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BIP5_2708_nach Druckerei_frei:. 27.08.2013 11:34 Uhr Seite 36 BESCHAFFUNG Global Sourcing Türkei: Gelobtes Land für Investoren Der deutsch-türkische Handel entwickelt sich außerordentlich dynamisch. Das Land bietet blendende Zukunftsperspektiven. Einkäufer und Logistiker beobachten freilich auch die politischen Rahmenbedingungen genau. BIP analysiert den Markt rund um den unruhigen Bosporus. Turbulenzen. So mancher Experte erkundigte sich denn auch im Juni wäh36 rend der weltgrößten Messe für Logistik, Mobilität, IT und Supply Chain Management, der transport logistic in München, besorgt nach den Auswirkungen auf das logistische Tagesgeschäft. Kostas Sandalcidis, Vice President der International Federation of Freight Forwarders Associations (FIATA) und beim international tätigen Transportlogistikdienstleister Militzer & Münch (M&M) zu besuchen.“ Es sei aber von keinen nennenswerten Ausfällen zu berichten gewesen. „Sicher kann es zu weiteren Spannungen kommen, aber die Lage wird sich in der Türkei mit der Zeit beruhigen“, meint der griechischstämmige Türke. Sandalcidis verweist auf Risikomanagementmaßnahmen, die Unternehmen für alle Eventualitäten in der Schublade „Was in Deutschland als Problem definiert wird, kommt mit drei bis vier Jahren Verzug in der Türkei an.“ Kostas Sandalcidis, Militzer & Münch als Regional Managing Director für Middle East und Central Asia zuständig: „Während der Demonstrationen auf dem Taksim-Platz war der ohnehin turbulente Verkehr noch chaotischer. An diesen Tagen war es zwecklos, Kunden haben sollten. Vorübergehende Ausfälle, etwa durch Demonstrationen oder auch Brände, seien freilich eher zu bewältigen als Naturkatastrophen in der erdbebengefährdeten Region Istanbul. Die Türkei habe in Bezug auf geeignete BIP 5· 2013, 4. Jahrgang Foto: guroldinneden/Shutterstock N eben wirtschaftlichen Fragen ist unser Verhältnis zur Türkei aufgrund vieler Mitbürger in Deutschland mit türkischen Wurzeln durch eine besondere persönliche Nähe geprägt. Entsprechend verfolgen wir die Geschehnisse im jeweils anderen Land mit besonderer Aufmerksamkeit“, bekundete Wirtschaftminister Philipp Rösler im April in Ankara. Auch der BME war seinerzeit mit Delegationsvertreten dabei. Wenig später sollten die Ministerworte an Relevanz gewinnen: Bürgerdemonstrationen und drastische Polizeiaktionen rückten das Land für Wochen in den Fokus der Weltöffentlichkeit – und dieses Mal war nicht vom gelobten kommenden Schwergewicht die Rede und nicht von der Kraft für Zentralasien, sondern vom Unruheherd, dessen heiße Ströme sich womöglich störend auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes auswirken könnten. BIP5_2708_nach Druckerei_frei:. 27.08.2013 11:34 Uhr Seite 37 und Einkäufer? Maßnahmenpläne, wenn man es mit Deutschland vergleicht, noch Nachholbedarf, sei aber Ländern wie Kasachstan oder Tadschikistan weit voraus. Fahrermangel droht auch der Türkei. Risikoverteilung ist eine der Möglichkeiten, auf Lieferprobleme zu reagieren. Einer der großen auch in der Türkei produ- SWOT-Analyse Türkei STRENGTHS (Stärken) OPPORTUNITIES (Chancen) • • • • • mögliche Rolle als Energiedrehscheibe Fertigung hochwertiger Waren wachsender Binnenmarkt massiver Ausbau der Verkehrsinfrastruktur steigendes Interesse an erneuerbaren Energien und Energieffizienz BIP 5· 2013, 4. Jahrgang • • • • • W T hohes Leistungsbilanzdefizit Schwächen in der Berufsausbildung innenpolitische Konflikte schwerfällige Bürokratie hohe Importabhängigkeit bei Energieträgern THREATS (Risiken) • Abhängigkeit von spekulativen Kapitaleinfuhren • drohende Energieengpässe • Währungsinstabilität • Beeinträchtigung durch regionale Konflikte • Einbruch von Exportmärkten Quelle: GTAI 2013 S O • großer, dynamischer Markt • gegenüber neuen Produkten aufgeschlossene junge Bevölkerung • geografische und kulturelle Mittlerposition zwischen Europa, Nahost und Zentralasien • gut entwickelte Industriebasis • motivierte Arbeitnehmerschaft WEAKNESSES (Schwächen) zierenden deutschen Konzerne benötigt 