heute: belastet – überbelastet?“ – Lesen, a. a. O., S. 81 128 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet durch mangelndes Interesse am Lesen eher schlechter abschneiden werden.“336 Aus eigener Erfahrung als ehemaliger Hauptschüler darf ich an dieser Feststellung der Studie der DEUTSCHEN SHELL darauf aufmerksam machen dürfen, dass das Manko der heutigen Hauptschülerinnen und Hauptschüler meines Erachtens nicht an mangelndem Interesse oder Begabung liegt, sondern schlichtweg an einer Überforderung der Hauptschulen hinsichtlich ihrer Schülerzusammensetzung. Als ich die Hauptschule Mitte der siebziger bis Anfang der achtziger Jahre besuchte, da hatten die Lehrer noch genügend Zeit für den stoffvermittelnden Unterricht. Heutzutage sind Lehrerinnen und Lehrer an den Hauptschulen eher Pädagogen und Sozialarbeiter und kaum noch Lehrkräfte. Sie sind mit multinationalen Klassenbesetzungen konfrontiert, wo allein schon die verbale Kommunikation schwierig wird; es sei denn, die Lehrkraft beherrscht neben deutsch auch italienisch, türkisch, englisch, russisch und wenn möglich eine asiatische Sprache, wie chinesisch oder tamilisch. Sie sind – unabhängig, ob ein Migrationshintergrund ihrer Schülerinnen und Schüler vorliegt oder nicht – mit der Tatsache der sozialen Verwahrlosung ihrer Schützlinge konfrontiert, wenn berücksichtigt wird, dass viele Hauptschülerinnen und Hauptschüler ohne ausreichend Schlaf oder Frühstück den Schulalltag beginnen. Die Bildungspolitik, wie die gesamtgesellschaftliche Politik reagiert nicht oder unzureichend auf die sozialen Probleme der Kinder aus dem so genannten ‚abgehängten Prekariat’ geläufiger mit dem Begriff ‚Unterschicht’ verbunden. Quasi willkürlich werden die Kinder der EinwanderInnen in die Hauptschulen gesteckt, anstatt dass ihnen erst einmal die Deutsche Sprache vermittelt wird. In einem Klassenverband, in der Kinder dem Unterricht nicht folgen können, weil sie die Unterrichtssprache nicht oder nur unzureichend beherrschen, werden diese Kinder ihre Mitschülerinnen und Mitschüler, die die Sprache teilweise oder gut beherrschen, ablenken und die Gruppendynamik weitgehend negativ beeinflussen, dass ein Unterricht in der deutschen Sprache kaum oder nur eingeschränkt möglich ist. Als ich noch zur Hauptschule ging, war das Lesen eine wesentliche Komponente im Schulunterricht und alle konnten diesem Unterricht sprachlich folgen. Es gab einen geringen Ausländeranteil, der aber sprachlich kompetent genug war, um aktiv am Unterricht teilzunehmen. Heutzutage ist die Hauptschule zu einem Seismograph weltbewegender Ereignisse geworden; die Rektorin der Landwehr-Hauptschule in Dortmund beispielsweise versicherte mir während eines Gesprächs im Frühjahr 2005, dass an ihrer Schule zwei Waisen aus dem Tsunami-Gebieten aufgenommen würden. Warum nimmt sie keine Real-, keine Gesamtschule oder kein Gymnasium auf? Im Informations- und Kommunikationszeitalter sollten wir keine Talente mehr vergeuden. Es kann nicht angehen, dass schon in jungen Jahren, wo sich Basiskompetenzen erst noch ausbilden müssen und die Grundbildung noch nicht gefestigt ist, Schülerinnen und Schüler selektiert werden. Um es platt zu sagen: dem Rechner, der eines der wesentlichsten Instrumente im Informationszeitalter darstellt, ist es gleich, ob ihn ein ehemaliger Haupt- oder Realschüler oder gar ein Gymnasiast bedient. Um einen Rechner optimal zu bedienen, ist eine solide Lesekompetenz zwingende Voraussetzung und „90 Prozent der Kinder und Jugendlichen nutzen hauptsächlich die Kommunikationsform der E-Mail. Noch vor wenigen Jahren hieß es, durch den Computer würde immer weniger gelesen und geschrieben. Das Gegenteil ist der Fall. Die klassische Brieffreundschaft lebt im digitalen Zeitalter 336 Deutsche Shell (Hrg.) / Hurrelmann, Klaus / Linssen, Ruth / Leven, Ingo in Arbeitsgemeinschaft mit Infratest Sozialforschung: „Jugend 2002“ – Wachsende Ungleichheit der Zukunftschancen?, a. a. O., S. 79 129 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet wieder auf. Auch wenn der Inhalt der Mails immer kürzer und möglicherweise auch belangloser wird.“337 Hat der Rechner bereits die Vermittlung von Lesekompetenzen übernommen, so darf nicht erwartet werden, dass er dies mit pädagogischen, kognitiven und empathischen Geschick getan hat. Alle diejenigen, die mit dem Rechner arbeiten, kennen die Meldungen und Texte, wo sich der Sinn entweder nur schwer oder gar nicht erschließen lässt, wir aber trotzdem angehalten sind, die Brisanz des Inhaltes zu erkennen, um beurteilen zu dürfen, wie ernst eine solche Nachricht ist oder nicht. Wir sind also gezwungen, einen Text ‚querlesen‘ oder ‚überfliegen‘ zu können. Dies allein verlangt schon von dem Leser bzw. der Leserin eine ausgeprägte Lesekompetenz. 4.1.1.3. Die mathematische Grundbildung Mathematik hat hierzulande gerade unter den Heranwachsenden einen bescheidenen Ruf. Woran mag das liegen? Wie auch schon beim Leseverständnis vor allem durch die Bemerkung BANDURAS 338 deutlich werden sollte, vermute ich, dass die Bemühungen der Kinder eine mathematische Grundbildung zu erlangen von den Erwachsenen – vor allem von den Erziehungsberechtigten selbst – zu wenig unterstützt werden, um eine neue mathematisch-grundlegende Technik zu beherrschen. Es dürfte interessant sein, in Erfahrung bringen zu können, wie zum Beispiel das Kleine und das Große Einmaleins zuhause mit den Kindern geübt werden. Ich denke, die Ursache, dass Eltern sich zu wenig mit der mathematischen Grundbildung ihrer Sprösslinge auseinandersetzen, hat auch damit zu tun, dass Mathematik in den Augen der meisten zu weltfremd geworden ist. Für einen Mathematiker wird jemand gehalten, der äußerlich daherkommt wie damals zu Beginn der 90iger Jahre der Forschungsminister RIESENHUBER; ein Fliegenträger und meinem Geschmack nach mit für einen Politiker zu geringer charismatischer Ausstrahlung. Der Mathematik eilt ein Ruf hinterher, als beschäftige sie sich ausschließlich mit Zahlen. Es wird dabei übersehen, welch spannende Seiten diese Naturwissenschaft mit sich bringt. Grundbildende mathematische Erkenntnisse, wie zum Beispiel die, dass die Mathematik Phänomene aufgreift, die nur durch menschliche Ratio zu erfassen und in der Natur nicht mit dem bloßen Auge zu beobachten sind, wie zum Beispiel die Multiplikation oder die geometrische Erkenntnis, dass sich in den Gebilden der Natur kein rechter Winkel finden lässt, sind Lehrstunden, die auch außerhalb des Schulgebäudes empirisch den Schülerinnen und Schülern näher gebracht werden könnten. Die Forscher der jüngsten PISAStudie fanden Hinweise, dass der Mathematikunterricht in Deutschland in „hohem Maße lehrergeleitet und variationsarm“ verläuft. Das Forschungsergebnis zeigt, dass 80 Prozent der Pädagogen das international sehr einflussreiche Konzept eines „genetisch-beziehungshaltigen Mathematikunterrichts“339, das darauf beruht, bei der Vermittlung abstrakter Begriffe an natürliche Phänomene anzuknüpfen, nicht kennen. Das Interesse an dem Fach Mathematik könnte dementsprechend schon allein durch einen einzigen Ausflug in die Natur mit einem entsprechend begabten Lehrer bzw. einer entsprechend begabten Lehrerin sprunghaft ansteigen. Einen weiteren Beitrag zur Stärkung der mathematischen Grundbildung bei Heranwachsenden könnte sein, wenn dem Mathematiker und somit auch dem Mathematik Lehrenden, das Stigma genommen würde, ein Fachidiot zu sein. Denn dem ist in der Realität bei weitem 337 Feibel, Thomas: „Die Internet-Generation“ – a. a. O., S. 125 vgl. Fußnote 21 339 aus der Süddeutschen Zeitung #266 vom 18./19.11.2006, S. 8, Artikel von Schultz, Tanjev: „Lernerfolg mangelhaft – Neue PISA-Studie findet kaum Fortschritte bei den Schülern – nun geraten die Kenntnisse der Lehrer in den Blick“ 338 130 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet nicht so. Viele mathematisch begabte Lehrkräfte haben einen weiten Horizont und ein über das Fach Mathematik hinausgehendes Interessensspektrum. Oft finden sich unter den Mathematikern auch Musiker, so wie MAX W EBER es schon seinerzeit erkannte: „Die ‚innerlichste‘ der Künste (die Musik), deren Wesen von Grund aus arationalen oder antirationalen Charakter ist, steht nämlich in einzigartiger Paradoxie seit der Antike auf bestem Fuße mit der Mathematik, dieser Zitadelle der Rationalität.“ 340 Auch was das gesellschaftliche Bewusstsein angeht, werden mathematisch begabte Menschen zu sehr in eine teilöffentliche Schablone des Rationalseins und des emotionalen und sozialen Analphabetismus gezwängt: „Die Kritiker bleiben nicht bei dem Vorwurf, die technische Intelligenz könne nur in mathematisch-physikalischen Dimensionen denken, ohne die sozialen und humanen Belange zu berücksichtigen, ja ohne über-haupt noch nach dem Sinn von Fortentwicklungen zu fragen.“341 Wenn die Lehre und in diesem Fall die Lehre der mathematischen Grundausbildung nicht von ihrem weltfremden Stigma befreit wird, können wir nicht erwarten, dass das Interesse an einer mathematischen Grundbildung bei den Heranwachsenden gegeben sein oder geweckt werden kann. Abb. 4.1.1.3.: mathematische Grundbildung der europäischen 15jährigen Jungen aus der PISA-Studie 2000 4.1.1.4. Die naturwissenschaftliche Grundbildung „Drei Viertel der Schüler, die in Nordrhein-Westfalen die gymnasiale Oberstufe besuchen, haben weder Physik noch Chemie gehabt. Wie die DEUTSCHE PHYSIKALISCHE GESELLSCHAFT ermittelt hat, beschäftigen sich heute gerade noch zehn bis fünfzehn Prozent der Schüler mit Physik, im Unterschied zu dreißig Prozent vor der Oberstufenreform.“ 342 GÖBEL u. a. stellten dieses Manko vor mehr als 20 Jahren fest. Hat sich daran heute etwas geändert? Ich vermute kaum, und es stimmt traurig, auch wenn es vielleicht in diesem Fall vor allem nur ein Bundesland in 340 Dorschel, Andreas: „Harmonie als Währung – Sie quillt nicht bloß aus dem Fühlen: Max Weber über Musik“, Süddeutsche Zeitung, #292, 16.12.2004, S. 16, a. a. O. 341 Schlaffke, Winfried: „Das Jugendsyndrom“ – Mut zur Technik – Vertrauen in die Zukunft, a. a. O., S. 45 342 Göbel, Uwe / Kollenberg, Udo / Pieper, Ansgar / Schlaffke, Winfried: „Das Jugendsyndrom“ – Mut zur Technik – Vertrauen in die Zukunft, a. a. O., S. 48 131 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Deutschland betraf. Dabei gilt experimentelle Physik als ein wesentlicher Grundstein, um das Interesse an der naturwissenschaftlichen Grundbildung zu wecken und zu fördern. Die Durchführung der experimentellen Physik ist nicht ausschließlich davon abhängig, dass alle Schulen über gut ausgestattete Laboratorien verfügen. Es würde auch schon genügen, wenn Schülerinnen und Schüler Zeuge von einfachen naturwissenschaftlichen Experimenten sein dürften. Die theoretischen Grundlagen der Physik in frühen Jahren zu vermitteln, halte ich für etwas problematisch, da physikalische Zusammenhänge theoretisch sich erst dann vermitteln lassen, wenn das abstrakte Denken entsprechend geschult ist. Das Interesse an naturwissenschaftlichen und technischen Vorgängen unter den Heranwachsenden zwischen 13 und 29 Jahren folgt der GAUßSCHEN Normalverteilung, wie die Abbildung 4.1.1.4. zeigt. Abb. 4.1.1.4.: naturwissenschaftliches Interesse der Jugend Anfang der 90iger Jahre 4.1.1.5. Die Basiskompetenzen Basiskompetenz meint, zutreffende grundlegende Aufgaben selbstständig durchführen zu können, wobei „kompetentes Handeln auf differenzierte Reaktionen beruht, die häufig den leisesten Veränderungen der Bedingungen Rechnung tragen müssen. In manchen Verhaltensstörungen zeigt sich in erster Linie mangelhaftes Kontingenzlernen. Das geht entweder auf falsche Bekräftigungspraktiken zurück oder auf stressbedingten Verlust dieser Funktionen.“ 343 Wobei hier als Kontingenzlernen die Kontingenz nach NICLAS LUHMANN und TALCOTT PARSONS verstanden wird, also das Lernen „um die prinzipielle Offenheit menschlicher Lebenserfahrungen und um die soziale Welt als eine, die weder zufällig noch notwendig ist und unter vielen möglichen wahrgenommen werden kann. Selbst die Wahrnehmung der Welt ist kontingent, beruht auf Unterscheidungen und Konstruktionen, welche auch anders sein und gemacht werden könnten. Die prinzipielle Offenheit menschlicher Einstellungen und Handlungen, die zur Komplexität führt, wird durch Bildung von sozialen Systemen reduziert.“344 Eines dieser sozialen Systeme für Heranwachsende ist die Familie, ein anderes die Schule. Wenn, wie BANDURA feststellt, dass mangelndes Kontingenzlernen entweder auf falsche Praktiken jemanden zu motivieren oder darauf zurückzuführen ist, dass 343 344 Bandura, Albert: „Sozial-kognitive Lerntheorie“, a. a. O., S. 98 http://de.wikipedia.org/wiki/Kontingenz_%28Soziologie%29, Stand: 14.12.2005 16:37 132 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Stress – und zwar Disstress – im Spiel ist, dann finden sich die Herde solcher Mängel zu eins in erster Linie in der Schule und zu zwei in erster Linie in der Familie. Der Schule kann hinsichtlich mangelndem Kontingenzlernen keine Komplettverantwortung aufgebürdet werden, da die vorschulische Erziehung im Kontingenzlernen eine wesentliche Vorreiterposition einnimmt: „AUGUST FRÖBEL sorgte 1840 mit seinen ersten ‚Kindergarten’ der Welt dafür, dass noch heute Franzosen, Engländer und Spanier das deutsche Wort verstehen. – Weder in der Wissenschaft noch in der Politik genössen die frühkindliche Bildung und Erziehung die Beachtung, die ihnen in anderen Ländern zu kamen. – Stiftungen wie die von BERTELSMANN oder der DEUTSCHEN TELEKOM prämieren Modelle zur besseren Zusammenarbeit zwischen Kindertagesstätte und Schule oder stellen Erzieherinnen und Erziehern Werkzeuge für naturwissenschaftliche Erkundungen zur Verfügung. – Bremen schießt seit 2002 jedes Jahr 1,3 Mio. Euro zusätzlich in die frühkindliche Bildung. Sie dienen der Sprachförderung, der Weiterbildung von Erziehern, der besseren Zusammenarbeit der Kindergärten mit der Grundschule und anderen Bildungsvermittlern. – Die Universität Bremen hat einen Weiterbildungsstudiengang für Erzieher eingerichtet ‚frühkindliche Bildung’. Hier können Erzieher erfahren, auf welche Weise das Gehirn von Vorschulkindern Neues verarbeitet und wie man Kindern aus fremden Kulturen Deutsch beibringt. Außerdem gibt es Schwerpunkte wie Natur, Technik, Mathematik. – In allen Ländern Westeuropas (außer Deutschland und Österreich) gibt es zumindest für Führungskräfte in Kindergärten ein Studienangebot, in einigen gar für alle Erzieher. Der OECD-Kindergarten-Report 2004 bemängelt deshalb nicht nur die schlechte Bezahlung deutscher Erzieher und ihre geringen Aufstiegschancen, sondern auch die unzureichende Ausbildung. Außerdem bemängeln die OECDExperten in ihrem Bericht, dass es in Deutschland weniger Professorenstellen für die frühkindliche Bildung gibt als für die japanische Sprache. Wissenschaftliche Fachzeitschriften fehlen völlig. – Das WASHINGTONER ECONOMIC POLICY INSTITUTE rechnete aus, dass für jeden Dollar, der in ein Bildungsprogramm für Drei- und Vierjährige investiert wird, drei Dollar zurückfließen: durch Steuereinnahmen, geringere Sozialhilfeausgaben oder abnehmende Kriminalität.“345 Dieser Auszug aus der Wochenzeitung DIE ZEIT dürfte mithilfe dieses Artikels eines Eindrucks nicht erwehren brauchen, warum die Basiskompetenzen, die als eine Voraussetzung für das weitere Lernen von elementarer Bedeutung sind, unter den Grundschülerinnen und -Schülern nicht oder nur wenig vorhanden sind. Da braucht es meiner Ansicht nach auch nicht weiter wundern, dass ein mäßig durchschnittliches Resultat im internationalen Kompetenzvergleich von 15jährigen (PISA) zu erwarten ist und nicht ein überdurchschnittlicher Erfolg, den ein Industrieland wie Deutschland von seinem Nachwuchs erwartet. Dass Maßnahmen von Bedeutung sind, die die durch die OECD-Experten kritisierten Mängel an der frühkindlichen Erziehung aufzuheben im Stande sind, sollte auch ein Beispiel aus Großbritannien zeigen dürfen, dass „anders als üblich im THOMAS CORAM CHILDREN’S CENTRE keine Symbole aus der Tier- und Pflanzenwelt über Handtuchhaken und Fächern zu finden sind. Stattdessen tauchen die Namen der Kinder immer wieder auf. ‚Ein Kind ist kein Hase, keine Blume’, sagt BERNADETTE DUFFY. ‚Sie heißen Leon oder Thomas. Und diesen Namen sollen sie möglichst bald lesen und schreiben lernen.’ – Jedes Kind verlässt die Kindertagesstätte mit einem 345 Otto, Jeannette / Spiewak, Martin: „Spielend ein Genie – Nach einer neuen OECD-Studie sind Deutschlands Kindergärten von internationalen Standards immer noch weit entfernt. Die Kleinen lernen zu wenig. Das soll sich ändern“, DIE ZEIT, #49, 25.11.2004, S. 37 133 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet mehrseitigen Gutachten, das erleichtert den Übergang in die erste Klasse. – Ähnlich wie die Schulen in Großbritannien prüft das Amt für Standards in der Erziehung seit 2001 regelmäßig auch die englischen Kindergärten.