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Jahrbuch 2011/2012 | Thomas, Hubertus M.; Morfill, Gregor E. | Plasmakristall – 10 Jahre Forschung auf der Internationalen Raumstation Plasmakristall – 10 Jahre Forschung auf der Internationalen Raumstation The Plasma Crystal – 10 years of research on the International Space Station Thomas, Hubertus M.; Morfill, Gregor E. Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching Korrespondierender Autor E-Mail: thomas@mpe.mpg.de Zusammenfassung Seit 10 Jahren führt das MPE erfolgreich Forschung zu komplexen Plasmen auf der Internationalen Raumstation ISS durch. W issenschaftlich ermöglicht sie neue Einblicke in viele Zw eige der Physik. Mehr als 60 Publikationen in referierten Journalen sind dabei erschienen, ein Teil soll hier vorgestellt w erden. Diese Forschung hat nicht nur eine beeindruckende Historie, sondern auch eine vielversprechende Zukunft: Das nächste Labor PK-4 soll 2014 gestartet w erden und auch für die fernere Zukunft ist vorgesorgt, sodass vermutlich diese Forschung die ganze Lebensspanne der ISS abdecken kann. Summary The MPE successfully performs research on complex plasmas on the International Space Station ISS since ten years. This allow s scientifically new insights in many fields of physics. More than 60 publications in refereed journals have appeared. Some results shall be presented here. This research not only has a successful history but also a promising future: the next lab PK-4 shall be launched in 2014 and for the farer future a new lab is under development. Thus, plasma crystal research might cover the w hole span of life of the ISS. Die Internationale Raumstation ISS Die Internationale Raumstation ISS (Abb. 1) ist seit mehr als 10 Jahren in Betrieb und bildet unseren bemannten Außenposten im Weltraum. Sie ist eine der größten internationalen Kooperationen, unter Führung von Russland und den USA. Hauptsächlich politisch entschieden, bietet sie jetzt hervorragende Möglichkeiten für die W issenschaft den Einfluss der Schw erkraft am Menschen und auf Materialien zu untersuchen. Nebenbei ist sie Technologietreiber für zukünftige bemannte und unbemannte Missionen in den nahen und ferneren W eltraum. © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/8 Jahrbuch 2011/2012 | Thomas, Hubertus M.; Morfill, Gregor E. | Plasmakristall – 10 Jahre Forschung auf der Internationalen Raumstation A bb. 1: Inte rna tiona le R a um sta tion ISS in 2008 m it de m a nge dock te n e uropä ische n C olum bus-Modul (Q ue lle : NASA). Kle ine s Bild: Kosm ona ut Se rge y Krik a le v be im Ausla de n de r P KE-Ne fe dov Nutzla st im Mä rz 2001 (Q ue lle : R KK-Ene rgia ). © NASA; R KK-Ene rgia Grundlagenforschung auf der ISS in unterschiedlichsten Gebieten, w ie z. B. in der Medizin oder der Materialforschung, w ird seit Beginn der Besiedlung durchgeführt. Das erste größere naturw issenschaftliche Labor w urde in russisch-deutscher Kooperation schon 2001 von der ersten permanenten Crew in Betrieb genommen: MPEs Plasmakristall-Labor PKE-Nefedov. W ährend die anderen ISS-Partner – NASA, ESA und JAXA – auf ihre Labormodule w arten mussten, konnte das Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) zusammen mit seinem russischen Partner dieses Labor im russischen Teil der ISS in Betrieb nehmen. Eine perfekte Übereinkunft zw ischen den Agenturen ROSCOSMOS und DLR hat der deutschen Seite, die eigentlich nur indirekt über die ESA Ressourcen auf der ISS hat, diesen Schritt ermöglicht: Deutschland w ar dabei für die Konstruktion, die Fertigung und die Qualifikation des Labors zuständig, w ährend Russland für den Transport zur und für die Unterbringung auf der ISS, für Crew training und -zeit sow ie für die Organisation und die Durchführung der