Antikoagulation mit Phenprocoumon

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Antikoagulation mit Phenprocoumon
Antikoagulation
mit Phenprocoumon
(Marcumar®)
Sehr geehrte Frau Kollegin,
sehr geehrter Herr Kollege
durch Ihre Überweisungen an uns
haben Sie ein Recht darauf zu erfahren, wie gut Ihre Patienten bei uns
versorgt sind. Deshalb wollen wir
Ihnen unsere Behandlungsleitlinien
nach dem aktuellsten Stand der Wissenschaft mitteilen.
Zur Erinnerung: Von Montag bis Freitag
nehmen wir auch alle Akutfälle bei uns
auf. Kurzer vorheriger Anruf bei einem
unserer Ärzte genügt.
Wir danken Ihnen für Ihr Vertrauen
und freuen uns auf eine weitere gute
Zusammenarbeit.
Ihr Winfried Haerer und Partner
Innere Medizin
Kardiologie
Angiologie
Herzklinik Ulm
Dr. Haerer und Partner
Gemeinschaftspraxis
1.1 Zur Problematik Quick- versus INR-Wert:
Der Quickwert als Maß für die Intensität der Antikoagulation hängt von der Empfindlichkeit des verwendeten Thromboplastins ab. In Deutschland gibt es über
20 verschiedene Thromboplastintests. Der therapeutische Bereich liegt z.B. für
Thromborel-S bei 5-10%, für den Hepato-Quick bei 10-20% und für die IL Methode bei 17-30%. Alle entsprechen einer INR von 2,5-4,5.
Berechnung der INR (International Normalized Ratio):
ISI
Thromboplastinzeit des Patientenplasmas (Sekunden)
INR =
[
]
Thrompoplastinzeit des Normalplasmapools (Sekunden)
In unserer Praxis wird wegen der besseren Vergleichbarkeit der Werte nur noch
die INR verwendet.
1.2 Indikation zur Antikoagulation mit Phenprocoumon:
A.Indikation für eine lebenslange orale Antikoagulation
1.Alle Patienten mit mechanischen Kunststoffprothesen
2.Alle Patienten mit paroxysmalem oder permanentem Vorhofflimmern mit
folgenden zusätzlichen Erkrankungen
a) rheumatische Mitralklappenstenose
b)mit Bioprothese
c)Z.n. Herzklappenrekonstruktion
d)Z.n. Valvuloplastie
e)hypertrophe und dilatative Cardiomyopathie
3.Alle Patienten mit rezidivierenden Embolien
4.Alle Patienten mit rheumatischer Mitralstenose und
a)hohem Mitralklappengradienten
b)Thrombus im linken Vorhof
c)Spontan-Echos im linken Vorhof
d)großem linken Vorhof (> 50 mm)
e)niedrigem Herzminutenvolumen
f) Herzinsuffizienz, unabhängig vom Rhythmus
5.Nicht-valvuläres Vorhofflimmern/-flattern:
CHA2DS2-VASc Score siehe Punkt 1.5
B.Zeitlich begrenzte Antikoagulation
1. Bioprothese mit Sinusrhythmus
a)in Aortenposition für 3 Monate
b)in Mitralposition für 3 Monate
2.Vor elektrischer oder medikamentöser Kardioversion von Vorhofflattern/-flim mern (Dauer mehr als 48 Stunden): 3 Wochen
nach Kardioversion von Vorhofflattern oder –flimmern: mindestens 4 Wochen, wenn nicht eine Indikation für eine lebenslange Antikoagulation vorliegt.
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1.3 Intensität der Antikoagulation:
Die Intensität der Antikoagulation sollte risikoangepaßt sein. Risikofaktoren für thromboembolische Ereignisse können
allgemein, kardial, patientenbezogen oder prothesenbezogen sein:
Patientenbezogene Risikofaktoren
Alter (Zunahme der Faktor VII-Aktivität)
Rauchen
Hypertonie
Diabetes
Hyperlipoproteinämie
erhöhtes Fibrinogen
Hyperkoagulabilität
Prothesenbezogene Risikofaktoren
Typ der Prothese (mechanische > Bioprothese)
Design der Prothese (Kugel- > Flügel-/Scheibenprothese)
Position der Prothese (Mitral- > Aortenposition)
Zahl der Prothesen (multiple > einfach)
Empfehlungen für die Intensität der Antikoagulation:
1. Z.n. Klappenersatz
INR-Wert
Mechanische Aortenklappenprothesen (Bifleaflet-Prothese oder
Medronic-Hall-Prothese) ohne weitere Risikofaktoren*
2,0-3,0
Mechanische Aortenklappenprothesen (Bifleaflet-Prothese oder
Medronic-Hall-Prothese) mit weiteren Risikofaktoren*
2,5-3,5
Mechanische Aortenklappenprothesen (Starr-Edwards, Kippscheibenprothesen
mit Ausnahme von Medtronic-Hall) mit weiteren Risikofaktoren*
2,5-3,5
Mechanische Mitralklappenprothesen (jeder Klappentyp)
2,5-3,5
Bioprothetischer Aorten- oder Mitralklappenersatz ohne weitere Risikofaktoren*
Kein Phenprocoumon,
ASS 75-100 mg/d;
Monat 1-3 postop.