“346 4.1.1.6. zielgerichtete Motivation Die Hauptschule als solche ist meiner Ansicht nach mit dem Primärziel der zielgerichteten Motivation überfordert, da sich die Lehrkräfte – wie bereits in vorangegangenen Kapiteln eingehend erwähnt – zu sehr auf sozial-pädagogischen und sogar -therapeutischen Ebenen betätigen müssen. Und sie ist finanziell unterausgestattet, um den Forderungen nach Bildung für Heranwachsende gerecht werden zu können. Demzufolge sollte entweder die Vorbereitung zur Weiterbildung oder die sozialpädagogische bzw. -therapeutische Betreuung von den Schulen delegiert werden dürfen. Besonders Hauptschülerinnen und -Schülern sollte das Gefühl gegeben werden, dass ihre Berufswünsche keine utopischen Träume darstellen, weil der nächstliegende Schulabschluss sie nicht für ihren Traumberuf qualifiziert, sondern sie sollten sich bestätigt wissen, dass die Schule, die sie besuchen, sie verlässlich auf die nächst höhere Bildungsstufe vorbereiten und ihnen grundlegende Kompetenzen vermitteln wird. 4.1.1.7. Interesse am Lernen Doch nicht nur die Schule als Einrichtung mit ihrem Lehr-, Organisationspersonal und Möglichkeiten hinsichtlich der Ausstattung und des Materials ist gefordert, um die Motivation ihrer Schülerinnen und Schüler gezielt zu fördern, auch die Schüler selbst sollten durch engagierten und motivierten Schulbesuch beweisen, dass sie Interesse am Lernen haben. Es sollte sich darstellen lassen, dass „sich das Lernen tatsächlich auf der Basis von Modellierung und Unterweisung ebenso wie durch das Feedback aus der Auseinandersetzung mit der Umwelt vollzieht“347: Diese Erkenntnis von BANDURA wird noch eine wesentliche Rolle im 4.2. und 4.3. spielen, denn auf sie beruht die wichtige Fähigkeit, kontingent lernen und somit auch kontingent Begabungen erkennen und fördern zu können. Die Schulnoten gerade in den lernintensiven naturwissenschaftlichen Fächern bieten meiner Ansicht nach einen idealen Spiegel, um nicht nur die Leistungen der Schülerinnen und Schüler zu interpretieren, sondern auch deren Interesse am Lernen. Signifikant auffällig ist der Leistungsabfall im Fach Mathematik, den ich an einer kleinen empirisch signifikanten, aber nicht-repräsentativen Befragung von 93 Schülerinnen und Schüler der Dortmunder Hauptschule an der Landwehr, die zum Zeitpunkt der Befragung 15 Jahre alt waren belegen kann348: Tab. 4.1.1.7a: Leistungsvergleich der 15jährigen HauptschülerInnen der Dortmunder Landwehr in den Naturwissenschaften Anzahl der befragten 15jährigen Noten sehr gut gut befriedigend ausreichend mangelhaft Mathematik Winter 346 Spiewak, Martin: „Wo Mutter mit zur Kita geht – in den neuen britischen Kindergärten für sozial Schwache werden manchmal auch die Eltern mit betreut“, DIE ZEIT, #49, 25.11.2004, S. 37 347 Bandura, Albert: „Sozial-kognitive Lerntheorie“, a. a. O., S. 98 348 im April 2005 134 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet 2005 Mathematik Sommer 2004 Chemie Winter 2005 Chemie Sommer 2004 Physik Winter 2005 Physik Sommer 2004 Biologie Winter 2005 Biologie Sommer 2004 3 12 35 31 10 2 2 4 6 2 5 22 18 12 20 16 16 28 36 31 26 19 21 38 39 26 24 21 22 15 27 15 2 1 5 2 5 - Gemäß der Tabelle 4.1.1.7b muss wohl der Physik- und Biologieunterricht im Jahr 2004 bis zum Januar 2005 besonders interessant gewesen sein. Ein kleiner Einblick in den vermittelten Unterrichtsstoff, so wie es die befragten Schülerinnen und Schüler wiedergaben, soll diesem Phänomen auf den Grund gehen dürfen. In der neunten Klasse wurde in Biologie die Funktion des Auges, die mendelschen Gesetze und Erbanlagen, über die Vermehrung von Mäusen, über Körper- und Sinnesorgane unterrichtet. Gemessen an den erzielten Leistungen schien das Interesse am Lernen dieses Stoffes eher im Mittelmaß. Ein „Sehr Gut“ befand sich nicht unter der Leistungsbewertung. Ebenfalls in der neunten Klasse wurde in Physik laut eigenen Angaben der Schülerinnen und Schüler das newtonsche Gesetz der Geschwindigkeit, das Gesetz von Kraft und Last, die Bewegungslehre, über Kraft und Leistung am Beispiel eines Flaschenzuges, Hebelgesetze, Gravitation, Last- wie Kraftarm und Streckenberechnungen durchgenommen. Die Qualität des Physikunterrichtes wurde dementsprechend mit überdurchschnittlichen Leistungen quittiert. In Chemie wurden laut Angaben der Schülerinnen und Schüler Atome, Atomaufbau und das Periodensystem der Elemente sowie das Element Stickstoff durchgenommen, falls überhaupt Chemie-Unterricht stattfand. Der Leistungsverlauf ist im Laufe des Schuljahres in Chemie leicht rückläufig. In Mathematik wurde laut eigener Angaben der befragten Schülerinnen und Schüler Zins- und Prozentrechnung, Bezeichnung von Winkelmaßen, Kalkulation von Preisen, Berechnungen von Brutto- und Nettolöhnen, der Satz des Pythagoras, Wurzelziehen, Additions- und Subtraktionsverfahren, Kathetenund Hypotenusenquadrate, Kreisberechnungen als auch Gleichungen mit zwei Unbekannten durchgenommen. Die Didaktik im Fach Mathematik des neunten Schuljahrs wirkt hier ein wenig sprunghaft und erklärt damit vielleicht auch den enormen Anstieg an schlechten Leistungen (vgl. Tabelle 4.1.7.a bis f). Tab. 4.1.1.7b: Leistungsvergleich der 15jährigen Hauptschülerinnen der Dortmunder Landwehr in den Naturwissenschaften Anzahl der befragten 15jährigen Noten sehr gut gut befriedigend ausreichend mangelhaft Mathematik Winter 2005 2 6 19 20 4 Mathematik Sommer 2004 2 10 24 13 1 Chemie Winter 2005 7 20 14 1 Chemie Sommer 2004 7 13 11 3 Physik Winter 2005 1 12 9 14 Physik Sommer 2004 2 9 14 8 1 Biologie Winter 2005 2 7 23 17 1 Biologie Sommer 2004 3 18 23 6 Tab. 4.1.1.7c: Leistungsvergleich der 15jährigen Hauptschüler der Dortmunder Landwehr in den Naturwissenschaften Anzahl der befragten 15jährigen Jungen 135 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Noten Mathematik Winter 2005 Mathematik Sommer 2004 Chemie Winter 2005 Chemie Sommer 2004 Physik Winter 2005 Physik Sommer 2004 Biologie Winter 2005 Biologie Sommer 2004 sehr gut gut befriedigend ausreichend mangelhaft 3 6 16 11 6 2 2 4 6 2 5 12 11 5 8 7 9 10 12 11 13 10 7 15 16 13 10 10 8 7 10 9 1 2 1 4 - Tab. 4.1.1.7d: Leistungsvergleich der 15jährigen HauptschülerInnen der Dortmunder Landwehr 9. Klasse in den Naturwissenschaften Anzahl der befragten 15jährigen Mädchen Noten sehr gut gut befriedigend ausreichend mangelhaft Mathematik Winter 2005 2 6 17 12 6 Mathematik Sommer 2004 1 14 13 12 2 Chemie Winter 2005 11 12 8 1 Chemie Sommer 2004 2 6 15 6 3 Physik Winter 2005 4 13 8 11 Physik Sommer 2004 5 10 7 6 2 Biologie Winter 2005 12 15 11 4 Biologie Sommer 2004 1 17 19 6 Tab. 4.1.1.7e: Leistungsvergleich der 15jährigen HauptschülerInnen der Dortmunder Landwehr 8. Klasse in den Naturwissenschaften Anzahl der befragten 15jährigen in der 8. Klasse Noten sehr gut gut befriedigend ausreichend mangelhaft Mathematik Winter 2005 1 4 12 12 4 Mathematik Sommer 2004 1 7 13 11 Chemie Winter 2005 5 15 10 Chemie Sommer 2004 5 6 11 1 Physik Winter 2005 4 7 4 Physik Sommer 2004 1 4 9 6 Biologie Winter 2005 2 3 14 11 Biologie Sommer 2004 4 8 12 6 Tab. 4.1.1.7f: Leistungsvergleich der 15jährigen HauptschülerInnen der Dortmunder Landwehr 7. Klasse in den Naturwissenschaften Anzahl der befragten 15jährigen in der 7. Klasse Noten gut befriedigend ausreichend mangelhaft Mathematik Winter 2005 2 6 7 Mathematik Sommer 2004 1 10 3 Chemie Winter 2005 2 4 6 Chemie Sommer 2004 1 5 4 1 Physik Winter 2005 3 4 7 Physik Sommer 2004 2 5 3 Biologie Winter 2005 1 9 4 1 Biologie Sommer 2004 3 8 3 136 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Auch wenn es in den Naturwissenschaften Fächer gibt, die das modulhafte Lernen unabdingbar machen, wie zum Beispiel Biologie, so sollte meiner Meinung nach, um das Interesse bei den Schülerinnen und Schülern am Lernen lebhaft zu lassen, bei der Didaktik eine etwas größere Sorgfalt hinsichtlich der Schnittstellen, die die einzelnen Module haben, an den Tag gelegt werden. Im Fach Mathematik kann kein modularer Unterricht in der Sekunda gewährleistet werden. Zwar sieht der Lehrplan von der Algebra und der Arithmetik bis zur Geometrie verschiedene Themen vor, doch all diese Themen sind von den Schülerinnen und Schülern durch reines Interesse kaum zu bewerkstelligen, wenn sie Lücken in vorangegangenen Themen aufweisen. Soll heißen, wer mit Brüchen nicht umgehen kann, von dem lässt sich nicht erwarten, dass er oder sie so ohne weiteres Gleichungen mit zwei Unbekannten lösen kann. Solche Lücken lassen sich aber nicht beliebig durch eine angemessene Didaktik des Lehrpersonals schließen, ohne dass dies auf die Kosten der Schülerinnen und Schüler geht, die keinerlei Lücken im Fach Mathematik aufzuweisen haben. Gerade an dieser Stelle sollte die Begabungsförderung Heranwachsender ansetzen und u. a. mithilfe des Trainingsraumprojektes nach FORD, das im Anhang dieser Ausarbeitung etwas ausführlicher angesprochen wird, ansetzen. Dies entlastet sowohl Schülerinnen, Schüler, Lehrer und Lehrerinnen. Denn wie ganz besonders die Grafik 4.1.1.7e zeigt, verbessern sich die Noten – hier in den naturwissenschaftlichen Fächern – keinesfalls dadurch, dass Klassenstufen wiederholt werden. Abb. 4.1.1.7a: Leistungsspiegel der 15jährigen Landwehr-HauptschülerInnen, Dortmund in den Naturwissenschaften Abb. 4.1.1.7c: Leistungsspiegel der 15jährigen Landwehr-Hauptschüler, Dortmund in den Naturwissenschaften Abb. 4.1.1.7d: Leistungsspiegel der 15jährigen Landwehr-HauptschülerInnen, Dortmund 9. Klasse in den Naturwissenschaften Abb. 4.1.1.7b: Leistungsspiegel der 15jährigen Landwehr-Hauptschülerinnen, Dortmund in den Naturwissenschaften 137 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Abb. 4.1.1.7f: Leistungsspiegel der 15jährigen Landwehr-HauptschülerInnen, Dortmund 8. Klasse in den Naturwissenschaften Abb. 4.1.1.7e: Leistungsspiegel der 15jährigen Landwehr-HauptschülerInnen, Dortmund 7. Klasse in den Naturwissenschaften Auffallend, dass alle Grafiken von 4.1.1.7a bis f stark dem naturwissenschaftlichen Interesse der Jugend Anfang der 90iger Jahre ähneln (vgl. Abbildung 4.1.1.4.). Dass all diese Abbildungen annähernd normalverteilt sind, spricht nicht unbedingt für durchschnittliche Leistungen und erst Recht nicht für ein gehobenes Interesse am Lernen der Schülerinnen und Schüler. Eine ideale Verteilung würde negativ exponentiell verlaufen, wenn die Abszisse den Notenverlauf von links mit guten Leistungen nach rechts mit weniger guten Leistungen und die Koordinate von unten mit geringem Lerninteresse nach oben mit hohem Lerninteresse verliefe, dann sähe das Idealverhältnis aus, wie es in Abbildung 4.1.1.7.o. auf Seite 144 dargestellt ist. Abb. 4.1.1.7g: Zwei Mathematik-Benotungen im Halbjahresvergleich bei den Mädchen Abb. 4.1.1.7h: Zwei Mathematik-Benotungen im Halbjahresvergleich bei den Jungen 138 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Abb. 4.1.1.7i: Zwei Chemie-Benotungen im Halbjahresvergleich bei den Mädchen Abb. 4.1.1.7j: Zwei Chemie-Benotungen im Halbjahresvergleich bei den Jungen Abb. 4.1.1.7k: Zwei Physik-Benotungen im Halbjahresvergleich bei den Mädchen Abb. 4.1.1.7l: Zwei Physik-Benotungen im Halbjahresvergleich bei den Jungen Abb. 4.1.1.7m: Zwei Biologie-Benotungen im Halbjahresvergleich bei den Mädchen Abb. 4.1.1.7n: Zwei Biologie-Benotungen im Halbjahresvergleich bei den Jungen Bei genauer Ansicht der Grafiken 4.1.1.7g bis n fällt auf, dass bei den Jungen in den Mathematikleistungen eine Verbesserung im Mittelfeld festzustellen ist, wohingegen bei den Mädchen die Leistungen im Mittelfeld um fast ein Fünftel im gleichen Zeitraum gesunken ist. Im Fach Chemie dagegen ist es genau umgekehrt. Mehr als ein Fünftel aller Mädchen haben im Mittelfeld ihre Leistungen in diesem Fach innerhalb eines Halbjahres verbessern können, während die mittelmäßigen Leistungen bei den Jungs im Fach Chemie sich in diesem Halbjahr verschlechterten. Die Physiknoten der Mädchen waren laut eigenen Angaben im Sommer 2004 um das Mittelfeld herum nahezu normalverteilt. Im folgenden Zeugnis Winter 2004 / 2005 dagegen gibt es um die Mittelfeldnoten herum einen starken Einbruch. Ganz anders bei den Jungs, wovon laut eigenen Angaben die Hälfte mittelmäßige Noten im Sommer 2004 als Physiknote auf dem Zeugnis verbuchten, so stieg im darauf folgenden Winterzeugnis die Zahl der mittelmäßigen Jungen rapide an. Einen beachtlichen Kurvenverlauf 139 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet nehmen die Leistungen in Biologie für beide Geschlechter, wo sich gerade die niedrigsten Schulleistungen haben sowohl bei den Mädchen als auch bei den Jungen steigern können. Das ging offensichtlich auf Kosten derjenigen Mädchen und Jungen, die im Zeugnis davor gute Noten zu verzeichnen hatten. Denn dort nahm die Zahl besonders der Leistungsträgerinnen rapide ab. Auch bei den Jungen verläuft die Biologieleistungskurve bei den hohen Leistungen so, dass sich mutmaßen ließe, dass gute Schüler möglicherweise innerhalb eines Halbjahres in diesem Fach unterfordert gewesen waren. Abb. 4.1.1.7o: Die Lerninteresse-/Leistungskurve 4.1.1.8. Interesse an Mathematik Abb. 4.1.1.8.: Interesse an Mathematik der Jugend Anfang der 90iger Jahre Das Interesse an Mathematik scheint laut Studie der DEUTSCHEN SHELL-Stiftung besonders nach der Pubertät anzusteigen. Ich mutmaße, dass besonders nach der Schulzeit eine andere Verpflichtung und eine andere Sichtweise an das Fach Mathematik gelegt wird. Möglicherweise wird erst im kommenden beruflichen Alltag den Jugendlichen bewusst werden, dass Mathematik nicht für die Schule, sondern fürs Leben gelernt wird. Mag sein, dass sie eines Tages im beruflichen Alltag gefordert werden, eigenständig einen Dreisatz aufstellen und lösen zu müssen. Oder dass sie mit Brüchen konfrontiert werden. Darum sollte eine Lehrkraft, die den Jugendlichen ‚Mathematik fürs Leben‘ lehrt nicht nur im Fachgebiet Mathematik gut geschult, sondern auch in der Didaktik fähig sein. Vielleicht gar fähiger als eine Lehrkraft in irgendeinem anderen Fach. Denn wie sonst lässt es sich erklären, dass Geometrie im Allgemeinen auch bei den Schülerinnen und Schülern gut ankommt, die als mathematisch ‚unbegabt‘ gelten? Hängt es wohlmöglich damit zusammen, dass in 140 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet der Geometrie dem Zeichnen von physikalischen Körpern und Gebilden eine große Rolle zukommt? Warum wird im Allgemeinen dem Bruchrechnen weniger Aufmerksamkeit zuteil als der Geometrie? Oder warum ist das arithmetische Rechnen beliebter als das Rechnen mit Unbekannten in der Algebra? Gerade im Fach Mathematik ist kontingentes Lernen besonders wichtig und darf nicht durch Vorgaben im Lehrplan eingeengt werden dürfen. Im schulischen Alltag sieht das allerdings anders aus. Die Lehrkraft in Mathematik ist zu sehr an den Vorgaben des Lehrplanes gebunden und dieser Lehrplan lässt wenig Freiraum für wichtige Wiederholungsübungen. Mathematik lebt aber von Wiederholungen, weil es – mehr als andere Fächer – ein stringentes Fach ist. Wer keine Brüche lösen kann, der wird keine Algebra oder Geometrie beherrschen. Beim Lehren von Mathematik sollte dem Lernenden erst einmal bewusst gemacht werden, wofür Mathematik überhaupt gebraucht wird. Keinem 15jährigen sollte sich erst die Frage stellen müssen, ob das Lernen von Mathematik überhaupt einen Sinn ergibt. Eine gute Lehrkraft unterweist die Schülerinnen und Schüler in die Psychologie der Mathematik und erklärt ihnen, dass der Mensch von Natur aus eine mathematische Begabung hat, die schon damit anfängt, Dinge wahrzunehmen und zu sortieren. Und dass beim Sortieren sich die Addition als erstes gewissermaßen aufdrängt. Des Weiteren sollte dann nicht unerwähnt bleiben, dass es in der Natur des Menschen liegt, Verluste nur schwerlich zu akzeptieren und es prinzipiell somit jedem Menschen schwerer fällt zu subtrahieren, statt zu addieren. Wenn dann eine Lehrkraft gegenüber seinen Schülerinnen und Schülern in Mathematik ehrlich genug ist, um zu beweisen, dass dem Menschen prinzipiell das Teilen schwerer als das Multiplizieren fällt, dann kann die Lehrkraft darauf hinweisen, dass sie a priori weiß, dass ein und dieselbe Klassenarbeit im gesamten schlechter ausfallen wird, wenn aus den gegebenen positiven Vorzeichen der Aufgabenstellung negative Vorzeichen gemacht werden. Die Natur des Menschen gilt als geizig, die lieber vermehrt als verliert. Somit ist in der Psychologie der Mathematik auch zu erklären, dass im Schnitt eine Aufgabe in der multipliziert werden soll, besser gelöst wird, als die gleiche Aufgabenstellung als Division. Jedoch lässt sich im schulischen Alltag nicht jede mathematische Aufgabe mit der Natur des Menschen oder mit der Natur als solche erklären. Es gibt in der Mathematik reichliche Abstraktionen, die aus dem menschlichen Denken selbst stammen. Als Beispiel dafür gilt das Rechnen mit Potenzen oder mit geometrischen Winkeln. Es lässt sich vermuten – wenn den Schülerinnen und Schülern Mathematik psychologisch zu Beginn nahe gelegt wurde – und auch erwarten, dass das Interesse an der Mathematik erst durch kontingentes Lehren entfacht werden wird. Allein die Tatsache, darauf hinzuweisen, dass Mathematik eine Sprache ist, die überall auf der Welt verstanden wird, vermag schon einige Blockaden, die aus Abneigung gegenüber dem Fach Mathematik entstanden sind, aufzulösen. Mathematik ist im Grunde genommen ein kreatives Fach, welches vom Mitdenken stärker geprägt ist, als viele andere Fächer. Ich möchte sogar soweit gehen, behaupten zu dürfen, dass Mathematik eines der interdisziplinärsten Schulfächer darstellt. Denn Mathematik findet sich in musischen Bereichen genauso wie auf sprachlichen und geisteswissenschaftlichen Ebenen. Die Kunst kennt beispielsweise additive und subtraktive Farbmischungen. 