Experimente verantw ortlich w ar. Die W issenschaft, also das Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik und das Akademieinstitut "for High Temperatures" geleitet von Vladimir Fortov in Moskau, profitieren von dieser Kooperation gleichermaßen, da die w issenschaftlichen Ergebnisse gemeinsam ausgew ertet und publiziert w erden. Bis Oktober 2011 konnten 29 Experimentserien – jede mit einer Länge von etw a einer Woche – auf der ISS durchgeführt w erden; fast jede Crew an Bord hat Plasmakristallexperimente durchgeführt, darunter auch Thomas Reiter, der als ESA-Astronaut 2006 als erster Europäer auf einer Langzeitmission für etw a 6 Monate auf der ISS arbeitete. Historie: Plasmakristall und sein Weg auf die ISS Die Plasmakristallforschung, oder allgemeiner die komplexe Plasmaforschung, ist eine relativ junge Forschungsrichtung, die seit 1994 existiert und seitdem stark gew achsen ist. Ein Plasma ist ein ionisiertes Gas, also nach dem festen, dem flüssigen und dem gasförmigen Zustand der vierte und ungeordnetste Zustand der Materie. Ein „Plasmakristall“ ist ein ungew öhnlicher Zustand der Materie – eine Kristallisation in einem normalen Plasma ist nicht möglich. Nur durch die Zugabe von kleinen, festen Partikeln in der Größe von ca. einem Tausendstel Millimeter kann das Plasma kristallisieren. Die Partikel laden sich im Plasma durch die Wechselw irkung mit den freien Elektronen und Ionen auf, bis zu einigen tausend Elementarladungen auf einem einzigen Partikel. Sind genügend Partikel im Plasma, dann können diese sich durch die gegenseitige elektrostatische Abstoßung in regelmäßigen Strukturen anordnen. Durch diese Selbstorganisation können die Teilchen dann eine Flüssigkeit oder einen Festkörper, den sogenannten Plasmakristall bilden. © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/8 Jahrbuch 2011/2012 | Thomas, Hubertus M.; Morfill, Gregor E. | Plasmakristall – 10 Jahre Forschung auf der Internationalen Raumstation Das besondere an Plasmakristallen ist die Möglichkeit einzelne Partikel, also einzelne „Gitteratome“, dynamisch zu verfolgen und Vorgänge w ie z. B. das Schmelzen oder die Bew egung von Gitterdefekten direkt untersuchen zu können. Dies ist möglich da die Partikel im Vergleich zu Atomen sehr groß sind und sich in sehr großen Abständen von ca. 1/10 mm anordnen. Zur Beobachtung reicht dann einfache Mikroskopie aus. Da die Partikel groß und damit natürlich auch schw er sind, spielt die Schw erkraft bei der Erzeugung der Plasmakristalle eine bedeutende Rolle. Im Labor lassen sich nur kleine fast zw eidimensionale Kristalle untersuchen. Größere Systeme benötigen Schw erelosigkeit, die natürlich auf der ISS hervorragend gegeben ist. Andere Möglichkeiten solche Experimente durchzuführen bieten Parabelflüge oder Forschungsraketen. Seit Beginn der Plasmakristallforschung am MPE 1992 galt das Ziel, dass Untersuchungen unter Schw erelosigkeit die Laborexperimente vervollständigen sollten. Seit 1996 führt das Institut Kurzzeit- Schw erelosigkeitsexperimente durch. Nach dem zw eiten Forschungsraketenexperiment im Februar 1998 bekam das MPE Besuch von Prof. Vladimir Fortov, Direktor eines großen Plasmaphysik-Institutes in Moskau und nebenbei zu diesem Zeitpunkt auch noch Minister für Forschung und Technologie im Kabinett von Präsident Jelzin. Fortov hatte eine komplexe Plasmagruppe an seinem Institut gegründet und bekam auch schnell die Möglichkeit, ein einfaches Experiment dazu auf der MIR-Station durchzuführen. Nachdem Fortov die einmaligen Ergebnisse des Raketen-Experiments vorgeführt bekam, schlug er sofort vor, gemeinsam auf der MIR-Station zu experimentieren. Dazu sollte die schon w eltraumerprobte Raketennutzlast leicht modifiziert und gemeinsam auf die MIR-Station gebracht w erden. Dies