Akuter peripher-vestibulärer Schwindel

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Akuter peripher-vestibulärer Schwindel
FORTBILDUNG
Schwindeltriage im Notfalldienst
Akuter peripher-vestibulärer Schwindel
Wird man im Notfalldienst zu einem Patienten mit akuter
Schwindelsymptomatik gerufen, eröffnet sich eine breite differentialdiagnostische Palette. Häufig handelt es sich um eine
harmlose peripher-vestibuläre Erkrankung wie einen benignen
paroyxsmalen Lagerungsschwindel. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass man sich als Notfallarzt verunsichert
fühlt und symbolisch ein Damokles-Schwert im Nacken spürt,
da man befürchtet, eine schwerwiegende zentrale Pathologie
oder eine kardiale Problematik zu verpassen. Dieser Beitrag
soll die diagnostischen Schritte in der Schwindeltriage mit
Schwerpunkt auf den peripher-vestibulären Erkrankungen
erläutern.
E
Dr. med.
Christoph Schlegel-Wagner
Luzern
ine akute Schwindelepisode ist einer der häufigsten Gründe für
eine Notfallkonsultation. Der Schwindel kann sich dabei sehr
vielfältig und individuell unterschiedlich präsentieren, und sich zu
einer differentialdiagnostischen Knacknuss entwickeln. Lebensbedrohliche Erkrankungen können eine harmlose Affektion vortäuschen. Beim systematischen Schwindel sind die wichtigsten
Ursachen die drei häufigsten akuten peripher-vestibulären Erkrankungen: Akuter Vestibularisausfall, benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS) und Morbus Menière-Anfall. Eine effektive
Strategie, eine schwerwiegende Erkrankung wie z.B. einen Hirnschlag auszuschliessen, besteht darin, eine peripher-vestibuläre Erkrankung affirmativ zu diagnostizieren.
Die drei häufigsten akuten peripher-vestibulären Störungen
(akuter einseitiger Vestibularisausfall, BPLS, Morbus Menière) sind
durch typische Symptome und klinische Eigenschaften charakterisiert. Entsprechend lassen sie sich in der Regel durch eine gezielte
Schwindelanamnese und eine fokussierte klinische Untersuchung
eindeutig diagnostizieren.
Bei der gezielten Schwindelanamnese wird der systematische
vom unsystematischen Schwindel unterschieden. Der systematische
Schwindel beschreibt einen klar gerichteten Schwindel wie einen
Drehschwindel, Liftschwindel oder eine eindeutige Bewegungskomponente. Der Patient kann dabei die Schwindelform beschreiben.
Ein unsystematischer Schwindel wird als allgemeines Benommenheitsgefühl, einen Trümmel oder beginnender Bewusstseinsverlust
angegeben. Nun folgen Fragen nach Ohr- und neurologischen Symptomen (Abb. 1). Bei einer akuten peripher-vestibulären Erkrankung wird typischerweise ein systematischer Schwindel angegeben.
Dabei wird der Schwindel meistens von vegetativen Begleitsymptomen wie Übelkeit, Erbrechen und Schwitzen begleitet. Die nächste
wichtige Frage zielt nach der Dauer des Schwindels (Abb.2).
Im klinischen Untersuch liegt beim Patienten mit akutem
Schwindel der Schwerpunkt bei der Nystagmussuche und Prüfung der Augenmotilität. Die Schlagrichtung des Nystagmus wird
nach der schnellen Komponente benannt, da diese (insbesondere
ohne Frenzelbrille) besser sichtbar ist. Kann ein Spontannystagmus
Abb. 1: Systematischer und unsystematischer Schwindel
Abb. 2: Dauer des Schwindels bei den häufigsten akuten vestibulären
Krankheitsbildern
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FORTBILDUNG
gische Symptome vorhanden sind, oder das Nystagmusmuster
und pathologische Befunde im Neurostatus für eine zentral-vestibuläre Erkrankung sprechen. Dem MRI ist in der Regel den
Vorzug zu geben.
Akuter einseitiger Vestibularisausfall
Abb. 3: Abgrenzung peripher- versus zentral-vestibulärer Schwindel
gefunden werden, so liegt eine akute vestibuläre Störung vor. Die
Art des Nystagmus hilft, eine periphere von einer zentralen vestibulären Störung abzugrenzen (Abb. 3). Der vestibulo-okuläre Reflex
wird kursorisch mit dem klinischen Kopfimpuls-Test (KIT) geprüft.
