Booklet_April2015_DT_small_format

Transcription

Booklet_April2015_DT_small_format
Traditionelle Formen
der Land- und Forstwirtschaft in Südtirol
Neue Erkenntnisse für
Neue Erkenntnisse
für
Förster,
Landwirte und
Förster,
Landwirte und
Waldeigentümer
Waldeigentümer
Wissenswertes für
Wissenswertes für
Landschaftsgenießer
Landschaftsgenießer
Lärchenwiesen
Niederwälder
Kastanienhaine
Freie Universität Bozen
Universität
Innsbruck
Freie
Universität
Bozen
Europäische
Akademie
Bozen
Universität
Innsbruck
Naturmuseum
Europäische
AkademieSüdtirol
Bozen
Amt für Forstplanung
Naturmuseum
Südtirol
1
Amt fürAmt
Landschaftsökologie
für Forstplanung
Amt für Landschaftsökologie
2
1
4
5
7
6
9
11
3
8
10
12
13
Die Autoren
1 Mag. Veronika Fontana, PhD
Ökologin, Dissertation an der Universität
Innsbruck zum Thema Lärchenwiesen
2 Dipl.-Biol. Anna Radtke, PhD
Ökologin, Forschungsdoktorat an der Freien
Universität Bozen zum Thema Niederwälder
3 Dr.ssa Valerie Bossi Fedrigotti, PhD Wirtschaftsagronomin, Forschungsdoktorat an
der Freien Universität Bozen zum Thema
Kastanienhaine
4 Univ.-Prof. Dr. Stefan Zerbe
Ökologe, Professur für Umwelt und angewandte
Botanik an der Freien Universität Bozen
5 Univ.-Prof. Dr. Ulrike Tappeiner
Ökologin, Professur für Ökosystemforschung und
Landschaftsökologie an der Universität Innsbruck
und am Institut für Alpine Umwelt der EURAC
6 Dr. Thomas Wilhalm, PhD
Botaniker, Konservator für Botanik (Gefäßpflanzen) am Naturmuseum Südtirol
7 Dr. Juri Nascimbene, PhD
Biologe, Flechtenspezialist an der Universität Trieste und dem Naturmuseum Südtirol
8 Dr. Daniel Spitale, PhD
Biologe, Mitarbeiter am Naturmuseum in Trento
und am Naturmuseum Südtirol
9 MSc Magdalena Nagler
Ökologin, Diplomarbeit zum Thema Kohlenstoff-
bilanz der Lärchenwiesen im Rahmen des Projekts, Universität Innsbruck
10 Dipl.-Ing. Stefan Ambraß
Forstingeneur, Diplomarbeit zum Thema
Neophyten in Niederwäldern im Rahmen des
Projektes, Universität Göttingen
11 Priv.-Doz. Dr. Erich Tasser
Ökologe, Wissenschaftler am Institut für Alpine Umwelt der EURAC in Bozen
12 Univ.-Prof. Dr. Giustino Tonon
Forstwissenschaftler, Professur für Waldbau an
der Freien Universität Bozen
13 Dr. Joachim Mulser
Ökologe, Amt für Landschaftsökologie, Autonome
Provinz Bozen
14 Abteilung Forstwirtschaft
Amt für Forstplanung und Förster von einigen
Forststationen, Autonome Provinz Bozen
3
Vorwort
Die von Menschen
geprägte Kulturlandschaft ist ein
besonderes landschaftliches Element.
Der
Schulterschluss zwischen
Natur und Kultur
spiegelt sich in
Lärchenwiesen, Niederwäldern und Kastanienhainen in idealer Form wider. Sie weisen
einen hohen Grad an Biodiversität auf und
ermöglichen damit eine einzigartige Pflanzen- und Tierwelt.
Andererseits gilt es auch hier, das rechte
Maß zu finden und darauf zu achten, dass die
Intensivierung besonders bei Lärchenwiesen nicht überhand nimmt. Der Ausgleich
mit Landschaftspflegeprämien stellt eine
politische Herausforderung dar.
Die Esskastanie ist der Paradebaum der Verbindung zwischen Natur und Kultur; ihr Holz
dient als Brennstoff und zur Errichtung von
Pergolen, ihre Frucht ist ein beliebtes Lebensmittel. Krankheitsbedingt wurden eini-
ge Kastanienhaine aufgelassen, nun werden
sie wieder revitalisiert. Das Holz des Waldes
vor der Haustür wird wieder zunehmend
für Brennzwecke genutzt, die Niederwälder
üben außerdem eine wichtige Schutzfunktion aus, insbesondere auf den Verbindungsstrecken Bozen-Brixen und Bozen-Meran.
In der vorliegenden Broschüre werden anwendungsbezogene
Forschungsarbeiten
der Universitäten Bozen und Innsbruck, der
Eurac und des Bozner Naturmuseums vorgestellt welche in einer fruchtbaren Zusammenarbeit die Leistungen der traditionellen
Landnutzungssysteme unter die Lupe genommen haben. Diese länderübergreifende
Forschung bildet die Grundlage für die Erhaltung der traditionellen und für den Menschen wertvollen Nutzungsstrukturen und
trägt gleichzeitig in idealer Weise den Euregio - Gedanken weiter.
Landesrat für Land- und Forstwirtschaft
Arnold Schuler
Wie diese Broschüre entstand...
Vor dem Hintergrund des landschaftlichen
und gesellschaftlichen Wandels der Bergregionen in den Südalpen begann sich vor drei
Jahren eine Juniorforschungsgruppe mit
der traditionellen Landschaft in Südtirol zu
beschäftigen.
Unter der Leitung von Prof. Stefan Zerbe
(Freie Universität Bozen) und Prof. Ulrike
Tappeiner (Universität Innsbruck) untersuchten Veronika Fontana, Anna Radtke und
Valérie Bossi Fedrigotti, die Leistungen der
traditionellen Landnutzungstypen Lärchenwiese /-weide, Niederwald und Kastanienhain. Die Grundfrage war, ob die traditionelle
Bewirtschaftung dieser drei Landnutzungsarten mit modernen, oft viel intensiveren
Landnutzungen konkurrieren kann, wenn
neben marktorientierten Gütern wie Futter
oder Holz auch nicht-marktorientierte Güter
wie landschaftliche Schönheit, Artenvielfalt
oder kulturhistorischer Wert berücksichtigt
werden.
Die vorliegende Broschüre soll in anschau­
licher Weise die wichtigsten Ergebnisse darstellen und Empfehlungen für die Praxis von
Land- und Forstwirtschaft abgeben, um die
historisch gewachsenen und für den Menschen wertvollen Nutzungsstrukturen dauerhaft zu erhalten.
Die Juniorforschungsgruppe wurde von der
Stemmler- und Immerschitt-Stiftung im
Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und der Stiftung der Freien Universität Bozen gefördert. Das Projekt wurde in
Zusammenarbeit mit Prof. Christian Fischer
(Uni Bozen), Dr. Thomas Wilhalm (Naturmuseum Bozen) und Dr. Erich Tasser (Eurac Bozen) realisiert. Ein besonderer Dank gilt den
Ämtern für Forstplanung und Landschaftsökologie der Provinz Südtirol, die die Studie
kontinuierlich und tatkräftig unterstützt haben.
5
Impressum
Text: Anna Radtke
Veronika Fontana
Valerie Bossi Fedrigotti
Grafik:
Anna Radtke
Veronika Fontana
Isabella Voltolini
Fotografie:
Mirto Fontana (A)
Veronika Fontana (B)
Anna Radtke (C)
Valerie Bossi Fedrigotti (D)
Daniel Spitale (E)
Thomas Wilhalm (F)
Juri Nascimbene (G)
Georg Lair (H)
Magdalena Nagler (J)
André Terwei (K)
Die Buchstaben dienen der Zuordnung der Fotos zu den
AutorInnen.
Datum:
Februar 2015
Druck: Druckstudio Leo GmbH, Frangart
Kontakt:http://pro2.unibz.it/ecoralps
Lärchenwiesen:
veronika.fontana@uibk.ac.at
Niederwälder:
annaradtke2309@gmail.com
Kastanienhaine:
Valerie.BossiFedrigotti@natec.unibz.it
Diese Informationsbroschüre wurde von der
Stemmler Stiftung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und vom Amt für
Forstplanung der Autonomen Provinz Bozen
finanziert.
Die Autoren weisen explizit darauf hin, dass die
männliche Form die weibliche Form immer mit
einschließt.
Inhalt
1
Einführung in die Kulturlandschaft
Was sind Ökosystemleistungen?
Berge verlangen Handarbeit
11
Lärchenwiesen und Lärchenweiden
Historische Entwicklung
Intensivierung und Auflassung
Pflanzliche Vielfalt
Kohlenstoffspeicherung
Flechten und Moose
Ein Leistungsvergleich
Fazit für die Praxis
28
Niederwälder
Historische Entwicklung
Pflanzliche Vielfalt
Götterbaum und Robinie
Steinschlagschutz
Nutzung und Ökosystemleistungen
Fazit für die Praxis
42
Kastanienhaine
Historische Entwicklung
Auflassung und Rekultivierung
Biologische Vielfalt
Lokale Vermarktung in Südtirol
Ökosystemleistungen und Tourismus
Fazit für die Praxis
7
Kulturlandschaft - mehr als Tradition
Ohne uns Menschen würde die Waldgrenze vielerorts höher liegen. Darunter wäre abgesehen von ein paar Mooren, trockenen Felsen und Lawinenstrichen alles Wald. Um zu
überleben, haben unsere Vorfahren schon vor Jahrhunder­ten begonnen, Wälder zu roden,
um Platz für Wie­sen, Weiden und Felder zu schaffen. So entstand ein Mosaik aus Wäldern,
Wiesen und Weiden, Hecken, Äckern und Obst- und Weinbauflächen.
Die traditionelle Südtiroler
Kulturlandschaft
Das Leben im Berggebiet war
schon für die ersten Siedler eine
besondere Herausforderung.
Steiles Gelände, harte Winter
und kurze Vegetationsperioden
regten die Menschen dazu an,
neue, lokal angepasste Formen
der Bewirtschaftung zu ent­
wickeln. Die Land­schaft spie­
gelte früher stärker als heu­te
die bäuerlichen Bedürf­
nisse
wider. So entstanden Lär­chen­
wiesen aus der Notwendigkeit,
wetter­
beständiges Holz zu
pro­du­zieren, und gleich­­zeitig
auch Wei­den für das Vieh be­
reit­zu­stel­len. Kasta­­nien­­bäu­me
bo­ten nicht nur ener­gie­reiche
Nahr­ung, son­dern auch wert­
volles Holz. Die Nie­der­wäl­der
im Unter­land lie­ferten Brenn­
holz und die Pfähle für die umliegenden Weingärten.
Durchsetzt von zahlreichen
Sonderstrukturen wie Trockensteinmauern, Heustadeln
oder den Hofgebäuden selbst,
hat sich so über die Zeit ein
sehr vielfältiges, artenreiches
Landschaftsmosaik geformt.
Diese sogenannte Kulturlandschaft ist nach Jahr­hunderten
der gemeinsamen Entwicklung
für viele Tier- und Pflanzen­
arten mit unterschiedlichen
Ansprüchen überlebenswichtig
geworden.
zurück. Dabei ist es besonders
die traditionelle, extensive
Bewirt­
schaftung, die für eine
Fülle von Pflanzen- und Tierarten und den Naturhaushalt als
Ganzes so wertvoll ist. Sie greift
viel weniger in die natürlichen
Öko­sys­tem­pro­zesse ein als
es oft bei mo­der­nen, mechanisierten
Be­wirt­schaftungs­
methoden der Fall ist.
Doch die Landschaft verändert
sich, weil sich auch “der Bauer“ als Teil der Gesellschaft
ver­ändert. In den letzten Jahrzehnten haben Glo­ba­li­sier­ung,
Mecha­ni­sier­ung und In­dustria­
li­sierung die Bedürf­nisse und
die Möglichkeiten der Bauern
verändert. Für die Zukunft
stellt sich daher die Frage, ob
und wie sich traditionelle Bewirtschaftungsformen er­hal­
ten lassen, und welchen Nutzen die Gesell­
schaft daraus
ziehen könnte.
Die Landschaft im Wandel
In Südtirol hat sich die Kulturlandschaft bis heute an vielen
Orten bewahrt. Sie ist von Bauernhand entstanden und kann
auch nur durch sie fortbestehen. Denn wenn sie nicht mehr
bewirtschaftet wird, er­
obert
sich der Wald sein Territorium
9
Foto: (B)
Was sind Ökosystem­leistungen?
All das, was die Natur uns Menschen kostenlos zur Verfügung
stellt...
Artenvielfalt oder Ökosystemprozesse und -funktionen wie Bodenbildung und Fotosynthese sind grundlegenden Abläufe in der Natur. Obwohl wir sie so gut wie
nie bewusst wahrnehmen, ergeben sich daraus Güter
und Leistungen für den Menschen, die sich in die nachfolgenden 3 Kategorien einteilen lassen.