brachte diese sehr fruchtbare Kooperation ins Rollen und es w urde mit der Adaption der Apparatur begonnen. Leider, oder doch eher zum Glück, w urde kurze Zeit später in Russland entschieden die MIR-Station aufzugeben, um sich ganz auf die neue Station ISS konzentrieren zu können. Damit ist das gemeinsame Plasmakristallexperiment nicht das letzte Experiment auf der MIR-Station, die dann auch im März 2001 bei ihrem W iedereintritt in die Erdatmosphäre teilw eise verglühte und teilw eise im Pazifischen Ozean versenkt w urde, sondern das erste auf der jungen Internationalen Raumstation ISS gew orden. PKE-Nefedov [1], so hieß dieses gemeinsame Labor, w urde im Februar 2001 auf die Raumstation gebracht und von der ersten Crew in Betrieb genommen. Es w ar bis 2005 in Nutzung. Es gilt w issenschaftlich als das erfolgund ertragreichste Experiment auf der ISS. Seit 2006 ist das Nachfolgelabor PK-3 Plus [2] auf der ISS in Betrieb und liefert, w ie sein Vorgänger, hervorragende Ergebnisse. Es soll bis 2013 betrieben w erden, bis dann das Labor der dritten Generation (PK-4), diesmal in Kooperation zw ischen ESA und ROSCOSMOS, auf dem Columbus-Modul in Betrieb genommen w erden soll. Ausgewählte wissenschaftliche Ergebnisse von 10 Jahren Forschung auf der ISS Die komplexe Plasmaforschung ist durch ihre besonderen Eigenschaften sehr interdisziplinär. Untersuchungen von Festkörper-, Kolloid- und flüssigen Phänomenen lassen sich ebenso untersuchen, w ie plasmaphysikalische Effekte. Die Plasmakristall-Laboratorien PKE-Nefedov und PK-3 Plus auf der ISS sind für diese Untersuchungen hervorragend geeignet und es soll hier ein Spektrum der Ergebnisse w iedergegeben w erden, die dies belegen. Kristalle und Flüssigkeiten © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/8 Jahrbuch 2011/2012 | Thomas, Hubertus M.; Morfill, Gregor E. | Plasmakristall – 10 Jahre Forschung auf der Internationalen Raumstation W ie der Name erkennen lässt, sind die Plasmakristall- (PK-) Laboratorien zur Untersuchung der Festkörpereigenschaften von großen 3-dimensionalen komplexen Plasmen gebaut w orden. W ie schon erw ähnt ist dabei ein Plasmakristall ein geordnetes und stabiles System von geladenen Mikropartikeln, die über ihre abgeschirmten Ladungen miteinander w echselw irken. Abhängig vom energetischen Zustand des Systems können sich verschiedene Kristallgitter ausbilden, die aus der Festkörperphysik bekannt sind: kubisch flächenzentrierte (fcc) und raumzentrierte Gitter (bcc), hexagonale Gitter (hcp), etc. Die kristalline Struktur kann lokal variieren, aber auch der Phasenübergang in den flüssigen Zustand kann beobachtet w erden. Das macht die Plasmakristalle zum idealen Modellsystem, um solche Phänomene in hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung zu untersuchen. Die Themen zu Kristallstruktur, Kristallisation und Schmelzen ziehen sich über die letzten 10 Jahre Forschung auf der ISS hinw eg und liefern immer w ieder neue Einblicke in diese Physik. Mit PKE-Nefedov, dem ersten Langzeitlabor unter Schw erelosigkeit für diese Forschungsrichtung, w ar es zuerst nur möglich, kleinere Bereiche des komplexen Plasmas so zu verfestigen, dass man Plasmakristalle untersuchen konnte. Aber selbst hier konnte man schon die energetisch unterschiedlichen Strukturen fcc und bcc entdecken (Abb. 2, links) und untersuchen [1]. A bb. 2: P la sm a k rista lle : Erste Be oba chtung von 3D P la sm a k rista lle n in P KE-Ne fe dov, be ste he nd a us unte rschie dliche n Struk ture n die ne be ne ina nde r k oe x istie re n (link s). Die Gra fik obe n ze igt a lle P a rtik e lpositione n von dre i a ufe ina nde r folge nde n Gitte re be ne n, in de r obe re n Ebe ne sind die nä chste n Na chba rn ve rbunde n m it Linie n (Tria ngula tion) um die