Edition Ruckstuhl 2010
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Edition Ruckstuhl 2010
Edition ruckstuhl 2010 DEBORAH MOSS C l a u d y j o n g s t ra U R S UL A S P I C H E R AT E L I E R O Ï JUTT A B E R N H A R D C É L I N E S O R I GU E M A R C E LL O M O R A N D I N I F I O R E LL A F A S C I A T I H UG O Z U M B Ü H L i n h a lt E di t io n r u c k s t u h l 2 0 1 0 Wie alles entstanden ist: Peter Ruckstuhl und die Edition Ruckstuhl 2010. Seite 2 DEBORAH MOSS «Night Sky» nennt Deborah Moss ihren Beitrag – aufgenähte Kristallsteine funkeln wie Sterne im Nachthimmel. Seite 6 C l a u d y j o n g s t ra Die niederländische Textildesignerin präsentiert die handgefertigte Filzkreation «Frisian Wouw» mit den Rohstoffen ihrer eigenen Schafe. Seite 12 U R S UL A S P I C H E R Ein Hauch von Venedig verbreitet Ursula Spicher aus Luzern mit dem Teppich «Venezia». Seite 18 AT E L I E R O Ï Das Künstlerkollektiv Atelier Oï überzeugt gleich mit zwei Kreationen: Geflochtene Leinenbänder geben «Dessus Dessus Dessous» seinen Charakter. «Hypnos» lebt von der aufwändigen Handarbeit und der ausgeklügelten Tuftingtechnik. Seite 26 JUTT A B E R N H A R D Jutta Bernhard interpretiert die Begriffe Repetition und Konzentration auf ganz neuartige Weise in Ihrem Beitrag «Salor». Seite 36 C É L I N E S O R I GU E Für einmal nicht Entwürfe für die Haut Couture in Paris sondern für den Boden hat Céline Sorigue bei ihren zwei Arbeiten «Red Flower» und «Golden Stripes» umgesetzt. Seite 44 M A R C E LL O M O R A N D I N I «Carpe diem» – nutze den Tag – nennt Marcello Morandini aus Varese seinen Beitrag. Seite 54 F I O R E LL A F A S C I A T I Unterschiedlich lange Floors verleihen den Teppichen von Fiorella Fasciati – «Area» und «Mesh» – eine räumliche Dimension. Seite 62 H UG O Z U M B Ü H L In den Bündner Bergen entstand der Teppich «Pompon» von Hugo Zumbühl. Seite 74 Edition ruckstuhl 2010 Peter Ruckstuhl Verglichen mit der Aufmerksamkeit, die Möbel oder Leuchten stets aufs Neue in der designbewussten Öffentlichkeit erregen, steht das Thema Teppich noch immer viel zu selten im Mittelpunkt des Interesses. Dabei ist Art und Aussehen der textilen Bodengestaltung für die atmosphärische Wirkung eines Raumes nicht weniger entscheidend als etwa eine schöne Leuchte oder ein Sofa. Diese Erkenntnis scheint sich gerade in der letzten Zeit allmählich zu verbreiten. Selbst Publikumszeitschriften haben den Teppich mittlerweile als Thema wieder entdeckt. Ob dies mit dem von Meinungs- und Konsumforschern postulierten aktuellen «Homing»-Trend in Zusammenhang steht, mag man dahingestellt sein lassen. Die hier vorgestellte Edition Ruckstuhl jedenfalls ist ein guter Grund mehr, sich eingehend mit dem lange unterschätzten Thema Teppich zu beschäftigen. 2 Die Edition Ruckstuhl, das sind – auf die kürzeste Formel gebracht – neun Autoren-Designerinnen und -Designer bzw. Künstlerinnen und Künstler sowie zwölf ungewöhnliche, in limitierter Auflage gefertigte Teppich-Entwürfe. Der traditionsreiche Schweizer Teppichhersteller, für seine Qualität «Made in Switzerland» und für sein Designbewusstsein weltweit bekannt, betritt mit dieser Kollektion Neuland. Die Edition, die dem Publikum während der Mailänder Möbelmesse 2010 erstmal präsentiert wird, verdankt ihre Entstehung der Idee, für einmal die Sachzwänge der Serienproduktion und des Marktes ausser Acht zu lassen und eine erlesene Auswahl unterschiedlicher «Bodenansätze» zu realisieren, die das uralte Thema Teppich auf neue und unkonventionelle Weise interpretieren. Dabei sollten die Autorenschaft und die damit verbundenen individuellen Design-Haltungen der beteiligten Gestalterinnen und Gestalter erkennbar sein, praktisch-funktionale Gesichtspunkte hingegen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Im Rahmen der Edition finden auch experimentellen Ansätze ihren Platz. Die Verpflichtung im Wesentlichen mit Naturmaterialien zu arbeiten – wie es bei Ruckstuhl ja auch sonst üblich ist – war praktisch die einzige Vorgabe, die es bei diesem Projekt zu erfüllen galt. Die Auswahl der Autorinnen und Autoren ist alles andere als repräsentativ. Peter Ruckstuhl, der die Edition initiierte und sie gleichsam als Kurator betreute, verliess sich hier ganz auf seinen textilen Sachverstand und seine persönliche Einschätzung. Der aus Marketingerwägungen nahe liegenden Versuchung, den einen oder anderen «Star» der Designszene zu verpflichten, hat er dabei bewusst widerstanden. Stattdessen ging es ihm darum, für dieses Projekt Gestalterinnen und Gestalter, Künstlerinnen und Künstler mit Potential und ausgewiesener textiler Kompetenz zu gewinnen – auch wenn sie, wie etwa Ursula Spicher-Waldburger oder Céline Sorigue bisher nicht im Bereich des Teppichdesigns hervorgetreten sind. Manche unter ihnen, wie etwa Fiorella Fasciati, Jutta Bernhard oder Hugo Zumbühl stehen mit Ruckstuhl bereits seit vielen Jahren in professionellem Kontakt. Andere, wie etwa Claudy Yongstra und Deborah Moss, sind quasi Neuentdeckungen. Im Fall von Marcello Morandini und Atelier Oï bot die Edition eine willkommene Gelegenheit zur Vertiefung bestehender Verbindungen. So unterschiedlich der Background dieser Autorinnen und Autoren und so verschieden die Beweggründe sie einzuladen – von Allen durfte eine eingehende Auseinandersetzung mit der Aufgabenstellung und ein, wie auch immer gearteter, innovativer Ansatz erwartet werden. Dieses Kalkül, soviel darf man angesichts der vorliegenden Entwürfe behaupten, ist aufgegangen. Die Edition überzeugt durch ihren motivischen Reichtum und durch die Vielfalt der Techniken, die hier zur Anwendung kamen. Gesamthaft betrachtet bietet sie einen spannenden Querschnitt durch das zeitgenössische Teppichdesign. Bei aller Pluralität der gestalterischen Ansätze und der ästhetischen Anmutung aber gibt es fundamentale Gemeinsamkeiten: die Sorgfalt des Entwurfes und die herausragende handwerkliche Qualität der Umsetzung dürfte den Editions-Stücken ein langes Teppichleben garantieren. Übrigens, die positive Resonanz des Publikums einmal vorausgesetzt, soll die Edition bei Gelegenheit eine Fortsetzung finden. Das Thema Teppich ist noch lange nicht erschöpft. 