Begutachtung von Hörschäden - Deutsche Gesellschaft für
Transcription
Begutachtung von Hörschäden - Deutsche Gesellschaft für
Begutachtung von Hörschäden Jürgen Alberty Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten Universitätsklinikum Münster Alberty 2003 Übersicht • Gutachtliche Fragestellungen • Untersuchungsmethoden • Quantifizierung des Hörverlustes • Kausalität – Chronisches Schalltrauma (Lärmschwerhörigkeit) – Stumpfes Schädeltrauma • Tinnitus – „Objektivierung“ – Bewertung Alberty 2003 Gutachtliche Fragestellungen • Überprüfung des Hörvermögens – Bemessung eines Hörverlustes (z.B. im sozialen Entschädigungsrecht) – Eignung für bestimmte Tätigkeiten • Ursache eines Hörverlustes – Zusammenhangsfrage – Abgrenzung verschiedener Faktoren • Therapeutische Möglichkeiten – Hörgeräteversorgung • Prognose eines Hörverlustes Alberty 2003 Rechtsgebiete • Sozialrecht – gesetzliche Unfallversicherung (UV/SGB VII) – Schwerbehindertengesetz (SchwbG) – Bundesversorgungsgesetz (BVG) – Gesetzliche Rentenversicherung • Zivilrecht – Haftpflichtversicherung – Private Unfallversicherung • Dienstvorschriften – z.B. Seediensttauglichkeit – z.B. Wehrdienstfähigkeit – z.B. Verbeamtung von Lehrern • u.v.m. Alberty 2003 Untersuchungsmethoden • Psychoakustische Hörtestverfahren – Stimmgabelprüfungen – Hörweitenprüfung – Tonschwellenaudiometrie – Sprachaudiometrie – Rekruitmentnachweise • Objektive Audiometrie – Otoakustische Emissionen – BERA – Impedanzaudiometrie • Tinnitusanalyse • Simulationsprüfungen • u.v.m. Alberty 2003 Hörweitenprüfung • Alberty 2003 Prüfung des Abstands aus dem 4-silbige Zahlwörter zu > 50 % korrekt verstanden und nachgesprochen werden • Stellenwert – Orientierende Prüfung des Hörvermögens! – Plausibilitätsprüfung für die Ton- und SprachAudiometrie Quantifizierung des Hörvermögens Alberty 2003 Tonschwellenaudiogramm Hauptsprachbereich Hauptsprachbereich -- Soziales Soziales Gehör Gehör • Bestimmung der Hörschwelle für Töne • Vergleich von Knochenleitung und Luftleitung • Aussage über Sprachgehör eingeschränkt Alberty 2003 Hörverlust aus dem Tonaudiogramm Tabelle Röser 1980 regelmäßiger Verlauf der Hörschwellenkurve (Hochtonverluste Typ Lärmschwerhörigkeit) Alberty 2003 Tabelle Röser 1973 unregelmäßiger Verlauf der Hörschwellenkurve Sprachaudiogramm • Überprüfung des Sprachgehörs • 50 %iges Zahlwortverständnis • Verständnisquote für Einsilber Alberty 2003 Berechnung des HV aus dem Sprachaudiogramm • Einfaches Gesamtwortverstehen Addition der Verständnisquoten für Einsilber bei 60, 80 + 100 dB a1-Wert x1 Alberty 2003 x1 x1 Tabelle „Bönninghaus + Röser 1973“ a1-Wert Alberty 2003 Berechnung des HV aus dem Sprachaudiogramm - gewichtet - • Gewichtetes Gesamtwortverstehen (nach Feldmann) 3 x Verständnisquote bei 60 dB 2 x Verständnisquote bei 80 dB 1 x Verständnisquote bei 100 dB Summe dividiert durch 2 x3 Alberty 2003 x2 x1 Bemessung des Hörverlustes aus Tonund Sprachaudiogramm • Bemessung vorrangig nach dem Sprachaudiogramm • Heranziehen des Tonaudiogramms nur in besonderen Fällen – geringe Hörverluste – geringe Deutsch-Kenntnisse • Berechnung HV zunächst getrennt für jedes Ohr Alberty 2003 Vorgehensweise Sprachaudiogrammm: Gewichtetes Gesamtwortverstehen < 20 % > 40 % 20 - 40 % Tonaudiogramm: Tabelle