349 Die Musik besteht zum Großteil aus Brüchen; z. B. aus ganzen, halben, viertel und achtel Tönen. Die Sprache, wie zum Beispiel die Programmiersprache ist algorithmisch und somit mathematisch. Auch 349 additive Farbmischungen entstehen durch Lichtfarben (z. B. bei der Übertragung von Farbfernsehsignalen) und subtraktive Farbmischungen entstehen durch chemische bzw. organische Farben (z. B. beim Komponieren von Pastellfarben) 141 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet wenn die Mathematik regelgebunden ist, so lässt sie doch den Anwender bzw. der Anwenderin genügend Spielraum, eigene Rechenwege zu beschreiten oder gar neue Wege zu erfinden: „In der mit 100 Schülern überfüllten Schulstube erteilte der Lehrer die Aufgabe, alle Zahlen von 1 bis 100 zu addieren. Lange vor seinen Mitschülern hatte der kleine CARL FRIEDRICH (GAUSS) das richtige Ergebnis parat. Anhand von 50 Zahlenpaaren mit der Summe von 101 (1 + 100, 2 + 99, 3 + 98 und so weiter) löste er die Aufgabe mit 50 x 101 = 5050 als richtiges Ergebnis.“350 4.1.1.9. Anstrengung und Dauer beim Lernen Lernen ist keine Frage von Dauer und Anstrengung allein. Lernen braucht das richtige Umfeld. Ich erinnere mich gern an eine Sendung der US-amerikanischen Comic-Kult-Serie ‚THE SIMPSONS‘, wo das Lernen auf vergnügliche und dennoch anschauliche Weise zum Thema wurde. Es ging in dieser Sendung um den kleinen Schulversager Bart Simpson, der sich von einem strebsamen und unbeliebten Mitschüler in die Hohe Kunst des effizienten Lernens unterweisen ließ. Der ‚Streber‘, der ein sozial interaktives Übereinkommen mit Bart traf (auf das ich hier nicht näher eingehen möchte), räumte zuerst Barts Kinderzimmer auf und nahm sich vor allem dabei Barts mit vielerlei unnützen Krams überfrachteten Schreibtisch vor. Will sagen: Lernen braucht Raum. Manche brauchen zum Lernen Ruhe, andere profitieren davon, wenn Hintergrundgeräusche wie zum Beispiel Musik aus dem Radio oder Fernsehen läuft. 4.2. Fördern der allgemein- und berufsbildenden Kompetenzen mithilfe des Internets Eine maßgebliche Kompetenz im beruflichen Alltag ist der Umgang mit den Neuen Medien. Das Internet ist eines von vielen Medien, welches – wie alle anderen Medien auch – eine gewisse Kompetenz erfordert, bekannt auch unter der Begriffskombination Medienkompetenz, die einen mündigen Umgang mit Medien beschreibt. Mit dem Begriff der Medienkompetenz wird „offensiv nach den innovativen Möglichkeiten mit Medien gefragt“. 351 Die Medienkompetenz verlangt heute und auch in naher wie ferner Zukunft dem Menschen ein gehöriges Maß an persönlicher Disziplin genauso wie an Flexibilität ab. Disziplin in der Medienkompetenz bedeutet in sofern, dass es gilt sich stets mit innovativen Methoden gesellschaftlicher Informationsverarbeitung auf den „neuesten Stand der Dinge“ halten zu lassen und so „mit der Zeit zu gehen“ (wer beispielsweise heutzutage nicht stets und fast überall mit Mobilfunk erreichbar ist, ist von seinem Status als handelnder Rollenträger entweder der Gesellschaft zu „unwichtig“ oder zu „wichtig“). Flexibilität in der Medienkompetenz heißt dem Trend zu folgen, den die Medienwelt als solchen vorgibt. Sei es dabei sich auf neue mediale Prozesse in der Arbeitswelt einstellen zu können, sei es sich stets mit den permanent modifizierenden Regeln der System- sowie der Spieltheorie medienkompetent auseinandersetzen zu können (wer beispielsweise heutzutage nicht über einen Internetzugang verfügt, sei es beruflich oder privat, wird gleichermaßen wie eben bereits erwähnt als gesellschaftlich anerkanntes Individuum statusbedingt in Frage gestellt). Diese Phänomene hinsichtlich der Mediendisziplin und Medienflexibilität betreffen nicht explizit das Individuum, sondern und vor allem auch gesellschaftliche Organe, wie Institutionen, Organisationen, Unternehmen, Parteien und Verbände. Letztendlich wirft diese Form des sozialen Handelns doch wieder Licht und Schatten auf jeden Einzelnen zurück, denn es ist letztlich das Individuum, 350 351 http://www.gaussjahr.de/gauss.php, Stand: 30.12.2006 07:38 Thilo Hardt, „Das Internet als Herausforderung politischer Bildung“, a. a. O. , S. 149 142 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet das den Umgang mit den Neuen Medien lernen, dabei Erfolge und Niederschläge verkraften muss. Dafür sind nach HARDT vor allem zwei Komponenten, ausschlaggebend, die erlernt werden sollten352: - die Befähigung zum souveränen Medienumgang die Fähig- und Fertigkeiten jedes einzelnen, mit dem technologischen Wandel fertig zu werden Maßgeblich für einen kompetenten Umgang Heranwachsender mit Medien ist auch eine Neustrukturierung des klassischen Schulungsunterrichts. Dabei soll nicht auf die grundlegenden klassischen Schulfächer verzichtet werden müssen, doch zugunsten eines modularen Wissensaufbaus, der entscheidend ist, um ‚mit dem technologischen Wandel fertig zu werden’, sollten die klassischen Schulfächer stärker ineinander verzahnt werden können. Ein Beispiel dafür hat „ Niedersachsen, das einzige Bundesland, wo die Mobilitätserziehung nun in alle Jahrgänge der allgemeinen und berufsbildenden Schulen hineinreicht – festgeschrieben im Lehrplan und fächerübergreifend. Es wurde kein neues Schulfach geschaffen, sondern die Lerninhalte in sieben klassische Fächer – Deutsch, Englisch, Physik, Biologie, Sport, Kunst und Gesellschaftskunde – integriert.“ 353 Diese Erziehung zur Mobilität meint nicht den Aufbruch einer immer mobiler werdenden Gesellschaft als solche, sondern eher die eigene Mobilität in Bezug auf flexibles Denken und Handlungsmobilität. Um solche Kompetenzen zu lehren und zu lernen sollte der Gestaltungsfreiheit der Lehrkörper, wie der Schülerschaft und der Schulleitung einen breiten sozialen Handlungsspielraum eingeräumt werden. Dieser Handlungsspielraum sollte dann nicht nur für den Schulunterricht gelten, sondern auch über das Schulgebäude hinaus seinen Geltungsbereich haben dürfen. Um einen solchen Gestaltungsspielraum schaffen und einrichten zu können, bedarf es vor allem an Personal und Kapital. Gerade in dieser Bedarfssituation befinden sich staatliche Schulen in einer wohl nie da gewesenen Konkurrenzsituation. Als Anbieter der klassischen Wissensvermittlung erkennen viele Schulen, dass „Medien ubiquitär geworden sind und Lernen mit Medien immer weniger an schulische Institutionen bzw. Unterricht gebunden ist, was sich auch an der Entwicklung des Internets ablesen lässt.“354 Darum soll die Befähigung zum ‚souveränen Medienumgang’ auch als ein Element allgemeiner und beruflicher Bildung verstanden werden dürfen. Darauf beruft sich das BILDUNGSMINISTERIUM NORDRHEIN-W ESTFALENS und will diese Kompetenz355 als - Befähigung zum Umgang mit allen Medien und den Produkten der Informationsund Kommunikationstechnik, Befähigung der Nutzung der Medien zum Lernen und Gestalten, Urteilsfähigkeit gegenüber den Botschaften der Medien ausgestattet wissen. Der Kapital- und Personalbedarf für die Ausstattung an Schulen dürfte schnell berechnet sein. Die parlamentarischen Debatten über die Mittelherkunft werden irgendwann einmal beendet sein müssen. Und an dem Tag, an dem 352 ebd. Zellner, Marion: „Schule fürs Leben – In der Autostadt in Wolfsburg können Kinder und Jugendliche einen völlig neuartigen Mobilitätsunterricht erleben“, Süddeutsche Zeitung, #282, 4. u. 5.12.2004, www.autostadt.de 354 Thilo Hardt, „Das Internet als Herausforderung politischer Bildung“, a. a. O. , S. 147 355 Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ – Leitvorstellungen, 1995, a. a. O., S. 137 353 143 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet jede Schülerin und jeder Schüler im Unterricht vor einem Rechner sitzen wird, der als mediales Instrument zur Wissensvermittlung und -Verarbeitung dient, wird dann der Beginn einer komplexeren Herausforderung im Schulalltag werden. Denn dient und diente das Buch als ein greifbares Element, das auf seine Weise Wissen im wahrsten Sinne des Wortes in sich gebunden hat, so ist der Rechner als Medium ein ‚Suchvehikel zwischen Festplatte und Internet für erworbene Informationseinheiten und zu suchende Wissensbruchstücke’, als auch für die von den NutzerInnen eigens angesammelten Erkenntnisse. Sowohl bei der Verarbeitung einzelner Informationen als auch bei der Gesamtbetrachtung des Festplatteninhalts jedes einzelnen Arbeitsrechners wird dann das zuletzt aufgeführte Element Medienkompetenz als einer der wesentlichsten Kompetenzen in seiner sichtbarsten Form Rechnung getragen. Eine Urteilsfindung hinsichtlich der erbrachten oder der zu erbringenden Schulleistungen könnte bei der Rechnernutzung jeder einzelnen Schülerin und jedes einzelnen Schülers diffiziler und somit abstrakter ausfallen, als bei der Nutzung des Schulbuchs. Eine solche Urteilsfähigkeit zu schulen dürfte meiner Ansicht nach vor allem mit der interaktiven Nutzung des Neuen Mediums, so wie sie im Kapitel 3.3. „Die Rolle des Internets im ökonomisch-sozialen Umfeld der Schule und Ausbildung“ ausführlicher vorgestellt wurde, zusammenhängen. Eine solche Nutzung beschreibt HARDT356 mit den - vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten in einem ‚echten‘ Kommunikationsraum und der synergetischen Nutzung des Medienverbundes Bei aller Divergenz des Medienbegriffs sollte die Gefahr in einer Nutzen-Aufwandoder wirtschaftlich ausgedrückt, Kosten-Nutzen-Diskussion steckenzubleiben, umgangen werden dadurch, dass zwar Medien als das Kapital zur Wissensvermittlung angesehen werden sollten, weil „allen Konkretisierungen des Medienbegriffs im Kontext von Lehr- / Lernsituationen ist bisher gemeinsam, dass Medien als Gegenstände verstanden werden, mit denen eine didaktische Intention verknüpft ist“ 357 , jedoch eine Überbewertung über die didaktische Wertigkeit dabei vermieden werden: „Die didaktische Wertigkeit eines Mediums wird nicht allein – wie vielfach angenommen – durch dessen Qualitätsmerkmale entschieden, sondern ist auf den Zusammenhang, in dem das Medium eingesetzt wird, zu beziehen. So kann eine schlecht gestaltete und geschriebene Software ihren Zweck in einer bestimmten Lehr- und Lernsituation so optimal erfüllen, dass Lehrende und Lernende bereit sind, über alle Mängel hinwegzusehen. Umgekehrt kann eine aufwendig gestaltete und aufbereitete Multimediapräsentation ihre Wirkung bei Lernenden klar verfehlen.“358 Zurück zum Begriff der Medienkompetenz sollte an dieser Stelle an die Herkunft des Kompetenzbegriffs erinnert werden, da dieser reichliche Referenzen aus Wirtschaft und Politik zu geben weiß. „Der Kompetenzbegriff wurde aus der Biologie und Linguistik in die Sozialwissenschaften übernommen, wo er zunächst in den von JÜRGEN HABERMAS entworfenen Konzept der kommunikativen Kompetenz große 356 Thilo Harth, „Das Internet als Herausforderung politischer Bildung“, a. a. O., S. 83 ebd. S. 146 358 ebd. S. 150 357 144 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Beachtung fand.“359 In diesem Sinne der kommunikativen Kompetenz halte ich es für erwähnenswert, dass der Kompetenzerwerb gar nicht so sehr darin besteht, einen alleinigen Schwerpunkt auf den Umgang mit Medien zu setzen – also im konzeptionellen Sinne mit ‚Medien kommunizieren zu können’ – sondern der Schwerpunkt liegt meines Erachtens stärker auf der kommunikativen Interaktion zwischen Individuen selbst, die die Medien gestalten und denen, die gestaltete Medien zu nutzen verstehen wollen. Mit dem Internet hat gerade Deutschland zum Ende des letzten Millenniums eine neue netzwerkhafte und soziale Herausforderung aus den USA adoptiert mit der meiner Ansicht nach auch weniger erzieherisch schwerfällig hätte umgegangen werden können: „(Doch) erst in den 90er Jahren hat der Begriff Medienkompetenz in Zusammenhang mit der forcierten Entwicklung und gesellschaftlichen Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien eine Konjunktur erfahren, der ihn, mehr noch als in den USA geläufigen Begriff der ‚media literacy‘, in den Status einer neuen, universalen Basisqualifikation erhebt.“360 Eines weniger schwerfälligen Umgangs mit diesem Medium lässt das Freiheitsverständnis, das in Europa herrscht nicht zu, da die Persönlichkeitsrechte mit der Veröffentlichung von Wort und Bild anders verstanden werden als in den USA. Ein besonderes diskursives Beispiel stellen die US-amerikanischen pornografischen oder gewaltverherrlichenden frei zugänglichen Darstellungen im Internet dar, die der freiheitlichen Auffassung vom Wort und Bild der Amerikaner entsprechen und somit in den USA legitim sind (vgl. Kapitel 3). Dadurch steht dem Erwerb der Medienkompetenz – die räumlich und zeitlich durch den Zugriff aufs Internet unbegrenzt gefordert ist – in Europa und ganz besonders in Deutschland eine neue Herausforderung ins Haus. Deswegen sollte gerade Schule sich dieser Herausforderung nicht verweigern und gemeinsam mit ihren Schülerinnen und Schülern vor allem die drei Dimensionen der Medienkompetenz nach BUSCHMEYER 361 eine verstärkte Aufmerksamkeit entgegenbringen: - Schulung und Schärfung der Wahrnehmung inhaltliche Auseinandersetzung Einübung in Formen des öffentlichen Austauschs Dabei sollte Medienkompetenz nicht lehrplanmäßig abgehakt werden, da diese „immer mehr zu einem notwendigen Teil der Allgemeinbildung wird. Medienkompetenz wird dabei verstanden als Kompetenz, die Medien in ihrer Konstruktivität und in ihren Wirkungen wahrzunehmen, sie gleichzeitig genießen, kritisch beurteilen und auswählen zu können und sie aktiv, sozialverantwortlich, sachgerecht, kreativ und selbstbestimmt nutzen zu können.“362 Solche Nutzungsmöglichkeiten setzen ein hohes Maß an Vertrauen im Bereich der bereits erwähnten kommunikativen Kompetenz voraus. Das trifft Lehrende wie Lernende gleichermaßen. Denn „Medienkompetenz bewegt sich (somit) zwischen pragmatisch-funktionaler Orientierung und einem weitgefassten, subjektorientierten Bildungsideal der modernen Mediengesell- 359 Hufer, Klaus-Peter / Weißeno, Georg (Hrg.): „Lexikon der politischen Bildung“, a. a. O., S. 170 unter dem Begriff „Medienkompetenz“ beschrieben von Friedrich Hagedorn, anlehnend an J. Habermas: „Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz“ in Habermas / Luhmann: „Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie“, Frankfurt 360 Hufer, Klaus-Peter / Weißeno, Georg (Hrg.): „Lexikon der politischen Bildung“ unter dem Begriff „Medienkompetenz“ beschrieben von Friedrich Hagedorn, a. a. O., S. 170 361 „Medien und politische Bildung“ beschrieben in: „Außerschulische Bildung“, a. a. O. 362 Hufer, Klaus-Peter / Weißeno, Georg (Hrg.): „Lexikon der politischen Bildung“ unter den Begriff „Medienkompetenz“ beschrieben von Herman Buschmeyer, a. a. O., S. 167 145 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet schaft.“363 Es ist gerade dieses weitgefasste und subjektorientierte Bildungsideal, das es zu erreichen gilt, welches an der Spitze der Agenda steht, weil sich „Medienkompetenz auf alle Medien, Menschen und Situationen gleichermaßen beziehen lässt.“364 Um ein solches Ideal erreichen zu können, sind ‚Rahmenbedingungen der Medienkompetenz’365 Voraussetzungen. HAGEDORN umreißt diese Bedingungen mit vier Eckpfeilern: - adäquate Möglichkeit der Mediennutzung verbindliche Vermittlung von Medienkompetenz in allen allgemeinbildenden Schulformen Förderung der Medienkompetenz mit lebenslangen bzw. lebensbegleitenden Lernkonzepten gesellschaftliche Verständigung Medienkompetenz wird oft auch einfach als „Akzeptanzsicherung der den Medien zugesprochenen zentralen Zukunftsbedeutung“ 366 verstanden. Immer schon wurde den Medien eine Zukunft prosperiert. Seit Erfindung des gedruckten Buches durch GUTENBERG wurde immer schon orakelt, welche gesellschaftliche Bedeutung diese Innovation nach sich ziehen könnte. Die Verbreitung von Wort und Bild, die von diesem Zeitpunkt ausging und sich mit weiteren Möglichkeiten neuer Technologien zusammentat, um ein immer größer werdendes Publikum zu erreichen, hatte in allen Varianten auch Pessimisten auf den Plan gerufen, die der Akzeptanz eines neuen Mediums keinerlei zentrale Bedeutung für die Zukunft voraussagten. Zuletzt war dies das damalige Zweifeln im IBM-Management, das den Personalcomputern wenige Chancen auf eine marktfähige Zukunft zusprach. Solche Akzeptanzzweifel wird es immer geben. Das war bei den Mobilfunktelefonen so und wird sicherlich vor anderen technologischen Neuheiten keinen Halt machen. Entscheidend bleibt letztlich, ob die Verbraucherinnen und Verbraucher dieses neue Medium annehmen und sich damit auf Dauer auch auseinandersetzen. Somit „muss Medienkompetenz als politisches Handlungskonzept ebenso auf demokratische Kontrolle und möglichst weitreichende öffentliche Partizipation an Medienentwicklung und Medienorganisationen ausgerichtet sein.