3 4 5 De b o r a h M o s s Night sky Ø 122 cm, Filz aus reiner Schurwolle, Farbe, Kristallsteine; Schurwollfilz handbemalt, gelasert 6 7 8 9 De b o r a h M o s s toronto (Can) Die im kanadischen Toronto ansässige, 1987 gegründete Firma Moss & Lam – Costum Art Studio ist ein kommerziellkünstlerisches Unternehmen für Auftragskunst, dessen Dienstleistung den kreativen Entwurf ebenso umfasst wie die praktische Ausführung. Die Auftraggeber sind in der Regel Architekten oder Innenarchitekten die für ein konkretes, vielfach im halböffentlichen Raum angesiedeltes Projekt – Hotellobbys, Restaurants, Kaufhäuser, Boutiquen und dergleichen – nach einer visuellen Bereicherung und künstlerischen Aufwertung suchen. Die stets grossformatigen Arbeiten von Moss & Lam sind meist wandgebunden. Bisweilen werden aber auch raumgreifende Installationen, etwa in Form eines Mobile, nachgefragt. Um den Vorstellungen und Wünschen der Kundschaft gerecht zu werden, beschäftigt die Firma ein Team von rund 15 fest angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – Künstler, Handwerker und Techniker – die in der Lage sind, selbst komplexe und technisch anspruchsvolle Projekte zu realisieren. Dabei ermöglicht ein über viele Jahre akkumuliertes Know-how die kompetente Ver- bzw. Bearbeitung der verschiedensten Materialien in der hauseigenen Werkstatt. Neben Putz, Farbe, Keramik und Glas finden auch Holz, Leder und textile Werkstoffe Verwendung. Geografisch verteilen sich die Projekte von Moss & Lam auf Nordamerika – Kanada und USA – sowie auf den asiatischen Raum. Insbesondere in Japan, Südkorea, Taiwan, Singapur und China konnten in den letzten Jahren zahlreiche Aufträge akquiriert werden. Deborah Moss, die das Unternehmen gemeinsam mit ihrem Lebens- und Arbeitspartner Edward Lam gründete und seither leitet, ist als Art Director so etwas wie der kreative Kopf der Firma. Nach einem Studium der Kunstgeschichte an der Universität von Toronto zog es sie bald zur künstlerischen Praxis. Sie wechselte deshalb an das Ontario College of Art, wo sie eine künstlerische Ausbildung mit Schwerpunkten in Malerei und Film absolvierte. Mit Edward Lam, der ebenfalls an dieser Schule studiert hatte, wagte sie direkt im Anschluss den Schritt in die Selbstständigkeit. 10 Deborah Moss versteht sich als Künstlerin, die ihr formal und stilistisch breit gefächertes gestalterisches Vokabular zur Verschönerung von Räumen einsetzt. Deborah Moss versteht sich als Künstlerin, die ihr formal und stilistisch breit gefächertes gestalterisches Vokabular zur Verschönerung von Räumen einsetzt. Ihre im besten Sinn des Wortes angewandte Kunst hat entsprechend weniger funktionalen, als vielmehr dekorativ-atmosphärische Ansprüchen zu genügen. Die ständige Auseinandersetzung mit Kunstwerken aller Zeiten und Kulturen bildet neben der eigenen freien künstlerischen Produktion (Aquarell-Bilder, die sie erst seit kurzem auch in der Öffentlichkeit präsentiert) die wichtigste Inspirationsquelle für die Auftragskunst. Im Mittelpunkt ihrer künstlerischen Recherche stehen dabei formale Qualitäten wie Oberflächenstrukturen, Muster und Ornamente. Night Sky, der Beitrag von Deborah Moss zur Edition Ruckstuhl, ist mit deutlichem Abstand der kleinste Teppich dieser Kollektion. Bereits die Dimension betont den intimen Charakter des Entwurfes, der durch seine poetische Anmutung überzeugt. Die zarten Farbverläufe auf dem handbemalten Filz vermögen den Blick in den unendlich weiten nächtlichen Himmel glaubhaft nachzuzeichnen. Aufgenähte Kristallsteine stehen in einem spannungsreichen Kontrast zur Einfachheit des Trägermaterials und verleihen dem Teppich zugleich einen Hauch von Luxus. 11 claudy jongstra fr i s i a n w o u w 210 x 310 cm, freie Form, Filz aus reiner Schurwolle; gefilzt, mit Naturfarben eingefärbt 12 13 14 15 Claudy Jongstra A l m e r e s ta d ( N L ) Die vielleicht grösste Leistung der niederländischen Textilkünstlerin Claudy Yongstra ist es, den Filz, ein jahr-tausendealtes, von vielen aber auch als altmodisch oder hinterwäldlerisch empfundenes Material, auf eine überzeugende Weise zeitgemäss und modern zu interpretieren. Mit dieser Begründung jedenfalls erhielt sie 2008 den in ihrer Heimat bedeutenden und hoch dotierten Prins Bernhard Cultuurfonds Prijs für angewandte Kunst und Architektur. Yongstras Beschäftigung mit dem Filz, die bald zu ihrem Lebensthema wurde, begann 1994, als sie im niederländischen Textilmuseum Tilburg eine traditionelle mongolische Filz-Jurte sah. In der Welt des Textilen war sie damals schon seit einiger Zeit verankert. An der Kunsthochschule in Utrecht hatte sie Modedesign studiert, danach versucht ein eigenes KleiderLabel zu etablieren und schliesslich mehrere Jahre als angestellte Designerin für ein grösseres Modeunternehmen gearbeitet. Auf die von der Modewelt desillusionierte Gestalterin wirkte die Begegnung mit dem Filz wie eine Offenbarung. Tief beeindruckt von der Struktur und der Farbigkeit des vordergründig so schlichten Materials beschloss sie, dessen gestalterisches Potential genauer auszuloten. In Abendkursen lernte sie aus Schafwolle, Wasser und Seife mittels Reibung Filz selbst herzustellen. Bald begann sie, zunächst ohne konkretes Ziel vor Augen, mit dem Material zu experimentieren. Fachleute des niederländischen Textilmuseums, denen sie Proben zeigte, ermunterten zu Fortsetzung der Arbeit und motivierten zu weiteren Anstrengungen. Um die Ausdrucksmöglichkeiten ihrer Filze zu steigern, beschäftigte sie sich in der Folgezeit zum Einen mit alten, auf Naturprodukten basierende Färbetechniken, zum anderen integrierte sie Rohmaterialien wie Alpaka, Kaschmir, Leinen, 16 Auf die von der Modewelt desillusionierte Gestalterin wirkte die Begegnung mit dem Filz wie eine Offenbarung. Tief beeindruckt von der