Struk tur be sse r a ufzuze ige n. Die dre i k le ine re n Gra fik e n ze ige n Ve rgröße runge n um die unte rschie dliche n Krista llstruk ture n da rzuste lle n. Die Doppe lgra fik (re chts) ze igt O rigina lbilde r von k rista lline n Struk ture n, die m it P K-3 P lus be oba chte t wurde n in zwe i unte rschie dliche n Ve rgröße runge n. Kla r e rk e nnba r ist, da ss die ge sa m te P a rtik e lwolk e im Übe rsichtsbild k rista llisie rt ist. © Ma x -P la nck -Institut für e x tra tra te rre strische P hysik In Experimenten mit PK-3 Plus, das gegenüber dem Vorgänger noch mal erheblich verbessert w erden konnte, ist es möglich viel größere Systeme zu kristallisieren und auch den Kristallisations- und Schmelzvorgang zu untersuchen [3]. Hierzu w urden die Experiment-Parameter sow eit geändert, dass sich eine zuerst flüssige Phase in eine kristalline Struktur umw andelt (Abb. 2, rechts) und danach w ieder aufschmilzt. Diese Evolution der Struktureigenschaften konnte für unterschiedliche Wechselw irkungspotenziale gezeigt w erden. Theoretische Teilchengrößen Abschätzungen und somit erlauben unterschiedlichen die w esentlichen Faktoren, die bei diesem Phasenübergang eine Rolle spielen, zu identifizieren. Superkoagulation Ein sehr interessantes Resultat, w elches so nicht geplant w ar und eigentlich nicht direkt etw as mit komplexen Plasmen zu tun hat, konnte schon im ersten Jahr des Betriebs von PKE-Nefedov in 2001 gew onnen w erden und zw ar durch die direkte Einflussnahme des bedienenden Kosmonauten: Superkoagulation von Mikroteilchen in einem neutralen Gas. © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/8 Jahrbuch 2011/2012 | Thomas, Hubertus M.; Morfill, Gregor E. | Plasmakristall – 10 Jahre Forschung auf der Internationalen Raumstation A bb. 3: Zoo von ge wa chse ne n Agglom e ra te n. Die e inze lne n Agglom e ra te be ste he n a us vie le n 100.000 e inze lne n P a rtik e ln, die sich in e ine m se hr schne lle n "Supe rk oa gula tionsproze ss" ge bilde t ha be n. © Ma x -P la nck -Institut für e x tra te rre strische P hysik Der Kosmonaut führte eine Reihe von Experimenten durch, bei denen die Anzahl der Partikel im Plasma nach und nach manuell erhöht w erden sollte. Bei diesem kritischen Prozess erlosch irgendw ann das Plasma, w as aber für den Kosmonauten nicht direkt sichtbar w ar. So schüttelte er w eiterhin Partikel ein, jetzt aber in ein neutrales Gas. Was dabei passierte verblüffte nicht nur den Kosmonauten auf der ISS, sondern auch die W issenschaftler am Boden – statt einzelner Mikrometer großer Partikel entstanden in kürzester Zeit Agglomerate in Millimeter-Größe. Dieser Versuch ergab zw ei überraschende Erkenntnisse. Erstens enthielten die großen Agglomerate einige 100.000 Mikroteilchen (Abb. 3), w ohingegen die vorhergesagte Koagulation aus nur zw ei Partikeln bestehen sollte. Zw eitens folgte die Größenverteilung der kleineren Klümpchen einem Potenzgesetz [4]. In der Physik deutet dies gew öhnlich darauf hin, dass ein besonderer „skalenfreier“ Prozess abläuft, d. h. die Größe der Agglomerate hängt nicht von der Energie der Teilchen ab. Dieser Prozess kann auch astrophysikalische Ausw irkungen haben, da gerade der Bildungsprozess von kleinen Gesteinsbrocken aus Mikroteilchen im protoplanetaren Nebel um die Sonne w ährend des Entstehungsprozesses der Planeten nicht geklärt ist. Es ist unw ahrscheinlich, dass eine derartige Entdeckung auf der Erde gelungen w äre, da die Partikel in einem Schw erefeld innerhalb eines Sekundenbruchteils einfach aus dem Blickfeld herausgefallen w ären. Nicht-Gleichgewichts-Phasenübergänge in getriebenen Systemen Sogenannte „offene“ Systeme sind Systeme, die Energie und Materie austauschen können. Eine bemerkensw erte Eigenschaft von nichtlinearen