“367 4.2.1. Das Internet als Lehrmedium Die meiner Meinung nach explizite Formulierung, die sich über Art und Wesen eines Lehrmediums in der soziologischen Literatur finden lässt, kommt von NICLAS LUHMANN. Er erklärt den Nutzen von Lehrmedien als einen „lose gekoppelten Zusammenhang von Elementen, der für Formung verfügbar ist, und Form ist die rigide Kopplung eben dieser Elemente, die sich durchsetzt, weil das Medium keinen Widerstand leistet.“368 Dieser Umstand der rigiden Kopplung von Elementen ist für Lehrende im modernen Informationszeitalter zum Fluch und Segen gleichermaßen geworden. Ließ sich in der Epoche vor dem Siegeszug des Internets in Klassen363 ebd. S. 171 ebd. S. 171 365 ebd. S. 171 366 Hufer, Klaus-Peter / Weißeno, Georg (Hrg.): „Lexikon der politischen Bildung“ unter dem Begriff „Medienkompetenz“ beschrieben von Friedrich Hagedorn, a. a. O., S. 171 367 ebd. S. 172 368 Luhmann, Niklas: „Die Wissenschaft der Gesellschaft“, a. a. O., S. 53 364 146 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet zimmern Anschauungsmaterial mithilfe von Lehrbüchern relativ verzögerungsfrei an die Didaktik des Unterrichtens koppeln, so ist es nun für das Lehrpersonal selbst oftmals eine Herausforderung, die Lehrinhalte des Internets an die eigene Didaktik im Klassenzimmer anzukoppeln. Dass PESTALOZZI und COMENIUS Medien noch als „Hilfsmittel zur Veranschaulichung von Lerninhalten in der Hand des Lehrenden“369 ansahen, dürfte nicht erst seit heute als überholt gelten. Denn das hat sich zwar seit MONTESSORI aus der generellen Verankerung in der Hand des Lehrenden zu Händen der Lernenden verschoben, aber es ist nicht völlig aus den Händen des Lehrenden geglitten. Im Gegenteil, denn „die Inhalte und Merkmale von Medienprodukten werden zum eigentlichen Lehrinhalt, weil die thematische Auseinandersetzung mit ihnen sowie der Erwerb von Kompetenzen im Umgang mit Medien im Mittelpunkt stehen.“370 Dem Erlernen von Medienkompetenz wird oft eine gewisse Begabung anheim gestellt. Dabei wird gern übersehen, dass „man nicht einfach sagen kann, Begabung ist ebenso vom Lernen abhängig wie Lernen von Begabung, und effektives Lernen ist entscheidend abhängig von der Art der Lehrverfahren, ohne die Lehrverfahren zu beschreiben, die mehr Hilfe versprechen als die bisher praktizierten.“371 Die bisher praktizierten Verfahren sind meines Erachtens immer noch stark an die Vorstellungen der Lehrenden über die Begabungen ihrer Lernenden gekoppelt. Was unter dem Begriff Begabung zu verstehen ist, wurde bereits im ersten Kapitel dieser Arbeit ausführlich dargelegt. Das eigene Verfahren der Wissensvermittlung wird noch zu wenig selbst hinterfragt: „Der Lehrer steht vor zwanzig, dreißig Schülern. Gleich wenn er eine Klasse neu kennenlernt, schaut er, um überhaupt Unterricht machen zu können, nach den Unterschieden, weniger nach den Gemeinsamkeiten. Wer ist impulsiv, wer ist zaghaft? Wer ist fair, wer verantwortungslos gegenüber Mitschülern? Wer kann etwas schnell zusammenfassen, so dass es auch die Langsameren verstehen? Wer ist an Körperbau und Erfahrung schon weiter als andere? Wer weiß schon viel, wer weiß wenig? usw. – Guter Unterricht ist der ständige Kampf um den größtmöglichen Ausgleich zwischen den Bedürfnissen und Fähigkeiten, ein möglichst geschicktes Kaschieren der Unterschiede, deren permanente Offenlegung zu Frustration bei den einen und Überheblichkeit bei den anderen führen würde. Die Didaktiker haben dafür ein findiges und teils sehr wirkungsvolles Repertoire so genannter Binnendifferenzierung entwickelt.“ 372 Eine solche Form der Binnendifferenzierung sollte ganz allein dem Lehrenden bewusst sein und nicht unbedingt als sein ausschließliches Bewertungskriterium gegenüber der Lernenden im Lehrverfahren gelten. Denn die Bewertung des Lehrenden über das Leistungspotential des Lernenden, die einer solchen Binnendifferenzierung unbestritten zugrunde liegen dürften, beruht einzig und allein auf Einschätzungen und Erfahrungen des Lehrenden. Doch „letztlich zählen eigene Erfahrungen und persönliche Lagen wenig, wenn es um die Normen des Schullebens, pädagogische Grundsätze und die Kriterien des Schulerfolgs geht.“373 369 Thilo Hardt, „Das Internet als Herausforderung politischer Bildung“, a. a. O. , S. 146 M. Kerres, „Multimediale und telemediale Lernumgebungen“ – Konzeption und Entwicklung, a. a. O., S. 20 371 Roth, Heinrich (Hrg.): „Begabung und Lernen“, a. a. O., S. 59 372 Schloemann, Johan: „Mehr als Nokia – Selektion und Integration: Geht beides zugleich?“, Süddeutsche Zeitung, #284, 07.12.2004, S. 13 373 Grundmann, Matthias / Huinink, Johannes / Krappmann: : „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“ – Familie und Bildung, Empirische Ergebnisse und Überlegungen zur Frage der Beziehung von Bildungsbeteiligung, Familienentwicklung und Sozialisation, a. a. O., S. 90 370 147 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Fürs Lehrverfahren insbesondere in Bezug auf die Neuen Medien sind gesammelte Erfahrungen nicht allein eines einzelnen Lehrers bzw. Lehrerin zur Nutzung der eben angesprochenen Binnendifferenzierung bedeutsam genug, sondern finden im Verbund der Lehrenden seinen wichtigeren Nutzen. Es geht dabei weniger um den eh schon traditionellen Austausch der Lehrenden untereinander in Konferenzen und Lehrerzimmern, sondern mehr um die Gestaltung und den Aufbau eines binnendifferenzierten Netzwerkes. „Allerdings sollte eines nicht vergessen werden: Diejenigen (Kolleginnen oder Kollegen), die an einer Schule ein lokales Netzwerk einrichten und betreuen, müssen über ihre übliche Arbeit hinaus eine sehr hohe Eigenmotivation und ein sehr großes Engagement aufbringen, was nicht selbstverständlich ist. Bildungspolitiker und Schulträger reden gern über die Notwendigkeit der informationstechnischen Bildung in der Schule; sie sollten deshalb auch über – entsprechend bei anderen zusätzlichen Tätigkeiten von Lehrkräften – eine Reduzierung des Stundendeputats von denjenigen nachdenken, die solche Arbeit auf sich nehmen.“ 374 Für solche netzwerktechnischen Herausforderungen dürfen nicht allein Lehrerinnen und Lehrer verantwortlich gezeichnet werden. Zumal dies, wie von KOERBER beschrieben, technisch-versiertem oder technisch-interessiertem Lehrper-sonal bedarf. Diese Herausforderung das Internet als Lehrmedium nicht nur in seinem Angebot selbst zu nutzen, sondern als Institution Schule auch selbst zu gestalten, ist ohne Zweifel auch mit in die Standortdiskussion einer Schule eingebunden. Denn „inzwischen erhält das Profil einer Schule einen anderen, vorrangig pädagogischen Stellenwert, bedingt durch das verstärkte Bedürfnis danach, nicht nur zufällige Standortvor- oder -nachteile dem Schulprofil zurechnen zu lassen, sondern dieses aktiv zu planen und zu gestalten und damit die pädagogische Wirkungskraft der Schule zu verstärken.“ 375 Um diese Herausforderung nach neuen medienkompetenten Lehrinhalten zu stemmen, braucht es Gestaltungsfreiheit und das auch gerade hinsichtlich der Lehrpläne. Bereits nach den Vorstellungen der Bildungskommission NRW’s Mitte der neunziger Jahre sollte „die eigene Lehrplanarbeit der Schulen ein wesentliches Element bei der Erarbeitung eigener Entwicklungsperspektiven sein.“376 Eine weitaus höhere Erwartung erzeugt hinsichtlich der Nutzung Neuer Medien die dabei zu erzielende Leistungseffizienz der Schülerinnen und Schüler. Das Internet sollte nicht dazu benutzt werden, um didaktische Vereinfachungen per Mouseclick herbeiführen zu können, so dass dieses Medium dem vielleicht für die Schülerinnen und Schüler weitaus unangenehmeren Gebrauch von Lehrbüchern erspart bliebe. Das Internet soll nicht zum Spaßfaktor im Klassenzimmer werden. Auch hier sollten die Erwartungen an die Leistungen der Lernenden nicht verwechselt werden mit angeblichen selbstlernenden Prozessen. Frei nach dem Motto: „Wozu soll ich etwas erlesen, erlernen oder gar auswendig lernen, wenn es eh unter GOOGLE zu finden ist.“ Vielmehr sollte beim Internet als Lehrmedium der Fokus auf selbsterlernte und selbstproduzierte Unterrichtsstoffe gelegt werden, die sich vom Erfolgserlebnis des eigenen Publizierens speisen lassen. Die Leistungseffizienz der Neuen Medien sollte demzufolge nicht als eine Bequemlichkeitsattitüde sowohl der Lehrenden als auch der Lernenden missverstanden werden. Denn fürs Lernen gilt immer noch die Feststellung von BANDURA: „Je höher die Leistungseffizienzerwartungen sind, um so höher die Wahrscheinlichkeit, dass die bedrohlichen Aufgaben erfolgreich bewältigt 374 Koerber, Bernhard: „Vernetzte Schulen“ – a. a. O. Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ – Gestaltungsfreiraum der Schulen, Ausgangslage, 1995, a. a. O., S. 142 376 ebd. S. 145 375 148 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet werden.“377 Diese Feststellung sollte auch im Umgang mit Neuen Lehrmedien gelten dürfen. Der Umgang mit Neuen Lehrmedien sollte auch nicht nach einem Ruf der Lehrenden für neue Lehrfächer führen müssen. Es gibt weitaus wichtigere Angelegenheiten, die heutzutage den Schülerinnen und Schülern vermittelt werden sollten. Demzufolge stimme ich persönlich SCHLAFFKE zu, wenn er daran erinnert, dass es wichtiger wäre „die naturwissenschaftlich-technische Grundbildung zu verstärken und mit den Methoden des Teamteaching Natur- und Geisteswissenschaften zusammenzubringen.“378 Denn gerade da zeigt die jetzige SchülerInnengeneration ein gewisses Manko, das von potenziellen Arbeitgebern zunehmend beklagt wird. Hier sollte der Umgang mit bereits vorhandenen Lehrmedien, ob nun konventioneller Natur oder durch die Nutzung des Internets stärker ansetzen. Dies gelingt jedoch nur, wenn die Strukturen der Lehrpläne geändert werden und sichergestellt ist, dass erstens Schülerinnen und Schüler an allen Schulen Deutschlands einen freien Zugang auf neue Lehrmedien haben und zweitens genügend medienkompetentes Lehrpersonal für eine solche Herausforderung im Umgang mit Lehrmedien zur Verfügung steht. 4.2.2. Das Internet als Lernmedium MARIA MONTESSORI hielt die Verfügbarkeit entsprechend gestalteter Medien für „die Voraussetzung zur eigenständigen oder kooperativen Auseinandersetzung der Lernenden mit den Lerninhalten“.379 Diese Erkenntnis spricht für die Bedeutung, die dadurch gerade den Neuen Medien zukommt. Es wird heutzutage wohl kaum jemand auf die Idee kommen können, Neue Medien als Mittel zum Zweck des Lernens überhaupt in Frage zu stellen. Interessant ist bei der Mediendiskussion vor allem die Frage, welche Lerneffizienz das Lernen am Modell der Neuen Medien mit sich bringen kann. Nach BANDURA fördert „aktiv teilnehmendes Lernen am Modell die erfolgreichen Ausführungen. Es ist das wichtigste Mittel psychologischer Veränderung. Vermeidet die Person subjektiv reale, doch objektiv ungerechtfertigte Bedrohungen, kann ihr Verhalten niemals mit real vorhandenen Bekräftigungsbedingungen in Berührung kommen. Durch die teilnehmende Modellierung erhält sie sehr rasch die Möglichkeit, die Realität zu überprüfen. Dadurch gewinnt sie die Korrekturerfahrung, die sie braucht, um ihr Verhalten zu verändern.“380 Vom Internet wird oft ein schneller Zugang zu Erkenntnissen erwartet, der sich jedoch spätestens bei der Nutzung manches mal als unbefriedend erweisen kann und ein entsprechendes Buch unter Umständen zur besseren Erkenntnisgewinnung dienen würde. Entweder wirkt die Informationsfülle des Internets auf den Lernenden so erdrückend, dass er sich ein Buch wünscht in dem die Antworten auf seine Fragen gesammelt und übersichtlich zu finden sind oder aber er gibt sich mit gefundenen Informationen aus dem Internet schnell zufrieden, auch wenn sie nur abstrakte und wenig konkrete Antworten auf seine Fragen geben. Das Finden von hilfreichen Informationen im Internet ist bedarfsweise auch mit dem direkten Informationsaustausch des Wissensvermittlers im Internet zu erreichen. Dazu bedienen sich Wissbegierige der Korrespondenz durch E-Mail, Foren oder Bloggs, um Fragen direkt formulieren zu können, in der Hoffnung, eine direkt formulierte Antwort zu erhalten. 377 Bandura, Albert: „Sozial-kognitive Lerntheorie“, a. a. O., S. 91 Schlaffke, Winfried: „Das Jugendsyndrom“ – Mut zur Technik – Vertrauen in die Zukunft, a. a. O., S. 51 379 Kerres, M., „Multimediale und telemediale Lernumgebungen“ – Konzeption und Entwicklung, a. a. O., S. 13 380 Bandura, Albert: „Sozial-kognitive Lerntheorie“, a. a. O., S. 89 378 149 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Dieser Vorgang erfordert neben Geduld und Ausdauer vor allem auch die Fähigkeit, Fragen präzise formulieren zu können. Nebst sprachlichen Kompetenzen, die diese Wissensermittlung benötigt ist ein freier Zugang zum Internet eine unabdingbare Voraussetzung, um sprachliche Begabungen Heranwachsender fördern zu können. Ich möchte an dieser Stelle zwei Seiten des Internets als exemplarisch nehmen, wie eine solche Förderung teilweise aussehen kann, um Lern- und Förderpotentiale von Heranwachsenden mithilfe des Internets stärker auszuschöpfen: GRIN ist beispielsweise ein Verlag aus München, dessen Kerngeschäft sich auf die Vermarktung von Diplom-, Haus- und Magisterarbeiten, sowie Vorträge oder Referaten konzentriert (www.grin.de381). Der Verlag hat im Internet eine Plattform für SchülerInnen und Studierende, die dort kostenlos in der Community Mitglied werden können. Das Archiv der gesammelten Hausarbeiten umfasst zurzeit 93 Themengebiete. Eines dieser Themen ist die Mathematik, welche ich mir mit ihren 280 Arbeiten, gegliedert in neun Themenbereiche etwas genauer angesehen habe. Zum Thema „Mathematikdidaktik“ finden sich dort zurzeit die meisten Arbeiten.382 Von SchülerInnen eingereichte Hausarbeiten und Referate können kostenlos heraufund heruntergeladen werden. Akadamische Arbeiten können kostenlos up-, aber nicht downgeloadet werden. Die Besucherinnen und Besucher dieses Portals können Linkvorschläge der Redaktion unterbreiten und somit interaktiv am weiteren Ausbau vom Grin-Portal beteiligt sein. Neben praktischen Hilfen für den Schulalltag können Schülerinnen und Schüler hier auch ihre Sorgen, Gedanken und Ängste austauschen. Erwachsene geben nicht selten dann wertvolle aus ihrem eigenen Alltag bezogene Erfahrungen als Lebenshilfen. HÄFFT ist ebenfalls ein Münchner Verlagshaus mit einem interaktiven Auftritt im Internet für Heranwachsende (www.haefft.de). Das Forum hier konzentriert sich stark aus Themen der Freizeit. Das Thema Schule im Forum wirkt auf den ersten Blick minimalistisch, doch unter dem Link „Schule, Hausaufgaben, Lerntipps“, versteckt hinterm Thementitel „MaThE“ arbeiten engagierte Helfer, die sehr zügig ausführliche und verständliche Antworten bei mathematischen Problemstellungen liefern.383 Eine weitere Hilfe bieten Lernprogramme, die im Internet meistens kostenpflichtig sind oder im Handel erworben werden können. Dabei eignet sich für das Lernen in den Sekundarstufen interaktive Software besonders gut. Zum einen, weil diese laufend aktualisiert werden können und sich somit den stets ändernden Problemstellungen der Lernenden stellen kann und zum anderen es den Nutzerinnen und Nutzern möglich macht, ihr individuelles Lerntempo mithilfe der Software umzusetzen. Somit würde „ein laufend sich selbst verbesserndes computer-gesteuertes Lernen den Lernschritten, Lernbarrieren und dem Lerntempo eines Individuums so gerecht werden können, dass – optimale Lernmotivation vorausgesetzt – das, was Lernen an Fähigkeiten aufschließen kann, auch ausgeschöpft wird.“384 381 Feibel, Thomas: „Die Internet-Generation“ – Chatsüchtig? Du weißt aber auch gar nichts – Ein Gespräch mit Marlene, a. a. O., S. 179 382 www.grin.de, Stand: 22.11.2006 07:00 383 http://www.haefft.de/forum/, Stand: 22.11.2006 09:50 384 Roth, Heinrich (Hrg.): „Begabung und Lernen“, a. a. O., S. 61 150 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Nebst allen dynamischen Ansprüchen mit der Lernsoftware konfrontiert werden kann spielt seine statische Komponente eine wesentliche Rolle, denn „wie die wissenschaftliche Entwicklung von Lehrprogrammen beweist könnten einzelne und bereits gut erforschte und entwickelte Lernabläufe durch beliebig reproduzierfähige Lehrmittel quasi konserviert und multipliziert werden, ohne dass sie ihre Anpassungsfähigkeit an individuelle Lernansprüche verlieren müssten. Auch diese Entwicklung eröffnet neue Hoffnungen für effektiveres Lernen.