Struktur und der Farbigkeit des vordergründig so schlichten Materials beschloss sie, dessen gestalterisches Potential genauer auszuloten. Seide, Baumwolle und bisweilen auch künstliche Fasern in ihre Arbeiten. Aus sehr bescheidenen Anfängen entwickelte sich so über die Jahre hin eine florierende Werkstatt, deren zwischen Kunst und Design oszillierende Produktionen inzwischen internationale Beachtung finden. Zuerst zeigten Textil-Galerien in London Interesse an ihren handgefertigten Filz-Unikaten, es folgten, nach anfänglicher Skepsis gegenüber dem Material, Modedesigner und Kostümbildner. Zuletzt erregten Yongstras Arbeiten die Aufmerksamkeit von Interior Designern und Architekten, mit denen sie in den vergangenen Jahren eine wachsende Zahl von Projekten realisieren konnte. Die Liste ihrer Kooperationspartner ist beeindruckend. Sie umfasst Modeschöpfern wie John Galliano, Donna Karan, Christian Lacroix und Alexander van Slobbe ebenso wie wichtige Vertreter der zeitgenössischen Baukunst in den Niederlanden: Claus & Kaan, Jo Coenen, OMA oder MVRDV. Auch in die Sammlungen bedeutender Kunst- und DesignMuseen z.B. das Stedelijk Museum in Amsterdam, das Victoria & Albert Museum in London und das MoMA in New York haben Yongstras bald gegenständliche, bald abstrakte FilzBilder mittlerweile Einzug gefunden. Die Einzigartigkeit des «Studio Claudy Yongstra», das seit rund zehn Jahren in dem Dörfchen Spannum in der niederländischen Provinz Friesland beheimatet ist und inzwischen sechs Mitarbeiterinnen beschäftigt, liegt aber nicht allein in der ästhetischen und künstlerischen Qualität von dessen Erzeugnissen begründet. Für Yongstra selbst sind Ökologie und Nachhaltigkeit zentrale Aspekte ihrer Arbeit. So stammt die Schafwolle, die sie verarbeitet, zum erheblichen Teil von ihrer eigenen, rund 400 Tiere umfassenden Herde. Sie zählen zur in Holland seit je verbreiteten, heute aber seltenen Rasse der Drenthe Heath Schafe und tragen, in dem sie vor allem Deiche beweiden, nebenbei zum natürlichen Landschaftsschutz bei. Auch dass in der werkstatteigenen Färberei ausschliesslich natürliche Farbstoffe verwendet werden, gehört in diesen Zusammenhang. Mit dem Geld des Prins Bernhard Preises übrigens liess Yongstra im vergangenen Jahr einen Schau- und Versuchsgarten anlegen, der der Kultivierung alter Färberpflanzen dient. Der Filz-Teppich Frisian Wouw, den Claudy Yonstra im Rahmen der Edition Ruckstuhl entwarf, fällt vor allem durch seine unregelmässige Umrisslinie und seine wild bewegte Textur auf. Man darf das als Anspielung auf den archaischen Charakter des Filzes verstehen. Die gelbe Farbigkeit, die dem Teppich eine ungemein warme und wohnliche Ausstrahlung verleiht, weckt nicht von ungefähr Assoziationen an das goldene Zeitalter holländischer Malerei, als Meister wie Rembrandt den Farbstoff der Pflanze Reseda (auch Färber-Wau genannt) verwendeten. 17 Ursula Spicher Venezia 310 x 377 cm, reine Schurwolle; gewoben, bestickt 18 19 20 21 ursula spicher L u z e rn ( C H ) Die Stickerei ist zwar eine uralte und traditionsreiche textile Technik, ihre Bedeutung innerhalb der Textilwirtschaft und damit auch innerhalb des Textildesigns aber hat seit Anfang des 20. Jahrhunderts stark abgenommen. Eine Entwicklung, die sich etwa im Niedergang der einst weltberühmten St. Galler Stickerei-Industrie auf eindrückliche Weise wieder spiegelt. Heute besitzt die Stickerei praktisch nurmehr in den Bereichen der gehobenen Lingerie und der Haute Couture eine gewisse Relevanz. Abgesehen davon haftet ihr das wenig schmeichelhafte Image des Altmodisch-Grossmütterlichen und der hobbymässig betriebenen häuslichen Handarbeit an. Zu Unrecht findet die Designerin Ursula Spicher-Waldburger. Auf eine neuartige Weises angewandt sei die Stickerei durchaus eine zeitgemässe textile Technik mit grossem Potential. Ihre eigene gestalterische Arbeit, die sie mit bemerkenswerter Leidenschaftlichkeit vorantreibt, liefert dafür den Beweis. Bevor Ursula Spicher-Waldburger die Stickerei als ihr Thema entdeckte, brauchte es – biografisch gesprochen – eine Zeit der Reife. Auf ein mehrsemestriges Architekturstudium an der EPF in Lausanne folgte zunächst für rund zehn Jahre ein Rückzug ins Private und die Beschäftigung mit freier Kunst. Mit Öltempera gemalte Farb-Raum-Bilder, die ohne Auftrag und ohne professionelle Hintergedanken entstanden, fanden Anklang und hätten wohl eine künstlerische Karriere ermöglicht. Doch 1997 fiel der Entschluss zum Besuch des gestalterischen Vorkurses an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich. Dort absolvierte Spicher-Waldburger anschliessend auch die vierjährige Ausbildung zur Textildesignerin. Schon bald rückte die Stickerei in den Fokus ihres Interesses – 22 als Nische und als ein Feld, auf dem festgefahrene Traditionen nachgerade dazu heraus forderten, einmal etwas Neues zu wagen. Natürlich hat auch im Bereich der maschinell betriebenen Stickerei heute längst der Computer Einzug gehalten. Diese Technologie ist die unumgängliche Basis für jede neue Designlösung. Spicher-Waldburgers Anliegen und Anspruch war es von Anfang an, die Grenzen der computergesteuerten Stickmaschine bzw. deren Software gestalterisch auszuloten und dabei den Rahmen des Üblichen zu sprengen. Um die Bilder die ihr vorschwebten in Stickerei zu übersetzen, bediente sie sich konsequent des digitalen Vokabulars. Entsprechend liegt das Pixel, Grundbaustein jedes digitalen Bildes, auch ihren meist raumgreifenden Kreationen zugrunde. Bei ihrer Recherche nach einer neuen Stickerei-Bildsprache fand Spicher-Waldburger bereits während der Arbeit an ihrem Diplom Unterstützung durch die Bischoff Textil AG in St. Gallen. Das renommierte Stickerei- Unternehmen stellte der angehenden Designerin für ihr Vorhaben Know-how und Technik zur Verfügung. Das Ergebnis dieser gestalterischen Forschungsarbeit bildete bald darauf die Grundlage für das ebenfalls in Kooperation mit Bischoff realisierte Projekt «Pixelstick», das beim Designpreis Schweiz 2003 mit einer Nomination ausgezeichnet wurde und Spicher-Waldburgers Stickerei erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machte. Von diesem Erfolg ermutigt, gründete die Designerin 2004 in Luzern ihr Geschäft «Pieks! – Stoffladen und Atelier für textile Gestaltung». Hier vertreibt sie eigene StickereiProdukte und das was sie selbst «textile Delikatessen» nennt – besondere Stoffe, Mode und Asseccoires. 