Phenprocoumon INR 2,0-3,0
Bioprothetischer Aortenklappenersatz mit Risikofaktoren*
2,0-3,0
Bioprothetischer Mitralklappenersatz mit Risikofaktoren*
2,5-3,5
*Risikofaktoren: Vorhofflimmern, Z.n. thrombolischem Ereignis, LV-Dysfunktion, Hyperkoagulabilitätsstatus
2. Andere Indikationen
Vorhofflimmern nach dem CHA2DS2-VASc Score (s.u.)
Vorhofflimmern mit rezidivierendem cerebralem Insult, TIA oder peripherer
Embolie, sowie mit Mitralklappenstenose oder mechanischer Herzklappe
Venenthrombose
Lungenembolie
Rezidivierende tiefe Beinvenenthrombose und Lungenembolie
Patienten mit rezidivierenden Embolien Venöse und arterielle Thromboembolien bei Antiphospholipidantikörpern
(bei besonderen Thrombophiliezuständen Rücksprache mit dem betreuenden
Hämostaseologen)
INR-Wert
2,0-3,0
3,0-4,5
2,0-3,0
2,0-3,0
3,0-4,0
3,0-4,5 zusätzlich ASS 100 mg/d
3,0-4,0
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1.4 Beginn der Antikoagulation:
In Abweichung von der Firmenempfehlung (1. Tag 6 Tabletten Phenprocoumon à 3 mg, 2. Tag 4 Tabletten usw.) wird in
unserer Praxis eine „sanftere“ Einstellung bevorzugt:
Phenprocoumon (Marcumar®) 3 mg/Tbl
1. Tag
3 Tabletten (Pat. unter 70 Jahre alt)
2 Tabletten (Pat. über 70 Jahre alt)
2. Tag
2 Tabletten
3. Tag 1 Tablette
4. Tag
Kontrolle der INR mit nachfolgender Dosisanpassung
Anmerkung: Bei Beginn mit hohen Phenprocoumondosen sinkt die Konzentration der natürlichen Antikoagulanzien Protein
C und S stärker ab, so daß während der ersten Tage der Behandlung ein hyperkoagulabiler Zustand entsteht: Gefahr der
Marcumar-Nekrose, bes. bei angeborenem Protein C- und S-Mangel.
Wird eine Phenprocoumontherapie während einer initialen Behandlung mit unfraktioniertem oder fraktioniertem Heparin
begonnen, kann die Heparintherapie am Tag des Erreichens einer therapeutischen INR beendet werden. Anders verhält es
sich mit Coumadin (kürzere Halbwertszeit), hier muss 2 Tage über das Erreichen einer therapeutischen INR hinaus mit
Heparin behandelt werden.
1.5 Antikoagulation bei Vorhofflimmern und -flattern:
Vorhofflimmern ist die häufigste persistierende Arrhythmie, die Häufigkeit steigt
mit zunehmendem Alter.
Framingham Heart Study
12
2-Jahres-Indizenz pro 1000
Eine Kardioversion kommt bei symptomatischen Patienten und einer Laufzeit der 10
Arrhythmie von weniger als einem Jahr, sowie einer Größe des linken Atriums im
8
parast. Schnittbild von kleiner gleich 60 mm in Frage.
Dauert das Vorhofflimmern bzw. –flattern länger als 48 Stunden, ist vor einer 6
Kardioversion eine orale Antikoagulation mit Phenprocoumon mit einer Ziel-INR
von 2-3 erforderlich. Nach erfolgter Kardioversion muss die orale Antikoagulation 4
noch mindestens weitere 4 Wochen weitergeführt werden.