Versorgungsleistungen
wie Holz, Trinkwasser, Nahrung
Genau genommen kommt vieles, was wir essen und trinken, was wir unseren Tieren füttern, und meistens sogar
worauf wir sitzen aus Ökosystemen. Denn auch Wälder,
Wiesen und Felder sind Ökosysteme. Die Natur versorgt
uns reichlich mit ihren Produkten.
Kulturelle Leistungen
wie schöne Landschaft, Bildung, Erholung
Oft werden Werte, wie die Schönheit einer Landschaft, ihr
Erholungswert oder gar die historische Bedeutung eines
Ökosystems als selbst­verständlich wahrgenommen. Im
Konzept der Ökosystemleistungen spielen sie aber eine
wichtige Rolle, auch wenn sie sehr schwer messbabar sind.
Regulierende Leistungen
wie Bestäubung, Hochwasserschutz, Klimaregulierung
Im Sommer spendet ein Wald Schatten und im Winter
mindert er die Lawinengefahr. Kurz gesagt, regulieren
Ökosysteme und die darin vorkommenden Lebewesen
Umweltprozesse wie Starkregenereignisse oder Trockenperioden. Auch die Bestäubung, auf die die Obst­produktion
auf der ganzen Welt angewiesen ist, gehört dazu.
Wieviel sind uns sauberes Wasser und intakter
Boden wert?
Das Konzept der Ökosystem­
leistungen wurde 2005 mit
der weltweiten Untersuchung “Millennium Ecosystem Assessment“ bekannt.
An­läss­lich der Jahr­tau­send­
wen­
de machten Wissen­
schaft­
ler auf die immer
schnel­ler vor­an­schrei­ten­de
Um­welt­zer­stö­rung und das
Ar­ten­ster­ben auf­merk­sam.
Die Kern­
aus­
sage der Studie aber war, dass sich der
Mensch damit selbst scha­
det. All die Lei­st­ung­en, die
ein in­tak­tes Öko­sys­tem be­
reit­stellt, gehen bei dessen
Zer­stö­rung verloren. So
bietet ein naturnaher, reich
strukturierter Wald gleichzeitig Schutz vor Naturgefahren, Erholungsraum für
Menschen und Lebensraum
für Tiere und Pflanzen.
Müssten diese Leistungen
künstlich ersetzt werden,
wäre viel Geld nötig.
Der Ansatz der Ökosystemleistungen soll das Bewusstsein für den wirtschaftlichen
Wert dieser Leistungen
schär­
fen und dadurch die
Notwendigkeit der Erhaltung von wertvollen Ökosystemen unterstreichen.
 Unterschiedliche Prioritäten: Fragt man
einen Landwirt, welche Leistungen der Natur
ihm am wichtigsten sind - hier mit einer
Waage dargestellt - wird die Antwort anders
ausfallen als z.B. bei erholungssuchenden
Familien.
Die Interessen der Gesellschaft
Die Interessen des Einzelnen (Landwirts)
Die Gesell­schaft als Ganzes ist auf alle
Leistungen der Ökosysteme, sprich auf
sauberes Wasser, saubere Luft, Hochwasserschutz oder einen fruchtbaren Boden
angewiesen. Welche Leistungen und wieviel davon ein Ökosystem erbringt, hängt
davon ab ob oder wie bewirtschaftet
wird. Auch wenn also für die Gesellschaft
landschaftliche Schönheit und saubere
Luft am wichtigsten sind, hat der Landwirt vielleicht andere Prioritäten, und
lässt andere z.B. wirtschaftliche Aspekte
in seine betrieblichen Entscheidungen
einfliessen.
Der Besitzer eines Stück Landes hat oft
andere Interessen als die Gesellschaft.
Ihm geht es vor allem darum, seinen
Wald oder seine Wiese so zu bewirtschaften, dass er etwas verdient. Deswegen
wird er sich vor allem auf die Versor­
gungs­leistungen Heu oder Holz konzentrieren, für die es auch einen Markt gibt.
Ob er durch seine Bewirtschaftung auch
andere Ökosystemleistungen wie den
Erholungswert oder die Artenvielfalt fördert, für die es (noch) keinen Markt gibt,
ist für ihn zweitrangig.
11
Berge verlangen Handarbeit
Viele der traditionellen Landnutzungsformen wie Bergmähder oder Lärchenwiesen verlangen auch heute noch viel Handarbeit. An manchen Orten sind die Hänge zu steil, um
Maschinen einzusetzen. An anderen Orten ist der Boden zu naß, zu uneben, zu steinig
oder es gibt zuviele Bäume. Für manche Arbeiten, wie zum Beispiel das Aufsammeln von
Kastanien, sind Maschinen einfach noch nicht so bekannt. Was aber passiert, wenn nicht
mehr genug Zeit ist, die Handarbeit zu erledigen oder niemand mehr bereit ist, die teilweise sehr schwere Arbeit zu machen? Welche sind die Alternativen?
Foto: (A)
Von der traditionellen
Bewirtschaftung profitieren alle
Entlegene Höfe und steile
Flächen sind in den vergangenen Jahr­zehn­ten häufig
aufgelassen worden. Um
diesem Trend entgegenzuwirken und das Zuwachsen
der Wiesen zu bremsen,
wurden in Südtirol viele
Straßen bis zu den Höfen
und oft auch bis zu den Almen ausgebaut. Diese Erschließungspolitik hat zwar
in zahlreichen Regionen
Südtirols überhaupt erst die
landwirtschaftliche Tätigkeit
erhalten, an vielen Orten
aber auch zu einer In­ten­si­
vierung der Landwirt­
schaft
geführt. Durch die verbesserte Zugänglichkeit konnten viele Flächen entwässert oder planiert wer­
den.
Dies hatte vielerorts eine
verstärkte Nutzung zur Folge, da auch die maschinelle
Ausbringung von Gülle sowie die Silagetechnik möglich wurden. Aus ei­
nig­
en
ex­ten­siv­en Berg­mäh­dern,
die frü­
her nur ein­
mal im
Jahr per Hand gemäht wurden, sind so zum Teil 2- bis
3-schü­rige In­ten­siv­wiesen
ge­wor­den. Das erhöht zwar
die Fut­ter­menge, aber unter
den ver­än­der­ten Be­ding­
ungen kann nur mehr ein
Bruchteil der Pflan­zen- und
Tierarten überleben. Der
Wildkräuteranteil im Futter
nimmt ab und die Artenvielfalt sinkt. Ist die Wie­
se
weniger bunt, finden Spa­
zier­gänger we­nig­er Gefallen
da­ran, sie können we­nig­er
Heil­pflanzen sam­meln, und
es können Dünge­rück­stände
ins Wasser gelangen. Kurz
ge­
sagt, die Fläche bringt
zwar mehr Futter hervor,
stellt uns als Gesellschaft
aber we­nig­er Öko­sys­tem­
leistung­en zur Ver­fü­gung.
 Traditionelle
Bewirtschaftung,
meist verbunden
mit zeitauf­wendiger
Handarbeit und
gering­er­en Erträgen.
Foto: (A)
 Auflassung der Bewirtschaftung, weil
es sich nicht mehr lohnt, man eine Nebenbeschäftigung gefunden hat und die erforderliche Handarbeit zuviel Zeit kostet.
 Intensivierung der Bewirtschaftung,
um die Produktivität zu erhöhen und um
durch den verstärkten Einsatz von Maschinen Zeit zu sparen.
Foto: (B)
Foto: (C)
13
Lärchenwiesen und Lärchenweiden
Schmuckstücke der Südtiroler Kulturlandschaft
Die Nutzung von Lärchenwiesen und Lärchenweiden ist in der Südtiroler Kulturlandschaft
eine jahrhundertealte, wenn nicht jahrtausendealte alpenländische Tradition. Diese Kulturform kommt nur im Berggebiet zwischen 1000 und 2000 m Seehöhe vor. In Südtirol
konnten noch einige der letzten, immer seltener werdenden Bestände erhalten werden.
T
raditionell genutzte Lär­
chenwiesen und -weiden stellen eine einzigartige Kombination zwei­
er
verschiedener Ökosysteme
innerhalb der Kulturlandschaft Südtirols dar. Dabei
vereinen sich Elemente des
Waldes mit Elementen des
Ökosystems Wiese oder Weide. Diese Kombination eignet
sich besonders gut für eine
land- und forstwirtschaft­
liche Doppelnutzung. Durch
den jährlichen Nadelfall ge­
langt gerade im Frühjahr
sehr viel Licht auf den Boden,
wodurch sich ein dichter und
damit landwirtschaftlich interessanter Unterwuchs ent­
wickeln kann. Aufgrund ihrer
herzförmigen Wurzelausbildung hält die Lärche Viehtritt
gut aus und erleidet deswegen kaum Schäden durch Beweidung. Außerdem sorgen
die Lärchen in Gebieten mit
häufiger Sommertrockenheit
für eine Beschattung des Unterwuchses und schützen damit den Bestand vor einer zu
starken Austrocknung.
Hopfenbuche
Europäische Lärche (Larix decidua)
Die Lärche ist die zweithäufigste
Baum­
art Südtirols und der einzige
heimische laubwerfende Nadelbaum.
Ihr Hauptverbreitungsgebiet sind die
Alpen, doch kommt sie in kleineren
Arealen auch in den Karpaten und
den Sudeten vor. Diese lichtbedürftige Baum­art kann mehrere 100 Jahre
alt werden und über 50 m Höhe er­
reichen.
Die Lärche kann sich als pH-indifferenter Rohbodenpionier vor allem in
Foto: (A)
höheren konkurrenzfreien Lagen bis
an die Waldgrenze etablieren und bildet an durchschnitt­
lich guten Standorten im Zeitraum mehrerer Jahrzehnte
auch einen geschlossenen Wald. In tieferen Lagen hält sie
der Konkurrenz durch andere Baumarten nicht immer stand
und rasch werden andere Gehölze, allen voran die Fichte, bestandsbildend.

Jeder Lärchenbaum
besitzt männ­
liche und weibliche
Blüten. Hier im Bild
die rosafarbene
weibliche Blüte. Die
männ­lichen sind
kleiner und gelb.
Die Bestäubung
erfolgt meist durch
den Wind.
Foto: (A)
Foto: (A)
15
Die historische Entwicklung von Lärchenwiesen und -weiden
Ein Erbe, geschaffen von unseren Vorfahren
Was früher als die Sparkasse des Hofes galt und wann immer möglich geschont wurde,
ist heute ein bedrohtes Landnutz­ungssystem. Die wertvollen Lärchenbäume wurden
einst nur in Notfällen gefällt. Heute allerdings ist nur noch ein Bruchteil der ursprünglichen Lärchenwiesen und -weiden erhalten.
Foto: (A)
F
rühe Formen der Lär­
chen­wie­senbe­wirt­schaft­
ung sind wahr­schein­lich
be­reits mit der er­sten dauer­
haf­ten Be­sie­del­ung ein­her­
ge­gang­en. So be­le­gen Pol­
len­fun­de von Weidegrä­sern
und Lä­ger­­pflan­zen aus der
be­nach­bar­ten Schweiz
eine ent­sprech­ende
Nutz­
ung aus der
mit­tler­en Bron­ze­
zeit (um das Jahr
3000 v. Chr.). In der
Römerzeit
erhöhte sich zu­neh­mend
die
land­wirt­schaft­liche
Tä­
tig­
keit und auch die An­
zahl von Lär­chen­wiesen
und -weiden nahm zu. Ihren Ver­brei­tungs­höhe­punkt
er­reich­ten Lär­chen­wie­sen
und Lär­chen­wei­den im frü­
hen Mit­tel­alter. Nicht zu­letzt
auf­grund der im­mer stär­ker
wachs­en­den Be­völ­ker­ung
wur­de die Su­che nach Wie­
sen- und Weideflä­chen auch
auf den Wald aus­
ge­
dehnt.
Die Schaff­ung von Lär­chen­
wies­en er­mög­lich­te da­mals
einen Kom­pro­miss, gleich­
zei­tig ei­nen gewissen Holz­
vor­rat zu wahren und auch
die dring­
end nö­
tige Fut­
ter­grund­la­ge zu er­wei­tern.
Die ausge­wähl­ten Flä­chen
wa­ren häu­fig auf­
grund der
Ge­län­de­
b e­s c h a f ­
fen­heit für
eine
an­ders­wei­tige
land­wirt­
schaft­liche Nutz­ung nicht
ge­eig­net, so dass durch die
Ro­dung der üb­ri­gen Baumund Strauch­
schicht bzw.
durch Brand­ro­dung im­mer
mehr Lär­chen­wie­sen und
Lär­chen­wei­den ent­stan­den.
Erst im Spätmittelalter verringerten sich die Be­stän­de,
als die Be­völ­ker­ung durch
mehrmalige Pestausbrüche
und Kälteperioden wieder
 Aktuell erstrecken sich
Lär­chenwiesen und Lärchenweiden auf einer Fläche von
ca. 30 km², was in etwa 20 %
der Fläche von
1975 entspricht
(~140 km²).
weniger
wurde.