offenen Systemen ist die Selbstorganisation, eine spontane Entstehung von stabilen örtlichen (oder zeitlichen) Strukturen, w elche häufig als „dissipative“ Strukturen bezeichnet w erden, da die Dissipation eine konstruktive Rolle in ihrer Entstehung spielt. © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/8 Jahrbuch 2011/2012 | Thomas, Hubertus M.; Morfill, Gregor E. | Plasmakristall – 10 Jahre Forschung auf der Internationalen Raumstation A bb. 4: Nicht-Gle ichge wichts-P ha se nübe rga ng in binä re n k om ple x e n P la sm e n: e ine Te ilche na rt durchdringt die zwe ite und bilde t Ke tte n. © Ma x -P la nck -Institut für e x tra te rre strische P hysik Ein bemerkensw ertes Beispiel eines nichtlinearen Phasenübergangs ist die Bildung von Ketten, einem Phänomen das in der Natur auftritt, w enn zw ei Arten von „Körpern“ gegeneinander getrieben w erden. Wenn die treibende Kraft stark genug ist, dann bilden die Körper, die gleich getrieben w erden, Stromlinien und bew egen sich hintereinander in Ketten. Typischerw eise w eisen die Ketten eine erhebliche anisotrope strukturelle Ordnung auf, begleitet von einer Erhöhung ihrer (unidirektionalen) Mobilität. Das Phänomen w ird am häufigsten bei der Bew egung von Fußgängern in überfüllten Fußgängerzonen beobachtet, kommt aber auch in anderen Systemen mit getriebenen Partikeln vor, w ie kolloidalen Dispersionen, Gitter-Gasen und Molekülionen. In anderen Worten, dies ist ein universeller generischer Prozess von großem Interesse in verschiedenen Bereichen der Physik. Das PK-3 Plus-Labor auf der ISS ist perfekt geeignet, um diese Art von Experimenten durchzuführen. Eine stabile Wolke von „großen“ Mikropartikeln w ird gebildet und von „kleinen“ Partikeln, von der Seite injiziert, durchdrungen (Abb. 4). Aufgrund der unterschiedlichen Gleichgew ichtslagen der großen und kleinen Teilchen durchdringen die kleinen Teilchen die Großen [5]. Abhängig von den Plasma-Bedingungen kann die Bew egung der einzelnen Teilchen einen Übergang zur Kettenbildung zeigen – die Partikel bew egen sich dabei hintereinander her. Dies ist die erste Beobachtung dieses Übergangs in komplexen Plasmen. Elektrorheologische Plasmen Als letztes Beispiel für interessante w issenschaftliche Ergebnisse von der ISS soll hier die elektrorheologische Kettenbildung gezeigt w erden, da es das Potenzial für zukünftige Forschung unter Schw erelosigkeit aufzeigt. Elektrorheologie ist der Prozess, bei dem ein äußeres elektrisches Feld an ein flüssiges oder gasförmiges Kolloidsystem angelegt w ird, w as dessen Eigenschaften deutlich verändert, indem es die in der Flüssigkeit suspendierten Teilchen neu anordnet. Anders gesagt: Das Feld verändert die Struktur oder Rheologie des Kolloids. Es verändert seine Viskosität, Kompressibilität und das Schermodul. Die Flüssigkeit kann sogar eine feste Struktur annehmen. Dies geschieht, w eil das elektrische Feld in den Partikeln des Kolloids Dipole induziert. Deren Felder führen zu einer neuen Anordnung und Ausrichtung der Teilchen und damit zu einer Änderung der Eigenschaften der Flüssigkeit. Der gesamte Prozess funktioniert, w eil die suspendierten Teilchen elektroaktiv sind, w ährend das umgebende Fluid neutral ist. © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 6/8 Jahrbuch 2011/2012 | Thomas, Hubertus M.; Morfill, Gregor E. | Plasmakristall – 10 Jahre Forschung auf der Internationalen Raumstation A bb. 5: Link s: Norm a le flüssige P a rtik e lve rte ilung. R e chts: Bildung e ine r Ke tte nflüssigk e it durch da s Anle ge n e ine s hohe n e le k trische n W e chse lfe lde s. Die s ist die e rste Be oba chtung von e le k trorhe ologische n Eige nscha fte n e ine s k om ple x e n P la sm a s. © Ma x -P la nck -Institut für e x tra te rre strische P