2008 konnte Spicher-Waldburger ihr Projekt «edelweiss-Stickerei» auf der Schweizer Textilplattform Tuchinform präsentieren, wo auch Peter Ruckstuhl auf ihren viel versprechenden Ansatz aufmerksam wurde. Ihr nächstes Ziel ist die Entwicklung einer auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Software für Stickmaschinen, von der sie sich die Erschliessung neuer gestalterischer Freiräume verspricht. Die thematische Grundlage von Ursula Spichers Entwurf für die Edition Ruckstuhl ist Venedig, genauer gesagt die besondere, vor allem über die Farben transportierte Atmosphäre dieser geschichtsträchtigen Stadt. Die typografische Umsetzung leuchtet spontan ein und lässt Raum für zahlreiche Assoziationen. Die Buchstaben entstehen als komplexe Stickerei, die ihre vielfältigen Nuancen bei genauerer Betrachtung offenbart. Um die Bilder die Ursula Spicher vorschweben in Stickerei zu übersetzen, bedient sie sich konsequent des digitalen Vokabulars. Entsprechend liegt das Pixel, Grundbaustein jedes digitalen Bildes, auch ihren meist raumgreifenden Kreationen zugrunde. 23 24 25 at l i e r o Ï dessus dessus dessous 210 x 355 cm, Leinenbänder, Filz; geflochten, gefasst mit Leinenband 26 27 28 29 at e l i e r o Ï H y pn o s Ø 190 cm, reine Schurwolle; handgetuftet 30 31 32 33 At e l i e r O Ï la neuveville (CH) In den Anfangszeiten der Moderne, ja selbst in der Mitte des 20. Jahrhunderts hat es sie noch gegeben: universelle Architekten-Designer, die buchstäblich vom Kaffeelöffel bis zum grossen Gebäude alles entwarfen, was nach Gestaltung verlangte. Diese Zeiten sind – angesichts einer fortschreitenden Spezialisierung und Differenzierung, die längst auch den Bereich des Designs erfasst hat – unwiederbringlich vorbei. Als sich Aurel Aebi, Armand Louis und Patrick Reymond vor 19 Jahren zum Atelier Oï zusammenschlossen, setzten sie zur Bewältigung vielfältiger Gestaltungsaufgaben von Anfang an auf Teamarbeit und einen inter- bzw. transdisziplinären Ansatz. Der Erfolg gibt ihnen recht. Das in dem kleinen, zwischen Biel und Neuchâtel gelegenen Ort La Neuveville beheimatete Büro ist im Laufe der Jahre auf rund 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter herangewachsen (Architekten, Designer, Grafiker), die eine beeindruckende Vielfalt von Projekten im Bereich der Architektur, der Innenarchitektur, der Szenografie und des Designs auf höchstem professionellen Niveau bewältigen. Zu den Kunden von Atelier Oï zählen, um nur die wichtigsten zu nennen, Unternehmen wie die Swatch Group, B&B Italia, Foscarini, Louis Vuitton, Ikea, Wogg und Roethlisberger. Eine wesentliche Basis für die Arbeit von Atelier Oï ist die intensive Auseinandersetzung mit einem Material oder mit einer bestimmten Konstruktionsweise, die sich zunächst in der büroeigenen Werkstatt beim Bau von Modellen und Prototypen abspielt. Die Erfahrungen, die dabei in einem oft langwierigen, von zahlreichen Experimenten geprägten Prozess gewonnen werden, befruchten in der Regel gleich mehrere, im Prinzip voneinander unabhängige Projekte. 34 Im Idealfall gelingt es, einzelne formale Elemente oder Konstruktionsideen im Lauf der Zeit wieder aufzunehmen, sie zu transformieren und weiter zu entwickeln. Das Atelier Oï begreift sein gemeinschaftliches Schaffen dezidiert als grosses Kontinuum. Entsprechend sorgfältig wird das eigene Material- und Projektarchiv gepflegt und ständig konsultiert. Einzelne Arbeiten stehen nicht isoliert für sich, sondern sollen gleichsam als Glieder einer Kette begriffen werden. Das Weiterspinnen eines Themas, auch über die Grenzen der Disziplinen hinweg, das oft mit einem Masstabswechsel einhergeht, ist mittlerweile fast so etwas wie ein Markenzeichen des Büros geworden. In der Tat führt diese Arbeitsmethode immer wieder zu ebenso überraschenden wie überzeugenden Synergien. Wie sich bei Atelier Oï ein Projekt aus einem vorherigen ergeben kann, zeigt sich auch anhand ihrer Teppich-Entwürfe für die Edition Ruckstuhl. So geht der aus Leinenbändern geflochtene Teppich «dessus-dessus-dessous» auf eine Textil-Installation mit dem Titel «Plier – Entrelacer – Superposer» (Falten, Flechten, Überlappen) zurück, die Atelier Oï auf Einladung von Peter Ruckstuhl anlässlich des Designers Saturday 2008 in Langenthal realisiert hatte. Ausgangsmaterial für diese beim Designpreis Schweiz 2009 mit einer Nomination ausgezeichnete Arbeit bildeten die Leinenbänder, die üblicherweise bei der Konfektionierung von Teppichen als Bordüre Verwendung finden. Die Transformation von der experimentell ausgerichteten Ausstellungs-Installation zum Editions-Produkt ging sowohl mit einer technischen Verfeinerung als auch mit einer grafischen Aufwertung des Entwurfes einher. Der Teppich Hypnos ist formal von der kinetischen Installation «Les Danseuses» inspiriert, die das Atelier Oï 2009 zur Eröffnung seines neuen Büro- und Werkstattgebäudes in La Neuveville präsentierte. In den kreisförmigen, sich stetig verengenden Wellenlinien, die dem Teppich sein eigentümliches Gepräge verleihen, ist das Motiv der sich drehenden, ornamental perforierten Textil-Schirme der Installation, das unwillkürlich die Assoziation an die Röcke tanzender Derwische weckte, gleichsam eingefroren. Das Atelier Oï begreift sein gemeinschaftliches Schaffen dezidiert als grosses Kontinuum. Entsprechend sorgfältig wird das eigene Material- und Projektarchiv gepflegt und ständig konsultiert. Einzelne Arbeiten stehen nicht isoliert für sich, sondern sollen gleichsam als Glieder einer Kette begriffen werden. 