D i e
stetige Suche nach
Grün- und Ackerland nahm ab und Höfe
wurden aufgelassen. Eine
zweite größere Abnahme
der Bestände erfolgte im 20.
Jahrhundert. Die In­dustri­ali­
sier­ung, welche unter anderem die Er­fin­dung von Die­
sel­mo­toren und Zapf­welle
aber auch Kunst­dünger zur
Folge hatte, wirkte sich im
Al­
penraum etwas später,
ab 1950 stark aus: das Ende
der von Handarbeit geprägten traditionellen Landwirtschaft begann.
Lerget, Lörget oder Venediger Terpentin
Eine uralte Tradition, die wohl schon von den Rätern praktiziert wurde, ist das Sammeln
von Lärchenharz. Am unteren Ende des Baumstammes
Foto: (J)
wurde vom Lergetsammler oder dem „Pechklauber“
ein wenige Zentimeter dickes Loch gebohrt und ein bis
zwei­mal im Jahr wurde das Lärchenpech z.B. mit einem
Stock entnommen. Dieses wurde dann aufgrund der
des­infizierenden und durchblutungsfördernden Wirkung
als Hausmittel gegen allerlei Krankheiten und Entzündungen genutzt, als Kaugummi verwendet, zum Einlassen von „Goasln“ gebraucht, oder auch zu Terpentin
weiter­verarbeitet. Nach der Entnahme wurde das Bohrloch immer mit einem Pfropfen wieder verschlossen.
Auch heute noch wird dieser Brauch in manchen Gegenden aufrecht­erhalten, so findet man bei genauem Hinschauen, z.B. in den Lärchenwiesen bei Truden, immer
wieder Lärchen mit einem Lergetpfropfen.
17
Intensivierung
Durch Rodung oder Planierung werden Flächen in intensiv genutzte, baumlose Mähwiesen umgewandelt.
Foto: (A)
Auflassung
Werden Flächen nicht mehr bewirtschaftet, verbuschen
sie rasch und werden langsam wieder zu Wald.
Foto: (B)
Eine Frage des
Geldes...
Lärchenwiesen, aber auch
Lär­chen­wei­den sind heut­
zutage wenig rentabel.
Während in den Großfamilien früher immer genug
helfende Hände zur Verfügung standen, werden die
Höfe heute oft von wenigen
Personen und noch dazu
im Nebenerwerb bewirtschaftet. Die Flächen sind
auf zeitaufwändige Pflege
ange­
wiesen, d.h. trockene
Äste müssen aufgesammelt wer­den, um die Bäume herum muss teil­weise
von Hand gemäht werden,
die Erreich­barkeit ist auch
nicht im­mer gegeben und
aus der Sicht des Futterertrags gibt es bessere
Standorte. Aus diesem
Grund sind Lär­chen­wie­sen
und -weiden von zwei ent­
gegengesetzten Entwicklungstendenzen betroffen:
Intensivierung und Auflassung.
...und des Arbeitsaufwandes
In Südtirol wird versucht,
dem
ent­gegen­zu­wir­ken
und durch die Aus­zah­lung
von Landschaftspflegeprä­
mien die noch bestehenden
Be­stände zu erhalten. Die
Landschaftspflegeprä­mien
sind aber nicht nur als Aufwandsentschädigung für
den Bauer zu sehen. Viel
mehr ist es auch eine Form
von Ersatzvergütung: wenn
der Bauer tra­
ditionell und
extensiv bewirtschaftet, wird
die Wiese nicht nur bunter,
sondern es werden auch Boden und Wasser geschont,
und einzigartige Landschaften und Erholungsräume
erhalten. Davon profitiert
die ganze Gesell­schaft - von
der lokalen Bevölkerung bis
hin zu den Feriengästen.
Landschaftspflegeprämien für Lärchenwiesen und -weiden
Die Bewirtschaftung von Lärchenwiesen und -weiden ist vergleichsweise aufwändig,
aber auch sehr wertvoll für die Erhaltung ihrer seltenen Tier- und Pflanzenarten. Deswegen gab es bis 2014 eine Landschaftspflegeprämie für die Landwirte, die hierfür angesucht haben. Die Auszahlung der Prämie war an folgende Auflagen gebunden: keine
Planierung, kein Mineral- oder Flüssig­dünger (Gülle oder Jauche). Je nach Bewirtschaftung war die Prämie unterschiedlich hoch.
 Bestockte Weiden:
Düngung mit verrottetem
Stallmist erlaubt; standort­
gerechte Beweidung
 Bestockte, artenreiche
Wiesen: keine Düngung
Bestockte Fettwiesen:
Düngung nur mit verrottetem Stallmist erlaubt
­­ Fotos: (B)
Ab 2015 gelten neue Förderrichtlinien. Die Bewirtschafter von artenreichen Lärchenwiesen oder -weiden können sich beim Amt für Landschaftsökologie oder den lokalen
Forststationen über die aktuellen Fördermöglichkeiten informieren.
19
Teufelskralle und Fliegenragwurz - die Vielfalt bringt’s
Lärchenwiesen und Lärchenweiden sind besonders artenreich, weil die Kombination der
zwei Ökosysteme Wiese und Wald auf kleinstem Raum zahlreiche Nischen und Lebensmöglichkeiten für Pflanzen mit unterschiedlichen Anforderungen und Merkmalen bietet.
Im Schnitt kommen knapp 50 verschiedene Pflanzenarten auf aktuell genutzten Lärchenwiesen und Lärchenweiden vor.
Magerwiese
Fotos: (B)
Fettwiese
Was macht die Wiese
bunt und artenreich?
Häufig dominieren in extensiv bewirtschafteten Lär­
chen­
wiesen und -weiden
Gräser wie Goldhafer (Trisetum flavescens), Horstschwingel (Festuca nigrescens) oder aufrechte Trespe
(Bromus erectus) neben
verschie­den­sten Kräutern
wie lang­blätt­rige Witwenblume (Knautia longifolia),
Wiesensalbei (Salvia pratense), Betonien-Teufels­kralle
(Phyteuma betonicifolium)
oder Kriechquendel (Thymus praecox). Die arten­
reichste Lärchenwiese wurde im Gebiet Tisens erhoben
und
um- Teufelskralle
fasste
68
Arten. Dort
wach­sen neben 12 ver­
schie­d enen
Grasarten
z a h l re i c h e
Heil­
pflanzen wie Kümmel
(Carum carvi), gelbes Labkraut (Galium verum) und
der kleiner Wiesenknopf
(Sanguisorba minor). Diese
hohe Artenzahl kommt nur
durch eine extensive, nährstoffarme Bewirtschaftung
zustande.
Zuviel des Guten
Intensiv genutzte Lär­
chen­
wiesen weisen im Durchschnitt 20-30% weniger
Arten auf. Verglichen mit
einer unbestockten Fettwiese, wel­che im Extremfall
nur ein Dutzend Arten beherbergt, sind solche stark
genutzten Lärchenwiesen
allerdings immer noch ar-
tenreicher, da sie mehrere
Kleinstlebensräume
bieten. Rund um den Lärchenstamm herrschen z.B. et-
Karthäuser-Nelke
was trockenere und kargere
Bedingungen vor. Neben
den typischen Fettwiesenarten, welche an stickstoffreiche Bedingungen angepasst
sind, finden dort etwa das
nordische Labkraut (Galium
boreale), die Bartglockenblume (Campanula barbata)
oder das Wald-Habichts­
kraut (Hieracium murorum)
ein Rückzugsgebiet.
Wenn die Mahd wegfällt
Auf ehemaligen Lärchenwiesen und -weiden, die vor
10 bis 50 Jahren aufgelassen
worden sind, reduziert sich
der Lebensraum wieder auf
das Ökosystem Wald und die
durchschnittliche Ar­ten­zahl
sinkt auf unter 30 ab. Aufgelassene Flächen zeichnen sich nämlich besonders
durch das dominierende
Paradieslilie Vorkommen
einzelner
Arten
aus.
Die Fieder­
zwenke (Brachypodium
pinnatum)
kommt z.B.
oft in einer
besonders hohen Deckung
vor und mehrere typische
Waldarten wie Preiselbeere
(Vaccinium vitis-idaea), Eri-
ka (Erica carnea), Wald-Erdbeere (Fragaria vesca) oder
Schattenblümchen (Maianthemum bifolium) vermehren sich rasch und nehmen
den Platz von kon­
kurrenz­
schwachen und an die Mahd
angepassten Arten ein.
Heimat für Rote-Liste
Arten
Die Bewirt­schaf­tung von
Lär­chen­wiesen und Lär­
chen­
weiden leistet daher
einen bedeutenden Beitrag
zur Artenvielfalt, auch weil
unter den vielen Arten sogar
die eine oder andere RoteListe Art vor­kommt. Im Gebiet
To­blach
Fliegen­
etwa
konnRagwurz
te die Fliegen-Ragwurz
(Ophrys insectifera) nachgewiesen werden
oder rund um
K a l t e n­b r u n n
die weiße Paradieslilie (Paradisea liliastrum). Auch die
rosa Kugelorchis (Traunsteinera globosa)
wurde gefunden und zwar
im Gebie­t Tisens und St. Vigil.
Fotos: (B)
Kugelorchis
21
Lärchenwiesen und -weiden als Kohlenstoffspeicher
Viele Ökosysteme können zeitweilig oder dauerhaft Kohlenstoff aufnehmen, indem ihre
Vegetation Kohlendioxid aus der Atmosphäre bindet. Pflanzen wandeln dieses Kohlendioxid mit Hilfe von Licht in energiereiche Verbindungen um, welche sie in ihre Gewebe
einbauen. Stirbt die Pflanze ab, so verbleibt die organische Substanz am Boden, wo der
Kohlenstoff wiederum durch verschiedene Prozesse in den Boden eingelagert und gespeichert wird.
Fotos: (A)
Pflanzen binden CO2
Durch die Verbrennung
fossiler Brennstoffe wird
Kohlendioxid (CO2) freigesetzt. Das verstärkt
den natürlichen Treibhauseffekt. Somit kann
es zu unvorhergesehenen
Klimaveränderungen
kommen. Die pflanzliche Aufnahme von CO2
ist einer der effektivsten
Mechanismen, um dieses
Treibhausgas dauerhaft in
Form von Kohlenstoff zu
speichern.
Wo steckt der Kohlenstoff?
Um die Menge an gespeichertem Kohlenstoff abzu­
schätzen, wurden auf verschieden bewirtschafteten
Lär­chen­wie­sen und -weiden Bo­den­pro­ben ge­nom­
men und die Vegetation
vermessen. Damit konnten
die unterirdischen Koh­
len­
stoffgehal­
te im Mineralbo-
den, in den Feinwurzeln und
in den Grob­
wurzeln sowie
die oberirdisch in Bäumen
und Krautschicht gespeicherten Kohlenstoffgehalte
berech­
net werden. Dabei
hat sich herausgestellt, dass
durch eine traditionelle Lär­
chen­wie­sen­be­wirt­schaf­tung
vor allem der Kohlenstoffpool im Mi­neral­bo­den auf
einem hohen Niveau ge­hal­
ten werden kann. Insgesamt
speichern Lärchenwiesen
und -weiden um die 200 t
Kohlen­stoff pro ha. Im Vergleich dazu speichern Mähwiesen ohne Baumbestand
nur circa die Hälfte.
Der Wald: Kohlenstoffsenke oder -quelle?
Wird eine Lärchenwiese
aufgelassen, fällt plötzlich die Düngung und damit
auch deren Kohlenstoffeintrag weg. Gleichzeitig verbessern sich durch den zunehmenden Waldwuchs die
Bedingungen für Mikroor-
ganismen: die Feuchtigkeit
nimmt zu und die Temperaturen unterliegen kleineren
Schwankungen.
Deshalb
bauen Bakterien und Pilze
organisches Material besser
ab, und setzen dadurch Kohlendioxid frei, d.h. im Boden
wird weniger Kohlenstoff
gespeichert.
Mit der Etablierung des
Waldes stellt sich ein neues
Gleichgewicht ein, und der
Wald wird zu einer wichtigen Kohlenstoffsenke. Wird
der Wald sehr alt oder forstwirtschaftlich nicht genutzt,
kann er durch den hohen
Anteil an Totholz wieder
zu einer Kohlenstoffquelle
werden.
Durch die traditionelle Lär­
chen­wie­sen­be­wirt­schaf­tung
kann die Kohlenstoff­
spei­
cher­
ung über Jahrzehnte
auf einem hohen Niveau
gehalten werden, wodurch
ein wichtiger Beitrag in der
Verringerung des CO2-Ausstoßes geleistet wird.
 Kohlenstoffspeicherung von verschieden genutzten Lärchenwiesen und -weiden im
Vergleich zu einer konventionellen Mähwiese. Die Zahlen entsprechen den Mittelwerten in
Tonnen Kohlenstoff pro Hektar.