hysik Um den besonderen Eigenschaften komplexer Plasmen gegenüber komplexer Flüssigkeiten Rechnung zu tragen w ar es notw endig, das elektrische Gleichstromfeld durch ein Wechselfeld zu ersetzten [6]. Es ist dann die Fokussierung der Ionenströme um die Partikel herum, anstelle der Ladungsseparation auf der Oberfläche der Partikel selber, die zur Anziehung der Teilchen entlang des elektrischen Feldes und damit zur Kettenbildung führt (Abb. 5). Die hier gezeigte Möglichkeit, das binäre Wechselw irkungspotenzial zw ischen den Partikeln auf solch einfache Weise von außen zu „steuern“ eröffnet viele neue Chancen, mit Komplexen Plasmen fundamental generische Prozesse experimentell zu erforschen. Vielleicht w ird es sogar irgendw ann gelingen „Designer-Systeme“ zu generieren, um ganz gezielt neue Materialeigenschaften zu erforschen oder sogar zu erzeugen. Um dies zu ermöglichen w ird am MPE gerade eine Vorstudie zu neuen Plasmakammern für die Forschung auf der ISS durchgeführt. Danksagungen Gefördert von der Raumfahrt-Agentur des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt e. V. mit Mitteln des Bundesministeriums für W irtschaft und Technologie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages unter den Förderkennzeichen 50W M9852, 50W P0203, 50W M1203, 50W P0204, 50W M0804, 50W M1150, 50W M0038und 50W P0700. Weiterhin danken w ir ESA und unserem Industriepartner Kayser-Threde sow ie unseren russischen Partnern vom Joint Institute for High Temperatures, ROSCOMOS, RKK-Energia und den Kosmonauten. [1] Nefedov, A. P.; Morfill, G. E.; Fortov, V. E.;Thomas, H. M.; Rothermel, H.; Hagl, T.; Ivlev, A. V.; Zuzic, M.; Klumov, B. A.; Lipaev, A. M.; Molotkov, V. I.; Petrov, O.F.; Gidzenko, Y . P.; Krikalev, S. K.; Shepherd, W.; Ivanov, A. I.; Roth, M.; Binnenbruck, H.; Goree, J. A.; Semenov, Y . P. PKE-Nefedov: Plasma crystal experiments on the International Space Station New Journal of Physics 5, 33.1-33.10 (2003) © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 7/8 Jahrbuch 2011/2012 | Thomas, Hubertus M.; Morfill, Gregor E. | Plasmakristall – 10 Jahre Forschung auf der Internationalen Raumstation [2] Thomas, H. M.; Morfill, G. E.; Fortov, V. E.; Ivlev, A. V.; Molotkov, V. I.; Lipaev, A. M.; Hagl, T.; Rothermel, H.; Khrapak, S. A.; Suetterlin, R. K.; Rubin-Zuzic, M.; Petrov, O. F.; Tokarev, V. I.; Krikalev, S. K. Complex plasma laboratory PK-3 plus on the international space station New Journal of Physics 10, 033036 (2008) [3] Khrapak, S. A.; Klumov, B. A.; Huber, P.; Molotkov, V. I.; Lipaev, A. M.; Naumkin, V. N.; Thomas, H. M.; Ivlev, A. V.; Morfill, G. E.; Petrov, O. F.; Fortov, V. E.; Malentschenko, Y .; Volkov, S Freezing and Melting of 3D Complex Plasma Structures under Microgravity Conditions Driven by Neutral Gas Pressure Manipulation Physical Review Letters 106, 205001 (2011) [4] Konopka, U.; Mokler, F.; Ivlev, A. V.; Kretschmer, M.; Morfill, G. E.; Thomas, H. M.; Rothermel, H.; Fortov, V. E.; Lipaev, A. M.; Molotkov, V. I.; Nefedov, A. P.; Baturin, Y . M.; Budarin, Y .; Ivanov, A. I.; Roth, M. Charge-induced gelation of microparticles New Journal of Physics 7, 227 (2005) [5] Sütterlin, K. R.; Wysocki, A.; Ivlev, A. V.; Räth, C.; Thomas, H. M.; Rubin-Zuzic, M.; Goedheer, W. J.; Fortov, V. E.; Lipaev, A. M.; Molotkov, V. I.; Petrov, O. F.; Morfill, G. E.; Löwen, H. Dynamics of lane formation in driven binary complex plasmas Physical Review Letters 102, 085003 (2009) [6] Ivlev, A. V.; Morfill, G. E.; Thomas, H. M.; Räth, C.; Joyce, G.; Huber, P.; Kompaneets, R.; Fortov, V. E.; Lipaev, A. M.; Molotkov, V. I.; Reiter, T.; Turin, M.; Vinogradov, P. First Observation of Electrorheological Plasmas Physical Review Letters 100, 095003 (2008) © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 8/8