35 J u t ta b e r n h a r d salor 180 x 335 cm, Filz aus reiner Schurwolle; Filz geschnitten, auf Unterlage appliziert 36 37 38 39 j u t ta b e r n h a r d langenthal (CH) Bereits in jungen Jahren entdeckte Jutta Bernhard ihre Begeisterung für das Textile und bald einmal erwuchs daraus ein Berufswunsch: Textil-Restauratorin hiess für mehrere Jahre das professionelle Fernziel. Diverse Praktika in mal eher künstlerisch, mal eher handwerklich ausgerichteten Textilwerkstätten in Deutschland, in der Schweiz und später auch in Frankreich boten ihr einen breitgefächerten Einblick in die Welt der Textilmanufakturen und der dabei relevanten Techniken. Drei Semester an der privat geführten Freien Kunstschule in Nürtingen am Neckar, die der Entwicklung des eigenen gestalterischen Potentials dienten, rundeten diese berufliche Orientierungsphase ab. Mitte der 1980er Jahre entschloss sich Jutta Bernhard zu einem Studium an der Fachhochschule für Kunst und Design in Hannover, das 1990 mit einem Diplom in Textildesign seinen Abschluss fand. Schon an der Hochschule ging ihr Blick über den textilen Tellerrand hinaus. Mehrfach belegte sie dort auch Veranstaltungen im Bereich Grafikdesign und Innenarchitektur. Die dabei gewonnene Erfahrung zahlte sich gleich bei ihrer ersten Anstellung aus. Für mehrere Jahre leitete Bernhard die Textilabteilung eines renommierten Inneneinrichters in Hannover, wo sie sowohl für die Zusammenstellung der hauseigenen Textilkollektion als auch für die Präsentation der Produkte verantwortlich zeichnete. Die Arbeit an der Schnittstelle zwischen Endkunden und Herstellern begriff die junge Gestalterin als neue Herausforderung, die zugleich ihr Wissen um die Bedeutung des Textilen im Bereich der Wohnungseinrichtung bereicherte. Nach den Erfahrungen im Verkauf zog es Bernhard aber bald wieder näher zum Produkt und seiner Herstellung. 40 In der Firma Ruckstuhl, zu der sie bereits seit Studienzeiten in Kontakt stand, fand sie die Wunschpartnerin für ihre professionelle Weiterentwicklung. Das Schweizer TeppichUnternehmen überzeugte sie durch die Qualität und Authentizität der Kollektion sowie durch die Tatsache, dass dort noch selbst produziert wird. Bei Ruckstuhl ist Jutta Bernhard seit rund 15 Jahren für die Unternehmenspräsentationen (Messeauftritte, Showrooms, Verkaufsdisplays und Events) zuständig, die sie konzipiert und gestalterisch umsetzt. Sie schätzt dabei einerseits die unmittelbare Nähe zum Designprozess und zur materiellen Herstellung, anderseits den direkten Kontakt zum Kunden und zum Markt. Die Inszenierung der textilen Produkte im Raum ist immer wieder aufs Neue eine kreative Herausforderung. Das wesentliche Ziel dabei, die Idee hinter einem bestimmten Produkt ersichtlich zu machen und seine gestalterische bzw. materiell-technische Qualität erfahrbar auszustellen, bleibt sich hingegen gleich. Am Erscheinungsbild von Ruckstuhl und den Produkten des Unternehmens entscheidend mitgewirkt und dafür eine ebenso authentische wie unverwechselbare Sprache entwickelt zu haben, bedeutet für die Gestalterin Erfüllung und Ansporn zugleich. Die Edition Ruckstuhl bietet Jutta Bernhard jetzt die Möglichkeit, sich erstmals mit einer Autorenarbeit zu profilieren und ihre textile Kompetenz auf eine neue Art und Weise unter Beweis zu stellen. Für den Teppich Salor wählte sie das Material Wollfilz – den wahrscheinlich ältesten textilen Werkstoff der Menschheit. Wollfilz steht für Wärme, Schutz und Geborgenheit und seit Die Inszenierung der textilen Produkte im Raum ist immer wieder aufs Neue eine kreative Herausforderung. Das wesentliche Ziel dabei, die Idee hinter einem bestimmten Produkt ersichtlich zu machen und seine gestalterische bzw. materielltechnische Qualität erfahrbar auszustellen, bleibt sich hingegen gleich. jeher hat er auch als raumgestaltendes Material Verwendung gefunden – man denke nur an die seit Urzeiten gebräuchlichen Jurten asiatischer Nomadenstämme. Inspiriert ist der Entwurf sowohl von traditionellen Turkmenischen Teppichen (genauer gesagt von deren Webkanten und deren Hauptfarbe Rot) als auch von abstrakter Kunst. Die zentralen Themen lauten Schlichtheit, Repetition und Konzentration – das sind, wenn man so will – typische Ruckstuhl-Themen, die hier freilich auf ganz neuartige Weise interpretiert wurden und den meditativen Charakter des Teppichs untermauern. Salor besteht aus zusammengeklebten Filzstreifen, die so aneinander gereiht werden, dass ihre Schnittkanten die Oberfläche bilden. Den Umstand, dass der durchgefärbte Wollfilz an diesen Kanten leichte Farbnuancen aufweist, versteht die Gestalterin geschickt auszunutzen: Die leichten Farbvariationen betonen auf dezente Art das Streifenmotiv des Teppichs. 41 42 43 cÉline sorigue Red flower 180 x 270 cm, Filz aus reiner Schurwolle, Kunstharz 44 45 46 47 cÉline sorigue golden stripes 180 x 270 cm, Filz aus reiner Schurwolle, Kunstharz 48 49 50 51 CÉline sorigue pa r i s ( f ) Es sind die allerersten Adressen der Pariser Modewelt – Namen wie Chanel, Dior, Givenchy, Balmain oder Galliano – die zum erlesenen Kundenkreis des von Céline Sorigue künstlerisch geleiteten Ateliers Alexandre et Céline gehören. Und die einzigartigen Stoff-Kreationen, die dort entstehen, finden nur in den Haute Couture Kollektionen, den exklusivsten Linien dieser Häuser, Verwendung. Das Atelier Alexandre et Céline zählt damit zu der kleinen Gruppe von hoch spezialisierten, künstlerisch-handwerklich Textilbetrieben, die, auch wenn sie für die Öffentlichkeit weitgehend unsichtbar hinter den Kulissen der Haute Couture Häuser wirken, die Sonderstellung der Modestadt Paris begründen. In der absoluten Spitze der internationalen Modepyramide, in der Céline Sorigue heute arbeitet, ist die Luft dünn. Um dorthin zu gelangen braucht es, eine solide Ausbildung vorausgesetzt, besondere Erfindungsgabe, Zähigkeit und Durchsetzungsvermögen. All dies besitzt Céline Sorigue, trotzdem verlief auch ihr Weg nach oben nicht ganz gradlinig. Es war während eines zweijährigen