200 Lkw wöchentlich auf der Route Deutschland–Türkei und zurück. Das Risiko wird auf zehn Spediteure verteilt. Alle Leistungen wurden im Vorfeld zu gleichen Konditionen ausgeschrieben. Die Türkei, derzeit mit 60 000 internationalen Lkw die Nummer eins in Europa, wird sich im Laufe der kommenden Jahre mit Fahrermangel konfrontiert sehen. „Was in Deutschland als Problem definiert wird, kommt mit drei bis vier Jahren Verzug in der Türkei an“, sagt Kostas Sandalcidis, der auch an der Universität Istanbul Eisenbahnlogistik lehrt. Dann gelte es, vermehrt Fahrer aus Syrien oder dem Irak anzuwerben. „Spätestens im Jahr 2025 wird die Türkei ganz anders aussehen als jetzt“, prophezeit Sandalcidis. Er verweist auf Projekte wie den geplanten größten Flughafen der Welt in Istanbul (erster Bauabschnitt: 2017) und auf neue komplexe Verkehrswege. Häfen und Gleisanbindungen sind lange vernachlässigt worden am Bosporus. Sandalcidis setzt dabei auf den seit über zehn Jahren im Amt weilenden Verkehrsminister Binali Yildirim – eine ungewöhnlich lange Zeit für einen türkischen Politiker. Transportlogistik: Stärken und Schwächen. „Vor dem Hintergrund möglicher Regionalisierungstendenzen besitzt die Türkei alle Voraussetzungen, um ihre Stellung im Bereich Beschaffung auszubauen“, sagt Erik Leiss, CEO bei Schenker Arkas. Im Bereich internationaler Transporte erfüllten bereits viele Lieferanten die geforderten Qualitätsund Umweltstandards. Leiss: „Im Segment Inlandstransporte allerdings entsprechen nur wenige Frächter unseren Vorstellungen.“ Ungeachtet dessen habe das Land hohe strategische Bedeutung als Drehscheibe zwischen Europa und Asien. Die Präsenz von DB Schenker in der Türkei reicht bis 1889 zurück, als Firmengründer Gottfried Schenker hier erstmals Gschäftstätigkeiten aufnahm. Man arbeitete fast 100 Jahre mit Agenten in Istanbul und Izmir zusammen, bis es 1995 zum Joint Venture mit der Arkas-Gruppe kam, einem führenden türkischen Unternehmen im See37 BIP5_2708_nach Druckerei_frei:. 27.08.2013 11:35 Uhr Seite 38 BESCHAFFUNG Global Sourcing frachtgeschäft. Heute beschäftigt DB Schenker Arkas 400 Mitarbeiter an elf Standorten: Istanbul, Istanbul Flughafen, Bursa, Ankara, Izmir, Mersin, Gaziantep, Eskisehir, Denizli, Konya und Kayseri. Geplant sind der Aufbau multimodaler Verkehre zwischen Europa und der Türkei auf der Schiene, Ausbau der Präsenz in Bursa, Verstärkung im Bereich Automotive und die Erweiterung der Flächen im Raum Istanbul. Als Herausforderungen bezeichnet Erik Leiss das Ungleichgewicht der Warenströme (Import versus Export), steigenden Wettbewerbsdruck und infrastrukturelle Mängel, etwa das veraltete Schienennetz. Zudem gebe es keine leistungsfähigen Railports. Und: „Verzollungsund Genehmigungsverfahren sind kompliziert und zeitaufwendig.“ Infrastruktur. Die Entwicklung des türkischen Außenhandels und damit auch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung des Landes hängen laut Erik Leiss wesentlich davon ab, inwieweit es gelinge, effiziente multimodale Transportsysteme zu entwickeln. „Hier geht es vor allem um die Schaffung von Railports für den Güterumschlag von der Straße auf die Schiene. Daneben spielen ausreichende Hafenkapazitäten für den Containerumschlag in der Seefracht eine entscheidende Rolle“, sagt der Mann von Schenker Arkas. Von zentraler Bedeutung sei auch die von der EU betriebene Wiederbelebung der Seidenstraße für die Türkei als wichtiges 38 Transitland in den Kaukasus und nach Asien sowie die Untertunnelung des Bosporus, die eine Schienenverbindung durch die Türkei von West nach Ost schafft. Infrastrukturelle Maßnahmen konzentrieren sich auf die wirtschaftlichen Ballungsräume, also die Marmara-Region und die dynamisch wachsende Region Südost-Anatolien. Luftverkehr. Die teilstaatliche Turkish Airlines (TA), Mitglied der Luftfahrt- Auf einen Blick Das sagen Einkäufer der BME-Fachgruppe Low Cost Countries • Türkei etabliert sich zunehmend • Vorteile durch viele deutschsprachige Geschäftspartner • bekannte, geschätzte Mentalität • wenig kulturelle Hürden • gut ausgebildete