Intensive,
gemähte
Lärchen­
wiese
Extensive,
gemähte
Lärchen­
wiese
Lärchen­
weide
Aufgelassene
Lärchen­
wiese
Mähwiese
ohne Lärchen
30
39
41
55
10
Baumstämme, Äste,
Nadeln
67,0
64,6
76,6
101,2
0
Unterwuchs
0,9
0,7
0,6
0,9
2,5
Grobwurzeln (gesamt)
36,9
34,3
42,4
50,5
0
Feinwurzeln (0-20 cm)
6,3
8,9
10,1
10,4
3,9
105,5
90,2
99,8
80,2
80,7
215,6
196,3
228,2
241,4
87,1
Anzahl der untersuchten
Flächen
Speicherung in Pflanzen
Speicherung in orga­nischer Bodensubstanz
Auflage und Mineralboden (0-20 cm)
Gesamtspeicherung
23
Flechten und Moose - eine verborgene Welt
Nur wenn man ganz genau hinschaut, bemerkt man, was sich auf einem Lärchenstamm so alles tummelt. Viele spezielle Baumflechten entwickeln sich gerne auf der
sauren, tief gefurchten Lärchenborke, wo sie oft nur wenige Millimeter im Jahr wachsen. Sie nehmen dem Baum keine Nährstoffe oder Wasser, sondern benötigen ihn
nur als stützende Unterlage. Moose nutzen den Lärchenstamm auf dieselbe Weise
und versammeln sich am liebsten etwas tiefer in Bodennähe.
Foto: (A)
F
lechten und Moose sind
zwei unauffällige Or­
ga­
nis­men­grup­pen,
wel­che
in Öko­sys­te­men aber eine
wich­
tige Rol­
le im Nähr­
stoff- und Was­ser­haus­halt
spielen. Be­son­ders Flechten, wel­
che eigent­
lich eine
Lebens­ge­mein­schaft zwi­
schen Pilz und Al­
ge (oder
Cyanobak­terium)
bil­den,
sind be­deu­ten­de Bio­in­di­ka­
to­ren. Sie re­agie­ren rasch
auf ver­änder­te Um­welt­be­
ding­
ungen und sind daher
gut ge­
eig­
net für die Überwachung von Luftgüte oder
Schwer­m etall­ver­s chmutz­
ung.
Auf tra­di­tionell genutzten
Lär­chen­wie­sen und -weiden
konn­ten durch­schnitt­lich 35
Flechtenarten auf den Lär­
chen­stäm­men nach­ge­wie­
sen wer­den, da­runter auch
die Wolfs­flech­te (Letharia
vulpina), eine auf­fäl­lige,
zitro­nen­gel­be Strauch­flech­
te. Die­
se Art reagiert sehr
empfindlich auf Eutrophierung und kommt somit nur
an Orten mir sehr geringer
Düngung vor.
Foto: (E)
Wolfsflechte
Zuviel Dünger schadet
Im Vergleich dazu wurden
so­wohl auf intensiv genutz­
ten als auch auf aufge­
lassenen
Lär­chen­wie­sen
durch­
schnittlich 10 Arten
weniger gefunden. Darunter
waren auf intensiv genutz-
Fotos: (B)
 Flechten reagieren sehr sensibel auf starke Düngung und Luft­
ver­schmutz­ungen. Die orangefarbene Gelbflechte (links) ist eine der
wenigen, die solche Bedingungen aushält. Gelangt flüssiger Stalldünger auch auf den Lärchenstamm wird der gesamte Lebensraum für
Flechten zerstört (rechts).
ten Lärchenwiesen auch
Flechten wie die Xanthoria
candelaria, eine Gelbflechte, welche stark gedüngte
oder verschmutzte Orte an­
zeigt. Auf diesen in­ten­siven
Lär­chen­wie­sen ver­än­derte
sich vor allem die Ar­ten­zu­
sam­men­setz­ung, mit einer
deutlichen Zunahme von
Stick­stoff-toler­anten Arten.
Eine Frage des Lichts
Viel­falt er­hoben. Die Viel­falt
der Bo­den­moo­se hin­ge­gen
war auf auf­ge­las­senen Flä­
chen am höchsten; aller­
dings konn­ten diese weniger
gut wachsen und entwickelten ein geringeres Gewicht.
Die
Gewichtsentwicklung
von Moosen war auf traditionell genutzten Lär­
chen­
wiesen und -weiden bei Wei­
tem am Größten. Auf einem
mageren, nie­derwüchsigen
Wiesenbo­den finden Moose
bessere Licht­bedingungen
vor als inmitten von hochwüchsigen Gras­teppichen,
oder im dich­
ten Fichtenwald, wo die Konkurrenz
ums Licht hoch und ihr
Wachstum des­
halb eingeschränkt ist.
Die Flechtenvielfalt auf den
Stämmen
auf­ge­lassener
Lär­chen­wie­sen und -weiden
war besonders klein. Die­
ser Ar­ten­ver­lust ist vor allem auf die ein­ge­schränkte
Licht­verfüg­bar­keit, wel­che
durch die langsame Schlie­
ßung des Kro­nen­daches
ent­steht, zu­rück­zu­ Gewöhnliches Gabelzahnmoos
füh­ren.
Dicranum scoparium
Moo­se rea­gier­ten
et­was we­ni­ger sensibel als Flech­
ten:
für
Baum­moose
wur­
de auf allen
drei un­ter­such­ten
Be­w irt­s chaft­u ngs­
typen eine ähn­liche
Foto: (G)
25
Wer bietet mehr? Ein Leistungsvergleich
Was verändert sich, wenn eine traditionelle Lärchenwiese entweder aufgelassen oder deren Bewirtschaftung intensiviert wird? Bietet uns ein Wald (als
Ergebnis der natürlichen Wiederbewaldung) oder eine mehrfach gedüngte
Intensivwiese ohne Lärchen mehr Ökosystemleistungen?
Foto: (A)
U
m ein ganzheitliches
Bild der Be­deu­tung und
Wich­tig­keit von Lär­chen­wie­
sen zu be­kom­men, ha­ben
wir mit Hil­fe ei­ner um­welt­
öko­no­mischen Me­thode die
Öko­system­leistungen
von
tra­di­tio­nell be­wirt­schaf­te­
ten Lär­chen­wie­sen mit je­
nen von Wie­se und Wald ver­
glichen. Zunächst wurden
die einzelnen Leistungen in
einer
Expertendiskussion
bestimmt und ihre Wichtigkeit ermittelt. Anschliessend wurde die Menge der
bereitgestellten Leistungen
anhand von verschiedenen
Indikatoren berechnet (siehe Tabelle).
Da die Schutzfunktion von
einer 10 köpfigen Expertenrunde als wichtigste
Leistung bestimmt wurde,
schnitt der Wald insgesamt
am Besten ab. Die größte
Anzahl an verschiedenen
Leistungen stellt jedoch
eine Lärchenwiese bereit.
 Die folgenden 6 Ökosystemleistungen wurden im Rahmen einer Expertendiskussion als die wichtigsten in
der Südtiroler Kulturlandschaft ausgewählt. Ihre Reihenfolge in der Tabelle entspricht ihrer Wichtigkeit, die
in einem vergleichenden Fragebogen von 30 Interessensvertretern bewertet wurde. Sie wurden dann mit jeweils 1 bis 3 Indikatoren, teils qualitativ, teils quantitativ bewertet. So konnten die 3 untersuchten Landnutz­
ungssysteme hinsichtlich der bereit­gestellten Leistungen bewertet werden.
Ökosystemleistung
(Kategorie)
Indikator
Wiese
Lärchenwiese
Wald
1 Schutzpotenzial (Regulierende Leistungen)
Schutzpotenzial vor
Naturgefahren
Schutz vor Lawinen, Erosion und
Steinschlag
gering gering
hoch
2 Biodiversität (Basisleistungen)
Biodiversität (Habitat)
Rote Liste Arten
0
10
0
Biodiversität (Habitat)
Mittlerer Artenreichtum
24
47
21
Klimaregulierung
Kohlenstofffestlegung
gering mittlel
hoch
Luftqualität
Aerosol Filtrierung
gering mittel
hoch
Wasserregulierung
Interzeption, Durchwurzelung,
Evapotranspiration
mittel
hoch
hoch
24
55
26
0.14
9.1
-426
-97
252
3 Regulierende Leistungen
4 Kulturhistorischer Wert (Kulturelle Leistungen)
Tradition, Identität
Anzahl an Heilpflanzen
Zugehörigkeitsgefühl
Seltenheitswert (% der Fläche Südtirols; 7.9
je seltener desto wertvoller)
5 Produktivität (Versorgungsleistungen, Erklärung in der Textbox unten)
Heu und Holz
(Produkte)
Netto Produktivität [€ / ha]
(inklusive Heu- und Holzertrag)
6 Ästethischer Wert (Kulturelle Leistungen)
Erholung
Landschaftlicher Reiz
groß
sehr groß
groß
Inspiration
Buntheit der Wiese
mittel
hoch
gering
Info - Die Produktivität einer Lärchenwiese im Vergleich zu einer normalen Wiese
Eine gesamtheitliche ökonomische Bilanz ist sehr schwierig, weil einzelne Flächen nicht
losgelöst vom Gesamtbetrieb betrachtet werden können. Werden jedoch zusätzlich zum
Heu-und Holzertrag auch die Anzahl der Schnitte, der Maschineneinsatz, der Zeitverlust
durch Handarbeit und die Förderungen einberechnet, schneiden Lärchenwiesen sogar
besser ab als konventionelle Mähwiesen ohne Bäume. Insgesamt ist der Arbeits­aufwand
auf einer Lärchenwiese zwar ca. 4 Mal höher als auf einer Intensivwiese, aber die Maschinenkosten sind sehr viel geringer. Auch ist die Landschaftspflegeprämie (620 Euro/
ha) ist um einiges höher als der Grünlandbeitrag (214 Euro/ha; beides Stand 2014).
27
Die Erhaltung von Lärchenwiesen und Lärchenweiden kommt
nicht nur Tie­ren und Pflan­zen zu Gute, son­dern auch dem Menschen. Diese traditionelle
Form der Landnutzung bietet Einheimischen und Touristen ganzjährig einen attraktiven
Raum für Frei­zeit­ak­ti­vi­täten und ein land­schaft­lich ein­malig reiz­volles Er­holungs­gebiet.
Die Er­hal­tung und För­der­ung der ver­blei­ben­den Lär­chen­wie­sen, vor allem der we­nig in­
ten­siv be­wirt­schaf­te­ten, sollte uns allen ein Anliegen sein.
Foto: (A)
Lärchenwiesenbewirtschaftung Was gilt es zu beachten?
Foto: (A)
Maximal 2 Mal im Jahr
mähen
Nicht zu früh im Jahr
mähen
Durch eine standortgemäße
Bewirtschaftung mit maximal 2 Schnitten im Jahr
bleibt der Gräser-/Kräuter­
anteil ausgewogen. So wird
vermieden, dass er­trags­ver­
mindernde Arten wie Wie­
sen­ker­bel oder Am­pfer dominant werden.
Der Zeitpunkt der Mahd
sollte an die Ve­ge­ta­tions­
entwicklung im jeweiligen
Jahr angepasst werden.
Lässt man die Wiese bis
zur Samenreife der meisten
Gräser und Kräuter stehen,
können sie sich aussamen
und die Artenvielfalt steigt.
Keine Dauerweide anlegen
Viehbesatz anpassen
Eine mehrmonatige, durchgehende Beweidung schädigt
längerfristig
den
Pflan­zen­be­stand. Dadurch
überleben nur stark trittresistente Pflanzenarten.
Der Viehbesatz sollte an den
Standort angepasst werden
und nicht zu hoch sein. Das
gilt besonders bei Pferden,
da sie die Pflanzen sehr bodennah abbeißen.
Nicht zuviel düngen
Besser mit Stallmist
düngen
Die schonendste Düngung
wird mit abge­lagertem Stallmist erreicht. Gülle und Jauche enthalten einen hohen
Anteil an Harnstoff, welchen
nur sehr wenige Pflanzen
und Tiere ertragen.
Foto: (B)
Lärchen nachpflanzen
Foto: (B)
Foto: (A)
Die Lärche keimt nur auf
Rohboden und kann sich
daher auf Wiesen und Weiden nicht verjüngen. Werden Bäume gefällt, zu alt
oder durch Blitzschlag geschädigt, sollten die Bäume
nachgepflanzt werden.
Eine leichte Herbst­düngung
fördert das Pflanzenwachstum. Dabei ist unbedingt
darauf zu achten, dass die
Lärchenstämme nicht vollgespritzt werden, um Baumflechten und Moose zu erhalten.
Konkurrenzgehölze
entfernen
Vor allem auf Lärchenweiden kommen häufig Fichten
auf. Diese Pflanzen sollten
regelmäßig entfernt werden, um den halboffenen
Charakter zu bewahren.