Aufenthaltes in Los Angeles Mitte der 1980er Jahre, als sie ihre Leidenschaft für Gestaltung, oder wie sie selbst sagt, für Dekoration geweckt wurde. Halb aus Neugierde, halb um sich ein wenig Geld zu verdienen, jobbte sie damals in der Szenografie-Abteilung eines grossen Hollywood-Studios. Und bald konnte sie dort auch kleinere kreative Aufgaben übernehmen. Zurück in Paris absolvierte sie zwischen 1986 und 1989 eine Ausbildung als Modedesignerin an der traditionsreichen ESMOD (École Supérieure des Arts et techniques de la Mode). Ein Jahr an der Saint Roch, wie die École de la Chambre Syndicale de la Couture Parisienne, die sich speziell der Nachwuchs-Ausbildung für die Haute Couture widmet, in Modekreisen genannt wird, rundete ihre Lehrzeit ab. 52 Die Haute Coutur begreift Céline Sorigue als ein faszinierendes Tätigkeitsfeld, in dem sie immer wieder vor neue kreative Herausforderungen gestellt werde. Noch als Studentin gründete sie mit Freunden eine vorwiegend im Bereich der Werbung tätige Event-Agentur, in der sie mehrere Jahre lang für das Set und die Kostüme verantwortlich zeichnete. 1991 wagte sie dann den Schritt in die Selbstständigkeit. Sie gründete das Label Joli tambour, das Bekleidung für Säuglinge und Kleinkinder herstellte. Bequem, praktisch und trotzdem hübsch anzuschauen – so lautete das Programm dieser durchaus erfolgreichen, im oberen Preissegment angesiedelte Marke, bei der Sorigue Design und Management in Personalunion übernahm. Als es aber nicht gelang, den Konflikt zwischen ihren eigenen Perfektionsansprüchen und den Preiszwängen des Marktes zu lösen, stellte Sorigue die Arbeit an dem Projekt nach vier Jahren ein. Eine alteingesessene Werkstatt für Seidenfärberei und -druck, die ursprünglich von den Eltern von Sorigues Partner Alexandre Leu betrieben wurde und bereits zu den Lieferanten wichtiger Modehäuser zählte, bildete 1994 die Basis für die Gründung des Atelier Alexandre et Céline. Hier hat sich Sorigue ganz dem Zweck verschrieben, exklusive Stoffe für die Haute Couture zu kreieren. Neben der Arbeit mit Farben und Mustern gilt ihr Interesse vor allem der Entwicklung neuartiger Texturen. Eigentlich sei ihr Atelier ein experimentell ausgelegtes Laboratorium, in dem Stoffe eine besondere Qualität, ein eigentümliches Leben eingehaucht bekämen. Dazu werden die Textilien auf jede nur erdenkbare Art und Weise, bald chemisch, bald mechanisch behandelt, manipuliert und bisweilen auch traktiert. Seide bildet nach wie vor ein wichtiges Ausgangsmaterial, seit langem arbeitet das Atelier auch mit andere Stoffqualitäten sowie mit nicht-textile Materialien. Die Haute Coutur begreift Sorigue als ein faszinierendes Tätigkeitsfeld, in dem sie immer wieder vor neue kreative Herausforderungen gestellt werde. Je länger sie freilich in der Modewelt zu tun hat, desto mehr beklagt sie die Hektik und Kurzlebigkeit dieser Branche, die langfristige Entwicklungen kaum zulasse. Seit ein paar Jahren versucht sie daher in der Welt der Haute Décoration, in der ausgefallene, raffinierte Textilien ja auch einen Platz haben, ein zweites Standbein aufzubauen. Erste Projekte mit renommierten Innenarchitekten und Stars der Szene wie etwa Philippe Starck, verliefen erfolgreich. Vor diesem Hintergrund ist die Zusammenarbeit mit Ruckstuhl im Rahmen der Edition für Céline Sorigue eine willkommene Chance, gleichsam aus den Kulissen der Haute Couture zu treten und sich künstlerisch in einem neuen Feld zu profilieren. Für ihre Teppiche Red Flower und Golden Stripes hat sie mit Filz ein betont einfaches Ausgangsmaterial gewählt. Die delikaten Zeichnungen, die sie darauf appliziert und mit einer transparenten Kunstharz-Beschichtung dauerhaft schützt, werten den schlichten Bodenbelag dafür um so effektvoller zu einem Schmuckstück auf. Für Sorigue liegt der Reiz ihrer Entwürfe für Ruckstuhl nicht zuletzt in der Verbindung von traditionellem Handwerk und Hightech-Verfahren. Die formalen Anklänge ans Art Déco und die in dieser Zeit so beliebten Lackarbeiten darf man durchaus als Hommage an eine grosse Epoche des Pariser Kunsthandwerks interpretieren. 53 marcello morandini c a rp e d i e m 122 x 358 cm, reine Schurwolle; handgetuftet 54 55 56 57 Marcello Morandini varese (it) Marcello Morandini ist gleichsam der grosse alte Mann der Edition Ruckstuhl. Der international renommierte italienische Künstler aus Varese hat in den mittlerweile fast fünf Jahrzehnten seiner kreativen Tätigkeit mit erstaunlicher Konsequenz ein vielfältiges Werk geschaffen, das freie und angewandte Kunst ebenso souverän umfasst wie Architektur. Formal betrachtet stehen Morandinis Arbeiten – auch wenn der Meister selbst solche Kategorisierungen eher skeptisch beurteilt – der Op Art und der konstruktiv-konkreten Kunst nahe. Mathematische Gesetzmässigkeiten, Geometrische Grundformen und optische Effekte jedenfalls bilden die Grundlage praktisch aller seiner Werke. Ein zentrales Thema seiner künstlerischen Recherche ist die visuelle Darstellung von Bewegung bzw. Bewegungsabläufen, für die er sich meistens des Schwarz-Weiss-Kontrastes bedient. Die Liste seiner Bilder, Grafiken, Plastiken, Gross-Skulpturen, Möbel, Leuchten, Teppiche, sonstiger Designobjekte, Platz- und Fassadengestaltungen sowie Bauten ist ebenso umfangreich wie die Zahl seiner Ausstellungen in fast allen europäischen Ländern, in Nord- und Südamerika, in Japan, Australien, Süd-Korea und Südafrika. Schon während Morandini zwischen 1959 und 1964 an der berühmten Kunstschule Accademia di Brera in Mailand studierte, arbeitete er als Industrie- und Grafikdesigner. 1962 entstanden die ersten künstlerischen Werke. 1965 konnte er sein Schaffen erstmals in einer Einzelausstellung präsentieren. Internationale Beachtung erregte Morandini dann durch seine Teilnahme an den Biennalen von Sao Paulo (1967) und Venedig (1968). Einen weiterer Höhepunkt seiner künstlerischen 58 Karriere markierte die Einladung zur Documenta 6 von 1977 in Kassel. 