Dabei hält der Untersucher den Kopf des Patienten zwischen seinen
Händen und lässt diesen mit den Augen die Nase des Untersuchers
fixieren. Nun wird der Kopf ruckartig 20–25° zur einen und anderen Seite gedreht. Bei einer Bogengangsschädigung gelingt es dem
Patienten nicht, während der Drehung die Nase des Untersuchers
weiter zu fixieren. Die Augen bewegen mit dem Kopf mit, und es
folgt eine Einstell-Sakkade, um die Nase des Untersuchers wieder
fixieren zu können. Diese Einstell-Sakkade wird gesucht. Lässt sich
wiederholt eine Einstell-Sakkade klar erkennen, so liegt mit einer
95%igen Wahrscheinlichkeit eine peripher-vestibuläre Störung vor.
Allerdings ist grundsätzlich eine Schädigung im ganzen Verlauf des
vestibulo-okulären Reflexbogens möglich, also auch in den Vestibulariskernen respektive im Hirnstamm. Der KIT ist zudem nicht
sehr empfindlich, da mindestens 40–50% Funktionseinbusse des
betroffenen Vestibularorganes vorliegen müssen, bis er pathologisch ausfällt. Die Otoskopie und die Stimmgabelprüfungen (Test
nach Weber und Rinne) geben Hinweise für eine otogene Ursache
des Schwindels wie z.B. ein Cholesteatom. Ergänzend wird ein einfacher Neurostatus mit Prüfung der Spinalmotorik und Koordination durchgeführt.
Nun stellt sich die Frage, ob weiterführende Untersuchungen
wie Computertomographie oder MRI helfen, eine peripher-vestibuläre von einer zentral-vestibulären Erkrankung zu differenzieren. Bei einer grossen Populations-basierten Studie mit über
1600 Schwindelpatienten, welche eine Notfallkonsultation benötigten, fanden sich 3,2% Patienten, welche einen Hirnschlag respektive eine TIA erlitten hatten. Allerdings fand sich Schwindel
als isoliertes und einziges Symptom nur gerade bei 0,7% aller Patienten. Alle übrigen Patienten mit einem Hirnschlag/TIA hatten
eindeutige zusätzliche neurologische Symptome wie motorische und sensible Ausfälle oder Artikulationsstörungen. Aktuelle Arbeiten zeigen zudem, dass der neurologische Status und
die Nystagmussuche zur Detektion von Läsionen der hinteren
Schädelgrube und des Hirnstamms den bildgebenden Verfahren
überlegen sind. Eine Bildgebung ist also dann indiziert, wenn bei
einem Patienten mit akutem Schwindel entsprechende neurolo-
Ein Patient mit einem akuten einseitigen Vestibularisausfall (Synonym: akute peripher-vestibuläre Funktionsstörung, Neuronitis
verstibularis) berichtet über einen akut einsetzenden Drehschwindel ohne erkennbare Ursache. Insbesondere fehlt in der Anamnese
ein Barotrauma des Ohres, welches für eine Perilymphfistel sprechen könnte. Starke Übelkeit, Erbrechen und subjektiv bedrohliche Gleichgewichtsstörungen begleiten das Krankheitsbild. Beim
Gehen zieht es den Patienten auf die erkrankte Seite. Der Patient
will möglichst ruhig liegen bleiben und legt sich in der Regel auf das
gesunde Ohr. Der Schwindel ist initial am stärksten und klingt über
Tage langsam ab. Ohrsymptome werden verneint. Neurologische
Symptome wie Wortfindungs- oder Bewusstseinsstörungen fehlen.
Im klinischen Untersuch findet sich ein kräftiger horizontaler
Spontannystagmus zur gesunden Seite (Ausfallsnystagmus), meist
mit einer leichten rotatorischen Komponente am Ende jedes Nystagmusschlages. Der Nystagmus ist von der Intensität her in der
Regel drittgradig. Das heisst, beim Blick gegen seine Schlagrichtung ist der Nystagmus immer noch sichtbar. Durch optische Fixation wird der Spontannystagmus abgeschwächt. Die Prüfung der
vestibulo-spinalen Reflexe zeigt ein gerichtetes Abweichen auf
die betroffene Seite. Die Ohrmikroskopie fällt unauffällig aus, die
Stimmgabelprüfungen sind physiologisch. Der klinische Kopfimpulstest (KIT) zeigt bei Kopfdrehung auf die betroffene Seite eine
Einstell-Sakkade.
