Zumindest dem Kundigen ist bekannt, dass die Tennisspieler des
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Zumindest dem Kundigen ist bekannt, dass die Tennisspieler des
Zeitschrift für Spielkultur „Artisten ohne Netz: die mittelalterlichen Tennisspieler“ Heiner Gillmeister Rheinische Friedrich-Wilhems-Universität, Bonn Zumindest dem Kundigen ist bekannt, dass die Tennisspieler des Mittelalters zunächst ohne jenes Netz auskamen, das die Streiter auf dem Spielfeld trennt und das der Laie als ein schier unverzichtbares Requisit betrachtet. Die Artisten ohne Netz, wie man sie nennen könnte, hielten jedoch nicht nur das Netz, sondern sogar das Rakett für überflüssig, ohne das – zumindest für den heutigen Betrachter Tennis schlichtweg kein Tennis mehr wäre. Sie spielten ihre Bälle, wie einer der ältesten Ausdrücke für das Spiel (jeu de la paume, ‚Ballspiel mit der flachen Hand’) beweist, mit dem Handteller. Nun hat sich die Wissenschaft mit großem Eifer bemüht herauszufinden, wann und wo genau sowohl das Netz als auch der Tennisschläger in den Gesichtskreis der Ballathleten trat. Die Antwort lautete bislang ungefähr so: Der erste, der das Netz erwähnt, ist der Franzose François Rabelais, der in seinen Gargantua (1534) ein Tennissprichwort einstreut. Es lautet: On croyt le premier qui dict si l’esteuf est sus ou soubz la chorde. (‘Man glaubt dem, welcher zuerst sagt, dass der Ball über oder unter der Schnur ist.’) Hier wird zum ersten Mal die Institution des Netzes beim Namen genannt, oder besser: dessen Vorläufer. Dies war eine simple Schnur, welche über die Mitte des Tenniscourts gespannt wurde. Sie war, wie schon das Sprichwort andeutet, sogleich Anlass für Zank und Streit unter den Aktiven, weil sich oft nur schwer entscheiden ließ, ob des Gegners Ball dieselbe unter- oder überschritten hatte. Zu Gesicht bekommen wir die mysteriöse Leine zum ersten Mal auf einem Ölgemälde im Besitz des Marylebone Cricket Club, das ebenfalls in das Jahr 1534 datiert werden kann. Das Bild ist eine Inszenierung des David und Bathseba-Motivs, bei welcher der Beherrscher des Volkes Israel voll im Trend liegt, hat er in seinem königlichen Tenniscourt die neumodische Kordel anbringen lassen. Das Rakett wird zum ersten Mal in einem Match zwischen Philipp, der König von Kastilien, und dem Marquis von Dorset ins Gefecht geführt. Dabei bediente sich Philipp – nach einer Chronik aus dem Jahre 1505 - im Gegensatz zu seinem englischen Gegner einer derartigen Ballschleuder und glaubte sich dadurch derart im Vorteil, dass er diesem bei jedem Spiel eine Vorgabe von 15 einräumte: the kynge of Castelle played with the Rackete and gave the marques xv. Die erste bildliche Darstellung dieses mit Schafsdarm gespannten Erfolgsgaranten fällt in das Jahr 1511. In diesem Jahr erscheint in Paris ein moralischer Traktat mit dem Titel Le Cymetière des malheureux (‚Der Friedhof der Unglückseligen.’), und da eine der zahlreichen Möglichkeiten ins Unglück zu rennen offenbar das vermalmedeite Tennisspiel ist, sieht der Betrachter des Titelblattes auf dem Sarg eines der Verblichenen einen Tennisschäger prangen. Jean Molinet überreicht Philipp von Kleve seine Übersetzung des Rosenromans. Den Haag, KB, 128 C 5 [fol. 1]. <http://www.kb.nl/kb/manuscripts/thumbsa300/128C5_001RM.JPG> 27. Oktober 2003 Quelle: Nun zeigt allerdings ein in pikardischer Mundart abgefasstes Gedicht des Jean Molinet aus dem Jahre 1492 sehr eindrucksvoll, wie grau auch in Sachen Tennis alle Theorie ist. Molinet, Chronist des Hauses Burgund, feiert darin den Triumph Maximilians über die abtrünnige Stadt Gent und hat dazu einen genialen Einfall. Im Französischen seiner Zeit traf es sich, dass der Name der Stadt und das Wort für den Handschuh gleich lauteten, so genannte Homonyme waren (Gand, gant). Und da der Handschuh in einer Zeit, da das Racket noch nicht erfunden war, die bloße Handfläche des Tennisspielers vor den harten Stopfbällen schützte, konnte sich Molinet diesen Umstand für seine Spottverse nutzbar machen, indem er die Niederwerfung und Demütigung der Stadt in eine Tennisallegorie kleidet, bei welcher die Genter eine schmachvolle Niederlage erleiden. In diesem Spiel hat also der Erzherzog von Österreich (Maximilian) Gand en main (erste Strophe), was soviel bedeuten kann wie ‚hat Gent in seiner Hand’ oder ‚hat den Spielhandschuh übergestreift’. Im zweiten Fall kann das Spiel also nun beginnen. Dabei erwartet den Leser die größte Überraschung in Strophe vier. Dessus la corde, also über die Schnur und erfolgreich, spielt der Herzog, und dies im Jahre 1492! Damit hat der Champion des Hauses Österreich nicht nur in die Mauern Gents eine Bresche geschlagen, sondern auch die etablierte Tennischronologie über den Haufen geworfen. Die Tennisschnur hat demnach mindestens ein Jahrzehnt vor dem Rakett das Licht der Welt erblickt. Eine ausführliche Behandlung der Molinet-Ballade wird im Oktober 2005 in der Festschrift für den Bonner Anglisten Rolf Lessenich enthalten sein, die im Wissenschaftlichen Verlag Trier (WTV) erscheint. Literatur: Heiner Gillmeister, Tennis. A Cultural History, London: Cassell Academic/Leicester University Press, und New York: New York University Press 1998. ders., “Tennis”, in Tony Collins, et.al., Hrsg., Encyclopedia of Traditional British Rural Sports, London: Routledge 2005, S. 258261. Jean Molinet, Le jeu de palme XIX [Übersetzung] LE JEU DE PALME Après juillet 1492 [...]1[1]. Vous qui vollés d'honneur porter le Ihr, die ihr die Palme der Ehre tragen wollt palme Und Ruhm sucht unter dem römischen Zepter, Et querir bruit soubz le sceptre romain, Kommt [euch] zu erbauen und Tennis zu Venés esbattre et jouer a le palme, spielen, Car l'archiduc d'Austrisse a Gand en Denn der Erzherzog von Österreich hat den main, 1[1] Handschuh an der Faust/Gent in der Hand, Das Datum bezieht sich auf den 29. Juli 1492 und die für Gent erniedrigenden Friedensbedingungen von Cadzand. Das Gedicht wird zitiert nach Noël Dupire, Hrsg., Les faictz et dictz de Jean Molinet, 3 Bde, Paris: Société des Anciens Textes Français 1936-1939, Band 1, 254-257. Qui estoit dur, rude, fort inhumain, Der/das hart, roh, sehr unmenschlich, A la main gauche et de fachon estroite, An der linken Hand und eingeschnürt war, Mais aujourdhuy, sans attendre a Aber heute, ohne auf morgen zu warten, demain, Zurückgekehrt ist in die gute Est retourne a la bonne main droite. rechte/gerechte/rechtmäßige Hand. Gand, endurcy en sa vaine follie, Gent, verstockt in seinem eitlen Wahn, A tant este frotté et manïet Ist so sehr gerieben und gebeutelt worden, Qu'il s'est trouvé le peau fort amollie Dass es sich nun mit sehr weich geklopfter Par gens qui n'ont le bon sang regnïet Haut wiederfindet Et s’on lui a les doictiers racourchiet Durch Leute, die nicht das gute Blut Nouvellement, par ung trenchant ciseau, verleugnet haben C'est pour le mieux: il est sy radouchiet Und wenn man ihm die Finger vor kurzem Que l'on y entre ainsy qu'en ung gekürzt hat, mit einer scharfen Schere, houseau. Dann ist es [nur] umso besser: es ist so besänftigt worden, Dass man hineinkommt wie in einen Strumpf. Quand on a mis en jeu les coppenolles, Denn als man die doppelten Silbergroschen im Gaigniet avons quarante cincq pour Spiel einsetzte trente; Sind wir mit 45 zu 30 in Führung gegangen; Ceux qui s'y sont rompus col et Diejenigen, welche sich dabei Hals und canolles, Luftröhre gebrochen haben, Pour nous grever ont receut povre rente; Haben Joueurs avons de puissance excellente, dass sie uns verletzten, armseligen Gewinn eingestrichen; Bons enseigneurs, gens qui gardent les Wir gaiges dafür, haben Spieler von ausgezeichneter Qualität, Et racacheurs qui n'ont coeur ne bras Gute Trainer, Leute, die den Wetteinsatz lente, bewachen, Pour enverser Franchois plains de Und langaiges. Rückschläger, bei denen weder Herzschlag noch Arme [zu] lahm sind Um die Franzosen, die den Mund [zu] voll nehmen, einzuseifen. Dessus la corde, en mont et en vallee, Über die Schnur, sowohl in der Auf- wie der En plains guillés ou en jeus fort estrois, Rückschlägerposition Tant a revers, de bont que de vollee, Auf ebenen Kegelbahnen oder in sehr engen Prestz de jouer sommes trois contre Ballhäusern, trois: Ebensosehr bei der Rückhand, nach dem Nous esperons que verrons les trois roix Aufspringen wie auch im Fluge Prendre l'estoeuf au roialme de France, Sind wir bereit zu spielen, drei gegen drei.: Pour tapper ens coups si puissans