Altersabhängigkeit von Vorhofflimmern ®
Embolie
Odds ratio/absolutes Risiko
6,7
4,8
5,4
2,2
0,2 0,5
30 - 39
0,7 0,9
1,5
40 - 49 50 - 59
60 - 69
70 - 79
Hyleg, NEJM, 1996, 335
25
Blutung
Männer
2
0
12,9
Frauen
20
Ziel
INR
15
10
5
0
1,0 1,2 1,4 1,6
1,8 2,0 3,0 5,0
7,0
√ Der optimale Bereich für die Antikoagulation liegt bei einer INR zwischen
2,0 und 3,0. Unter einer INR von 2,0 steigt das Thromboembolierisiko, darüber steigt die Blutungsrate.
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Algorithmus für eine geplante Kardioversion in Abhängigkeit von der Dauer des Vorhofflimmerns/-flatterns
A. Vorhofflimmern oder Vorhofflattern < 48 Stunden:
1. Gabe von unfraktioniertem Heparin i.v./s.c. oder von niedermolekularem Heparin in therapeutischer Dosierung
gewichtsadaptiert (s.u.)
2.Kardioversion medikamentös oder elektrisch am gleichen oder darauffolgenden Tag möglich
3.Fakultativ Weiterführung der Heparintherapie für 5 Tage (in der Literatur kontrovers diskutiert)
4.Falls eine Indikation für eine lebenslange Antikoagulation (siehe Punkt 1.2 A) vorliegt, wird im Anschluss an
unfrakt./niedermolekulares Heparin in therapeutischer Dosierung die Phenprocoumontherapie begonnen und
lebenslang beibehalten.
B. Vorhofflimmern oder Vorhofflattern > 48 Stunden:
Klassisches Vorgehen:
1. Phenprocoumon 3 Wochen (INR 2,0-3,0)
2.Dann Kardioversion medikamentös oder elektrisch
3.Phenprocoumon für mindestens 4 Wochen, nach Maßgabe des behandelnden Arztes bis 6 Monate in Abhängigkeit von der Stabilität des Sinusrhythmus (Langzeit-EKG!) mit einer Ziel-INR von 2,0-3,0. Falls eine Indikation für eine lebenslange Antikoagulation (siehe Punkt 1.2 A) vorliegt, wird Phenprocoumon lebenslang beibehalten.
Alternatives Vorgehen:
Bei einem Vorhofflimmern mit einer Dauer von über 48 Stunden kann nach Einleitung einer therapeutischen
Heparinisierung auch eine TEE-Untersuchung zum Ausschluß intraatrialer Thromben durchgeführt und dann am
gleichen Tag elektrisch oder medikamentös kardiovertiert werden. Danach Gabe von Phenprocoumon für mindestens 4 Wochen, nach Maßgabe des behandelnden Arztes bis 6 Monate in Abhängigkeit von der Stabilität des Sinusrhyth-
mus (Langzeit-EKG!) mit einer Ziel-INR von 2,0-3,0. Falls eine Indikation für eine lebenslange Antikoagulation (siehe Punkt 1.2.A) vorliegt, wird Phenprocoumon lebenslang beibehalten.
Folgendes Vorgehen wird nach CHA2DS2-VASc Score der ESC (EurHeartJournal 10.1093/eurheart/ehq278,2010) empfohlen:
CHA2DS2-VASc Score:
Risikofaktoren für Schlaganfall und Thromboembolie bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern
Bedeutende („major“) Risikofaktoren
Moderate („non-major“) Risikofaktoren
Z.n. TIA oder apoplektischem Insult
Herzinsuffizienz
Z.n. systemische Embolie
Mittel- bis höhergradig eingeschränkte EF (≤ 40%)
Alter ≥ 75 Jahre
Arterielle Hypertonie
Diabetes mellitus
Weibliches Geschlecht (sex category)
Alter 65-74 Jahre
Vaskuläre Erkrankung
(Z.n. Myokardinfarkt, periphere AVK, Aortenplaque)
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CHA2DS2-VASc Score
Risikofaktor
Herzinsuffizienz/eingeschränkte EF
Arterielle Hypertonie
Alter ≥ 75 Jahre
Diabetes mellitus
Z.n. apoplektischem Insult/TIA/Thromboembolie
Vaskuläre Erkrankung
(Z.n. Myokardinfarkt, periphere AVK, Aortenplaque
Alter 65-74 Jahre
Weibliches Geschlecht Herzklinik Ulm
Score
1
1
2
1
2
1
1
1
Risikokategorie
CHA2DS2-VASc Score
Empfohlene antithrombotische
Therapie
1 bedeutender („major“) oder
≥ 2
≥ 2 moderate („non-major“)
Risikofaktoren
1 moderater („non-major“) 1
Risikofaktor
Keine Risikofaktoren
0
Phenprocoumon INR 2,0-3,0
Entweder Phenprocoumon
INR 2,0-3,0 oder ASS 75-325 mg/d
Entweder ASS 75-325 mg/d oder keine antithrombotische Therapie
Bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern gilt ein anderer Zielbereich für die INR (siehe Punkt 1.2 A).