29
Niederwälder in Südtirol
Nur ein Baum, aber viele Stämme
Die Niederwaldbewirtschaftung beruht auf der Fähigkeit vieler Laubbäume, nach dem
Absägen von alleine wieder auszutreiben. Dem sogenannten “Auf-den-Stock-setzen“
folgt so der “Stockausschlag”. Von der großen Anzahl dünner Stämmchen, die aus dem
Baumstumpf austreiben, überleben im Laufe des Wachstums jedoch nur wenige. Diese
Mehrfachstämme, mit ca. 5-15 Stämmen pro Stock, sind ein wichtiges Merkmal von Niederwäldern. Sie werden als Brennholz genutzt und bieten steilen Hängen hervorragenden
Erosionsschutz.
N
iederwälder sind Laub­
wäl­
der, die traditionell
alle 10 bis 30 Jahre flächig
geschlä­gert
wer­den.
Im
Hochwald hin­ge­gen werden
die Bäume meist 100 Jahre
alt und älter. Da­
durch sind
die Bäume im Niederwald
meist weniger als 20 m hoch
und haben einen Durchmesser unter 20 cm. Aus diesem
Grund wird das Holz haupt­
sächlich als Brennholz verwendet. Früher waren die
dünnen, geraden Stämme
auch ideale Pergl­
pfähle in
Weingärten. Heute bestehen
diese oft aus Beton.
Das herausragendste Merk-
mal der Nie­der­wald­be­wirt­
schaft­
ung ist die vegetative
Vermehrung über den natürlichen Stock­aus­schlag, der
Neu­pflanz­ung­en überflüssig
macht. In der Wurzel gespeicherte Reserven beschleunigen das Wachstum am Anfang jedes neuen Zyklus.
In Südtirol werden hauptsächlich die HopfenbuchenMannaeschen-Wälder
der
un­
ter­
en Lagen (bis 800 m
ü.d.M.) als Niederwälder genutzt. An steilen Hängen mit
häufig­em Steinschlag bilden
sich Nie­der­waldstrukturen
auch auf natürliche Weise.
Hopfenbuche
Hopfen- oder Steinbuche (Ostrya carpinifolia)
Foto: (C)
Foto: (A)
Foto: (C)
Verbreitung: Die Hopfenbuche kommt
vom mediterranen Raum bis in die
Südalpen vor, selten nördlicher.
Merkmale: Die Früchte errinnern an
Hopfen, sonst ist sie der Hainbuche
sehr ähnlich.
Nutzung: Sehr hartes Holz mit gutem
Brennwert. Ausgezeichnetes Stockausschlagsvermögen, deswegen oft
als Niederwald genutzt.
Vergesellschaftung mit Mannaesche,
Flaumeiche, Feld-Ahorn, Steinweichsel, Felsenbirne, Wolliger Schneeball.
Hopfenbuche
Manna- oder Blumenesche (Fraxinus ornus)
Foto: (C)
Verbreitung: Die Mannaesche kommt
in Südeuropa und dem südlichen Mitteleuropa vor.
Merkmale: Sie ähnelt der Gemeinen
Esche, aber die Rinde ist glatt und die
Blüten auffallend groß und weiß.
Nutzung: Sie enthält das süß schmeckende Mannitol, das auch als Arznei
verwendet wird.
Vergesellschaftung mit Hopfenbuche
und den in der obigen Textbox genannten Arten.
31
Fotos: (C)
Niederwälder als Brennholzquelle - früher und heute?
Aufgestapeltes Brennholz im Gemeindewald Kurtatsch (Foto oben) heizt den Kachelofen
im Wohnzimmer oder den Pizzaofen im Restaurant. Teilweise, wie hier in Tramin (Foto
unten), wird das Holz auch schon in Scheiter verkauft.
 Köhlerhaufen dienen der
Umwandlung von Holz (oft aus
Nie­­der­wäldern) in Holzkohle.
Ihr Anblick ist heute sehr selten
geworden.
3J
ah
r
25
e
Ja
Traditioneller
Niederwaldkreislauf
e
Überalterter Niederwald
hr
Er
nt
Ja
1
Seit dem späten Mittel­al­ter
stieg der Bedarf an Brenn­
holz und Holzkohle in Europa stark an. Um den Bedarf
zu decken, wurden Laubwälder alle 8-15 Jahre “aufden-Stock-gesetzt”,
d.h.
geschlä­
gert. Zusätzlich zu
den kur­zen Umtriebs­zeiten
trieb man das Vieh zum Weiden in den Wald und sammelte das Laub als Einstreu
für die Ställe. Durch diese
intensive Nutzung wurde
der natürliche Nährstoff­
kreis­lauf ge­stört. Vielerorts
ver­arm­te der Boden und die
Wüchsigkeit ließ nach. Um
dem zu entgegnen, wur­
de
die Waldnutzung stark re­gu­
liert. Das Nachhaltigkeits­
prinzip begann sich durch­
zusetzen, d.h. in einfachen
Worten es soll­te nur soviel
Holz entnommen werden,
wie auch nachwächst.
Überführung in Hochwald
e
hr
Früher wurden die Niederwälder oft ausgebeutet...
 Traditionell wurden Niederwälder in Südtirol circa alle 25 Jahre genutzt. In den letzten Jahrzehnten wurden viele aktiv in Hochwald überführt oder passiv der natürlichen Entwicklung überlassen (und sind
somit im Sinne des Niederwaldes überaltert). Diese Entwicklungen
hingen aber vor allem mit den niedrigen Brennholzpreisen zusammen.
In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach Brennholz wieder gestiegen und Holz als nachwachsende Energiequelle ist stark im Kommen.
Dies bedeutet auch für die Niederwälder eine Renaissance.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts und der Nutzung fossiler Brennstoffe gab es für
die durchmesserschwachen
Stämme der Niederwälder
immer weniger Nachfrage.
Deswegen wurden viele Niederwälder gar nicht mehr
genutzt oder in Hochwälder
zur Gewinnung von Bauholz
überführt.
Mit der Suche nach erneuerbaren
Energiequellen
wer­
den die Niederwälder
nun auch wirtschaftlich
wieder interessant. Gerade
die Hopfenbuchen-Manna­
eschen-Wälder der niederen
Lagen (300-800 m ü.d.M.),
die auch traditionell als
Niederwald bewirtschaftet
wurden, könnten zur lokalen
Energiegewinnung genutzt
werden.
In Südtirol sind einige Niederwälder überaltert, andere werden mit dem traditionellen Zyklus von circa
25 Jahren genutzt. Auf den
folgenden Seiten werden die
Auswirkungen dieser beiden
Nutzungen, d.h. traditionell
und überaltert, in Bezug
auf verschiedene Waldfunk­
tionen gegenüber gestellt,
z.B. Steinschlagschutz oder
Einwanderung des Götterbaums.
 Südtirol’s
dichtes Netz von
71 Biomassefern­
heiz­werken (Stand
2012) - mit enor­
men “Hunger”
nach Brenn­holz,
den Süd­tirol mo­
men­tan nicht stillen kann. Könnten
Niederwälder
helfen?
33
Fotos: (C)
Was wächst im Niederwald am Boden? Zum Beispiel das wilde
Alpenveilchen
Die Laubwälder der unteren Höh­enlagen sind in Südtirol ein wichtiger Lebensraum für
sub-mediterrane Tier- und Pflanzenarten, da der Großteil unseres Waldes von Nadelbäumen dominiert wird. Aber genau hier spielt auch die Niederwaldbewirtschaftung
eine Rolle. Wir haben untersucht, wie sie sich auf die Pflanzen auswirkt.
Ein Wechselspiel von
Licht und Schatten
Mit dem Kreislauf von einer
Holzernte zur nächsten, ent­
steht ein ständiger Wechsel
von Licht und Schatten. In
den ersten 10 Jahren nach
der Nutzung stellt sich eine
charakteristische Schlagflora ein, die von Pionierarten
geprägt ist. Mit ca. 25 Arten
pro 100 m² ist die Zahl der
Pflanzenarten in diesem
Zeit­raum am höchsten. Danach schließt sich das Kronendach, es ge­
langt weniger Licht auf den Waldboden
und die Artenzahl sinkt auf
15-20. In dieser Phase haben konkurrenzstärkere Ar­
ten wie das Waldvöglein (Ce­
pha­lanthera sp.) oder das
Alpenveilchen
(Cyclamen
pur­purascens) einen Vorteil.
Sie kommen auch noch in
überalterten, also mehr als
40 Jahre alten Beständen
vor. Durch die vergleichsweise häufige Nutzung des
Niederwaldes entstehen re­
gel­
mäßig Phasen mit viel
Licht, so dass auch licht­
bedürftigere Pflanzen, unter
anderem “Arten lichter Wälder“ überleben können. Vor
dem Laubaustrieb im Frühling ist der Waldboden voller
Frühblüher.
Was sind Pionierarten?
Foto: (F)
Pionierarten sind solche Pflanzen­
arten, die unbewachsene Flächen
als Erste besiedeln - sprich als Pioniere. Mit ihren Samen, die sich weit
verbreiten und lange keimen können, erobern sie konkurrenz­arme
Flächen vor allen anderen Arten.
Unter den Pionier­arten finden sich
jedoch besonders viele Neophyten,
also nicht-einheimische Arten, die
heimische Arten verdrängen können,
wie das Kanadische Berufs­kraut (Erigeron canadensis).
Frische Schläge bieten viel
Licht und Nährstoffe. Das
nutzen nicht nur einhei­
mische Pionierarten wie
wie Tollkirsche (Atropis
bella-donna) oder Brombeere, sondern auch einige
nicht-einheimische Ar­ten.
Besonders die Lichtbaumarten Götterbaum und
Robinie nutzen die Schlagflächen, um in den Waldbestand einzudringen. Unsere
Studie in Gargazon zeigte,
wie sehr die Robinie bereits
im Bestand etabliert ist. In
den letzten 20-30 Jahren ist
aber auch der Götterbaum
stark vorgedrungen.
Jeder Holzeinschlag bedeutet 
eine plötzliche Veränderung der
Umweltbedingungen: von
kühl und schattig hin zu
viel Licht. Der Boden
erwärmt sich und das
setzt Nähr­stoffe aus
dem Boden frei. Die
Konkurrenz mit anderen Pflanzen ist auf
dem spärlich bewachsenen Waldboden gering.
Dort, wo in Südtirol 
die Nie­derwälder noch
bewirt­schaf­tet werden,
finden wir ein Mosaik von
frischen Schlag­flächen
und mehr oder weniger
alten Waldbe­ständen vor.
Diese Vielfalt an Strukturen und Um­weltbe­
ding­ungen bietet Le­
bens­raum für zahlreiche
Pflan­zen- und Tierarten
mit verschiedenen
Ansprüchen.
35
Foto: (K)
Foto: (C)
Robinie
Robinia pseudoacacia
Ailanthus altissima Foto: (C)
Götterbaum
Fördert die Niederwaldbewirtschaftung
ihre Einwan­derung in Südtirols Laubwälder?
Im Gargazoner Gemeindewald zeigte sich ein deutliches JA. Auf frischen Schlagflächen zählten wir sehr viele junge Götterbäume, wohingegen im Waldesinneren kaum welche zu finden waren. In einigen 20 Jahre alten Waldbeständen hat
sich der Götterbaum schon in der Baumschicht etabliert. Die Robinie dominiert
bereits einen Großteil des Gargazoner Gemeindewaldes. Die Auswirkungen beider Arten auf die einheimischen Lebewesen sind bisher schwer absehbar.
Foto: (C)
Mit jedem Schlag öffnet
man ihnen die Tür
In den südlichen Landes­
teilen sieht man Götterbaum
und Robinie entlang der
Bahntrassen, Straßen und
Forstwege mittlerweile fast
überall. Von dort können
ihre Samen sehr weit verbreitet werden. Die angrenzenden Laubwälder stellen
durch ihr mildes Klima einen
passenden Lebensraum dar.
Die einzige Voraus­setz­ung
für die beiden Pionierbaum­
arten ist nur genügend
Licht, keimen können sie
auch unter den widrigsten
Be­ding­ungen.
Deswegen
bietet ihnen jede Öffnung
des Bestandes die Gelegenheit sich zu etablieren. Bei
Nutzungen sollte deshalb
darauf geachtet wer­den, den
Lichteinfall zu mini­
mieren.
Das bedeutet kleine Schlagöffnungen, wobei der verbleibende Restbestand die
Schlagflächen beschatten
soll. Zusätzlich sollten viele
Überhälter (Samenbäu­me,
die für mehr als einen Zyklus stehen bleiben) auf der
Fläche belassen werden.
 Der Götterbaum aus China, die Robinie aus Amerika: Die Tabelle stellt Lebensraumansprüche,
Besonderheiten und Details zu ihrer Fortpflanzung gegenüber. So wird deutlich, wieso sie sich in
Südtirol so stark ausbreiten können. Mechanische Bekämpfungsmaßnahmen, wie das Abschlagen der Jungpflanzen, bringt nichts, sondern fördert nur die Bildung neuer Triebe und macht den
Baum noch konkurrenzstärker.