Röser 1980 Sprachaudiogramm: Einfaches GV (nicht > 20 %) (nicht < 40 %) Prozentualer Hörverlust Alberty 2003 Bemessung der MdE aus dem Hörverlust beider Ohren • Tabelle nach Feldmann – auch bei asymmetrischem Hörverlust • Tabelle nach Brusis und Mertens – bei symmetrischem Hörverlust – Schwerhörigkeitsgrade • Vorschadenstabelle nach Brusis und Mertens – falls Vorschaden abgrenzbar Alberty 2003 Feldmann-Tabelle Alberty 2003 Tabelle bei Vorschaden des Gegenohres Alberty 2003 Topodiagnostik von Hörstörungen • Differentialdiagnose • Kausalität • Therapieoptionen • Prognose Alberty 2003 Nachweis einer Schalleitungs-Schwerhörigkeit • Ohrmikroskopie – Verlegter Gehörgang – pathologischer Mittelohrbefund • Stimmgabelprüfungen – Lateralisation des WegerVersuch ins kranke Ohr – Rinne negativ • Tonschwellenaudiogramm – Differenz von Knochen- und Luftleitung • Impedanzaudiometrie Alberty 2003 Diagnose einer Innenohr-Schwerhörigkeit • Nachweis eines pathologischen Lautheitsausgleichs (Rekruitment) „Überschwellige Audiometrie“ – SISI-Test – Geräuschaudiogramm – Bekesy - Audiometrie – u.v.m. • Direkter Nachweis eines Haarzellschaden im Corti-Organ „Oto - Akustische - Emissionen“ – TEOAE – DPOAE – cave: nicht bei Schalleitungsstörung Alberty 2003 Pathophysiologie der cochleären Schwerhörigkeit Lautheit aktives Innenohr wenig Lautheitsgewinn Goßer Lautheitsgewinn = Rekruitment passives Innenohr 30 Alberty 2003 60 Schalldruck dB SPL SISI-Test Short Increment Sensitivity Index Index des prozentualen Erkennens von 1 dB Lautstärkeschwankungen eines kontinuierlichen Tons monauraler Test ab Hörverlust von 40 dB HL einsetzbar Alberty 2003 Otoakustische Emissionen • Direkter Nachweis einer Funktionsstörung der Äußeren Haarzellen • Cave: Intakte Schalleitung im Mittelohr! Alberty 2003 Diagnose einer Neuralen Schwerhörigkeit • BERA – Latenzzeit verlängert • Überschwellige Audiometrie – Hörermüdung • Impedanz Audiometrie – Reflex-Decay Alberty 2003 Aggravation und Simulation Alberty 2003 Objektive Bestimmung der Hörschwelle Schwellen - BERA/CERA Alberty 2003 Hörverlust durch Schalleinwirkung • Lärmschwerhörigkeit • (Akustischer Unfall) • Akutes Lärmtrauma • Explosionstrauma Schallpegel Alberty 2003 • Knalltrauma Expositionszeit Lärmschwerhörigkeit (BK 2301) • Statistik – 37% aller anerkannten Berufskrankheiten (1998) – 28.137 Rentenempfänger (1994) • Auftraggeber – Träger der gesetzlichen Unfallversicherung • Geregeltes Verfahren – Königsteiner Merkblatt Alberty 2003 Haftungsbegründende Kausalität • Nachweis der Lärmexposition! – Ermittlungen des TAD • Äquvalenzschallpegel 85 dB(A) oder mehr • Dauer der Lärmexposition • Risikomaß nach v. Lüpke – Anamnestische Angaben • Vertäubungsphänomen • Lärmqualität Alberty 2003 Haftungsausfüllende Kausalität Entwicklung der Hörstörung • Fortschreitender Hörverlust parallel zur beruflichen Lärmexposition 250 0 20 40 • Charakteristischer Verlauf der Schwellenkurven 60 80 100 dB Alberty 2003 500 1000 2000 4000 8000 Hz Haftungsausfüllende Kausalität -Lärmschwerhörigkeit Gutachtliche Auswertung der Befunde • Vorgeschichte • Reine Innenohrschwerhörigkeit mit Betonung des Hörverlustes in den hohen Frequenzen • Nachweis eines positiven Rekruitment • Abgrenzung anderer Hörstörungen Diagnose einer