Wenn die Gabe von Antikoagulation nicht erfolgen kann (z.B. bei Ablehnung durch den Patienten oder bei klarer Kontraindikation gegen Phenprocoumon, z.B. fehlende Monitormöglichkeit), kann beim nicht-valvulären Vorhofflimmern nach der
ACTIVE-Studie alternativ die Gabe von ASS 100 plus Clopidogrel 75 mg/d in Betracht gezogen werden. Allerdings kann
das Blutungsrisiko im Vergleich zu Phenprocoumon durch diese Kombination nicht gesenkt werden.
1.6 Management des Phenprocoumonpatienten vor geplanter diagnostischer Herzkatheterunter suchung oder PCI:
Vor einer Herzkatheteruntersuchung/PCI soll nach Möglichkeit Phenprocoumon nicht abgesetzt werden. Die HK-Untersuchung wird über die A. radialis rechts oder links durchgeführt, nach vorheriger Durchführung eines Allen-Tests bzw. einer
Duplexuntersuchung der A. radialis/ulnaris. Die Vorgehensweise entspricht der von Patienten mit hohem Risiko (Gruppe C
+ D, siehe unten).
Soll Phenprocoumon vor einer Herzkatheteruntersuchung/PCI doch abgesetzt werden, was nur bei Patienten mit einem
niedrigen (A), mittleren (B) Risiko erwogen werden sollte, ist wie folgt vorzugehen:
A. In der Niedrig-Risikogruppe, also z.B. Patienten mit Vorhofflimmern ohne Kunstklappe und mit normaler LV-Funktion, ist
ein Ersatz von Phenprocoumon durch ein niedermolekulares Heparin, z.B. Clexane, in halber therapeutischer Dosierung
möglich (siehe Schema). Alternativ kann nach Maßgabe des behandelnden Arztes Phenprocoumon für die Dauer von bis
zu 10 Tagen auch ersatzlos pausiert werden.
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B. In der Gruppe mit mittlerem Risiko (außer Kunstklappenträgern), z.B. Patienten mit Z.n. Beinvenenthrombose oder eingeschränkter LV-Funktion mit Vorhofflimmern, sollte ein Ersatz von Phenprocoumon durch ein niedermolekulares Heparin,
z.B. Clexane, in therapeutischer Dosierung erfolgen (siehe Schema).
Vorgehen bei Patienten der Gruppe A und B:
Niedermolekulares Heparin,
Beispiel 1: Clexane®
Gewicht
50 kg
60 kg
70 kg
80 kg
90 kg
100 kg
Gruppe A
1 x (60 mg – 10 mg =) 50 mg*
1 x 60 mg*
1 x (80 mg – 10 mg =) 70 kg)*
1 x 80 mg*
1 x (100 mg – 10 mg =) 90 kg*
1 x 100 mg*
Gruppe B
2 x (60 mg – 10 mg = 50 mg)
2 x 60 mg
2 x (80 mg – 10 mg) = 70 mg
2 x 80 mg
2 x (100 mg – 10 mg =) 90 kg
2 x 100 mg
* alternativ kann die Gabe auf 2 Dosen verteilt erfolgen
Beispiel 2: Mono-Embolex® 8000 I.E. Therapie
Gewicht
≥ 60 kg
Gruppe A
1 x 0,8 ml (8000 I.E.)
Gruppe B
2 x 0,8 ml (8000 I.E.)
Eine Dosisanpassung bei einem Körpergewicht ≥ 60 kg ist nicht erforderlich.