“385 Wie bereits erwähnt ist es nicht zwingend nötig, dass Lernsoftware dem industriellen Anspruch der Perfektion obliegen muss. Wertvoller sind Inhalte, die den Schülerinnen und Schülern eine sichtbare Aufforderung zur Ergänzung geben. Ähnlich dem Verfahren, das W IKIPEDIA praktiziert. Es sollte also bei der Anschaffung von Lernsoftware sowie beim kostenpflichtigen Nutzen von Lerninhalten im Internet seitens der Bildungsverantwortlichen nicht allein nach ökonomischen Gesichtspunkten entschieden werden, ob Schülerinnen und Schüler mit dieser Software oder diesen Inhalten konfrontiert werden sollen oder nicht. Die Frage, ob Lernsoftware nur dann gut ist, wenn sie einen entsprechenden ökonomischen Wert hat oder aber die Frage nach dem Budget der Schule für solche Anwendungen, sollte nicht an erster Stelle einer Überlegung stehen müssen, ob das Internet – respektive kostenpflichtige Zugänge bzw. Lernprogramme – als Lernmedium genutzt werden solle oder nicht, sondern es sollte eine intensive Qualitätskontrolle vorangehen, bevor Lehrende ihren Klientel dieses Medium zum Lernen anbieten. „Die Qualitätskontrolle soll in mehrfacher Weise, sowohl in der Form der Selbstevaluation als auch durch Fremdevaluation, gewährleistet werden. Die Schule soll sich über Zeitplan, Art der Evaluation, Dokumentation und Verfahren der Revision verständigen. Die Kriterien bzw. Rahmenbedingungen sollen zentral festgelegt werden.“386 Außerdem forderte die Bildungskommission NRW’s bereits in ihrem Bericht 1995, dass „die Kooperation mit anderen einschlägigen Einrichtungen und mit Förderern, zum Beispiel aus der Wirtschaft gestützt werden soll.“387 4.2.3. Erwerb sozialer und beruflicher Kompetenzen mithilfe des Internets Stärker denn je werden soziale Kompetenzen von Jugendlichen heutzutage vermisst. Solche Kompetenzen werden dem Individuum nicht genetisch mitgegeben, sondern sie müssen erworben werden. In allen Kulturen schufen „strukturelle Verfassung und eine Einbindung der Familie in weitere soziale Zusammenhänge (...) für die Heranwachsenden die Lebensphase und die Lernräume, die es ihnen möglich machten, zu den autonomen und kompetenten Subjekten zu werden, auf denen unser Sozialleben im persönlichen Lebensbereich und in den gesellschaftlichen Kooperationszusammenhängen aufbaut.“388 Wenn das Lehrpersonal – unabhängig der Schulform – heutzutage stärker denn je beklagt, dass die Aufmerksamkeit in den Klassenverbänden zu wünschen übrig lässt, dann steckt hinter dieser Klage auch ein Appell an die Gesellschaft, die daran erinnern lässt, von welcher Bedeutung „Aufmerksamkeitsprozesse, kognitive Ver385 ebd. S. 62 Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ – Gestaltungsfreiraum der Schulen, Leitvorstellungen, Kern-Curriculum und schulbezogene Lehrpläne, 1995, a. a. O., S. 145 387 ebd. S. 139 388 Grundmann, Matthias / Huinink, Johannes / Krappmann: : „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“ – Familie und Bildung, Empirische Ergebnisse und Überlegungen zur Frage der Beziehung von Bildungsbeteiligung, Familienentwicklung und Sozialisation, a. a. O., S. 91 386 151 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet arbeitung, die Verhaltensreproduktion und die Reaktionskonsequenzen für das Regellernen in ihrer Gesamtheit ist.“389 Es genügt nicht sich allein auf die Autorität der Lehrkraft dabei verlassen zu können, da schon allein die gesellschaftliche Anerkennung des Lehrerberufs hierzulande nicht den Stellenwert hat, den er eigentlich haben müsste. Wenn bereits das Elternhaus den Kindern bewusst oder unbewusst vermittelt, dass das Lernen eine lästige Pflicht ist, die allein in der physischen Anwesenheit einer Schülerin oder eines Schülers im Klassenraum besteht und offen oder schweigend vom Lehrpersonal gefordert wird, den Kindern etwas beizubringen, dann sieht sich die Lehrkraft bereits mit einem Defizit in der Gesamtheit des Regellernens seiner Schützlinge konfrontiert. Dann verwundert es auch nicht weiter, wenn zum Beispiel „KARL WITTE, Direktor des Bremer Schulzentrums im Stadtteil Huchting ein neues Unterrichtsfach namens UBV (Umgang, Benehmen, Verhalten) einführte oder der saarländische Bildungsminister JÜRGEN SCHREIER mit seinem Appell ‚Aller Anstand ist schwer’ eine Werte-Offensive an den Schulen herausforderte oder sich bereits 1999 der sächsische Kultusminister MATTHIAS RÖSSLER (CDU) als Disziplinierungsmittel wieder die Kopfnoten als Bewertungen für Betragen, Fleiß, Mitarbeit und Ordnung entsann.“390 Solche Regeln müssen nicht zwangsläufig bei der jungen Generation auf Ablehnung stoßen, wie der Bielefelder Soziologe KLAUS HURRELMANN in einem Interview klarstellt: „Kinder haben laut einer SHELL-Studie einen Wertewandel vollzogen und sind empfänglich für Verbindlichkeiten und Regeln, Freiheit ist nur möglich, wenn es Spielregeln gibt. Spielregeln als Kern des demokratischen Zusammenlebens. Ein autorativer und partizipativer Erziehungsstil muss her, was bedeutet, dass die Anerkennung von Autorität unter Beteiligung aller bringen soll. Benimm-Unterricht klingt nach erhobenen Zeigefinger. Es geht um die Vermittlung sozialer Kompetenzen: Wie gehe ich mit anderen um? Wie baue ich mein Selbstsbewusstsein auf? Wie ertrage ich es, auch einmal zurückgesetzt zu werden? Wie setze ich meine Bedürfnisse durch, ohne die anderer zu verletzten?“391 Bei dem Erwerb beruflicher Kompetenzen können „Veränderungen im Bildungswesen notwendigerweise nur in einem mittelbaren Verhältnis zu Veränderungen im Beschäftigungssystem stehen. Während in der Wirtschaft pragmatische, zum Teil kurzfristige Qualifizierungsmaßnahmen notwendig sind, bedarf das Bildungswesen längerfristiger Orientierungen, zumal zum Bildungsbedarf der Gesellschaft auch der außerberufliche Bereich gehört, der angesichts des Stellenwertes der Nichterwerbszeit an Bedeutung gewinnen wird. Wenn Schule dennoch ihre Funktion in der Vorbereitung auf das individuelle Berufsleben und in der Weiterentwicklung des Industriestandortes Bundesrepublik bzw. Nordrhein-Westfalen erfüllen soll, dann kann dies nur über die Befähigung zu flexiblem Handeln geschehen.“ 392 Dieses flexible Handeln, welches die derzeitige Regierung nicht mehr gern offen ausspricht, um seine Wähler-schaft nicht zu vergraulen, wird jenseits aller politischen Diskussionen um die Gunst der Wählerinnen und Wähler ihren Stellenwert in der Zukunft nicht nur halten, sondern im Zuge der weiteren Globalisierung sich noch stärker ausdehnen. Wenn die berufliche Handlungsflexibiliät nicht in die Köpfe der jungen Generation 389 Bandura, Albert: „Sozial-kognitive Lerntheorie“, a. a. O., S. 97 Burtscheidt, Christine: „Höflichkeit ist wieder gefragt – In vielen Bundesländern soll Schülern im Unterricht besseres Benehmen beigebracht werden“, Süddeutsche Zeitung, #205, 6. u. 7.09.2003, S. 2 391 ebd. 392 Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ – Aufgaben für die Schule, a. a. O., S. 53 390 152 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet vermittelt werden kann, dann ist das Ausbilden einer beruflichen Kompetenz bereits vertan. Eine weitere berufliche Handlungskompetenz, die in der Ausbildung gefestigt und in der Schulbildung vorbereitet werden sollte ist die Teamarbeit. Dies setzt ein gewisses Maß an Kontaktfreude bereits voraus, bevor eine Team sich überhaupt bilden lässt. Da heutzutage nicht wenige Kinder nicht nur unter materieller Armut, sondern auch unter Kontaktarmut leiden, dann begreife ich den Hintergrund einer solchen Behauptung nicht durch das Messen weitreichender Kontakte, über den Kinder in ihrem Umfeld möglicherweise verfügen, sondern hege Zweifel an der Qualität der Kontakte. Meiner Meinung nach werden Kinder heutzutage viel zu wenig belohnt. Mag sein, dass die Geschenke, die sie von Erwachsenen erhalten, eine Qualität gewonnen haben, wie sie während meiner Kindheit nicht denkbar war, doch diese scheint doch eher eine rein materiell orientierte Qualität zu sein. Und um meine These noch provokanter zu machen, behaupte ich, dass es zu viele Erwachsene gibt, die sich Freizeit von ihren Sprösslingen dadurch ‚erkaufen’, indem sie ihnen teure Geschenke machen, von denen die Erwachsenen wissen, dass diese Geschenke sie von der ‚lästigen Pflicht sich mit Kindern auseinanderzusetzen’ befreit. Die Beschäftigung der Kinder mit solchen Geschenken soll die Erwachsenen von ihrer Aufsichtspflicht befreien. Wie anders lässt es sich beispielsweise erklären, dass bereits schon unter 10jährige ihren eigenen PC oder ihren eigenen Fernseher in ihrem Kinderzimmer besitzen. Eine solche Belohnungspraxis halte ich selbst für nicht-kontingent und fördert meiner Meinung nach die Kontaktarmut der Kinder bereits in jungen Jahren. BANDURA hat in einer Untersuchung nachweisen können, wie wichtig eine kontingente Belohnung ist. Vor allem dann, wenn sie nicht darauf hinausläuft, Kinder zu belohnen, weil sie gute Leistungen erzielt haben oder aus dem eben beschriebenen Aspekt heraus sich durch Geschenke der Aufmerksamkeit der Kinder entziehen zu können, sondern allein schon deshalb, dass es Freude bringt zu beschenken und beschenkt zu werden. Dazu belohnte „ein Erwachsener eine Gruppe kontaktarmer Kinder immer dann, wenn sie kooperativ spielten. Ein zweiter Erwachsener belohnte sie dagegen völlig gleich, unabhängig davon, wie sie sich verhielten. Später genügte das bloße Erscheinen des kontingent belohnenden Erwachsenen, um kooperative Spiele hervorzurufen. Der nicht-kontingent belohnende Erwachsene dagegen hatte keinen Einfluss auf das Sozialverhalten der Kinder. Als die Erwachsenen ihre Bekräftigungspraktiken umkehrten, veränderte sich ihr Einfluss auf das Spielverhalten in entsprechender Weise.“393 Dieser Versuch sollte zum Abschluss dieses Themas und der komplexen Auseinandersetzung mit der Begabungsförderung Heranwachsender und vor allem mit ihren Lern- und Förderpotential nachdenklich stimmen helfen. Aus eigener Erfahrung im Umgang mit Heranwachsenden weiß ich, dass solche Bekräftigungspraktiken auch über das Internet erfolgreich sein können und plädiere dafür an alle gesellschaftlichen Kräfte über ein virtuelles Trainingsraumprojekt namens Droutcafe nachzudenken, das ich als Anhang dieser Arbeit beigefügt habe. „Ein Erwachsener belohnte eine Gruppe kontaktarmer Kinder immer dann, wenn sie kooperativ spielten. Ein zweiter Erwachsener belohnte sie dagegen völlig gleich, unabhängig davon, wie sie sich verhielten. 393 Bandura, Albert: „Sozial-kognitive Lerntheorie“, a. a. O., S. 93 153 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Später genügte das bloße Erscheinen des kontingent belohnenden Erwachsenen, um kooperative Spiele hervorzurufen. Der nichtkontingent belohnende Erwachsene dagegen hatte keinen Einfluss auf das So zialverhalten der Kinder. Als die Erwachsenen ihre Bekräftigungspraktiken umkehrten, veränderte sich ihr Einfluss auf das Spielverhalten in entsprechender Weise.“ 394 Trainingsraumprojekt nach Ed. Ford Eigenverantwortliches Denken und Handeln (RTP = Responsible Thinking Program) oder kurz Trainingsraumprogramm basiert auf der psychologischen Grundlage der Wahrnehmungskontrolltheorie nach dem Amerikaner Powers. Der nämlich hat beobachtet, dass unser aller Verhalten auf Dauer nicht von außen steuerbar ist. Das heißt auf Erziehung bezogen: Ermahnungen, Strafen, Lob und Tadel, Stubenarrest usw. ändern unangepasstes Verhalten unserer Kinder nicht, wenn sie es nicht wollen Die Änderung des Verhaltens kann nur von den Betroffenen selbst in die Tat umgesetzt werden. Denn nach Powers handeln wir, damit unsere Wünsche und Ziele wahr werden. Auf die Schülerinnen und Schüler bezogen heißt das, dass wenn diese ein anderes Ziel verfolgen als das des Unterrichts, z. B. die Aufmerksamkeit des Sitznachbarn bzw. der Sitznachbarin zu erregen, dann sind sie davon auch nicht abzuhalten. Das Lehrpersonal bemerkt dieses Verhalten als Störung des Unterrichts und damit der MitschülerInnnen. Der „Störer“ bzw. die „Störerin“ sabotiert den Unterrichtsverlauf vielleicht gar nicht bewusst, willkürlich und vorsätzlich, da er oder sie ja nur ihr Ziel erreichen will, das sich im Moment nicht mit dem des gemeinsamen Unterrichts deckt. Die konventionellen Methoden wie Rügen, Tadeln und Klassenkonferenzen ziehen nicht mehr. Es gilt beim Trainingsraumprogramm, sich von der „Vorstellung zu verabschieden, Schülerverhalten von außen nachhaltig gegen den Willen der Verursacher beeinflussen zu können. Dieser Ablösungsprozess erfordert Mut, Neues (mit dem Trainingsraumprogramm Anm. d. V.) zu beginnen.“395 Ford möchte mithilfe von RTP erreichen, dass SchülerInnen gezielt zu reflektieren lernen, ob ihr Handeln Mitschülerinnen und Mitschüler in ihren drei Grundrechten verletzt oder nicht. Diese drei Grundsätze lauten: • • • Alle SchülerInnen haben das Recht guten Unterricht zu bekommen und die Pflicht für störungsfreien Unterricht zu sorgen. Alle LehrerInnen haben das Recht ungestört zu unterrichten und die Pflicht für guten und störungsfreien Unterricht zu sorgen Alle müssen das Recht der anderen achten. SchülerInnen sollen angeleitet – trainiert – werden, über die Konsequenzen ihres Störverhaltens im Unterricht nachzudenken und es auf Dauer eigenverantwortlich positiv zu verändern. 394 395 Bandura, Albert: „Sozial-kognitive Lerntheorie“, a. a. O., S. 93 aus dem internen Papier der schulischen Sozialarbeit verfasst von E. Lehmann und L. Heffner , Dortmund 154 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Was soll durch das Programm bewirkt werden? • • • • SchülerInnen und LehrerInnen soll ein möglichst störungsfreier Unterricht ermöglicht werden. SchülerInnen, die den Unterricht stören, sollen lernen, sich für ihr Handeln mit allen Konsequenzen zu verantworten. SchülerInnen werden noch nachhaltiger angeleitet, die Rechte anderer zu respektieren. Die Schule verspricht sich dadurch ein besseres Lernklima und damit auch größere Lernerfolge, nicht zuletzt mehr Spaß am Unterricht.396 Verlauf des Trainingsraumprogramms Folgen die Schülerinnen und Schüler den Grundrechten nicht, stellt das Lehrpersonal die Verletzung dieser Regeln und damit eine Störung des Unterrichts fest. Nach einem festgelegten Frageprozess, durch den zeitraubende Diskussionen erspart und wertvolle Unterrichtszeiten gerettet werden sollen, entscheiden sich die Schülerinnen und Schüler, weiterhin am Unterricht ohne Störung teilzunehmen oder in den Trainingsraum zu gehen. Dort läuft ein von geschulten pädagogischen Profis geleitetes Gespräch in 2 Phasen ab: • • Durch einen sachlichen Frageprozess wird auf das Störverhalten eingegangen und herauszufinden versucht, was die SchülerInnen damit erreichen wollten. Es wird nach einer Lösung gesucht, die das Verhalten zukünftig positiv verändern soll, indem ein Plan aufgestellt wird, den die SchülerInnen mit den entsprechenden LehrerInnen besprechen. Weigert sich eine Schülerin bzw. ein Schüler partout in den Trainingsraum zu gehen, wird diese Schülerin respektive dieser Schüler nach Hause geschickt. Organisatorisch wird dieser Fall wie ein Krankheitsfall eingestuft. Die betroffene Schülerin oder der betroffene Schüler darf dann erst am folgenden Tag zusammen mit seinen Erziehungsberechtigten die Schule wieder aufsuchen und muss sich einem Erstgespräch mit dem Aufsichtspersonal des Trainingsraums stellen. 396 aus einer Mitteilung vom März 2003 der Albrecht-Dürer-Realschule in Dortmund an die Eltern und Erziehungsberechtigte der Jahrgänge 5 bis 8, dass das Trainingsraumprogramm in die Schulordnung aufgenommen wurde 155 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Abb.-Anhang: Verlauf des Trainingsraumprogramms (Quelle: Kollegiumsinfo der Albrecht-Dürer-Realschule Dortmund, 2003) Bevor ein Störenfried in den Trainingsraum geschickt wird, werden fünf mahnende Fragen gestellt: 1. 2. 3. 4. 5. Was tust du gerade? Gegen welche Regeln verstößt du? Was passiert, wenn du gegen die Regeln verstößt? Wofür entscheidest du dich? Was wird passieren, wenn du wieder störst? 