Einführung nach Europa
Götterbaum
Robinie
Mitte des 18. Jahrhunderts
Beginn des 17. Jahrhunderts
Gebiete spontaner Ausbreitung wärmebegünstigte Gebiete,
wärmebegünstigte Gebiete,
v.a. mediterrane und submedi- v.a. (sub-)kontinentale und
terrane Zone
submediterrane Zone
Urbane Vorkommen
Brachen, Wegränder,
Böschungen, Mauern
Brachen, Wegränder,
Böschungen
Durch Invasion besonders
gefährdete Ökosysteme
- Magerrasen, Felsfluren, Auwälder, mittel bis sehr trockene Wälder
- in Südtirol: Steppen-Trockenrasen des Vinschgaus
- Magerrasen, trockene Wälder
- in Südtirol: Steppen-Trockenrasen, Schlucht- und Hang­
mischwälder
Wirtschaftlicher Wert
gering (v.a. urbanes Ziergehölz)
hoch (gutes Brenn- und Bauholz, Honigproduktion)
Vermehrungfähiges Alter
3-5 Jahren
ca. 6 Jahre (selten 3 Jahre)
Verbreitungsmodus
Wind, Wasser
Schwerkraft, Wind
Ausbreitungsdistanz
der Samen
mehr als 200 m
meist wenige Meter, mit
Fruchthülsen bis 100 m
Keimfähigkeit
ca. 1 Jahr
mehrere Jahre
Höhenwachstum von
Säm­lingen
mehr als 1 m pro Jahr
mehr als 1 m pro Jahr
Höhenwachstum von
Stockausschlägen
bis 3 m pro Jahr
bis 5 m pro Jahr
Vegetative Vermehrung
sehr stark (vegetative Triebe)
sehr stark (Wurzelbrut)
Wärme- und Dürretoleranz
hoch bis sehr hoch
hoch
Frosttoleranz
mäßig (bei Jungpflanzen
schwach)
mäßig (empfindlich gegen
Frühfrost)
Lichtbedarf
hoch
hoch
Besonderheiten
gibt Substanzen in den Boden kann Stickstoff (N) binden
ab, die anderen Pflanzen scha- und “überdüngt” damit natür­
den (Allelopathie)
licherweise N-arme Böden
37
Foto: (C)
Foto: (C)
Niederwälder als Steinschlagschutz
Allgemein gilt: je größer der Stein desto mehr Energie besitzt er, und desto dicker muss
der Baum sein, um ihn aufzuhalten. Deswegen können sogar einzelne Überhälter, d.h.
dickere Einzelstämme, die länger als für nur einen 30-jährigen Zyklus stehen bleiben, den
Schutz gegen große Steine stark verbessern. Hingegen bie­ten junge Niederwälder, die
sich durch viele durchmesserschwache Stämme auszeichnen, zwar guten Schutz gegen
kleine Steine, aber kaum Schutz gegen große Steine.
Foto: (L)
Baumumfang und
Baumdichte bestimmen
den Steinschlagschutz
Die meisten Niederwälder in
Südtirol stocken auf den steilen Flanken des Eisack- und
Etschtales. Für den Schutz
gegen Steinschlag sind sie
außerordentlich
wichtig.
Die Frage ist aber: schützen
junge und alte Niederwälder
gleich gut vor Steinschlag?
Um das zu vergleichen, wurde in den Untersuchungsgebieten Kurtatsch und
Gargazon auf insgesamt 30
Flächen die Waldstruktur
genau aufgenommen. Das
heißt von jedem Baum wurden Brusthöhendurchmesser, Baumart, sowie Position
und Umfang des Stockes gemessen. Da­
mit konnte der
jewei­
li­
ge Wald, jung oder
alt, im Com­pu­ter auf einer
schiefen Ebene nachgebildet werden. Mit Hilfe eines
Computermodells wurden
auf diesen Flächen Steinschläge simuliert (Steingrößen 0,25 und 0,5 m³). Dabei
schützten die über 25 Jahre
alten Niederwälder besser
gegen Steinschlag als jün-
) ni
ichte
k (D
Stoc
o
r
p
e
zahl
n
Die A
u
rst z
zue
mmt
ämm
er St
u.
hmen z
che ne
rundflä
ie G
e und d
tämm
elnen S
inz
er der e
chmess
Die Dur
gere Niederwälder.
Deswegen ist eine leichte
Verlängerung des Niederwaldzyklus, z.B. von 25 auf
40 bis 50 Jahre, aus Sicht
des
Steinschlagschutzes
unproblematisch.
Wer­
den die Stöcke aller­
dings noch älter, verlieren
sie an Stabilität und drohen
mitsamt des Wurzeltellers
zu kippen, oder auseinander
zu brechen. Ein solches Stadium der Überalterung soll­
te im Schutzwald unbedingt
vermieden werden, um den
Erosionsschutz zu gewährleisten.
und
dan
nw
ied
er
ab.
d
kurz nach
dem Schlag
Wiederaustreiben
der Stöcke
traditionelle “Reife”
nach ca. 30 Jahren
Niederwald überaltert
 Das Alter des Niederwaldes verändert auch die Struktur des Waldes. An steilen Hängen sind
Niederwälder oft wichtig für den Erosions- und Steinschlagschutz. Werden sie zu lange ihrer natürlichen Entwicklung überlassen, können die Bäume instabil werden und sogar umkippen (siehe
Foto links unten).
Umgekehrt bewirken regelmäßige, natürliche Massenbewegungen (wie herabfallende Steine,
etc.) die natürliche Verjüngung solcher Wälder. Die Hopfenbuchen und Mannaeschen treiben nach
Steinschlagschäden ganz von alleine wieder aus.
39
Wie oft sollte der Niederwald geschlägert werden?
Auf den bisherigen Seiten haben wir den Einfluss der Umtriebszeit auf die Artenvielfalt
der Pflanzen diskutiert, den Einfluss auf die Einwanderung von Götterbaum und Robinie,
sowie den Steinschlagschutz. Der 4. und für viele sicher wichtigste Punkt, wenn es um
die Ökosystemleistungen der Niederwälder geht, ist natürlich die Brennholzproduktion.
Doch wie wirken sich nun Überalterung und Intensivierung im Vergleich zur traditionellen Nutzung auf alle 4 Kriterien insgesamt aus?
Fotos: (C)
Foto: (C)
Insgesamt schneidet
die traditionelle Bewirtschaftung am besten ab
Vergleicht man die tradi­
tionelle Niederwaldbewirt­
schaftung
(Umtriebszeit
ca. 30 Jahre) mit überalterten Niederwäldern oder
der mög­lichen intensiveren
Nutzung mit kürzeren Um­
triebs­
zeiten, so schneidet
die traditionelle Bewirtschaftung über alle Kriterien gemittelt am besten ab
(siehe Abbildung unten).
Die intensivere Nutzung mit
kürzeren
Umtriebszeiten
bie­
tet kaum Vorteile. Neben geringerer Holzproduk­
tion und schlechtem Steinschlagschutz würde sie das
Einwandern von Götterbaum
und Robinie sehr fördern.
Da die baumartenreichen
Laubwälder in Südtirol vergleichsweise selten sind, ist
es unbedingt zu vermeiden,
dass Götterbaum und Robinie die dort heimischen
Baum­arten verdrängen.
Die Überalterung stellt zwar
kein Problem dar, aber die
zu erntende Holzmasse ist
geringer als bei traditionellen Umtriebszeiten.
alle 50 Jahre genutzt (selten)
ze
n
Vielfa
alle 30 Jahre genutzt (traditionell)
alle 10 Jahre genutzt (intensive Nutzung)
od
lzpr uk
n
tio
Ho
lt
der Pflan
Schutzv
ötterbau
&G
Robinie
or
m
Stein
ut
z
sc
hlagsch
gering
gering
mittel
mittel
hoch
hoch
 Niederwälder mit verschiedenen Umtriebszeiten im Vergleich: Guten Steinschlagschutz bieten
Niederwälder erst ab einem Alter von circa 30 Jahren. Der Einwanderung von Götterbaum und
Robinie wird bei der traditionellen und seltenen Nutzung besser vorgebeugt, wohingegen eine
intensive Nutzung alle 10 Jahre die Einwanderung stark fördert. Die Holzproduktion* ist bei der
traditionellen Nutzung am höchsten, weil in den ersten 30 Jahren der Zuwachs am stärksten ist.
Die Vielfalt der Pflanzen im Unterwuchs ist hingegen durch die hohe Lichtverfügbarkeit bei häufiger Nutzung am höchsten.
*Die Brennholzproduktion wurde über allometrische Formeln aus dem Trentino berechnet. Dort hat man eine gewisse
Anzahl von Hopfenbuchen gefällt und deren Holzmasse bestimmt. Setzt man dann den Durchmesser und die Höhe in Beziehung zur Masse, so ergeben sich Formeln mit denen man von Durchmesser und Höhe auf die Masse schliessen kann.
41
r
Hi
eE
ich
en
Foto: (C)
sc
t
hk
al
äfer
n
e
brauch
Die Niederwaldbewirtschaftung hat in einigen Gebieten Südtirols
lange Tradition und eignet sich dort vom Standort und der Baumartenzusammen­
setzung sehr gut. Sie bietet allerhand Leistungen für den Menschen und sie zu erhalten
sollte uns ein Anliegen sein. Ein Teil der Biomasse (Äste etc.) sollte sozusagen als Dünger
auf der Fläche belas­sen werden, um die Leistungsfähigkeit nährstoffarmer Standorte zu
erhalten. Überhälter, besonders ältere Eichen, mit einigen abgestor­benen Ästen, sind ein
wertvoller Lebensraum für Spechte, Höhlenbewohner oder be­stim­mte Käferarten.
Foto: (A)
Foto: (C)
Niederwaldbewirtschaftung Was gilt es zu beachten?
Schatten gegen die Eindringlinge
Überhälter spenden Schatten. So erschweren sie
den nicht-einheimischen
Lichtbaum­arten Robinie
und Götterbaum das Aufkommen. Das schützt die
heimischen Baumarten.
Samenbäume belassen
Überhälter für Nutzholz
Es sollen je nach Standort
mindestens 60 bis 80 Überhälter pro Hektar belassen
werden, damit auch die
geschlecht­liche Fortpflanzung über Samen gewährleistet ist.
Außerdem kann man aus
den dickeren Stämmen der
Überhälter gutes Nutzholz gewinnen. Besonders
Eichen sind geeignet und
bilden im Mischwald sehr
gerade Stämme aus.
Ringeln statt Ausreissen
Robinie:
90% des
Umfanges
ringeln
Götterbaum:
weniger als
90% ringeln
(d.h breiteren
Steg lassen)
Mechanische Bekämpfung
wie Abschlagen ist nicht
effektiv und regt bei Götterbaum und Robinie nur die
Vermehrung an. Die Methode des Ringelns funktioniert
aber recht gut.
Hiebe klein halten
Keine “Rechteckhiebe”
Besonders im Schutz­wald
dürfen die Hiebe maximal
600 m² bis 0,5 ha groß sein.
Um Steinschlag zu ver­
meiden, müssen die Hiebe
immer quer zum Hang
angelegt werden. Das entstehende Mosaik bietet eine
Vielzahl von Lebensräumen.
Um den Wald mög­lichst
naturnah zu behandeln,
sollten die Bestandesränder unregel­mäßig
und geschwung­en angelegt werden. Die Son­
neneinstrahlung im verbleibenden Bestand sollte so
gering wie möglich sein.
Erhalten was selten ist
Seltene Baumarten wie
Elsbeere (links), Mehlbeere
(Mitte) und Speierling
(rechts) sollten als Überhälter belassen werden. Neben
ihrer schönen Herbst­
färbung sind ihre Früchte
Nahr­ung für viele Waldtiere.
43
Traditionelle Kastanienhaine
Seit Jahrhunderten Quelle kultureller Identität
Ein traditioneller Kastanienhain besteht aus einer Wiese oder Weide, oft einer Schafweide, und veredelten Kastanienbäumen. In Südtirol befinden sich traditionelle Kastanienhaine meist an sehr steilen Orten, die schwer zu bewirtschaften sind. Die durchschnittliche Dichte beträgt 54 Bäume pro Hektar. Etwa die Hälfte der Südtiroler Kastanienhaine
wird bewässert.
Die Kastanie in Südtirol...
Obwohl Italien auf Platz 1 der
Kastanienproduktion in Europa steht, nehmen Kastanienhaine in Südtirol im Vergleich
zu anderen landwirtschaftlichen Kulturen nur eine
geringe Fläche ein. In den
letzten 15 Jahren erlebte die
Kastanie jedoch einen wirtschaftlichen und kulturellen
Aufschwung. Mit steigender
Beliebtheit des Törggelen,
wächst auch das Interesse an der braun glänzenden
Frucht. Initiativen zur Rekultivierung von aufgelassenen
Kastanien­hainen
konnten
sehr erfolgreich umgesetzt
werden.