Achtung: Mono-Embolex® 8000 I.E. Therapie sollte nicht bei Patienten mit einem Gewicht von < 60 kg verordnet werden,
da hier ein erhöhtes Blutungsrisiko beschrieben ist. Bei diesen Patienten kann z.B. auf Clexane® gewichtsadapiert ausgewichen werden.
Anm: Statt Clexane® oder Mono-Embolex® kann auch ein anderes niedermolekulares Heparin gewichtsadaptiert eingesetzt
werden.
Phenprocoumon sollte ca. 9-10 Tage vor der Katheteruntersuchung/PCI abgesetzt werden. Ab einer INR <2 (in der Regel
1-2 Tage danach, je nach Ausgangs-INR) sollte mit Clexane begonnen werden, die Dosierung richtet sich nach der Indikationsgruppe (A oder B). Am Tag nach der HK-Untersuchung/PCI kann die Phenprocoumontherapie wieder aufgenommen
werden, überlappend bis zum Erreichen der Ziel-INR muss das niedermolekulare Heparin in der individuell korrekten Dosierung weitergegeben werden. Die NMWH-Therapie kann am gleichen Tag beendet werden, an dem die Ziel-INR erreicht ist.
C + D. Eine eigene Gruppe bilden die Kunstklappenträger sowie Hochrisikopatienten für eine Thromboembolie. Bei Kunstklappenpatienten ist zwischen Aortenkunstklappen auf der einen Seite und Mitralkunstklappen bzw. Doppelkunstklappen
(und alten Klappentypen, die kaum noch vorkommen, s.o. unter Klappen der 1. Generation) auf der anderen Seite zu
unterscheiden. Bei beiden Gruppen wird vor einer Herzkatheteruntersuchung und PCI Phenprocoumon nicht abgesetzt. Bevorzugter arterieller Zugang ist die A. radialis rechts oder links. Die Patienten werden vorher ambulant auf einen INR-Wert
von 2,5 bei Mitral- und Doppelklappenersatz bzw. auf 2,0 bei Aortenkunstklappen eingestellt. Das bedeutet, dass Phenprocoumon reduziert wird und die Pat. vor dem geplanten Termin eine engmaschige (tägliche) INR-Kontrolle brauchen.
Heparin wird vor einer invasiven Diagnostik und Therapie also gar nicht gegeben. Als alternativer Zugangsweg kommt
bei Aortenkunstklappen ausnahmsweise auch die Arteria femoralis in Frage, bei einer INR von 2,0 ist hierbei nach Frau
Gohlke-Bärwolf, Bad Krozingen (persönl. Auskunft) das Blutungsrisiko nicht wesentlich erhöht.
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Übersicht Vorgehen vor geplanter Angiographie/PCI
Indikation zur Antikoagulation
Beispiele
A. Niedriges jährliches Risiko (<4%) für Vorhofflimmern ohne Z.n. cerebraler/
eine thromboembolische Komplikation peripherer Embolie anamnestisch;
ohne Antikoagulation
Cardiomyopathie ohne Vorhofflimmern
B. Mittleres Risiko (4-7%) für eine
Cardiomyopathie mit eingeschränkter
thromboembolische Komplikation Ventrikelfunktion und Vorhofflimmern;
ohne Antikoagulation
Z.n. Beinvenenthrombosen
C. Mittleres Risiko (4-7%) für eine Mechanische Kunstklappe, z.B. thromboembolische Komplikation ohne St. Jude Medical oder Carbomedics-
Antikoagulation bei Kunstklappen- Klappe, in Aortenposition
trägern (nur Aortenposition)
D. Hohes jährliches Risiko (>7%) für Mechanische Kunstklappe in Mitral-
eine thromboembolische Komplikation position; Erstgenerationsklappen,
ohne Antikoagulation
z.B. Starr-Edwards, Björk-Shiley-
Standard; Vorhofflimmern mit Z.n. apoplektischem Insult; Mitralvitium im Vorhofflimmern; rezidivierende Bein-
venenthrombosen mit Lungenembolie
Empfehlung
Phenprocoumon absetzen, Gabe eines niedermolekularen Heparins in halber therapeutischer Dosierung
(siehe Schema oben)
Phenprocoumon absetzen, Gabe
eines niedermolekularen Heparins in
therapeutischer Dosierung
(siehe Schema oben)
Phenprocoumon beibehalten, vor
Angiographietermin engmaschige
INR-Kontrollen, Ziel-INR von 2,0 anstreben Zugang von der A. radialis oder A. femoralis; keine Heparingabe während HK-Untersuchung/PCI
Phenprocoumon beibehalten, vor
Angiographietermin engmaschige
INR-Kontrollen, Ziel-INR von 2,5 anstreben, Zugang von der A. radialis;
keine Heparingabe während HKUntersuchung/PCI
Vorgehen bei Stentimplantation
Die Implantation beschichter Stents („drug eluting Stents“) sollte bei Patienten, die eine Phenprocoumontherapie benötigen, nach Möglichkeit vermieden werden.