Benigner Paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS)
Der Benigne Paroxysmale Lagerungsschwindel äussert sich durch
kurzdauernde, heftige Drehschwindelanfälle, welche typischerweise durch Lageänderungen des Körpers wie Drehen im Bett auf die
Seite oder Kopfreklination ausgelöst und reproduziert werden können. In Ruhe ist der Patient beschwerdefrei. Ohr- und neurologische Symptome fehlen. Dr. Marcel Gärtner geht in seinem Artikel
vertieft auf die Diagnostik und Therapie des BPLS ein.
Morbus Menière
Der Morbus Menière ist von anfallartigen Episoden mit Drehschwindel, Tinnitus (meistens Rauschtinnitus wie ein laufender
Wasserhahn) und einer Hörverminderung gekennzeichnet. Meistens verspürt der Patient gleichzeitig ein Druck- oder Völlegefühl
im betroffenen Ohr. Die Anfälle dauern einige Stunden. Während dieser Zeit liegt der Patient am liebsten in einem ruhigen,
abgedunkelten Raum und legt sich (entgegen der akuten einseitigen peripher-vestibulären Funktionsstörung) auf das erkrankte Ohr. Neurologische Symptome fehlen. Im klinischen Untersuch
findet sich ein horizontaler Spontannystagmus. Je nach Intensität
des Anfalls und Stadium des Morbus Menière handelt es sich um
einen Reiznystagmus, welcher zum betroffenen Ohr schlägt, oder
um einen Ausfallsnystagmus, der zur Gegenseite schlägt. Da der
Morbus Menière zu einer Innenohrschwerhörigkeit des erkrankten
Ohres führt, lateralisiert der Patient den Weber ins nicht betroffene Ohr, der Rinne ist beidseits physiologisch. Die Ohrmikroskopie zeigt einen unauffälligen Befund. Neurologische Auffälligkeiten
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fehlen. Die definitive Diagnose eines Morbus Menière wird erst
nach mehreren Anfällen gestellt. Bei einem ersten Anfall sprechen wir von einer akuten cochleo-vestibulären Funktionsstörung.
Die mögliche Diagnose eines Morbus Menière wird dem Patienten
nicht mitgeteilt, um ihn nicht unnötig zu stigmatisieren.
Dr. med. Christoph Schlegel-Wagner
Co-Chefarzt
Klinik für HNO-Heilkunde, Hals- und Gesichtschirurgie
Luzerner Kantonsspital, Luzern
christoph.schlegel@luks.ch
Literatur:
1. Chalela JA et al: Magnetic resonance imaging and computed tomography in
emergency assessment of patients with suspected acute stroke: a prospective
comparison. Lancet 2007, 369:293-298
2. Kerber KA et al: Stroke among patients with dizziness, vertigo and imbalance in
the emergency department: a population based study. Stroke 2006, 37:24842487
3. Kerber KA: Vertigo and dizziness in the emergency department. Emerg Med Clin
North Am 2009,27(1):39-52
4. Probst R: Vestibuläre Störungen. In Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Thieme, 2008
5. Schmidt CL et al: Kopfimpulstest und Vibrationstest in der Schwindeldiagnostik.
Laryngo-Rhino-Otol 2012, 91.192-203
6. Syed FA et al: The costs and utility of imaging in evaluation dizzy patients in the
emergency room. Laryngoscope 2013, 123. 2250-2253
Take-Home Message
◆Schwerpunkt in der Schwindeltriage im Notfalldienst liegen bei der
Schwindelanamnese und der klinischen Untersuchung mit Nystagmussuche und Neurostatus
◆Die drei häufigsten akuten peripher-vestibulären Erkrankungen sind:
– akuter einseitiger Vestibularisausfall
– benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS)
– Morbus Menière
◆Die effektivste Strategie, im Notfalldienst eine zentrale Pathologie auszuschliessen, liegt in der sicheren Diagnose einer peripher-vestibulären Erkrankung
◆Schwindelanamnese, Nystagmussuche und Neurostatus sind zur
Detektion einer Pathologie in der hinteren Schädelgrube oder Hirnstamm der Bildgebung mittels CT oder MRI überlegen