...für viele etwas Besonderes
In letzter Zeit steigt bei
den Verbrauchern immer
mehr die Nachfrage nach
“natürlichen” Produkten, im
Sinne von gesund, nachhaltig,
regional und biologisch.
Kastanien haben zusätzlich
einen kulturhistorischen und
landschaftlichen Reiz, der
Einheimische und Touristen
auf Kastanienwegen und an
Buschenschänken in seinen
Bann zieht. In Zukunft könnte
die Kastanientradition wieder
mehr belebt werden, wenn
die Multifunktionalität der
Kastantienhaine von der
breiten Öffentlichkeit und
den Bauern noch bewusster
wahrgenommen wird.
Die Zukunft des
Kastanienanbaus
Bis jetzt gibt es noch kein
lokales
Qualitätszertifikat
für Kastanien aus Südtirol.
Ambitionierte Kastanienproduzenten erschließen aber
immer neue Vermarktungswege wie zum Beispiel spezielle Herbstangebote für Touristen zum Thema Kastanie.
Viele Kastanienbauern haben
sich in Vereinen zusammengeschlossen, die heute sehr
aktiv sind und mit neuem Enthusiasmus auf den Kasta­
nienanbau schauen.
Hopfenbuche
Die europäische Esskastanie (Castanea sativa Mill.)
Die Kastanie ist eine LichtpflanFoto: (C)
ze, die bei gemäßigtem Klima vorkommt, aber auch sehr kalte Winter aushalten kann. Sie bevorzugt
tiefgründige, durchlässige und tendenziell eher saure Böden. Meist
kommt sie zwischen 400 und 700 m
Seehöhe, bei günstigem Klima auch
über 1000 m vor. Sie ist eine sehr
langlebige Pflanze, wird meist circa
25 m hoch und blüht zwischen Juni
und Juli. Die Früchte sind zwischen
Anfang Oktober und Mitte November reif. Die Blüten werden
durch Wind und Insekten bestäubt. Kastanienhonig wird wegen
seines besonderen Aromas und dem leicht bitteren Geschmack
sehr geschätzt. Diese Besonderheiten bekommt er durch den
Anteil an Tanninen und Blatttau (Pflanzensaftabsonderungen
der Blätter, die die Bienen auch sammeln).
Fotos (D)
45
Von der göttlichen Frucht zum Brot der Armen
Kastanienbäume wurden schon in der Antike wegen ihrer Früchte geschätzt, wie man
Aufzeichnungen von Homer und anderen entnehmen kann. Der Botaniker und
Philosoph Theophrastos (4. Jh. v. Chr.) nennt die Kastanie wegen ihres “göttlichen”
Geschmacks die “Frucht des Zeus”. Ab dem 16. Jahrhundert hat die Kastanie ihren
festen Platz in der bäuerlichen Ernährung. In langen Wintern wird sie zur
überlebensnotwendigen Energiequelle und verdient sich so den Namen
“Brot der Armen”.
Foto: (A)
Von den Römern verbreitet
Die wichtigste Rolle in der
Verbreitung der Kastanie
spielten wohl die Römer,
die sie ins südliche Zen­
traleuropa und so im 1. Jh.
v. Chr. auch nach Südtirol
gebracht haben. Die nahrhaften Früchte dienten der
Ernährung ihrer Kämpfer
und das wetterbeständige
Stangenholz für ihre Weingärten. Veredelt wurde die
Kastanie jedoch erst von
den Langobarden um 570 n.
Chr. Die wirkliche Südtiroler Kastanienkultur hat ihren Ursprung im 13. bis 14.
Jahrhundert.
Eine Vielfalt von Kastanienprodukten
Um sowohl das Maximum
an Nahrung als auch möglichst viel Holz zu gewinnen,
bildeten sich zwei verschiedene Kastanienanbausysteme heraus: gepflegte Kastanienhaine mit veredelten
Kastaniebäumen
stehen
Wäldern mit wilden Kastanienbäumen gegenüber.
Einige Bauern haben allerdings beide Systeme kombiniert, indem nur einige Kastanienbäume in einem Hain
veredelt wurden, während
andere wild blieben. Diese werden regelmäßig „auf
Stock gesetzt“ und produzieren das Pfahlholz für die
Weinpergl. So beginnt die
Erfolgsgeschichte der Kastanie in Südtirol.
Der Anfang vom Ende
Nach einigen glorreichen
Jahrhunderten
zeichnet
sich ab dem 18. Jahrhundert
ein Rückgang der Kastanienkultur ab. Die Einführung
 Zeichnung der Kastanie in
der mittelalterlichen Bildersammlung Tacuinum sanitatis
aus dem 14. Jahrhundert. Im
Mittelalter waren Kastanien ein
verbreitetes Nahrungs- und
sogar Heilmittel.
neuer Nahrungsmittel wie
Kartoffeln und Mais verdrängen die Kastanie mehr
und mehr, und mit der industriellen Revolution wurden viele ländliche Gebiete
aufgelassen und entvölkert.
Zahlreiche
Kastanienbestände wurden zuerst zur
Produktion von Holzkohle
und später auch zur Gewinnung von Gerbstoffen
(Tanninen) genutzt. Im 20.
Jahrhundert ging der Kastanienanbau immer weiter zurück. Gleichzeitig begann in
Südtirol die Intensivierung
der Landwirtschaft und der
große Erfolg des Apfelanbaus. Damit wandelte sich
der Sinn und Zweck der
Landwirtschaft
endgültig
von der Überlebensicherung
zum profitablen Geschäft.
 Geographische Verbreitung der Kastanienhaine in Südtirol
(blau). Die heutigen Kastanienzentren Eisacktal und Burggrafenamt sind Zeugen der ehemaligen florierenden Kastanienkultur.
In braun sind Dörfer und Städte dargestellt, die grauen Linien
zeigen die Flüsse. Je nach Quelle haben wir heute zwischen 160
und 300 Hektar Kastanienhaine in Südtirol (Allgemeine Landwirtschaftszählung 2010, Forstinspektorat Meran).
47
Es braucht viele Hände die Kastanienhaine zu erhalten, denn ihre
Auflassung wäre ein Verlust für alle
Die traditionellen Kastanienhaine verlangen viel Handarbeit. Der Boden muss von Laub,
Zweigen und Kastanienigeln gesäubert werden. Die Kastanien müssen von Hand gesammelt und verlesen werden, und zwar oft zur gleichen Zeit, zu der auch die Äpfel und Weintrauben reif sind. So ist es letztlich nicht selten der Zeitmangel, der die Bauern dazu veranlasst, die Kastanienhaine zu vernachlässigen.
Foto: (D)
Sortenvielfalt in Gefahr
Traditionelle Kastanienhaine beherbergen eine ungeheure Vielfalt verschiedener
Sorten, die über Jahrhunderte aus der arteigenen
genetischen Variabilität der
Kastanie gezüchtet wurden. Frühe und späte Sorten verlängern den Erntezeitraum und für bestimmte
Verwendungen gibt es auch
besonders gut geeignete
Sorten: aus Kastanien mit
viel Stärke macht man z.B.
Mehl, die Süßen werden getrocknet. Für die Erhaltung
dieser Sortenvielfalt ist es
unbedingt notwendig, die
traditionellen
Kastanienhaine weiter oder wieder zu
bewirtschaften, denn sonst
überleben nur die Sorten,
die sich momentan gut vermarkten lassen.
wändige
Bewirtschaftung
gibt es für Kastanienbauern finanzielle Förderungen
(siehe Box unten).
Vom Bauer zum Landschaftspfleger
Verwilderte Kastanienhaine wieder zu kultivieren,
ist oft gar nicht so schwer.
Neben einem ordentlichen
Säuberungsschnitt am Boden und dem Verschneiden
der Kronen ist die Wiederinstandsetzung alter Wege,
Trockensteinmauern oder
Waale Teil der Rekultivierung eines Kastanienhains.
 In einem Kastanienhain werden selektionierte und gepfropfte
Bäume gepflanzt. Nach
der Auflassung wird
sich diese künstliche
Situation nicht länger
erhalten und die lockere, offene Struktur der
Kastanienhaine ermöglicht anderen Arten ein
schnelles Einwandern.
Foto: (C)
 Mit der Auflassung
beginnt eine dynamische Veränderung des
ganzen Ökosystems.
Andere Baumarten
wandern ein, alles
wächst zu, die Artenvielfalt nimmt ab und
es werden weniger
Ökosystemleistungen
bereitgestellt.
Finanzielle Förderungen
gegen die Auflassung
Werden
Kastanienhaine
nicht mehr bewirtschaftet,
wandern sehr schnell Bäume und Sträucher ein. Schon
nach 35-40 Jahren hat sich
ein Mischwald gebildet. Als
Unterstützung für die auf-
Foto: (C)
Fördermöglichkeiten für die Pflege und die Erhaltung von Kastanienhainen
Die Bewirtschaftung von Kastanienhainen ist vergleichsweise aufwändig, aber sie zählen
zu den wertvollsten Lebensräumen in Südtirol. Deswegen gab es bis 2014 eine Landschaftspflegeprämie für die Landwirte, die darum angesucht haben. Die Auszahlung der
Prämie war an folgende Auflagen gebunden: keine Planierung und kein Mineral- oder
Flüssig­dünger (Gülle oder Jauche).
Ab 2015 gelten neue Förderrichtlinien. Die Landwirte mit Kastanienhainen können sich
beim Amt für Landschaftsökologie oder den lokalen Forststationen über die aktuellen
Fördermöglichkeiten informieren.
Außerdem kann über die Forstinspektorate um Baumsanierungen bzw. phytosanitäre
Baumschnitte angefragt werden.
49
Ein Mosaik verschiedener Lebensräume
Kastanienhaine bieten mit ihren alten, manchmal schon teilweise hohlen Bäumen einen
idealen Lebensraum für viele Vögel und Fledermäuse. Die Bäume stehen weit auseinander und die offene Struktur bietet ihnen genug Raum für die Jagd auf Insekten. Besonders das Echolot der Fledermäuse wird so nicht behindert.
Foto: (C)
Wer lebt im Kastanienhain?
Das Besondere am Ökosystem Kastanienhain ist sein
halboffener Charakter. Es
ist praktisch eine Vernetzung von Wald und Wiese,
weshalb der Kastanienhain
auch Pflanzen und Tiere
aus beiden Lebensräumen
beherbergt. Werden Kastanienhaine nun aufgelassen, wachsen sie bald zu. In
der Folge verschwinden die
Tier- und Pflanzenarten der
Wiese und nur Waldarten,
die wenig Licht und Offenheit brauchen, überleben.
Im Kastanienhain sind Vögel aller Farben anzutreffen: Grünspecht, Gartenrotschwanz, Grauschnäpper,
Zipp­ammer und der auffällige Wiedehopf. Andere Tierarten, die sich besonders in
kleinen Höhlen und Spalten
der alten Bäume verstecken, sind Fledermäuse wie
der Kleine Abendsegler oder
Säugetiere wie Siebenschläfer und Eichhörnchen. Unter
den Wirbellosen finden wir
die Gottesanbeter­in (Mantispa styriaca), die gelbliche
Florfliege (Nineta flava) oder
stark gefährdete Wildbienen. Typische Pflanzen im
Unterwuchs sind der Rainkohl (Lapsana communis),
die Großblütige Braunelle
(Prunella grandiflora) oder
der Wollige Hahnenfuß (Ranunculus lanuginosus).
 Gepflegte Kastanienhaine sind halboffene “Misch-Ökosysteme” aus Wald und Wiese. Deshalb beherbergen sie mehr Tier- und Pflanzenarten als die einzelnen Ökosysteme Wald bzw. Wiese für sich gesehen.
Wer bedroht die Kastanienbäume?
Neben Auflassung und mangelnder Pflege gibt es weitere Bedrohungen für die Kastanie:
Foto: (C)
 Tintenkrankheit
Hervorgerufen durch Pilzarten
der Gattung Phytophthora; führt
zum Absterben der Wurzeln und
schließlich zum Tod des Baumes; zur Vorbeugung stehendes
Wasser in der Nähe des Baumes
vermeiden.
 Kastanienrindenkrebs
Verantwortlich ist der eingeschleppte Pilz Cryphonectria
parasitica (Murr.); Bekämpfung
durch Abschneiden der befallenen Stellen und Impfung mit
hypovirulenten, d.h. unschädlichen Stämmen.
Fotos: forestryimages.com
 Kastaniengallwespe
Dryocosmus kuriphilus breitet
sich erst seit Kurzem aus, gilt
aber als agressivster Kastanienparasit. Die Ausbreitung
könnte durch den Gegenspieler
Torymus sinensis aufgehalten
werden.