BM-Stents: Nach Implantation unbeschichteter Stents („bare metal stents“) erfolgt für 4 Wochen eine Triple-Therapie mit
Phenprocoumon nach Ziel-INR plus Clopidogrel 75 mg/d plus ASS 100 mg/d. Zusätzlich sollte ein Magenschutz, vorzugsweise Pantoprazol 40 mg/d, gegeben werden, alternativ Ranitidin 300 mg/d. Nach 4 Wochen wird mit Phenprocoumon
nach Ziel-INR plus ASS 100 mg/d oder alternativ Clopidogrel 75 mg/d für 12 Monate weiterbehandelt, zusätzlich Magenschutz (wie oben).
DE-Stents: Nach den ESC-Leitlinien [EurHeartJournal 10.1093/eurheart/ehq 278,2010] sollte nach elektiver Implantation
von medikamentenbeschichteten („drug eluting“) Stents eine Triple-Therapie mit Phenprocoumon nach Ziel-INR plus Clopidogrel 75 mg/d plus ASS 100 mg/d gegeben werden, zusätzlich ein Magenschutz, vorzugsweise Pantoprazol 40 mg/d,
alternativ Ranitidin 300 mg/d, für die Dauer von mindestens 3 Monaten (bei „-olimus“-Stents, z.B. Tacrolimus, Everolimus,
Zotarolimus) und mindestens 6 Monaten bei Paclitaxel-Stents gegeben werden, nach Maßgabe des Operateurs ggf. auch
länger. Beim Nicht-ST-Hebungs- und ST-Hebungsinfarkt für eine Triple-Therapie von 3-6 Monaten bei den „olimus“-Stents
empfohlen.
Wird eine „Dreifach“-Therapie mit ASS/Clopidogrel/Phenprocoumon erforderlich, sind folgende Maßnahmen zu empfehlen:
1. Patienten und betreuende Ärzte sollten intensiv darüber informiert werden (Arztbrief, Merkblatt für den Patienten), dass
die Dreifachtherapie bei konventionellen, unbeschichteten Stents für 4 Wochen, bei DE-Stents entsprechend der 0.g. Empfehlungen durchgeführt werden muss.
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2. Die Intensität der Antikoagulation muss häufiger als üblich, d.h. mindestens 1 x wöchentlich, überprüft werden. Dabei
sollte der jeweils untere therapeutische Wert des INR-Zielbereiches angestrebt werden, z.B. bei Z.n. mechanischem
Aortenklappenersatz Ziel-INR 2,5, bei Z.n. mechanischem Mitralklappenersatz INR 3,0.
3. Bei interkurrenten Erkrankungen (Diarrhoe etc.) sollte umgehend der INR-Wert kontrolliert und ggf. die Phenprocoumo-
nardosis adaptiert werden.
4. Während der Dreifachtherapie sollten keine anderen Medikamente, die die Blutgerinnung beeinflussen, wie z.B. Amio-
darone oder nichtsteroidale Antiphlogistika, neu gegeben werden.
5. Der Pat. sollte über Zeichen für Blutungen informiert werden (schwarzer Stuhl, Verfärbung des Urins, vermehrte Häma tome, Nasen- oder Zahnfleischbluten, plötzliche Kopfschmerzen als mögliches erstes Zeichen einer intracerebralen
Blutung).
6. Für die Dauer der Triple-Therapie wird eine Prophylaxe mit einem Protonenpumpenblocker, vorzugsweise Pantoprazol, oder mit Ranitidin, empfohlen.
7. Im Einzelfall ist die Selbstbestimmung der INR durch ein Coaguchecksystem nach vorheriger Schulung zu erwägen.
1.7 Management des Phenprocoumonpatienten vor geplanten operativen Eingriffen
1.7.1 Zahnärztliche Eingriffe:
Bei Zahneingriffen kann z.B. Phenprocoumon häufig beibehalten werden, wenn nach engmaschiger perioperativer INRKontrolle eine gute lokale chirurgische Technik mit sorgfältiger Blutstillung erfolgt.