156 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Im Trainingsraum darf sich dann die Schülerin oder der Schüler sieben offenen und einer geschlossene Fragen stellen, die sie bzw. er in einem Plan schriftlich zu beantworten und anschließend vom Trainingsraumpersonal und dem Erziehungsberechtigten zu unterzeichnen lassen hat: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Was habe ich gemacht? Gegen welche Regel/n habe ich verstoßen? Was wollte ich mit meiner Störung erreichen? Was genau passierte durch meine Störung mit dem Unterricht? Ich will mich bemühen, mein Verhalten zu ändern. Ja □ Nein □ Wie kann ich mein Verhalten ändern? Was nehme ich mir vor? Wen frage ich nach dem versäumten Unterrichtsstoff und den Hausaufgaben? Wem zeige ich meinen Plan? Wann? Was unterscheidet einen Schulversager von einem Schulverweigerer? Ein Schulversager ist wenigstens noch erreichbar, weil er physisch am Unterricht teilnimmt. Wie das Wort schon sagt, versagt eine Schülerin bzw. ein Schüler im genauen Wortsinn immer dann im Unterricht, wenn er oder sie sich der aktiven Teilhabe und Teilnahme entziehen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich dem Unterricht entziehen, in dem sie völlig still und unauffällig sind oder den Unterricht latent sabotieren und offen boykottieren. Gerade für die unruhige Schülerklientel ist das Trainingsraumsprojekt geschaffen, weil sie durch Widerstand versagen, der wiederum in letzter Konsequenz der laute oder stille „Schrei“ nach Anerkennung ist. Diese Anerkennung erfahren sie im eben beschriebenen Trainingsraumprojekt. Ich möchte mit den Strategien und Methoden des Trainingsraums einen Schritt weiter gehen dürfen und massiv störende, sowie extrem zurückhaltende Schulversager ein Neues Medium unter fachkundiger Aufsicht anbieten, das sie mit ihren Stärken und Schwächen anerkennt bzw. herausfordert. Schulverweigerer hingegen sind schon über die Ebene des Schulversagens hinweg und „glänzen“ wie man so schön sagt durch dauerhafte Abwesenheit. Wären solche Drouts entlaufende Haustiere, so ließen die sich mit Käschern körbeweise wieder einfangen, denn meistens sammeln sie sich in oder um Internetcafés oder Hot Spots in Kaufhäusern (vgl. Kapitel 2). Konsequenterweise läge deren Trainingsraum, um sie überhaupt noch bildungsmäßig zu erreichen, außerhalb des Schulgeländes. Was ist ein Drout? All jene unter den schulpflichtigen Jugendlichen, die die Schule gelegentlich, regelmäßig oder gar auf Dauer fortwährend schwänzen, nenne ich Drouts. Drout ist die Kurzform des englischen Ausdrucks eines "Blaumachers" eines dropouts. Begabungsförderung durch die Einrichtung von Droutcafés Wie bereits schon im zweiten Kapitel dieser Arbeit dargelegt wurde, finden sich zur Schulzeit reichlich Jugendliche in Internetcafés. Ob sie dort spielen, chatten oder surfen kann keiner wissen, der nie Zeuge verschiedener Gruppierungen von Schulschwänzern an diversen Vormittagen in Internetcafés unterschiedlichster Coleur gewesen ist. Ich habe während meiner Studien gelegentlich ganze Vormittage 157 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet in Internetcafés verbracht, und konnte dementsprechend einen kleinen Eindruck gewinnen, dass die Funktion des Kiosks, der zu meiner Schulzeit in den siebziger Jahren Treffpunkt zum Schulschwänzen gewesen war, zwar nicht ausgedient, jedoch mancher Kiosk sich zum Treffpunkt mit installierten Internetzugang gewandelt hat. Dem Phänomen des Schule-Schwänzens lässt sich nicht dadurch begegnen, dass Ordnungs- und Aufsichtsbehörden Treffpunkte von Schulschwänzern zu räumen suchen. Notorische Schulschwänzer finden auch mithilfe von Ordnungskräften den Weg in die Schule nicht so ohne weiteres wieder. Doch so manches kioskhafte Internetcafé könnte nützlich sein, dass auch notorische Schulverweigerer den Weg zurück zur Bildung finden. So manchem vertraulichen Gesprächen mit notorischen Schulschwänzern lässt sich entnehmen, dass – wenn auch latent – Schulschwänzen nicht vor Bildungshunger schützt oder weniger bildlich ausgedrückt, Bildungsaspiration und dadurch Bildung an sich mit gesellschaftlicher Anerkennung verbunden ist.. Und um Anerkennung ringen auch notorische Schwänzerinnen und Schwänzer. Basierend auf das Trainingsraumprojekt ließen sich Droutcafés für Schulversager innerhalb der Schule und für Schulverweigerer außerhalb der Schule eröffnen. Warum ein Droutcafé? Schule allein kann heutzutage nicht mehr ihren Aufgaben gerecht werden, wenn die Schulunlust unter den Jugendlichen drastische Züge annimmt, denn „als ein Feld der perfekten Organisation des Leistungsprinzips, der methodischen Ausbildung des Nachwuchses und dessen Allokation zu beruflichen Laufbahnen ist die Schule in ein Spannungsverhältnis zu modernen pädagogischen Zielen wie Förderung von Autonomie, Solidarität, Selbstentfaltung und Personalität geraten. Es kann nicht erstaunen, dass unter diesen Bedingungen die Schulunlust steigt.“ 397 Der Schulunlust wird gern auch die Lernunlust untergeschoben. Dem ist bei weitem nicht so, wie meine Erfahrungen durch Chats belegen können 398 , wenn davon ausgegangen wird, dass Jugendliche während der eigentlichen Unterrichtszeit chatten, statt lernen. Denn was hilft eine Erziehung zur Autonomie, wenn diese letztlich doch nicht während oder außerhalb des Unterrichts ausgelebt werden kann, es sei denn „man macht blau“. Den Schulalltag erschwerend kommt hinzu, dass das Kompetenz-gerangel unter den Ländern in der Bildungspolitik zu unterschiedlichen Lehrinhalten führt. Und „die Anschaulichkeit (des Lehrstoffes an den Schulen) verblasst mehr und mehr, und die persönlichen Beziehungen ordnen sich professionellen Zielen und Systemimperativen unter. Kindheit, Jugend und Schule verschmelzen zu einem eigenen System, das als Subkultur seine eigenen Wege geht.“399 Der hier geforderte Wandel inner- und außerhalb der Schule zu flexiblem Handeln und zur Berufung auf sein individuelles System der Subkultur, soll durch die Konfiguration Virtueller und Realer Droutcafés400 unterstützt werden. 397 Grob, Alexander (Hrsg.) verweist in „Kinder und Jugendliche heute: belastet – überbelastet?“ auf Seite 33f auf Allerbeck, K. / Hoag, W.: „Jugend ohne Zukunft“ – Einstellungen, Umwelt, Lebensperspektive, 1985, a. a. O. 398 Anfragen zur Einsicht bitte per Email mit Angabe von Personalien und Telefonnr. an: juergen.arndt@rasanthaus.de 399 Grundmann, Matthias / Huinink, Johannes / Krappmann: : „Kindliche Lebenswelten, Bildung und innerfamiliale Beziehungen“ – Familie und Bildung, Empirische Ergebnisse und Überlegungen zur Frage der Beziehung von Bildungsbeteiligung, Familienentwicklung und Sozialisation, a. a. O., S.91 400 virtuell meint den komplexen Internetauftritt zur Begabungsförderung, real meint die Eröffnung von trainingsraumprgramm-basierten Internetcafés innerhalb wie außerhalb des Schulgeländes 158 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Wovor die Etablierung von Droutcafés meiner Überzeugung nach schützen könnte, da sei an den Gymnasiasten Robert Steinhäuser aus Erfurt erinnert, der am ortsansässigen Gutenberg-Gymnasium im April 2002 ein blutiges Massaker anrichtete, wo er neun Menschen und sich selbst mit Feuerwaffen in einem Amoklauf tötete. Hätte Robert Steinhäuser nicht vom Oktober 2001 bis zum Tag des Massakers stundenlang allein die Schulvormittage in einem anonymen Stadtcafé, sondern in einem Droutcafé verbracht, wäre es meiner Überzeugung nach nicht zu einem Massaker gekommen. Ich bin überzeugt davon, dass während dieser einsamen Vormittage – die er ja nicht freiwillig dort verbracht in einem Café verbracht hatte, sondern weil die Schule ihn gekündigt und er nicht den Mut hatte mit seinen Eltern offen darüber zu reden – sein blutiger Plan für dieses Massaker bis ins Detail ausgebrütet worden ist. Hätte Steinhäuser seine Zeit stattdessen in einem trainingsraumprogramm-basierten Internetcafé (Droutcafé) verbringen können, hätte Schlimmeres durch vorsichtiges Intervenieren einer sozialpädgogischen versierten Café-Aufsicht verhindert werden können. Doch Gewalt-Prävention soll nicht die einzige Aufgabe einer solchen Einrichtung sein müssen. Vielmehr soll es Heranwachsenden die Möglichkeit geben, ihre schulischen Leistungen aufzubessern und nachzuarbeiten. Dazu soll ihnen das Internet sowie ein kompetenter Ansprechpartner bzw. Ansprechpartnerin frei, diskret und dennoch offen zur Verfügung stehen. In der Einrichtung soll der Schul- bzw. Nachhilfeunterricht nicht ersetzt werden, sondern es soll als eine Ergänzung und Anregung zur Bildungsaspiration genutzt werden können, die sich aus dem Gebrauch Neuer Technologien wie von selbst generieren lernt. Die Einrichtung soll allerdings auch ein erster Zufluchtsort für Schulverweigerer sein können, die den Mut finden, den ersten Schritt aus der schulischen Isolation heraus zu wagen. Aus diesem Grunde soll ein Droutcafé in den Vor- und Nachmittagsstunden kostenlos und anonym für Heranwachsende nutzbar sein, die sich offensichtlich oder nachweislich in der Erstausbildung befinden. Droutcafés und andere interaktive Fördermöglichkeiten für Drouts Schulverweigerer - aus welchen Gründen auch immer - sollen eine approximative Chance der Bildung bekommen. Anstatt dass sie wertvolle Schulzeit mittel- und langfristig mit Spielen und Chatten vergeuden und dabei viel Geld ausgeben, sollten sie dort erreicht werden, wo sie sich bestimmt aufhalten: am Computer. Genauso wie Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zum kostenlosen @-Learning über eine Schulplattform zur Nutzung bereits offen steht, ließe sich somit auch eine interaktive Brücke zu Schulverweigerern schlagen. Doch um solch eine Brücke schlagen zu können, sind Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzes zur Kooperation aufgerufen. Allein die Idee, den einen oder anderen Internetkiosk so zu konfigurieren, dass dort Droutcafés entstehen könnten, braucht einen Anreiz für Kioskbesitzer, diese Konfiguration auch zu unterstützen. Diese Anreize können sowohl aus der Wirtschaft als auch aus der Gesellschaft selbst stammen. Gleiches in größerem Ausmaß gälte dann auch für große Internetcafés und Kaufhaus-Hotspots. Den Erstanlauf in der Anreizpolitik solche Internetcafés flächendeckend zu konfigurieren, könnte aus den Vorschlägen der Bildungskommission Nordrhein-Westfalens selbst 159 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet kommen, der da lautet: „Die Kooperation mit anderen einschlägigen Einrichtungen und mit Förderern, zum Beispiel aus der Wirtschaft, soll gestützt werden.“401 Auch das interne Droutcafé, welches wünschenswerterweise in jeder Schule konfiguriert sein sollte, ist eine Brücke. Sie jedoch setzt auf das bewährte und oben beschriebene Trainingsraumprogramm von Ed. Ford auf. Denn eine solche schulische Einrichtung, die sich explizit an akute oder chronische Schulversager richtet, sorgt mit gesteuerten Anreizen auf Dauer für eine Verhaltensänderung auffälliger Schülerinnen und Schüler. Durch die Einrichtung schulischer Droutcafés und die exklusive Verbindung zu Droutcafés außerhalb des Schulgeländes entstünde eine neue Art des Austausches zwischen Schulversagern und Schulverweigerern, pädagogisch moderiert von einer @-Learning-Platform sowie einer anwesenden pädagogisch geschulten Aufsicht. Durch die Konfiguration innerschulischer Droutcafés würde Schule auch der vom Bildungsministerium NRW’s aus dem Jahr 1995 formulierten Forderung nach flexiblen Handeln gerecht werden, die da lautet: „Veränderungen im Bildungswesen können notwendigerweise nur in einem mittelbaren Verhältnis zu Veränderungen im Beschäftigungssystem stehen. Während in der Wirtschaft pragmatische, zum Teil kurzfristige Qualifizierungsmaßnahmen notwendig sind, bedarf das Bildungswesen längerfristiger Orientierungen, zumal zum Bildungsbedarf der Gesellschaft auch der außerberufliche Bereich gehört, der angesichts des Stellenwertes der Nichterwerbszeit an Bedeutung gewinnen wird. Wenn Schule dennoch ihre Funktion in der Vorbereitung auf das individuelle Berufsleben und in der Weiterentwicklung des Industriestandortes Bundesrepublik bzw. Nordrhein-Westfalen erfüllen soll, dann kann dies nur über die Befähigung zu flexiblem Handeln geschehen.“402 Die Einrichtung eines Droutcafés Ein Droutcafé, ob nun innerhalb des Schulgebäudes oder außerhalb sollte eine Fläche von 150 m² nicht überschreiten. Eine gewisse Übersichtlichkeit ist für die Aufsicht eines solchen Cafés unerlässlich. Externe Droutcafés sollten Montags bis Freitags von 7 bis 24 Uhr, Samstags von 9 bis 3 Uhr und Sonntags von 10 bis 24 Uhr geöffnet sein (auch während der Schulferien), denn Schulverweigerer zu erkennen ist eine Sache, Zugang zu ihnen zu finden eine andere. Die Architektur eines Droutcafés sollte sich hinsichtlich ihrer Einrichtung in einem Bereich mit internetfähigen Computerarbeitsplätzen (BAP der Benutzerarbeitsplatz oder auch WS für Workstation) und einen Bereich mit Bestuhlung ohne WS teilen lassen, so dass Gespräche fern des BAP möglich sind. Der BAP-Bereich sollte auch nicht unmittelbar begehbar sein, sondern Drouts müssen dafür einen Counter an der Aufsichtsperson vorbei passieren, wo sie vom Personal einen Benutzernamen und ein Passwort erhalten. Die Einrichtung sollte Gruppenarbeit und Workshops fördern können. Als Counter wäre eine Art Glaskabine denkbar. Dort sitzt die Aufsicht und vergibt Benutzerkennungen mit Passwort. Ohne Benutzerkennungen dürfen die BAPBereiche weder genutzt noch betreten werden. Die 12 Workstations eines Droutcafés 401 Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ – Empfehlungen, 1995, a. a. O., S. 139 402 Bildungskommission NRW: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ – Aufgaben für die Schule, 1995, a. a. O., S. 53 160 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Auf jedem WS, ob in einem internen oder externen Droutcafé, sind Messenger installiert und so voreingestellt, dass die Startseite die Onlearn-Schule ist. Die Voreinstellung ist die Onlearn-Schule des Rasanthauses (Lehrer AG) und kann durch den Anwender in seiner Struktur und seinem Ablauf nicht verändert werden. Dort finden sich zurzeit folgende Schulfächer: Biologie, Chemie, Deutsch, Englisch, Ethik, Fremdsprachen, Geographie, Geschichte, Informatik, Informationstechnologie, Interdisziplinäres Lernen, Kommunikation, Kunst, Latein, Mathematik, Musik, Pädagogik, Philosophie, Physik, Politik, Psychologie, Rechtschreibreform, Soziologie, Sport, Wirtschaftslehre und WiSo (vgl. URL: www.rasanthaus.de/lehrer/main/subjects.html) Außerdem können über die Startseite Emaildienste und Messenger frei benutzt werden; Messenger allerdings nur mit der gegebenen Benutzerkennung. Wird die Startseite gerade während der eigentlichen Schulzeit verlassen und die Aufsichtsperson nicht per Messenger angesprochen, so wird ein Drout nach einer halben Stunde von der Aufsichtsperson selbst angesprochen und dabei beiläufig an den Schulbesuch erinnert. Des Weiteren sollte jede WS mit einem Beamer verbunden sein. Durchaus wäre es dann möglich, dass die Aufsichtsperson den einen oder anderen Benutzer auf den Beamer schaltet, so dass auf einem großflächigen Monitor die Benutzerseitenaufrufe öffentlich im Café sichtbar sind. Diese Maßnahme dient der Prävention gegen Missbrauch der WS. Der Benutzerarbeitsplatz (BAP) des Droutcafés Ausgestattet werden sollten die BAP mit handelsüblichen PC's, Eingabegeräten (Tastatur, Mouse und Scanner), Monitoren, Webcams und Headsets. Am Benutzerarbeitsplatz darf nicht gegessen oder getrunken werden, denn dafür gibt es den Bestuhlungsbereich. Die Benutzung des BAP sollte für Heranwachsende bis 18 Jahre oder nachweislich noch in der Erstausbildung befindlichen Personen von 7 bis 20 Uhr kostenlos genutzt werden dürfen. Benutzungen nach 20 Uhr sollten jedermann offen stehen und es würden dann die handelsüblichen Preise eines Internetcafés gelten. Personen über 18 bzw. Personen, die sich nicht mehr nachweislich in der Erstausbildung befinden, sollten über die Benutzerarbeitsplätze zwischen 7 und 20 Uhr nur entgeltlich verfügen dürfen und zwar auch nur dann, wenn die BAPs nicht von Drouts besetzt sind. Jede WS sollte einem Benutzer während der tariffreien Zeit nicht länger als anderthalb Stunden zur Verfügung gestellt werden dürfen; diese Zeit sollte eine Ermessenssache der Aufsichtsperson sein. Während der tariffreien Zeit sollte der Benutzer keinen generell verfügbaren Anspruch auf eine WS haben, sondern sich unter Umständen mit weiteren Anwendern eine WS teilen müssen. Aufsichtspersonal des Droutcafés Aufsichtspersonen der Einrichtung sollten grundsätzlich Spaß an der Arbeit mit Heranwachsenden mitbringen. Sie sollten im Umgang mit dem Internet und dem 161 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Rechner geschult sein. Außerdem sollten sie in Sachen Schule und Schulbildung auf dem Laufenden sein. Das Abitur oder eine abgeschlossene Berufsausbildung (gern in handwerklichen Berufen) sollte die Mindestvoraussetzung zur Einstellung von aufsichtsführenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eines Droutcafés sein. Das Personal sollte in erster Linie empathisch, integer und diskret sein. Sie sollen zu wichtigen Vertrauenspersonen der Drouts werden dürfen. Im innerschulischen Droutcafé gelten hinsichtlich des Aufsichtspersonals die Regeln des Trainingsraumprogramms, die von den mitwirkenden Schulen selbst umrahmt werden. Die 10 Droutcafé-Regeln Dafür gilt, dass in den externen Droutcafés Lehrer so ohne weiteres keinen Zugang während der tariffreien Zeit haben, da sie eh nicht der Zielgruppenvoraussetzung angehen, die nöitg ist, um die Tariffreiheit zu genießen. Davon abgesehen sind Lehrer aber auch explizit unerwünscht, welches sich aus der Natur der Sache herleitet: hartnäckige Schulverweigerer sind nun mal schwer auf Lehrkörper zu sprechen. Und da Heranwachsende Orientierung brauchen, die wiederum ohne Regeln nicht auskommt, so gilt auch bei den externen Droutcafés eine Verständigung auf Rahmenbedingungen, die zur tariffreien Nutzungszeit von allen Beteiligten befolgt werden müssen. 