51
Vom Produzenten zum Konsumenten ... Hauptsache „doige“
In einer Studie der Freien Universität Bozen wurde kürzlich zum ersten Mal die Vermarktungskette der Kastanien in Südtirol untersucht. Dazu wurden 138 Kastanienproduzenten, 60 Händler und 300 Konsumenten hinsichtlich ihrer Meinung zu Produktion,
Verkauf, Einkauf, Verbrauch, und ihrem persöhnlichen Eindruck zum heimischen Kastanienmarkt befragt.
Fotos: (D)
Wenige, aber gute!
Für alle der 138 befragten
Kastanienbauern aus ganz
Südtirol ist die Kasta­
nien­
produktion im Ver­
hältnis
zu lukrativeren Kul­
turen
wie Apfel und Wein nur
eine Nebentätigkeit. Das
sieht man auch daran, dass
Kastanienhaine nur 3,5 %
der
landwirtschaftlichen
Nutzfläche
in
Südtirol
ausmachen.
Trotzdem fangen die selben
Kastanienbauern seit Kur­
zem an, Kastanienbäume
als wichtige Elemente der
Land­
schaft und der Er­
holung zu sehen. 40 %
von ihnen sind sich sogar
bewußt, dass die Anzahl
der Besucher während der
Zeit des Törggelen davon
abhängt, wie gut sie ihre
Kastanienhaine pflegen.
Spaß und
Ästhetik
2%
Eigenverbrauch
2%
Handel
5%
Führende Köpfe
Mehrere Kastanienverbände treiben die Vermarktung und die Erhaltung der Kastanienkultur
in Südtirol voran: z.B. der
Arbeitskreis „Kastanien
aus dem Eisacktal“, der
Verein „Keschtnriggl“ aus
Tisens und der Vinschgauer Kastanienverein.
Tradition
90 %
 Die Südtiroler Kastanienbauern wurden gefragt: “Aus
welchem Grund bauen sie
Kastanien an?”
 Merkmale der Südtiroler Kastanienbetriebe in Bezug auf Verdienst, Alter und Bewässerung.
Mittelwert in
Südtirol
Verdienen
an Kastanien
Verdienen
nicht an
Kastanien
Besitzer
< 45
Jahre
Besitzer
> 45
Jahre
Haine
mit Bewässerung
Haine
ohne
Bewässerung
100
50
50
30
70
30
70
Kastanien/Betrieb 27
34
10
35
18
28
20
Kastanien/Hektar
58
75
39
72
53
76
49
kg/Betrieb
300
518
86
541
221
494
222
kg/Hektar
940
1513
310
1236
853
1577
661
% der Kastanienbauern
Verbrauch und Verkauf
Die Verbraucher legen Wert
auf heimische Kastanien,
was sich auch bei den Kaufgewohnheiten der Südtiroler
widerspiegelt: obwohl die
Kastanien aus Südtirol als
die teuersten zählen, ziehen
fast 80 % der Verbraucher
die heimischen Kastanien
denen von außerhalb vor.
Auch die Verkäufer glauben an das lokale Produkt,
obwohl sie unterstreichen,
dass den Südtiroler Kastanien ein geographisches Qualitätszertifikat fehlt. 79 %
der Verkäufer erklärten aber
auch weiterhin heimische
Kastanien zu verkaufen, da
sie von der Qualität des Produkts überzeugt seien. Über
die Hälfte der Kastanienvertreiber schauen der Zukunft
des lokalen Kastanien­
marktes positiv entgegen.
Alle Verkäufer waren sich
außerdem einig, dass neue
Kommunikationsstrategien
zwischen Produzenten, Verkäufern und Gastwirten den
Kastanienkonsum in den
kommenden Jahren weiter
ankurbeln könnten.
 Viele Spaziergänger
sammeln Kastanien im
Vorbeigehen. Dabei sehen sie gar nicht, wieviel
Arbeit die Bauern vorher
in die Pflege der Kastanienbäume investiert
haben.
Foto: (D)
53
Ein Baum mit vielen Talenten
Ein traditioneller Kastanienhain dient eigentlich der Produktion von Kastanien. Trotzdem
bietet er eine Menge anderer Ökosystemleistungen, wie Versorgungs-, Regulierungs-,
unterstützende und kulturelle Leistungen.
Foto: (D)
Wie Tourismus und Kultur zusammenhängen
Ein traditioneller Kastanienhain erzählt die Geschichte
eines Volkes so wie wenige
andere Ökosysteme auf der
Welt. Die Symbiose zwischen
Mensch und Pflanze hat
ganzen Generationen geholfen, langen Wintern die Stirn
zu bieten. Jahrhundertealte
Kastanienbäume sind heute
wie Zeitkapseln, die Vergangenheit und Zukunft verbinden und daher von großem
kulturellem Wert.
Aber ein Kastanienhain ist
auch voller Arten­
vielfalt,
voller
land­schaft­licher
Schön­heit und er dient der
Bil­dung und Er­holung. Dass
man diese Bedeutung für
den ländlichen Tourismus
erkannt hat, gab dann auch
den Ansporn für zwei Kastanienthemenwege, einen im
Eisacktal und einen in Völlan. Sie erfreuen sich heute
immer größerer touristischer Beliebtheit, auch bei
der lokalen Bevölkerung.
Bei einer Befragung von 60
Besuchern im Herbst 2011,
waren 80 % der Einheimischen aber nur 30 % der
Touristen vorher schon einmal dagewesen. Die landschaftliche Schönheit der
Kastanienhaine ist also eine
Ökosystemleistung, die von
der Gesellschaft sehr geschätzt und oft genutzt wird.
Fotos: (D)
 Kastanienwege: Ins Leben gerufen, um die Schönheit der
Kastanienhaine zu betonen, ziehen sie viele Einheimische und
Touristen an. In Südtirol gibt es derzeit einen Kastanienerlebnisweg in Völlan und einen im Eisacktal.
Kast
anien
ung
Erhol
Hon
ig
tofflens
Koh herung
c
e
spei
ch
tis
ne alt
Ge ielf
V
 Eine Frage der Bewirtschaftung
Welche Funktionen oder Lei­st­ungen
Kastanienbäume erbringen,
hängt vom Ökosystem ab, in
dem sie vorkommen. Je
nach Art der Bewirtschaftung und Ökosystemstruktur werden
einige Leistungen
auf Kosten anderer
abnehmen und
lz
o
umgekehrt.
DaH
Was
d
bei kommt es in
Vielfa
n
lt der
ide u
e
uns
ein
erster
Linie darW
Tiere
er
t
t
u
auf
an,
welches
F
traditioneller
Hauptprodukt
Kastanienhain
K
u
erzielt
werden
r
l
t
ur un
lt de
T
d
alles
bieten
a
r
f
soll
(Kastania
l
ditio
Vie zen
n
n
en, Holz, etc.).
kann
a
Pfl
Pi
In
Südtirol gibt
ff e
lz
o
e
t
es vor allem
bs
r
Kastanienhaine
Ge
(aktiv gepflegte bis
aufgelassene) und
Kastanienniederwälder (manchmal in der
Überführungsphase zu
Hochwäldern, wie in der
Umgebung Montiggl).
55
Suggerimenti da seguire
Intraprendere la vendita diretta al maso delle proprie castagne, o lungo i sentieri più
percorsi, aiuta a testare personalmente le reazioni del consumatore e ad affettuare le
scelte gestionali con più coscienza. Sperimentare nuove forme di vendita come il pickon-your-own (“raccogli tu stesso”) evita di sottrarre tempo ad altre attività agricole e, nel
contempo, porta nuovi stimoli alla castanicoltura altoatesina.
Die traditionellen Kastanienhaine in Südtirol
bringen nicht nur
Kastanien und Holz hervor, sondern sind durch ihre hohe Artenvielfalt und durch ihre kulturhistorische Bedeutung besonders wertvoll für die ganze Gesellschaft. Bei der Bewirtschaftung sollte es deshalb nicht nur um Produktivität gehen, es sollte stattdessen die
Gesamtheit ihrer Vorteile und Leistungen berücksichtigt werden, denn wir alle genießen
und profitieren auf vielfältige Weise von Kastanienhainen in der Landschaft.
Foto: (D)
Traditionelle Kastanienhaine –
Was gilt es zu beachten?
Regelmäßig entbuschen
Aufkommende Bäume und
Sträucher sind zu entfernen, da sie den Kastanien
Licht, Wasser und Nähr­
stoffe wegnehmen.
Junge und gesunde Bäume
Den Boden sauber halten
Regelmäßiger Baumschnitt
sorgt für größere Früchte sowie hohe und stabile
Erträge (ohne deutliche
Mastjahre). Junge Bäume
nachsetzen, sichert die Produktion auch für zukünftige
Generationen.
Ein aufgeräumter Boden im
Kastanienhain erleichtert
die Ernte. So wird auch der
halboffene Charakter bewahrt, den viele Tier- und
Pflanzenarten brauchen.
Foto: (D)
Foto: (D)
Angemessen bewässern
Richtig düngen
Der Kastanienertrag steigt
bei angemessener Bewässerung um mehr als das
Doppelte. Nur bewässern,
wenn es das Gelände erlaubt.
Kunstdünger sowie Flüssigdünger (Gülle/Jauche)
vermeiden, da sie der Artenvielfalt schaden. Besser
mit Stallmist düngen oder
die Beweidung nutzen.
Einige alte Bäume stehen
lassen
Gut aufräumen, ersetzt
Pestizide
Ältere Bäume mit einigen
abgestorbenen Ästen oder
abblätternder Rinde sind
Lebensraum für Vögel,
Fledermäuse, Insekten und
Säugetiere. Einige stehen
zu lassen, ist für sie über­
lebenswichtig.
Werden Laub, Zweige und
Kastanienigel zusammengetragen und verräumt,
können sich Schädlinge und
Parasiten schlechter vermehren. So spart man sich
teure und umweltschäd­
liche Pestizide.
Foto: (C)
57
Publikationen im EcoRAlps Projekt
Artikel, die zum Thema Niederwald aus dem Projekt hervorgegangen sind:
Ambrass, S., Radtke, A., Zerbe, S., Fontana, V., Ammer, C. (2014): Ausbreitung und Management von Götterbaum und Robinie in Niederwäldern. Erkenntnisse aus einer Fallstudie zu
invasiven Baumarten in Südtirol. Naturschutz und Landschaftsplanung 46(2): 45-51.
Radtke, A., Fontana, V., Wilhalm, T., Tappeiner, U., Zerbe, S. (submitted): Let’s coppice again?
The ground flora’s response to coppice over-aging and coppice resuming
Radtke, A., Toe, D., Bourrier, F., Zerbe, S., Berger, F. (2014): Managing coppice forests for
rockfall protection – lessons from modeling. Annals of Forest Science 71(4): 485-494.
Radtke, A., Ambraß, S., Zerbe, S., Tonon, G., Fontana, V., Ammer, C. (2013): Traditional coppice forest management drives the invasion of Ailanthus altissima and Robinia pseudoacacia
into deciduous forests. Forest Ecology and Management 291: 308-317.
Artikel, die zum Thema Lärchenwiesen aus dem Projekt hervorgegangen sind:
Fontana, V., Radtke, A., Walde, J., Tasser, E., Wilhalm, T., Zerbe, S., Tappeiner, U. (2014): What
plant traits tell us: consequences of land-use change of a traditional agro-forest system on
biodiversity and ecosystem service provision. Agriculture, Ecosystems and Environment 186:
44-53.
Nascimbene, J., Fontana, V., Spitale, D. (2014): A multi-taxon approach reveals the effect of
management intensity on biodiversity in Alpine larch grasslands. Science of The Total Environment 487: 110-116.
Fontana, V., Radtke, A., Bossi Fedrigotti, V., Tappeiner, U., Tasser, E., Zerbe, S., Buchholz, T.
(2013): Comparing land-use alternatives: Using the ecosystem services concept to define a
multi-criteria decision analysis. Ecological Economics 93: 128-136.
Nagler, M. (2013): Veränderungen der Kohlenstoffpools in Böden landwirtschaftlich genutzter und aufgelassener Lärchenwiesen in Südtirol. Diplomarbeit Universität Innsbruck.
Zoderer, B. (2013): Social preferences regarding ecosystem service categories. A non-economic case study of three South Tyrolean cultural landscapes. Bachelorarbeit Eurac Bozen.
Artikel, die zum Thema Kastanienhainen aus dem Projekt hervorgegangen sind:
Bossi Fedrigotti, V., Fischer, C. (2014): The supply chain of sweet chestnuts in South Tyrol.
Rivista di Economia Agro-Alimentare 1: 117-137.
Bossi Fedrigotti, V., Fischer, C., (in revision): Sustainable development options for the
chestnut supply chain in South Tyrol, Italy. Chiang Mai Journal of Science.
Bossi Fedrigotti, V., Radtke, A., Zerbe, S., Conedera, M., (2014): Measuring multifuncionality
of Sweet chestnut-related agroforestry systems: how did the provision of ecosystem services change in the last century? submitted to Sociologia ruralis.
59
Ein Kooperationsprojekt von
Diese Broschüre wurde finanziert von
der Stemmler-Stiftung im
und