1979 begann seine langjährige und intensive Zusammenarbeit mit dem deutschen Porzellanhersteller Rosenthal, seinem wohl wichtigsten industriellen Partner. Neben künstlerischen Kleinplastiken, die in limitierter Auflage gefertigt wurden, entwarf er für Rosenthal zahlreiche Vasen, Porzellangeschirre und andere Objekte. Grosses Aufsehen erregten darüber hinaus Mitte der 1980er Jahre die Fassadengestaltungen für zwei Firmengebäude. Weitere Architekturprojekte führten Morandini in den 1980er und 1990er Jahren mehrfach nach Singapur und Kuala Lumpur, wo er vor allem mit dem Design von Wolkenkratzer-Fassaden beschäftigt war. Als seine vorläufig letzte architektonische Aufgabe realisiert er 2007 das Kulturzentrum «Das Kleine Museum» in Weißenstadt. Künstlerisch nach wie vor sehr aktiv, übernahm Morandini seit den 1990er Jahren verstärkt Lehraufgaben an verschiedenen europäischen Kunst- und Designhochschulen. 2008/09 wurde sein Schaffen mit einer breit angelegten Retrospektive geehrt, die zuerst in Venedig in der Galleria d‘Arte Moderna di Ca‘Pesaro und anschliessend in der Neuen Sammlung in Nürnberg zu sehen war. Der von Morandini entworfene Teppich Carpe Diem zeichnet sich durch ein ungewöhnliches, aber klar umrissenes Format aus. Zwei sich kreuzende diagonale Linienbündel, die in ein Rechteck eingeschrieben sind, schwingen in einen Halbkreis aus und kehren, wiederum diagonal, in die Rechteckform zurück. Die auf diese Weise entstehende Endlosschleife in Form einer langgezogene Acht, bringt eine gebändigte Dynamik zum Ausdruck. Der für Morandini typische schwarz-Weiss-Kontrast ist zu einem Dunkelgrau-Hellgrau-Kontrast abgemildert. Formal betrachtet stehen Morandinis Arbeiten – auch wenn der Meister selbst solche Kategorisierungen eher skeptisch beurteilt – der Op Art und der konstruktiv-konkreten Kunst nahe. Mathematische Gesetzmässigkeiten, Geometrische Grundformen und optische Effekte jedenfalls bilden die Grundlage praktisch aller seiner Werke. 59 60 61 f i o r e l l a f a s c i at i AREa 177 x 180 cm, reine Schurwolle; handgetuftet 62 63 64 65 f i o r e l l a f a s c i at i mesh 170 x 240 cm, reine Schurwolle; handgetuftet 66 67 68 69 F i o r e l l a F a s c i at I Basel (CH) Die Gestalterin Fiorella Fasciati gehört zu jenen kreativen Kräften, die selbst innerhalb der kleinen Designszene kaum je öffentlich in Erscheinung treten, deren Einfluss auf die Designentwicklung und die Produktwelt oft aber viel größer ist, als der von manchen kurzlebigen Stars, die es natürlich auch in diesem Bereich gibt. Ihrem still-bescheidenen Auftreten steht freilich eine zähe Hartnäckigkeit in der Sache gegenüber, die gut zu ihrer Herkunft passt. Fasciati stammt aus dem Bergell, dem südlichsten, weit abgelegenen Winkel des Bündnerlandes. Genauer gesagt aus dem Dorf Stampa, das durch Alberto Giacometti und seine Familie weit über die Grenzen Graubündens und der Schweiz bekannt geworden ist. Denn die Nutzung eines unterschiedlich langen Flors, der zum hauptsächlichen Träger des Musters wird, verleiht den Teppichen eine dreidimensionale Struktur und macht sie auch zu einem haptischen Bodenerlebnis. 70 Die Giacomettis waren die Nachbarn der Fasciatis und obwohl das natürlich nicht mehr als ein biografischer Zufall ist, mag das Beispiel der Giacomettis, die als Künstler, Grafikdesigner und Architekten von sich Reden machten, der jungen Fiorella Fasciati schon früh gezeigt haben, dass es jenseits des Bergells eine Welt zu entdecken gibt und dass die Beschäftigung mit Gestaltung dort auch zum Beruf werden kann. Ihr eigener Weg begann aus ganz praktischen Gründen mit einer Ausbildung zur Primarlehrerin in Chur. 1977 folgte der Umzug nach Basel, wo sie parallel zum Schuldienst Abendkurse an der Schule für Gestaltung belegte. Dort hat sie dann bald darauf auch die vierjährige Ausbildung zur Textildesignerin absolviert. Nach dem Diplom, in dessen Mittelpunkt bereits das Thema Teppich stand, engagierte sie Peter Ruckstuhl, der in dieser Zeit gerade die Leitung des Familienunternehmens übernahm, 1984 als erste In-House-Designerin der Firma. Fasciati beschäftigte sich mit der Farbgebung, entwickelt einfache Muster, setzte sich für die Produktion der ersten abgepassten Teppiche ein und gestaltet die Firmenauftritte. 1990 wechselte sie zum Schweizer Textilverlag Mira-X, wo sie sieben Jahre als Produktmanagerin arbeitete. Zu ihren Aufgabenbereichen gehörten dort auch die Betreuung grösserer Projekte und die Zusammenstellung von Farbreihen. Seit 1997 ist die dreifache Mutter als selbstständige Designerin tätig. Mehr und mehr rückte die Beschäftigung mit der Farbe in Mittelpunkt ihrer gestalterischen Arbeit. Ihr Ziel ist eine zeitgemässe Farbgebung, die nicht blindlings den Trendinfos folgt, sondern eine eigene Handschrift erkennen lässt. Ein hoher Anspruch, der nur mit sehr feine Antennen für das in ständigem Wandel begriffene Farbempfinden und mit einem klaren persönlichen Standpunkt überzeugend eingelöst werden kann. Heute berät Fasciati verschiedene Textilhersteller in der Schweiz hinsichtlich Farbgebung und Kollektionsentwicklung. Auch mit Ruckstuhl ist sie seit 2005 wieder in professionellen Kontakt. 1998 übernahm sie erste Lehraufgaben an der Schule für Gestaltung in Basel. 2001 erhielt sie dort den Auftrag zum Aufbau und zur Leitung einer zweijährige Weiterbildungsklasse für Textildesign. Für die Teppiche Area und Mesh, die im Rahmen der Edition Ruckstuhl entstanden, griff Fasciati ganz bewusst auf eine bei Ruckstuhl gebräuchliche Fertigungstechnologie zurück, deren gestalterisches Potential es auf neue Weise auszuloten galt. Die Entscheidung für das Hand-Tufting legte es nahe, die Struktur des Teppichs zum zentralen Entwurfsthema zu machen. Die durch ein Wechselspiel von Ein- und Ausgrenzung charakterisierten Dessins sind nicht allein visuell wahrnehmbar. Denn die Nutzung eines unterschiedlich langen Flors, der zum hauptsächlichen Träger des Musters wird, verleiht den Teppichen eine dreidimensionale Struktur und macht sie auch zu einem haptischen Bodenerlebnis. 