1. Fördern ohne Fordern 2. Lehrer, Erzieher, Eltern, Ausbilder oder Polizisten haben ohne Vorankündigung keinen Zutritt ins Droutcafé 3. Das Droutcafé ist keine Insel für Blaumacher 4. Das Droutcafé ist in erster Linie eine Lehreinrichtung 5. Das Droutcafé ist weder Kontaktmarkt noch Freizeitpark 6. Niemand hat einen Anspruch auf einen Rechner 7. Jeder Drout bekommt für seine Sitzung eine Benutzerkennung mit Passwort 8. Ein Drout hat zu reagieren, wenn er im Messenger vom Aufsichtspersonal angesprochen wird 9. Den Weisungen der Aufsicht ist Folge zu leisten 10. Rauchen und der Verzehr von alkoholischen Getränken ist im Droutcafé prinzipiell verboten Die Finanzierung und das Marketing eines Droutcafés Rund gerechnet kostet der Unterhalt eines Droutcafés im ersten Jahr maximal 110.000 Euro. Einberechnet ist hier bereits die komplette Erstaustattung. Im erfolgreichen Verlauf der Jahre werden sich die Kosten amortisieren und sich nachhaltig selbst tragen können. Dazu beitragen könnte die lokale, regionale und überregionale Industrie, sowie die Öffentliche Hand. Wird das Droutcafé zu einem erfolgreichen Konzept auf der lokalen Ebene, dann ließen sich weitere Filialen an anderen jugendsozialen Brennpunkten im gesamten Bundesgebiet eröffnen. Bestreben des Marketings sollte es auch sein zum führenden Anbieter in der kostenlosen Begabungsförderung Heranwachsender im Internet zu werden und eine optimale Schnittstelle zwischen Schule und Bildungsgesellschaft einzurichten. 162 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Frenchise-Lösungen mit Kioskbesitzern, die bereits Internetcafés anbieten, würden nachhaltig die Droutcafés eigenwirtschaftlich arbeit lassen können. Einnahmen könnte ein Droutcafé insbesondere nach 20 Uhr und an den Wochenenden erwirtschaften. Das Café sollte allerdings auch an den Wochenenden für Drouts kostenlos zu bestimmten Zeiten genutzt werden dürfen. Denkbar wäre samstags von 9 bis 17 Uhr und sonntags von 10 bis 18 Uhr. In den übrigen Zeiten sollte das Droutcafé auch als mietbarer Ort für LAN-Parties und ähnliche Veranstaltungen zur Verfügung stehen dürfen. Foren, Chats und Webspace als zentrale Plattformen der Lernhilfe per Internet – OnlineSchool: Wer blaumacht geht ins Netz In einer virtuellen Schule gibt es den Schulhof genauso wie das Klassenzimmer. Es gibt Lehrer und Ausbilder wie Schüler und Klassensprecher. Es gibt Freizeit und Unterricht. Nachhilfe, Referats- und Projektplanungen. Und wie es normal auf jeder Schule ist, gibt es ein Lehrerzimmer, es gibt einen Erwachsenenbereich, wo nur Erwachsene Mitglieder Zutritt haben (hier geht es vor allem um Eltern- und Lehrerprobleme mit einzelnen Schülern), genauso wie es das Zimmer gibt, für das nur jugendliche Mitglieder Zugang haben. Dort sollte es auch noch einen Bereich geben, der ausschließlich den Jungen und ausschließlich den Mädchen vorbehalten ist. Die Forumsadministration soll alle Bereiche rund-um-die-Uhr im Auge behalten, um Missbrauch gemäß der Satzung und den Boardregeln im Keim zu ersticken. Der wesentliche Unterschied zur herkömmlichen Schule ist, dass die virtuelle Schule kein Ersatz zum traditionellen Unterricht bietet, sondern deren Ergänzung sein soll, und, dass der virtuelle Unterricht mit all seinen Inhalten zwar vollkommen zwanglos und freiwillig verläuft, aber deswegen nicht verpflichtungslos verfolgt wird. Im Chat „Blaumacher“ aufspüren Wenn MitarbeiterInnen und ehrenamtliche HelferInnen als auch Drouts im Chat einen Avatar benutzten, dürfen sie den im Forum auch benutzen, so lange dieser nicht gegen geltendes Recht und die guten Sitten verstößt. Andernfalls darf aufgefordert werden, einen alternierenden Nickname nutzen zu müssen. Grundsätzlich ist die Zahl der eigenen alternierenden Nicks uneingeschränkt. Sollte irgendwann einmal aus Platzgründen die Löschung von Avataren anstehen, dann nur solche, deren Beitragszahl in keinem Maße mehr in Relation zur Gesamtbeitragszahl stehen (1 : 10 000). Ansonsten gelten die gleichen Empfehlungen wie im Chat mit einer wichtigen Besonderheit: Es sollte das Archivierungsverhalten berücksichtigt werden. Einen Beitrag aus Lust und Laune zu schreiben, sollte stets gepaart sein mit der erfrischenden Erkenntnis, dass die Beiträge hohe Halbwertzeiten haben und unter Umständen den Autor bzw. die Autorin überleben. 163 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Akquisiteure dürfen sich auf das Lerninstitut beim Chatten nur dann berufen, wenn sie für einen der beiden für den entsprechenden Chat ausgedachten alternierenden Nicks stehen. Bsp: in einigen Chats soll gewährleistet bleiben, dass im wechselnden Wochenrhythmus mindestens ein, maximal 2 Avatare (alternierende Nicks z. B. indiana-jens und dampfbuegeleisen) jeden Schulvormittag zwischen 9 Uhr und 14 Uhr für mindestens 20 Minuten und empfohlenen maximalen 60 Minuten - alles, was darüber hinausgeht, sollte dann persönlich engagiert und verantwortbar sein Azubis, Schülerinnen und Schülern ausschließlich in den Jugendkanälen an den Schulunterricht bzw. die Ausbildung zu erinnern. Die Herangehensweise ist relativ frei gestaltbar, doch die Themen sollen sich ausschließlich am Thema Ausbildung und Schule entzünden. Ein berufsverpflichteter oder ehrenamtlicher Avatar darf nicht sich so ohne weiteres in ein Separeé einladen lassen und darf auch nicht ohne Grund flüstern. Ein Avatar sollte die bereits angewendeten und erfolgreichen Ansprechmethoden403 benutzen. Bei persönlichen Nachfragen bezüglich des Alters, des Berufes und des Geschlechtes gibt es ein strenges Verfahren, das unbedingt eingehalten werden muss: o a) das Alter Der Avatar hat ohne Beiwerk und Ausschweife direkt auf diese Frage sein wahres Alter in Zahlen anzugeben und darf sich nicht im Gegenzug nach dem Alter des Nachfragers erkundigen. Es gibt einen guten Grund für dieses verbindliche Verhalten. Wer das nicht eingehalten hat, dessen Engagement wird auch nicht als Maßnahme i. S. d. Lerninstituts anerkannt. o b) der Beruf Auch hier gilt die gleiche Grundsätzlichkeit wie bei a. Nur hier hängt die Antwort nicht vom persönlichen Background des Avatars ab, sondern von den Beweggründen seiner Aufgabe. Zum Beruf gibt es deshalb nur eine Antwort und die heißt: LEHRER. Wer sich als etwas anderes bezeichnet als ein Lehrer, der ist nicht i. S. d. Instituts tätig. o c) das Geschlecht Wer will, der darf sein wahres Geschlecht nennen. Wer nicht, der hat deutlich hervorzuheben, dass die Kenntnis über das Geschlecht unerheblich ist, sondern die Kenntnis, dass der Avatar im Sinne einer Gemeinschaft, also im Sinne des Instituts operiert und von daher 'geschlechtsneutral' ist. Oder einfacher ausgedrückt: wenn heute dampfbuegeleisen von einer Frau gesprochen worden ist, dann kann es morgen auch ein Mann sein. Das ändert nichts an der Intention und der Berechtigung in diesen Channels tätig zu sein. Ein Avatar darf sich nicht provozieren lassen und hat sich strikt an die Netiquette zu halten. Kraftausdrücke und Fäkalsprache wie "Arsch" oder "Scheiße" sind zu meiden. 403 näheres unter „bistro-bingo.de/bhi“ 164 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Ein Avatar sollte sich auf diejenigen konzentrieren können, die auf ihn reagieren. Er sollte fragen, warum denn der Reagierende nicht im Schulunterricht bzw. bei der Ausbildungsarbeit ist oder zumindest daran nicht teilnimmt. Achtung: Viele (ca. 40 % nach vagen Schätzungen) sind in der Schule, im Unterricht oder in der Ausbildungszeit, während sie chatten. Keine Unterstellungen. Keine Drohungen. Keine Beleidigung. Dafür aber stets Anmahnen und Erinnern, möglichst mit scherzhafter Leichtigkeit, damit ein Avatar sich nicht von selbst abnutzt. Bedenke: Leichtigkeit wird gern gesehen. Schwerfälligkeit macht unbeliebt. Auch, wenn Mahnungen vom "harten Kern" als unbeliebt nicht gern gesehen werden, verliert es aber dennoch nicht an Wirkung. Bei Konflikten bitte umgehend den Chatbot benachrichtigen. Das Chat sollte am Ende gespeichert und archiviert werden. Jedoch darf es nicht weitergereicht werden und dadurch gegen das Datenschutzgesetz verstoßen. Die archivierte Aufzeichnung soll dem eigenen Schutz und der eigenen Methodik dienen. Ein Chatauszug eines Montag morgens, den Frauentag im Jahr 2004 um 10 Uhr morgens oder was ist ein Studientag? ussigirl: woher indiana-jens: hallo bussigirl, keine schule heute? bussigirl: ich aus dortmund indiana-jens: sieh an, meine stadt, einstein-gymi? bussigirl: 12 und du bestimmt älter indiana-jens: und ob bussigirl: 18 oder so indiana-jens: warum bist du nicht in der schule, bussigirl? indiana-jens: oder bist du? frank_69 verläßt diesen Channel. bussigirl: ich habe heute frei indiana-jens: wieso das denn? indiana-jens: lehrermangel? bussigirl: studien tag indiana-jens: was ist ein studientag? bussigirl: für uns bussigirl: da beckommen wir aufgaben auf die wir heute machen sollen indiana-jens: einen ganzen tag lang? was habt ihr für aufgaben aufbekommen? bussigirl: nein ein paar aufgaben nur Diabolis18 verläßt den Chat. bussigirl: matha deutsch chemie undsoweiter indiana-jens: und das alles ohne lehrer? bussigirl: ja indiana-jens: aber du bist doch erst 12 bussigirl: wie alt biste indiana-jens: 39 indiana-jens: und lehrer bussigirl: ja und glaub ich nicht indiana-jens: da gibt es nichts zu glauben indiana-jens: mir fällt auch schwer zu glauben, dass du ein studientag hast 165 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet indiana-jens: aber mittlerweile bin ich schon viel gewöhnt indiana-jens: frage mich ja fast schon wofür überhaupt noch schule bussigirl: du kannst ja an meiner schule anrufen indiana-jens: brauche ich nicht. ich glaube dir einfach. ist ja leider auch nicht abwegig bussigirl: dann ist niemand da dann kannst du ja sehen indiana-jens: nur, was die studientag nennen, nenne ich einfach mal lehrermangel bussigirl: bei uns sind ihrgend was mit 35 lehrer indiana-jens: 35 lehrer für 1000 schüler bussigirl: das sind doch immer klassen. da sin auch immer 32 schüler drinn. finde ich nicht indiana-jens: warum bussigirl: was unterichtest du denn indiana-jens: deutsch, englisch, computer, internet und berufsfindung. habe erwachsene unterrichtet bussigirl: aha indiana-jens: und da waren auch fast 30 leute in einer klasse indiana-jens: und das ist zuviel zum lernen gast1953m kommt in diesen Channel. gast1953m verläßt diesen Channel. indiana-jens: ein drittel geht dabei unter gast1953m kommt in diesen Channel. bussigirl: warum bist du heut nicht in der schule gast1953m verläßt diesen Channel. indiana-jens: weil ich nicht mehr unterrichten kann indiana-jens: bin krank indiana-jens: kann nicht laufen bussigirl: warum indiana-jens: habe aufgrund meiner krankheit meine arbeit verloren bussigirl: was haste gemacht indiana-jens: weil ich freiberuflicher lehrer war indiana-jens: ich habe eine knochenmarkentzündung bussigirl: wat ist dat den indiana-jens: jetzt arbeite ich als lehrer im internet indiana-jens: meine knochenmarkentzündung ist am fuß bussigirl: ja dann bring mir mal etwas bei Groupie2630_(m) verläßt diesen Channel. indiana-jens: was hast du für hausaufgaben auf? bussigirl: die mach ich nicht erst nacher Anni betritt den Chat. indiana-jens: ich habe bereits alle schulfächer im internet indiana-jens: und aufgaben auf einem board bussigirl: ich mein so deutsch wir schreiben morgen ne arbeit Anni verläßt den Chat. indiana-jens: ein diktat? bussigirl: über rechtschreibung indiana-jens: sag mir mal den unterschied zwischen seit und seid bussigirl: weis ich nicht. ich bin in der 6 indiana-jens: was ist der unterschied zwischen das und dass? bussigirl: weiß nicht bin aber gut in der schule indiana-jens: was hast du in mathe aufm zeugnis? 166 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet bussigirl: ich hatte auf meinem zeugniss alles dreien auser kunst da hatte ich ne 2 indiana-jens: alle endungen mit nis werden mit einem s geschrieben: zeugnis, bedürfnis, usw. nur in der mehrzahl wird es mit doppel-s geschrieben bussigirl: ja ich habe dass es zu lang auf meiner tastertur gedrückt indiana-jens: zeugnisse, bedürfnisse, usw indiana-jens: ja ich habe das (jenes) es zu lang auf meiner tastatur gedrückt bussigirl: DANKE indiana-jens: nix zu danken, fern geschehen bussigirl: GERN GESCHEHEN indiana-jens: also falls du üben willst dann guck mal auf die lehrer ag bussigirl: ok und nochmal danke indiana-jens: bitte bussigirl: bye mein name ist katha. kannst mich ruig katha nenen indiana-jens: bye mein name ist jürgen indiana-jens: gehst du aufs gymnasium bussigirl: ne auf real. und du auf gym oder besser gesagt warstä indiana-jens: ich war auf hauptschule, handelsschule, höhere handelsschule, gymnasium, lehre als radio- und fernsehtechniker und dann uni in bochum bussigirl: aha boy-nrw verläßt diesen Channel. bussigirl: ich gehe jetzt bye indiana-jens: oki bye indiana-jens: und glück auf Literaturverzeichnis • • • • • • • • Allerbeck, K. und Hoag, W.: „Jugend ohne Zukunft?“ – Einstellungen, Umwelt, Lebensperspektive, Pieper-Verlag, München, 1985 Anweiler, Kuebart, Liegle, Schäfer, Süssmuth: „Europäische Bildungssysteme zwischen Tradition und Fortschritt“ – Struktur- und Entwicklungsprobleme des Bildungswesens in sechs europäischen Ländern, Anrich-Verlag, Mühlheim an der Ruhr, 1971 Bandura, Albert: „Sozial-kognitive Lerntheorie“ – Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart, 1979 Beck, Ulrich / Beck-Gernsheim, E.: „Individualisierung in modernen Gesellschaften“ – Perspektiven und Kontroversen einer subjektorientierten Soziologie, in: Dies. 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Halbjahr 2004……………..………. 59 3.2.a: Familien mit und ohne Kinder Anfang der 90er Jahre………………………………………… 70 3.2.b: Zugang der Heranwachsenden 2002 zum Internet (privat, in der Ausbildung oder im Beruf) und Umfang der Nutzung des Internets nach relevanten und persönlichen Merkmalen………….….. 81 3.6.b.: Besuchte Schulform und soziale Herkunft………………………………………………….… 93 3.6.a.: Besuchte Schulform nach Alter und Geschlecht…………………………………………….... 92 Tab. 4.1.1.7a: Leistungsvergleich der 15jährigen HauptschülerInnen der Dortmunder Landwehr in den Naturwissenschaften…………………………………………………………………………… 138 Tab. 4.1.1.7b: Leistungsvergleich der 15jährigen Hauptschülerinnen der Dortmunder Landwehr in den Naturwissenschaften………………………………………………………………………...….. 139 Tab. 4.1.1.7c: Leistungsvergleich der 15jährigen Hauptschüler der Dortmunder Landwehr in den Naturwissenschaften……………………………………………………………………………….... 139 Tab. 4.1.1.7d: Leistungsvergleich der 15jährigen HauptschülerInnen der Dortmunder Landwehr 9. Klasse in den Naturwissenschaften…………………………………………………………..…….... 140 Tab. 4.1.1.7e: Leistungsvergleich der 15jährigen HauptschülerInnen der Dortmunder Landwehr 8. Klasse in den Naturwissenschaften………………………………………………………………..… 140 Tab. 4.1.1.7f: Leistungsvergleich der 15jährigen HauptschülerInnen der Dortmunder Landwehr 7. Klasse in den Naturwissenschaften………………………………………………………………….. 