Fachkräfte • stabiles Bankensystem • weitgehend unproblematische Logistik via Lkw • Kostenvorteile gegenüber Westund Osteuropa Interessante Branchen für Einkäufer: • Edelstahlverarbeitung • Wärmetauscher • Textilien • Schmiede- und Gussteile Allianz Star Alliance, bietet innerhalb des Landes 38 Verbindungen; weltweit sind es 234 Standorte in 103 Ländern. Die TA hat das Streckennetz erheblich ausgebaut, in Deutschland kam in diesem Jahr Friedrichshafen hinzu. Derzeit gibt es laut Okan Küfeci, Senior Manager Corporate Sales EMEA, „konkrete Planungen für 37 weitere Ziele, darunter San Francisco, Havanna und Mexico City“. Das Skytrax Airline Ranking 2013 sieht die TA zum dritten Mal in Folge als beste Fluggesellschaft Europas; im weltweiten Ranking steht die TA auf Platz neun (Sieger im Skytrax-Vergleich und auch bei den Air Cargo News Awards 2013: Emirates). Istanbul gilt als das Drehkreuz mit glänzender Zukunft. Okan Küfeci: „Der Flugverkehr verlagert sich zunehmend von West nach Ost, Istanbul ist geradezu ideal platziert, um internationale Passagier- und Warenströme zu verbinden. Das gilt auch für die Verknüpfung von Europa mit dem afrikanischen Kontinent und dem Mittleren und Nahen Osten.“ Der geplante Großflughafen wird nicht nur der Turkish Cargo ein erhebliches Wachstumspotenzial bescheren. Einkäufer-Erfahrungen: Automotive. Markus Schatz, Einkaufsleiter NichtProduktionsmaterial beim Automobilzulieferer Grammer (Amberg), war mit dem BME und Minister Rösler bereits in Portugal und in der Türkei. Grammer produziert und beschafft seit Mitte der 80er Jahre in der Türkei, derzeit ein BIP 5· 2013, 4. Jahrgang BIP5_2708_nach Druckerei_frei:. 27.08.2013 Produktspektrum mit Schwerpunkt Stahl, Stahlkomponenten, Kunststoffteile und Bezugsmaterial. „Die Lohnstückkosten in der Türkei sind deutlich güns-tiger als in anderen Teilen Europas, die Vorteile variieren von Produktgruppe zu Produktgruppe“, sagt Schatz. Gut ausgebildete Mitarbeiter, teilweise auch mit Berufserfahrung in Deutschland, seien zumindest im Westen, also Istanbul und Umgebung, vorhanden. Grammer nutzt den Straßen- beziehungsweise Kombiverkehr als Verkehrsanbindung von und nach Deutschland, auch hier bestehen große regionale Unterschiede. Die Abwicklung durch Behörden, wie beispielsweise den Zoll, bezeichnet Markus Schatz als „schwierig und umständlich, es muss eine Vielzahl unterschiedlicher Dokumente erstellt werden“. Dem Thema Korruption begegnet der Automobil- BIP 5· 2013, 4. Jahrgang 11:35 Uhr Seite 39 zulieferer mit transparentem eigenem Handeln und klaren Forderungen an Lieferanten: Grammer ist der BMECompliance-Initiative beigetreten, die Leitlinien gelten auch für die Werke beziehungsweise die Mitarbeiter in der Türkei. Markus Schatz hat trotz guter Erfahrungen die Politik des Landes im Blick: „Eskalierende Demonstrationen und Ausschreitungen beunruhigen, das beobachten wir genau.“ Einkäufer-Erfahrungen: Maschinenbau. Seit 2004 beschafft die Aerzener Maschinenfabrik GmbH (Aerzen bei Hameln) große Graugusskomponenten. Matthias Duttmann, Leiter Strategischer Einkauf, bezeichnet das Preis-Leistungs-Verhältnis als „sehr gut“, die Qualität der Produkte hingegen als zuweilen „schlecht“. Hier gilt es also, weiter Nachhilfe zu geben und Prozesse genau zu verfolgen. Seit Kurzem ist bei Aerze- ner ein Risikomanagementsystem installiert. Matthias Duttmann hält die politischen Verhältnisse in der Türkei für „schwierig“. Die Frage sei, wie stabil die Türkei in Zukunft sein werde. „Konkrete neue Pläne haben wir nicht“, so Duttmann, „aber wir werden den Beschaffungsmarkt im Auge behalten.“ Support durch den BME. „Die Türkei ist von wachsender strategischer Bedeutung auch für den Mittelstand“, sagt BME-Hauptgeschäftsführer Holger Hildebrandt. Potenziale gebe es für deutsche Unternehmen in Sachen Produktion, Beschaffung und Supply Chain Management. Der Verband unterstützt Einkäufer und auch die Aktivitäten des Bundeswirtschaftsministeriums und des Auswärtige Amtes. Sabine Ursel, BME Ansprechpartner: Olaf Holzgrefe, olaf.holzgrefe@bme.de 39