71 Hugo zumbühl Pompon 200 x 300 cm, reine Schurwolle; Schaffell gewoben, Schaffellpauschel eingewebt 72 73 74 75 Hugo zumbühl Felsberg (CH) Als Designer mag Hugo Zumbühl gleichsam ein Spätberufener sein – das Interesse am Textilen und insbesondere an der Weberei begleitet ihn dagegen schon seit Jahrzehnten. Geboren und aufgewachsen in Luzern begann er seine berufliche Laufbahn mit einer Lehre als Hochbauzeichner. Sein Lebensthema, die Weberei, entdeckte er kurze Zeit später an der Kunstgewerbeschule in Zürich, wo er eine Ausbildung zum Werk- und Zeichenlehrer absolvierte. Nach Praxisjahren als Lehrer in Basel, arbeitete Zumbühl zwischen 1975 und 1981 bei einem Entwicklungshilfeprojekt in Peru, wo am am Aufbau einer Weberei-Kooperative beteiligt war. Im Rahmen dieser Tätigkeit erforschte er gemeinsam mit den peruanischen Produzenten die in der Region althergebrachten Färbetechniken für Wolle. Quasi nebenher begann er eine Sammlung peruanischer Volkskunst zusammenzutragen, die mittlerweile internationale Beachtung fand und in renommierten Museen gezeigt wird. Bald nach seiner Rückkehr in die Schweiz übernahm Zumbühl eine Dozentenstelle an der Pädagogische Hochschule Graubünden (damals Bündner Frauenschule) in Chur, wo er bis heute im Rahmen der Primarlehrer-Ausbildung die Fächer Werken und bildnerisches Gestalten unterrichtet. Und wiederum war es die Weberei, genauer gesagt die Webtradition der Hochschule, die die Wahl dieser Stelle wesentlich beeinflusste. 76 Ständig auf der Suche nach ungewöhnlichen Materialien und eigenartigen Materialkombinationen nutzt Hugo Zumbühl für seine Experimente gebrauchte Fahrradschläuche ebenso wie alte Filzdecken und -mäntel oder Kaffeesäcke aus Jute. Im Jahr 1998 kam es schliesslich zu jener Begegnung, die für Zumbühls weitere Karriere von entscheidender Bedeutung sein sollte: auf einem Papierweberei-Workshop im Kurszentrum Ballenberg lernte er Peter Birsfelder kennen, seines Zeichens Webmeister in den Werkstätten der Haftanstalt Thorberg. Das Zusammentreffen mit diesem herausragenden Handwerker setzte in Zumbühl einen kreativen Impuls frei, aus dem schon bald konkrete Produkte entstanden. Bereits mit ihrem ersten gemeinsamen Projekt, einem aus Krepppapier gewebten und mit Naturwachs imprägnierten Teppich namens «Oscuro», gewannen Zumbühl und Birsfelder 1999 den Designpreis Schweiz. Beflügelt von diesem spontanen Erfolg hat das unter der Label TEPPICH-art-TEAM firmierende GestalterDuo in den folgenden Jahren immer wieder mit ebenso innovativen wie unkonventionellen Teppichkreationen von sich Reden gemacht. Mit Ruckstuhl steht Zumbühl seit 2001 in enger Verbindung. Die langfristig angelegte Kooperation in Vertrieb und Materialbeschaffung eröffnet TEPPICH-art-TEAM sowohl neue Kundenkreise als auch kreative Freiräume. Als Atelier dient Zumbühl der umgebauten Stall eines alten Bauernhauses in Felsberg bei Chur, wo er seit vielen Jahren ansässig ist. Materiallager und Experimentierwerkstatt in einem, beherbergt es den einfachen Webstuhl auf dem in einem oft langwierigem Versuchsprozess die Urmuster seiner Teppich-Kreationen entstehen. Er bevorzugt dabei grundsätzlich die einfachste Bindungsart, die Leinenbindung, denn sein Interesse gilt in erster Linie dem Material und der haptischen Struktur des Gewebes. Entsprechend ist für Zumbühls Arbeit der physische Umgang mit dem Materialien bzw. mit der auf dem Webstuhl erzeugten Struktur von entscheidender Bedeutung. Ständig auf der Suche nach ungewöhnlichen (teils neuen, teils fast vergessenen) Materialien und eigenartigen Materialkombinationen nutzt er für seine Experimente gebrauchte Fahrradschläuche ebenso wie alten Filzdecken und -mäntel aus den Beständen der Schweizer Armee oder Kaffeesäcke aus Jute. Neben solchen RecyclingMaterialien arbeitet er etwa mit Hanf- und Kunststoffschnüren, Gummi, Draht, Rosshaar, Schaf- bzw. Lamawolle sowie Fellstreifen von Ziegen und Schafen. Fast so vielfältig wie diese Ausgangsstoffe sind auch die Bearbeitungstechniken, die er dem Gewebe angedeihen lässt. Mal versucht er es – inspiriert von archaischen Kulturen – mit Bemalungen oder mit Prägungen, mal kommt der Bunsenbrenner oder die Katzenbürste zum Einsatz. Dass nur ein Bruchteil dieser Experimente zu einem marktfähigen Produkt führen, versteht sich. Ausgangspunkt für Zumbühls Beitrag zur Edition Rucktuhl war wiederum eine Material-Entdeckung. Das Grundgewebe des Teppichs Pompon, das sich durch einen dichten, weichen Flor auszeichnet, besteht aus dem sogenannten Chenille-Garn, einem besonders flauschigen Wollfaden, der fast völlig vom Markt verschwunden ist. In regelmässigen Abständen eingeknüpfte Fellpuschel beleben die Oberflächenstruktur und setzen farbige Akzente. Unwillkürlich entsteht das Bild einer nächtlichen, vom Mond beschienene Blumenwiese. Hugo Zumbühl bevorzugt grundsätzlich einfache Bindungsarten mit ein oder zwei Schüssen, denn sein Interesse gilt in erster Linie dem Material und der haptischen Struktur des Gewebes. Entsprechend ist für Zumbühls Arbeit der physische Umgang mit dem Materialien bzw. mit der auf dem Webstuhl erzeugten Struktur von entscheidender Bedeutung. 77 78 79 Alle Teppiche der Ruckstuhl Edition eignen sich ausschliesslich für den Wohnbereich. Je nach Machart ist nur eine behutsame Begehung empfohlen. Reinigung: sorgfältig mit einem Staubsauger ohne Bürste saugen. Falls nötig, Antirutschmatte unterlegen. Keine schweren Möbel, spitze Stuhlbeine etc. auf die Teppiche stellen. Impressum: Konzeption und Gestaltung: P´INC. AG, Langenthal Text: Mathias Remmele, Berlin Fotografie: Bruno Augsburger, Zürich Druck: Merkur Druck, Langenthal Auflage: 5000 April 2010 RUCKSTUH l AG Teppichfabrik/fabrique de tapis/carpet factory/fabbrica di tappeti St. Urbanstrasse 21, CH-4901 Langenthal Tel. +41 62 919 86 00, Fax +41 62 922 48 70 info@ruckstuhl.com, www.ruckstuhl.com Alle Vertriebspartneradressen weltweit finden Sie unter www.ruckstuhl.com. 80