140 5.1. Namensregister A ABU GRAIBH AEBLI, HANS ALDI ALSAKER, FRANCOISE D. AOL ungefähre Seitenangaben 68 16, 128 84 42 57 B BANDURA, ALBERT BECK, ULRICH BELL, GRAHAM BERGMANN BERTELSMANN-STIFTUNG BILDUNGSMINISTERIUM NORDRHEIN-W ESTFALEN BRAVO BRONFENBRENNER BÜCHNER, PETER BUSCHMEYER, HERMANN 102, 113, 122, 123, 126, 129, 130, 133, 136, 138, 152, 153, 157 32 126 16, 73 136 83f, 147 120 12, 14 15, 73 149 C CHARMIDES COMENIUS CRUSOE, ROBINSON 11 150 56 171 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet D DAGERMAN, STIG DANZER, GEORG DEFOE, DANIEL DEUTSCHE PHYSIKALISCHE GESELLSCHAFT DEUTSCHE SHELL DEUTSCHEN TELEKOM STIFTUNG DREWES, DETLEF DUFFY, BERNADETTE 53 23 56 135 11, 14, 20, 21, 24, 28, 48, 49, 67, 90, 91, 132, 144, 156 136 114, 115 137 E EBAY EDISON, THOMAS ENGELMAYER 57 126 35 F FEIBEL, THOMAS FLAMMER, AUGUGST FLUCK, ROBERT FOCUS VERLAGS GMBH FORD FRÖBEL, AUGUST 23, 73, 75, 104, 106, 119, 120, 42 127 58, 59 141 136 G GALILEI, GALILEO GATES, BILL GAUSS, CARL FRIEDRICH GÖBEL, UWE GOETHE VON, JOHANN W OLFGANG GOOGLE GOOGLE-EARTH GOTTSCHALDT GOTTSCHALK, THOMAS GRIN VERLAG MÜNCHEN GROB, ALEXANDER GRUNDMANN GUTENBERG, JOHANNES 126 25 135, 145 50, 51, 135 48 56, 57, 68, 83, 152 56 35, 36, 7 153 19, 29, 42, 50 15, 47, 75, 77 150 H HABERMAS, JÜRGEN HÄFFT VERLAG MÜNCHEN HAGEDORN, FRIEDRICH HARTH, THILO HELLERHOFSCHULE HERAKLIT HERTIE- STIFTUNG HUMBOLDT HURRELMANN, KLAUS 148 154 149 84, 96, 146, 148 17 125 18 51 24, 156 J JARMUSCH, JIM JÜLICH 126 48 K KAUF KOERBER, BERNHARD KRAJEWSKI, MARKUS KRITOBULOS 48 152 66 10 L LARSON, GARY 38 172 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet LEVEN LINSSEN LUHMANN, NIKLAS 24 24 66, 136, 150 M MATZERAT, OSKAR MICROSOFT CORPORATION MONTESSORI, MARIA MÜHLE, GÜNTHER MÜNCHOW , RALF 10 25, 56, 57 150, 153 36, 37 55 N NAUCK, BERNHARD NESTMANN, F. NIETHAMMER 17 63 51 O OELKERS, JÜRGEN OPEN-SOURCE-BEWEGUNG OSER, FRITZ 96, 97, 98 25 96, 97, 98 P PARSONS, TALCOTT PESTALOZZI PHILLIPS, GARY PLATON PROTAGORAS 69, 73, 74, 136 150 129 11, 24, 125 125 R REICH, ROBERT REUTLINGER, CHRISTIAN THOMAS RÉVÈSZ RICHARD, RAINER RIESENHUBER RÖSSLER, MATTHIAS ROTH, HEINRICH ROWLINGS, JOANNE K. RUBNER, JEANNE RUHNKEHL, JENS 68, 123 26, 32, 33 35 112 134 156 99 130 17 66 S SCHENK-DANZIGER SCHLAFFKE, W INFRIED SCHMERL, CHR. SCHORB, BERND SCHREIER, JÜRGEN SCHRÖDER-KÖPF, DORIS SIMPSONS, THE SOKRATES STEINHÄUSER, ROBERT STRUCK, PETER STRUNZ SÜDDEUTSCHE ZEITUNG SYDOW 35, 36 152 63 8 155 130 146 25, 26, 38 9 76, 77 35 77, 87 48 T THOMAE THOMAS CORAM CHILDREN’S CENTRE THORVALD, LINUS T-ONLINE 35, 36 137 25 57 W W AGNER, ULRIKE 48 173 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet W ASHINGTONER ECONOMIC POLICY INSTITUTE W EBER, MAX W EIZENBAUM W ENZEL W IKIPEDIA W INDOWS W ITTE, KARL WP W ISSENSPORTAL GMBH 137 134 130 36 57, 154 25 155 54 Y YAHOO! 57, 58 5.2. Sachwortregister* A abgehängtes Prekariat Aggression Alleinerziehende Allokationsfunktion Angst, Ängste Anstand anthropologische Grundlage Arbeitgeber Arbeitslosigkeit Arbeitsmarkt Ausbildung Aussicht~ Autorität~ ungefähre Seitenangaben 132 24, 28, 31, 110 8, 15, 70, 71, 72, 76 49 34, 38, 76, 88, 113, 122, 124, 154 106, 119, 156 49 152 22, 33, 111 20, 34, 48, 82, 101 8, 10, 11, 33, 44, 45, 47, 48, 49, 50, 51, 81, 82, 85, 90, 91, 102, 124, 128, 134, 137, 148, 156 28, 34, 50, 96 24, 73, 87, 88, 155, 156 B Basiskompetenz Bedingung Begabung Begabungsförderprojekt Begabungsförderung Belastung Belastungsstörung Beruf~, beruflich Beschäftigung Bevölkerung Bewältigung~ Beziehung Beziehungspflege Bildung Bildungsangebot Bildungsaspirant bildungsfern bildungsnah Bildungsniveau Bildungsqualifikation Bildungsserver Bildungssystem Bildungsverhalten Biografie, Biographie 136, 137 12, 17, 18, 29, 54, 56, 61, 67, 70, 84, 87, 88, 89, 94, 95, 100, 136, 149, 155 12, 35, 36, 37, 48, 51, 82, 118, 132, 138, 145, 151, 153 10, 38, 88 7, 11, 12, 14, 15, 38, 39, 44, 47, 48, 49, 51, 54, 76, 77, 82, 84, 85, 96, 119, 141, 157 14, 20, 28, 29, 33, 50, 76, 78 20 7, 8, 11, 12, 14, 19, 21, 22, 24, 30, 32, 36, 37, 38, 44, 45, 48, 49, 50, 52, 55, 62, 63, 77, 81, 82, 83, 85, 96, 97, 98, 99, 109, 110, 124, 129, 131, 138, 144, 146, 147, 155, 156 82, 91, 155, 156, 157 17, 33, 67, 70, 72, 89, 92 14, 30, 31, 32, 34, 35, 82 12, 15, 79, 95, 102 19 12, 14, 19, 51, 82, 83, 84, 95, 124, 127, 128, 132, 136, 137, 147, 151 51, 82, 83 18, 95 8, 27, 47, 75 8, 26, 75 20 20 43, 52, 82 47, 51, 96, 98, 99, 100, 102 17 14, 32, 54 174 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Biologie Buch~, Bücher~ 53, 100, 138, 139, 140, 143, 147, 148 7, 18, 20, 22, 38, 59, 79, 89, 90, 101, 102, 106, 115, 130, 131, 132, 143, 147, 148, 150, 152, 153 C Chance Chat Chatroom chatten Chemie Coaching Computer Cyberspace 20, 21, 22, 32, 33, 35, 55, 59, 66, 72, 73, 94, 96, 101, 103, 111, 112, 119, 129, 130, 131, 137, 150 58, 59, 60, 61, 62, 64, 70, 79, 80, 102, 107, 115, 118, 119 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 107 27, 57, 59, 61, 107, 114 53, 112, 135, 138, 139, 140, 142, 143 38 13, 43, 44, 52, 55, 66, 67, 68, 75, 84, 87, 88, 91, 103, 104, 105, 106, 108, 126, 133, 150, 154 31, 66, 106 D Defizit Depression Deutschkenntnisse Dialog Didakt~ Dienstleistung~ distant learning Distanz~ Dynam~ Egoshooter 17, 21, 72, 95, 124, 130, 155 20 18 55, 64, 115, 126 39, 84, 85, 94, 98, 99, 139, 140, 141, 144,148, 150, 151, 152, 154 126 95 23, 24, 43, 95, 114, 119 8, 36, 66, 67, 69, 70, 87, 97, 98, 119, 125, 133 103 E Ehrgeiz Eigenverantwort~ Eltern~, Großeltern Englisch~ Entfremdungstheorie Enttraditionalisierung Entwicklung~ epistemisches Verhalten Erfahrung~ Erkenntnis~ Erstausbildung Erwachsene Erwerbsbiographie Erziehung(s)~ Exoebene Experiment Extremismus 26 9, 23, 27, 116 8, 10, 11, 13, 15, 16, 22, 23, 24, 27, 30, 31, 38, 42, 43, 47, 69, 70, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 84, 88, 90, 91, 92, 93, 94, 100, 101, 102, 103, 104, 109, 112, 117, 119, 120, 128, 133, 155 52, 53, 77, 132, 137, 147 29 15, 16 7, 8, 9, 11, 14, 19, 22, 26, 29, 30, 32, 33, 34, 42, 48, 51, 66, 67, 71, 72, 76, 78, 101, 102, 134, 147, 149, 150, 152, 154, 156 128 12, 13, 23, 36, 39, 47, 51, 59, 61, 62, 72, 86, 94, 95, 97, 98, 104, 107, 113, 114, 122, 125, 127, 128, 131, 132, 133, 146, 151, 153, 154, 157 15, 24, 38, 63, 66, 67, 68, 124, 125, 134, 138, 147, 143 8, 10, 11, 44, 45, 48, 84, 87, 98, 100 7, 10, 16, 19, 22, 23, 27, 29, 30, 39, 42, 43, 61, 62, 70, 72, 75, 78, 82, 87, 91, 94, 102, 103, 112, 113, 115, 116, 119, 133, 154, 156, 157 14 8, 11, 14, 15, 16, 18, 19, 21, 24, 27, 33, 36, 43, 46, 50, 51, 47, 70, 72, 74, 75, 76, 77, 79, 83, 96, 98, 109, 112, 116, 119, 128, 129, 130, 133, 136, 137, 147, 156 13, 15 135 28 F Familie(n)~ 8, 12, 13, 14, 15, 18, 21, 22, 24, 27, 30, 32, 33, 36, 43, 47, 48, 52, 56, 59, 60, 62, 67, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 175 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Fernseh~ Festplatteninhalt Flexibilität Förder~ Forum Frauen Frustrationstoleranz 79, 81, 88, 89, 96, 100, 102, 104, 109, 115, 136, 155 23, 28, 59, 62, 77, 79, 88, 89, 90, 103, 104, 106, 110, 146, 157 147 87, 99, 123, 146 11, 13, 14, 17, 21, 35, 38, 39, 48, 50, 51, 53, 73, 75, 82, 84, 94, 95, 96, 118, 122, 124, 128, 146, 150, 153, 155, 157 39, 54, 63, 68, 80, 154 8, 10, 14, 15, 19, 20, 21, 22, 54, 55, 62, 63, 64, 73, 79, 81, 107, 114, 119, 129, 130, 131 10, 73 G Gefahr Generation~ Gesamtschule Gesellschaft Gesetz Gewalt~ Globalisierung~ Grundlagen~ Gruppe~ Gymnasium 18, 27, 43, 49, 66, 67, 93, 94, 101, 103, 104, 111, 114, 115, 148 11, 14, 15, 16, 17, 18, 22, 23, 24, 32, 42, 47, 67, 69, 70, 73, 87, 98, 104, 120, 136, 156 13, 47, 92, 93, 133 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 16, 54, 55, 56, 66, 67, 68, 70, 73, 74, 88, 106, 108, 109, 112, 123, 126, 127, 128, 130, 131, 132, 134, 135, 146, 147 109, 139 10, 28, 49, 66, 103, 104, 105 7, 11, 32, 75, 127, 156 17, 50, 84, 99, 101, 102, 111, 135 7, 8, 10, 13, 15, 17, 21, 38, 42, 44, 53, 56, 59, 60, 63, 69, 84, 86, 87, 91, 94, 95, 98, 101, 103, 108, 109, 110, 112, 113, 114, 117, 118, 120, 129, 133, 157 10, 46, 47, 92, 93, 117, 133 H Habitationsthese Handy Hauptschule, ~schülerin, ~schüler Hausaufgaben Haushalt Heimnetzwerk Herausforderung Hyperlink 104 57, 67, 93, 94, 120 9, 13, 20,22, 45, 46, 47, 81, 89, 91, 92, 93, 128, 132, 133, 137, 138, 139, 140, 141, 142 53, 54, 154 67, 70, 71, 72, 74, 88, 89, 130 12 10, 15, 20, 32, 42, 51, 55, 78, 84, 87, 96, 100, 147, 148, 149, 150, 152, 153 57 I Identität Identitätsbildung Imitationsthese Information~ Inhibitionsthese Institution Integrität Interaktion interaktiv interdisziplinär Internet~ 16, 23, 30, 105, 106 30 104 7, 12, 13, 15, 23, 27, 50, 52, 54, 55, 56, 57, 59, 64, 66, 68, 78, 83, 84, 85, 86, 87, 90, 94,. 96, 98, 104, 107, 109, 114, 120, 123, 124, 130, 131, 133, 146, 147, 149, 150, 151, 153 103 13, 15, 16, 31, 32, 33, 39, 43, 42, 48, 52, 53, 69, 70, 84, 95, 97, 101, 146, 147, 152, 105, 106 29, 30, 53, 56, 59, 72, 94, 101, 105, 119, 148 12, 47, 48, 56, 57, 62, 70, 83, 84, 108, 146, 148, 154 13, 51, 145 7, 11, 12, 13, 16, 18, 19, 20, 21, 22, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 36, 38, 39, 42, 43, 44, 45, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 61, 62, 63, 64, 66, 67, 68, 69, 70, 73, 74, 75, 77, 78, 79, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 88, 89, 90, 91, 92, 94, 96, 98, 100, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 122, 123, 124, 132, 176 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet 146, 147, 148, 149, 150, 152, 153, 154, 155, 157 J Jugend~ 7, 8, 10, 11, 13, 14, 16, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 38, 43, 44, 45, 46, 48, 49, 50, 51, 52, 57, 59, 67, 74, 75, 78, 79, 81, 87, 89, 90, 92, 92, 93, 95, 103, 104, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 116, 117, 118, 119, 120, 130, 131, 133, 136, 142, 144, 155 K Katharsisthese Kenntnis, ~se Kinder~ Kirche Klasse Kogniti~ kognitives Verhalten Kommunikation~ Kompetenz Konflikt~ Konsum~ Kontakt kontingentes Lernen Kontrolle~ Konvertierungsproblem Konzept~ Kulturtechnik 103 18, 38, 54, 58, 62, 63, 68, 84, 100, 101, 105, 112, 124, 125 8, 10, 11, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 21, 24, 27, 29, 31, 32, 34, 43, 44, 47, 48, 59, 61, 64, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 87, 87, 88, 97, 97, 100, 102, 103, 104, 105, 108, 109, 112, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 130, 132, 133, 136, 137, 146, 155, 156, 157 112 9, 12, 17, 18, 20, 22, 27, 31, 51, 52, 53, 78, 86, 87, 88, 93, 94, 97, 99, 101, 114, 129, 132, 137, 139, 140, 141, 142, 145, 150, 151, 152, 155 14, 22, 68, 72, 75, 122, 124, 128, 129, 130, 133, 155 128 7, 12, 13, 21, 22, 38, 52, 55, 56, 57, 58, 62, 63, 97, 106 107, 120, 123, 126, 132, 133, 147, 148, 149 12, 21, 28, 42, 44, 78, 94, 96, 97, 101, 102, 116, 131, 146, 147, 148, 149, 156 12, 15, 22, 23, 73, 76, 79, 104 28, 59, 68, 88, 89, 90, 91, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 113, 114, 115, 116, 119, 120 19, 26, 38, 52, 53, 63, 70, 75, 81, 106, 107, 109, 114, 115, 116, 118, 156, 157 144 14, 15, 20, 21, 22, 33, 68, 97, 103, 106, 109, 110, 114, 118, 119, 150, 155 86 7, 8, 84, 99, 134, 148, 150 44, 45, 122, 124 L Lebensgestaltung lebenslanges Lernen Lebenswelt Lehrangebot lehren~ Lehrer~, ~in(nen) Lehrinhalt(e) Lehrplan~ Leistung~ Leistungseffizienz~ lernen Lernenergie 81 44 8, 32, 48, 55, 70, 97 99, 100 54, 84, 86, 87, 88, 96, 98, 125, 128, 129, 134, 145, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 155 9, 12, 13, 16, 20, 22, 27, 38, 43, 47, 54, 55, 74, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 109, 127, 128, 129, 132, 134, 141, 145, 151, 152, 155 84, 150, 152 51, 100, 101, 102, 128, 140, 144, 147, 149, 152 20, 22, 34, 35, 36, 37, 45, 58, 59, 77, 86, 87, 95, 100, 101, 122, 126, 129, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 148, 151, 152, 157 122, 152 12, 13, 15, 17, 19, 24, 44, 45, 47, 51, 53, 55, 57, 72, 75, 77, 80, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 94, 95, 98, 99, 100, 102, 104, 109, 113, 119, 125, 127, 129, 130, 136, 137, 138, 139, 140, 142, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154, 155 8 177 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Lernfähigkeit Lerninhalt~ Lernprogramm Lerntheorie Lesekompetenz lifelong-learning Logik~ logisch~ Logos 75 45, 56, 83, 86, 147, 150, 153, 154 154, 155 102, 122 45, 122, 130, 133 55 29, 30 110, 125 125 M Makroebene Männer Massenmedium Mathematik~ Medienangebot Mediendiskussion Medienkompetenz Medienpädagogik Messenger MigrantInnen Migrationshintergrund Migrationsmotivation Mikroebene Milieu Mittelfeld Mittelmaß Modellprojekt „Deutsch und PC“ multikulturell~ Mutter~, Mütter 13, 15 14, 19, 20, 21, 22, 23, 62, 63, 64, 73, 79, 81, 116, 129, 130 66 9, 54, 130, 133, 134, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 154 82, 102 74, 153 7, 12, 13, 28, 55, 73, 98, 116, 124, 130, 146, 148, 149, 150, 151 38, 75, 101 57, 59, 88, 112 17 26, 27, 132 17 12 21, 27, 30, 31, 47, 75, 109 36, 143 139 17 26, 127 8, 11, 14, 15, 18, 62, 69, 70, 72, 74, 73, 76, 77, 105, 115, 117, 119, 137 N Nachhilfe~ Nähe Naturwissenschaft~ Netz Netzwerk Netzwerkpioniere Neue Medien 54, 94, 95, 96 43, 53, 100 50, 96, 99, 134, 135, 136, 138, 139, 140, 141, 142, 152 30, 43, 52, 54, 55, 58, 61, 108, 112, 116, 117, 118, 123 16, 12, 13, 14, 15, 19, 20, 27, 42, 43, 52, 59, 63, 66, 96, 105, 107, 116, 148, 151, 152 42 153 O Organisation Orientierung 13, 32, 42, 94, 99, 106, 111, 112, 138, 146, 150 9, 20, 28, 32, 34, 46, 62, 72, 73, 88, 102, 115, 116, 119, 126, 128, 149, 156 P Pädagogik panta rhei Perspektiv~ Phänomen Physik~ Plebiszität Portal Präferenz Prägung Produktion 24, 32, 33, 85 125 49, 53, 56, 66, 72, 81, 83, 95, 113, 120, 125, 152 62, 63, 71, 77, 82, 86, 87, 95, 103, 104, 126, 130, 134, 139, 146 53, 86, 99, 134, 135, 138, 139, 140, 143, 144, 147 66 52, 54, 154 74 50, 105, 113 51, 69, 127, 155 178 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet psychische ~Belastung ~Fehlentwicklung Pubertät 78 48 8, 19, 42, 63, 76, 78, 104, 144 R Rapport Ratio~ Raum, Räume Reaktion~ Reale Welt, Reale Wirklichkeit (RW) Realschule Reformdiskussion Reifeprozess Ressource Risiko role-making role-taking Rollenkompetenz Rollenvorstellung Ruhe~ 96 68, 134 12, 30, 31, 32, 33, 36, 43, 57, 58, 59, 60, 62, 65, 75, 89, 105, 107, 116, 146 20, 28, 136, 155 42, 43, 44, 61, 62, 63, 70, 83, 102, 105, 106, 108, 109, 112, 117, 118 10, 13, 46, 47, 92, 93, 123 15 7, 8, 9 13, 29, 30, 31, 33, 34, 72, 94, 95, 97, 127 32, 79, 95, 130 8, 9 8, 9 12 21, 74 48, 98, 146 S Schlüsselqualifikation Schulalltag Schule Schulen-ans-Netz Schulnetzwerk Schulsystem Schulversagen Schulversager Schulverweigerer Schulverweigerung Sektenschule Selbstlernphase Selbstreflexion SMS Social Loafing sozial~ 45, 81, 122 13, 19, 55, 60, 132, 147, 154 8, 11, 12, 13, 15, 16, 26, 27, 47, 48, 49, 51, 52, 54, 55, 61, 64, 72, 73, 78, 79, 81, 82, 83, 84, 85, 88, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 129, 131, 133, 136, 138, 144, 148, 149, 151, 152, 154, 155, 156 43, 54, 55 13 98 46 146 46 27, 46 91 82 21 68, 78, 93, 94 86 7, 9, 11, 12, 14, 15, 16, 19, 20, 21, 24, 26, 28, 29, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 38, 39, 47, 52, 52, 56, 59, 60, 62, 63, 69, 70, 72, 73, 75, 79, 81, 84, 85, 86, 88, 94, 95, 96, 101, 105, 106, 107, 109, 110, 111, 114, 117, 118, 119, 122, 128, 129, 131, 132, 134, 136, 137, 138, 146, 147, 148, 149, 155, 156 179 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet sozial-kognitiv sozialer, (soziokultureller) Kontext Sozialisation~ Sozialstruktur Sozialverhalten Soziologie soziologisch~ Spielraum, ~räume Spieltheorie Spieltrieb Sport~ Standard~ Stiftung Stimulationsthese Struktur~ Sucht~, Süchte Symbol~ 24, 102, 113, 122, 123, 130, 136,138, 152, 153, 155, 157 9, 15, 42 14, 21, 42, 44, 52, 54, 56, 58, 59, 61, 62, 63, 69, 72, 74, 75, 76, 77, 81, 82, 151, 155 19, 21, 26, 28 16, 17, 56, 93, 94, 157 69, 99 7, 9, 10, 59, 62, 63, 64, 66, 67, 69, 70, 72, 76, 88, 89, 92, 109, 113, 114, 122, 150 31, 83, 96, 109, 145, 147 146 22 13, 90, 101, 110, 112, 147 56, 120, 137 18, 52, 67, 91, 130, 136, 144 104 15, 19, 21, 22, 26, 27, 28, 30, 31, 32, 35, 36, 66, 67, 82, 83, 99, 115, 147, 153, 155 104, 107 38, 68, 73, 111, 123,124, 126, 137 T Team~ Techno~ Telekommunikation~ Tradition Training~ Trittbrettfahren Tutorensystem 52, 86, 101, 152, 156 7, 13, 27, 50, 55, 66, 84, 85, 88, 94, 105, 120, 123, 124, 146, 147, 149, 150 13, 63, 85, 87, 93, 94 15, 16, 22, 32, 69, 73, 82, 97, 151 31, 42, 78, 141, 157 86 95, 98, 100 U Überforderung Umwelt Universität Unterricht~ Unterschicht Unterstützung Untersuchung Urteil~ USA US-amerikanisch 20, 28, 88 16, 30, 33, 56, 63, 122, 130, 138, 107, 116, 137 9, 18, 19, 27, 28, 44, 48, 54, 55, 60, 61, 78, 82, 83, 85, 86, 87, 88, 92, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 112, 127, 132, 133, 134, 138, 139, 140, 147, 150, 151, 152, 155, 156 46, 81, 92, 93, 95, 109, 132 15, 63, 75 36, 47, 56, 59, 60, 61, 62, 89, 107, 118, 130, 157 11, 37, 68, 86, 87, 95, 97, 125, 133, 147, 148, 149 43, 61, 99, 110, 117, 149 118, 146, 149 V Vater, Väter~ Verantwortung~ 11, 14, 15, 32, 73, 115, 119 16, 19, 34, 59, 79, 83, 91, 100, 109, 116, 119, 151 180 Jürgen Arndt: „Entwicklung statt Erziehung“ – Begabungsförderung Heranwachsender im Internet Verhalten Verhaltensmuster Verhaltensweise Vernetzung Verständnis Virtuelle Realität bzw. Welt (VR) Vision 16, 19, 21, 28, 31, 35, 47, 56, 64, 79, 80, 87, 93, 94, 97, 102, 104, 114, 115, 122, 128, 153, 155 21, 120 16, 28, 130 55 24, 73, 102, 111 42, 62, 106, 108, 112, 117, 118 66, 100 W Wahrnehmung Web~ Wertorientierung Wirtschaft~ Wissen Wissensgesellschaft 66, 68, 136, 149, 27, 52, 55, 56, 57, 63, 94, 110, 111, 112, 113, 115, 116, 117, 118, 119 9 36, 51, 70, 73, 83, 95, 99, 108, 114, 119, 127, 131, 148, 155, 156 24, 44, 75, 86, 97, 98, 99, 124, 125, 126, 127, 129, 147 130, 131, 132 Z Zukunft~ 9, 11, 20, 21, 24, 48, 49, 63, 66, 67, 82, 84, 96, 111, 124, 125, 146, 150, 156 52, 55, 58, 83, 84, 86, 136, 137 Zusammenarbeit *die Tilden sind der Einfachheit halber immer hinter den Wortstamm gestellt und dienen als Platzhalter für weitere Wortanhängsel vor wie hinter dem Wortstamm. Dortmund, den 18. Januar 2007 181