Lärmschwerhörigkeit Alberty 2003 Knalltrauma • Schallparameter – 160-190 dB(A) ; Dauer 1-3 ms – Einwirkrichtung! • Symptome: – Vertäubung! – Tinnitus – ggf. Schmerz • Unfallfolgen: – reiner Innenohrschaden mit Hochtonsenke bis Steilabfall • Verlauf: – Besserungstendenz – Progredienz fraglich Alberty 2003 Explosionstrauma • Schallparameter – 160 - 190 dB; Einwirkzeit >3 ms – z.B. Sprengung – Richtung der Einwirkung!! • Symptome: – Hämatotympanon – Trommelfellruptur – ggf. Ossikelluxation • Unfallfolgen: – Kombinierte Schwerhörigkeit – Innenohr häufig Steil- oder Schrägabfall • Verlauf: – ggf. chronische Entzündung! – Progredienz möglich Alberty 2003 Stumpfes Schädeltrauma • ohne ohrnahe Fraktur • Pyramidenlängsfraktur • Pyramidenquerfraktur Alberty 2003 Stumpfes Trauma ohne Fraktur • Ort + Richtung der Gewalteinwirkung – Unfallhergang!! – äußere Zeichen • Symptome – Auftreten der Hörstörung sofort? – Sonstige otoneurologische Symptome – Schädigungsmechanismus wie Knalltrauma: meist Hochtonsenke, evtl. Steilabfall, selten flacher Kurvenverlauf – Seitendifferenzen bei lateralem Trauma • Ausschluß anderer Ursachen!! Alberty 2003 Pyramidenlängsfraktur • Berstungsfraktur bei lateraler Gewalteinwirkung • (Sofort)symptome – Blutung aus GG – Trommelfellruptur – Hämatotympanon • Unfallfolgen – einseitige Schalleitungsschwerhörigkeit – Innenohrbeteiligung möglich • radiologischer Nachweis problematisch Alberty 2003 Pyramidenquerfraktur • Berstungsfraktur bei dorsaler Gewalteinwirkung • (Sofort)symptome – sofortige Taubheit – Ausfall-Nystagmus – (Hämatotympanon) • Unfallfolgen – einseitige Taubheit – (kompensierter) einseitiger Vestibularisausfall – evtl. Fazialisparese – evtl. Anosmie! • radiologischer Nachweis problematisch Alberty 2003 Tinnitus • Nachweis • Kausalität • Schadensbewertung Alberty 2003 Tinnitus Anamnese • Spontane Angabe? • Beschreibung – Klangcharakter – Lokalisation – Zeitverlauf • Umstände einer Lästigkeit – Verdeckung durch Umgebungsgeräusche – Ein- und Durchschlafstörungen – Hinweise auf eine fehlende Kompensation Alberty 2003 Tinnitusvergleich tonaler Tinnitus Alberty 2003 rauschender Tinnitus Verdeckung von Tinnitus • Tinnitusverdeckung mit kontinuierlichen Tönen (n. Feldmann) – Konvergenztyp – Kongruenztyp – Distanztyp – Persistenztyp Alberty 2003 Tinnitus Kausalität • Zeitliche Korrelation zum Schadensereignis – Brückensymptom(e) • Weitere otoneurologische Befunde – Hörschaden – Vestibularis – Frakturen • Korrelation zur Hörschwelle – Tonhöhe – Lautheit • Beispiel Lärmschwerhörigkeit: – Tonhöhe im geschädigten Frequenzbereich – Verdeckungsprüfung: meist Konvergenztyp Alberty 2003 Tinnitus Schadensbemessung GdB/MdE 0 - 10 ohne nennenswerte psychische Begleiterscheinungen 20 mit erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen 30 - 40 mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägte depressive Störungen) min. 50 mit schweren psychischen Störungen und sozialen Anpassungsschwierigkeiten Alberty 2003 Fazit • Begutachtung von Hörschäden – Differenzierter Einsatz audiometrischer Testverfahren – Standardisierte Bewertung • Begutachtung von Tinnitus – Audiometrische Verfahren zur Plausibilisierung – Gutachtliche Bewertung des komplexen Tinnitus oft interdisziplinäre Aufgabe Alberty 2003