et rois Wir hoffen, dass wir die drei Könige sehen Que Francillons auront griefve werden, Um dem Königreich Frankreich den Ball souffrance. abzujagen, Um dort drinnen so mächtige und harte Schläge zu führen, Dass die Französlein tiefes Leid befallen wird. Franchois, Gantois, Liegois Brabenchons, et Franzosen, Genter, Lütticher und Brabanter, Durch falsches Verstehen des Spielstandes Par mal entendre au compte et faultes und grobe Fehler, grandes, Haben [sie] gegen uns mehrere Spiele Ont contre nous perdus plusseurs verloren parchons, Dont maintenant offrandes; Wofür wir nun ihre Opfergaben empfangen; recepvons leurs Wenn die Franzosen unsere Vorräte aufgezehrt haben Se les Franchois ont mengie nos vïandes Durch raffinierte Bosheit, wie sie es immer Par fin malice, ainsy qu'ilz font tun, tousjours, [Dann] haben wir um sie zurück zu Pour les ravoir avons les mains friandes: bekommen juckende Finger Le coeur fait l'oeuvre et non point les Das Herz/Mut vollendet das Werk und nicht longs jours. langes Zaudern/die lange Bank. Par cy devant avons eu plusseurs faultes Dadurch haben wir viele Nachteile gehabt Sans riens gaignier, et sur nos propres Ohne etwas zu gewinnen, dazu auf unserem thois; eigenen Dach; Se nous convient retourner sus les So ist es für uns nur billig, auf die hohen haultes Festungen von Burgund und von Artois Fortes maisons de Bourgonne et d' zurückzukehren/dorthin zu retournieren. Arthois. Wenn wir mit den vier Fingern aufschlagen, Se nous bouttons avec les quatre dois den Daumen im Handschuh, und eine gesunde Le pauch en gand et le main avons Hand haben, saine, Tel Werden wir ganz einfach einen so gewaltigen coup d'estoeuf tapperons en Ball schlagen, lourdois, Dass wir ihn bis jenseits von Paris an der Que l'envoirons dela Paris sus Seine. Seine senden werden. Franchois ont eust beau jeu longue Die Franzosen haben lange Zeit ein leichtes saison, Spiel gehabt, Mais s'il plaist Dieu, nous arons Aber wenn es Gott gefällt, werden wir l'avantaige [schließlich] den Vorteil haben Et gaignerons le jeu, car sans raison Und Ils vont jouant, sur nostre carpentaige, Rechtmäßigkeit De nos estoeus et en nostre heritaige, Kommen Et s'ont promis, affin que ame n'y rue, Penthouse, das Spiel sie gewinnen, zum Spiel, denn auf ohne unserem De restaurer tout, mais pour tout potaige Mit unseren Bällen und mit unserem Erbe, Ce n'est que vent: tout vient a riens sur Und haben tatsächlich versprochen, damit rue. keine Seele/niemand daraufhin zurückschlägt Alles zurückzugeben; aber für das ganze Gelage Bedeutet das nur Wind: alles wird zu nichts, sobald man wieder auf der Straße ist (d.h. das Ballhaus nach dem Spiel verlassen hat). Franchois expers au fait du jeu d'exés Die Franzosen, erfahren im Spiel [namens] Samblablement ont mattés les Bretons, “Exzess”, Mais nous, par force et sans nuls Haben auf gleiche Weise die Bretonen mauvais ghés, mattgesetzt, Au droit du jeu, nos palmes aprestons; Aber wir, durch [unsere] Kraft und keine Ils ont remy rocq, chevalier, pions, perfiden Hinterhalte Et retenu la belle roynette, Werden auf der rechten Seite des Spiels Mais nous avons roix, rocq et unsere Hände bereitmachen; champions, Sie haben Turm, Läufer/Ritter und Bauern Qui l'amenront en nostre maison nette. zurückgegeben, Und die schöne kleine Königin zurückbehalten, Aber wir haben Könige, Turm und Kämpfer die sie [die Königin] in unser schönes Haus entführen werden. Prince puissant, rice fleur de noblesse, Mächtiger Fürst, prächtige Blume des Adels, Qui Gand avés attrapet a vos filz, Welcher ihr Gent für eure Söhne an euch Livrés en jeu de celluy qui nous blesse, gerissen habt, Servés le roy et l'archiduc son fils; der ihr euch dem Spiel dessen hingegeben Droit est pour nous, j'en suis bien habt, der uns segnet [Gott], assoufis, Serviert für/Dient dem König und seinem Tappés grandz cops, le parchon vaille Sohn, dem Erzherzog. deux; Das Recht ist bei uns, darüber bin ich sehr Les Franchillons vallent que desconfis; zufrieden, L 'estoeuf vous quiert et il s'eslonge Schlagt großartige Schläge, das Spiel zählt d'eulx. [nämlich] zweifach; Die Französlein sind nur so viel wert wie Geschlagene; Der Ball läuft euch nach/sucht euch und entfernt sich von ihnen.