Folgendes Schema kann dem behandelnden Zahnarzt empfohlen werden:
Cyklokapron® (= Tranexamsäure) 500 Amp (5 in einer Packung): 1 Ampulle (5ml) im Wasserglas auf 100 ml verdünnen; diese Menge muss der Patient auf 4 Tagesrationen verteilen. Wenn er nach der Zahnbehandlung nach Hause
kommt, sofort eine Portion in den Mund nehmen und 10 min lang spülen; diese Prozedur bis zu 4x am Tag durchführen.
Im Normalfall steht dann jede Blutung. Der Pat. kann das aber noch die nächsten Tage wiederholen, bis die 5 Ampullen
aufgebraucht sind. Paßt für alle zahnärztlichen Eingriff ausgenommen kieferchirurgische!
Bei Vitien- und Kunstklappenpatienten ggf. Endokarditisprophylaxe beachten!
1.7.2 Größere chirurgische Eingriffe bei Kunstklappen-Patienten:
Die meisten chirurgischen Eingriffe bei Kunstklappenpatienten können sicher unter Beibehaltung der oralen Antikoagulation
durchgeführt werden (s. oben). Muss Phenprocoumon unbedingt abgesetzt werden, sollte dies unter stationären Bedingungen erfolgen und ab einer INR von 2,0 bzw. 2,5 je nach Risikogruppe Heparin unfraktioniert i.v. mit einer Ziel-PTT von
dem 2-fachen der Norm gegeben werden. Heparin sollte dann 6 Stunden vor der OP abgestellt werden und - wenn von
chirurgischer Seite her machbar – 6 Stunden nach der OP wieder weitergegeben werden, bis eine INR bei 2,0 bzw. 2,5
erreicht worden ist. Phenprocoumon wird bereits am Abend nach der OP wieder gegeben (Ausnahme: z.B. neurochirurgische Eingriffe).
(Quelle: Dr B. Prendergast, Wythenshawe Hospital, Manchester, UK. Nucleus Member of the ESC Working Group on Valvular Heart Disease)
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1.8 Antikoagulation in der Schwangerschaft bei Klappenprothesen:
Es gibt keine kontrollierten klinischen Studien. Sowohl bei Phenprocoumon als auch bei der Gabe von unfraktioniertem
Heparin ist ein häufiges Monitoring der Effektivität der Antikoagulation in der Schwangerschaft notwendig, da sich die
Medikamentendosis durch Zunahme des intravasalen Volumens und des Körpergewichts ändert.
Das Risiko einer phenprocoumonindizierten Embryopathie ist zwischen der 6. und 12. SSW am größten (maximal in der 6.
- 9. SSW). Aufgrund der noch unreifen Leber und der Tatsache, dass die oralen Antikoagulanzien die Plazenta passieren,
die mütterlichen Gerinnungsfaktoren dagegen nicht, ist der antikoagulatorische Effekt der oralen Antikoagulanzien beim Föten größer als bei der Mutter. Die Embryopathie wird durch eine Blutung in den sich entwickelnden Knorpel und durch eine
Interferenz mit dem Calcium-Metabolismus verursacht. Die Inzidenz der Embryopathie schwankt zwischen 0%, 4-6% und
30%, wobei eine eindeutiger Abhängigkeit von der Höhe der Phenprocoumondosierung besteht (deutlicher Anstieg bei INR
>5). Auch während des 2. und 3. Trimenons besteht eine erhöhte Blutungsgefahr (ZNS mit Mikrozephalie und Agenesie
des Corpus callosum), nach Literatur mit einer Häufigkeit von ca. 3%. Weiterhin besteht ein erhöhtes Risiko für Aborte,
Früh- und Totgeburten, retroplazentale Blutungen. Daraus folgt, daß eine möglichst optimale Einstellung im patientenspezifischen therapeutischen Bereich anzustreben ist.
Beim Ersatz von Phenprocoumon durch PTT-gesteuertes unfraktioniertes Heparin im ersten SS-Trimester stieg das Risiko
einer mütterlichen thromboembolischen Komplikation auf 9,2% und das mütterliche Mortalitätsrisiko auf 4,2% (Chan WS,
Arch.Int.Med. 2000,160:191-6). Heparin als alternatives Antikoagulans bietet also nicht den gleichen Schutz wie Phenprocoumon. Auch bei unfr. Heparin besteht ein erhöhtes Risiko für Aborte und retroplazentale Blutungen.
Niedermolekulare Heparine sind wahrscheinlich nicht embryotoxisch, die Datenlage zur Gabe bei schwangeren Klappenträgerinnen ist jedoch unzureichend. Die Firma Aventis hat für Enoxaparin im April 2002 eine ausdrückliche Warnung
veröffentlicht, ihr Präparat in der Schwangerschaft als Langzeitantikoagulation zu verwenden (Heart Wire, 4.7.03).
Aktuelle Guidelines (Gohle-Bärwolf, 2009)
Schema 1:
Phenprocoumonbedarf < 3 mg/d oder Couradinbedarf < 5 mg/d (hierunter 0% Embryopathien beschrieben)
Vorteil: Größte Sicherheit für die Mutter, sehr geringes bis fehlendes Embryopathierisiko.
Festellung - 36. SSW
Phenprocoumon wird weitergeführt; häufiges Monitoring der INR, mindestens 1 x pro Woche; Ziel-INR bei mechanischen Aortenklappen 2,5,
bei mechanischen Mitralklappen 3,0; die INR soll den Wert von 3 nicht über
schreiten, um Blutungsrisiken für den Föten zu vermeiden
36. SSW
Absetzen von Phenprocoumon, Umsetzen auf unfraktioniertes Heparin i.v. unter stationären Bedingungen, mit therapeutischer PTT bis 6 Stunden vor der
Entbindung, oder anti-Faktor-X-Aktivität bis zur Geburt
Geburt
4-6 Stunden nach der Geburt unfrakt. Heparin wieder ansetzen, wenn keine Kontraindikationen vorliegen. Phenprocoumon mit der klappenspezifischen Ziel-
INR wird 24 h nach der Geburt wieder angesetzt, wenn keine Blutungskompli
kationen aufgetreten sind.
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Schema 2:
Phenprocoumonbedarf > 3 mg/d oder Couradinbedarf > 5 mg/d
Nach Feststellung der Schwangerschaft Umstellung von Phenprocoumon auf unfraktioniertes, PTT-gesteuertes Heparin s.c. mit einem aPTT-Wert > 2 Sekunden (oder besser Bestimmung der anti-
Faktor-Xa-Aktivität). Wegen der kurzen Halbwertszeit ist i.d.R. eine dreimal tägliche Gabe erforderlich. Cave: heparininduz. Thrombopenie, Risiko der
Osteoporose.
Alternativ niedermolekulares Heparin, nur unter regelmäßiger anti-Faktor-Xa-
Aktivitätsbestimmung.
Anm: Die anti-Faktor-Xa-Aktivität wird 4 Stunden nach der letzten Heparingabe bestimmt, der therap. Bereich liegt bei 1.0 bis 2.0 IE/ml.
SSW 12-36
Phenprocoumon: häufiges Monitoring der INR, mindestens 1 x pro Woche; Ziel-INR bei mechanischen Aortenklappen 2,5,
bei mechanischen Mitralklappen 3,0;
die INR soll den Wert von 3 nicht überschreiten, um Blutungsrisiken für den
Föten zu vermeiden
36. SSW
Absetzen von Phenprocoumon, Umsetzen auf unfraktioniertes Heparin i.v.
unter stationären Bedingungen, mit therapeutischer PTT bis 6 Stunden vor der Entbindung. oder anti-Faktor-X-Aktivität bis zur Geburt
Geburt
4-6 Stunden nach der Geburt unfrakt. Heparin wieder ansetzen, wenn keine Kontraindikationen vorliegen.
Phenprocoumon mit der klappenspezifischen Ziel-INR wird 24 h nach der
Geburt wieder angesetzt, wenn keine Blutungskomplikationen aufgetreten sind.
Da die Clearane der niedermol. Heparine vor und nach der Entbindung noch stärker die der unfrakt. Heparine verzögert ist,
sollten nmH ab der 36. Woche möglichst nicht mehr eingesetzt werden.
Bei vorzeitigen Wehen unter therapeutischer Antikoagulation mit Phenprocoumon sollte nach Neutralisierung der Antikoagulation eine Sectio durchgeführt werden, da bei einer vaginalen Entbindung unter oraler Antikoagulation ein erhöhtes
Risiko einer intracerebralen Blutung besteht.
ZL 10 - 2
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